Weiberregiment / Scheibenwelt Bd.28
Das bettelarme Borograwien bringt die einzige Grossmacht gegen sich auf, das ferne Ankh-Morpork. Da entschliesst sich die junge Polly Perks, heimlich Soldat zu werden, um ihren Bruder Paul heimzuholen. Dabei ist es streng verboten, dass Frauen sich wie...
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Das bettelarme Borograwien bringt die einzige Grossmacht gegen sich auf, das ferne Ankh-Morpork. Da entschliesst sich die junge Polly Perks, heimlich Soldat zu werden, um ihren Bruder Paul heimzuholen. Dabei ist es streng verboten, dass Frauen sich wie Männer kleiden - trotzdem scheint Polly nicht der einzige weibliche Soldat zu sein.
Weiberregiment von Terry Pratchett
LESEPROBE
Polly schnitt sich vor dem Spiegel das Haar ab und bekamdabei ein schlechtes Gewissen, weil sie gar kein schlechtes Gewissen hatte.Eigentlich war das Haar ihre krönende Pracht, und alle nannten es wundervoll,aber bei der Arbeit trug sie es normalerweise in einem Netz. Sie hatte immergedacht, dass es an sie verschwendet war. Nichtsdestotrotz achtete sie darauf,dass die langen goldenen Locken auf das kleine Tuch fielen, das sie aufnehmensollte.
Hätte sie zu diesem Zeitpunkt irgendwelche starken Gefühle zugegeben, dann denÄrger darüber, dass ein Haarschnitt genügte, um sie als jungen Mann durchgehenzu lassen. Sie brauchte nicht einmal ihren Busen flach zu binden, was insolchen Fällen üblich war, wie sie gehört hatte. Sie verdankte es der Natur,dass es in dieser Hinsicht kaum Probleme gab.
Die Schere erzielte eine unregelmässige Wirkung, aber der Haarschnitt warnicht schlechter als der vieler Männer. Er würde seinen Zweck erfüllen. Pollyfühlte Kühle im Nacken, aber das lag nur zum Teil am fehlenden Haar. Es lagauch an dem Blick.
Die Herzogin beobachtete sie von ihrem Platz über dem Bett.
Es war kein besonders guter Holzschnitt, handgemalt, grösstenteils blau und rot.Er zeigte eine schlichte Frau in mittleren Jahren, mit durchhängendem Kinn undhervorquellenden Augen, was Zynikern den Eindruck vermittelte, jemand hätteeinen grossen Fisch in ein Kleid gestopft. Doch dem Künstler war es gelungen, indem seltsam leeren Gesicht etwas zum Ausdruck zu bringen. Manche Bilder hattenAugen, deren Blick einem folgte, wenn man durchs Zimmer schritt. In diesem Fallstarrten sie durch einen hindurch. Dieses Gesicht fand sich in jedem Haus. In Borograwien wuchs man mit der Herzogin auf, die einenbeobachtete.
Polly wusste, dass ein Bild der Herzogin im Schlafzimmer ihrer Eltern hing, undsie wusste auch, dass ihre Mutter zu Lebzeiten jeden Abend einen Knicks davorgemacht hatte. Sie griff nach oben und drehte das Bild mit dem Gesicht zurWand. Eine Stimme in ihrem Kopf sagte Nein. Polly achtete nicht darauf. Sie hattesich entschieden.
Sie zog die Kleidung ihres Bruders an, stopfte den Inhalt des Tuchs in einenkleinen Beutel, den sie zusammen mit den zusätzlichen Sachen ganz unten imRucksack verstaute, legte einen Zettel aufs Bett, griff nach dem Rucksack und kletterteaus dem Fenster. Es war Polly, die aus dem Fenster kletterte, doch Olivers Füsseberührten unten den Boden.
Die Morgendämmerung machte eine dunkle Welt grau, als sie über den Hof desGasthauses huschte. Die Herzogin blickte auch von dem Schild über dem Eingangherab. Pollys Vater war ein grosser Loyalist gewesen, zumindest bis zum Todihrer Mutter. In diesem Jahr war das Schild nicht neu gemalt worden, und einKlecks Vogeldreck liess die Herzogin schielen.
