Unheilige Paare?
Liebesgeschichten, die keine sein durften
Beziehung verboten?!
Berühmte Kirchenmänner und -frauen zwischen Glaube und Eros
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Unheilige Paare? “
Beziehung verboten?!
Berühmte Kirchenmänner und -frauen zwischen Glaube und Eros
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Klappentext zu „Unheilige Paare? “
Beziehung verboten!? Dieses Buch gibt intime Einblicke in die Liebesgeschichten von acht (un)heiligen Paaren: große Kirchenmänner und -frauen, die im Dilemma zwischen Glauben und Eros lebten. Einige ernteten Bewunderung für ihren gemeinsamen Weg, andere handfeste Skandale, Spott und Empörung. Es sind Geschichten von Scheitern und Gelingen, von Beschämung und Verrat, von Treue und Verwandlung: Martin Luther entführt und heiratet die Nonne Katharina von Bora; Clemens Brentano verliert sich in religiöser Leidenschaft für die Mystikerin Anna Katharina Emmerick; der verheiratete Theologe Karl Barth stürzt sich in eine ménage à trois mit Nelly Hoffmann und Charlotte von Kirschbaum; die Dichterin Luise Rinser und der Jesuitenpater Karl Rahner leiden an ihrer Liebe, die nur eine geistliche bleiben darf ... In acht einfühlsamen Portraits kann man hier Zwiegesprächen von Herz zu Herz lauschen. Sie erzählen vom Mut, unbequeme Wege zu gehen und der Leidenschaft füreinander und den eigenen Glauben treu zu bleiben. Sehr unterschiedliche Frauen und Männer kommen zu Wort. Doch sie alle wussten ihre Passion zu nutzen: für einen Aufbruch aus einengenden Lebensformen, für einen spirituellen Neuanfang. Eine fesselnde Spurensuche in den Biografien großer Persönlichkeiten, ein geistreiches Buch über das Wachsen an der Liebe und das Leiden am Zölibat. Heloïse und Abaelard Klara und Franz von Assisi Katharina von Bora und Martin Luther Johanna von Chantal und Franz von Sales Clemens Brentano und Anna Emmerick Karl Barth, Nelly Hoffmann und Charlotte von Kirschbaum Adrienne von Speyr und Hans Urs von Balthasar Luise Rinser und Karl Rahner
Lese-Probe zu „Unheilige Paare? “
Unheilige Paare? von Elke Pahud de Mortanges Vorwort
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Als im Dezember 2008 in der Neuen Zürcher Zeitung mein Beitrag zur Edition des Briefwechsels zwischen dem verheirateten reformierten Theologen Karl Barth und seiner Mitarbeiterin und Lebensgefährtin Charlotte von Kirschbaum unter dem Titel »Das strengste Urteil wider mein irdisches Leben« erschien, hat dieser ein unerwartet großes Echo gefunden. Dies auch, aber nicht in erster Linie bei Fachtheologen, sondern namentlich bei Menschen, die sich nach eigenem Bekunden ansonsten nicht besonders für Religion, Theologie und Kirche interessieren. Wer wollte leugnen, dass sich dieses Interesse auch einem klitzekleinen Hauch Voyeurismus verdankte, ist doch die Ménage à trois, die Barth mit seiner Ehefrau Nelly und Charlotte lebte, etwas, das man eher unter Künstlern, nicht aber in Theologen- und Kirchenkreisen erwartet.
Dieses Interesse aber bloß als vermeintliche Bestätigung der journalistischen Maxime »sex sells« zu verbuchen, greift zu kurz. Denn in vielen Gesprächen wurde deutlich, dass diese Geschichte vor allem auch deshalb so in ihren Bann zieht, weil die Leidenschaft zweier Menschen füreinander, weil das damit verbundene Leiden dreier Menschen aneinander unentwirrbar verwoben ist mit ihren religiösen Optionen und theologischen Passionen. Die vermeintlich nur private (Liebes-)Geschichte öff net den Blick auf die konkreten Zeitumstände, auf die religiösen Lebenswelten und die theologischen Denkräume, die diese Menschen bewohnten, die sie prägten und die sie ihrerseits gestalteten. In diese Welten und Räume gelangt man, ohne dass historisches oder theologisches Vorwissen nötig wäre, über die theologische Hintertreppe. Weil ich zudem öfters ein fragendstaunendes »Ach was?« hörte, wenn ich erwähnte, dass das lebenslange verzweifelte Ringen der beiden Theologenköpfe Karl Barth und Charlotte von Kirschbaum um eine Lebensform für ihre Liebe keineswegs so singulär ist, wie man vielleicht meinen könnte, habe ich mich ermutigen lassen, den Weg der theologischen Hintertreppe weiter zu beschreiten und dieses Buch über acht Paare zu schreiben, deren weltliche und geistliche Lebensentwürfe bis heute in der Geschichte des christlichen Lebens und Denkens ihren Zauber entfalten.
Beim Schreiben dieses Buches haben mich mehrere Menschen begleitet, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Meinem Mann, Professor Dr. René Pahud de Mortanges, der mir in seiner liebenden Zugewandtheit und treuen Weggefährtenschaft immer neu Raum gibt und mich trägt und trägt und trägt. Frau PD Dr. Kathrin Utz Tremp, die mir in meinen Schweizer Jahren zur wichtigen Gesprächspartnerin und treuen Freundin geworden ist und die auch das Entstehen dieses Buches durch konstruktive Kritik begleitet hat. Herrn Winfried Nonhoff, der ohne Zögern und mit berührender Begeisterung sich das Buchprojekt zu eigen gemacht und kurz vor seinem Weggang die Tür zum Kösel-Verlag weit geöffnet hat, sowie Frau Silke Foos, die als Lektorin die Drucklegung des Manuskripts mit Verve, Sachverstand und großem Engagement vorangetrieben hat.
Greng, im März 2011 Elke Pahud de Mortanges
Einleitung
Dass das Herz weit und ohne Grenzen wird in der Begegnung und im Austausch mit einem menschlichen »Du«, das ist eine Erfahrung, die die acht Paare, die in diesem Buch porträtiert werden, verbindet. Es sind Paare aus der christlichen Frömmigkeitsgeschichte, deren Wege sich zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen geografischen und geistigen Räumen gekreuzt und bisweilen lebenslang verbunden, bisweilen aber auch nach einiger Zeit wieder getrennt haben. Ihrer Wegespur folgend durchschreiten wir nicht nur ein ganzes Jahrtausend, sondern auch halb Europa und gelangen nach Wittenberg und Dülmen (Deutschland), nach Innsbruck (Österreich), nach Annecy, Dijon und Paris (Frankreich), nach Basel (Schweiz) und nach Assisi und Rom (Italien).
