Verschwörung im Zeughaus
Historischer Roman
Apothekerin Adelina ist entsetzt: Ihr Bruder Tilman wird in einen Hinterhalt gelockt und des Mordes bezichtigt. Wer will Tilman aus dem Verkehr ziehen? Und warum? Adelina stellt Nachforschungen an und steht bald vor einer schweren Entscheidung.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Verschwörung im Zeughaus “
Apothekerin Adelina ist entsetzt: Ihr Bruder Tilman wird in einen Hinterhalt gelockt und des Mordes bezichtigt. Wer will Tilman aus dem Verkehr ziehen? Und warum? Adelina stellt Nachforschungen an und steht bald vor einer schweren Entscheidung.
Klappentext zu „Verschwörung im Zeughaus “
Ein spannender Kriminalroman, eingebettet in das fabenprächtige Gemälde des mittelalterlichen Köln.Im frühen Dämmerlicht, als die Stadt zum Leben erwacht, nähert sich verstohlen eine Gestalt dem Haus von Apothekerin Adelina: Ihr Bruder Tilmann - schwer verwundet. Der Hauptmann der Kölner Stadtgarde kann nur noch ein paar Worte stammeln, bevor er zusammenbricht. Die zweite Begegnung an diesem Morgen ist nicht weniger verstörend für Adelina: Ihr Bruder wird wegen Mordes gesucht. Von einer Verschwörung ist die Rede, im Zeughaus wurde eine Leiche gefunden, neben ihr Tilmanns Dolch. Was ist geschehen? Während Tilmann mit dem Tode ringt, kämpft Adelina ihren eigenen Kampf: Soll sie den ungeliebten Bruder verraten, um ihre Familie zu schützen?
Ein spannender Kriminalroman, eingebettet in das fabenprächtige Gemälde des mittelalterlichen Köln.
Im frühen Dämmerlicht, als die Stadt zum Leben erwacht, nähert sich verstohlen eine Gestalt dem Haus von Apothekerin Adelina: Ihr Bruder Tilmann - schwer verwundet. Der Hauptmann der Kölner Stadtgarde kann nur noch ein paar Worte stammeln, bevor er zusammenbricht.
Die zweite Begegnung an diesem Morgen ist nicht weniger verstörend für Adelina: Ihr Bruder wird wegen Mordes gesucht. Von einer Verschwörung ist die Rede, im Zeughaus wurde eine Leiche gefunden, neben ihr Tilmanns Dolch. Was ist geschehen?
Während Tilmann mit dem Tode ringt, kämpft Adelina ihren eigenen Kampf: Soll sie den ungeliebten Bruder verraten, um ihre Familie zu schützen?
Im frühen Dämmerlicht, als die Stadt zum Leben erwacht, nähert sich verstohlen eine Gestalt dem Haus von Apothekerin Adelina: Ihr Bruder Tilmann - schwer verwundet. Der Hauptmann der Kölner Stadtgarde kann nur noch ein paar Worte stammeln, bevor er zusammenbricht.
Die zweite Begegnung an diesem Morgen ist nicht weniger verstörend für Adelina: Ihr Bruder wird wegen Mordes gesucht. Von einer Verschwörung ist die Rede, im Zeughaus wurde eine Leiche gefunden, neben ihr Tilmanns Dolch. Was ist geschehen?
Während Tilmann mit dem Tode ringt, kämpft Adelina ihren eigenen Kampf: Soll sie den ungeliebten Bruder verraten, um ihre Familie zu schützen?
Lese-Probe zu „Verschwörung im Zeughaus “
Verschwörung im Zeughaus von Petra Schier Prolog
Die Nacht hatte sich bereits über die Dächer und Kirchtürme von Köln gesenkt, als der Hauptmann das Zeughaus betrat. Er hängte den Kienspan, den er mit sich trug, in eine der Wandhalterungen, dann rieb er die Hände aneinander, die beim Ritt durch die kalte Herbstluft gefühllos geworden waren. In der kleinen Eingangshalle stapelten sich Holzkisten; vermutlich enthielten sie die neuen Bolzen für die Armbrüste und Büchsen, die Johann van Spele, der Büchsenmeister, diese Woche zu liefern versprochen hatte.
Kurz hob er einen der Kistendeckel an und nickte sinnierend. Noch schien die Lieferung vollständig zu sein. Am besten zählte er gleich heute noch die Anzahl der Bolzen und Büchsen und hielt sie schriftlich fest. Es erschien ihm als eine Schande, dass dies überhaupt notwendig geworden war. Jemand betrog die Stadt Köln, und das konnte man nicht auf sich beruhen lassen. Die gesammelten Beweise wogen schwer, und solange sie nicht vor die Schöffen gebracht worden waren, konnte er niemandem trauen. Niemandem - bis auf einem Mann, einem Freund und langjährigen Waffengefährten. Gemeinsam waren sie den Vorgängen hier im Zeughaus und der Verschwörung gegen die Stadt auf die Spur gekommen. Gemeinsam würden sie auch dagegen vorgehen, deshalb wollten sie sich heute hier treffen.
Entschlossen, die Wartezeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, legte er die lederne Umhängetasche, die er über der Schulter trug, auf einer der Kisten ab und ging in den Nebenraum, um sich Wachstafel und Griffel zu holen. Sobald die gelieferten Waffen gezählt waren, würde er einen Schreiber alles auf Papier übertragen lassen.
... mehr
Als er in die Eingangshalle zurückkehrte, spürte er einen Luftzug. Die Tür stand einen Spalt weit offen. Überrascht blickte er sich um. War sein Freund hereingekommen, ohne dass er ihn gehört hatte? Das wäre allerdings peinlich, bildete er sich doch so viel auf sein gutes Gehör und seine flinken Sinne ein.
Ein Rascheln hinter ihm ließ ihn herumfahren und dann erheitert auflachen. «Liebe Güte, hast du mich erschreckt! Ich werde anscheinend alt, wenn du dich jetzt schon so leicht an mich heranschleichen kannst.»
«Möglich», antwortete sein Gegenüber grinsend und trat näher. «Fest steht allerdings, dass du nicht noch älter werden wirst.»
«Wie bitte?» Verblüfft hob er die Brauen. «Soll das ein Scherz sein?»
«Keineswegs.»
Im Schein des Kienspans blitzte eine Dolchklinge auf. Ehe er sich's versah, stand der dunkelhaarige Hüne dicht vor ihm.
«Was soll das?», brachte er gerade noch hervor. «Bist du verrückt gew ... » Keuchend brach er ab, als sich die lange Klinge mit einem schnellen Stoß tief in seinen Körper bohrte und dabei seine Eingeweide tödlich verletzte.
Seine Augen wurden groß, unsäglicher Schmerz durchfuhr ihn. Verständnislos starrte er seinem Gegenüber ins gleichgültige Gesicht. Er versuchte, etwas zu sagen, röchelte jedoch nur noch und taumelte rückwärts. Sein Mörder zog den Dolch mit einem Ruck aus seinem Leib und stach gleich darauf noch einmal zu.
Blut schoss durch seine Kehle in den Mund. Er rang verzweifelt nach Atem, wehrte sich gegen das Unvermeidliche. Doch das Leben floss bereits aus ihm heraus. Er ging in die Knie, dann schwanden ihm die Sinne, und er kippte vornüber. Das Letzte, was er vernahm, war ein abfälliges Schnauben und die Worte: «Das ging ja leichter als gedacht.»
1. Kapitel
Was ist das denn? Pfui, wie eklig!» Kopfschüttelnd stand Adelina vor dem Verkaufstresen in ihrer Apotheke und blickte auf die tote Maus, die in einer der Schalen ihrer Waage lag. «Colin?», rief sie streng. «Wo steckst du? Ist das dein Werk?» Sie stemmte die Hände in die Seiten und blickte zur Hintertür, durch die ihr sechsjähriger Sohn jetzt seinen schwarzen Lockenkopf streckte und sie grinsend ansah.
«Was denn, Mama? Oh, die Maus hab ich ganz vergessen.»
«Vergessen? Auf meiner Waage?»
«Ich wollte wissen, wie viel sie wiegt.» Der Junge zuckte unschuldig die Achseln. «Weil Magda gestern gesagt hat, dass sie reich sein könnte, wenn sie die toten Mäuse, die Fine neuerdings anschleppt, in Gold aufwiegen würde.»
