Wie ein reissender Strom
Roman
Der heiße Liebesroman von Erfolgsautorin Sandra Brown ist ein Leckerbissen für alle Fans einer spannend erzählten Abenteuergeschichte mit einem Schuß knisternder Erotik: Aus Trotz wendet sich die junge Banner Coleman in ihrer...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Wie ein reissender Strom “
Der heiße Liebesroman von Erfolgsautorin Sandra Brown ist ein Leckerbissen für alle Fans einer spannend erzählten Abenteuergeschichte mit einem Schuß knisternder Erotik: Aus Trotz wendet sich die junge Banner Coleman in ihrer Hochzeitsnacht Jake Langston zu, dem Freund und besten Mitarbeiter ihrer Eltern. Doch die jäh entflammte Liebe zwischen Banner und Jack wird auf eine harte Probe gestellt.
Klappentext zu „Wie ein reissender Strom “
Das Spiel der Gefühle kennt keine RegelnAusgerechnet am Tag ihrer Hochzeit erfährt Banner Coleman, dass ihr Verlobter sie schändlich betrogen hat. Aber Banner denkt gar nicht daran, sich in die Rolle der verlassenen Braut zu fügen. Aus Trotz verbringt sie ihre Hochzeitsnacht nicht wie geplant in seidigen Laken, sondern auf dem Heuboden im Stall - mit Jake Langston, einem Freund ihrer Eltern. Ein Skandal liegt in der Luft! Denn ihre spontan entflammte Leidenschaft weckt Erinnerungen an eine andere verbotene Liebe, die vor zwanzig Jahren die texanische Erde erbeben liess ...
Lese-Probe zu „Wie ein reissender Strom “
Wie ein reißender Strom von Sandra BrownDeutsch von Susanne Althoetmar-Smarczyk
Prolog
Der Mann sprang auf die Füße, zog unbeholfen seine Pistole, spannte den Hahn und zielte. Dabei stieß er mit seinen stämmigen Oberschenkeln gegen die Tischkante und brachte die gefüllten Gläser zum Schwingen. Eines kippte um. Eine Zigarre rollte vom Aschenbecher und brannte ein kleines Loch in die grüne Filzoberfläche.
Jake Langston seufzte müde. In ein paar Stunden fuhr sein Zug. Er war hierhergekommen, um sich die Zeit bis dahin zu vertreiben. Mit einem oder zwei Spielchen Poker, einem oder zwei Whisky, vielleicht einer oder zwei zufriedenstellenden Nummern in einem der Betten oben. Stattdessen war er in einen Streit mit einem Rübenbauern namens Kermit geraten, dem er nur wünschen konnte, dass er mit dem Pflug geschickter umging als mit der Waffe.
»Sie nennen mich einen Betrüger?«, fragte der Farmer. Er war nicht mehr allzu nüchtern, da er es nicht gewohnt war, mehr als ein Bier zu trinken. Er schwankte wie ein Matrose bei rauer See hin und her, obwohl seine Füße fest auf der Erde standen. Sein bulliges Gesicht war schweißüberströmt und erhitzt. Die Pistole, die direkt auf Jakes Brust zielte, zitterte in seiner unsicheren Hand.
»Ich habe nur gesagt, dass ich lieber die ganzen Asse, die Sie im Ärmel haben, auf einmal sehen würde, als sie bei jedem zweiten Spiel auftauchen zu sehen.« Mit aufreizender Lässigkeit griff Jake mit seiner Rechten, seiner Schusshand, nach dem Whiskyglas und nahm genüsslich einen Schluck.
... mehr
Der Farmer blickte sich nervös in der Bar um. Plötzlich war ihm bewusst geworden, welches Schauspiel er bot. Niemand sonst in dem höhlenartigen Raum bewegte sich. Die Musik war beim ersten Anzeichen von Krawall verstummt. Die anderen Spieler am Pokertisch hatten sich vorsichtig zurückgezogen wie die Wellen, die entstehen, wenn ein Stein in einen ruhigen See geworfen wird.
Der Mann gab sich alle Mühe, einschüchternd zu wirken. »Sie sind ein Lügner! Ich habe nicht betrogen. Ziehen Sie doch.«
»In Ordnung.«
Es ging alles so schnell, dass hinterher nur diejenigen, die direkt danebengestanden hatten, bezeugen konnten, was tatsächlich passiert war. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung erhob Jake sich von seinem Stuhl, zog seine Waffe, holte mit der anderen Hand weit aus und lenkte den Arm des Farmers ab, sodass dessen Pistole nutzlos zu Boden knallte.
Kermits Adamsapfel zog sich in die Länge, ein Kloß schieren Entsetzens saß ihm im Hals. Er blickte in Augen, die so kalt und hart waren wie Eiszapfen, die nach einem eisigen Nordwind im Januar an der Dachrinne hängen. Sie waren viel Furcht einflößender als die Mündung der Pistole, die auf seine Nasenspitze zielte. Er stand jemandem gegenüber, der zwanzig Kilo leichter war als er selbst, aber durch seine eiserne Selbstbeherrschung trotzdem bedrohlich wirkte.
»Nehmen Sie sich die Hälfte des Gewinns, den Sie dort aufgehäuft haben. Ich nehme an, so viel haben Sie ehrlich gewonnen.«
Zitternd stopfte sich der Farmer die Münzen und Geldscheine in seine Hosentaschen. Er verfiel in die hektische Raserei eines Fuchses, der bereit ist, sich die Pfoten abzubeißen, um einer Falle zu entrinnen.
»Und jetzt heben Sie Ihre Waffe ganz vorsichtig auf und verschwinden von hier.«
Kermit gehorchte. Nur durch ein Wunder ging seine Pistole nicht los, als er mit zitternden Händen den Abzugshahn entspannte und sie wieder ins Pistolenhalfter steckte.
»Und ich rate Ihnen, nicht wiederzukommen, bis Sie betrügen können, ohne erwischt zu werden.«
Der Farmer fühlte sich erniedrigt, aber er war erleichtert, dass sein Herz noch schlug, dass er nicht aus einer Schusswunde blutete und dass er nicht ohne einen Cent zu seiner ewig nörgelnden Frau zurückkehren musste. Er ging und schwor sich, nie wiederzukommen.
Kaum hatte er den Raum verlassen, fuhr der Klavierspieler fort mit seinem fröhlichen Geklimper. Die übrigen Kunden der Spielhalle kehrten an ihre Tische zurück und schüttelten amüsiert den Kopf. Zigarren, die in Aschenbechern liegen gelassen worden waren, wurden wieder angezündet. Der Barmann machte sich sofort daran, die Gläser wieder zu füllen.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte Jake freundlich zu den anderen Spielern, während er seinen eigenen Gewinn einstrich. Er deutete auf den Geldhaufen, den der Farmer auf dem Tisch liegen gelassen hatte, und sagte: »Das könnt ihr euch teilen.«
»Danke, Jake.«
»Bis bald.«
»Weil er auf dich angelegt hat, hättest du ihn umbringen können.«
»Verdammt noch mal, das hättest du tun können! Wir hätten dich unterstützt.«
»Gottverdammtes Bauernpack!«
Unbeeindruckt zuckte Jake mit den Achseln und wandte sich ab. Sollten sie reden. Er nahm eine schlanke Zigarre aus seiner Hemdentasche, biss das Ende ab und spuckte es auf den Boden. Mit dem Daumennagel riss er ein Streichholz an und zündete sich seine Zigarre an, während er sich durch die Tische zur Bar aus Eichenholz schlängelte. Die Theke erstreckte sich über die ganze Länge des Raumes. Gerüchten zufolge war sie stückweise von St. Louis nach Fort Worth verschifft und später wieder zusammengesetzt worden. Sie war mit prachtvoller Schnitzerei verziert und mit Spiegeln bedeckt. Reihen von Flaschen und polierten Gläsern zogen sich auf ihr entlang. Die Besitzerin duldete kein Staubkörnchen darauf.
Spucknäpfe aus Messing befanden sich an strategisch günstigen Punkten entlang des Messinggeländers der Bar. In Priscilla Watkins' Garten Eden war es nicht erlaubt, auf den Boden zu spucken. Handgeschriebene Schilder, die in Abständen von zwei Metern an der Bar angebracht waren, wiesen darauf hin.
Jake grinste. Der Boden, der auf Hochglanz poliert war, war jetzt von seiner Zigarrenspitze entweiht worden. Es bereitete ihm auch ein perverses Vergnügen, mit seinen Sporen die glänzende Oberfläche, auf die die Besitzerin dieses Etablissements so stolz war, zu verkratzen.
Priscilla. Gerade als er an sie dachte, erblickte er sie auf der untersten Stufe der geschwungenen Treppe. Sie sah so prächtig aus wie die Königin von Saba. Gekleidet in leuchtend roten Satin, der mit schwarzer Spitze abgesetzt war, wäre sie jedem Mann ins Auge gefallen. Das hatte sie schon immer getan. Als Jake ihr vor fast zwanzig Jahren das erste Mal begegnet war, hatte sie verwaschene Baumwolle getragen. Aber selbst darin hatte sie den Männern die Köpfe verdreht.
Ihr aschblondes Haar hatte sie hoch aufgesteckt, verziert mit einer purpurroten Straußenfeder, die sich an ihre Wange schmiegte und mit einem baumelnden Ohrring flirtete. Ihr Kopf war in königlicher Pose geneigt.
Dieses Bordell war ihr Reich. Sie herrschte dort wie eine Despotin. Wenn es Kunden oder Angestellten nicht gefiel, wie sie die Dinge handhabte, wurden sie kurzerhand vor die Tür gesetzt. Aber jeder in Texas wusste, dass der Garten Eden in Fort Worth im Jahre .... das beste Bordell im ganzen Staate war. Priscilla streckte ihren mit einem Satin slipper bekleideten Fuß aus und trat von der untersten Stufe herunter. Stolz schritt sie zur Bar und verströmte hinter sich einen Moschusduft, der aus Paris importiert worden war. Jake führte sein Whiskyglas zum Mund.
»Sie haben mich gerade einen Kunden gekostet, Mr Langston.«
Jake wandte nicht den Kopf. Stattdessen nickte er dem Barmann zu, ihm noch mal einzuschenken. »Ich glaube, du kannst es dir leisten, ein oder zwei zu verlieren, Pris.«
Dass er sie so nannte, irritierte sie. Dies bereitete ihm genauso viel Vergnügen, wie den Boden ihres Saloons zu verkratzen. Nur ein alter Freund wie Jake kam bei ihr mit so etwas ungeschoren davon.
Waren sie Freunde? Oder Feinde? Sie war sich nie ganz sicher.
»Wie ist es nur möglich, dass monatelang alles glattgeht, aber sobald du auftauchst, gibt es Schwierigkeiten?«
»Ach ja?«
»So ist es jedes Mal.«
»Dieser Rübenbauer hat auf mich gezielt! Was hast du denn erwartet, was ich tun würde? Die andere Wange hinhalten? «
»Du hast ihn provoziert.«
»Er hat betrogen.«
»Ich kann keine weiteren Schwierigkeiten gebrauchen. Der Sheriff ist diese Woche schon zweimal hier gewesen.«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
»Es ist mir ernst, Jake. Die ganze Stadt läuft wieder bewaffnet herum und will mich niederschießen. Jedes Mal, wenn es Schwierigkeiten gibt ...«
»In Ordnung. Es tut mir leid.«
Sie reckte das Kinn hoch und lachte. »Das bezweifle ich. Entweder hast du Ärger am Kartentisch, oder du verursachst einen Wirbel unter meinen Mädchen.«
»Wie denn das?«
»Sie streiten sich um dich, und das weißt du verdammt genau«, fuhr sie ihn an.
Er wandte ihr den Blick zu und grinste sie unverschämt an. »Tatsächlich? Da soll mich doch der Teufel holen!«
Sie bemerkte wieder einmal, wie gut er aussah und welche attraktive Arroganz er im Laufe der Jahre entwickelt hatte. Er war nicht länger ein linkischer Junge, sondern ein Mann, den weder Männer noch Frauen übersehen konnten. Sie klopfte mit ihrem Federfächer auf seine Brust. »Du bist schlecht fürs Geschäft.«
Er beugte sich vor und flüsterte vertraulich: »Wie kommt es dann, dass du dich immer so freust, mich zu sehen? «
Verärgert verzog Priscilla den Mund, aber sie erlag seinem gewinnenden Lächeln. »In meinem Büro habe ich besseren Whisky.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Komm mit.«
Köpfe drehten sich um, als die beiden den Raum durchquerten. Es gab keinen Mann auf Erden, der Priscillas Reizen gegenüber unempfindlich gewesen wäre. Sie war auf eine lüsterne Art attraktiv, und die Geschichten darüber, was sie mit Männern alles anstellte, hatten sie zu einer lebenden Legende gemacht. Selbst wenn man berücksichtigt, dass Männer zu Übertreibungen neigen, wenn sie über ihre sexuellen Abenteuer erzählen, waren die Geschichten über Priscilla Watkins doch zu weit verbreitet, um nicht eine gewisse Glaubwürdigkeit zu verbürgen. Männer wollten nicht, dass ihre Ehefrauen dieses geile, schamlose Funkeln in den Augen hatten, aber von ihren Huren erwarteten sie es.
Die meisten Gelüste der Männer entsprangen nicht ihren Erinnerungen, sondern der Neugierde und Fantasie. Nur wenige kannten jene wollüstigen Zusammenkünfte mit Priscilla aus erster Hand. Sie war wählerisch. Selbst wenn sie sich den stolzen Preis, den sie verlangte, leisten konnten, wurden die meisten von ihnen nicht auserkoren, das innere Gemach hinter der Tür, die stets verschlossen war, zu betreten. Es hütete faszinierende Geheimnisse. In diesem Augenblick beneidete jeder Mann im Raum Jake Langston.
Während die Männer ihm neidisch nachsahen, so taten die Frauen es voller Sehnsucht. Die im Raum verteilten Huren, die die Gäste bei Laune hielten, waren hart arbeitende Frauen. Sie wussten, was ein Dollar wert war. Sie mussten vernünftig denken. Ihre Zeit bedeutete Geld. Also erprobten sie ihre Verführungskünste an ihren Kunden, aber jede von ihnen hätte die paar Dollars, die sie dabei verdienten, gerne für eine Stunde der Zweisamkeit mit dem Cowboy Jake Langston eingetauscht.
Er war schmalhüftig und schlaksig, bewegte sich aber mit der katzenhaften Anmut eines Pumas und hatte auch ebensolche Muskeln. Seine enge Hose saß um sein straffes Hinterteil und die langen Schenkel wie eine zweite Haut. Der Pistolengürtel, der tief um seine Hüften geschnallt war, betonte nur seine Männlichkeit. Männer respektierten seine Schießkünste. Frauen erregte allein seine Nähe. Ein Element von Gefahr umgab ihn.
Er hatte breite Schultern und eine breite Brust, aber das störte den Eindruck seiner Schlankheit nicht. Er ging nicht einfach, er schlenderte. Die Mädchen, die das Glück gehabt hatten, ihn in ihren Räumen zu empfangen, schworen, dass alles an ihm so kühn war wie sein Gang und dass die schaukelnden Bewegungen seiner Hüfte sich nicht auf das Laufen beschränkten.
Priscilla zog einen Schlüssel aus dem tiefen Ausschnitt ihres Kleides und öffnete ihre privaten Gemächer. Drinnen ließ sie ihren Fächer auf einen modischen Stuhl mit dünnen Beinen fallen und ging zu einem kleinen Tisch hinüber. Sie goss Jake einen Drink aus einer schweren Kristallkaraffe ein, während er mit einem Klicken die Tür hinter ihnen schloss. Priscilla hob den Blick, um ihn anzuschauen. Sie ärgerte sich darüber, dass ihr Herz schneller klopfte.
War es heute Abend so weit?
Es hätte der Salon jeder Dame sein können - abgesehen von Priscillas Nacktporträt, das ein Kunde als Bezahlung gemalt hatte. Ohne jeden Zweifel war er zuvor ihr Liebhaber gewesen, so wie er sie in der Pose träger Befriedigung auf die Leinwand gebannt hatte. Das Gemälde krönte in seinem Goldrahmen die Wand hinter dem satinbezogenen Sofa, auf dem sich Kissen mit Seidenfransen türmten. Die Vorhänge an den Fenstern aus Moirétaft waren auf die gleiche Art gekräuselt wie in den meisten vornehmen Häusern zu jener Zeit. Spinnwebenzarte Deckchen zierten die Tischchen. Jedermanns Großmutter hätte sie häkeln können.
Die großen runden Glasschirme der Öllampen waren mit Blumen bemalt. Von einigen hingen Glastropfen herunter, die bei jedem Luftzug sanft klingelten. Ein dicker Teppich bedeckte den Boden zum größten Teil. In einer Ecke stand eine brusthohe Vase, in der Pfauenfedern steckten. Sie war bemalt. Auf der Zeichnung ließ eine barbusige, fesche Schäferin aus dem siebzehnten Jahrhundert einen glühend bewundernden Schäfer leiden.
Jake betrachtete den Raum. Er war schon oft hier gewesen, aber das Zimmer hatte nie von seiner Faszination verloren. Priscilla, die rebellische Tochter einer diktatorischen Mutter und eines eingeschüchterten Vaters, hatte es weit gebracht in der Welt. Jake, der damals von allen Bubba genannt worden war, hatte sie auf brachliegenden Feldern und in matschigen Bachbetten genommen. Wenn es zur Sache ging, spielte der Ort keine Rolle. Eine Hure war eine Hure, ganz gleich wo sie ihr Gewerbe ausübte.
