Unter allen Beeten ist Ruh' / Pippa Bolle Bd.1
Ein Schrebergarten-Krimi. Originalausgabe
Pippa Bolle hat die Nase voll und zieht aus ihrer Berliner Großstadt-WG aus. Ab auf die Insel. Nämlich nach Schreberwerder, eine Kleingartenkolonie. Und ein Paradies für Großstadtmenschen. Gute Luft, Vogelgezwitscher. Aber von wegen...
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Produktinformationen zu „Unter allen Beeten ist Ruh' / Pippa Bolle Bd.1 “
Pippa Bolle hat die Nase voll und zieht aus ihrer Berliner Großstadt-WG aus. Ab auf die Insel. Nämlich nach Schreberwerder, eine Kleingartenkolonie. Und ein Paradies für Großstadtmenschen. Gute Luft, Vogelgezwitscher. Aber von wegen Idylle: Kaum ist Pippa angekommen, gibt es schon den ersten Toten.
Klappentext zu „Unter allen Beeten ist Ruh' / Pippa Bolle Bd.1 “
Pippa Bolle hat die Nase voll von ihrer verrückten Berliner Familien-WG und bietet ihre Dienste als Haushüterin in der beschaulichen Kleingartenkolonie auf der Insel Schreberwerder an. Das Paradies für jeden Grossstädter! Bienen summen, Vögel zwitschern, das Havelwasser plätschert. Doch die Ruhe trügt: Nachbarn streiten sich um Grundstücke, ein Unternehmer träumt vom grossen Coup. Und dann gibt es auch schon die erste Tote...Lese-Probe zu „Unter allen Beeten ist Ruh' / Pippa Bolle Bd.1 “
Unter allen Beeten ist Ruh von Auerbach und KellerProlog
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Der märkische Sand knirschte unter Lutz Erdmanns italienischen Schuhen, als er den Weg durch die Parzellen einschlug. Mit leichtem Stirnrunzeln musterte er die feine Staubschicht, die sich der glänzenden Eleganz bemächtigt hatte, und verfluchte die Angewohnheit der Bewohner von Schreberwerder, täglich vor ihren Kleingärten zu harken.
Erdmann straffte die Schultern. Bald würde sich das alles ändern. Dafür würde er sorgen. Dies war seine persönliche Mission, und sie würde gelingen.
Aus dem Augenwinkel sah Erdmann, wie Herr X auf der anderen Seite seines lächerlichen Gartenzaunes die Spritze mit dem Unkrautvertilgungsmittel sinken ließ und ihm nachstarrte. Lutz Erdmann lächelte spöttisch. Du kommst auch noch dran. Künstler. Notorisch pleite. Leichtes Spiel.
Er sah nicht mehr, dass Herr X die Augen zusammenkniff und einen dicken Strahl aus der Sprühflasche in seine Richtung schickte. »Ungeziefer«, murmelte Herr X.
Dann verließ er seine Stangenbohnen und rannte zum einzigen Fahnenmast der Insel. Eilig hisste er die blutrote Flagge mit dem schwarzen Totenkopf. Jetzt waren Viktor und Luis an der Reihe. Und Plan B.
Lutz Erdmann sah nicht zurück. Kerzengerade stand er vor einer schmiedeeisernen Pforte, die er liebend gerne eingerissen hätte, zupfte noch einmal an der Zellophanfolie, die sich um sündteure Calla und Strelizien bauschte, und zog an der Glockenschnur. Ein helles Läuten erklang.