«Aha.» Stirnrunzelnd betrachtete Adelina ihren Sohn. «Wolltest du sie denn tatsächlich in Gold auszahlen?»
«Nein, ich war nur neugierig.» Colin zögerte. «Soll ich sie rauswerfen?»
«Ich bitte darum. Und dann reinigst du die Waage. Gründlich! », setzte sie scharf hinzu.
«Aber sie ist doch gar nicht schmutzig geworden.» Colin nahm die tote Maus am Schwanz und warf sie aus dem Fenster. Als er sich umdrehte, blickte er direkt in Adelinas strenges Gesicht und zog den Kopf ein.
«Schon gut, ich mach's ja.» Vorsichtig nahm er die Waage vom Tresen und trug sie ins Hinterzimmer.
Adelina seufzte, musste sich aber gleichzeitig ein Lächeln verkneifen. Ihr Sohn wurde von Tag zu Tag frecher. Wenn das so weiterging, würde sie es schwerhaben, ihm bei einem ihrer Zunftkollegen eine Lehrstelle zu vermitteln. Seit einigen Wochen erhielt er Schulunterricht bei den Benediktinern von Groß St. Martin, damit er für seine Lehre, die in ein, zwei Jahren beginnen konnte, das nötige Grundwissen im Lesen und Schreiben erwarb. Auch das Rechnen brachte man ihm dort bei. Sie hoffte nur, dass er sich dabei anstelliger zeigte als sein Vater. Neklas Burka war zwar ein angesehener Medicus, aber mit Zahlen hatte er seine Probleme, zumindest, wenn es über die einfachsten Rechenoperationen hinausging. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb sein Vater ihn auf eine Lateinschule geschickt hatte, anstatt ihn zum Tuchhändler ausbilden zu lassen, wie es für die Söhne seiner Familie üblich war.
Prüfend sah Adelina sich in der Apotheke um. Drei Seiten des Raumes wurden von Regalbrettern beherrscht, in denen sich Dosen, Kisten, Säckchen und Glasbehälter mit den verschiedensten Arzneien und Ingredienzien säuberlich geordnet aneinanderreihten. Der schon sehr alte, jedoch gepflegte und stets sauber gewischte Verkaufstresen aus Eichenholz glänzte ein wenig im Schein ihrer Öllampe. Den Fußboden hatte sie selbst noch am Vorabend gekehrt. Alles war so ordentlich, wie sie es liebte.
Es war noch sehr früh am Morgen, draußen begann es gerade erst zu dämmern. Dennoch waren im Haus bereits Geräusche zu vernehmen, die von geschäftigem Treiben zeugten. Ludowig, ihr hünenhafter Knecht, hatte bereits Holz gehackt und hereingetragen, die alte Magda war dabei, den Ofen anzuheizen, da heute Backtag war. Die jüngere Magd Franziska kümmerte sich um Adelinas dreijährige Tochter Katharina, die gerade wegen irgendetwas lautstark protestierte.
Griet, Adelinas Stieftochter, und die frischgebackene Gesellin Mira hatten bereits Wasser vom Marktbrunnen geholt und sich bereiterklärt, den Morgenbrei aufzusetzen. Adelina hoffte, dass Mira dabei den Löwenanteil der Arbeit übernehmen würde. So lieb ihr die mittlerweile fünfzehnjährige Griet auch war - von ihr zubereitete Lebensmittel rührte sie lieber nicht an. Das Mädchen stand mit der Kochkunst eindeutig auf Kriegsfuß. Meist ließ sie den Brei anbrennen oder das Brot hart wie Stein werden. Auch das Würzen klappte selten so, wie es sollte. Merkwürdig eigentlich, sinnierte Adelina, denn wenn es sich um alchemistische Rezepturen handelte, die Griet so gern zusammen mit ihrem Vater ausprobierte, gab es niemals unschöne Zwischenfälle. Im Laboratorium bewies sie sogar ein ausgesprochenes Talent - leider nicht ganz passend für ein junges Mädchen, das allmählich ins heiratsfähige Alter kam. Neklas freute sich natürlich, dass seine Tochter seine Begeisterung für die Alchemie geerbt hatte. Adelina bezweifelte jedoch, dass das zu etwas Gutem führen würde.
Sie schob den großen Riegel der Eingangstür zurück und prüfte, ob das Glöckchen, das eintretende Kunden ankündigen sollte, auch am richtigen Platz war. Sie wollte heute schon früh ihre Apotheke öffnen, denn nachdem es in den vergangenen Tagen viel geregnet und danach zum ersten Mal in diesem Herbst ordentlich gefroren hatte, erwartete sie einen Ansturm von Leuten, die nach Erkältungsarzneien verlangten. Glücklicherweise hatte sie ihre Vorräte rechtzeitig aufgefüllt.
«Meisterin, das Frühstück ist fertig», vermeldete Mira, die in diesem Moment in der Hintertür erschienen war.
«Ich komme.» Adelina nickte ihr zu. «Wer hat gekocht?»
Mira lächelte. «Ich. Griet hat das Brot aufgeschnitten und den Tisch gedeckt.»
«Gut.» Adelina folgte dem hübschen, schlanken Mädchen in Richtung Küche. Mira war von adeliger Geburt, jedoch die jüngste Tochter eines jüngeren Sohnes und deshalb ursprünglich für ein Leben im Kloster bestimmt gewesen. Ihre Mutter hatte jedoch durchgesetzt, dass sie stattdessen eine Lehre in der Apotheke beginnen durfte - mit einigem Erfolg. Vor zwei Monaten hatte Mira ihre Gesellenprüfung abgelegt. Da Adelina das Mädchen inzwischen trotz dessen frechen Mundwerks sehr ins Herz geschlossen hatte, behielt sie sie nun auch als Gesellin. Zumindest vorerst. Schon einmal hatte Miras Vater versucht, sie günstig zu verheiraten, ausgerechnet an Adelinas Bruder Tilmann Greverode. Mira hatte sich gesträubt, und Tilmann war schließlich vom vereinbarten Vertrag zurückgetreten, doch bedeutete das sicher nicht, dass der Graf von Raderberg von seinen Plänen bezüglich seiner Tochter inzwischen abgerückt war. Wenn sich ein anderer Bräutigam fand, würde er zugreifen, ob Mira wollte oder nicht. Hübsch, wie sie war, und nunmehr neunzehn Jahre alt, würde es an Interessenten ganz sicher nicht mangeln.
Ehe Adelina die Küche betreten konnte, kam ihr jüngerer Bruder Vitus aus seiner Kammer, ein zerfetztes Stück Lederriemen in Händen haltend.
«Lina, guck mal!», rief er anklagend. «Mein Gürtel ist entzwei. Was mach ich denn jetzt?»
Adelina blieb stehen und nahm dem hochgewachsenen jungen Mann mit dem leicht schiefen, aber dennoch recht anziehenden Gesicht den Riemen ab.
«Wie ist das denn geschehen?», fragte sie, wartete aber nicht auf eine Antwort. «Nimm den breiten braunen Gürtel, den du von Frau Benedikta geschenkt bekommen hast, als sie das letzte Mal hier war.»
«Aber der ist doch viel zu fein für alle Tage.»
«Mag sein, aber ohne Gürtel kannst du ja wohl nicht herumlaufen », erklärte sie. «Ich werde dir einen neuen anfertigen lassen. Franziska muss sowieso mit einem Korb voll Schuhe zum Flickschuster, dann kann sie auch gleich zum Riemer gehen.»
«Darf ich mit? Ich passe auch auf Ziska auf.» Hoffnungsvoll blickte ihr Bruder sie an. Er war kräftig, besaß jedoch leider nur den Verstand eines kleinen Kindes. Adelina ließ ihn so gut wie nie allein hinausgehen, aus Angst, er könne in seiner Tolpatschigkeit ein Unheil anrichten oder - fast noch schlimmer - von seinen Mitmenschen geschmäht werden. Doch in Franziskas Gesellschaft würde so etwas nicht passieren. Ihre junge Magd war nicht auf den Mund gefallen und sehr beherzt, wenn es darum ging, die ihr Anvertrauten zu verteidigen.
«Also gut, Vitus, meinetwegen. Aber benimm dich anständig und tu, was Franziska dir sagt.»
«Mach ich doch immer!», rief Vitus begeistert und drehte sich rasch um. «Ich hol meinen Mantel!»