Priscilla, die sich seiner wenig schmeichelhaften Gedanken nicht bewusst war, kam auf ihn zu und reichte ihm den Whisky. Sie zog ihm die Zigarre aus dem Mund, steckte sie sich zwischen die Lippen und nahm einen langen Zug. Bevor sie den Rauch langsam und gleichmäßig ausatmete, ließ sie ihn durch ihre Lungen strömen. »Danke. Ich lasse meine Mädchen nicht rauchen. Deshalb darf ich auch kein schlechtes Vorbild für sie sein. Komm, wir gehen ins Schlafzimmer. Ich muss mich für den Abend umziehen.«
Er folgte ihr ins nächste Zimmer. Es war sehr feminin eingerichtet, voller Spitzen, was überhaupt nicht zu ihr passte. Sie war eine zu harte Frau für so einen rüschigen, plüschigen Raum, aber Jake vermutete, dass er Teil der Fantasiewelt war, die sie ihren Kunden bot.
»Hilf mir bitte, Jake.« Sie wandte ihm den Rücken zu. Er steckte den Stumpen wieder in den Mund, hielt ihn mit seinen geraden weißen Zähnen fest und blinzelte wegen des Rauches. Seinen Drink stellte er beiseite. Geübt löste er die Haken aus den Ösen. Als er fertig war, warf sie einen Blick über ihre nackte Schulter, sagte mit heiserer Stimme: »Danke, Liebling«, und trat beiseite.
Grinsend ließ Jake sich auf das Brokatsofa fallen. Er zog auch die Füße auf das Sofa, ohne auf die Sporen an seinen Stiefeln zu achten, vom festgebackenen Schmutz ganz zu schweigen.
»Was hast du in der letzten Zeit gemacht?« Priscilla glitt mit einer Bewegung, die zu mühelos war, um nicht eingeübt zu sein, aus ihrem tief ausgeschnittenen Kleid.
Jake blies einen vollkommenen Rauchkringel in die Luft und langte nach dem Whisky. »Hab' oben in West Virginia gearbeitet, einen Zaun gezogen von dort bis in alle Ewigkeit. «
Beredt zog sie die Augenbrauen hoch, als sie die purpurfarbenen Slipper von den Füßen schleuderte. Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Sachen aufzuheben. Irgendwie wirkte es lüsterner, wenn sie ihre Kleidungsstücke dort fallen ließ, wo sie sie auszog. Männer hatten es lieber, wenn ihre Frauen nicht zu kleinlich waren, was Ordnung betraf, besonders wenn sie gerade ins Bett kamen. Solche Nachlässigkeit ließ bezahlten Sex spontaner erscheinen. Mit milder Zurechtweisung fragte sie ihn: »Aus dir ist also ein Zangenmann geworden?«
So nannte man Cowboys, die sich schwertaten, Arbeit zu finden, nachdem die Zeit der großen Viehtrecks vorüber war. Oft mussten sie selbst Stacheldrahtzäune ziehen, die die riesigen offenen Weideflächen eingrenzten und sie arbeitslos machten.
»Ich hab' mich nun mal dran gewöhnt zu essen und dergleichen «, meinte Jake leichthin. Keine einzige ihrer verführerischen Bewegungen war ihm entgangen.
Ihr Korsett war eng geschnürt. Es drückte ihre Brüste nach oben, dass sie fast aus dem Hemd quollen. Sie war schon immer von der Natur wohl ausgestattet gewesen. Jake erinnerte sich an ihre großen, festen Brüste. Sie strich ihre Unterröcke zur Seite und setzte sich auf einen kleinen runden Hocker vor ihren Frisiertisch. An dem Spiegel, dem sie gegenübersaß, waren Seitenspiegel angebracht, die sie so drehen konnte, dass sie sich aus allen Winkeln betrachten konnte. Mit einer Quaste aus Lammwolle puderte sie sich Hals, Schultern und Brüste.
»Machst du Urlaub?«
Ein leises Lachen grollte in Jakes Brust. »Nein. Ich war es einfach leid, nichts anderes als Gestrüpp und Staub zu sehen. Ich habe gekündigt.«
»Was hast du jetzt vor?«
Was hatte er jetzt vor? Sich treiben lassen, bis sich ihm ein neuer Job bot. Was er schon immer getan hatte, seit er erwachsen war. Bei Rodeos konnte er einiges an Preisgeldern gewinnen, genug, um sich und sein Pferd am Leben zu halten. Es reichte sogar für ein Pokerspiel hin und wieder und für die Art von Erholung, die an Orten wie Priscillas Garten Eden geboten wurde.
»Wie viele Viehtrecks hast du mitgemacht, Jake? Ich weiß gar nicht mehr, wie oft du nach einem Viehtrieb in den Norden nach Fort Worth zurückgekommen bist.«
»Ich auch nicht. Ich bin oft nach Kansas City gezogen. Einmal bis nach Colorado. Hat mir nicht gefallen. Nette Gegend, aber verdammt kalt.« Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und genoss das Spektakel, wie sie Rouge auf die Brustwarzen auftrug. Auf dem Finger transportierte sie eine kleine Portion der gefärbten Salbe aus dem winzigen Glasbehälter. Sanft, fast liebevoll trug sie sie auf. »Was ist mit dir, Priscilla? Wie lange gehört dir dieser Laden schon?«
»Fünf Jahre.«
»Was hat er dich gekostet?«
Endlose Stunden auf meinem Rücken, hätte sie am liebsten geantwortet. Stunden mit dicklichen, schwitzenden Farmern, die sich darüber beklagten, dass ihre Frauen keine Kinder mehr wollten und ihnen die ehelichen Pflichten verweigerten, und wilden Cowboys, die den Gestank nach Vieh mit sich brachten.
Zuerst hatte sie in Jefferson gearbeitet, der letzten Haltestation an der Zivilisationsgrenze. Aber als die Eisenbahn nicht mehr in dieser Stadt hielt und sie auf diese Weise wirtschaftlich zerstörte, war Priscilla nach Fort Worth gekommen, wo die Schienenwege aus dem ganzen Land zusammenliefen. Es war eine raue Stadt voller Cowboys, die es nicht abwarten konnten, das Geld auszugeben, das sie auf einem Viehtransport verdient hatten.
Priscilla hatte dafür gesorgt, dass ihr Ruf gedieh. Damals bekamen die Kunden etwas für ihr Geld. Manchmal sogar mehr, als sie bezahlt hatten. Sie war beliebt. Sie sparte ihr Geld. Als sie genug hatte, ging sie zu einem ihrer getreuen Kunden, einem Bankier, und ließ ihn heimlich ihren Kaufvertrag für den Saloon unterschreiben. Sie zahlten die alte Bordellbesitzerin aus und wandelten ihn in einen erstklassigen Vergnügungspalast um, der nicht nur die umherziehenden Cowboys, sondern auch die Viehbesitzer, die sie anheuerten, anzog. Weder Kosten noch Mühen wurden gescheut, und die Investition erwies sich als weise. Nach zwei Jahren hatte Priscilla den Bankier ausbezahlt. Außer über die Empörung der anständigen Leute gab es wenig, worüber Priscilla sich Sorgen machen musste.
»Wenn du einen Job brauchst, kannst du hier einen haben - beim Kartenspiel oder als Rausschmeißer.«
Jake lachte und stellte sein leeres Glas auf das Tischchen neben das Sofa. »Nein danke, Priscilla. Ich bin ein Cowboy. Ich mag keine Wände um mich herum. Außerdem wären dann deiner Ansicht nach die Mädchen ständig in hellem Aufruhr. Das wollen wir doch nicht, oder?«, neckte er sie.
Priscilla machte ein ärgerliches Gesicht, während sie ein schwarzes Satinkleid anzog. Die purpurrote Feder in ihrem Haar hatte sie durch eine glänzend schwarze ersetzt, die an einer Similischnalle befestigt war. Jake Langston war zu unverschämt geworden. Sie unterdrückte ein Lächeln, als sie ihre Gedanken korrigierte. Jake Langston war immer schon dreist gewesen.
Heimlich beobachtete sie ihn, während sie lange schwarze Spitzenhandschuhe über Finger und Unterarme zog. Er war reifer und verdammt attraktiv geworden. Kein Wunder, dass er eingebildet war. In seiner Jugend war er ein Flachskopf gewesen. Auch seinem Haar sah man die Jahre des Reifens an, wenn auch nur geringfügig. Jene weißblonden Strähnen zogen die Frauen an wie das Licht die Motten.
Seine Haut war wie Leder gegerbt. Lange Stunden unter freiem Himmel hatten ihr einen Kupferton verliehen, der das Blau seiner Augen noch verstärkte. Um seine Augen und in beiden Mundwinkeln waren feine Linien eingegraben. Aber statt von seinem attraktiven Äußeren abzulenken, erhöhten diese Spuren, die die Witterung hinterlassen hatte und in seiner Jugend noch nicht vorhanden gewesen waren, seine Attraktivität nur noch.
Er war rau. Hart. Gefährlich. Hinter seinem trägen Lächeln schien ein Geheimnis zu lauern. Seinem Lächeln nach zu deuten, war es ein unanständiges Geheimnis, und er brannte darauf, es preiszugeben. Seine Großspurigkeit machte ihn zu einer Herausforderung, der keine Frau widerstehen konnte.
Priscilla erinnerte sich an den Jungen, den sie sexuell eingeweiht hatte. Ihre häufigen Zusammentreffen waren heißblütig, wild und leidenschaftlich gewesen. Wie würde es jetzt wohl sein? Seit Jahren schon wollte sie das wissen.
»Bleibst du eine Weile in Fort Worth?«
»Heute bin ich auf dem Weg nach Osttexas. Ich nehme den Spätzug. Erinnerst du dich an die Colemans? Ihre Tochter heiratet heute.«
»Coleman? Der aus dem Siedlertreck? Hieß er nicht Ross?« Sie wusste genau, über wen er sprach, aber sie wollte ihn provozieren, genau wie er es auch immer bei ihr tat. Es war ein Spiel, das sie jedes Mal spielten, wenn sie einander begegneten. »Und wie hieß die Frau noch? Die er aus Nächstenliebe geheiratet hat?«
»Lydia«, antwortete er knapp.
»Ja, genau. Lydia. Sie hatte keinen Nachnamen, nicht wahr? Ich habe mich immer gefragt, was sie wohl verbirgt.« Sie zog den Stöpsel aus einem kristallenen Parfümflakon und tupfte sich Parfüm hinter die Ohren, auf den Hals, die Handgelenke, den Busen. »Wie ich höre, haben sie mit dieser Pferderanch viel Erfolg.«
»Das stimmt. Meine Mutter lebt auf ihrem Besitz. Mit meinem kleinen Bruder Micah.«
»Dieser tapsige kleine Kerl?«
»Er ist jetzt erwachsen. Einer der besten Reiter, die ich je gesehen habe.«
»Was ist aus Mr Colemans Baby geworden? Das Lydia gestillt hat, bevor sie geheiratet haben?«
Jake überlegte einen Augenblick, ob er gerade Verbitterung in Priscillas Worten herausgehört hatte. Schließlich antwortete er. »Lee. Er und Micah sind vom selben Schlag. Veranstalten immer einen Riesenwirbel.«
Priscilla betrachtete ihr Spiegelbild und strich ihr Haar glatt. »Und sie haben also eine Tochter, die alt genug ist zum Heiraten?«
Jake lächelte zärtlich. »Gerade eben alt genug. Als ich sie das letzte Mal sah, trug sie noch Zöpfe, jagte hinter Lee und Micah her und bettelte, einen ausgerissenen Hengst einfangen zu dürfen.«
»Ein Wildfang?«, fragte Priscilla erfreut. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie Jake Lydia Coleman immer mit Kuhaugen angestarrt hatte. Alle Männer auf dem Treck fühlten sich von ihr angezogen, während ihre Frauen zunächst gezögert hatten, sie bei sich aufzunehmen und zu akzeptieren. Wenn Lydia nicht Ross Coleman geheiratet hätte, wäre Priscilla wahnsinnig eifersüchtig auf sie gewesen. Es gefiel ihr, sich Lydias Tochter als ein linkisches, schlaksiges Mädchen oder einen drahtigen Wildfang vorzustellen.
»Ich nehme an, wenn sie jetzt heiratet, muss sie sich ein wenig verändert haben, seit ich sie zuletzt sah.«
Priscilla nahm ihren Fächer und drehte sich stolz vor ihm. »Nun?«
Das Oberteil ihres Kleides schloss sich eng um ihre Taille. Der Ausschnitt war weit und tief, ihre Brüste waren kaum bedeckt mit einer Spitze, die so zart war wie die ihrer Handschuhe. Ihre mit Rouge gefärbten Brustwarzen wurden durch das Muster der Spitze nicht verborgen. Der Rock ließ den Blick auf ihre schwarzen Satinpumps frei und lief hinten in einer kurzen Schleppe aus. Eine moderne Tournüre trug dazu bei, dass ihre Figur einer Sanduhr glich.
Zynische blaue Augen musterten sie unverschämt. »Sehr nett, aber ich habe ja schon immer gesagt, dass du die hübscheste Hure bist, die ich kenne.« Er beobachtete, wie Wut in ihren grauen Augen aufstieg. Sanft lachend ergriff er ihre Hand und zog sie auf das Sofa zu sich herab. Der Fächer flog ihr aus der Hand und landete auf dem Boden. Die Feder in ihrem Haar verrutschte, aber Priscilla hatte nichts dagegen, als Jake sich ihr näherte und halb auf sie rollte.
»Jetzt hast du den ganzen Abend vor mir paradiert, nicht wahr, Pris? Hm? Also, ich glaube, es ist Zeit, dass ich dir gebe, worum du die ganze Zeit gebeten hast.«
Er legte seinen Mund hart auf ihren.
Hungrig öffnete sie die Lippen, damit seine Zunge eindringen konnte. Ihre Mädchen hatten nicht übertrieben. Er wusste, was er tat. Mit diesem Kuss weckte er jede empfindsame Stelle ihres Körpers, der heftig darauf reagierte. Sein Körper war hart und geschmeidig. Sie wölbte sich ihm entgegen, während sie mit den Fingern das dichte blonde Haar in seinem Nacken zerzauste.
Mit geübter Bewegung fand seine Hand den Weg unter ihre Röcke, auf ihren Schenkel direkt oberhalb des Spitzenstrumpfbandes. Er streichelte das warme, zitternde Fleisch. Sie hob ihr Knie.
»Hm, ja, Jake, Jake«, flüsterte sie, während ihr Mund sich über seinem bewegte.
Plötzlich zog er seine freie Hand wieder unter ihrem Rock hervor. Sie dachte, er wollte seine Kleidung öffnen, und war daher verblüfft, als er eine Taschenuhr vor seinen Augen baumeln ließ und die Zeit ablas. »Tut mir leid, Pris.« Er machte ein unaufrichtiges, schnalzendes Geräusch mit dem Mund. »Ich muss meinen Zug erwischen. «
Wütend schleuderte sie ihn von sich herunter. »Du Bastard! «
Lachend rollte sich Jake vom Sofa. »Ist das die richtige Art, mit einem alten Freund zu reden?«
Da verlor Priscilla endgültig die Beherrschung. »Du dämlicher Hinterwäldler! Du unverschämter Lümmel! Hast du wirklich geglaubt, ich wollte mit dir schlafen?«
»Ja, das glaube ich tatsächlich.« Er zwinkerte ihr zu und ging in Richtung Salon. »Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss.«
»Bin ich nicht mehr gut genug für dich?«
Er wirbelte herum. »Du bist gut genug. Zu gut. Die Beste. Deshalb will ich dich nicht. Weil du die beste Hure weit und breit bist.«
»Du schläfst doch immer nur mit Huren.«
»Aber wenn ich sie nicht kenne, kann ich mir vormachen, es sei etwas anderes. Ich kann mir vormachen, ich sei der Einzige. Du bist eine Hure gewesen, seit ich dich kenne. Dutzende von Männern sind in deinem Bett gewesen. Für mich nimmt das der ganzen Sache die Romantik.«
Ihr Gesicht wurde lebendig, und Jake bemerkte, wie hässlich sie aussehen konnte. »Es ist dein Bruder, nicht wahr? Du bist nie darüber hinweggekommen, dass du bei mir warst, als er starb.«
»Halt den Mund!«
Er sagte das so gefühllos, dass sie erschrak. Sie ging einen Schritt rückwärts, gab aber noch nicht völlig auf. »Du bist immer noch ein blöder Tennessee-Hinterwäldler. O ja, du hast gelernt, besser zu reden. Durch dein hitziges Temperament hast du den Ruf erlangt, den Männer respektieren. Du weißt, wie man Damen entzückt. Aber unten drunter bist du immer noch Bubba Langston, ein dummer Bauernlümmel.«
An der Tür blieb er stehen. In seinen Augen blitzte nicht länger Mutwille, sie waren kalt und hart. Die Haut in seinem Gesicht spannte sich straff, die Falten in seinen Mundwinkeln vertieften sich. »Nein, Priscilla. Bubba ist vor langer Zeit verschwunden.«
Priscillas Wut ließ nach. Ihre Augen verengten sich, als sie ihn anblickte. »Ich werde dir beweisen, dass du mich immer noch willst. Das ist ein Versprechen. Eines Tages wirst du dich daran erinnern, wie es mit uns beiden war. Wir waren Kinder. Voll leidenschaftlichem Verlangen und heißblütig. Wir vergingen vor Sehnsucht danach. Es könnte wieder so sein.« Sie ging zur Tür, warf den Kopf in den Nacken und legte ihm die Hand auf die Brust. »Ich werde dich wiederbekommen, Jake.«
Jake erinnerte sich nur zu gut an jenes erste Mal, als sie zusammen gewesen waren. Jener Nachmittag hatte sich seinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt. Er entfernte ihre Hand. »Rechne nicht darauf, Priscilla.«
Er schloss die Tür zu ihren Privatgemächern hinter sich und stand einen Augenblick nachdenklich da. Der Saloon hatte sich belebt. Spärlich bekleidete Mädchen glitten durch die Räume und Spielzimmer. Sie flirteten und boten den Kunden ihre Waren an. Etliche Huren blickten ihn erwartungsvoll, atemlos an.