Polly vergewisserte sich, dass der Karren des Rekrutierungsfeldwebels nochimmer vor der Taverne stand. Der Regen der vergangenen Nacht hatte die buntenFahnen schwer herabhängen lassen und ihre Farben getrübt. Nach dem Aussehen desdicken Feldwebels zu urteilen, würde es noch Stunden dauern, bis der Karrenwieder auf der Strasse war. Sie hatte jede Menge Zeit. Er schien ein langsamer Frühstücker zu sein.
Sie schlüpfte durch die Hintertür und ging bergauf. Oben blieb sie stehen undblickte zu dem erwachenden Ort zurück. Rauch kam aus einigen Schornsteinen,aber das Wirtshaus schlief noch - Polly stand immer als Erste auf und musstedie Dienstmädchen aus ihren Betten scheuchen. Sie wusste, dass Witwe Klimm überNacht geblieben war (ihr Vater meinte, es hätte so stark geregnet, dass sienicht nach Hause zurückkehren konnte), und Polly hoffte um seinetwillen, dasssie jede Nacht blieb. Im Ort mangelte es nicht an Witwen, und Eva Klimm wareine warmherzige Frau, die meisterhaft zu backen verstand. Die lange Krankheitseiner Angetrauten und Pauls lange Abwesenheit hatten Pollys Vater sehrzugesetzt. Die alten Frauen, die ihre Tage damit verbrachten, aus den Fensternzu schauen und alles zu beobachten, spionierten, ärgerten sich und tuschelten.Aber das machten sie schon zu lange; niemand hörte mehr auf sie.
Polly hob den Blick. Rauch und Dampf stiegen bereits von der Wäscherei derMädchenschule auf. Wie eine Drohung ragte die Schule am einen Ende des Ortesauf, gross und grau, mit hohen, schmalen Fenstern. Immer herrschte dort Stille.Als Polly klein gewesen war, hatte man ihr erzählt, dass die »bösen Mädchen«dorthin kamen. Die Art des »Bösen« wurde nicht erklärt, und im Alter von fünfJahren gewann Polly die vage Vorstellung, »böse« bedeutete, nicht ins Bett zugehen, wenn man dazu aufgefordert wurde. Als Achtjährige hatte sie gelernt: Manwar böse, wenn man das Glück hatte, nicht losgehen und für den Bruder einenMalkasten kaufen zu müssen. Sie drehte sich um und wanderte zwischen denBäumen, in denen Vögel zwitscherten.
Vergiss, dass du jemals Polly gewesen bist. Denk wie ein junger Mann, daraufkam es an. Furz laut und voller Zufriedenheit, wenn du eine Arbeit gut gemachthast. Beweg dich wie eine Marionette, bei der einige Fäden durchgeschnittensind. Umarme nie jemanden. Und wenn du einen Freund triffst, so knuff ihn.Einige Jahre Arbeit im Wirtshaus hatten viel Anschauungsmaterial geliefert.Zumindest war es kein Problem, nicht die Hüften zu schwingen. Auch dabei hattedie Natur gespart.
Und dann galt es noch, die Gangart eines jungen Mannes nachzuahmen. Frauenschwangen wenigstens nur ihre Hüften. Junge Männer schwangen alles, von denSchultern abwärts. Man muss versuchen, möglichst viel Platz einzunehmen, dachtePolly. Dann sieht man grösser aus, wie ein Kater mit aufgebauschtem Schwanz. Siehatte es im Wirtshaus oft gesehen. Die Jungen versuchten, gross zu gehen, es warSelbstverteidigung gegen die anderen grossen Jungs dort draussen. Ich bin böse,ich bin grimmig, ich bin cool, ich möchte ein Glas Alsterwasser, und meineMutter will, dass ich um neun zu Hause bin
Mal sehen Die Arme so vom Körper gestreckt, als trügen sie Mehlsäcke okay.Die Schultern so bewegen, als bahnte sie sich einen Weg durch eineMenschenmenge okay. Mit den gewölbten Händen rhythmische Bewegungen machen,als drehten sie zwei unabhängige Griffe an der Taille okay. Die Beine lockerund krumm, wie die eines Affen okay
Es funktionierte einige Meter weit, bis Polly durcheinander kam, und die darausresultierende muskuläre Verwirrung warf sie in einGebüsch. Danach gab sie es auf.