«Halt!» Adelina bekam ihn gerade noch am Ärmel seines Hemdes zu fassen. «Du suchst jetzt erst einmal deinen anderen Gürtel, und dann wird gefrühstückt. Franziska bricht erst am späten Vormittag auf.»
«Muss ich wirklich etwas essen?», fragte er enttäuscht.
«Hast du denn keinen Hunger?»
«Doch.»
«Na also. Geh und zieh dich fertig an.» Nachsichtig gab Adelina ihrem Bruder einen Klaps auf den Arm und betrat nun endlich die Küche, in der es angenehm nach Ofenfeuer und Hirsebrei duftete. Der neue Brotteig, den sie vorhin angesetzt hatte, stand auf drei Schüsseln verteilt in dem deckenhohen Holzregal neben der Tür. Magda, mittlerweile sechzig Jahre alt, ließ es sich trotz der schmerzenden Knoten in ihren Fingern nicht nehmen, Holzscheite nachzulegen und mit dem schweren Schürhaken zu hantieren.
Unter der Ofenbank hockten Fine, die schwarz-weiße Katze, und Moses, der sandfarbene, wuschelige Hund, der Adelina vor sieben Jahren in einer Gewitternacht zugelaufen war und seither Haus, Hof und vor allem seine von ihm angebetete Herrin bewachte. Die beiden Tiere teilten sich eine Mischung aus Speckresten und Brei und eine Schale Wasser.
«Soll ich Vater von dem Hirsebrei aufheben?», fragte Griet, die gerade dabei war, das Essen in die Holzschalen auf dem Tisch zu verteilen. «Bestimmt ist er hungrig, wenn er vom Wachdienst zurückkommt.»
«Ja, stell ihm etwas davon beiseite», stimmte Adelina zu. «Obwohl er vermutlich erst einmal ins Bett fallen und bis zum Mittag schlafen wird. Die Nachtwache an der Ulrepforte ist immer besonders anstrengend.»
«Er hat gestern Nachmittag noch einen neuen Versuch angefangen », erzählte Griet, während sie die Portion Brei für ihren Vater abmaß. «Ich könnte ihn nachher weiterführen, damit wir - »
«O nein, Griet, das lässt du schön bleiben.» Entschieden schüttelte Adelina den Kopf. «Ich möchte nicht, dass du allein im Laboratorium hantierst, es sei denn, du stellst Aqua Ardens her. Und das kannst du auch mit der Destille im Hinterzimmer tun.»
«Aber ... »
«Kein Aber, Griet. Ich will nicht, dass dir so ein Experiment mal danebengeht.»
«Das ist mir noch nie passiert!» Enttäuscht zupfte Griet am Ende ihres langen, schwarzen Zopfes. «Ich gehe immer ganz planvoll und vorsichtig vor, so wie Vater es mir beigebracht hat.»
«Das weiß ich, aber trotzdem möchte ich, dass er dabei ist, wenn du da unten herumwerkelst. Abgesehen davon brauche ich dich heute in der Apotheke. Bei diesem Wetter werden wir bestimmt ... » Sie brach ab, als ein kurzes, aber lautes Pochen am Hintereingang zu vernehmen war. «Nanu, wer ist das denn so früh?»
Ehe sie reagieren konnte, erschien Ludowig aus seiner und Franziskas Kammer. «Ich geh schon, Herrin. Bestimmt ist das der Karl mit einer neuen Fuhre Holz. Hat gesagt, er käm heute ganz früh.» Während er sprach, war er bereits zur Tür gegangen und hatte sie geöffnet.
Adelina nickte und wandte sich dem Tisch zu, hielt aber inne, als sie Ludowig einen erschrockenen Laut ausstoßen hörte. «Herrin? Herrje, kommt schnell!»
«Was ist denn?» Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte zur Hintertür. Wie angewurzelt blieb sie stehen, als sie ihren Bruder Tilmann erkannte, der sich mit beiden Händen am Türstock festklammerte und sich offenbar kaum aufrecht halten konnte. Ludowig versuchte, ihn zu stützen, doch in dem engen Flur hatten die beiden großen Männer kaum Platz.
«Heilige Muttergottes, was ist denn passiert?», rief Adelina und drängte sich an Ludowig vorbei. «Tilmann, warum ... ?»
«Verletzt», röchelte ihr Bruder mit fast tonloser Stimme. «Du musst ... ich kann nicht ... » Seine Stimme brach, er machte taumelnd einen Schritt auf sie zu. Im nächsten Moment ging er in die Knie und fiel besinnungslos zu Boden.
«Um Himmels willen!» Adelina hockte sich neben ihm nieder und tastete zuerst über sein Gesicht und den Hals. An der Schlagader spürte sie seinen flachen Puls.
«Ludowig, hilf mir. Wir müssen ihn irgendwo auf ein Bett legen. »
«Vitus' Kammer liegt am nächsten», stimmte der Knecht zu. «Ich muss nur - »
«O nein!», rief Adelina entsetzt. Sie hatte Tilmanns Mantel geöffnet und starrte nun auf einen riesigen Blutfleck, der sich über Hemd und Wams ihres Bruders ausgebreitet hatte. Offenbar hatte er versucht, die Blutung zu stillen, denn unter dem Wams beulte sich etwas, das Adelina für ein Stück verknäuelten Stoff hielt.
Rasch blickte sie sich um. «Magda, frisches Wasser, schnell! Mira, Griet - wo steckt ihr?»
Angezogen von dem Aufruhr waren die beiden Mädchen bereits aus der Küche gekommen und starrten sprachlos auf den bewusstlosen Mann.
«Holt saubere Tücher. Griet, geh zu Jupp und Marie. Jupp soll dir Bandagen geben und Wundsalbe und ... am besten kommt er gleich mit herüber.»
«Sofort, Mutter.» Griet war ganz blass geworden, machte sich aber umgehend auf den Weg nach nebenan. Mira hingegen beugte sich über Tilmann.
«Was ist ihm geschehen? Wurde er überfallen?»
«Ich weiß es nicht. Nun lauf schon und hol mir Tücher!»
«Ja, natürlich.» Mira nickte hastig und rannte davon.
«Vitus, komm mal aus deiner Kammer», hörte Adelina ihre Magd Franziska sagen. «Ludowig muss den Hauptmann auf dein Bett legen.»
«Warum?», fragte Vitus erstaunt. «Er wohnt doch gar nicht hier. Ui!» Er war in den Flur getreten und entdeckte nun den Verwundeten. «Der blutet ja!»
«Ja, Vitus, der Hauptmann ist verletzt», sagte Franziska. «Nun komm, wir müssen Ludowig Platz machen. Geh schon mal in die Küche und fang mit deinem Frühstück an.»
Nachdem die Magd Vitus in die Küche geschoben hatte, half sie Ludowig und Adelina, den Hauptmann der Stadtsoldaten so vorsichtig wie nur möglich zu Vitus' Bett zu transportieren.
«Was um alles in der Welt ist geschehen?», fragte sie, schien aber keine Antwort zu erwarten, denn sie eilte gleich wieder hinaus. «Ich kümmere mich um Colin und Katharina. Die beiden müssen Euch jetzt nicht auch noch zwischen den Füßen herumlaufen. »
Adelina war ihr von Herzen dankbar dafür. Vorsichtig versuchte sie, ihrem Bruder den Mantel auszuziehen. Dann blickte sie ratlos auf das blutige Wams.
Schritte wurden im Flur laut, und einen Moment später traten Jupp und Marie ein, dicht gefolgt von Griet, die ein Bündel Bandagen im Arm trug. Auch Mira tauchte mit den geforderten Leintüchern auf, und hinter ihr kam noch Magda mit einem Eimer Wasser dazu. Die kleine Kammer war heillos überfüllt.
Adelina richtete sich auf und griff zunächst nach den Bandagen. «Danke, Griet. Bitte geht jetzt alle hinaus. Nur Jupp und Marie nicht. Wir müssen feststellen, was Tilmann zugestoßen und wie schwer er verletzt ist, und dazu brauchen wir Platz.»
Das Gesinde gehorchte sofort, und auch die Mädchen verließen den Raum, wenn auch zögernd.
Jupp hatte sich indes über den Verwundeten gebeugt und ihn untersucht. Der Baderchirurg war ein Hüne von Mann mit braunem, kurzgeschnittenem Haar und sauber gestutztem Kinnbart. Vor Jahren hatte Neklas das Haus direkt neben der Apotheke gekauft und umbauen lassen. Die oberen Kammern vergrößerten den Wohnraum für seine Familie, die unteren Zimmer gehörten Jupp und dessen Frau Marie sowie den beiden inzwischen elfjährigen Zwillingen Bina und Malka. Auch Jupps Behandlungsraum befand sich dort.