Er lächelte, ermutigte sie aber nicht. Es lag nicht daran, dass er kein Bedürfnis verspürte. Er hatte mehrere Wochen keine Frau mehr gehabt. Priscilla hätte er nie genommen, aber er war auch nicht aus Holz. Sie unbekleidet zu sehen, der Duft nach ihrer Haut hatte ihn sehr erregt.
Noch ein Glas Whisky? Ein Kartenspiel? Eine Stunde in einem der Schlafzimmer oben, einen Augenblick des Vergessens?
»Hallo, Jake.«
Eine der Huren kam auf ihn zu. »Hallo, Sugar.« Sugar Dalton arbeitete schon für Priscilla, seit Jake hierherkam. »Wie geht's?«
»Ich kann nicht klagen«, erwiderte sie und lächelte angesichts dieser Lüge. Die Falten, die sich auch durch ihr dick aufgetragenes Make-up abzeichneten, verrieten ihm, wie schlimm es ihr in Wirklichkeit ging und wie sehr sie ihr Leben hasste. Aber sie hatte sich auf bemitleidenswerte Weise damit abgefunden und versuchte verzweifelt zu gefallen. Jake hatte sie schon immer leidgetan. »Ich könnte dafür sorgen, dass du dich heute Abend wohlfühlst, Jake«, gurrte sie voller Hoffnung.
Ihr zuliebe war er fast versucht, sie mit nach oben zu nehmen. Stattdessen schüttelte er den Kopf. »Aber du kannst mir meinen Hut und meine Satteltasche holen. Hier ist der Coupon.« Er angelte in seiner Tasche nach dem Abholschein, und sie lief davon. Als sie zurückkam, gab er ihr fünfzig Cents Trinkgeld, viel mehr als ihre Besorgung, die er leicht selbst hätte erledigen können, wert war. »Danke, Sugar.«
»Jederzeit zu Diensten, Jake.« Sie blickte ihn einladend an.
Sollte er ihr und seinem ausgehungerten Körper eine Wohltätigkeit erweisen? Nein. Bevor er seine Meinung ändern konnte, ging er schnell durch die Menge zur Eingangstür. Er musste den letzten Zug heute erwischen. Morgen früh wurde er in Larsen erwartet.
Banner Coleman heiratete.
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Es war Banner Colemans Hochzeitstag.
Sie fühlte sich jeder Zoll eine Braut, als sie, durch einen blumenbedeckten Wandschirm vor den Blicken der anderen verborgen, hinten in der Kirche wartete. Sie betrachtete die Leute, die einen Samstagnachmittag geopfert hatten, um zu sehen, wie sie Grady Sheldon heiratete.
Fast ganz Larsen war eingeladen worden. Und der Menschenmenge nach zu urteilen, die rasch die Kirchenbänke füllte, schienen alle, die eine Einladung erhalten hatten, ihren Sonntagsstaat angezogen zu haben und hierhergekommen zu sein.
Banner bewegte leicht die Füße; sie mochte das Rascheln des Seidenkleides um ihre Beine. Der Rock war modisch eng und über den passenden Satinpumps gerafft. Der üppige Stoff war hinten in einem weichen Bausch zusammengerafft, von dem eine kurze Schleppe herabfiel. Die Tüllpasse ihres Kleides, die sich unter ihrem Kinn wie der Kelch einer Lilie öffnete, war mit winzigen Perlen bestickt. An der sanften Wölbung ihrer Brüste war der Tüll auf die darunterliegende Seide aufgesetzt. Es war ein aufreizender Schnitt, zumal er Banners wohlgeformte Figur eng umschloss, er war aber auch von süßer Jungfräulichkeit. Der Spitzenschleier, der ihr Gesicht bedeckte, war von Larsens bester Schneiderin direkt in New York bestellt worden.
Normalerweise liebte Banner glühende Farben, aber das elfenbeinfarbene Hochzeitskleid bildete einen vollkommenen Kontrast zu ihrem rabenschwarzen Haar. Ihr Teint hatte die Farbe reifer Aprikosen - nicht buttermilchblass, wie es gerade Mode war -, weil sie gerne draußen in der Sonne verweilte, ohne den Schutz eines Schirmes, den wirkliche Damen als notwendig erachteten.
Von ihrer Mutter hatte sie die Neigung zu Sommersprossen auf der Nase geerbt. Dieser Makel wurde von den Damen in den Nähkränzchen heftig beklagt. »So ein hübsches kleines Ding, wenn sie nur besser auf die Sonne achten würde!« Banner hatte sich schon seit Langem mit ihrem Gesicht abgefunden. Es war nicht im klassischen Sinne schön, aber sie mochte es. Über so etwas Banales wie ein paar Sommersprossen konnte sie sich keine Sorgen machen. Außerdem hatte Mama sie auch. Und Mama war schön.
Ihre Augen hatte sie von beiden Eltern. Papas waren grün, Mamas whiskyfarben. Die Farbe ihrer Augen lag irgendwo dazwischen - gold mit grünen Einsprengseln. »Katzenaugen« nannten manche sie. Aber das stimmte nicht ganz, denn es war kein Grau in ihnen, nur ein dunkles Topasgold, das durch das Grün wirbelte.
Die Menge war voller Erwartung und wurde allmählich unruhig. Der Organist begann zu spielen. Der Blasebalg der Orgel pfiff nur leise. Ein Glücksgefühl stieg in Banner auf und färbte ihre Wangen pfirsichfarben. Sie wusste, dass sie wunderschön aussah. Sie wusste, dass sie geliebt wurde. Sie fühlte sich wie eine Braut.
Alle Bänke der Kirchen waren voll. Im Mittelflügel wurden die Leute höflich gebeten, näher zusammenzurücken, damit alle Platz fänden. Glücklicherweise kam von Süden eine Brise durch die hohen imposanten Fenster - sechs auf jeder Seite der Kirche -, die den Hochzeitsgästen an diesem warmen Frühlingsnachmittag Luft zufächelte. Die Herren wanden sich hin und her und zerrten an ihren unbequemen engen Kragen. Die Damen, deren Organdyrüschen raschelten, wedelten mit Spitzenfächern und Ziertaschentüchern.
Der Duft von Rosen, die an diesem Morgen frisch geschnitten worden waren, erfüllte die Luft. Auf den samtigen Blättern hingen immer noch Tautropfen. Da sie keine spezielle Farbe bevorzugte, hatte Banner entschieden, Blüten jeglicher Farbe von Rubinrot bis Schneeweiß zu verwenden. Ihre drei Brautjungfern, die nur ein paar Schritte von ihr entfernt standen, trugen pastellfarbene Kleider mit weißen Schärpen. Sie sahen so zerbrechlich aus wie die Blüten, mit denen die Kirche geschmückt war.
Es war die perfekteste Hochzeit, die Banner Coleman sich vorstellen konnte.
»Bist du bereit, Prinzessin?«
Sie wandte den Kopf und sah ihren Vater durch den Brautschleier vor ihrem Gesicht an. Sie hatte gar nicht gehört, wie er neben sie getreten war. »Papa, du siehst so gut aus!«
Ross Coleman schenkte ihr ein Lächeln, das die Herzen vieler Frauen hatte höher schlagen lassen. Seine Attraktivität hatte mit dem Alter zugenommen. An seinen Schläfen und in seinem üppigen Schnurrbart waren jetzt silberne Strähnen. Mit zweiundfünfzig war er so groß und breitschultrig wie eh und je. Durch harte Arbeit war er rank und schlank geblieben. In seinem dunklen Anzug und dem weißen Hemd mit dem hohen Kragen sah er so gut aus, wie eine Braut es sich von ihrem Vater nur wünschen konnte.
»Danke«, sagte er und verbeugte sich leicht.
»Kein Wunder, dass Mama dich geheiratet hat. Hast du an eurem Hochzeitstag auch so gut ausgesehen?«
Sein Blick wanderte für einen Augenblick weg von ihr. »Soweit ich mich erinnern kann, nein.« An jenem Tag hatte es geregnet. Er erinnerte sich an eine durchnässte Gruppe von Siedlern, die sich um seinen Wagen versammelt hatte, an eine ängstliche Lydia, die aussah, als würde sie jeden Moment davonrennen, und an sich selbst, aufgebracht und zornig. Diese Hochzeit war ihm aufgenötigt worden, und darüber war er wütend gewesen. Damals hatte er kaum ahnen können, dass sie sich als das Beste herausstellen würde, das ihm je im Leben widerfahren war. Er begann seine Meinung zu ändern, als der Prediger sagte: »Sie dürfen jetzt die Braut küssen«, und er sie zum ersten Mal küsste.
»Ihr habt auf dem Treck geheiratet.«
»Ja.«
»Ich wette, Mama hat es nichts ausgemacht, dass du nicht so gut angezogen warst.«
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete er ein wenig barsch.
Er ließ den Blick durch die vorderen Reihen der Kirche schweifen, bis er auf eine Frau fiel, die vor ein paar Minuten in die erste Reihe geführt worden war. Seine Augen blitzten auf.
»Sie sieht heute wunderschön aus«, sagte Banner, die seinem Blick gefolgt war. Lydia trug ein besticktes Kleid aus honigfarbener Seide. Das Sonnenlicht, das schräg durch eines der Fenster fiel, ließ ihr Haar rötlich aufglänzen.
»Ja.«
Banner stupste ihn neckend mit dem Ellenbogen an. »Du findest sie doch immer wunderschön!«
Ross blickte wieder seine Tochter an. »Dich aber auch.« Er betrachtete sie eingehend, prägte sich ihr Kleid und ihren Schleier, der sie irgendwie unberührbar machte, ein. Bald würde sie jemand anderem gehören. Dann war er nicht mehr der wichtigste Mann in ihrem Leben.
Er spürte einen schmerzhaften Kloß im Hals, als er sich eingestand, dass ihre Beziehung sich heute für immer ändern würde. Er wollte gerne, dass sie immer noch sein kleines Mädchen war, seine Prinzessin. »Du bist eine wunderschöne Braut, Banner. Deine Mutter und ich lieben dich. Wir geben dich nicht leichten Herzens ab, selbst nicht an einen so feinen jungen Mann wie Grady.«
»Ich weiß, Papa.« Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hob den Schleier und küsste ihn auf seine harte Wange. »Ich habe euch auch lieb. Du weißt, wie sehr ich Grady lieben muss, wenn ich dich und Mama verlasse, um ihn zu heiraten.«
Ihr Blick suchte die Kirche ab, gerade als sich die Tür hinter dem Chor öffnete. Der Priester, Grady und seine drei Begleiter zogen feierlich in die Kirche ein und nahmen ihre Plätze unter dem Bogen aus Blumengirlanden ein.
Sofort trockneten ihre Tränen, und ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln vollkommenen Glücks. Grady sah in seinem dunklen Anzug sehr gut aus. Sein haselnussbraunes Haar war gebürstet worden, bis es glänzte. Er stand gerade und aufrecht, wenn auch ein wenig steif, da.
So ähnlich hatte er auch dagestanden, als Banner ihn zum ersten Mal sah. Das war bei der Beerdigung seines Vaters gewesen. Sie kannte die Sheldons nicht. Gradys Mutter war gestorben, bevor sie nach Larsen zogen und den Holzhandel eröffneten. Mr Sheldons Tod bedeutete für Banner nur eine Unbequemlichkeit, als ihre Eltern ihr mitgeteilt hatten, dass sie sie zu der Beisetzung begleiten müsse. Es bedeutete, dass sie den Tag in einem Kleid zubringen musste statt in einer Hose, die sie auf der Ranch immer trug. Dass sie zur Kirche gehen musste, statt zuzusehen, wie die Cowboys ein störrisches Pferd zuritten. Damals war sie vierzehn gewesen. Sie erinnerte sich noch genau, wie beeindruckt sie von Grady - damals zwanzig Jahre alt - gewesen war, der stoisch am Grab gestanden hatte. Damals war er ganz allein auf der Welt gewesen. Für Banner, die von lauter Menschen, die sie liebten, umgeben war, erschien das völlig undenkbar. Allein und ohne Liebe zu sein, war das Schlimmste, was einem Menschen passieren konnte. Im Rückblick glaubte sie, dass sie damals angefangen hatte, Grady für seine Tapferkeit zu lieben.
Von da an begleitete sie Ross bei jeder Gelegenheit zur Sägemühle. Aber erst seit etwa einem Jahr schien Grady sie zu bemerken. An dem Tag, als sie mit Lee und Micah in die Holzhandlung kam, musste er zweimal hinschauen. Zuerst hielt er sie für einen Jungen, weil sie gar nicht mädchenhaft gekleidet war. Als sie dann ihren Hut abnahm und eine Masse schwarzen Haares sich über ihre Schultern und ihre Brüste ergoss, die sich unter ihrem ansonsten formlosen Baumwollhemd abzeichneten, blieb ihm vor Schreck der Mund offen stehen.
Bald holte Grady sie sonntagnachmittags zu Ausfahrten in seinem Einspänner ab, bat sie bei Partys, mit ihm zu tanzen, und saß bei Kirchenfesten neben ihr. Er war einer der vielen jungen Männer, die um ihre Aufmerksamkeit buhlten, aber den anderen Mitbewerbern wurde bald schmerzlich bewusst, dass er derjenige war, den sie vorzog.
An dem Tag, als er Ross förmlich um ihre Hand gebeten hatte, war sie ihm hinterher, auf seinem Heimweg, gefolgt. Sie ritt auf Dusty den Weg hinunter wie noch nie in ihrem Leben.
»Grady!«, schrie sie, sprang aus dem Sattel und rannte ohne jedes Anstandsgefühl auf ihn zu, während er seinen Einspänner zum Halten brachte. Als er herunterkletterte, warf sie sich ihm mit leuchtenden Augen und erröteten Wangen in die Arme. »Was hat er gesagt?«
»Er hat Ja gesagt!«
»Oh, Grady, Grady!« Sie umarmte ihn heftig. Als ihr klar wurde, dass dies nicht besonders damenhaft war, von keusch ganz zu schweigen, trat sie einen Schritt zurück und blickte ihn durch ihre dichten, dunklen Wimpern an. »Da es jetzt offiziell ist, kannst du mich wohl auch küssen, wenn du magst.«
»Ich - ist das in Ordnung? Bist du dir sicher?«
Ihre dunklen Locken wippten, als sie eifrig nickte. Sie glaubte, sterben zu müssen, wenn er sie nicht gleich küsste. Alles in ihr sehnte sich danach, seine Lippen auf ihren zu spüren.
Er beugte den Kopf und küsste sie keusch auf die Wange.
»Ist das alles?«
Er fuhr zurück und sah ihren enttäuschten Gesichtsausdruck. Als sie keinerlei Anstalten machte, sich sittsam zurückzuziehen, wie er es erwartet hatte, presste er seine Lippen auf ihre.
Das war schön, aber immer noch ein wenig enttäuschend. Das war nicht die Art Kuss, über die Lee und Micah hitzig tuschelten, wenn sie nicht wussten, dass sie in der Nähe war. Die Küsse, die sie sehnsüchtig in allen Einzelheiten beschrieben, waren viel vertraulicher. Zungen wurden dabei erwähnt. Auch Mama und Papa küssten sich nicht mit fest geschlossenen Lippen und ohne dass ihre Körper sich berührten.
Banner schlang impulsiv ihre Arme um Gradys Hals und bog ihren Körper gegen seinen. Aus seiner Kehle drang ein verblüfftes Geräusch, bevor er sie besitzergreifend in die Arme nahm. Aber den Mund öffnete er immer noch nicht.
Atemlos stieß er sie einige Augenblicke später von sich: »Guter Gott, Banner. Was hast du mit mir vor?«
Sie wurde feuerrot. Teile ihres Körpers, die sie vorher kaum zur Kenntnis genommen hatte, fühlten sich jetzt hitzig und fiebrig an. Sie wünschte, sie könnte noch an diesem Nachmittag heiraten, sie wünschte, dieses langsame Feuer würde in ihr weiterglühen, bis - also, bis das geschah. »Tut mir leid, Grady. Ich weiß, das war nicht sehr damenhaft. Aber ich liebe dich einfach so sehr.«
»Ich liebe dich auch.« Er küsste sie noch einmal keusch, bevor er wieder in seinen Einspänner stieg und ihr Auf Wiedersehen sagte.
