Worauf warten wir?
Packendes Plädoyer für einen mutigen Aufbruch!
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Packendes Plädoyer für einen mutigen Aufbruch!
Die Missstände in Deutschland sind gross. Schuld daran sind immer die anderen: unfähige Politiker, gewissenlose Manager, machtverliebte Gewerkschaften ... nur wir nicht. Wir vertrauen auf unseren Staat. Wir wissen zwar, dass es so nicht mehr weitergeht, aber wir hoffen, dass sich nur ja nichts ändern wird. Denn um zu verändern, müssten wir etwas aufgeben: Sicherheit. Schonungslos analysiert Notker Wolf unsere widersprüchliche Gesellschaft, prangert die deutschen Besitzstandswahrer an und fordert die persönliche Freiheit, um wieder eine zukunftsfähige Gemeinschaft zu werden. Ein packendes Plädoyer für einen mutigen Aufbruch.
Worauf warten wir? von AbtprimasNotker Wolf
LESEPROBE
ÜBERLEGUNGENAUF EINEM CHINESISCHEN BAHNHOF
Ichverliere nicht leicht die Nerven. Ich habe manches erlebt
und binauf ziemlich alles gefasst. Aber damals, in der Bahnhofshalle
dernordostchinesischen Stadt Shenyang, musste
ichmich mühsam beherrschen. Es war meine erste Reise nach
China,ich wollte mit dem Zug ins Innere der Mandschurei
und bisan die nordkoreanische Grenze, und es schien mir
nichtvergönnt, in den Besitz einer simplen Fahrkarte zu gelangen.
ZumGlück hatte ich meine Pfeife dabei - und Pater Sebastian,
einendeutschen Benediktiner, der seit Jahren in Südkorea
lebte.Pater Sebastian konnte nicht nur die chinesischen
Schriftzeichenvon Ortsnamen entziffern, er hatte auch ausgiebige
Erfahrungenmit dem südkoreanischen Geheimdienst
gesammelt.Mit anderen Worten: Er liess sich nicht leicht
insBockshorn jagen - und reagierte deshalb gelassen, als
nachStunden stoisch ertragenen Wartens die Reihe endlich
an unswar und die Dame im Dämmerlicht des Fahrkartenschalters
blossden Kopf schüttelte und trocken erklärte, für
Ausländergebe es einen eigenen Schalter, die Treppe hoch,
imersten Stock. Er verlor nicht einmal die Fassung, als wir
nacheiner weiteren Stunde geduldigen Wartens im ersten
Stockerfuhren, unser Devisengeld sei hier wertlos, an diesem
Schalterkönne man nur mit chinesischem Geld bezahlen. Er
bliebauch unerschütterlich, als wir in einer dritten Schlange
abermalseine gute Stunde ausharren mussten, bevor man uns
dieFahrkarten tatsächlich aushändigte. Und er bewährte sich
ungemein,als dann spätabends der Zug einlief und auf dem
Bahnsteigein unglaubliches Gerangel entstand, ein Stossen
undSchieben und Drängen, sodass wir uns regelrecht zu einer
derWaggontüren vorkämpfen und bis in unser Abteil durchboxen
mussten.
Eineharte Bewährungsprobe für unsere Geduld. Nicht die
erste.Ich rief mir ins Gedächtnis, dass wir uns nicht auf einer
Vergnügungsreisebefanden. Ein Jahr zuvor, 1984, hatte China
seineGrenzen für Individualreisende geöffnet, seither hatte
ichdarauf gebrannt, in die ehemalige Mandschurei zu fahren
undKontakt zu den Christen dort aufzunehmen. Würde ich
überhauptnoch Christen finden? Wir Benediktiner hatten
Anfangdes letzten Jahrhunderts im Nordosten Chinas missioniert,
hatteneine Abtei errichtet, Pfarreien gegründet, ein
ganzesSchulsystem aufgebaut. Dann waren unsere Missionare
von denKommunisten des Landes verwiesen worden.
Was waraus den Chinesen geworden, die sich seinerzeit zum
christlichenGlauben bekehrt hatten? Niemand wusste etwas
darüber.Ich fühlte mich für sie mitverantwortlich. Ich musste
ihnenzeigen, dass wir sie nie vergessen hatten. Und ausserdem
war ichentschlossen, ein neues Kapitel unserer Missionsarbeit
inChina aufzuschlagen.
Einargwöhnischer Staatssicherheitsdienst wie der chinesische
konntedas, was wir vorhatten, durchaus verdächtig
finden.Auf jeden Fall mussten wir Vorsichtsmassnahmen ergreifen.