«Wir müssen ihm die Kleider vom Leib schneiden», bestimmte er. «Anders geht es nicht. Marie?»
Seine Frau reichte ihm wortlos eine Schere, die sie samt einiger anderer Utensilien in einem kleinen Korb mit sich führte. Geschickt schnitt er Wams und Hemd auf und schälte dem Bewusstlosen beides vom Leib. Tatsächlich hatte sich Tilmann einen notdürftigen Verband aus Lumpen und einem zerrissenen Hemd angelegt. Auch diesen entfernte Jupp vorsichtig.
Adelina stieß einen entsetzten Laut aus. Offenbar war Tilmann an der rechten Seite gleich unterhalb der Rippen von einem Schwerthieb getroffen worden. Noch weit schlimmer jedoch als dieser Schnitt klaffte eine Wunde an seinem Bauch, die aussah, als stamme sie von einem Messer oder Dolch.
«Den Messstab», verlangte Jupp, ohne den Blick von den Wunden abzuwenden.
Wieder reichte Marie ihm das Gewünschte - einen unterarmlangen Metallstab, den Jupp nun vorsichtig zunächst in die Wunde an der Seite einführte.
«Nicht sehr tief», befand er, wischte den Stab mit einem der Tücher sauber und führte ihn dann in die Dolchwunde ein. Tilmann röchelte und zuckte zusammen. Offenbar war seine Bewusstlosigkeit nicht so tief, dass er keinen Schmerz empfand.
«Übel», urteilte Jupp, als er den Stab aus der Wunde zog. «Wahrscheinlich sind seine inneren Organe verletzt. Wie sehr, lässt sich leider nicht sagen. Aber bei einer so tiefen Wunde ist es fraglich, ob er es übersteht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er es überhaupt geschafft hat, damit herumzulaufen.» Er hob den Kopf und blickte Adelina an, die blass vor Entsetzen und Sorge seiner Tätigkeit zusah. «Ich säubere die Wunden und verbinde sie, aber wie gesagt ... » Seine Stimme wurde sanfter. «Viel Hoffnung kann ich dir nicht machen. Er hat wahrscheinlich bereits Unmengen von Blut verloren. Hast du eine Ahnung, mit wem er aneinandergeraten sein könnte?»
«Nein.» Adelina schüttelte den Kopf und schluckte hart. «Ich habe ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Seit dem Schützenfest auf dem Neumarkt im Juli, um genau zu sein.»
«Auf jeden Fall hat er sich gegen den oder die Angreifer gewehrt. » Jupp deutete auf mehrere frische Schrammen und Blutergüsse an Tilmanns Schultern, Armen und Brust. «Wir sollten ihn ganz entkleiden, um nachzusehen, ob es noch mehr Wunden gibt, die versorgt werden müssen. Kann er hier liegen bleiben? »
«Natürlich.» Adelina nickte. «Vitus kann in Colins Kammer schlafen.» Sie trat neben Jupp und legte ihm eine Hand auf den Arm. «Du musst ihm helfen. Er ist mein Bruder!»
Jupp tätschelte sie kurz. «Ich tue, was ich kann, Adelina. Aber solche Verletzungen ... »
«Bitte!» Sie verstärkte ihren Griff. «Das sind wir ihm schuldig. »
«Komm, Adelina, lass Jupp seine Arbeit machen.» Marie nahm ihre Freundin sanft bei den Schultern und schob sie zur Tür. «Lass uns in die Küche gehen und etwas essen. Bestimmt habt ihr alle noch nicht gefrühstückt.»
«Mir ist der Appetit gründlich vergangen», murmelte Adelina. Gerade als sie den Raum verlassen wollte, stieß Tilmann ein gequältes Stöhnen aus. Sogleich war sie wieder bei ihm, beugte sich über ihn und ergriff seine Hand. Seine Augenlider flatterten und hoben sich.
«Adelina ... » Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Röcheln. «Sag ... ihnen ... nichts.»
«Was? Was soll ich wem nicht sagen? Tilmann?» Sie beugte sich noch weiter zu ihm hinab.
«Ich ... war nie ... hier.» Sie konnte ihn kaum verstehen. «Nie ... hier ... wenn sie ... suchen ... sag ... nichts.» Seine Augen, von denen Adelina nicht sicher war, ob sie sie wirklich wahrgenommen hatten, schlossen sich wieder. Sein Kopf rollte auf die Seite.
«Tilmann? O Gott!» Sie ließ seine Hand los und tastete nach seinem Gesicht. «Ist er ... ?»
«Er atmet», sagte Jupp ruhig und deutete auf Tilmanns Bauchdecke, die sich leicht hob und senkte. «Aber ich kann wirklich nicht voraussagen, wie lange noch.»
2. Kapitel
Nachdem Jupp den verwundeten Hauptmann verarztet hatte, war er wieder nach nebenan gegangen. Marie erklärte sich bereit, an Tilmanns Krankenbett zu wachen, damit sich Adelina um ihren Haushalt und die Apotheke kümmern konnte.
Adelina war nicht wohl dabei, doch da Tilmann offenbar nicht wollte, dass jemand von seiner Anwesenheit in ihrem Haus erfuhr, war es wohl das Beste, den alltäglichen Arbeiten nachzugehen. Sie schickte Mira in Begleitung Ludowigs los, um einige bestellte Arzneien auszuliefern, und wies Griet an, mit der Destille im Hinterzimmer Weingeist herzustellen. Franziska war derweil mit Vitus auf den Weg zum Flickschuster. Adelina machte sich daran, das Konfekt, das sie am Vortag bereits vorbereitet hatte, mit einem gleichmäßigen Zuckerüberzug zu versehen.
Es war gerade eine Stunde hell, und sie erwartete Neklas jeden Augenblick von seiner Nachtwache zurück, als jemand heftig an der Haustür pochte. Augenblicke später ertönte eine dunkle Männerstimme: «Magister Burka? Meisterin? Ist jemand zu Hause?»
«Natürlich, tretet ein!» Eilig ging Adelina zur Tür und öffnete sie. Zu ihrer Überraschung sah sie sich dem neuen Vogt, Gerlach Haich, sowie einem der städtischen Büttel gegenüber. Eine böse Ahnung beschlich sie, doch sie ließ sich nichts anmerken.
«Wie kann ich Euch helfen, Herr Vogt?» Fragend musterte sie den schlanken, hochgewachsenen Mann, dessen schwarzes Haar im Nacken kurz geschoren und an den Schläfen bereits ergraut war. Seine grauen Augen blickten streng, aber freundlich in ihre Richtung, doch er schien ein wenig zu schielen. Die lange Hakennase und das etwas spitze Kinn gaben ihm ein ziegenhaftes Aussehen.
«Guten Morgen, Meisterin Burka», grüßte er. «Verzeiht die Störung. Wisst Ihr, wo sich Euer Bruder aufhält?»
«Mein Bruder?»
«Der Hauptmann, Tilmann Greverode. Der ist doch Euer Bruder, oder etwa nicht? Ist er hier im Haus?» «Tilmann ist mein Bruder.» Adelina nickte und spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufrichteten. Doch sie behielt weiterhin ein gleichmütiges Gesicht. «Leider weiß ich nicht, wo er sich gerade aufhält. Ich habe ihn schon seit einigen Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es heißt, er sei zuletzt viel für den Rat auf Reisen gewesen. Aber auch wenn er in der Stadt ist, besucht er mich nicht oft. Warum glaubt Ihr, dass er hier sein könnte?»
«Weil er nicht so dumm sein wird, sich in seinem eigenen Haus zu verstecken», antwortete der Vogt mit einem dünnen Lächeln, das Adelina nicht gefiel.
«Was soll das heißen?», fragte sie. «Warum sollte er sich verstecken? » Ihr Herz begann unangenehm gegen ihre Rippen zu pochen.
«Weil er einen Mord begangen hat, Meisterin», sagte der Vogt ohne jegliche Regung. «Gestern Abend oder heute Nacht. Es kann nicht lange her sein.»
Adelina wurde blass und fühlte einen Schauer über ihr Rückgrat kriechen. «Was sagt Ihr da? Einen Mord?» Energisch schüttelte sie den Kopf. «Niemals. Mein Bruder ist ein Ehrenmann und Hauptmann der Kölner Stadtsoldaten. Kein Mörder.» Sie hielt inne. «Wen soll er denn angeblich umgebracht haben?»
