Wendezeit für Europa?
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Für den Theologen wie für den Hirten der Kirche ist es eine unausweichliche Pflicht, in den Disput um das rechte Verständnis der Gegenwart und den Weg in die Zukunft miteinzutreten, um dabei die eigene Sphäre des Glaubens zu verdeutlichen und zugleich der Mitverantwortung für die öffentlichen Dinge gerecht zu werden, die auf ihm in dieser Stunde liegt. Ich wage zu hoffen, dass (diese Beiträge) sowohl dem Gläubigen wie dem Zweifelnden etwas zu sagen vermögen und eine Hilfe bei der Bewältigung der Herausforderungen unserer Geschichtsstunde sein können.
Wendezeitfür Europavon Joseph Ratzinger
LESEPROBE
III.Wendezeit für Europa?
LassenSie mich meine Überlegungen zur Situation unseres Kontinents mit einem Bildbeginnen. In der Geschichte Israels erscheint der Sturz der Mauern Jerichoszunächst als Symbol der geschichtsgestaltenden Macht Gottes, dann aber und vorallem auch als Zeichen für die Übereignung des Landes an das Volk, das aus derFremde kam und vierzig Jahre lang durch die Wüste gewandert war. Nichtmilitärische Gewalt hatte die Mauern niedergelegt; vor einem liturgischen Umzugmit Gottes heiliger Lade und vor der Musik war sie eingefallen, die dieseLiturgie begleitete. Das Triumphale dieses Augenblicks, der über alleJahrhunderte hinaus inmitten ungezählter Bedrängnisse ein Signal der Hoffnungblieb, verdunkelte sich freilich wieder in der darauf folgenden Geschichte:Auch in dem nun endlich erreichten Land blieb das Leben ungeborgen und bedroht.Der innere Zerfall gab äusseren Feinden immer neue Macht, und dar schliesslichJericho wieder entstand, wurde zum Vorzeichen neuer Zerstreuung; in der blossdie vorangegangene Auflösung der geistigen Grundlagen der Freiheit auchäusserlich sichtbares Ereignis wird (vgl. 1 Kön 16, 34). Dieses Gewebe ausErfüllung und Verantwortung, aus Gabe und Auftrag kommt einem unwillkürlich inden Sinn, wenn man an die politischen Vorgänge der jüngsten Vergangenheit inEuropa denkt, wobei wir freilich nicht in ungebührlicher Weise die in der Bibelberichtete Heilsgeschichte mit Ereignissen unserer Gegenwart parallelisierenund ihnen nicht eine falsche Sakralität beilegen sollten. Dass Mauern vor einerbetenden Prozession und vor deren Posaunentönen niederfallen, wollte unsaufgeklärten Menschen seit langem reichlich unglaubwürdig erscheinen. Aber nunhaben wir selbst zwar nicht das Gleiche, aber etwas irgendwie Ähnliches erlebt:Die ideologische Mauer, die nicht nur Europa, sondern unsichtbar die ganze Weltüberall teilte, besteht nicht mehr wie ehedem. Und sie ist nicht durchWaffengewalt niedergelegt worden, gewiss auch nicht einfach durch Gebete, aberdurch einen Aufbruch des Geistes, durch Prozessionen für die Freiheit, dieschliesslich in der Tat stärker waren als Stacheldraht und Beton, Der Geist hatseine Kraft bewiesen; der Posaunenstoss der Freiheit war stärker als die Mauer,die sie in Grenzen halten sollte. Und auch wenn wir Gott nicht allzu direkt insSpiel bringen dürfen, bleibt doch, dass der Glaube an ihn oder wenigstens dasFragen nach ihm für die Intonation dieser befreienden Posaunenstösse von nicht geringerBedeutung war.
Dasssich verschlossene Türen aufgetan haben, dass trennende Mauern niederbrachenund dass mehr Freiheit geworden ist - das sind die trostreichen undermutigenden Vorgänge der jüngsten Vergangenheit, die wir nicht aus dem Blickverlieren sollten: Sie sind und bleiben Wegweisung und Grund zur Hoffnung. Aberwir können auch von dem nicht absehen, was die Geschichte Israels über denFortgang der Dinge nach dem Sturz der Mauer sagt: dass die Freude der Freiheitund des gemeinsamen Landes schnell in den Mühsalen des Alltags versickerte;dass das Wohnen im selben Land nicht von selbst den Staat zusammenhielt und dassdie wachsende Gottesvergessenheit wie das egoistische Missverständnis derFreiheit zu einem inneren Zerfall trieb, an dessen Ende von neuem der Verlustder Freiheit stand (vgl. Ri 2, 11-23). Freiheit ist anspruchsvoll; sie erhältsich nicht von selbst, und sie hebt sich gerade dann auf, wenn sie grenzenloszu werden versucht. Anders gesagt: Der Zerfall des Marxismus bringt nicht vonselbst einen freien Staat und eine gesunde Gesellschaft hervor. Das BildwortJesu, dass anstelle eines ausgetriebenen unreinen Geistes sieben weit schlimmerekommen, wenn sie das Haus leer und mit Besen gekehrt finden (Mt 12, 43-45 par),bewahrheitet sich geschichtlich immer wieder. Wer den Marxismus aufgibt, hatdamit noch nicht automatisch eine neue Lebensgrundlage gefunden. Der Verlusteiner ehedem das Leben tragenden Ideologie kann sehr leicht auch in Nihilismusumschlagen, und das wäre dann wirklich die Herrschaft der sieben schlimmerenGeister. Wer aber könnte sich verbergen, dass der Relativismus, dem wir heutealle ausgesetzt sind, ein wachsendes Gefälle zum Nihilismus entwickelt?