Das Unwetter kehrte zurück, als sie über den Weg eilte; manchmal hing einstagelang in den Bergen. Aber hier oben war der Pfad wenigstens keinSchlammbach, und die Bäume hatten noch genug Blätter, um Polly ein wenig Schutzzu bieten. Sie hatte nicht die Zeit, besseres Wetter abzuwarten. Ein langer Weglag vor ihr. Der Rekrutierungskarren würde den Fluss mit der Fähre überqueren,aber die Fährmänner kannten Polly, und der Wächter würde die Reiseerlaubnissehen wollen, die Oliver Perks natürlich nicht hatte.Das bedeutete einen weiten Umweg zur Trollbrücke bei Tübz.Für Trolle sahen Menschen alle gleich aus, und jedes Stück Papier genügte alsErlaubnisschein, da sie nicht lesen konnten. Anschliessend wollte Polly durchden Kiefernwald nach Plün wandern. Der Karren musstedort für die Nacht anhalten, doch der Ort war eins jener abgelegenen Nester,die nur existierten, damit Landkarten die Verlegenheit zu vieler leerer Stellenerspart blieb. Niemand kannte sie in Plün. Niemandkam je dorthin. Es war ein elendes Kaff.
Der ideale Ort für Polly. Die Rekrutierungsgruppe würde dort übernachten, unddas gab ihr Gelegenheit, sich anwerben zu lassen. Dergrosse dicke Feldwebel und sein schmieriger kleiner Korporal würden bestimmtnicht das Mädchen wiedererkennen, das sie amvergangenen Abend bedient hatte. Polly war keine konventionelle Schönheit. DerKorporal hatte versucht, sie in den Po zu zwicken, aber wahrscheinlich ausreiner Angewohnheit, so wie man nach einer Fliege schlug, und es gab auch garnicht viel, in das man zwicken konnte.
Auf dem Hügel über der Fähre nahm sie Platz, genehmigte sich ein spätesFrühstück aus kalten Kartoffeln und Wurst und beobachtete dabei, wie der Karrenübersetzte. Niemand ging hinter ihm. Diesmal waren in Munzkeine jungen Burschen rekrutiert worden. Die Leute hielten sich fern. Währendder letzten Jahre hatten zu viele junge Männer den Ort verlassen, und zu wenigewaren zurückgekehrt. Und manchmal brachten jene, die zurückkehrten, nicht alleTeile von sich mit. Sosehr der Korporal auch auf seine Trommel hämmerte: DemDorf Munz gingen die Söhne fast ebenso schnell aus,wie sich dort Witwen ansammelten.
Der Nachmittag hing schwer und feucht, und ein Singvogel folgte Polly von Buschzu Busch. Der Schlamm der vergangenen Nacht dampfte, als sie die Trollbrückeerreichte, die den Fluss in einer schmalen Schlucht überspannte. Sie war dünnund elegant geschwungen, und angeblich hielt sie ohne Mörtel zusammen. Es hiess,dass ihr eigenes Gewicht sie fest im Felsgestein auf beiden Seiten verankerte.Ein Wunder der Welt sollte sie sein, aber die Leute in dieser Gegend wundertensich nicht oft und waren sich der Welt kaum bewusst. Es kostete einen Cent, dieBrücke zu überqueren, oder hundert Goldstücke, wenn man einen Ziegenbock dabeihatte. Auf halbem Wege zur anderen Seite blickte Polly übers Geländer und sahden Karren tief unten. Er rollte über die schmale Strasse dicht über dem weissschäumenden Wasser.
Den ganzen Nachmittag über ging es bergab, durch den dunklen Kiefernwald aufdieser Seite der Schlucht. Polly beeilte sich nicht, und bei Sonnenuntergangsah sie das Wirtshaus. Der Karren war bereits eingetroffen, und allem Anscheinnach hatte der Rekrutierungsfeldwebel nicht einmal einen Versuch gemacht. Esertönte kein Trommelschlag wie am vergangenen Abend, und es erklangen auchkeine Rufe wie: »Kommt, ihr Grünschnäbel! Das Leben ist grossartig bei den Rein-und-Raussern!«
Es gab immer Krieg. Es war ein Grenzstreit, das nationale Äquivalent desVorwurfs, dass der Nachbar seine Hecke zu lang wachsen liess. Manchmal wurde dieSache grösser. Borograwien war ein friedliebendesLand, umgeben von verräterischen, heimtückischen und kriegerischen Feinden. Esmussten verräterische, heimtückische und kriegerische Feinde sein, denn sonstwürden wir ja nicht gegen sie kämpfen. Es gab immer Krieg.