Obwohl Lee und Micah sie erbarmungslos aufzogen, verbrachte sie jetzt weniger Zeit draußen an den Pferchen bei den Arbeitern und mehr Zeit mit Lydia und Ma im Haus. Ma Langston brachte ihr Sticken bei. Mit peinlicher Aufmerksamkeit arbeitete sie an Kissenbezügen und Servietten, die sie sorgsam bügelte, faltete und in ihre Aussteuertruhe legte.
Hausarbeit hatte sie stets gefürchtet und wenn möglich gemieden. Aber jetzt begann sie, Lydia zu helfen, machte sogar Vorschläge, wie man die Möbel umstellen oder die Fenster im Salon neu dekorieren könnte.
Mit Grady verbrachte sie eine Zeit voller Zauber und Romantik. Sie war glücklich verliebt. Als Grady bei Ross um ihre Hand angehalten hatte, war sie in einer Wolke des Glücks herumgewirbelt, die sie immer noch gefangen hielt.
Jetzt betrachtete sie Grady mit all der Liebe, die sie zum Traualtar geführt hatte. Ihr Herz zitterte bei dem Gedanken an die kommende Nacht. Jeden Tag war es schwerer geworden, die Sehnsucht, die durch ihre Küsse geweckt wurde, zu unterdrücken. Erst vor wenigen Abenden, als sie ihn zu seinem Einspänner gebracht hatte, der unter dem Pekanbaum vorne geparkt war, hatte Grady beinahe die Beherrschung verloren.
Die Arme fest umeinandergeschlossen, hatten sie dagestanden und sich sanft hin und her gewiegt. Ihre Wange ruhte auf seinem Herzen. Sie konnte hören, dass es genauso schnell schlug wie ihres. »Nur noch fünf Nächte, und wir können uns in unserem gemeinsamen Bett gute Nacht sagen.«
Er stöhnte. »Banner, mein Liebling, bitte rede nicht so.«
»Warum?«, fragte sie und hob den Kopf, um ihn anzuschauen.
Er wischte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Weil mein Verlangen nach dir dann noch größer wird.«
»Wirklich, Grady?« Es war sinnlos vorzutäuschen, sie wüsste nicht, was er wollte. Sie war nicht auf einer Pferderanch aufgewachsen, ohne gewisse Kenntnisse über die Fortpflanzung zu erlangen. Außerdem hätte es Banners Charakter widersprochen, so etwas vorzutäuschen. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, sich unwissend zu stellen.
»Ja«, seufzte er. »Ich will dich.« Hart spürte sie seinen Mund auf ihrem. Ihre Lippen teilten sich. Nur einen Augenblick zögerte er, bevor er ihre geöffneten Lippen mit der Zunge berührte.
»Oh, Grady.«
»Es tut mir leid. Ich ...«
»Nein. Hör nicht auf. Küss mich weiter so.«
Er brachte ihr eine neue Art zu küssen bei, die sie erhitzte, atemlos und schwindelig machte. Aber statt die Sehnsucht in ihrem Körper zu stillen, schien sie sie nur zu verstärken. Sie drängte sich gegen ihn.
»Banner«, stöhnte er. Seine Hand glitt von ihrer Schulter zu ihrer Taille hinab. Auf dem Weg nach unten traf sie ihre vollen Brüste. Er hielt inne und drückte sie.
Das Gefühl, das sie durchschauerte, war schöner, als sie es je erhofft hatte. Erschrocken von der Glut und Stärke dieser Empfindung, wich sie vor ihm zurück.
Gradys Augen zogen sich für einen Sekundenbruchteil zu Schlitzen zusammen, dann ließ er den Kopf hängen und starrte zutiefst beschämt auf seine Schuhe. »Banner ...«, begann er.
»Entschuldige dich bitte nicht, Grady.« Ihr sanfter Ton ließ ihn den Blick wieder heben. »Ich wollte, dass du mich berührst. Ich will es immer noch. Aber ich weiß, dass man von Mädchen erwartet, sich nicht so zu benehmen, als genössen sie die - die niedrigen Aspekte des Ehelebens. Ich will nicht, dass du schlecht von mir denkst. Deshalb habe ich dich gebremst.«
Er umklammerte ihre Hände, führte sie zu seinen Lippen und küsste sie glühend. »Ich denke nicht schlecht von dir. Ich liebe dich.«
Sie lachte ihr heiseres, kehliges Lachen, das schon mehr als einen Cowboy in Diensten ihres Vaters bei Nacht schlaflos darüber grübeln ließ, wie es wohl wäre, es mit Banner Coleman zu treiben. »Du wirst keine schüchterne Braut haben, Grady. Du musst mich nicht erst ins Bett locken. «
Als sie später ins Haus zurückgegangen war, hörte sie, wie Ross und Lydia sich ruhig im Salon unterhielten.
»Glaubst du, sie ist schon reif für die Ehe? Sie ist kaum achtzehn«, sagte Ross.
Lydia lachte leise. »Sie ist unsere Tochter, Ross. Ihr ganzes Leben lang hat sie gesehen, wie wir einander lieben. Ich glaube nicht, dass die eheliche Liebe noch irgendwelche Geheimnisse für sie birgt. Sie ist so weit. Und was ihr Alter betrifft - die meisten ihrer Freundinnen sind verheiratet. Manche haben schon Babys.«
»Das sind aber nicht meine Töchter«, brummte er.
»Komm her und setz dich. Wenn du weiter so hin und her tigerst, nutzt du den Läufer noch völlig ab.«
Banner konnte hören, wie sich ihr Vater neben ihre Mutter auf das Sofa setzte. Sie sah im Geiste vor sich, wie er den Arm um Lydia legte, die sich an ihn kuschelte. »Machst du dir Sorgen wegen Grady?«
»Nein«, entgegnete Ross barsch. »Ich nehme an, er ist genauso treu und ehrgeizig, wie der Anschein vermuten lässt. Er scheint Banner zu lieben. Gnade ihm Gott, wenn er ihr ein Unrecht tut; dann kriegt er es mit mir zu tun!«
Sie konnte förmlich sehen, wie die Finger ihrer Mutter beschwichtigend durch sein Haar fuhren. »Dann würde Banner ihm schon die Hölle heißmachen. Sie ist eine sehr willensstarke junge Frau. Oder ist dir das noch nicht aufgefallen? «
»Von wem sie das wohl hat?«, fragte Ross liebevoll. Darauf folgte Schweigen. Banner wusste, dass sie sich jetzt in einer Weise umarmten, die die meisten ihrer Freundinnen erstaunt hätte, die nie gesehen hatten, wie ihre Eltern sich berührten. Sie konnten hören, wie ihre Kleidung raschelte, als sie sich nach dem Kuss bequem zurücksetzten.
Ross sprach als Erster: »Ich habe mir so viel für unsere Kinder gewünscht. Viel mehr, als du und ich als Kinder hatten. «
»Ich kann mich an nichts mehr erinnern, was vor dem Tag, an dem ich dir begegnet bin, geschehen ist.«
»O doch«, entgegnete sie sanft. »Und ich auch. Um Lee mache ich mir nicht so viele Sorgen. Er kann auf sich selbst aufpassen. Aber Banner.« Er seufzte. »Ich würde jeden Mann töten, der sie verletzt. Ich glaube, ich bin froh, dass meine schlimmste Furcht sich nicht bewahrheitet hat.«
»Welche war das?«
»Dass eines Tages irgendein nutzloser Cowboy dahergeritten käme und ihr den Kopf verdrehen würde.«
»Cowboys beeindrucken sie nicht besonders. Sie ist mit ihnen aufgewachsen.«
»Sie war auch nicht immer achtzehn und hatte diesen gewissen Ausdruck in den Augen. Den hat sie erst, seit sie ungefähr sechzehn war.«
»Welchen Ausdruck?«
»Den du auch jedes Mal bekommst, wenn ich beginne, mein Hemd aufzuknöpfen.«
»Ross Coleman, du eingebildeter ...«
Der Wortschwall ihrer Mutter wurde unterbrochen, und Banner zweifelte nicht daran, dass die Lippen ihres Vaters dafür verantwortlich waren.
»Ich habe keinen solchen Ausdruck in den Augen«, protestierte Lydia einige Augenblicke später schwach.
»O doch. Und tatsächlich«, Ross senkte die Stimme, »hast du ihn sogar in diesem Augenblick. Komm her, Frau«, flüsterte er, bevor wieder ein längeres Schweigen folgte.
Lächelnd löschte Banner das Licht in der Eingangshalle und ging in ihr Zimmer hinauf. Sie blickte in ihren Frisierspiegel, presste die Nase gegen das Glas und blickte tief in ihre Augen.
Hatte sie auch »diesen Ausdruck«? Hatte Grady es deshalb gewagt, sie an einer der verbotenen Stellen, über die sie und ihre Freundinnen flüsterten, zu berühren? War sie schlecht, weil sie berührt werden wollte? War Grady schlecht, weil er sie berühren wollte?
Wenn es ihr schon schwerfiel zu widerstehen, wie musste es dann erst für den armen Grady sein, der ja ein Mann war und dessen körperliche Bedürfnisse daher noch schwerer zu kontrollieren waren?
Sie war ins Bett gegangen und hatte versucht zu schlafen. Ihren Verstand beunruhigten viele Fragen, ihren Körper das Verlangen, das Unbekannte kennenzulernen.
Nun, jetzt brauchte sie nicht mehr lange zu warten, dachte sie, als sie beobachtete, wie ihre Brautjungfern durch das Mittelschiff der Kirche hereinzogen, so wie sie es am Tag zuvor geübt hatten.
»Wir sind als Nächste dran, Prinzessin«, sagte Ross. »Bist du bereit?«
»Ja, Papa.«
Sie war bereit. Sie war bereit, von einem Mann geliebt zu werden, bereit, dass das schwelende Feuer in ihrem Körper entfacht und gelöscht wurde. Sie war bereit, einem Mann zu gehören, jemanden zu haben, den sie bei Nacht umarmen konnte, jemanden, der sie umarmte. Sie war es leid, sich wegen verstohlener Küsse und Augenblicke, in denen die Leidenschaft drohte, die Grenzen des Anstands zu überschreiten, schuldig zu fühlen.
Ross führte sie um den Wandschirm herum. Sie gingen das Mittelschiff hinunter, als die Orgel nach einer dramatischen Pause machtvoll einsetzte. Alle standen da und blickten sie an auf ihrem langsamen Marsch. Ein Meer freundlicher Gesichter grüßte sie, die meisten kannte Banner, seit sie ein Baby gewesen war. Bankiers, Kaufleute, Händler, Rechtsanwälte, Rancher und Farmer aus der Nachbarschaft und ihre Familien waren zu Banner Colemans Hochzeitstag gekommen. Mit einer für eine Braut unüblichen Kühnheit lächelte Banner zurück.
Die Langstons standen in der Reihe direkt hinter Lydia. Als Erste Ma, die mit den Tränen kämpfte. Daneben Anabeth, deren Ehemann Hector Drummond und deren Kinder, dann Marynell. Micah stand zwischen Marynell und Banners Halbbruder Lee.
Ihre »Peiniger«.
Als sie ihnen von der Seite einen Blick zuwarf, wusste sie, dass es ihnen selbst jetzt schwerfiel, nicht in ein der Situation völlig unangemessenes Gelächter auszubrechen. Nur die drohenden Blicke von Ma und Ross verhinderten einen Heiterkeitsausbruch.
Die Jungen waren Busenfreunde geworden, als Micah mit seiner Mutter nach River Bend gezogen war. Zuerst war Banner eifersüchtig auf Micah gewesen, der sie ihres einzigen Spielkameraden beraubte. Sie erinnerte sich noch immer an die Zeit, als sie ihm eine Klette unter die Satteldecke gelegt hatte. Er war abgeworfen worden, Gott sei Dank aber nicht schwer verletzt worden oder zu Tode gekommen, wofür die damals sechs Jahre alte Banner selbstsüchtig gebetet hatte.
Stets war sie wie ein Anhängsel hinter den Jungen hergelaufen und hatte darum gebettelt, mitmachen zu dürfen, ganz gleich welche Schandtat sie gerade ausheckten. Oft ließen sie sie mitmachen - aber nur damit sie den Sündenbock abgeben konnte, wenn sie erwischt wurden.
Trotz ihrer Kabbeleien liebte Banner die beiden von ganzem Herzen. Sie sahen gut aus, als sie heute so nebeneinanderstanden. Lee mit seinem dunklen Haar und blitzenden braunen Augen, die er von seiner Mutter Victoria Gentry Coleman geerbt hatte, und Micah so blond wie alle Langstons.
Da fiel Banners Blick auf den letzten Mann in der Bank. Ihm schenkte sie ihr strahlendstes Lächeln.
Jake.
Jake, den sie angebetet hatte, so weit ihre Erinnerung zurückreichte. Sie konnte sich an jeden seiner seltenen Besuche genau erinnern. Er schwenkte sie hoch über seinen Kopf, hielt sie dort oben fest und lächelte ihr ins Gesicht, bis sie strampelte und lachend um Gnade flehte und dabei aber hoffte, er würde sie nie wieder absetzen.
Niemand war so hochgewachsen wie Jake. Niemand so stark. Niemand so blond. Niemand so verwegen. Niemand konnte die Schaukel höher stoßen. Und niemand erzählte bessere Gespenstergeschichten.
Er war ihr Held gewesen, ihr Ritter in schimmernder Rüstung. Die glücklichsten Tage ihres Lebens hatte sie verbracht, wenn Jake nach River Bend kam, weil seine Gegenwart auch alle anderen glücklich machte. Ma, Lydia, Ross, Lee und Micah, auch der alte Moses vor seinem Tod freuten sich auf Jakes Besuche. Schlimm war nur, dass sie viel zu schnell endeten und viel zu unregelmäßig erfolgten.
Als Banner älter und ihr klar wurde, wie selten er kam, überschattete der Gedanke an seine Abreise häufig bereits die Freude an seiner Gegenwart. Sie konnte seine Besuche nicht mehr aus vollem Herzen genießen, weil sie wusste, dass er bald wieder davonreiten und eine Ewigkeit vergehen würde, bevor sie ihn wiedersah.
Deshalb brach heute Morgen beinahe ein Chaos aus, als Micah und Lee zum Frühstück ins Haus kamen und Lee verkündete: »Schaut mal, was wir heute Morgen schlafend in der Scheune gefunden haben!«
Er schubste Jake durch die Hintertür herein. Sofort war Jake von lachenden, schwatzenden Leuten umgeben, die alle gleichzeitig redeten.
»Jake!«
»Mein Sohn!«
»Verdammt noch mal!«
»Ross, pass auf, was du sagst! Die Kinder.«
»Warum hast du in der Scheune geschlafen?«
»Mein Pferd hat ein Steinchen unter das Hufeisen bekommen, als wir gestern Nacht aus dem Zug stiegen.«
»Wir sind auch mit dem Zug gefahren, Onkel Jake!«
»Ja, und sie hatte Angst, ich aber nicht.«
»Ich hatte keine Angst!«
»Um wie viel Uhr bist du angekommen?«
»Wo bist du hergekommen? Fort Worth?«
»Ja, Fort Worth. Es war schon spät. Ich wollte niemanden stören.«
»Als ob du das könntest!«
Ma umarmte ihn, drückte ihn an sich und kniff die Augen zu, damit niemand sah, dass sie feucht waren. Dann hielt sie ihm eine Gardinenpredigt, wie dünn er sei. »Setz dich hin, und ich mache dir ein paar Brötchen und Soße fertig. Geben denn diese Rancher in West Virginia ihren Arbeitern nichts Vernünftiges zu essen? Ich habe schon Strumpfbandvipern gesehen, die waren dicker als du. Hast du dir die Hände gewaschen? Marynell, klapp das Buch zu und schenk deinem großen Bruder Kaffee ein. Anabeth, bring die Kleinen doch mal zur Ruhe. Die machen ja mehr Radau als eine Horde Affen.«
An jedem von Jakes Beinen zerrte ein junger Drummond. Ein anderer hatte seinen Hut geschnappt und probierte ihn auf. Der Jüngste, der noch nicht laufen konnte, war zwischen seine Füße gekrabbelt und trommelte mit einem Löffel auf der Stiefelspitze herum. Anabeth ging um ihre Kinder herum, um ihren Bruder auf die Wange zu küssen, und murmelte ihm ins Ohr: »Ma war ganz krank vor Sorge um dich.« Nachdem sie diese vertrauliche schwesterliche Nachricht an den Mann gebracht hatte, hievte sie ihre Kinder von Jake weg und beförderte sie nach draußen; den Ältesten wies sie an, ein Auge auf das Baby zu haben.
Lydia wurde von Jake mit offenen Armen empfangen und umarmte ihn. »Ich freue mich so, dass du kommen konntest. Wir hatten schon befürchtet, du würdest es nicht schaffen.«
»Das wollte ich doch nicht verpassen«, sagte er und blickte mit seinen blauen Augen von einem geliebten Gesicht in das nächste. »Hallo, Ross«, sagte er und langte um Lydia herum, um Ross' Hand zu schütteln. »Wie geht's?«
»Gut, gut. Und dir, Bubba?« Hin und wieder entschlüpfte ihm noch der alte Spitzname.