«Clais van Dalen, den zweiten Kölner Hauptmann.» «
Mutter, wer ist denn da?» Griet hatte die Apotheke durch die Tür zum Hinterzimmer betreten. Als sie den Vogt sah, kam sie zögernd näher. «Stimmt etwas nicht?»
«Das ist vollkommen unmöglich!», rief Adelina erschüttert. «Clais und Tilmann sind ... waren gute Freunde. Warum sollte Tilmann ihn umbringen?»
«Mutter?» Griet griff entsetzt nach Adelinas Arm. «Was hat das zu bedeuten?»
«Geh wieder zur Destille, Kind», murmelte Adelina und warf Griet einen vielsagenden Blick zu.
Doch das Mädchen schüttelte den Kopf. «Auf keinen Fall, Mutter.»
«Er ist also ganz sicher nicht hier im Haus?»
«Nein.» Adelina verschränkte die Arme vor dem Leib.
«Aber Ihr gebt mir oder dem Gewaltrichter Reese umgehend Bescheid, wenn er hier auftaucht?»
«Er hat niemanden getötet», beharrte sie anstelle einer Antwort. «Das ist verrückt.»
«Leider haben wir stichhaltige Hinweise, dass er es war», erklärte der Vogt und behielt noch immer diesen freundlich-kühlen Tonfall bei, der, gepaart mit seinem Lächeln, plötzlich feindselig auf sie wirkte. «Man hat seinen Dolch blutbesudelt neben dem Toten gefunden.»
«Adelina, nun beruhige dich endlich», sagte Neklas am späten Nachmittag. Adelina und er hatten sich den ganzen Tag bereits über kaum etwas anderes als Tilmanns Verwundung und den Besuch des Vogtes unterhalten. Neklas deutete auf die Ofenbank in der Küche. «Setz dich. Du machst mich ganz nervös!»
«Nein, ich beruhige mich nicht!», widersprach sie erregt. «Wie sollte ich auch? Der Mord an Clais van Dalen ist Stadtgespräch, und Tilmann liegt halb tot in Vitus' Kammer. Aber ich weigere mich zu glauben, dass er ein Mörder ist.»
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
Als er in die Eingangshalle zurückkehrte, spürte er einen Luftzug. Die Tür stand einen Spalt weit offen. Überrascht blickte er sich um. War sein Freund hereingekommen, ohne dass er ihn gehört hatte? Das wäre allerdings peinlich, bildete er sich doch so viel auf sein gutes Gehör und seine flinken Sinne ein.
Ein Rascheln hinter ihm ließ ihn herumfahren und dann erheitert auflachen. «Liebe Güte, hast du mich erschreckt! Ich werde anscheinend alt, wenn du dich jetzt schon so leicht an mich heranschleichen kannst.»
«Möglich», antwortete sein Gegenüber grinsend und trat näher. «Fest steht allerdings, dass du nicht noch älter werden wirst.»
«Wie bitte?» Verblüfft hob er die Brauen. «Soll das ein Scherz sein?»
«Keineswegs.»
Im Schein des Kienspans blitzte eine Dolchklinge auf. Ehe er sich's versah, stand der dunkelhaarige Hüne dicht vor ihm.
«Was soll das?», brachte er gerade noch hervor. «Bist du verrückt gew ... » Keuchend brach er ab, als sich die lange Klinge mit einem schnellen Stoß tief in seinen Körper bohrte und dabei seine Eingeweide tödlich verletzte.
Seine Augen wurden groß, unsäglicher Schmerz durchfuhr ihn. Verständnislos starrte er seinem Gegenüber ins gleichgültige Gesicht. Er versuchte, etwas zu sagen, röchelte jedoch nur noch und taumelte rückwärts. Sein Mörder zog den Dolch mit einem Ruck aus seinem Leib und stach gleich darauf noch einmal zu.
Blut schoss durch seine Kehle in den Mund. Er rang verzweifelt nach Atem, wehrte sich gegen das Unvermeidliche. Doch das Leben floss bereits aus ihm heraus. Er ging in die Knie, dann schwanden ihm die Sinne, und er kippte vornüber. Das Letzte, was er vernahm, war ein abfälliges Schnauben und die Worte: «Das ging ja leichter als gedacht.»
1. Kapitel
Was ist das denn? Pfui, wie eklig!» Kopfschüttelnd stand Adelina vor dem Verkaufstresen in ihrer Apotheke und blickte auf die tote Maus, die in einer der Schalen ihrer Waage lag. «Colin?», rief sie streng. «Wo steckst du? Ist das dein Werk?» Sie stemmte die Hände in die Seiten und blickte zur Hintertür, durch die ihr sechsjähriger Sohn jetzt seinen schwarzen Lockenkopf streckte und sie grinsend ansah.
«Was denn, Mama? Oh, die Maus hab ich ganz vergessen.»
«Vergessen? Auf meiner Waage?»
«Ich wollte wissen, wie viel sie wiegt.» Der Junge zuckte unschuldig die Achseln. «Weil Magda gestern gesagt hat, dass sie reich sein könnte, wenn sie die toten Mäuse, die Fine neuerdings anschleppt, in Gold aufwiegen würde.»
«Aha.» Stirnrunzelnd betrachtete Adelina ihren Sohn. «Wolltest du sie denn tatsächlich in Gold auszahlen?»
«Nein, ich war nur neugierig.» Colin zögerte. «Soll ich sie rauswerfen?»
«Ich bitte darum. Und dann reinigst du die Waage. Gründlich! », setzte sie scharf hinzu.
«Aber sie ist doch gar nicht schmutzig geworden.» Colin nahm die tote Maus am Schwanz und warf sie aus dem Fenster. Als er sich umdrehte, blickte er direkt in Adelinas strenges Gesicht und zog den Kopf ein.
«Schon gut, ich mach's ja.» Vorsichtig nahm er die Waage vom Tresen und trug sie ins Hinterzimmer.
Adelina seufzte, musste sich aber gleichzeitig ein Lächeln verkneifen. Ihr Sohn wurde von Tag zu Tag frecher. Wenn das so weiterging, würde sie es schwerhaben, ihm bei einem ihrer Zunftkollegen eine Lehrstelle zu vermitteln. Seit einigen Wochen erhielt er Schulunterricht bei den Benediktinern von Groß St. Martin, damit er für seine Lehre, die in ein, zwei Jahren beginnen konnte, das nötige Grundwissen im Lesen und Schreiben erwarb. Auch das Rechnen brachte man ihm dort bei. Sie hoffte nur, dass er sich dabei anstelliger zeigte als sein Vater. Neklas Burka war zwar ein angesehener Medicus, aber mit Zahlen hatte er seine Probleme, zumindest, wenn es über die einfachsten Rechenoperationen hinausging. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb sein Vater ihn auf eine Lateinschule geschickt hatte, anstatt ihn zum Tuchhändler ausbilden zu lassen, wie es für die Söhne seiner Familie üblich war.
Prüfend sah Adelina sich in der Apotheke um. Drei Seiten des Raumes wurden von Regalbrettern beherrscht, in denen sich Dosen, Kisten, Säckchen und Glasbehälter mit den verschiedensten Arzneien und Ingredienzien säuberlich geordnet aneinanderreihten. Der schon sehr alte, jedoch gepflegte und stets sauber gewischte Verkaufstresen aus Eichenholz glänzte ein wenig im Schein ihrer Öllampe. Den Fußboden hatte sie selbst noch am Vorabend gekehrt. Alles war so ordentlich, wie sie es liebte.
Es war noch sehr früh am Morgen, draußen begann es gerade erst zu dämmern. Dennoch waren im Haus bereits Geräusche zu vernehmen, die von geschäftigem Treiben zeugten. Ludowig, ihr hünenhafter Knecht, hatte bereits Holz gehackt und hereingetragen, die alte Magda war dabei, den Ofen anzuheizen, da heute Backtag war. Die jüngere Magd Franziska kümmerte sich um Adelinas dreijährige Tochter Katharina, die gerade wegen irgendetwas lautstark protestierte.