Pollys Vater war beim Militär gewesen, bevor er das Wirtshaus »Zur Herzogin«von Pollys Grossvater übernommen hatte. Er sprach nicht viel darüber. Er hattesein Schwert mit nach Hause gebracht, hängte es aber nicht über den Kamin,sondern benutzte es als Schürhaken. Manchmal besuchten ihn Freunde, und wenndie Gaststube für die Nacht geschlossen hatte, sassen sie am Feuer, tranken undsangen. Die junge Polly hatte einen Vorwand gefunden, um aufzubleiben und denLiedern zuzuhören, doch das fand ein Ende, als sie eins der interessanterenWörter in Anwesenheit ihrer Mutter benutzte und sich dadurch in Schwierigkeitenbrachte. Jetzt war sie älter und servierte Bier, undman nahm an, dass sie die Wörter kannte oder bald herausfinden würde, was siebedeuteten. Ausserdem befand sich ihre Mutter inzwischen an einem Ort, wo siekeinen Anstoss mehr an Wörtern nahm und wo solche Ausdrücke, rein theoretisch,nie benutzt wurden.
Die Lieder waren Teil von Pollys Kindheit gewesen. Sie kannte den Text von »DieWelt steht Kopf«, »Der Teufel soll mein Feldwebel sein«, »Ich hatt einen Kameraden«, »Als Jungen wurden wir Soldaten« und»Ich liess ein Mädchen zurück«. Nachdem das Bier eine Zeit lang geflossen war,hatte Polly Gelegenheit bekommen, sich die Worte von »Oberst Krapski« und »Ich wünschte, ich hätte sie nie geküsst«einzuprägen.
Und dann gab es da noch das Lied »Süsse Polly Oliver«. Ihr Vater hatte esgesungen, wenn sie als kleines Mädchen gereizt oder traurig gewesen war, undsie hatte gelacht und Freude daran gefunden, hauptsächlich deshalb, weil ihrName darin vorkam. Sie kannte den Text auswendig, noch bevor sie begriff, wasdie einzelnen Wörter bedeuteten. Und jetzt
Polly öffnete die Tür. Der Rekrutierungsfeldwebel und sein Korporal sahen vondem fleckigen Tisch auf, an dem sie sassen, die Bierkrüge auf halbem Weg zu denLippen. Sie atmete tief durch, trat an den Tisch heran und versuchte zusalutieren.
»Was willst du, Junge?«, knurrte der Korporal.
»Möchte Soldat werden, Herr!«
Der Feldwebel wandte sich Polly zu und grinste, was sonderbare Bewegung inseine Narben brachte und alle Kinne wackeln liess. Das Wort »dick« konnte manbei ihm eigentlich nicht verwenden, nicht wenn das Wort »fett« sich nach vorndrängelte. Er gehörte zu den Leuten, die keine Taille haben, sondern einenÄquator. Er hatte Schwerkraft. Wenn er fiel, in welche Richtung auch immer,würde er schaukeln. Sonnenschein und Alkohol hatten sein Gesicht rot gebrannt.Kleine dunkle Augen funkelten in der Röte wie die glitzernde Schneide einesMessers. Neben ihm auf dem Tisch lagen zwei altmodische Entermesser, Waffen,die mehr Ähnlichkeit mit einem Hackbeil hatten als mit einem Schwert.
»Einfach so?«, fragte er.
»Jaherr!«
»Im Ernst?«
»Jaherr!«
»Du möchtest nicht, dass wir dich zuerst stockbetrunkenmachen? Das ist Tradition, weisst du.«
»Neinherr!«
»Ich habe dir noch nicht von den wundervollen Aufstiegs undVerdienstmöglichkeiten erzählt, oder?«
»Neinherr!«
»Habe ich darauf hingewiesen, dass du dir in der prächtigen roten Uniform dieMädchen mit einem Knüppel vom Leib halten musst?«
»Glaube nicht, Herr!«
»Und das Essen? Jede Mahlzeit ist wie ein Bankett, wenn du mit uns marschierst!« Der Feldwebel klopfte sich auf den Bauch, was ferneRegionen erbeben liess. »Ich bin der lebende Beweis dafür!«
»Ja, Herr. Nein, Herr. Ich möchte Soldat werden, um für mein Land und die Ehreder Herzogin zu kämpfen, Herr!«
»Tatsächlich?«, fragte der Korporal ungläubig, aber der Feldwebel schien dasnicht zu hören. Er musterte Polly von Kopf bis Fuss, und Polly sah ganz klar,dass der Mann weder so betrunken noch so dumm war, wie er aussah.