Fast augenblicklich erschien Dorabella von Schlittwitz' schlanke Gestalt in der Tür ihres Schreberhäuschens. Sie zog die Stirn in Falten und kam dann mit Hilfe zweier Krücken erstaunlich gewandt den Plattenweg entlang. Lutz Erdmann knipste ein strahlendes Lächeln an, das von Dorabella jedoch weder beachtet noch erwidert wurde. Am Gartentor hob sie drohend eine Krücke und bellte: »Sie stören!«
Lutz Erdmann zuckte mit keiner Wimper. Er hielt den Blumenstrauß hoch und gurrte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe gnädige Frau. Hätten Sie einen Moment Zeit?« Er griff nach der Klinke des Tores. »Darf ich ...?«
»Nein«, antwortete Dorabella bestimmt. »Wir haben nichts zu besprechen. Sie bekommen meine Parzelle nicht. Ihr Angebot ist lächerlich.«
Erdmann zog ein Kuvert aus der Innentasche seines Blazers. »Warten Sie ab, gnädige Frau. Wenn Sie meinen neuen Vorschlag sehen ...« Er hielt Blumenstrauß und Umschlag über das brusthohe Tor und fügte hinzu: »Das ist ein Gutschein für einen Luxustag in meiner Wellness-Oase in der Innenstadt. Mein Geschenk für Sie, liebe Frau von Schlittwitz: Lassen Sie sich verwöhnen. Massage, Faltenreduktion durch Akupunktur, Fettabbau durch Tiefenwärmebehandlung ...«
Dorabellas Gesicht verfinsterte sich. »Sie meinen also, dass ich das nötig habe?«
Lutz Erdmann lächelte ölig. »Natürlich nicht, gnädige Frau, aber welche Dame von Welt ließe sich nicht gern ...«
»Und Sie denken außerdem, dass tote Blumen für die alte Schrapnelle das Richtige sind, um sich an die steife Welt da draußen zu gewöhnen, während ich ...«, sie wies mit der rechten Hand auf die üppig blühende Blumenpracht um sich herum, »... das alles hier habe? Sie sind ein sehr dummer Mensch, wenn Sie glauben, dass ich meinen Garten aufgebe.«
Sie schnaubte verächtlich und riss ihm mit einer schnellen Bewegung den Gutschein aus der Hand. Ohne Erdmann eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um und humpelte hinter ihr Häuschen.
Erdmann sah ärgerlich auf den verschmähten Strauß. Halsstarrige alte Krähe! Die Blumen hatten ein verdammtes Vermögen gekostet. Warum mussten alte Leute immer so verflucht störrisch sein! Peschmanns wollten doch auch verkaufen, und Angelika Christs Kapitulation lag nur noch ein paar Stunden persönlicher Zuwendung entfernt ...
Bei dieser Vorstellung lächelte Erdmann zufrieden. Mit sechs von zwölf Parzellen gehörte die Insel faktisch ihm. Mehr als die Hälfte der Insel. Da wurde es für die anderen schon langsam ungemütlich. Wenn er erst anfing zu bauen, würden sie ihn noch anflehen, ihre Grundstücke zu kaufen - dann aber zu seinen Konditionen.
Im Hochgefühl des Siegers drehte er sich um - und prallte gegen Viktor Hauser und Luis Krawuttke, die sich unbemerkt hinter ihm aufgebaut hatten. Die beiden alten Herren hielten die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre finsteren Gesichter zeigten wilde Entschlossenheit.
Einen Atemzug später fiel der Strauß mit den makellosen Blumen in den märkischen Sand.
Kapitel 1
Freddy! Pippa! Die ›britischen Buletten‹ sind fertig!« Pippa Bolle fuhr erschrocken zusammen, als sie die
Stimme ihres Vaters direkt hinter sich hörte, und stieß dabei ihr Wasserglas um. Der Inhalt ergoss sich über das wuchtige englisch-deutsche Wörterbuch, das aufgeschlagen auf ihrem Schreibtisch lag. Mit Hilfe der weiten Ärmel ihrer Strickjacke versuchte sie hektisch, das Malheur zu beseitigen und drückte dabei das Wasser nur noch tiefer in die Seiten. Ketch up, Gemüsebrühe, Butter, Tee, Tränen ... und jetzt San Pellegrino: Das Nachschlagewerk hatte im Laufe seiner Einsätze vieles aufgesogen. Jetzt hatte es Geburtswehen - Gefrierbrand erwischt. Es wurde wirklich allmählich Zeit, dass sie lernte, mit Online-Lexika zu arbeiten.
Pippa warf einen resignierten Blick auf ihren Schreibtisch. Dort lag ihre aktuelle Arbeit mit dem beeindruckenden Titel: »Die Veränderung des Gefieders beim Podiceps cristatus oder Gemeinen Haubentaucher unter umweltbezogenen Stressbedingungen der verschiedenen Brutzonen und Jahreszeiten«. Ein Übersetzungsauftrag der Freien Universität Berlin, Kategorie Doppel-L: langweilig, aber lukrativ.