Griet, Adelinas Stieftochter, und die frischgebackene Gesellin Mira hatten bereits Wasser vom Marktbrunnen geholt und sich bereiterklärt, den Morgenbrei aufzusetzen. Adelina hoffte, dass Mira dabei den Löwenanteil der Arbeit übernehmen würde. So lieb ihr die mittlerweile fünfzehnjährige Griet auch war - von ihr zubereitete Lebensmittel rührte sie lieber nicht an. Das Mädchen stand mit der Kochkunst eindeutig auf Kriegsfuß. Meist ließ sie den Brei anbrennen oder das Brot hart wie Stein werden. Auch das Würzen klappte selten so, wie es sollte. Merkwürdig eigentlich, sinnierte Adelina, denn wenn es sich um alchemistische Rezepturen handelte, die Griet so gern zusammen mit ihrem Vater ausprobierte, gab es niemals unschöne Zwischenfälle. Im Laboratorium bewies sie sogar ein ausgesprochenes Talent - leider nicht ganz passend für ein junges Mädchen, das allmählich ins heiratsfähige Alter kam. Neklas freute sich natürlich, dass seine Tochter seine Begeisterung für die Alchemie geerbt hatte. Adelina bezweifelte jedoch, dass das zu etwas Gutem führen würde.
Sie schob den großen Riegel der Eingangstür zurück und prüfte, ob das Glöckchen, das eintretende Kunden ankündigen sollte, auch am richtigen Platz war. Sie wollte heute schon früh ihre Apotheke öffnen, denn nachdem es in den vergangenen Tagen viel geregnet und danach zum ersten Mal in diesem Herbst ordentlich gefroren hatte, erwartete sie einen Ansturm von Leuten, die nach Erkältungsarzneien verlangten. Glücklicherweise hatte sie ihre Vorräte rechtzeitig aufgefüllt.
«Meisterin, das Frühstück ist fertig», vermeldete Mira, die in diesem Moment in der Hintertür erschienen war.
«Ich komme.» Adelina nickte ihr zu. «Wer hat gekocht?»
Mira lächelte. «Ich. Griet hat das Brot aufgeschnitten und den Tisch gedeckt.»
«Gut.» Adelina folgte dem hübschen, schlanken Mädchen in Richtung Küche. Mira war von adeliger Geburt, jedoch die jüngste Tochter eines jüngeren Sohnes und deshalb ursprünglich für ein Leben im Kloster bestimmt gewesen. Ihre Mutter hatte jedoch durchgesetzt, dass sie stattdessen eine Lehre in der Apotheke beginnen durfte - mit einigem Erfolg. Vor zwei Monaten hatte Mira ihre Gesellenprüfung abgelegt. Da Adelina das Mädchen inzwischen trotz dessen frechen Mundwerks sehr ins Herz geschlossen hatte, behielt sie sie nun auch als Gesellin. Zumindest vorerst. Schon einmal hatte Miras Vater versucht, sie günstig zu verheiraten, ausgerechnet an Adelinas Bruder Tilmann Greverode. Mira hatte sich gesträubt, und Tilmann war schließlich vom vereinbarten Vertrag zurückgetreten, doch bedeutete das sicher nicht, dass der Graf von Raderberg von seinen Plänen bezüglich seiner Tochter inzwischen abgerückt war. Wenn sich ein anderer Bräutigam fand, würde er zugreifen, ob Mira wollte oder nicht. Hübsch, wie sie war, und nunmehr neunzehn Jahre alt, würde es an Interessenten ganz sicher nicht mangeln.
Ehe Adelina die Küche betreten konnte, kam ihr jüngerer Bruder Vitus aus seiner Kammer, ein zerfetztes Stück Lederriemen in Händen haltend.
«Lina, guck mal!», rief er anklagend. «Mein Gürtel ist entzwei. Was mach ich denn jetzt?»
Adelina blieb stehen und nahm dem hochgewachsenen jungen Mann mit dem leicht schiefen, aber dennoch recht anziehenden Gesicht den Riemen ab.
«Wie ist das denn geschehen?», fragte sie, wartete aber nicht auf eine Antwort. «Nimm den breiten braunen Gürtel, den du von Frau Benedikta geschenkt bekommen hast, als sie das letzte Mal hier war.»
«Aber der ist doch viel zu fein für alle Tage.»
«Mag sein, aber ohne Gürtel kannst du ja wohl nicht herumlaufen », erklärte sie. «Ich werde dir einen neuen anfertigen lassen. Franziska muss sowieso mit einem Korb voll Schuhe zum Flickschuster, dann kann sie auch gleich zum Riemer gehen.»
«Darf ich mit? Ich passe auch auf Ziska auf.» Hoffnungsvoll blickte ihr Bruder sie an. Er war kräftig, besaß jedoch leider nur den Verstand eines kleinen Kindes. Adelina ließ ihn so gut wie nie allein hinausgehen, aus Angst, er könne in seiner Tolpatschigkeit ein Unheil anrichten oder - fast noch schlimmer - von seinen Mitmenschen geschmäht werden. Doch in Franziskas Gesellschaft würde so etwas nicht passieren. Ihre junge Magd war nicht auf den Mund gefallen und sehr beherzt, wenn es darum ging, die ihr Anvertrauten zu verteidigen.
«Also gut, Vitus, meinetwegen. Aber benimm dich anständig und tu, was Franziska dir sagt.»
«Mach ich doch immer!», rief Vitus begeistert und drehte sich rasch um. «Ich hol meinen Mantel!»
«Halt!» Adelina bekam ihn gerade noch am Ärmel seines Hemdes zu fassen. «Du suchst jetzt erst einmal deinen anderen Gürtel, und dann wird gefrühstückt. Franziska bricht erst am späten Vormittag auf.»
«Muss ich wirklich etwas essen?», fragte er enttäuscht.
«Hast du denn keinen Hunger?»
«Doch.»
«Na also. Geh und zieh dich fertig an.» Nachsichtig gab Adelina ihrem Bruder einen Klaps auf den Arm und betrat nun endlich die Küche, in der es angenehm nach Ofenfeuer und Hirsebrei duftete. Der neue Brotteig, den sie vorhin angesetzt hatte, stand auf drei Schüsseln verteilt in dem deckenhohen Holzregal neben der Tür. Magda, mittlerweile sechzig Jahre alt, ließ es sich trotz der schmerzenden Knoten in ihren Fingern nicht nehmen, Holzscheite nachzulegen und mit dem schweren Schürhaken zu hantieren.
Unter der Ofenbank hockten Fine, die schwarz-weiße Katze, und Moses, der sandfarbene, wuschelige Hund, der Adelina vor sieben Jahren in einer Gewitternacht zugelaufen war und seither Haus, Hof und vor allem seine von ihm angebetete Herrin bewachte. Die beiden Tiere teilten sich eine Mischung aus Speckresten und Brei und eine Schale Wasser.
«Soll ich Vater von dem Hirsebrei aufheben?», fragte Griet, die gerade dabei war, das Essen in die Holzschalen auf dem Tisch zu verteilen. «Bestimmt ist er hungrig, wenn er vom Wachdienst zurückkommt.»
«Ja, stell ihm etwas davon beiseite», stimmte Adelina zu. «Obwohl er vermutlich erst einmal ins Bett fallen und bis zum Mittag schlafen wird. Die Nachtwache an der Ulrepforte ist immer besonders anstrengend.»
«Er hat gestern Nachmittag noch einen neuen Versuch angefangen », erzählte Griet, während sie die Portion Brei für ihren Vater abmaß. «Ich könnte ihn nachher weiterführen, damit wir - »
«O nein, Griet, das lässt du schön bleiben.» Entschieden schüttelte Adelina den Kopf. «Ich möchte nicht, dass du allein im Laboratorium hantierst, es sei denn, du stellst Aqua Ardens her. Und das kannst du auch mit der Destille im Hinterzimmer tun.»
«Aber ... »
«Kein Aber, Griet. Ich will nicht, dass dir so ein Experiment mal danebengeht.»
«Das ist mir noch nie passiert!» Enttäuscht zupfte Griet am Ende ihres langen, schwarzen Zopfes. «Ich gehe immer ganz planvoll und vorsichtig vor, so wie Vater es mir beigebracht hat.»
«Das weiß ich, aber trotzdem möchte ich, dass er dabei ist, wenn du da unten herumwerkelst. Abgesehen davon brauche ich dich heute in der Apotheke. Bei diesem Wetter werden wir bestimmt ... » Sie brach ab, als ein kurzes, aber lautes Pochen am Hintereingang zu vernehmen war. «Nanu, wer ist das denn so früh?»