»Potzblitz, Korporal Strappi,mir scheint, wir haben hier nicht weniger als einen guten, altmodischenPatrioten«, sagte er, und sein Blick kehrte zu Pollys Gesicht zurück. »Nun, dubist hier genau an der richtigen Stelle, mein Junge!«Geschäftig schob er ein Bündel Papiere auf Polly zu. »Weisst du, wer wir sind?«
»Das Zehnte Regiment, Herr. Leichte Infanterie, Herr. Bekannt als die Rein-und-Rausser, Herr«, sagte Polly, vor Erleichterungsprudelnd. Sie hatte ganz offensichtlich eine Art Test bestanden.
»Stimmt, Junge. Ausgezeichnete Käsler, allesamt. Dasbeste Regiment überhaupt, im besten Heer auf der ganzen Welt. Willst unbedingtdazugehören, wie?«
»Bin Feuer und Flamme, Herr!«, sagte Polly und spürte den argwöhnischen Blickdes Korporals auf sich ruhen.
»Bravo!«
Der Feldwebel schraubte ein Tintenfässchen auf und tauchte die Spitze einerSchreibfeder hinein. Seine Hand verharrte über den Papieren. »Name, Junge?«, fragte er.
»Oliver, Herr. Oliver Perks«, sagte Polly.
»Alter?«
»Siebzehn am kommenden Sonntag, Herr.«
»Ja«, brummte der Feldwebel. »Du bist siebzehn, und ich bin die Grossherzogin Annagowia. Wovor läufst du weg, hm? Vor einer jungen Damein anderen Umständen?«
»Dabei hätte ihm jemand helfen müssen«, sagte der Korporal und lächelte. »Erquiekt wie ein Knäblein vor dem Stimmbruch.«
Polly spürte, wie sie errötete. Aber der junge Oliver wäre ebenfalls rotgeworden. Es war ganz leicht, einen Jungen erröten zu lassen. Polly brachte dasallein mit Starren fertig.
»Spielt keine Rolle«, sagte der Feldwebel. »Du setzt dein Kreuz unter diesesDokument hier und küsst die Herzogin, und dann bist du mein Junge, verstanden?Ich bin Feldwebel Jackrum. Ich werde deine Mutter und dein Vater sein, undKorporal Strappi hier kannst du dir als eine Artgrossen Bruder vorstellen. Und das Leben wird jeden Tag Steak und Schinken sein,und wer dich wegbringen will, muss auch mich fortzerren, weil ich mich nämlichan deinem Kragen festhalte. Und du hast allen Grund zu der Annahme, dassniemand solche Massen bewegen kann, Herr Perks.« Ein dicker Daumen stiess aufs Papier herab. »Hier andieser Stelle.«
Polly nahm die Feder und unterschrieb.
»Was ist das?«, fragte der Korporal.
»Meine Unterschrift«, sagte Polly.
Sie drehte sich um, als sie hörte, wie die Tür hinter ihr aufschwang. Mehrerejunge Männer - sie korrigierte sich: mehrere andere junge Männer - kamen insWirtshaus und blickten sich vorsichtig um.
»Du kannst auch lesen und schreiben?«, fragte derFeldwebel, sah zu den Neuankömmlingen und dann wieder zu Polly. »Ja,tatsächlich. Und die Handschrift ist hübsch rund. Hast das Zeug zum Offizier.Gib ihm den Schilling, Korporal. Und natürlich auch das Bild.«
»Ja, Feldwebel«, erwiderte Korporal Strappi und hobein gerahmtes Bild an einem Griff wie einen Spiegel. »Spitz die Lippen, SoldatPimmel.«
»Ich heisse Perks, Herr«, sagte Polly.