Die Menschen, die wir an diesen Orten antreffen und deren Zwiegespräch von Herz zu Herz wir lauschen werden, sind alle sehr verschieden. Sie sind religiöse Schrift steller, Ordensmänner, Bischöfe und Theologieprofessoren, sie sind Ordensfrauen, Ehefrauen, Mütter, Ärztinnen, Mystikerinnen und Schrift stelle- rinnen. Manche von ihnen sind noch sehr jung, andere sind bereits in der Lebensmitte angekommen, wieder andere stehen schon am Beginn des âge d'or, als ihre Wege sich kreuzen. Doch so verschieden die Lebensalter und die Zufahrtswege auch sind: Gemeinsam ist diesen Menschen, dass sie sich im Du des anderen suchen und finden und dass diese ihre Passion füreinander untrennbar verwoben ist mit ihrer religiösen Suche und ihrer Passion für den christlichen Weg. Gemeinsam ist ihnen auch ein inneres Wissen, wonach Gott selbst es war, der sie zusammengeführt und einander gegeben hat.
Gestalt und Kontur gewinnen diese Paare der christlichen Frömmigkeitsgeschichte für uns auch heute noch dort, wo sie miteinander im Zwiegespräch waren oder sich und anderen voneinander erzählten: so in ihren Briefwechseln, ihren autobiografischen Skizzen und Erinnerungen. Hunderte Briefe hat so manches dieser Paare über die Jahre hinweg ausgetauscht. An nur einem einzigen Tag flogen bisweilen vier oder fünf Briefe von Herz zu Herz. Unzählige der bisweilen mit großer Ungeduld erwarteten Briefe wurden im Nachhinein wieder verbrannt oder zumindest für die Edition bereinigt.
Der Zustand der Quellen sowie der Zugang zu ihnen ist für jedes Paar verschieden. Ihn gilt es jeweils mitzubedenken, wenn wir diese Zeugnisse zum Sprechen bringen und ihnen lauschen, um zu erfahren, wie diese Menschen sich selbst sahen, welche amourösen und religiösen Passionen sie antrieben und welche sie teilten. Was die wissenschaftliche Forschung darüber an den Tag gebracht hat, das fließt elementar in die einzelnen Porträts ein und wird am Ende eines jeden Kapitels auch in einem Verzeichnis der verwendeten Literatur offengelegt. Da dieses Buch sich mehr als journalistisch-literarischer denn als theologischwissenschaftlicher Beitrag versteht und sich nicht vornehmlich an ein Fachpublikum richtet, wurde auf Einzelnachweise im Text verzichtet. Lediglich jene Zitate, in denen die einzelnen Protagonisten (vermeintlich oder wirklich) selbst zu Wort kommen, werden aus den Quellen in Fußnoten am Ende des Buches belegt.
Das Miteinander und auch das »Ohne-einander« dieser Menschen, die geteilte ebenso wie die verschmähte oder nachgetragene Passion füreinander, das alles hat seine je eigene Färbung und seinen unverwechselbaren Ton. Ob frech und kokett oder blumig und tragend, ob leise und innig oder kraft voll und direkt, das ist natürlich auch eine Sache des Temperaments und der Charaktere dieser Menschen. Es ist zugleich aber auch Widerhall der gesellschaftlichen Gepflogenheiten, der religiösen Mentalitäten und der politischen Rahmenbedingungen der Zeiten, in denen diese lebten und sich als Paar fanden (und wieder verloren).
Das intellektuelle und geistliche Format wie auch das Mundwerk der Ordensgründerin Heloise und des theologischen »Shootingstars« Abaelard im 12. Jahrhundert sind fraglos ganz andere als die der beiden Ordensgründer Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales in den wirren Zeiten der Gegenreformation im 16./17. Jahrhundert. Selbstentwurf und Weltverhältnis der Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr und des katholischen Theologen Hans Urs von Balthasar im Basel des 20. Jahrhunderts unterscheiden sich erheblich vom dem der ehemaligen Nonne Katharina von Bora und des Reformators Martin Luther im Wittenberg des 16. Jahrhunderts. Damit zumindest andeutungsweise deutlich werden kann, dass und wie das Suchen und Finden, das Fragen und Sehnen dieser Menschen sich auch den gesellschaftlichen und religiösen Kontexten ihrer Zeit verdankt, wurden den Porträts kleine Informationskästen beigegeben. Diese wollen kurze Sachinformationen zu biografi schen Details oder (kirchen-)politischen Hintergründen beisteuern, ohne den Anspruch zu erheben, erschöpfend zu sein.
Auch das ist zu sagen: Nicht alle Paare und Paarungen, die in diesem Buch porträtiert werden, sind Neuentdeckungen. Die Geschichte von Heloise und Abaelard oder die von Klara und Franz von Assisi sind nicht nur weithin bekannt, sie sind auch wieder und wieder erzählt worden. Doch gerade weil im Prozess des Erzählens die »Wahrheit der Geschichte« sich mehr und mehr mit der »Wahrheit der Legenden und Geschichten« verwoben hat, lohnt es sich auch heute noch, über die theologische Hintertreppe nach Frankreich und ins umbrische Spoletotal zu gehen und die Wege dieser beiden Paare erzählend zu bedenken. Andere Paare dieses Buches sind hingegen bis heute immer noch mehr oder weniger unbekannt. Namentlich bei den drei Paarungen des 20. Jahrhunderts war es in Theologen- und Kirchenkreisen lange Zeit üblich, zumindest im öffentlichen Raum über ihre Verbindung zu schweigen. Man glaubte - und glaubt zum Teil noch heute -, dies tun zu müssen, da man sonst nur Öl ins Feuer und vor allem Wasser auf die Mühlen der Verächter der Religion schütte, die deren Geschichte allzu gerne als Chronique scandaleuse geschrieben sehen. Hinter vorgehaltener Hand wurden freilich die vermeintlich pikanten Details genüsslich breitgetreten. Zeitlich weiter zurückliegende Paarungen waren da schon immer etwas unverfänglicher. Vermeintlich oder wirklich Anstößiges ließ sich kurzerhand aus den Quellen streichen. Den verbleibenden Rest überzog man interpretationsreich mit hagiografischem Firnis und projizierte ein Idealbild der exklusiven Gottespassion in den Religionshimmel.