Ehe sie reagieren konnte, erschien Ludowig aus seiner und Franziskas Kammer. «Ich geh schon, Herrin. Bestimmt ist das der Karl mit einer neuen Fuhre Holz. Hat gesagt, er käm heute ganz früh.» Während er sprach, war er bereits zur Tür gegangen und hatte sie geöffnet.
Adelina nickte und wandte sich dem Tisch zu, hielt aber inne, als sie Ludowig einen erschrockenen Laut ausstoßen hörte. «Herrin? Herrje, kommt schnell!»
«Was ist denn?» Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte zur Hintertür. Wie angewurzelt blieb sie stehen, als sie ihren Bruder Tilmann erkannte, der sich mit beiden Händen am Türstock festklammerte und sich offenbar kaum aufrecht halten konnte. Ludowig versuchte, ihn zu stützen, doch in dem engen Flur hatten die beiden großen Männer kaum Platz.
«Heilige Muttergottes, was ist denn passiert?», rief Adelina und drängte sich an Ludowig vorbei. «Tilmann, warum ... ?»
«Verletzt», röchelte ihr Bruder mit fast tonloser Stimme. «Du musst ... ich kann nicht ... » Seine Stimme brach, er machte taumelnd einen Schritt auf sie zu. Im nächsten Moment ging er in die Knie und fiel besinnungslos zu Boden.
«Um Himmels willen!» Adelina hockte sich neben ihm nieder und tastete zuerst über sein Gesicht und den Hals. An der Schlagader spürte sie seinen flachen Puls.
«Ludowig, hilf mir. Wir müssen ihn irgendwo auf ein Bett legen. »
«Vitus' Kammer liegt am nächsten», stimmte der Knecht zu. «Ich muss nur - »
«O nein!», rief Adelina entsetzt. Sie hatte Tilmanns Mantel geöffnet und starrte nun auf einen riesigen Blutfleck, der sich über Hemd und Wams ihres Bruders ausgebreitet hatte. Offenbar hatte er versucht, die Blutung zu stillen, denn unter dem Wams beulte sich etwas, das Adelina für ein Stück verknäuelten Stoff hielt.
Rasch blickte sie sich um. «Magda, frisches Wasser, schnell! Mira, Griet - wo steckt ihr?»
Angezogen von dem Aufruhr waren die beiden Mädchen bereits aus der Küche gekommen und starrten sprachlos auf den bewusstlosen Mann.
«Holt saubere Tücher. Griet, geh zu Jupp und Marie. Jupp soll dir Bandagen geben und Wundsalbe und ... am besten kommt er gleich mit herüber.»
«Sofort, Mutter.» Griet war ganz blass geworden, machte sich aber umgehend auf den Weg nach nebenan. Mira hingegen beugte sich über Tilmann.
«Was ist ihm geschehen? Wurde er überfallen?»
«Ich weiß es nicht. Nun lauf schon und hol mir Tücher!»
«Ja, natürlich.» Mira nickte hastig und rannte davon.
«Vitus, komm mal aus deiner Kammer», hörte Adelina ihre Magd Franziska sagen. «Ludowig muss den Hauptmann auf dein Bett legen.»
«Warum?», fragte Vitus erstaunt. «Er wohnt doch gar nicht hier. Ui!» Er war in den Flur getreten und entdeckte nun den Verwundeten. «Der blutet ja!»
«Ja, Vitus, der Hauptmann ist verletzt», sagte Franziska. «Nun komm, wir müssen Ludowig Platz machen. Geh schon mal in die Küche und fang mit deinem Frühstück an.»
Nachdem die Magd Vitus in die Küche geschoben hatte, half sie Ludowig und Adelina, den Hauptmann der Stadtsoldaten so vorsichtig wie nur möglich zu Vitus' Bett zu transportieren.
«Was um alles in der Welt ist geschehen?», fragte sie, schien aber keine Antwort zu erwarten, denn sie eilte gleich wieder hinaus. «Ich kümmere mich um Colin und Katharina. Die beiden müssen Euch jetzt nicht auch noch zwischen den Füßen herumlaufen. »
Adelina war ihr von Herzen dankbar dafür. Vorsichtig versuchte sie, ihrem Bruder den Mantel auszuziehen. Dann blickte sie ratlos auf das blutige Wams.
Schritte wurden im Flur laut, und einen Moment später traten Jupp und Marie ein, dicht gefolgt von Griet, die ein Bündel Bandagen im Arm trug. Auch Mira tauchte mit den geforderten Leintüchern auf, und hinter ihr kam noch Magda mit einem Eimer Wasser dazu. Die kleine Kammer war heillos überfüllt.
Adelina richtete sich auf und griff zunächst nach den Bandagen. «Danke, Griet. Bitte geht jetzt alle hinaus. Nur Jupp und Marie nicht. Wir müssen feststellen, was Tilmann zugestoßen und wie schwer er verletzt ist, und dazu brauchen wir Platz.»
Das Gesinde gehorchte sofort, und auch die Mädchen verließen den Raum, wenn auch zögernd.
Jupp hatte sich indes über den Verwundeten gebeugt und ihn untersucht. Der Baderchirurg war ein Hüne von Mann mit braunem, kurzgeschnittenem Haar und sauber gestutztem Kinnbart. Vor Jahren hatte Neklas das Haus direkt neben der Apotheke gekauft und umbauen lassen. Die oberen Kammern vergrößerten den Wohnraum für seine Familie, die unteren Zimmer gehörten Jupp und dessen Frau Marie sowie den beiden inzwischen elfjährigen Zwillingen Bina und Malka. Auch Jupps Behandlungsraum befand sich dort.
«Wir müssen ihm die Kleider vom Leib schneiden», bestimmte er. «Anders geht es nicht. Marie?»
Seine Frau reichte ihm wortlos eine Schere, die sie samt einiger anderer Utensilien in einem kleinen Korb mit sich führte. Geschickt schnitt er Wams und Hemd auf und schälte dem Bewusstlosen beides vom Leib. Tatsächlich hatte sich Tilmann einen notdürftigen Verband aus Lumpen und einem zerrissenen Hemd angelegt. Auch diesen entfernte Jupp vorsichtig.
Adelina stieß einen entsetzten Laut aus. Offenbar war Tilmann an der rechten Seite gleich unterhalb der Rippen von einem Schwerthieb getroffen worden. Noch weit schlimmer jedoch als dieser Schnitt klaffte eine Wunde an seinem Bauch, die aussah, als stamme sie von einem Messer oder Dolch.
«Den Messstab», verlangte Jupp, ohne den Blick von den Wunden abzuwenden.
Wieder reichte Marie ihm das Gewünschte - einen unterarmlangen Metallstab, den Jupp nun vorsichtig zunächst in die Wunde an der Seite einführte.
«Nicht sehr tief», befand er, wischte den Stab mit einem der Tücher sauber und führte ihn dann in die Dolchwunde ein. Tilmann röchelte und zuckte zusammen. Offenbar war seine Bewusstlosigkeit nicht so tief, dass er keinen Schmerz empfand.
«Übel», urteilte Jupp, als er den Stab aus der Wunde zog. «Wahrscheinlich sind seine inneren Organe verletzt. Wie sehr, lässt sich leider nicht sagen. Aber bei einer so tiefen Wunde ist es fraglich, ob er es übersteht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er es überhaupt geschafft hat, damit herumzulaufen.» Er hob den Kopf und blickte Adelina an, die blass vor Entsetzen und Sorge seiner Tätigkeit zusah. «Ich säubere die Wunden und verbinde sie, aber wie gesagt ... » Seine Stimme wurde sanfter. «Viel Hoffnung kann ich dir nicht machen. Er hat wahrscheinlich bereits Unmengen von Blut verloren. Hast du eine Ahnung, mit wem er aneinandergeraten sein könnte?»
«Nein.» Adelina schüttelte den Kopf und schluckte hart. «Ich habe ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Seit dem Schützenfest auf dem Neumarkt im Juli, um genau zu sein.»
«Auf jeden Fall hat er sich gegen den oder die Angreifer gewehrt. » Jupp deutete auf mehrere frische Schrammen und Blutergüsse an Tilmanns Schultern, Armen und Brust. «Wir sollten ihn ganz entkleiden, um nachzusehen, ob es noch mehr Wunden gibt, die versorgt werden müssen. Kann er hier liegen bleiben? »
«Natürlich.» Adelina nickte. «Vitus kann in Colins Kammer schlafen.» Sie trat neben Jupp und legte ihm eine Hand auf den Arm. «Du musst ihm helfen. Er ist mein Bruder!»