Umkeine schlafenden Hunde zu wecken, hatten wir
nichtsim Voraus gebucht, kein Hotel, keinen Flug und keine
Zugfahrt.Kein übereifriger, unterbeschäftigter Geheimdienstmann
irgendwoin der Provinz sollte von unseren Plänen Wind
bekommen.Nur - Reisende, die unerwartet auftauchten, existierten
injenen Jahren für chinesisches Hotelpersonal eigentlich
garnicht. Oft sassen wir stundenlang auf unseren Koffern
undwarteten. Wieder einmal. Warteten, bis irgendwann sich
irgendjemanddoch noch unser erbarmte.
Nungut, ich kann warten. Noch waren die Chinesen mit
solchenReisenden wie Pater Sebastian und mir überfordert.
Bereuthabe ich die langen Wartezeiten aber keineswegs. Ich
habenämlich - auf meiner ersten wie auf allen späteren Reisen
-unterdessen die Menschen beobachtet und erlebt, wie
ansteckendeine allgemeine Aufbruchstimmung sein kann,
wiebeflügelnd sich Erfolge auf ein ganzes Volk auswirken.
Ichhabe gesehen, mit welchem Eifer, mit welcher Energie und
Zielstrebigkeitdie Chinesen ihren Geschäften nachgehen.
Und ichhabe im Lauf der Jahre erfahren, mit welchen Hoffnungen,
mitwelchen grossen Erwartungen sie in die Zukunft
schauen,habe die Begeisterung in ihren Augen gesehen und
denStolz auf ihre Fortschritte. Eine solche Dynamik, habe ich
manchesMal gedacht, muss zuletzt in den USA geherrscht haben,
zuBeginn des vorigen Jahrhunderts, als Einwanderer aus
derAlten Welt in ihren Briefen nach Hause berichteten, wie
unwiderstehlichmitreissend das Leben in Amerika sei.
1985kündigten sich die späteren Erfolge erst zaghaft an.
Seinerzeitwar Peking noch eine triste Stadt, grau in grau, und
alletrugen die dunkelblaue, kommunistische Einheitsmontur.
Aberdas, was solche Erfolge möglich macht, war damals bereits
zuspüren: Zukunftsoptimismus, Selbstvertrauen und
Einsatzfreude.Mit solchen Menschen kann man viel erreichen
- undwir haben seither in China auch viel erreicht, haben
Schulenunterstützt, Krankenhäuser finanziert und sogar
Kirchengebaut. Nicht dass Pater Sebastian und ich gleich mit
offenenArmen empfangen worden wären. Niemand hatte
auf unsgewartet. Wer waren wir denn? Zwei dahergelaufene
deutschePatres im Reich der Mitte, der Sprache unkundig,
mitmysteriösen Absichten und der unbegreiflichen Gewohnheit,
keineReservierungen vorzunehmen. Dennoch ist man
unsnach anfänglichem Misstrauen mit Aufgeschlossenheit
begegnet.Sie liessen mit sich reden, unsere chinesischen Gesprächspartner.
Siewaren willens, sich überzeugen zu lassen.
DieseMenschen waren Realisten, auf ihren Vorteil bedacht
wiejeder vernünftige Mensch und obendrein bereit, neue
Wege zubeschreiten, Wege, die seit Maos Zeiten versperrt
gewesenwaren. China war in Bewegung geraten, und es war
grossartig,das mitzuerleben.
DieseBilder von Tüchtigkeit und Zuversicht vor Augen, bin
ich aufchinesischen Bahnhöfen und in chinesischen Hotelhallen
oft insGrübeln gekommen. Bei uns in Deutschland, habe
ichgedacht, steht die Luft wie in einem geschlossenen Raum.
Dabewegt sich nichts. Da steht auch die Diagnose längst fest.
Unddiese Diagnose lautet: Es ist schlecht bestellt um unsere
Welt.Unheil breitet sich aus. Noch grösseres Unheil zieht herauf.
Abernichts gegen das Verderben, das sich am Horizont bereits
abzeichnet.Folglich ist Pessimismus die erste Bürgerpflicht
undOptimismus unverantwortlich. Schönfärberei wäre es, an
dieserWelt auch nur ein gutes Haar zu lassen. Und sträflicher
Leichtsinn,noch einen Hoffnungsschimmer sehen zu wollen.
NurGewissenlose nehmen in dieser Zeit, in dieser Welt noch
etwasauf die leichte Schulter. Wir haben allen Grund, schwarz
zusehen. Das Glaubensbekenntnis der Kleingläubigen.
Und wiepeinlich wir alles vermeiden, was nach Zuversicht
aussehenkönnte. «Das hat sowieso keinen Zweck», heisst es.
Oder:«Das klappt nie und nimmer.» Oder: «Das kann gar nicht
funktionieren.»Als wäre es unser hart erkämpftes Menschenrecht,
dasSchlimmste befürchten zu dürfen und ans Misslingen
zuglauben. Doch ändern darf sich auch nichts, sonst müssten
wir amEnde womöglich feststellen, dass wir im Irrtum waren.