Denn leicht wird in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte, ganz gleich ob es sich um Protestanten oder Katholiken handelt, das zum moralischen Debakel, was in der Welt des kreativen Schaffens dem Künstler fraglos eingeräumt wird: dass das religiöse und intellektuelle Suchen eines Menschen ebenso wie sein schöpferisches Schaffen sich nicht nur dem Eros des Glaubens und des Denkens, sondern auch dem Eros des Begehrens verdankt. Und dass die Passion für ein Werk und die Hingabe an eine Sache sich bisweilen mit der Passion für ein menschliches »Du« verschränkt und vermischt. Ein solches Verwobensein wird bei den Paaren und Paarungen dieses Buches nur demjenigen zum Anstoß, der sie mit dem Nimbus des Lauteren und (sexuell) Reinen umgibt und der sie zu Ikonen des Solitären stilisiert. Der meint, ihr geistlicher Lebensentwurf, ihr gläubiges Denken und ihre kirchenamtlich verbriefte Heiligkeit könnten ihr Gewicht und ihre Bedeutung allein aus dem Umstand beziehen, dass sie vermeintlich nur und ausschließlich Gott liebten.
Nachgetragene Liebe
Heloise (um 1099-1164) und Abaelard (wohl 1079-1142)
»Mag dir der Name ›Gattin‹ heiliger und ehrbarer scheinen, mir war allzeit reizender die Bezeichnung ›Geliebte‹ oder gar - verarg es mir nicht - deine ›Konkubine‹, deine ›Dirne‹.«1 Diese Worte aus dem Mund der geistlichen Ordensfrau und Äbtissin des Paraklet-Klosters Heloise, die (wohl) Ende des 11. Jahrhunderts zur Welt kam, haben, wie ein Beobachter ebenso treff end wie süffisant bemerkte, auch heute nichts von der in ihrer Eindeutigkeit liegenden Delikatesse verloren. Seitdem sie ausgesprochen wurden, sind acht Jahrhunderte vergangen, während derer sie, so der Beobachter weiter, wieder und wieder zitiert und zum pikanten Detail einer großen Liebe und eines noch größeren Skandals avancierten. Zusammen mit anderen Auszügen aus Heloises Briefen sind sie Teil einer ebenso langen wie widersprüchlichen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, die ihren Auftakt im Pariser Milieu des beginnenden 13. Jahrhunderts nimmt. Jean de Meun († 1305) war der Erste, der in seinem »Roman de la rose« Heloise als Verfechterin der freien Liebe feierte. Weitere literarische Bezugnahmen aus der Feder von Alexander Pope, Jean-Jacques Rousseau, Alfred de Musset, Rainer Maria Rilke sollten folgen. Doch was von den einen als erotisches Exempel und Verkörperung der »amour-passion« schlechthin gefeiert wurde, wurde von anderen als Inbegriff weiblichen Verfallenseins an die Sünde degoutiert und inkriminiert.
Abaelard - ein intellektuelles Schwergewicht Der, dem die eingangs zitierten Worte galten, ist einer der bedeutendsten Köpfe und Denker des Mittelalters: Abaelard (auch Abaillard, Abélard, Abaelardus), mit Tauf- und Klerikernamen Petrus (Pierre), der 1079 in Le Pallet unweit von Nantes in der Bretagne zur Welt kommt. Sein Erbe, den Herrensitz seines Vaters, des Ritters Berengar, auf den er als Erstgeborener Anrecht gehabt hätte, schlägt er zugunsten seiner Brüder aus. Er legt die »Waffenrüstung« nieder, entsagt damit dem Rittertum - »dem Hof des Mars« - und lässt sich »im Schoße Minervas« erziehen. Kurz, er begibt sich in die »Rüstkammer der Dialektik« und wird Philosoph, genauer »ein Nacheiferer der Peripatetiker«2. Nach Lehr- und Wanderjahren in der Provinz (Loches, Angers und Tours) kommt er endlich nach Paris und wird dort schließlich an der Schule auf dem Mont Ste Geneviève ein ebenso bedeutender wie begnadeter Lehrer. Er hält Logik-Vorlesungen und er ist - und er weiß es auch und rühmt sich dessen - »hoch gefeiert «3. Studenten strömen scharenweise in die Stadt am Seine- Ufer. Bald wird die Rive gauche, wo zuvor noch terrassenförmig angelegte Weinberge Frucht brachten, zum »Ufer der Intellektuellen « - und noch viel später zum berühmten Quartier latin.
Dieser Abaelard, der in der Literatur nicht nur als intellektuelles Schwergewicht, sondern auch als selbstverliebter, arroganter und erfolgssüchtiger Gipfelstürmer beschrieben wird, war nicht nur Heloises Hauslehrer, er wurde auch ihr Liebhaber und der Vater ihres Sohnes Astralabius (Astrolabius). Mehr noch: Der Philosoph wurde zu ihrem (in aller Heimlichkeit) angetrauten Ehemann und, nach dem traumatischen Widerfahrnis seiner Entmannung, Mönch. Alles in allem eine wilde und dramatische »story of sex and crime« eines Liebespaares, das gleich Romeo und Julia nicht zueinanderkommen konnte. Dem nur ein kurzes Glück aus Liebe, Leidenschaft und Wollust gewährt war und dessen Geschichte bis auf den heutigen Tag zur Projektionsfläche sowohl unglücklicher wie glücklicher Liebe taugt. Ob glücklich oder unglücklich - sie war, wovon noch zu sprechen sein wird, auf jeden Fall eine nachgetragene Liebe. Autobiografie und Briefwechsel - echt oder nicht?
Diese Liebesgeschichte ist einerseits in der Autobiografie Abaelards - der »Historia calamitatum« - und andererseits im Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise dokumentiert. Wer nach ihrem historischen Verlauf fragt, kommt nicht umhin, sich der nicht nur im 20. Jahrhundert, da aber besonders intensiv geführten Echtheits- und Verfasserschaftsdebatte zu stellen.