»Mäßig bis heiter.«
»Was macht der Job?«
»Hab ihn gekündigt.«
»Gekündigt?« Ma drehte sich mit einem Teller heißer Brötchen in der Hand zu ihm um.
Jake zuckte die Achseln. Offensichtlich wollte er die festliche Stimmung nicht durch eine Diskussion über sein unstetes Leben dämpfen. »Ich musste doch kommen, um die Braut zu sehen. Oder? Wo ist sie eigentlich?«
Sein Blick suchte die Gruppe ab, die sich um ihn geschart hatte, und übersah Banner dabei geflissentlich. Sie hatte sich mit Absicht zurückgehalten, da sie seiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein wollte, wenn sie ihn begrüßte.
»Jake Langston, du weißt, dass ich die Braut bin.« Sie rannte auf ihn zu, warf sich in seine Arme und umarmte ihn stürmisch. Mit den Armen umspannte er ihre Taille und hob sie hoch. Zweimal drehten sie sich im Kreise, bevor er sie wieder absetzte.
Er stieß sie von sich und meinte: »Nein, du kannst nicht die Braut sein. Die Banner Coleman, die ich kenne, trägt Zöpfe, hat aufgeschürfte Schienbeine und Löcher an den Knien ihrer langen Unterhose. Lass mich deine Unterhose sehen, dann weiß ich es genau.« Er bückte sich, um den Rock ihres Kleides anzuheben. Sie kreischte und gab ihm einen Klaps auf die Hände.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 1997 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Der Farmer blickte sich nervös in der Bar um. Plötzlich war ihm bewusst geworden, welches Schauspiel er bot. Niemand sonst in dem höhlenartigen Raum bewegte sich. Die Musik war beim ersten Anzeichen von Krawall verstummt. Die anderen Spieler am Pokertisch hatten sich vorsichtig zurückgezogen wie die Wellen, die entstehen, wenn ein Stein in einen ruhigen See geworfen wird.
Der Mann gab sich alle Mühe, einschüchternd zu wirken. »Sie sind ein Lügner! Ich habe nicht betrogen. Ziehen Sie doch.«
»In Ordnung.«
Es ging alles so schnell, dass hinterher nur diejenigen, die direkt danebengestanden hatten, bezeugen konnten, was tatsächlich passiert war. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung erhob Jake sich von seinem Stuhl, zog seine Waffe, holte mit der anderen Hand weit aus und lenkte den Arm des Farmers ab, sodass dessen Pistole nutzlos zu Boden knallte.
Kermits Adamsapfel zog sich in die Länge, ein Kloß schieren Entsetzens saß ihm im Hals. Er blickte in Augen, die so kalt und hart waren wie Eiszapfen, die nach einem eisigen Nordwind im Januar an der Dachrinne hängen. Sie waren viel Furcht einflößender als die Mündung der Pistole, die auf seine Nasenspitze zielte. Er stand jemandem gegenüber, der zwanzig Kilo leichter war als er selbst, aber durch seine eiserne Selbstbeherrschung trotzdem bedrohlich wirkte.
»Nehmen Sie sich die Hälfte des Gewinns, den Sie dort aufgehäuft haben. Ich nehme an, so viel haben Sie ehrlich gewonnen.«
Zitternd stopfte sich der Farmer die Münzen und Geldscheine in seine Hosentaschen. Er verfiel in die hektische Raserei eines Fuchses, der bereit ist, sich die Pfoten abzubeißen, um einer Falle zu entrinnen.
»Und jetzt heben Sie Ihre Waffe ganz vorsichtig auf und verschwinden von hier.«
Kermit gehorchte. Nur durch ein Wunder ging seine Pistole nicht los, als er mit zitternden Händen den Abzugshahn entspannte und sie wieder ins Pistolenhalfter steckte.
»Und ich rate Ihnen, nicht wiederzukommen, bis Sie betrügen können, ohne erwischt zu werden.«
Der Farmer fühlte sich erniedrigt, aber er war erleichtert, dass sein Herz noch schlug, dass er nicht aus einer Schusswunde blutete und dass er nicht ohne einen Cent zu seiner ewig nörgelnden Frau zurückkehren musste. Er ging und schwor sich, nie wiederzukommen.
Kaum hatte er den Raum verlassen, fuhr der Klavierspieler fort mit seinem fröhlichen Geklimper. Die übrigen Kunden der Spielhalle kehrten an ihre Tische zurück und schüttelten amüsiert den Kopf. Zigarren, die in Aschenbechern liegen gelassen worden waren, wurden wieder angezündet. Der Barmann machte sich sofort daran, die Gläser wieder zu füllen.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte Jake freundlich zu den anderen Spielern, während er seinen eigenen Gewinn einstrich. Er deutete auf den Geldhaufen, den der Farmer auf dem Tisch liegen gelassen hatte, und sagte: »Das könnt ihr euch teilen.«
»Danke, Jake.«
»Bis bald.«
»Weil er auf dich angelegt hat, hättest du ihn umbringen können.«
»Verdammt noch mal, das hättest du tun können! Wir hätten dich unterstützt.«
»Gottverdammtes Bauernpack!«
Unbeeindruckt zuckte Jake mit den Achseln und wandte sich ab. Sollten sie reden. Er nahm eine schlanke Zigarre aus seiner Hemdentasche, biss das Ende ab und spuckte es auf den Boden. Mit dem Daumennagel riss er ein Streichholz an und zündete sich seine Zigarre an, während er sich durch die Tische zur Bar aus Eichenholz schlängelte. Die Theke erstreckte sich über die ganze Länge des Raumes. Gerüchten zufolge war sie stückweise von St. Louis nach Fort Worth verschifft und später wieder zusammengesetzt worden. Sie war mit prachtvoller Schnitzerei verziert und mit Spiegeln bedeckt. Reihen von Flaschen und polierten Gläsern zogen sich auf ihr entlang. Die Besitzerin duldete kein Staubkörnchen darauf.
Spucknäpfe aus Messing befanden sich an strategisch günstigen Punkten entlang des Messinggeländers der Bar. In Priscilla Watkins' Garten Eden war es nicht erlaubt, auf den Boden zu spucken. Handgeschriebene Schilder, die in Abständen von zwei Metern an der Bar angebracht waren, wiesen darauf hin.
Jake grinste. Der Boden, der auf Hochglanz poliert war, war jetzt von seiner Zigarrenspitze entweiht worden. Es bereitete ihm auch ein perverses Vergnügen, mit seinen Sporen die glänzende Oberfläche, auf die die Besitzerin dieses Etablissements so stolz war, zu verkratzen.
Priscilla. Gerade als er an sie dachte, erblickte er sie auf der untersten Stufe der geschwungenen Treppe. Sie sah so prächtig aus wie die Königin von Saba. Gekleidet in leuchtend roten Satin, der mit schwarzer Spitze abgesetzt war, wäre sie jedem Mann ins Auge gefallen. Das hatte sie schon immer getan. Als Jake ihr vor fast zwanzig Jahren das erste Mal begegnet war, hatte sie verwaschene Baumwolle getragen. Aber selbst darin hatte sie den Männern die Köpfe verdreht.
Ihr aschblondes Haar hatte sie hoch aufgesteckt, verziert mit einer purpurroten Straußenfeder, die sich an ihre Wange schmiegte und mit einem baumelnden Ohrring flirtete. Ihr Kopf war in königlicher Pose geneigt.
Dieses Bordell war ihr Reich. Sie herrschte dort wie eine Despotin. Wenn es Kunden oder Angestellten nicht gefiel, wie sie die Dinge handhabte, wurden sie kurzerhand vor die Tür gesetzt. Aber jeder in Texas wusste, dass der Garten Eden in Fort Worth im Jahre .... das beste Bordell im ganzen Staate war. Priscilla streckte ihren mit einem Satin slipper bekleideten Fuß aus und trat von der untersten Stufe herunter. Stolz schritt sie zur Bar und verströmte hinter sich einen Moschusduft, der aus Paris importiert worden war. Jake führte sein Whiskyglas zum Mund.
»Sie haben mich gerade einen Kunden gekostet, Mr Langston.«
Jake wandte nicht den Kopf. Stattdessen nickte er dem Barmann zu, ihm noch mal einzuschenken. »Ich glaube, du kannst es dir leisten, ein oder zwei zu verlieren, Pris.«
Dass er sie so nannte, irritierte sie. Dies bereitete ihm genauso viel Vergnügen, wie den Boden ihres Saloons zu verkratzen. Nur ein alter Freund wie Jake kam bei ihr mit so etwas ungeschoren davon.
Waren sie Freunde? Oder Feinde? Sie war sich nie ganz sicher.
»Wie ist es nur möglich, dass monatelang alles glattgeht, aber sobald du auftauchst, gibt es Schwierigkeiten?«
»Ach ja?«
»So ist es jedes Mal.«
»Dieser Rübenbauer hat auf mich gezielt! Was hast du denn erwartet, was ich tun würde? Die andere Wange hinhalten? «
»Du hast ihn provoziert.«
»Er hat betrogen.«
»Ich kann keine weiteren Schwierigkeiten gebrauchen. Der Sheriff ist diese Woche schon zweimal hier gewesen.«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
»Es ist mir ernst, Jake. Die ganze Stadt läuft wieder bewaffnet herum und will mich niederschießen. Jedes Mal, wenn es Schwierigkeiten gibt ...«
»In Ordnung. Es tut mir leid.«
Sie reckte das Kinn hoch und lachte. »Das bezweifle ich. Entweder hast du Ärger am Kartentisch, oder du verursachst einen Wirbel unter meinen Mädchen.«
»Wie denn das?«
»Sie streiten sich um dich, und das weißt du verdammt genau«, fuhr sie ihn an.
Er wandte ihr den Blick zu und grinste sie unverschämt an. »Tatsächlich? Da soll mich doch der Teufel holen!«
Sie bemerkte wieder einmal, wie gut er aussah und welche attraktive Arroganz er im Laufe der Jahre entwickelt hatte. Er war nicht länger ein linkischer Junge, sondern ein Mann, den weder Männer noch Frauen übersehen konnten. Sie klopfte mit ihrem Federfächer auf seine Brust. »Du bist schlecht fürs Geschäft.«
Er beugte sich vor und flüsterte vertraulich: »Wie kommt es dann, dass du dich immer so freust, mich zu sehen? «
Verärgert verzog Priscilla den Mund, aber sie erlag seinem gewinnenden Lächeln. »In meinem Büro habe ich besseren Whisky.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Komm mit.«
Köpfe drehten sich um, als die beiden den Raum durchquerten. Es gab keinen Mann auf Erden, der Priscillas Reizen gegenüber unempfindlich gewesen wäre. Sie war auf eine lüsterne Art attraktiv, und die Geschichten darüber, was sie mit Männern alles anstellte, hatten sie zu einer lebenden Legende gemacht. Selbst wenn man berücksichtigt, dass Männer zu Übertreibungen neigen, wenn sie über ihre sexuellen Abenteuer erzählen, waren die Geschichten über Priscilla Watkins doch zu weit verbreitet, um nicht eine gewisse Glaubwürdigkeit zu verbürgen. Männer wollten nicht, dass ihre Ehefrauen dieses geile, schamlose Funkeln in den Augen hatten, aber von ihren Huren erwarteten sie es.
Die meisten Gelüste der Männer entsprangen nicht ihren Erinnerungen, sondern der Neugierde und Fantasie. Nur wenige kannten jene wollüstigen Zusammenkünfte mit Priscilla aus erster Hand. Sie war wählerisch. Selbst wenn sie sich den stolzen Preis, den sie verlangte, leisten konnten, wurden die meisten von ihnen nicht auserkoren, das innere Gemach hinter der Tür, die stets verschlossen war, zu betreten. Es hütete faszinierende Geheimnisse. In diesem Augenblick beneidete jeder Mann im Raum Jake Langston.
Während die Männer ihm neidisch nachsahen, so taten die Frauen es voller Sehnsucht. Die im Raum verteilten Huren, die die Gäste bei Laune hielten, waren hart arbeitende Frauen. Sie wussten, was ein Dollar wert war. Sie mussten vernünftig denken. Ihre Zeit bedeutete Geld. Also erprobten sie ihre Verführungskünste an ihren Kunden, aber jede von ihnen hätte die paar Dollars, die sie dabei verdienten, gerne für eine Stunde der Zweisamkeit mit dem Cowboy Jake Langston eingetauscht.
Er war schmalhüftig und schlaksig, bewegte sich aber mit der katzenhaften Anmut eines Pumas und hatte auch ebensolche Muskeln. Seine enge Hose saß um sein straffes Hinterteil und die langen Schenkel wie eine zweite Haut. Der Pistolengürtel, der tief um seine Hüften geschnallt war, betonte nur seine Männlichkeit. Männer respektierten seine Schießkünste. Frauen erregte allein seine Nähe. Ein Element von Gefahr umgab ihn.
Er hatte breite Schultern und eine breite Brust, aber das störte den Eindruck seiner Schlankheit nicht. Er ging nicht einfach, er schlenderte. Die Mädchen, die das Glück gehabt hatten, ihn in ihren Räumen zu empfangen, schworen, dass alles an ihm so kühn war wie sein Gang und dass die schaukelnden Bewegungen seiner Hüfte sich nicht auf das Laufen beschränkten.
Priscilla zog einen Schlüssel aus dem tiefen Ausschnitt ihres Kleides und öffnete ihre privaten Gemächer. Drinnen ließ sie ihren Fächer auf einen modischen Stuhl mit dünnen Beinen fallen und ging zu einem kleinen Tisch hinüber. Sie goss Jake einen Drink aus einer schweren Kristallkaraffe ein, während er mit einem Klicken die Tür hinter ihnen schloss. Priscilla hob den Blick, um ihn anzuschauen. Sie ärgerte sich darüber, dass ihr Herz schneller klopfte.
War es heute Abend so weit?
Es hätte der Salon jeder Dame sein können - abgesehen von Priscillas Nacktporträt, das ein Kunde als Bezahlung gemalt hatte. Ohne jeden Zweifel war er zuvor ihr Liebhaber gewesen, so wie er sie in der Pose träger Befriedigung auf die Leinwand gebannt hatte. Das Gemälde krönte in seinem Goldrahmen die Wand hinter dem satinbezogenen Sofa, auf dem sich Kissen mit Seidenfransen türmten. Die Vorhänge an den Fenstern aus Moirétaft waren auf die gleiche Art gekräuselt wie in den meisten vornehmen Häusern zu jener Zeit. Spinnwebenzarte Deckchen zierten die Tischchen. Jedermanns Großmutter hätte sie häkeln können.
Die großen runden Glasschirme der Öllampen waren mit Blumen bemalt. Von einigen hingen Glastropfen herunter, die bei jedem Luftzug sanft klingelten. Ein dicker Teppich bedeckte den Boden zum größten Teil. In einer Ecke stand eine brusthohe Vase, in der Pfauenfedern steckten. Sie war bemalt. Auf der Zeichnung ließ eine barbusige, fesche Schäferin aus dem siebzehnten Jahrhundert einen glühend bewundernden Schäfer leiden.
Jake betrachtete den Raum. Er war schon oft hier gewesen, aber das Zimmer hatte nie von seiner Faszination verloren. Priscilla, die rebellische Tochter einer diktatorischen Mutter und eines eingeschüchterten Vaters, hatte es weit gebracht in der Welt. Jake, der damals von allen Bubba genannt worden war, hatte sie auf brachliegenden Feldern und in matschigen Bachbetten genommen. Wenn es zur Sache ging, spielte der Ort keine Rolle. Eine Hure war eine Hure, ganz gleich wo sie ihr Gewerbe ausübte.
Priscilla, die sich seiner wenig schmeichelhaften Gedanken nicht bewusst war, kam auf ihn zu und reichte ihm den Whisky. Sie zog ihm die Zigarre aus dem Mund, steckte sie sich zwischen die Lippen und nahm einen langen Zug. Bevor sie den Rauch langsam und gleichmäßig ausatmete, ließ sie ihn durch ihre Lungen strömen. »Danke. Ich lasse meine Mädchen nicht rauchen. Deshalb darf ich auch kein schlechtes Vorbild für sie sein. Komm, wir gehen ins Schlafzimmer. Ich muss mich für den Abend umziehen.«
Er folgte ihr ins nächste Zimmer. Es war sehr feminin eingerichtet, voller Spitzen, was überhaupt nicht zu ihr passte. Sie war eine zu harte Frau für so einen rüschigen, plüschigen Raum, aber Jake vermutete, dass er Teil der Fantasiewelt war, die sie ihren Kunden bot.
»Hilf mir bitte, Jake.« Sie wandte ihm den Rücken zu. Er steckte den Stumpen wieder in den Mund, hielt ihn mit seinen geraden weißen Zähnen fest und blinzelte wegen des Rauches. Seinen Drink stellte er beiseite. Geübt löste er die Haken aus den Ösen. Als er fertig war, warf sie einen Blick über ihre nackte Schulter, sagte mit heiserer Stimme: »Danke, Liebling«, und trat beiseite.
Grinsend ließ Jake sich auf das Brokatsofa fallen. Er zog auch die Füße auf das Sofa, ohne auf die Sporen an seinen Stiefeln zu achten, vom festgebackenen Schmutz ganz zu schweigen.
»Was hast du in der letzten Zeit gemacht?« Priscilla glitt mit einer Bewegung, die zu mühelos war, um nicht eingeübt zu sein, aus ihrem tief ausgeschnittenen Kleid.