»Ja, in Ordnung. Und nun küss die Herzogin.«
Es war keine gute Kopie des berühmten Bilds. Die Farben hinter dem Glas warenverblasst, und etwas, eine Art Moos oder so, wuchs an der Innenseite desgesprungenen Glases. Polly stellte einen kurzen Kontakt mit den Lippen her undhielt dabei den Atem an.
»Hier, nimm«, sagte Strappi und drückte ihr etwas indie Hand.
»Was ist das?«, fragte Polly und blickte auf einkleines Quadrat aus Pappe hinab.
»Ein Schuldschein. Leider sind uns die Schillinge ausgegangen«, erklärte derFeldwebel, während der Korporal grinste. »Aber der Wirt spendiert dir ein Bier,im Namen der Herzogin.«
Er drehte den Kopf und sah die anderen an. »Nun, ein Unglück kommt seltenallein. Wollt ihr Jungs ebenfalls zum Militär? Ich kann beschwören, dass wirnoch nicht einmal die Trommel geschlagen haben. Vermutlich liegt es an KorporalStrappis erstaunlichem Charisma. Nicht so schüchtern,kommt näher. Wer ist der Nächste?«
Polly musterte den nächsten Rekruten mit einem Entsetzen, von dem sie hoffte,dass man es ihr nicht ansah. Sie hatte ihn im Halbdunkel nicht bemerkt, denn ertrug Schwarz - kein cooles, modisches Schwarz, sondern verstaubtes Schwarz,jene Art von Kleidung, in der man Leute bestattete. So wie er aussah Erschien eine solche Bestattung hinter sich zu haben. Spinnweben klebten an denschwarzen Kleidern, und seine Stirn war voller Nähte.
»Dein Name, Junge?«, fragte Jackrum.
»Igor, Herr.«
Jackrum zählte die Nähte.
»Ich dachte mir schon, dass du so heisst«, sagte er. »Und du bist achtzehn, wieich sehe.«
»Erwacht!«
»Oh, bei den Göttern « Kommandeur Samuel Mumm hob die Hände vor die Augen.
»Ich bitte um Entschuldigung, Euer Gnaden«, sagte der Konsul von Ankh-Morpork in Zlobenien. »Bistdu krank, Euer Gnaden?«
»Wie lautete noch dein Name, junger Mann?«, fragte Mumm. »Tut mir Leid, aberich bin zwei Wochen unterwegs gewesen und hab nur wenig Schlaf bekommen.Ausserdem hat man mir immer wieder Leute mit schwierigen Namen vorgestellt. Dasist schlecht fürs Gehirn.«
»Ich heisse Clarence, Euer Gnaden. Clarence Kinn.«
»Kinn?«, wiederholte Mumm, und Clarence konnte alles Weitere seinemGesichtsausdruck entnehmen.
»Ich fürchte ja, Euer Gnaden«, sagte er.
»Warst du ein guter Kämpfer in der Schule?«, fragteMumm.
»Nein, Euer Gnaden. Aber niemand konnte mich im Hundertmeterlauf schlagen.«
Mumm lachte. »Nun, Clarence, eine Nationalhymne, die mit Erwachet! beginnt, fordert Schwierigkeiten geradezu heraus. Hat mandich im Büro des Patriziers nicht darauf hingewiesen?«
»Äh nein, Euer Gnaden«, sagte Kinn.
»Du wirst es bald merken. Na schön, lass hören.«
»Ja, Herr.« Kinn räusperte sich. »Die Nationalhymne von Borograwien«,kündigte er zum zweiten Mal an.
»Erwachet, entschuldige, Euer Gnaden, ihr Söhne des Vaterlands! Kostet nichtmehr den Wein saurer Äpfel. Waldarbeiter, ergreift eure Beile! Bauern, tötetmit dem Werkzeug, das ihr zuvor zum Heben von Rüben benutzt habt! Macht dieendlose List unserer Feinde zunichte. Singend marschieren wir in dieDunkelheit, Gegen die ganze Welt in Waffen. Doch seht das goldene Licht an denBerggipfeln! Der neue Tag ist ein grosser dicker Fisch!«
»Äh «, sagte Mumm. »Das letzte Stück «
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Andreas Brandhorst
- Autor: Terry Pratchett
- 2006, 413 Seiten, Masse: 11,4 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Andreas Brandhorst
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442461952
- ISBN-13: 9783442461950
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