»Kommst du? Und bring Freddy mit«, schob Bertold Bolle hinterher, als seine Tochter sich nicht rührte.
»Ich arbeite gerade«, sagte Pippa vorwurfsvoll, wenn auch wenig überzeugend. »Dann machst du eben später weiter«, schlug ihr Vater vor und verschwand wieder in der elterlichen Wohnung.
Dann machst du eben später weiter - wenn das so einfach wäre! Wenn sie an einer Übersetzung arbeitete, benötigte sie absolute Konzentration. Eine Unterbrechung konnte verheerende Folgen haben, weil sie Gefahr lief, den Faden - und vor allem das Interesse - an den trockenen Stoffen zu verlieren, die ihr die Berliner Hochschulen zukommen ließen. Pippa seufzte. Diese Aufträge brachten Geld, hatten aber mit den erträumten literarischen Übersetzungen ebenso viel zu tun wie ein Haubentaucher mit einem Hammerhai.
In diesem Moment wurde von Freddys Seite die zweite Verbindungstür aufgerissen. Eine Einladung zum Essen, und schon erwachte ihr kleiner Bruder aus seinem Phlegma. Freddy stolperte über seine eigenen Füße, als er durch Pippas Wohn-Schlaf-Arbeitszimmer eilte.
Pippa schlenderte hinter ihm her, stellte sich an den gusseisernen Aga-Herd, den ihre Mutter aus England importiert hatte, und sah zu, wie diese die letzte Fuhre Buletten à la Britannia aus dem brutzelnden Fett holte.
»Danke, dass du heute allein gekocht hast, Mum«, sagte Pippa.
»You're welcome, Dear«, antwortete Effie in ihrer Muttersprache und schichtete die Frikadellen kunstvoll auf die Platte mit der Bulettenpyramide. »Hauptsache, du bist mit diesem schrecklichen Text ein Stück weitergekommen. Bertie, denk an die Servietten. Freddy, an der Tür steht die Kühlbox mit den Getränken. Pippa, du nimmst die Schale mit dem Obstsalat.«
»Mum, sei bitte nicht böse, aber ...« Pippa sah ihre Mutter bittend an. »Du musst doch auch mal Pause machen, Love, kein Mensch kann ohne Unterbrechung ordentlich arbeiten«, befand Effie kategorisch.
Pippa schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade mittendrin. Wenn ich jetzt aussetze, kriege ich heute nichts mehr fertig. Ich nehme mir zwei Buletten mit an den Schreibtisch. Grüß alle von mir, ja?«
Obwohl ihre Mutter unwillig die Stirn runzelte, schnappte sich Pippa zwei Bratlinge und ging zurück in ihr Arbeitszimmer.
Sie öffnete das Fenster, das auf den Hinterhof der Transvaalstraße 55 hinausging, und sah hinunter.
Heinrich Zille hätte dieses Bild nicht schöner malen können: Ein vollständiges Karree aus Vorder- und Hinterhaus, verbunden durch zwei Seitenflügel, und ein vom Berliner Straßenlärm gänzlich unberührter, liebevoll gepflegter Innenhof bildeten einen in sich geschlossenen Kosmos, der von lebhaften Familien nebst Trabanten bewohnt wurde. Lautstark bewohnt: Das harmonische Miteinander der Hausgemeinschaft führte oft zu Unterhaltungen von Fenster zu Fenster - besonders gerne auch quer über den Hof.
Leider.
Pippa holte tief Luft. Ein bisschen weniger Idylle und ein wenig mehr Privatsphäre wären für ihre Arbeit in jeder Hinsicht besser. Sie hatte in den letzten sieben Jahren in Italien gelebt und bemühte sich jetzt intensiv, alte und neue Auftraggeber zu rekrutieren, um in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Das ging nur mit fehlerfreier, exzellenter Arbeit, und die gab es bei Pippa nur in Ruhe und Ungestörtheit.
Aber einem geschenkten Gaul sah man nicht ins Maul. Die kleine Einzimmerbleibe zwischen der Hauswartswohnung ihrer Eltern und der Junggesellenbude ihres Bruders war offiziell als Hausmeisterbüro deklariert und kostete sie keinen Cent Miete, was exakt zu ihrem derzeitigen Budget passte. Sie scherzte oft mit ihrer Freundin Karin, dass sie sich ihren Beruf als Übersetzerin eigentlich nur mit freier Kost und Logis leisten konnte.