Jake blies einen vollkommenen Rauchkringel in die Luft und langte nach dem Whisky. »Hab' oben in West Virginia gearbeitet, einen Zaun gezogen von dort bis in alle Ewigkeit. «
Beredt zog sie die Augenbrauen hoch, als sie die purpurfarbenen Slipper von den Füßen schleuderte. Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Sachen aufzuheben. Irgendwie wirkte es lüsterner, wenn sie ihre Kleidungsstücke dort fallen ließ, wo sie sie auszog. Männer hatten es lieber, wenn ihre Frauen nicht zu kleinlich waren, was Ordnung betraf, besonders wenn sie gerade ins Bett kamen. Solche Nachlässigkeit ließ bezahlten Sex spontaner erscheinen. Mit milder Zurechtweisung fragte sie ihn: »Aus dir ist also ein Zangenmann geworden?«
So nannte man Cowboys, die sich schwertaten, Arbeit zu finden, nachdem die Zeit der großen Viehtrecks vorüber war. Oft mussten sie selbst Stacheldrahtzäune ziehen, die die riesigen offenen Weideflächen eingrenzten und sie arbeitslos machten.
»Ich hab' mich nun mal dran gewöhnt zu essen und dergleichen «, meinte Jake leichthin. Keine einzige ihrer verführerischen Bewegungen war ihm entgangen.
Ihr Korsett war eng geschnürt. Es drückte ihre Brüste nach oben, dass sie fast aus dem Hemd quollen. Sie war schon immer von der Natur wohl ausgestattet gewesen. Jake erinnerte sich an ihre großen, festen Brüste. Sie strich ihre Unterröcke zur Seite und setzte sich auf einen kleinen runden Hocker vor ihren Frisiertisch. An dem Spiegel, dem sie gegenübersaß, waren Seitenspiegel angebracht, die sie so drehen konnte, dass sie sich aus allen Winkeln betrachten konnte. Mit einer Quaste aus Lammwolle puderte sie sich Hals, Schultern und Brüste.
»Machst du Urlaub?«
Ein leises Lachen grollte in Jakes Brust. »Nein. Ich war es einfach leid, nichts anderes als Gestrüpp und Staub zu sehen. Ich habe gekündigt.«
»Was hast du jetzt vor?«
Was hatte er jetzt vor? Sich treiben lassen, bis sich ihm ein neuer Job bot. Was er schon immer getan hatte, seit er erwachsen war. Bei Rodeos konnte er einiges an Preisgeldern gewinnen, genug, um sich und sein Pferd am Leben zu halten. Es reichte sogar für ein Pokerspiel hin und wieder und für die Art von Erholung, die an Orten wie Priscillas Garten Eden geboten wurde.
»Wie viele Viehtrecks hast du mitgemacht, Jake? Ich weiß gar nicht mehr, wie oft du nach einem Viehtrieb in den Norden nach Fort Worth zurückgekommen bist.«
»Ich auch nicht. Ich bin oft nach Kansas City gezogen. Einmal bis nach Colorado. Hat mir nicht gefallen. Nette Gegend, aber verdammt kalt.« Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und genoss das Spektakel, wie sie Rouge auf die Brustwarzen auftrug. Auf dem Finger transportierte sie eine kleine Portion der gefärbten Salbe aus dem winzigen Glasbehälter. Sanft, fast liebevoll trug sie sie auf. »Was ist mit dir, Priscilla? Wie lange gehört dir dieser Laden schon?«
»Fünf Jahre.«
»Was hat er dich gekostet?«
Endlose Stunden auf meinem Rücken, hätte sie am liebsten geantwortet. Stunden mit dicklichen, schwitzenden Farmern, die sich darüber beklagten, dass ihre Frauen keine Kinder mehr wollten und ihnen die ehelichen Pflichten verweigerten, und wilden Cowboys, die den Gestank nach Vieh mit sich brachten.
Zuerst hatte sie in Jefferson gearbeitet, der letzten Haltestation an der Zivilisationsgrenze. Aber als die Eisenbahn nicht mehr in dieser Stadt hielt und sie auf diese Weise wirtschaftlich zerstörte, war Priscilla nach Fort Worth gekommen, wo die Schienenwege aus dem ganzen Land zusammenliefen. Es war eine raue Stadt voller Cowboys, die es nicht abwarten konnten, das Geld auszugeben, das sie auf einem Viehtransport verdient hatten.
Priscilla hatte dafür gesorgt, dass ihr Ruf gedieh. Damals bekamen die Kunden etwas für ihr Geld. Manchmal sogar mehr, als sie bezahlt hatten. Sie war beliebt. Sie sparte ihr Geld. Als sie genug hatte, ging sie zu einem ihrer getreuen Kunden, einem Bankier, und ließ ihn heimlich ihren Kaufvertrag für den Saloon unterschreiben. Sie zahlten die alte Bordellbesitzerin aus und wandelten ihn in einen erstklassigen Vergnügungspalast um, der nicht nur die umherziehenden Cowboys, sondern auch die Viehbesitzer, die sie anheuerten, anzog. Weder Kosten noch Mühen wurden gescheut, und die Investition erwies sich als weise. Nach zwei Jahren hatte Priscilla den Bankier ausbezahlt. Außer über die Empörung der anständigen Leute gab es wenig, worüber Priscilla sich Sorgen machen musste.
»Wenn du einen Job brauchst, kannst du hier einen haben - beim Kartenspiel oder als Rausschmeißer.«
Jake lachte und stellte sein leeres Glas auf das Tischchen neben das Sofa. »Nein danke, Priscilla. Ich bin ein Cowboy. Ich mag keine Wände um mich herum. Außerdem wären dann deiner Ansicht nach die Mädchen ständig in hellem Aufruhr. Das wollen wir doch nicht, oder?«, neckte er sie.
Priscilla machte ein ärgerliches Gesicht, während sie ein schwarzes Satinkleid anzog. Die purpurrote Feder in ihrem Haar hatte sie durch eine glänzend schwarze ersetzt, die an einer Similischnalle befestigt war. Jake Langston war zu unverschämt geworden. Sie unterdrückte ein Lächeln, als sie ihre Gedanken korrigierte. Jake Langston war immer schon dreist gewesen.
Heimlich beobachtete sie ihn, während sie lange schwarze Spitzenhandschuhe über Finger und Unterarme zog. Er war reifer und verdammt attraktiv geworden. Kein Wunder, dass er eingebildet war. In seiner Jugend war er ein Flachskopf gewesen. Auch seinem Haar sah man die Jahre des Reifens an, wenn auch nur geringfügig. Jene weißblonden Strähnen zogen die Frauen an wie das Licht die Motten.
Seine Haut war wie Leder gegerbt. Lange Stunden unter freiem Himmel hatten ihr einen Kupferton verliehen, der das Blau seiner Augen noch verstärkte. Um seine Augen und in beiden Mundwinkeln waren feine Linien eingegraben. Aber statt von seinem attraktiven Äußeren abzulenken, erhöhten diese Spuren, die die Witterung hinterlassen hatte und in seiner Jugend noch nicht vorhanden gewesen waren, seine Attraktivität nur noch.
Er war rau. Hart. Gefährlich. Hinter seinem trägen Lächeln schien ein Geheimnis zu lauern. Seinem Lächeln nach zu deuten, war es ein unanständiges Geheimnis, und er brannte darauf, es preiszugeben. Seine Großspurigkeit machte ihn zu einer Herausforderung, der keine Frau widerstehen konnte.
Priscilla erinnerte sich an den Jungen, den sie sexuell eingeweiht hatte. Ihre häufigen Zusammentreffen waren heißblütig, wild und leidenschaftlich gewesen. Wie würde es jetzt wohl sein? Seit Jahren schon wollte sie das wissen.
»Bleibst du eine Weile in Fort Worth?«
»Heute bin ich auf dem Weg nach Osttexas. Ich nehme den Spätzug. Erinnerst du dich an die Colemans? Ihre Tochter heiratet heute.«
»Coleman? Der aus dem Siedlertreck? Hieß er nicht Ross?« Sie wusste genau, über wen er sprach, aber sie wollte ihn provozieren, genau wie er es auch immer bei ihr tat. Es war ein Spiel, das sie jedes Mal spielten, wenn sie einander begegneten. »Und wie hieß die Frau noch? Die er aus Nächstenliebe geheiratet hat?«
»Lydia«, antwortete er knapp.
»Ja, genau. Lydia. Sie hatte keinen Nachnamen, nicht wahr? Ich habe mich immer gefragt, was sie wohl verbirgt.« Sie zog den Stöpsel aus einem kristallenen Parfümflakon und tupfte sich Parfüm hinter die Ohren, auf den Hals, die Handgelenke, den Busen. »Wie ich höre, haben sie mit dieser Pferderanch viel Erfolg.«
»Das stimmt. Meine Mutter lebt auf ihrem Besitz. Mit meinem kleinen Bruder Micah.«
»Dieser tapsige kleine Kerl?«
»Er ist jetzt erwachsen. Einer der besten Reiter, die ich je gesehen habe.«
»Was ist aus Mr Colemans Baby geworden? Das Lydia gestillt hat, bevor sie geheiratet haben?«
Jake überlegte einen Augenblick, ob er gerade Verbitterung in Priscillas Worten herausgehört hatte. Schließlich antwortete er. »Lee. Er und Micah sind vom selben Schlag. Veranstalten immer einen Riesenwirbel.«
Priscilla betrachtete ihr Spiegelbild und strich ihr Haar glatt. »Und sie haben also eine Tochter, die alt genug ist zum Heiraten?«
Jake lächelte zärtlich. »Gerade eben alt genug. Als ich sie das letzte Mal sah, trug sie noch Zöpfe, jagte hinter Lee und Micah her und bettelte, einen ausgerissenen Hengst einfangen zu dürfen.«
»Ein Wildfang?«, fragte Priscilla erfreut. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie Jake Lydia Coleman immer mit Kuhaugen angestarrt hatte. Alle Männer auf dem Treck fühlten sich von ihr angezogen, während ihre Frauen zunächst gezögert hatten, sie bei sich aufzunehmen und zu akzeptieren. Wenn Lydia nicht Ross Coleman geheiratet hätte, wäre Priscilla wahnsinnig eifersüchtig auf sie gewesen. Es gefiel ihr, sich Lydias Tochter als ein linkisches, schlaksiges Mädchen oder einen drahtigen Wildfang vorzustellen.
»Ich nehme an, wenn sie jetzt heiratet, muss sie sich ein wenig verändert haben, seit ich sie zuletzt sah.«
Priscilla nahm ihren Fächer und drehte sich stolz vor ihm. »Nun?«
Das Oberteil ihres Kleides schloss sich eng um ihre Taille. Der Ausschnitt war weit und tief, ihre Brüste waren kaum bedeckt mit einer Spitze, die so zart war wie die ihrer Handschuhe. Ihre mit Rouge gefärbten Brustwarzen wurden durch das Muster der Spitze nicht verborgen. Der Rock ließ den Blick auf ihre schwarzen Satinpumps frei und lief hinten in einer kurzen Schleppe aus. Eine moderne Tournüre trug dazu bei, dass ihre Figur einer Sanduhr glich.
Zynische blaue Augen musterten sie unverschämt. »Sehr nett, aber ich habe ja schon immer gesagt, dass du die hübscheste Hure bist, die ich kenne.« Er beobachtete, wie Wut in ihren grauen Augen aufstieg. Sanft lachend ergriff er ihre Hand und zog sie auf das Sofa zu sich herab. Der Fächer flog ihr aus der Hand und landete auf dem Boden. Die Feder in ihrem Haar verrutschte, aber Priscilla hatte nichts dagegen, als Jake sich ihr näherte und halb auf sie rollte.
»Jetzt hast du den ganzen Abend vor mir paradiert, nicht wahr, Pris? Hm? Also, ich glaube, es ist Zeit, dass ich dir gebe, worum du die ganze Zeit gebeten hast.«
Er legte seinen Mund hart auf ihren.
Hungrig öffnete sie die Lippen, damit seine Zunge eindringen konnte. Ihre Mädchen hatten nicht übertrieben. Er wusste, was er tat. Mit diesem Kuss weckte er jede empfindsame Stelle ihres Körpers, der heftig darauf reagierte. Sein Körper war hart und geschmeidig. Sie wölbte sich ihm entgegen, während sie mit den Fingern das dichte blonde Haar in seinem Nacken zerzauste.
Mit geübter Bewegung fand seine Hand den Weg unter ihre Röcke, auf ihren Schenkel direkt oberhalb des Spitzenstrumpfbandes. Er streichelte das warme, zitternde Fleisch. Sie hob ihr Knie.
»Hm, ja, Jake, Jake«, flüsterte sie, während ihr Mund sich über seinem bewegte.
Plötzlich zog er seine freie Hand wieder unter ihrem Rock hervor. Sie dachte, er wollte seine Kleidung öffnen, und war daher verblüfft, als er eine Taschenuhr vor seinen Augen baumeln ließ und die Zeit ablas. »Tut mir leid, Pris.« Er machte ein unaufrichtiges, schnalzendes Geräusch mit dem Mund. »Ich muss meinen Zug erwischen. «
Wütend schleuderte sie ihn von sich herunter. »Du Bastard! «
Lachend rollte sich Jake vom Sofa. »Ist das die richtige Art, mit einem alten Freund zu reden?«
Da verlor Priscilla endgültig die Beherrschung. »Du dämlicher Hinterwäldler! Du unverschämter Lümmel! Hast du wirklich geglaubt, ich wollte mit dir schlafen?«
»Ja, das glaube ich tatsächlich.« Er zwinkerte ihr zu und ging in Richtung Salon. »Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss.«
»Bin ich nicht mehr gut genug für dich?«
Er wirbelte herum. »Du bist gut genug. Zu gut. Die Beste. Deshalb will ich dich nicht. Weil du die beste Hure weit und breit bist.«
»Du schläfst doch immer nur mit Huren.«
»Aber wenn ich sie nicht kenne, kann ich mir vormachen, es sei etwas anderes. Ich kann mir vormachen, ich sei der Einzige. Du bist eine Hure gewesen, seit ich dich kenne. Dutzende von Männern sind in deinem Bett gewesen. Für mich nimmt das der ganzen Sache die Romantik.«
Ihr Gesicht wurde lebendig, und Jake bemerkte, wie hässlich sie aussehen konnte. »Es ist dein Bruder, nicht wahr? Du bist nie darüber hinweggekommen, dass du bei mir warst, als er starb.«
»Halt den Mund!«
Er sagte das so gefühllos, dass sie erschrak. Sie ging einen Schritt rückwärts, gab aber noch nicht völlig auf. »Du bist immer noch ein blöder Tennessee-Hinterwäldler. O ja, du hast gelernt, besser zu reden. Durch dein hitziges Temperament hast du den Ruf erlangt, den Männer respektieren. Du weißt, wie man Damen entzückt. Aber unten drunter bist du immer noch Bubba Langston, ein dummer Bauernlümmel.«
An der Tür blieb er stehen. In seinen Augen blitzte nicht länger Mutwille, sie waren kalt und hart. Die Haut in seinem Gesicht spannte sich straff, die Falten in seinen Mundwinkeln vertieften sich. »Nein, Priscilla. Bubba ist vor langer Zeit verschwunden.«
Priscillas Wut ließ nach. Ihre Augen verengten sich, als sie ihn anblickte. »Ich werde dir beweisen, dass du mich immer noch willst. Das ist ein Versprechen. Eines Tages wirst du dich daran erinnern, wie es mit uns beiden war. Wir waren Kinder. Voll leidenschaftlichem Verlangen und heißblütig. Wir vergingen vor Sehnsucht danach. Es könnte wieder so sein.« Sie ging zur Tür, warf den Kopf in den Nacken und legte ihm die Hand auf die Brust. »Ich werde dich wiederbekommen, Jake.«
Jake erinnerte sich nur zu gut an jenes erste Mal, als sie zusammen gewesen waren. Jener Nachmittag hatte sich seinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt. Er entfernte ihre Hand. »Rechne nicht darauf, Priscilla.«
Er schloss die Tür zu ihren Privatgemächern hinter sich und stand einen Augenblick nachdenklich da. Der Saloon hatte sich belebt. Spärlich bekleidete Mädchen glitten durch die Räume und Spielzimmer. Sie flirteten und boten den Kunden ihre Waren an. Etliche Huren blickten ihn erwartungsvoll, atemlos an.
Er lächelte, ermutigte sie aber nicht. Es lag nicht daran, dass er kein Bedürfnis verspürte. Er hatte mehrere Wochen keine Frau mehr gehabt. Priscilla hätte er nie genommen, aber er war auch nicht aus Holz. Sie unbekleidet zu sehen, der Duft nach ihrer Haut hatte ihn sehr erregt.
Noch ein Glas Whisky? Ein Kartenspiel? Eine Stunde in einem der Schlafzimmer oben, einen Augenblick des Vergessens?
»Hallo, Jake.«
Eine der Huren kam auf ihn zu. »Hallo, Sugar.« Sugar Dalton arbeitete schon für Priscilla, seit Jake hierherkam. »Wie geht's?«
»Ich kann nicht klagen«, erwiderte sie und lächelte angesichts dieser Lüge. Die Falten, die sich auch durch ihr dick aufgetragenes Make-up abzeichneten, verrieten ihm, wie schlimm es ihr in Wirklichkeit ging und wie sehr sie ihr Leben hasste. Aber sie hatte sich auf bemitleidenswerte Weise damit abgefunden und versuchte verzweifelt zu gefallen. Jake hatte sie schon immer leidgetan. »Ich könnte dafür sorgen, dass du dich heute Abend wohlfühlst, Jake«, gurrte sie voller Hoffnung.