Jupp tätschelte sie kurz. «Ich tue, was ich kann, Adelina. Aber solche Verletzungen ... »
«Bitte!» Sie verstärkte ihren Griff. «Das sind wir ihm schuldig. »
«Komm, Adelina, lass Jupp seine Arbeit machen.» Marie nahm ihre Freundin sanft bei den Schultern und schob sie zur Tür. «Lass uns in die Küche gehen und etwas essen. Bestimmt habt ihr alle noch nicht gefrühstückt.»
«Mir ist der Appetit gründlich vergangen», murmelte Adelina. Gerade als sie den Raum verlassen wollte, stieß Tilmann ein gequältes Stöhnen aus. Sogleich war sie wieder bei ihm, beugte sich über ihn und ergriff seine Hand. Seine Augenlider flatterten und hoben sich.
«Adelina ... » Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Röcheln. «Sag ... ihnen ... nichts.»
«Was? Was soll ich wem nicht sagen? Tilmann?» Sie beugte sich noch weiter zu ihm hinab.
«Ich ... war nie ... hier.» Sie konnte ihn kaum verstehen. «Nie ... hier ... wenn sie ... suchen ... sag ... nichts.» Seine Augen, von denen Adelina nicht sicher war, ob sie sie wirklich wahrgenommen hatten, schlossen sich wieder. Sein Kopf rollte auf die Seite.
«Tilmann? O Gott!» Sie ließ seine Hand los und tastete nach seinem Gesicht. «Ist er ... ?»
«Er atmet», sagte Jupp ruhig und deutete auf Tilmanns Bauchdecke, die sich leicht hob und senkte. «Aber ich kann wirklich nicht voraussagen, wie lange noch.»
2. Kapitel
Nachdem Jupp den verwundeten Hauptmann verarztet hatte, war er wieder nach nebenan gegangen. Marie erklärte sich bereit, an Tilmanns Krankenbett zu wachen, damit sich Adelina um ihren Haushalt und die Apotheke kümmern konnte.
Adelina war nicht wohl dabei, doch da Tilmann offenbar nicht wollte, dass jemand von seiner Anwesenheit in ihrem Haus erfuhr, war es wohl das Beste, den alltäglichen Arbeiten nachzugehen. Sie schickte Mira in Begleitung Ludowigs los, um einige bestellte Arzneien auszuliefern, und wies Griet an, mit der Destille im Hinterzimmer Weingeist herzustellen. Franziska war derweil mit Vitus auf den Weg zum Flickschuster. Adelina machte sich daran, das Konfekt, das sie am Vortag bereits vorbereitet hatte, mit einem gleichmäßigen Zuckerüberzug zu versehen.
Es war gerade eine Stunde hell, und sie erwartete Neklas jeden Augenblick von seiner Nachtwache zurück, als jemand heftig an der Haustür pochte. Augenblicke später ertönte eine dunkle Männerstimme: «Magister Burka? Meisterin? Ist jemand zu Hause?»
«Natürlich, tretet ein!» Eilig ging Adelina zur Tür und öffnete sie. Zu ihrer Überraschung sah sie sich dem neuen Vogt, Gerlach Haich, sowie einem der städtischen Büttel gegenüber. Eine böse Ahnung beschlich sie, doch sie ließ sich nichts anmerken.
«Wie kann ich Euch helfen, Herr Vogt?» Fragend musterte sie den schlanken, hochgewachsenen Mann, dessen schwarzes Haar im Nacken kurz geschoren und an den Schläfen bereits ergraut war. Seine grauen Augen blickten streng, aber freundlich in ihre Richtung, doch er schien ein wenig zu schielen. Die lange Hakennase und das etwas spitze Kinn gaben ihm ein ziegenhaftes Aussehen.
«Guten Morgen, Meisterin Burka», grüßte er. «Verzeiht die Störung. Wisst Ihr, wo sich Euer Bruder aufhält?»
«Mein Bruder?»
«Der Hauptmann, Tilmann Greverode. Der ist doch Euer Bruder, oder etwa nicht? Ist er hier im Haus?» «Tilmann ist mein Bruder.» Adelina nickte und spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufrichteten. Doch sie behielt weiterhin ein gleichmütiges Gesicht. «Leider weiß ich nicht, wo er sich gerade aufhält. Ich habe ihn schon seit einigen Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es heißt, er sei zuletzt viel für den Rat auf Reisen gewesen. Aber auch wenn er in der Stadt ist, besucht er mich nicht oft. Warum glaubt Ihr, dass er hier sein könnte?»
«Weil er nicht so dumm sein wird, sich in seinem eigenen Haus zu verstecken», antwortete der Vogt mit einem dünnen Lächeln, das Adelina nicht gefiel.
«Was soll das heißen?», fragte sie. «Warum sollte er sich verstecken? » Ihr Herz begann unangenehm gegen ihre Rippen zu pochen.
«Weil er einen Mord begangen hat, Meisterin», sagte der Vogt ohne jegliche Regung. «Gestern Abend oder heute Nacht. Es kann nicht lange her sein.»
Adelina wurde blass und fühlte einen Schauer über ihr Rückgrat kriechen. «Was sagt Ihr da? Einen Mord?» Energisch schüttelte sie den Kopf. «Niemals. Mein Bruder ist ein Ehrenmann und Hauptmann der Kölner Stadtsoldaten. Kein Mörder.» Sie hielt inne. «Wen soll er denn angeblich umgebracht haben?»
«Clais van Dalen, den zweiten Kölner Hauptmann.» «
Mutter, wer ist denn da?» Griet hatte die Apotheke durch die Tür zum Hinterzimmer betreten. Als sie den Vogt sah, kam sie zögernd näher. «Stimmt etwas nicht?»
«Das ist vollkommen unmöglich!», rief Adelina erschüttert. «Clais und Tilmann sind ... waren gute Freunde. Warum sollte Tilmann ihn umbringen?»
«Mutter?» Griet griff entsetzt nach Adelinas Arm. «Was hat das zu bedeuten?»
«Geh wieder zur Destille, Kind», murmelte Adelina und warf Griet einen vielsagenden Blick zu.
Doch das Mädchen schüttelte den Kopf. «Auf keinen Fall, Mutter.»
«Er ist also ganz sicher nicht hier im Haus?»
«Nein.» Adelina verschränkte die Arme vor dem Leib.
«Aber Ihr gebt mir oder dem Gewaltrichter Reese umgehend Bescheid, wenn er hier auftaucht?»
«Er hat niemanden getötet», beharrte sie anstelle einer Antwort. «Das ist verrückt.»
«Leider haben wir stichhaltige Hinweise, dass er es war», erklärte der Vogt und behielt noch immer diesen freundlich-kühlen Tonfall bei, der, gepaart mit seinem Lächeln, plötzlich feindselig auf sie wirkte. «Man hat seinen Dolch blutbesudelt neben dem Toten gefunden.»
«Adelina, nun beruhige dich endlich», sagte Neklas am späten Nachmittag. Adelina und er hatten sich den ganzen Tag bereits über kaum etwas anderes als Tilmanns Verwundung und den Besuch des Vogtes unterhalten. Neklas deutete auf die Ofenbank in der Küche. «Setz dich. Du machst mich ganz nervös!»
«Nein, ich beruhige mich nicht!», widersprach sie erregt. «Wie sollte ich auch? Der Mord an Clais van Dalen ist Stadtgespräch, und Tilmann liegt halb tot in Vitus' Kammer. Aber ich weigere mich zu glauben, dass er ein Mörder ist.»
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Autoren-Porträt von Petra Schier
Petra Schier, Jahrgang 1978, lebt mit ihrem Mann und einem Schäferhund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel. Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2005 als freie Autorin. Ihre historischen Romane, darunter die Reihe um die Apothekerin Adelina, vereinen spannende Fiktion mit genau recherchierten Fakten. Petra Schier ist Mitglied des Vorstands der Autorenvereinigung DELIA.
Bibliographische Angaben
- Autor: Petra Schier
- 2013, 6. Auflage, 398 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499259222
- ISBN-13: 9783499259227
- Erscheinungsdatum: 01.07.2013
Rezension zu „Verschwörung im Zeughaus “
Ein Genuss, den Abend in Petra Schiers historischer Romanwelt zu verbringen! buechertitel.de
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