Und daswäre vermutlich die grösste Katastrophe - nicht Recht
behaltenzu haben mit unserem Pessimismus. Von China aus
gesehen,erinnerte mich Deutschland an einen Masochisten,
dersich erst gründlich quält und dann krankschreiben lässt.
Oderleisten wir uns bloss einen unerbittlichen Realismus?
Eingeschärftes Problembewusstsein, wie es so schön heisst? Ist
derEifer, mit dem wir jeden neuen Vorschlag madig machen
undjeder neuen Perspektive die düsterste Seite abgewinnen,
vielleichtnur ein Zeichen unseres aufgeklärten, kritischen Verstandes?
Wersind denn die wahren Realisten? Diejenigen, denen
mannichts vormachen kann, die einen untrüglichen Blick
für dieSchwachstelle einer jeden Sache haben, die alles, was
glänzt,auf gar keinen Fall für Gold halten? Oder Menschen
wie dieChinesen, die sich von ihrem ehrgeizigen Aufbauprojekt
ansteckenlassen, die sich ihrer Kraft bewusst sind, die der
Zukunftentgegenfiebern und bereit sind, alles, was glänzt,
auchwirklich für Gold zu halten?
Bei demGedanken an Deutschland fallen mir gewisse
Klösterein. Klöster, in denen kein Leben mehr herrscht. So
etwaskommt vor. Neues Leben kann dann nur von aussen
kommen,wie in jenem Kloster auf einer Insel vor der südfranzösischen
Küste.Die Gemeinschaft dort war auf fünf alte
Mönchezusammengeschrumpft. Diese Mönche befolgten
bravihre Regel, jeder für sich, und liessen es dabei bewenden.
Zeitlebenszum Schweigen angehalten, hatten sie den
Kontaktzueinander verloren. Dann zogen drei junge Männer
auseiner modernen Gemeinschaft ein, nahmen das Heft in
dieHand, und fünfzehn Jahre später war die Gemeinschaft
aufneunzig Brüder angewachsen. Sie hatten das Chorgebet
und dieLiturgie neu gestaltet und in die alten Mauern ein
solchesLeben gebracht, dass junge Menschen dort ihre Ideale
verwirklichtfanden. Bei meinem Besuch merkte ich ihnen die
Freudean der eigenen Berufung an und die Befriedigung, die
ihreArbeit ihnen verschaffte. Vor allem aber: Man lebte nun
nichtmehr aneinander vorbei. Man traf sich häufig und redete
miteinander.Es war zu einem wirklichen inneren Kontakt
gekommen.Ein sterbendes Kloster hatte sich in ein aufblühendes
Klosterverwandelt, und mittlerweile ist von dort ein
altes,romanisches Kloster wiederbesiedelt worden und sogar
eineNeugründung in Norditalien ausgegangen.
Ineinem Fall wie diesem haben die alteingesessenen Mönche
zweiMöglichkeiten. Entweder sie machen mit, lassen sich
ansteckenund mitreissen. Oder sie bestreiten, dass es auch
andersgeht, ziehen sich beleidigt zurück und verschanzen
sichhinter einer frommen Selbstgefälligkeit. Mir scheint, wir
Deutschenhaben uns bislang für die zweite Möglichkeit entschieden.
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„Ora et labora“ lautet die wichtigste Regel des Benediktinerordens. „Bete und arbeite“ gilt auch für den obersten Repräsentanten der Benediktinischen Konföderation, den Abtprimas Notker Wolf.
„Ketzerische Gedanken zu Deutschland“ macht sich Notker Wolf in dem Buch „Worauf warten wir?“. Er stellt „Zukunftsoptimismus, Selbstvertrauen und Einsatzfreude“ der Chinesen der deutschen Denkweise gegenüber, wonach „Pessimismus die erste Bürgerpflicht und Optimismus unverantwortlich“ sind.
Anregung zum Umgang mit Menschen enthält die Schrift „Die Kunst, Menschen zu führen“. Nach Meinung des Autors soll in Unternehmen, Schule und Familie einer die Richtung angeben, aber Mitarbeiter, Schüler und Kinder „ernst nehmen und als Individuen behandeln“.
In dem Buch „Botschaft Benedikts“ legt er dar, dass eine gute Beziehung zu Gott durchaus mit Leistung und ökonomischem Erfolg einhergehen kann.
Notker Wolf, ein Gottesmann, der mitten im Leben steht!
- Autor: Abtprimas Notker Wolf
- 2006, 18. Aufl., 224 Seiten, Masse: 12,5 x 21 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499620944
- ISBN-13: 9783499620942
- Erscheinungsdatum: 01.04.2006
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