Ihr zuliebe war er fast versucht, sie mit nach oben zu nehmen. Stattdessen schüttelte er den Kopf. »Aber du kannst mir meinen Hut und meine Satteltasche holen. Hier ist der Coupon.« Er angelte in seiner Tasche nach dem Abholschein, und sie lief davon. Als sie zurückkam, gab er ihr fünfzig Cents Trinkgeld, viel mehr als ihre Besorgung, die er leicht selbst hätte erledigen können, wert war. »Danke, Sugar.«
»Jederzeit zu Diensten, Jake.« Sie blickte ihn einladend an.
Sollte er ihr und seinem ausgehungerten Körper eine Wohltätigkeit erweisen? Nein. Bevor er seine Meinung ändern konnte, ging er schnell durch die Menge zur Eingangstür. Er musste den letzten Zug heute erwischen. Morgen früh wurde er in Larsen erwartet.
Banner Coleman heiratete.
1
Es war Banner Colemans Hochzeitstag.
Sie fühlte sich jeder Zoll eine Braut, als sie, durch einen blumenbedeckten Wandschirm vor den Blicken der anderen verborgen, hinten in der Kirche wartete. Sie betrachtete die Leute, die einen Samstagnachmittag geopfert hatten, um zu sehen, wie sie Grady Sheldon heiratete.
Fast ganz Larsen war eingeladen worden. Und der Menschenmenge nach zu urteilen, die rasch die Kirchenbänke füllte, schienen alle, die eine Einladung erhalten hatten, ihren Sonntagsstaat angezogen zu haben und hierhergekommen zu sein.
Banner bewegte leicht die Füße; sie mochte das Rascheln des Seidenkleides um ihre Beine. Der Rock war modisch eng und über den passenden Satinpumps gerafft. Der üppige Stoff war hinten in einem weichen Bausch zusammengerafft, von dem eine kurze Schleppe herabfiel. Die Tüllpasse ihres Kleides, die sich unter ihrem Kinn wie der Kelch einer Lilie öffnete, war mit winzigen Perlen bestickt. An der sanften Wölbung ihrer Brüste war der Tüll auf die darunterliegende Seide aufgesetzt. Es war ein aufreizender Schnitt, zumal er Banners wohlgeformte Figur eng umschloss, er war aber auch von süßer Jungfräulichkeit. Der Spitzenschleier, der ihr Gesicht bedeckte, war von Larsens bester Schneiderin direkt in New York bestellt worden.
Normalerweise liebte Banner glühende Farben, aber das elfenbeinfarbene Hochzeitskleid bildete einen vollkommenen Kontrast zu ihrem rabenschwarzen Haar. Ihr Teint hatte die Farbe reifer Aprikosen - nicht buttermilchblass, wie es gerade Mode war -, weil sie gerne draußen in der Sonne verweilte, ohne den Schutz eines Schirmes, den wirkliche Damen als notwendig erachteten.
Von ihrer Mutter hatte sie die Neigung zu Sommersprossen auf der Nase geerbt. Dieser Makel wurde von den Damen in den Nähkränzchen heftig beklagt. »So ein hübsches kleines Ding, wenn sie nur besser auf die Sonne achten würde!« Banner hatte sich schon seit Langem mit ihrem Gesicht abgefunden. Es war nicht im klassischen Sinne schön, aber sie mochte es. Über so etwas Banales wie ein paar Sommersprossen konnte sie sich keine Sorgen machen. Außerdem hatte Mama sie auch. Und Mama war schön.
Ihre Augen hatte sie von beiden Eltern. Papas waren grün, Mamas whiskyfarben. Die Farbe ihrer Augen lag irgendwo dazwischen - gold mit grünen Einsprengseln. »Katzenaugen« nannten manche sie. Aber das stimmte nicht ganz, denn es war kein Grau in ihnen, nur ein dunkles Topasgold, das durch das Grün wirbelte.
Die Menge war voller Erwartung und wurde allmählich unruhig. Der Organist begann zu spielen. Der Blasebalg der Orgel pfiff nur leise. Ein Glücksgefühl stieg in Banner auf und färbte ihre Wangen pfirsichfarben. Sie wusste, dass sie wunderschön aussah. Sie wusste, dass sie geliebt wurde. Sie fühlte sich wie eine Braut.
Alle Bänke der Kirchen waren voll. Im Mittelflügel wurden die Leute höflich gebeten, näher zusammenzurücken, damit alle Platz fänden. Glücklicherweise kam von Süden eine Brise durch die hohen imposanten Fenster - sechs auf jeder Seite der Kirche -, die den Hochzeitsgästen an diesem warmen Frühlingsnachmittag Luft zufächelte. Die Herren wanden sich hin und her und zerrten an ihren unbequemen engen Kragen. Die Damen, deren Organdyrüschen raschelten, wedelten mit Spitzenfächern und Ziertaschentüchern.
Der Duft von Rosen, die an diesem Morgen frisch geschnitten worden waren, erfüllte die Luft. Auf den samtigen Blättern hingen immer noch Tautropfen. Da sie keine spezielle Farbe bevorzugte, hatte Banner entschieden, Blüten jeglicher Farbe von Rubinrot bis Schneeweiß zu verwenden. Ihre drei Brautjungfern, die nur ein paar Schritte von ihr entfernt standen, trugen pastellfarbene Kleider mit weißen Schärpen. Sie sahen so zerbrechlich aus wie die Blüten, mit denen die Kirche geschmückt war.
Es war die perfekteste Hochzeit, die Banner Coleman sich vorstellen konnte.
»Bist du bereit, Prinzessin?«
Sie wandte den Kopf und sah ihren Vater durch den Brautschleier vor ihrem Gesicht an. Sie hatte gar nicht gehört, wie er neben sie getreten war. »Papa, du siehst so gut aus!«
Ross Coleman schenkte ihr ein Lächeln, das die Herzen vieler Frauen hatte höher schlagen lassen. Seine Attraktivität hatte mit dem Alter zugenommen. An seinen Schläfen und in seinem üppigen Schnurrbart waren jetzt silberne Strähnen. Mit zweiundfünfzig war er so groß und breitschultrig wie eh und je. Durch harte Arbeit war er rank und schlank geblieben. In seinem dunklen Anzug und dem weißen Hemd mit dem hohen Kragen sah er so gut aus, wie eine Braut es sich von ihrem Vater nur wünschen konnte.
»Danke«, sagte er und verbeugte sich leicht.
»Kein Wunder, dass Mama dich geheiratet hat. Hast du an eurem Hochzeitstag auch so gut ausgesehen?«
Sein Blick wanderte für einen Augenblick weg von ihr. »Soweit ich mich erinnern kann, nein.« An jenem Tag hatte es geregnet. Er erinnerte sich an eine durchnässte Gruppe von Siedlern, die sich um seinen Wagen versammelt hatte, an eine ängstliche Lydia, die aussah, als würde sie jeden Moment davonrennen, und an sich selbst, aufgebracht und zornig. Diese Hochzeit war ihm aufgenötigt worden, und darüber war er wütend gewesen. Damals hatte er kaum ahnen können, dass sie sich als das Beste herausstellen würde, das ihm je im Leben widerfahren war. Er begann seine Meinung zu ändern, als der Prediger sagte: »Sie dürfen jetzt die Braut küssen«, und er sie zum ersten Mal küsste.
»Ihr habt auf dem Treck geheiratet.«
»Ja.«
»Ich wette, Mama hat es nichts ausgemacht, dass du nicht so gut angezogen warst.«
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete er ein wenig barsch.
Er ließ den Blick durch die vorderen Reihen der Kirche schweifen, bis er auf eine Frau fiel, die vor ein paar Minuten in die erste Reihe geführt worden war. Seine Augen blitzten auf.
»Sie sieht heute wunderschön aus«, sagte Banner, die seinem Blick gefolgt war. Lydia trug ein besticktes Kleid aus honigfarbener Seide. Das Sonnenlicht, das schräg durch eines der Fenster fiel, ließ ihr Haar rötlich aufglänzen.
»Ja.«
Banner stupste ihn neckend mit dem Ellenbogen an. »Du findest sie doch immer wunderschön!«
Ross blickte wieder seine Tochter an. »Dich aber auch.« Er betrachtete sie eingehend, prägte sich ihr Kleid und ihren Schleier, der sie irgendwie unberührbar machte, ein. Bald würde sie jemand anderem gehören. Dann war er nicht mehr der wichtigste Mann in ihrem Leben.
Er spürte einen schmerzhaften Kloß im Hals, als er sich eingestand, dass ihre Beziehung sich heute für immer ändern würde. Er wollte gerne, dass sie immer noch sein kleines Mädchen war, seine Prinzessin. »Du bist eine wunderschöne Braut, Banner. Deine Mutter und ich lieben dich. Wir geben dich nicht leichten Herzens ab, selbst nicht an einen so feinen jungen Mann wie Grady.«
»Ich weiß, Papa.« Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hob den Schleier und küsste ihn auf seine harte Wange. »Ich habe euch auch lieb. Du weißt, wie sehr ich Grady lieben muss, wenn ich dich und Mama verlasse, um ihn zu heiraten.«
Ihr Blick suchte die Kirche ab, gerade als sich die Tür hinter dem Chor öffnete. Der Priester, Grady und seine drei Begleiter zogen feierlich in die Kirche ein und nahmen ihre Plätze unter dem Bogen aus Blumengirlanden ein.
Sofort trockneten ihre Tränen, und ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln vollkommenen Glücks. Grady sah in seinem dunklen Anzug sehr gut aus. Sein haselnussbraunes Haar war gebürstet worden, bis es glänzte. Er stand gerade und aufrecht, wenn auch ein wenig steif, da.
So ähnlich hatte er auch dagestanden, als Banner ihn zum ersten Mal sah. Das war bei der Beerdigung seines Vaters gewesen. Sie kannte die Sheldons nicht. Gradys Mutter war gestorben, bevor sie nach Larsen zogen und den Holzhandel eröffneten. Mr Sheldons Tod bedeutete für Banner nur eine Unbequemlichkeit, als ihre Eltern ihr mitgeteilt hatten, dass sie sie zu der Beisetzung begleiten müsse. Es bedeutete, dass sie den Tag in einem Kleid zubringen musste statt in einer Hose, die sie auf der Ranch immer trug. Dass sie zur Kirche gehen musste, statt zuzusehen, wie die Cowboys ein störrisches Pferd zuritten. Damals war sie vierzehn gewesen. Sie erinnerte sich noch genau, wie beeindruckt sie von Grady - damals zwanzig Jahre alt - gewesen war, der stoisch am Grab gestanden hatte. Damals war er ganz allein auf der Welt gewesen. Für Banner, die von lauter Menschen, die sie liebten, umgeben war, erschien das völlig undenkbar. Allein und ohne Liebe zu sein, war das Schlimmste, was einem Menschen passieren konnte. Im Rückblick glaubte sie, dass sie damals angefangen hatte, Grady für seine Tapferkeit zu lieben.
Von da an begleitete sie Ross bei jeder Gelegenheit zur Sägemühle. Aber erst seit etwa einem Jahr schien Grady sie zu bemerken. An dem Tag, als sie mit Lee und Micah in die Holzhandlung kam, musste er zweimal hinschauen. Zuerst hielt er sie für einen Jungen, weil sie gar nicht mädchenhaft gekleidet war. Als sie dann ihren Hut abnahm und eine Masse schwarzen Haares sich über ihre Schultern und ihre Brüste ergoss, die sich unter ihrem ansonsten formlosen Baumwollhemd abzeichneten, blieb ihm vor Schreck der Mund offen stehen.
Bald holte Grady sie sonntagnachmittags zu Ausfahrten in seinem Einspänner ab, bat sie bei Partys, mit ihm zu tanzen, und saß bei Kirchenfesten neben ihr. Er war einer der vielen jungen Männer, die um ihre Aufmerksamkeit buhlten, aber den anderen Mitbewerbern wurde bald schmerzlich bewusst, dass er derjenige war, den sie vorzog.
An dem Tag, als er Ross förmlich um ihre Hand gebeten hatte, war sie ihm hinterher, auf seinem Heimweg, gefolgt. Sie ritt auf Dusty den Weg hinunter wie noch nie in ihrem Leben.
»Grady!«, schrie sie, sprang aus dem Sattel und rannte ohne jedes Anstandsgefühl auf ihn zu, während er seinen Einspänner zum Halten brachte. Als er herunterkletterte, warf sie sich ihm mit leuchtenden Augen und erröteten Wangen in die Arme. »Was hat er gesagt?«
»Er hat Ja gesagt!«
»Oh, Grady, Grady!« Sie umarmte ihn heftig. Als ihr klar wurde, dass dies nicht besonders damenhaft war, von keusch ganz zu schweigen, trat sie einen Schritt zurück und blickte ihn durch ihre dichten, dunklen Wimpern an. »Da es jetzt offiziell ist, kannst du mich wohl auch küssen, wenn du magst.«
»Ich - ist das in Ordnung? Bist du dir sicher?«
Ihre dunklen Locken wippten, als sie eifrig nickte. Sie glaubte, sterben zu müssen, wenn er sie nicht gleich küsste. Alles in ihr sehnte sich danach, seine Lippen auf ihren zu spüren.
Er beugte den Kopf und küsste sie keusch auf die Wange.
»Ist das alles?«
Er fuhr zurück und sah ihren enttäuschten Gesichtsausdruck. Als sie keinerlei Anstalten machte, sich sittsam zurückzuziehen, wie er es erwartet hatte, presste er seine Lippen auf ihre.
Das war schön, aber immer noch ein wenig enttäuschend. Das war nicht die Art Kuss, über die Lee und Micah hitzig tuschelten, wenn sie nicht wussten, dass sie in der Nähe war. Die Küsse, die sie sehnsüchtig in allen Einzelheiten beschrieben, waren viel vertraulicher. Zungen wurden dabei erwähnt. Auch Mama und Papa küssten sich nicht mit fest geschlossenen Lippen und ohne dass ihre Körper sich berührten.
Banner schlang impulsiv ihre Arme um Gradys Hals und bog ihren Körper gegen seinen. Aus seiner Kehle drang ein verblüfftes Geräusch, bevor er sie besitzergreifend in die Arme nahm. Aber den Mund öffnete er immer noch nicht.
Atemlos stieß er sie einige Augenblicke später von sich: »Guter Gott, Banner. Was hast du mit mir vor?«
Sie wurde feuerrot. Teile ihres Körpers, die sie vorher kaum zur Kenntnis genommen hatte, fühlten sich jetzt hitzig und fiebrig an. Sie wünschte, sie könnte noch an diesem Nachmittag heiraten, sie wünschte, dieses langsame Feuer würde in ihr weiterglühen, bis - also, bis das geschah. »Tut mir leid, Grady. Ich weiß, das war nicht sehr damenhaft. Aber ich liebe dich einfach so sehr.«
»Ich liebe dich auch.« Er küsste sie noch einmal keusch, bevor er wieder in seinen Einspänner stieg und ihr Auf Wiedersehen sagte.
Obwohl Lee und Micah sie erbarmungslos aufzogen, verbrachte sie jetzt weniger Zeit draußen an den Pferchen bei den Arbeitern und mehr Zeit mit Lydia und Ma im Haus. Ma Langston brachte ihr Sticken bei. Mit peinlicher Aufmerksamkeit arbeitete sie an Kissenbezügen und Servietten, die sie sorgsam bügelte, faltete und in ihre Aussteuertruhe legte.
Hausarbeit hatte sie stets gefürchtet und wenn möglich gemieden. Aber jetzt begann sie, Lydia zu helfen, machte sogar Vorschläge, wie man die Möbel umstellen oder die Fenster im Salon neu dekorieren könnte.
Mit Grady verbrachte sie eine Zeit voller Zauber und Romantik. Sie war glücklich verliebt. Als Grady bei Ross um ihre Hand angehalten hatte, war sie in einer Wolke des Glücks herumgewirbelt, die sie immer noch gefangen hielt.
Jetzt betrachtete sie Grady mit all der Liebe, die sie zum Traualtar geführt hatte. Ihr Herz zitterte bei dem Gedanken an die kommende Nacht. Jeden Tag war es schwerer geworden, die Sehnsucht, die durch ihre Küsse geweckt wurde, zu unterdrücken. Erst vor wenigen Abenden, als sie ihn zu seinem Einspänner gebracht hatte, der unter dem Pekanbaum vorne geparkt war, hatte Grady beinahe die Beherrschung verloren.
Die Arme fest umeinandergeschlossen, hatten sie dagestanden und sich sanft hin und her gewiegt. Ihre Wange ruhte auf seinem Herzen. Sie konnte hören, dass es genauso schnell schlug wie ihres. »Nur noch fünf Nächte, und wir können uns in unserem gemeinsamen Bett gute Nacht sagen.«
Er stöhnte. »Banner, mein Liebling, bitte rede nicht so.«
»Warum?«, fragte sie und hob den Kopf, um ihn anzuschauen.