Die Autobiografie Abaelards, für die sich in der Rezeptionsgeschichte der Name »Historia calamitatum« eingebürgert hat, hat die Form eines Briefes. Sie ist an einen namentlich nicht genannten Freund gerichtet, dem Abaelard durch den Bericht über sein eigenes Schicksal Trost spenden will (»ad amicum suum consolatoria«). Per Zufall gelangt dieser Trostbrief Abaelards in die Hände von Heloise. Seine Lektüre weckt in ihr den alten Schmerz und schlägt neue Wunden. Sie ergreift die Initiative und schreibt Abaelard. In der Folge tauschen die beiden (wohl) zwischen 1133 und 1135 elf Briefe. Ursprünglich (vermutlich) selbstständig, wurde der Trostbrief später dem Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise eingefügt respektive ihm als erster Brief vorangestellt. Die erste Edition des Briefwechsels im Rahmen einer Gesamtausgabe des Oeuvres Abaelards aus dem Jahre 1616 wurde prompt auf den römischen Index der verbotenen Bücher gesetzt - nicht zuletzt wegen Heloises vermeintlicher Verstocktheit und verächtlichen Haltung gegenüber der Ehe.
Die Fragen der Forschung sind vielfältig: Inwiefern kann man diesen literarischen Repräsentationen der historischen Liebesbeziehung trauen? Ist die Autobiografie wirklich aus der Feder - und nur der Feder - Abaelards geflossen? Ist sie ein Dokument des 12. Jahrhunderts oder nicht doch vielmehr eine Quelle aus dem 13. Jahrhundert, sind doch alle überlieferten Handschrift en ausschließlich in letzteres zu datieren? Handelt es sich bei den Briefen wirklich um Heloises und Abaelards eigene Worte? Ist ihr Briefdialog, ihre Wechselrede, ihr Einander-Befragen und Sich-Austauschen manipuliert? Ist er womöglich ganz und gar fiktional komponiert oder ist er die Abaelards und Heloises Feder entsprungene dichterische Dramatisierung faktisch stattgehabter Vorgänge? Gibt es (k)ein historisches Original? Ist der Briefwechsel, wie von der Forschung gemutmaßt, eine redaktionelle »Bricolage« - aber wessen?
Das Spektrum der Antworten, die die Wissenschaft präsentiert, reicht von »zu schön, um nicht wahr zu sein« bis »zu schön, um wahr zu sein«. Und auch das wurde gefolgert: dass selbst bei historischer Unechtheit der Briefwechsel doch zumindest ein »gefühlsechtes« Zeugnis sei, was immer das auch heißen mag. Als einigermaßen gesichert darf wohl nur gelten, dass, so wurde formuliert, das Briefkorpus, wie es sich heute präsentiert, keine reale, im Originalzustand überlieferte Privatkorrespondenz ist. Wenn im Fortgang mehrfach auf Abaelards Autobiografi e und den Briefwechsel der beiden zurückgegriff en und daraus zitiert respektive darauf rekurriert werden wird, steht dies unter dem Echtheits-Vorbehalt (und all den anderen Vorbehalten) der Forschung.
»Mit allem geschmückt, was Liebhaber anzulocken pflegt« Wir schreiben das Jahr 1116 oder 1117. Abaelard hält mit großem Erfolg nicht nur Logik-Vorlesungen, sondern auch theologische Vorlesungen auf dem Mont Ste Geneviève. Seine Schülerzahlen wachsen rasant. Er ist, noch nicht einmal 40-jährig, auf dem Zenit seines öffentlichen Lehrens. Er weiß um seine Berühmtheit ebenso wie um seine Attraktivität als Mann. Er muss bei der Damenwelt »keine Zurückweisungen«4 fürchten, wie er in seiner Autobiografie sagen und was ihm auch seine spätere Geliebte und Ehefrau Heloise bescheinigen wird: »(...) wo ist der König oder der Weise, der dir an Ruhm gleichkäme? Welches Land, welche Stadt, welches Dorf war nicht darauf erpicht, dich zu sehen? (...) Sehnte sich nicht jede Frau, jedes Mädchen nach dem Abwesenden? Glühten sie nicht alle für den Anwesenden? Welche Fürstin, welche hohe Dame beneidete mich nicht um meine Freuden, um das Lager meiner Liebe.«
Auch Heloise steht im Ruf außergewöhnlicher Klugheit und Schönheit. Hinsichtlich ihrer Bildung übertrifft sie alle anderen Frauen. Abaelard macht aus seinen eindeutigen Absichten ihr gegenüber keinen Hehl. »Sie, die ich mit allem geschmückt sah, was Liebhaber anzulocken pflegt, gedachte ich nun, da sie eher willfährig war, zur Liebe an mich zu fesseln.«6 Die Herkunft dieser ebenso intelligenten wie schönen jungen Frau, die gerade mal um die 18 Jahre alt ist, als der 20 Jahre ältere Abaelard sie lieben lernt, liegt im Dunkeln. Bleiben Mutmaßungen, die so manches »wohl« für sich haben, nur eines nicht, den sicheren Beweis. Wohl im letzten Jahr des 11. Jahrhunderts im Norden von Anjou geboren, ist sie wahrscheinlich das Kind einer Nonne, genauer der Adeligen Hersendis de Champagne. Diese war seit 1087 verwitwet und hatte vier oder fünf Jahre vor Heloises Geburt mit ihrem bisherigen Leben gebrochen. Zusammen mit dem Prediger Robert d'Abrissel gründet sie ein Doppelkloster in Fontevrault und wird Priorin der Chornonnen. Ihre Tochter Heloise, die sie wohl als Nonne zur Welt bringt, wächst zunächst im Kloster Notre-Dame d'Argenteuil auf. In der dem Kloster angegliederten Schule wird das Fundament für Heloises erstaunliche Bildung gelegt. Sie erhält ihr intellektuelles Rüstzeug, lernt Griechisch und Hebräisch und wird in der Heiligen Schrift und in den Lehren der Kirchenväter unterwiesen. Auch lernt sie weltliche Autoren wie Ovid und Seneca kennen, wovon später die Briefe der erwachsenen Heloise zeugen werden.