Der märkische Sand knirschte unter Lutz Erdmanns italienischen Schuhen, als er den Weg durch die Parzellen einschlug. Mit leichtem Stirnrunzeln musterte er die feine Staubschicht, die sich der glänzenden Eleganz bemächtigt hatte, und verfluchte die Angewohnheit der Bewohner von Schreberwerder, täglich vor ihren Kleingärten zu harken.
Erdmann straffte die Schultern. Bald würde sich das alles ändern. Dafür würde er sorgen. Dies war seine persönliche Mission, und sie würde gelingen.
Aus dem Augenwinkel sah Erdmann, wie Herr X auf der anderen Seite seines lächerlichen Gartenzaunes die Spritze mit dem Unkrautvertilgungsmittel sinken ließ und ihm nachstarrte. Lutz Erdmann lächelte spöttisch. Du kommst auch noch dran. Künstler. Notorisch pleite. Leichtes Spiel.
Er sah nicht mehr, dass Herr X die Augen zusammenkniff und einen dicken Strahl aus der Sprühflasche in seine Richtung schickte. »Ungeziefer«, murmelte Herr X.
Dann verließ er seine Stangenbohnen und rannte zum einzigen Fahnenmast der Insel. Eilig hisste er die blutrote Flagge mit dem schwarzen Totenkopf. Jetzt waren Viktor und Luis an der Reihe. Und Plan B.
Lutz Erdmann sah nicht zurück. Kerzengerade stand er vor einer schmiedeeisernen Pforte, die er liebend gerne eingerissen hätte, zupfte noch einmal an der Zellophanfolie, die sich um sündteure Calla und Strelizien bauschte, und zog an der Glockenschnur. Ein helles Läuten erklang.
Fast augenblicklich erschien Dorabella von Schlittwitz' schlanke Gestalt in der Tür ihres Schreberhäuschens. Sie zog die Stirn in Falten und kam dann mit Hilfe zweier Krücken erstaunlich gewandt den Plattenweg entlang. Lutz Erdmann knipste ein strahlendes Lächeln an, das von Dorabella jedoch weder beachtet noch erwidert wurde. Am Gartentor hob sie drohend eine Krücke und bellte: »Sie stören!«
Lutz Erdmann zuckte mit keiner Wimper. Er hielt den Blumenstrauß hoch und gurrte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe gnädige Frau. Hätten Sie einen Moment Zeit?« Er griff nach der Klinke des Tores. »Darf ich ...?«
»Nein«, antwortete Dorabella bestimmt. »Wir haben nichts zu besprechen. Sie bekommen meine Parzelle nicht. Ihr Angebot ist lächerlich.«
Erdmann zog ein Kuvert aus der Innentasche seines Blazers. »Warten Sie ab, gnädige Frau. Wenn Sie meinen neuen Vorschlag sehen ...« Er hielt Blumenstrauß und Umschlag über das brusthohe Tor und fügte hinzu: »Das ist ein Gutschein für einen Luxustag in meiner Wellness-Oase in der Innenstadt. Mein Geschenk für Sie, liebe Frau von Schlittwitz: Lassen Sie sich verwöhnen. Massage, Faltenreduktion durch Akupunktur, Fettabbau durch Tiefenwärmebehandlung ...«
Dorabellas Gesicht verfinsterte sich. »Sie meinen also, dass ich das nötig habe?«
Lutz Erdmann lächelte ölig. »Natürlich nicht, gnädige Frau, aber welche Dame von Welt ließe sich nicht gern ...«
»Und Sie denken außerdem, dass tote Blumen für die alte Schrapnelle das Richtige sind, um sich an die steife Welt da draußen zu gewöhnen, während ich ...«, sie wies mit der rechten Hand auf die üppig blühende Blumenpracht um sich herum, »... das alles hier habe? Sie sind ein sehr dummer Mensch, wenn Sie glauben, dass ich meinen Garten aufgebe.«
Sie schnaubte verächtlich und riss ihm mit einer schnellen Bewegung den Gutschein aus der Hand. Ohne Erdmann eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um und humpelte hinter ihr Häuschen.