Er wischte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Weil mein Verlangen nach dir dann noch größer wird.«
»Wirklich, Grady?« Es war sinnlos vorzutäuschen, sie wüsste nicht, was er wollte. Sie war nicht auf einer Pferderanch aufgewachsen, ohne gewisse Kenntnisse über die Fortpflanzung zu erlangen. Außerdem hätte es Banners Charakter widersprochen, so etwas vorzutäuschen. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, sich unwissend zu stellen.
»Ja«, seufzte er. »Ich will dich.« Hart spürte sie seinen Mund auf ihrem. Ihre Lippen teilten sich. Nur einen Augenblick zögerte er, bevor er ihre geöffneten Lippen mit der Zunge berührte.
»Oh, Grady.«
»Es tut mir leid. Ich ...«
»Nein. Hör nicht auf. Küss mich weiter so.«
Er brachte ihr eine neue Art zu küssen bei, die sie erhitzte, atemlos und schwindelig machte. Aber statt die Sehnsucht in ihrem Körper zu stillen, schien sie sie nur zu verstärken. Sie drängte sich gegen ihn.
»Banner«, stöhnte er. Seine Hand glitt von ihrer Schulter zu ihrer Taille hinab. Auf dem Weg nach unten traf sie ihre vollen Brüste. Er hielt inne und drückte sie.
Das Gefühl, das sie durchschauerte, war schöner, als sie es je erhofft hatte. Erschrocken von der Glut und Stärke dieser Empfindung, wich sie vor ihm zurück.
Gradys Augen zogen sich für einen Sekundenbruchteil zu Schlitzen zusammen, dann ließ er den Kopf hängen und starrte zutiefst beschämt auf seine Schuhe. »Banner ...«, begann er.
»Entschuldige dich bitte nicht, Grady.« Ihr sanfter Ton ließ ihn den Blick wieder heben. »Ich wollte, dass du mich berührst. Ich will es immer noch. Aber ich weiß, dass man von Mädchen erwartet, sich nicht so zu benehmen, als genössen sie die - die niedrigen Aspekte des Ehelebens. Ich will nicht, dass du schlecht von mir denkst. Deshalb habe ich dich gebremst.«
Er umklammerte ihre Hände, führte sie zu seinen Lippen und küsste sie glühend. »Ich denke nicht schlecht von dir. Ich liebe dich.«
Sie lachte ihr heiseres, kehliges Lachen, das schon mehr als einen Cowboy in Diensten ihres Vaters bei Nacht schlaflos darüber grübeln ließ, wie es wohl wäre, es mit Banner Coleman zu treiben. »Du wirst keine schüchterne Braut haben, Grady. Du musst mich nicht erst ins Bett locken. «
Als sie später ins Haus zurückgegangen war, hörte sie, wie Ross und Lydia sich ruhig im Salon unterhielten.
»Glaubst du, sie ist schon reif für die Ehe? Sie ist kaum achtzehn«, sagte Ross.
Lydia lachte leise. »Sie ist unsere Tochter, Ross. Ihr ganzes Leben lang hat sie gesehen, wie wir einander lieben. Ich glaube nicht, dass die eheliche Liebe noch irgendwelche Geheimnisse für sie birgt. Sie ist so weit. Und was ihr Alter betrifft - die meisten ihrer Freundinnen sind verheiratet. Manche haben schon Babys.«
»Das sind aber nicht meine Töchter«, brummte er.
»Komm her und setz dich. Wenn du weiter so hin und her tigerst, nutzt du den Läufer noch völlig ab.«
Banner konnte hören, wie sich ihr Vater neben ihre Mutter auf das Sofa setzte. Sie sah im Geiste vor sich, wie er den Arm um Lydia legte, die sich an ihn kuschelte. »Machst du dir Sorgen wegen Grady?«
»Nein«, entgegnete Ross barsch. »Ich nehme an, er ist genauso treu und ehrgeizig, wie der Anschein vermuten lässt. Er scheint Banner zu lieben. Gnade ihm Gott, wenn er ihr ein Unrecht tut; dann kriegt er es mit mir zu tun!«
Sie konnte förmlich sehen, wie die Finger ihrer Mutter beschwichtigend durch sein Haar fuhren. »Dann würde Banner ihm schon die Hölle heißmachen. Sie ist eine sehr willensstarke junge Frau. Oder ist dir das noch nicht aufgefallen? «
»Von wem sie das wohl hat?«, fragte Ross liebevoll. Darauf folgte Schweigen. Banner wusste, dass sie sich jetzt in einer Weise umarmten, die die meisten ihrer Freundinnen erstaunt hätte, die nie gesehen hatten, wie ihre Eltern sich berührten. Sie konnten hören, wie ihre Kleidung raschelte, als sie sich nach dem Kuss bequem zurücksetzten.
Ross sprach als Erster: »Ich habe mir so viel für unsere Kinder gewünscht. Viel mehr, als du und ich als Kinder hatten. «
»Ich kann mich an nichts mehr erinnern, was vor dem Tag, an dem ich dir begegnet bin, geschehen ist.«
»O doch«, entgegnete sie sanft. »Und ich auch. Um Lee mache ich mir nicht so viele Sorgen. Er kann auf sich selbst aufpassen. Aber Banner.« Er seufzte. »Ich würde jeden Mann töten, der sie verletzt. Ich glaube, ich bin froh, dass meine schlimmste Furcht sich nicht bewahrheitet hat.«
»Welche war das?«
»Dass eines Tages irgendein nutzloser Cowboy dahergeritten käme und ihr den Kopf verdrehen würde.«
»Cowboys beeindrucken sie nicht besonders. Sie ist mit ihnen aufgewachsen.«
»Sie war auch nicht immer achtzehn und hatte diesen gewissen Ausdruck in den Augen. Den hat sie erst, seit sie ungefähr sechzehn war.«
»Welchen Ausdruck?«
»Den du auch jedes Mal bekommst, wenn ich beginne, mein Hemd aufzuknöpfen.«
»Ross Coleman, du eingebildeter ...«
Der Wortschwall ihrer Mutter wurde unterbrochen, und Banner zweifelte nicht daran, dass die Lippen ihres Vaters dafür verantwortlich waren.
»Ich habe keinen solchen Ausdruck in den Augen«, protestierte Lydia einige Augenblicke später schwach.
»O doch. Und tatsächlich«, Ross senkte die Stimme, »hast du ihn sogar in diesem Augenblick. Komm her, Frau«, flüsterte er, bevor wieder ein längeres Schweigen folgte.
Lächelnd löschte Banner das Licht in der Eingangshalle und ging in ihr Zimmer hinauf. Sie blickte in ihren Frisierspiegel, presste die Nase gegen das Glas und blickte tief in ihre Augen.
Hatte sie auch »diesen Ausdruck«? Hatte Grady es deshalb gewagt, sie an einer der verbotenen Stellen, über die sie und ihre Freundinnen flüsterten, zu berühren? War sie schlecht, weil sie berührt werden wollte? War Grady schlecht, weil er sie berühren wollte?
Wenn es ihr schon schwerfiel zu widerstehen, wie musste es dann erst für den armen Grady sein, der ja ein Mann war und dessen körperliche Bedürfnisse daher noch schwerer zu kontrollieren waren?
Sie war ins Bett gegangen und hatte versucht zu schlafen. Ihren Verstand beunruhigten viele Fragen, ihren Körper das Verlangen, das Unbekannte kennenzulernen.
Nun, jetzt brauchte sie nicht mehr lange zu warten, dachte sie, als sie beobachtete, wie ihre Brautjungfern durch das Mittelschiff der Kirche hereinzogen, so wie sie es am Tag zuvor geübt hatten.
»Wir sind als Nächste dran, Prinzessin«, sagte Ross. »Bist du bereit?«
»Ja, Papa.«
Sie war bereit. Sie war bereit, von einem Mann geliebt zu werden, bereit, dass das schwelende Feuer in ihrem Körper entfacht und gelöscht wurde. Sie war bereit, einem Mann zu gehören, jemanden zu haben, den sie bei Nacht umarmen konnte, jemanden, der sie umarmte. Sie war es leid, sich wegen verstohlener Küsse und Augenblicke, in denen die Leidenschaft drohte, die Grenzen des Anstands zu überschreiten, schuldig zu fühlen.
Ross führte sie um den Wandschirm herum. Sie gingen das Mittelschiff hinunter, als die Orgel nach einer dramatischen Pause machtvoll einsetzte. Alle standen da und blickten sie an auf ihrem langsamen Marsch. Ein Meer freundlicher Gesichter grüßte sie, die meisten kannte Banner, seit sie ein Baby gewesen war. Bankiers, Kaufleute, Händler, Rechtsanwälte, Rancher und Farmer aus der Nachbarschaft und ihre Familien waren zu Banner Colemans Hochzeitstag gekommen. Mit einer für eine Braut unüblichen Kühnheit lächelte Banner zurück.
Die Langstons standen in der Reihe direkt hinter Lydia. Als Erste Ma, die mit den Tränen kämpfte. Daneben Anabeth, deren Ehemann Hector Drummond und deren Kinder, dann Marynell. Micah stand zwischen Marynell und Banners Halbbruder Lee.
Ihre »Peiniger«.
Als sie ihnen von der Seite einen Blick zuwarf, wusste sie, dass es ihnen selbst jetzt schwerfiel, nicht in ein der Situation völlig unangemessenes Gelächter auszubrechen. Nur die drohenden Blicke von Ma und Ross verhinderten einen Heiterkeitsausbruch.
Die Jungen waren Busenfreunde geworden, als Micah mit seiner Mutter nach River Bend gezogen war. Zuerst war Banner eifersüchtig auf Micah gewesen, der sie ihres einzigen Spielkameraden beraubte. Sie erinnerte sich noch immer an die Zeit, als sie ihm eine Klette unter die Satteldecke gelegt hatte. Er war abgeworfen worden, Gott sei Dank aber nicht schwer verletzt worden oder zu Tode gekommen, wofür die damals sechs Jahre alte Banner selbstsüchtig gebetet hatte.
Stets war sie wie ein Anhängsel hinter den Jungen hergelaufen und hatte darum gebettelt, mitmachen zu dürfen, ganz gleich welche Schandtat sie gerade ausheckten. Oft ließen sie sie mitmachen - aber nur damit sie den Sündenbock abgeben konnte, wenn sie erwischt wurden.
Trotz ihrer Kabbeleien liebte Banner die beiden von ganzem Herzen. Sie sahen gut aus, als sie heute so nebeneinanderstanden. Lee mit seinem dunklen Haar und blitzenden braunen Augen, die er von seiner Mutter Victoria Gentry Coleman geerbt hatte, und Micah so blond wie alle Langstons.
Da fiel Banners Blick auf den letzten Mann in der Bank. Ihm schenkte sie ihr strahlendstes Lächeln.
Jake.
Jake, den sie angebetet hatte, so weit ihre Erinnerung zurückreichte. Sie konnte sich an jeden seiner seltenen Besuche genau erinnern. Er schwenkte sie hoch über seinen Kopf, hielt sie dort oben fest und lächelte ihr ins Gesicht, bis sie strampelte und lachend um Gnade flehte und dabei aber hoffte, er würde sie nie wieder absetzen.
Niemand war so hochgewachsen wie Jake. Niemand so stark. Niemand so blond. Niemand so verwegen. Niemand konnte die Schaukel höher stoßen. Und niemand erzählte bessere Gespenstergeschichten.
Er war ihr Held gewesen, ihr Ritter in schimmernder Rüstung. Die glücklichsten Tage ihres Lebens hatte sie verbracht, wenn Jake nach River Bend kam, weil seine Gegenwart auch alle anderen glücklich machte. Ma, Lydia, Ross, Lee und Micah, auch der alte Moses vor seinem Tod freuten sich auf Jakes Besuche. Schlimm war nur, dass sie viel zu schnell endeten und viel zu unregelmäßig erfolgten.
Als Banner älter und ihr klar wurde, wie selten er kam, überschattete der Gedanke an seine Abreise häufig bereits die Freude an seiner Gegenwart. Sie konnte seine Besuche nicht mehr aus vollem Herzen genießen, weil sie wusste, dass er bald wieder davonreiten und eine Ewigkeit vergehen würde, bevor sie ihn wiedersah.
Deshalb brach heute Morgen beinahe ein Chaos aus, als Micah und Lee zum Frühstück ins Haus kamen und Lee verkündete: »Schaut mal, was wir heute Morgen schlafend in der Scheune gefunden haben!«
Er schubste Jake durch die Hintertür herein. Sofort war Jake von lachenden, schwatzenden Leuten umgeben, die alle gleichzeitig redeten.
»Jake!«
»Mein Sohn!«
»Verdammt noch mal!«
»Ross, pass auf, was du sagst! Die Kinder.«
»Warum hast du in der Scheune geschlafen?«
»Mein Pferd hat ein Steinchen unter das Hufeisen bekommen, als wir gestern Nacht aus dem Zug stiegen.«
»Wir sind auch mit dem Zug gefahren, Onkel Jake!«
»Ja, und sie hatte Angst, ich aber nicht.«
»Ich hatte keine Angst!«
»Um wie viel Uhr bist du angekommen?«
»Wo bist du hergekommen? Fort Worth?«
»Ja, Fort Worth. Es war schon spät. Ich wollte niemanden stören.«
»Als ob du das könntest!«
Ma umarmte ihn, drückte ihn an sich und kniff die Augen zu, damit niemand sah, dass sie feucht waren. Dann hielt sie ihm eine Gardinenpredigt, wie dünn er sei. »Setz dich hin, und ich mache dir ein paar Brötchen und Soße fertig. Geben denn diese Rancher in West Virginia ihren Arbeitern nichts Vernünftiges zu essen? Ich habe schon Strumpfbandvipern gesehen, die waren dicker als du. Hast du dir die Hände gewaschen? Marynell, klapp das Buch zu und schenk deinem großen Bruder Kaffee ein. Anabeth, bring die Kleinen doch mal zur Ruhe. Die machen ja mehr Radau als eine Horde Affen.«
An jedem von Jakes Beinen zerrte ein junger Drummond. Ein anderer hatte seinen Hut geschnappt und probierte ihn auf. Der Jüngste, der noch nicht laufen konnte, war zwischen seine Füße gekrabbelt und trommelte mit einem Löffel auf der Stiefelspitze herum. Anabeth ging um ihre Kinder herum, um ihren Bruder auf die Wange zu küssen, und murmelte ihm ins Ohr: »Ma war ganz krank vor Sorge um dich.« Nachdem sie diese vertrauliche schwesterliche Nachricht an den Mann gebracht hatte, hievte sie ihre Kinder von Jake weg und beförderte sie nach draußen; den Ältesten wies sie an, ein Auge auf das Baby zu haben.
Lydia wurde von Jake mit offenen Armen empfangen und umarmte ihn. »Ich freue mich so, dass du kommen konntest. Wir hatten schon befürchtet, du würdest es nicht schaffen.«
»Das wollte ich doch nicht verpassen«, sagte er und blickte mit seinen blauen Augen von einem geliebten Gesicht in das nächste. »Hallo, Ross«, sagte er und langte um Lydia herum, um Ross' Hand zu schütteln. »Wie geht's?«
»Gut, gut. Und dir, Bubba?« Hin und wieder entschlüpfte ihm noch der alte Spitzname.
»Mäßig bis heiter.«
»Was macht der Job?«
»Hab ihn gekündigt.«
»Gekündigt?« Ma drehte sich mit einem Teller heißer Brötchen in der Hand zu ihm um.
Jake zuckte die Achseln. Offensichtlich wollte er die festliche Stimmung nicht durch eine Diskussion über sein unstetes Leben dämpfen. »Ich musste doch kommen, um die Braut zu sehen. Oder? Wo ist sie eigentlich?«
Sein Blick suchte die Gruppe ab, die sich um ihn geschart hatte, und übersah Banner dabei geflissentlich. Sie hatte sich mit Absicht zurückgehalten, da sie seiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein wollte, wenn sie ihn begrüßte.
»Jake Langston, du weißt, dass ich die Braut bin.« Sie rannte auf ihn zu, warf sich in seine Arme und umarmte ihn stürmisch. Mit den Armen umspannte er ihre Taille und hob sie hoch. Zweimal drehten sie sich im Kreise, bevor er sie wieder absetzte.
Er stieß sie von sich und meinte: »Nein, du kannst nicht die Braut sein. Die Banner Coleman, die ich kenne, trägt Zöpfe, hat aufgeschürfte Schienbeine und Löcher an den Knien ihrer langen Unterhose. Lass mich deine Unterhose sehen, dann weiß ich es genau.« Er bückte sich, um den Rock ihres Kleides anzuheben. Sie kreischte und gab ihm einen Klaps auf die Hände.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 1997 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Sandra Brown
Sandra Brown arbeitete als Schauspielerin und TV-Journalistin, bevor sie mit ihrem Roman »Trügerischer Spiegel« auf Anhieb einen grossen Erfolg landete. Inzwischen ist sie eine der erfolgreichsten internationalen Autorinnen, die mit jedem ihrer Bücher weltweit Spitzenplätze der Bestsellerlisten erreicht. Sandra Brown lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Texas und South Carolina.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sandra Brown
- 2012, Neuveröffentlichung, 512 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Susanne Althoetmar-Smarczyk
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442380537
- ISBN-13: 9783442380534
- Erscheinungsdatum: 15.11.2012
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