»Keine Stufe der Liebe ließen wir Leidenschaftlichen aus« Um das Jahr 1116/17 findet das Mädchen Aufnahme bei Hersendis mutmaßlichem (Halb-)Bruder Fulbert, seines Zeichens Domkanoniker an der Kathedrale Notre-Dame in Paris. Diesem ist sehr an einer angemessenen Erziehung seiner talentierten Nichte gelegen. Er engagiert den intellektuellen Kopf Abaelard nicht nur als ihren Hauslehrer, sondern er öffnet ihm auf dessen Begehr hin auch die Türen seines Hauses und nimmt ihn als Logiergast bei sich auf. »Er überließ sie (...) ganz und gar meiner Erziehung und bat mich obendrein dringend, ich möchte doch ja alle freie Zeit (...), sei's bei Tag oder bei Nacht, auf ihren Unterricht verwenden«.7 Wenn er spüre, dass sie nachlässig und unaufmerksam sei, so solle er nicht zögern, sie rücksichtslos zu züchtigen. Es kommt, wie es kommen musste. »Unter dem Deckmantel der Unterweisung gaben wir uns ganz der Liebe hin, und unsere Beschäftigung mit Lektüre bot uns die stille Abgeschiedenheit, die unsere Liebe sich wünschte. Da wurden über dem off enen Buch mehr Worte über Liebe als über Lektüre gewechselt; da gab es mehr Küsse als Sprüche. Nur allzu oft zog es die Hand statt zu den Büchern zu ihrem Busen, und öfter spiegelte Liebe die Augen ineinander, als dass die Lektüre sie auf die Schrift lenkte. (...) Kurz: Keine Stufe der Liebe ließen wir Leidenschaft lichen aus.« Schwangerschaft - Niederkunft - Heiratspläne
Heloises Onkel ist der Letzte, der von dem Geschehen unter seinem Dach erfährt. Er ist entsetzt. Abaelard wird des Hauses verwiesen. Als Heloise ihren Geliebten »in der höchsten Freude«9 von der Schwangerschaft unterrichtet, entführt er sie kurzerhand des Nachts aus dem Haus des Onkels. Er bringt sie zu seiner Schwester Dionysia in die Bretagne, wo Heloise die ganze Schwangerschaft über als (verkleidete) Nonne verbringt. Ihrem Sohn geben sie den vieldeutigen Namen »Astralabius«.
Der Name »Astralabius« (teilweise auch »Astrolabius« geschrieben) wird in der Literatur verschieden gedeutet. Meist wird eine Verbindung zu dem gleichnamigen Messinstrument, das im 12. Jahrhundert in der Astrologie in Gebrauch war, abgelehnt. Aus dem Griechischen herleitend übersetzt man ihn mit »einer, der nach den Sternen greift«. Im 19. Jahrhundert findet sich die Bedeutungszuschreibung »Schatten auf der Sonne«, insofern der unehelich gezeugte Sohn einen dunklen Schatten auf die Lichtgestalt des berühmten Vaters wirft. Die Schriftstellerin Luise Rinser, die uns in einem späteren Kapitel dieses Buches wieder begegnen wird, hat in ihrem Ende des 20. Jahrhunderts entstandenen Roman »Abaelards Liebe« Astralabius als Anagramm auf Abaelard entschlüsselt und diesen zum Erzähler der Geschichte von Heloise und Abaelard gemacht. Ob Abaelard in den späten 30er-Jahren des 12. Jahrhunderts wirklich selbst den »Carmen ad Astralabium«, ein umfangreiches Lehrgedicht an seinen Sohn (»Astralabi fili, vite dulcedo paterne«), geschrieben hat, darüber herrscht in der Forschung Uneinigkeit.
Dem hintergangenen und gekränkten Onkel bietet Abaelard schließlich an, dessen Nichte zu heiraten, allerdings unter der Bedingung, dass die Vermählung geheim gehalten werde. Weshalb Abaelard auf der Geheimhaltung bestand, darüber ist in der Forschung viel gerätselt worden. War die Heirat mit Heloise für ihn das, was man eine Mesalliance nennt? War Heloise niedereren Standes als er, gar ein illegitimes Kind und somit vaterlos? Oder hinderte Abaelard kirchliches Recht an einer Heirat, weil er Kleriker war? Jedoch hieß damals Kleriker-Sein nicht automatisch auch Priester-Sein. Zwar trug man als Kleriker die Tonsur, man war jedoch nicht zum Zölibat verpflichtet. Allerdings durfte ein Kleriker nur eine Jungfrau, nicht aber eine Witwe heiraten. War die Heirat mit Heloise also in diesem Sinne inopportun, weil sie bereits Mutter und damit offenkundig keine Jungfrau mehr war?
Heloise will nicht geheiratet werden
Heloise zeigt sich ihrerseits wenig begeistert von Abaelards Angebot. Sie will gar nicht geheiratet werden. Während die einen betonen, Heloise habe Abaelards Ruhm als Philosoph nicht beeinträchtigen wollen, haben andere in Heloises Votum, wonach »die Liebe der Ehe und die Freiheit dem Zwang«11 vorzuziehen sei, ein vermeintlich modernes Plädoyer für die freie Liebe lesen wollen. In der sogenannten »Heloisenrede« lässt Abaelard sie sagen, der Gelehrte könne sich nicht gleichzeitig der Philosophie und einer Frau widmen und mit ihr einen Hausstand gründen. »Was für ein Zusammentreffen! Schüler und Kammerzofen, Schreibtisch und Kinderwagen! Bücher und Hefte beim Spinnrocken, Schreibrohr und Griffel bei den Spindeln! Wer kann sich der Betrachtung der Schrift oder der Philosophie hingeben und dabei das Geschrei der kleinen Kinder, den Singsang der Amme (...), die geräuschvolle Schar männlicher und weiblicher Dienstboten ertragen? Wer wird die beständige widerliche Unreinheit der Kinder aushalten können?«
Das vorhergehende Zitat gehört der sogenannten »Heloisenrede « an, die Abaelard in seiner »Historia calamitatum« Heloise in den Mund legt. Die Forschung legt Wert darauf zu betonen, dass diese »Heloisenrede« faktisch ein ganzes Sammelsurium unterschiedlichster Argumente antiker wie christlicher Provenienz ist, die alle dem einen großen Plädoyer wider die Ehe und für sexuelle Enthaltsamkeit dienen sollen. Heloises Plädoyer könnte aber widersprüchlicher kaum sein. Denn einerseits ermuntert sie Abaelard wortreich, ein enthaltsames Leben zu führen. Andererseits scheint sie aber an ihrem Status als seine Geliebte nichts ändern zu wollen.