Erdmann sah ärgerlich auf den verschmähten Strauß. Halsstarrige alte Krähe! Die Blumen hatten ein verdammtes Vermögen gekostet. Warum mussten alte Leute immer so verflucht störrisch sein! Peschmanns wollten doch auch verkaufen, und Angelika Christs Kapitulation lag nur noch ein paar Stunden persönlicher Zuwendung entfernt ...
Bei dieser Vorstellung lächelte Erdmann zufrieden. Mit sechs von zwölf Parzellen gehörte die Insel faktisch ihm. Mehr als die Hälfte der Insel. Da wurde es für die anderen schon langsam ungemütlich. Wenn er erst anfing zu bauen, würden sie ihn noch anflehen, ihre Grundstücke zu kaufen - dann aber zu seinen Konditionen.
Im Hochgefühl des Siegers drehte er sich um - und prallte gegen Viktor Hauser und Luis Krawuttke, die sich unbemerkt hinter ihm aufgebaut hatten. Die beiden alten Herren hielten die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre finsteren Gesichter zeigten wilde Entschlossenheit.
Einen Atemzug später fiel der Strauß mit den makellosen Blumen in den märkischen Sand.
Kapitel 1
Freddy! Pippa! Die ›britischen Buletten‹ sind fertig!« Pippa Bolle fuhr erschrocken zusammen, als sie die
Stimme ihres Vaters direkt hinter sich hörte, und stieß dabei ihr Wasserglas um. Der Inhalt ergoss sich über das wuchtige englisch-deutsche Wörterbuch, das aufgeschlagen auf ihrem Schreibtisch lag. Mit Hilfe der weiten Ärmel ihrer Strickjacke versuchte sie hektisch, das Malheur zu beseitigen und drückte dabei das Wasser nur noch tiefer in die Seiten. Ketch up, Gemüsebrühe, Butter, Tee, Tränen ... und jetzt San Pellegrino: Das Nachschlagewerk hatte im Laufe seiner Einsätze vieles aufgesogen. Jetzt hatte es Geburtswehen - Gefrierbrand erwischt. Es wurde wirklich allmählich Zeit, dass sie lernte, mit Online-Lexika zu arbeiten.
Pippa warf einen resignierten Blick auf ihren Schreibtisch. Dort lag ihre aktuelle Arbeit mit dem beeindruckenden Titel: »Die Veränderung des Gefieders beim Podiceps cristatus oder Gemeinen Haubentaucher unter umweltbezogenen Stressbedingungen der verschiedenen Brutzonen und Jahreszeiten«. Ein Übersetzungsauftrag der Freien Universität Berlin, Kategorie Doppel-L: langweilig, aber lukrativ.
»Kommst du? Und bring Freddy mit«, schob Bertold Bolle hinterher, als seine Tochter sich nicht rührte.
»Ich arbeite gerade«, sagte Pippa vorwurfsvoll, wenn auch wenig überzeugend. »Dann machst du eben später weiter«, schlug ihr Vater vor und verschwand wieder in der elterlichen Wohnung.
Dann machst du eben später weiter - wenn das so einfach wäre! Wenn sie an einer Übersetzung arbeitete, benötigte sie absolute Konzentration. Eine Unterbrechung konnte verheerende Folgen haben, weil sie Gefahr lief, den Faden - und vor allem das Interesse - an den trockenen Stoffen zu verlieren, die ihr die Berliner Hochschulen zukommen ließen. Pippa seufzte. Diese Aufträge brachten Geld, hatten aber mit den erträumten literarischen Übersetzungen ebenso viel zu tun wie ein Haubentaucher mit einem Hammerhai.
In diesem Moment wurde von Freddys Seite die zweite Verbindungstür aufgerissen. Eine Einladung zum Essen, und schon erwachte ihr kleiner Bruder aus seinem Phlegma. Freddy stolperte über seine eigenen Füße, als er durch Pippas Wohn-Schlaf-Arbeitszimmer eilte.
Pippa schlenderte hinter ihm her, stellte sich an den gusseisernen Aga-Herd, den ihre Mutter aus England importiert hatte, und sah zu, wie diese die letzte Fuhre Buletten à la Britannia aus dem brutzelnden Fett holte.