Soist die Frage dringend: Mit welchen Inhalten können wir das geistige Vakuumauffüllen, das nach dem Scheitern des marxistischen Experiments entstanden ist?Auf welchen geistigen Grundlagen können wir eine gemeinsame Zukunft bauen, inder sich Ost und West zu neuer Einheit verbinden, aber auch Nord und Süd einen gemeinsamenWeg finden? Wenn wir uns um eine Diagnose für unsere Situation und um einePrognose über unsere künftigen Aufgaben und Möglichkeiten mühen, muss dieses imWeltmassstab geschehen, weil heute immer das Schicksal jedes Teiles derMenschheit vom Ganzen abhängt und die Entscheidungen jedes Teils aufs Ganze zurückwirken,so dass man vom Eigenen nur recht reden kann, indem man vom anderen redet. Ichmöchte daher zunächst einen kurzen Blick auf drei Kraftfelder der heutigenWeltpolitik und Weltwirtschaft, aber auch der geistigen Auseinandersetzungenwerfen: auf die sogenannte westliche Welt, die sich immer mehr mit dem bisherigenOsten Europas verbindet und verschmilzt, seitdem dessen ideologischerDogmatismus zu verdunsten begonnen hat; dann wird ein Blick auf die sogenanntedritte Welt nötig sein, und schliesslich sollen einige Gedanken zu der immerstärker hervortretenden dritten Kraft der Weltpolitik und desmoralisch-religiösen Dramas unserer Zeit, der islamischen Welt, nicht fehlen.
©Johannes Verlag
Porträt von Benedikt XVI.
Die Welt hateinen neuen Papst. Nach nur vier Wahlgängen im Konklave, in dem hinterverschlossenen Türen in der Sixtinischen Kapelle die Kardinäle berieten, stehtder Nachfolger des Apostels Petrus fest. Auf dem Petersplatz in Rom brachen dieMenschen in Jubel aus, als aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle weisserRauch aufstieg. Ausserdem wurden auf Anweisung des jüngst verstorbenen PapstesJohannes Paul II. erstmals die Glocken des Petersdoms geläutet - um anzuzeigen,was später auf der Benediktionsloggia verkündetwurde: Habemus papam!" Seit 482 Jahren einigten sichdie 115 Kardinäle, die jünger als 80 Jahre alt und somit wahlberechtigt sind,erstmals wieder auf einen Deutschen. Es ist Joseph Kardinal Ratzinger, der sich selbst den Namen Benedikt XVI. gab. Doch wer ist dieserneue Papst, der auch Bischof von Rom ist?
JosephAlois Ratzinger wurde am 16. April 1927 in Marktl amInn (Bayern) als Sohn eines Polizisten geboren. Während des Zweiten Weltkriegswar Ratzinger Flakhelfer und geriet schliesslich in amerikanischeKriegsgefangenschaft. Nach dem Studiumder Theologie und Philosophie (1946 bis 1951) wurde Ratzinger zum Priestergeweiht. 1953 promovierte Ratzinger, 1957 habilitierte er. 1958 wurde RatzingerProfessor für Dogmatik in Freising.Mit 31 Jahren war er damit einer der jüngsten Professoren des Landes. WeitereStationen seiner Lehrtätigkeit führten ihn unter anderem nach Münster (1963 bis1966), Tübingen (1966 bis 1969) und Regensburg (1969 bis 1979). Während des von1962 bis 1965 abgehaltenen ZweitenVatikanischen Konzils war Ratzinger einer der Berater des KölnerErzbischofs, Joseph Kardinal
Mit derNamenswahl - Benedikt XVI. - gibt der neue Papst immer auch zu erkennen, wem ersich im Glauben besonders zugehörig fühlt. Benedikt von Nursiawird in der Kirche als Heiliger verehrt und steht für ein kontemplatives,asketisches, mönchisches Leben. Der unmittelbare Vorgänger", Benedikt XV.,gilt als Friedenspapst. Während seiner Amtszeit im Ersten Weltkrieg leistetedie Kirche humanitäre Hilfe. Der Papst unternahm mehrere, vergebliche Versuche,Friedensverhandlungen einzuleiten.
BenediktXVI. wird dem konservativen Flügel, den Bewahrern", zugerechnet. Dafür stehtauch sein Wirken als Präfekt der Glaubenskongregation. Er arbeitete eng mitseinem Vorgänger, Johannes Paul II., zusammen. Der neue Papst ist Autorzahlreicher Bücher, darunter Salz der Erde", Einführung in das Christentum"oder Werte in Zeiten des Umbruchs".
- Autor: Joseph Ratzinger
- 2005, 3. Aufl., 128 Seiten, Masse: 14,1 x 22,2 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Johannes Verlag Einsiedeln
- ISBN-10: 3894113022
- ISBN-13: 9783894113025
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