Nichtsdestotrotz heiraten die beiden. Kaum jedoch ist die Eheschließung im Verborgenen - aber im Beisein von Heloises Onkel - erfolgt, bringt Abaelard Heloise ins Kloster. Und zwar dorthin zurück, wo sie einst ihr intellektuelles Rüstzeug erworben hat: nach Argenteuil. Dort wird die 20-Jährige mit dem Ordensgewand eingekleidet, was Fulbert und seine Verwandten glauben lässt, Abaelard habe sie »auf ganzer Linie getäuscht«, indem er Heloise gleich nach der Heirat »zur Nonne gemacht«13 habe. Das ist so nicht der Fall. Im Gegenteil. Abaelard besucht sie dort und die beiden fi nden in einem dunklen Winkel des Refektoriums auch als Mann und Frau zueinander, was Abaelard später schamvoll eingestehen wird. »Als du nach unserer Verheiratung bei den Nonnen im Kloster Argenteuil lebtest, kam ich eines Tages privat, um dich zu besuchen, und du weißt wohl noch, was dort die Unbändigkeit meiner Leidenschaft mit dir trieb, und zwar in einem Winkel des Refektoriums selbst, da wir sonst keinen Ort hatten, wohin wir uns hätten zurückziehen können.«
Die grausame Rache Fulberts
Für Heloises Onkel ist das Fass zum Überlaufen voll. Die Verbringung Heloises ins Kloster erzürnt ihn, glaubt er doch, dass Abaelard versucht, sich mit diesem Schachzug Heloises endgültig zu entledigen. Danach überstürzen sich die Ereignisse. Der sich getäuscht fühlende Kanoniker Fulbert sinnt auf Rache. Auf seine Veranlassung hin überfallen mit Geld bestochene Diener Abaelard des Nachts. Abaelard berichtet: Diese nehmen die »grausamste und beschämendste Rache« an ihm vor. »Sie beraubten mich der Körperteile, mit denen ich begangen hatte, worüber sie klagten.« Die leibliche Schändung ist eine furchtbare öffentliche Demütigung für Abaelard. Sie wird die Zäsur schlechthin in seinem wie auch Heloises Leben sein, die sie noch weiter und anders voneinander trennen sollte, als das bislang schon der Fall ist. Der Weg beider führt nun scheinbar unweigerlich und definitiv ins Kloster.
Copyright © 2011 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Als im Dezember 2008 in der Neuen Zürcher Zeitung mein Beitrag zur Edition des Briefwechsels zwischen dem verheirateten reformierten Theologen Karl Barth und seiner Mitarbeiterin und Lebensgefährtin Charlotte von Kirschbaum unter dem Titel »Das strengste Urteil wider mein irdisches Leben« erschien, hat dieser ein unerwartet großes Echo gefunden. Dies auch, aber nicht in erster Linie bei Fachtheologen, sondern namentlich bei Menschen, die sich nach eigenem Bekunden ansonsten nicht besonders für Religion, Theologie und Kirche interessieren. Wer wollte leugnen, dass sich dieses Interesse auch einem klitzekleinen Hauch Voyeurismus verdankte, ist doch die Ménage à trois, die Barth mit seiner Ehefrau Nelly und Charlotte lebte, etwas, das man eher unter Künstlern, nicht aber in Theologen- und Kirchenkreisen erwartet.
Dieses Interesse aber bloß als vermeintliche Bestätigung der journalistischen Maxime »sex sells« zu verbuchen, greift zu kurz. Denn in vielen Gesprächen wurde deutlich, dass diese Geschichte vor allem auch deshalb so in ihren Bann zieht, weil die Leidenschaft zweier Menschen füreinander, weil das damit verbundene Leiden dreier Menschen aneinander unentwirrbar verwoben ist mit ihren religiösen Optionen und theologischen Passionen. Die vermeintlich nur private (Liebes-)Geschichte öff net den Blick auf die konkreten Zeitumstände, auf die religiösen Lebenswelten und die theologischen Denkräume, die diese Menschen bewohnten, die sie prägten und die sie ihrerseits gestalteten. In diese Welten und Räume gelangt man, ohne dass historisches oder theologisches Vorwissen nötig wäre, über die theologische Hintertreppe. Weil ich zudem öfters ein fragendstaunendes »Ach was?« hörte, wenn ich erwähnte, dass das lebenslange verzweifelte Ringen der beiden Theologenköpfe Karl Barth und Charlotte von Kirschbaum um eine Lebensform für ihre Liebe keineswegs so singulär ist, wie man vielleicht meinen könnte, habe ich mich ermutigen lassen, den Weg der theologischen Hintertreppe weiter zu beschreiten und dieses Buch über acht Paare zu schreiben, deren weltliche und geistliche Lebensentwürfe bis heute in der Geschichte des christlichen Lebens und Denkens ihren Zauber entfalten.
Beim Schreiben dieses Buches haben mich mehrere Menschen begleitet, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Meinem Mann, Professor Dr. René Pahud de Mortanges, der mir in seiner liebenden Zugewandtheit und treuen Weggefährtenschaft immer neu Raum gibt und mich trägt und trägt und trägt. Frau PD Dr. Kathrin Utz Tremp, die mir in meinen Schweizer Jahren zur wichtigen Gesprächspartnerin und treuen Freundin geworden ist und die auch das Entstehen dieses Buches durch konstruktive Kritik begleitet hat. Herrn Winfried Nonhoff, der ohne Zögern und mit berührender Begeisterung sich das Buchprojekt zu eigen gemacht und kurz vor seinem Weggang die Tür zum Kösel-Verlag weit geöffnet hat, sowie Frau Silke Foos, die als Lektorin die Drucklegung des Manuskripts mit Verve, Sachverstand und großem Engagement vorangetrieben hat.