»Danke, dass du heute allein gekocht hast, Mum«, sagte Pippa.
»You're welcome, Dear«, antwortete Effie in ihrer Muttersprache und schichtete die Frikadellen kunstvoll auf die Platte mit der Bulettenpyramide. »Hauptsache, du bist mit diesem schrecklichen Text ein Stück weitergekommen. Bertie, denk an die Servietten. Freddy, an der Tür steht die Kühlbox mit den Getränken. Pippa, du nimmst die Schale mit dem Obstsalat.«
»Mum, sei bitte nicht böse, aber ...« Pippa sah ihre Mutter bittend an. »Du musst doch auch mal Pause machen, Love, kein Mensch kann ohne Unterbrechung ordentlich arbeiten«, befand Effie kategorisch.
Pippa schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade mittendrin. Wenn ich jetzt aussetze, kriege ich heute nichts mehr fertig. Ich nehme mir zwei Buletten mit an den Schreibtisch. Grüß alle von mir, ja?«
Obwohl ihre Mutter unwillig die Stirn runzelte, schnappte sich Pippa zwei Bratlinge und ging zurück in ihr Arbeitszimmer.
Sie öffnete das Fenster, das auf den Hinterhof der Transvaalstraße 55 hinausging, und sah hinunter.
Heinrich Zille hätte dieses Bild nicht schöner malen können: Ein vollständiges Karree aus Vorder- und Hinterhaus, verbunden durch zwei Seitenflügel, und ein vom Berliner Straßenlärm gänzlich unberührter, liebevoll gepflegter Innenhof bildeten einen in sich geschlossenen Kosmos, der von lebhaften Familien nebst Trabanten bewohnt wurde. Lautstark bewohnt: Das harmonische Miteinander der Hausgemeinschaft führte oft zu Unterhaltungen von Fenster zu Fenster - besonders gerne auch quer über den Hof.
Leider.
Pippa holte tief Luft. Ein bisschen weniger Idylle und ein wenig mehr Privatsphäre wären für ihre Arbeit in jeder Hinsicht besser. Sie hatte in den letzten sieben Jahren in Italien gelebt und bemühte sich jetzt intensiv, alte und neue Auftraggeber zu rekrutieren, um in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Das ging nur mit fehlerfreier, exzellenter Arbeit, und die gab es bei Pippa nur in Ruhe und Ungestörtheit.
Aber einem geschenkten Gaul sah man nicht ins Maul. Die kleine Einzimmerbleibe zwischen der Hauswartswohnung ihrer Eltern und der Junggesellenbude ihres Bruders war offiziell als Hausmeisterbüro deklariert und kostete sie keinen Cent Miete, was exakt zu ihrem derzeitigen Budget passte. Sie scherzte oft mit ihrer Freundin Karin, dass sie sich ihren Beruf als Übersetzerin eigentlich nur mit freier Kost und Logis leisten konnte.
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Autoren-Porträt von Auerbach & Keller
Frau Auerbach lebt und arbeitet als freie Autorin im Rheingau. Sie schreibt Krimis, Kurzgeschichten und Drehbücher. Sie liebt einsame Inseln aller Längen- und Breitengrade, auf denen und über die sie schreibt. Ihre lebenslange Passion gilt Shakespeare und einem guten Glas Single Malt Whisky.Frau Keller ist seit 2005 freie Schriftstellerin, nachdem sie u.a. als Köchin gearbeitet, Veranstaltungen organisiert, internationale Pressearbeit gemacht und Schauspieler betreut hat - natürlich nacheinander. Nach vielen Jahren im Ruhrgebiet ist sie zu ihren familiären Wurzeln zurückgekehrt und lebt jetzt an der Nordseeküste.
Bibliographische Angaben
- Autor: Auerbach & Keller
- 2011, 6. Aufl., 400 Seiten, Masse: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548610374
- ISBN-13: 9783548610375
- Erscheinungsdatum: 13.04.2011
Rezension zu „Unter allen Beeten ist Ruh' / Pippa Bolle Bd.1 “
»Kurzweilig, charmant und amüsant« Ostthüringer Zeitung, Christiane Kneisel, 13.08.11
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