Greng, im März 2011 Elke Pahud de Mortanges
Einleitung
Dass das Herz weit und ohne Grenzen wird in der Begegnung und im Austausch mit einem menschlichen »Du«, das ist eine Erfahrung, die die acht Paare, die in diesem Buch porträtiert werden, verbindet. Es sind Paare aus der christlichen Frömmigkeitsgeschichte, deren Wege sich zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen geografischen und geistigen Räumen gekreuzt und bisweilen lebenslang verbunden, bisweilen aber auch nach einiger Zeit wieder getrennt haben. Ihrer Wegespur folgend durchschreiten wir nicht nur ein ganzes Jahrtausend, sondern auch halb Europa und gelangen nach Wittenberg und Dülmen (Deutschland), nach Innsbruck (Österreich), nach Annecy, Dijon und Paris (Frankreich), nach Basel (Schweiz) und nach Assisi und Rom (Italien).
Die Menschen, die wir an diesen Orten antreffen und deren Zwiegespräch von Herz zu Herz wir lauschen werden, sind alle sehr verschieden. Sie sind religiöse Schrift steller, Ordensmänner, Bischöfe und Theologieprofessoren, sie sind Ordensfrauen, Ehefrauen, Mütter, Ärztinnen, Mystikerinnen und Schrift stelle- rinnen. Manche von ihnen sind noch sehr jung, andere sind bereits in der Lebensmitte angekommen, wieder andere stehen schon am Beginn des âge d'or, als ihre Wege sich kreuzen. Doch so verschieden die Lebensalter und die Zufahrtswege auch sind: Gemeinsam ist diesen Menschen, dass sie sich im Du des anderen suchen und finden und dass diese ihre Passion füreinander untrennbar verwoben ist mit ihrer religiösen Suche und ihrer Passion für den christlichen Weg. Gemeinsam ist ihnen auch ein inneres Wissen, wonach Gott selbst es war, der sie zusammengeführt und einander gegeben hat.
Gestalt und Kontur gewinnen diese Paare der christlichen Frömmigkeitsgeschichte für uns auch heute noch dort, wo sie miteinander im Zwiegespräch waren oder sich und anderen voneinander erzählten: so in ihren Briefwechseln, ihren autobiografischen Skizzen und Erinnerungen. Hunderte Briefe hat so manches dieser Paare über die Jahre hinweg ausgetauscht. An nur einem einzigen Tag flogen bisweilen vier oder fünf Briefe von Herz zu Herz. Unzählige der bisweilen mit großer Ungeduld erwarteten Briefe wurden im Nachhinein wieder verbrannt oder zumindest für die Edition bereinigt.
Der Zustand der Quellen sowie der Zugang zu ihnen ist für jedes Paar verschieden. Ihn gilt es jeweils mitzubedenken, wenn wir diese Zeugnisse zum Sprechen bringen und ihnen lauschen, um zu erfahren, wie diese Menschen sich selbst sahen, welche amourösen und religiösen Passionen sie antrieben und welche sie teilten. Was die wissenschaftliche Forschung darüber an den Tag gebracht hat, das fließt elementar in die einzelnen Porträts ein und wird am Ende eines jeden Kapitels auch in einem Verzeichnis der verwendeten Literatur offengelegt. Da dieses Buch sich mehr als journalistisch-literarischer denn als theologischwissenschaftlicher Beitrag versteht und sich nicht vornehmlich an ein Fachpublikum richtet, wurde auf Einzelnachweise im Text verzichtet. Lediglich jene Zitate, in denen die einzelnen Protagonisten (vermeintlich oder wirklich) selbst zu Wort kommen, werden aus den Quellen in Fußnoten am Ende des Buches belegt.
Das Miteinander und auch das »Ohne-einander« dieser Menschen, die geteilte ebenso wie die verschmähte oder nachgetragene Passion füreinander, das alles hat seine je eigene Färbung und seinen unverwechselbaren Ton. Ob frech und kokett oder blumig und tragend, ob leise und innig oder kraft voll und direkt, das ist natürlich auch eine Sache des Temperaments und der Charaktere dieser Menschen. Es ist zugleich aber auch Widerhall der gesellschaftlichen Gepflogenheiten, der religiösen Mentalitäten und der politischen Rahmenbedingungen der Zeiten, in denen diese lebten und sich als Paar fanden (und wieder verloren).
Das intellektuelle und geistliche Format wie auch das Mundwerk der Ordensgründerin Heloise und des theologischen »Shootingstars« Abaelard im 12. Jahrhundert sind fraglos ganz andere als die der beiden Ordensgründer Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales in den wirren Zeiten der Gegenreformation im 16./17. Jahrhundert. Selbstentwurf und Weltverhältnis der Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr und des katholischen Theologen Hans Urs von Balthasar im Basel des 20. Jahrhunderts unterscheiden sich erheblich vom dem der ehemaligen Nonne Katharina von Bora und des Reformators Martin Luther im Wittenberg des 16. Jahrhunderts. Damit zumindest andeutungsweise deutlich werden kann, dass und wie das Suchen und Finden, das Fragen und Sehnen dieser Menschen sich auch den gesellschaftlichen und religiösen Kontexten ihrer Zeit verdankt, wurden den Porträts kleine Informationskästen beigegeben. Diese wollen kurze Sachinformationen zu biografi schen Details oder (kirchen-)politischen Hintergründen beisteuern, ohne den Anspruch zu erheben, erschöpfend zu sein.
Auch das ist zu sagen: Nicht alle Paare und Paarungen, die in diesem Buch porträtiert werden, sind Neuentdeckungen. Die Geschichte von Heloise und Abaelard oder die von Klara und Franz von Assisi sind nicht nur weithin bekannt, sie sind auch wieder und wieder erzählt worden. Doch gerade weil im Prozess des Erzählens die »Wahrheit der Geschichte« sich mehr und mehr mit der »Wahrheit der Legenden und Geschichten« verwoben hat, lohnt es sich auch heute noch, über die theologische Hintertreppe nach Frankreich und ins umbrische Spoletotal zu gehen und die Wege dieser beiden Paare erzählend zu bedenken. Andere Paare dieses Buches sind hingegen bis heute immer noch mehr oder weniger unbekannt. Namentlich bei den drei Paarungen des 20. Jahrhunderts war es in Theologen- und Kirchenkreisen lange Zeit üblich, zumindest im öffentlichen Raum über ihre Verbindung zu schweigen. Man glaubte - und glaubt zum Teil noch heute -, dies tun zu müssen, da man sonst nur Öl ins Feuer und vor allem Wasser auf die Mühlen der Verächter der Religion schütte, die deren Geschichte allzu gerne als Chronique scandaleuse geschrieben sehen. Hinter vorgehaltener Hand wurden freilich die vermeintlich pikanten Details genüsslich breitgetreten. Zeitlich weiter zurückliegende Paarungen waren da schon immer etwas unverfänglicher. Vermeintlich oder wirklich Anstößiges ließ sich kurzerhand aus den Quellen streichen. Den verbleibenden Rest überzog man interpretationsreich mit hagiografischem Firnis und projizierte ein Idealbild der exklusiven Gottespassion in den Religionshimmel.
Denn leicht wird in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte, ganz gleich ob es sich um Protestanten oder Katholiken handelt, das zum moralischen Debakel, was in der Welt des kreativen Schaffens dem Künstler fraglos eingeräumt wird: dass das religiöse und intellektuelle Suchen eines Menschen ebenso wie sein schöpferisches Schaffen sich nicht nur dem Eros des Glaubens und des Denkens, sondern auch dem Eros des Begehrens verdankt. Und dass die Passion für ein Werk und die Hingabe an eine Sache sich bisweilen mit der Passion für ein menschliches »Du« verschränkt und vermischt. Ein solches Verwobensein wird bei den Paaren und Paarungen dieses Buches nur demjenigen zum Anstoß, der sie mit dem Nimbus des Lauteren und (sexuell) Reinen umgibt und der sie zu Ikonen des Solitären stilisiert. Der meint, ihr geistlicher Lebensentwurf, ihr gläubiges Denken und ihre kirchenamtlich verbriefte Heiligkeit könnten ihr Gewicht und ihre Bedeutung allein aus dem Umstand beziehen, dass sie vermeintlich nur und ausschließlich Gott liebten.
Nachgetragene Liebe
Heloise (um 1099-1164) und Abaelard (wohl 1079-1142)
»Mag dir der Name ›Gattin‹ heiliger und ehrbarer scheinen, mir war allzeit reizender die Bezeichnung ›Geliebte‹ oder gar - verarg es mir nicht - deine ›Konkubine‹, deine ›Dirne‹.«1 Diese Worte aus dem Mund der geistlichen Ordensfrau und Äbtissin des Paraklet-Klosters Heloise, die (wohl) Ende des 11. Jahrhunderts zur Welt kam, haben, wie ein Beobachter ebenso treff end wie süffisant bemerkte, auch heute nichts von der in ihrer Eindeutigkeit liegenden Delikatesse verloren. Seitdem sie ausgesprochen wurden, sind acht Jahrhunderte vergangen, während derer sie, so der Beobachter weiter, wieder und wieder zitiert und zum pikanten Detail einer großen Liebe und eines noch größeren Skandals avancierten. Zusammen mit anderen Auszügen aus Heloises Briefen sind sie Teil einer ebenso langen wie widersprüchlichen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, die ihren Auftakt im Pariser Milieu des beginnenden 13. Jahrhunderts nimmt. Jean de Meun († 1305) war der Erste, der in seinem »Roman de la rose« Heloise als Verfechterin der freien Liebe feierte. Weitere literarische Bezugnahmen aus der Feder von Alexander Pope, Jean-Jacques Rousseau, Alfred de Musset, Rainer Maria Rilke sollten folgen. Doch was von den einen als erotisches Exempel und Verkörperung der »amour-passion« schlechthin gefeiert wurde, wurde von anderen als Inbegriff weiblichen Verfallenseins an die Sünde degoutiert und inkriminiert.
Abaelard - ein intellektuelles Schwergewicht Der, dem die eingangs zitierten Worte galten, ist einer der bedeutendsten Köpfe und Denker des Mittelalters: Abaelard (auch Abaillard, Abélard, Abaelardus), mit Tauf- und Klerikernamen Petrus (Pierre), der 1079 in Le Pallet unweit von Nantes in der Bretagne zur Welt kommt. Sein Erbe, den Herrensitz seines Vaters, des Ritters Berengar, auf den er als Erstgeborener Anrecht gehabt hätte, schlägt er zugunsten seiner Brüder aus. Er legt die »Waffenrüstung« nieder, entsagt damit dem Rittertum - »dem Hof des Mars« - und lässt sich »im Schoße Minervas« erziehen. Kurz, er begibt sich in die »Rüstkammer der Dialektik« und wird Philosoph, genauer »ein Nacheiferer der Peripatetiker«2. Nach Lehr- und Wanderjahren in der Provinz (Loches, Angers und Tours) kommt er endlich nach Paris und wird dort schließlich an der Schule auf dem Mont Ste Geneviève ein ebenso bedeutender wie begnadeter Lehrer. Er hält Logik-Vorlesungen und er ist - und er weiß es auch und rühmt sich dessen - »hoch gefeiert «3. Studenten strömen scharenweise in die Stadt am Seine- Ufer. Bald wird die Rive gauche, wo zuvor noch terrassenförmig angelegte Weinberge Frucht brachten, zum »Ufer der Intellektuellen « - und noch viel später zum berühmten Quartier latin.
Dieser Abaelard, der in der Literatur nicht nur als intellektuelles Schwergewicht, sondern auch als selbstverliebter, arroganter und erfolgssüchtiger Gipfelstürmer beschrieben wird, war nicht nur Heloises Hauslehrer, er wurde auch ihr Liebhaber und der Vater ihres Sohnes Astralabius (Astrolabius). Mehr noch: Der Philosoph wurde zu ihrem (in aller Heimlichkeit) angetrauten Ehemann und, nach dem traumatischen Widerfahrnis seiner Entmannung, Mönch. Alles in allem eine wilde und dramatische »story of sex and crime« eines Liebespaares, das gleich Romeo und Julia nicht zueinanderkommen konnte. Dem nur ein kurzes Glück aus Liebe, Leidenschaft und Wollust gewährt war und dessen Geschichte bis auf den heutigen Tag zur Projektionsfläche sowohl unglücklicher wie glücklicher Liebe taugt. Ob glücklich oder unglücklich - sie war, wovon noch zu sprechen sein wird, auf jeden Fall eine nachgetragene Liebe. Autobiografie und Briefwechsel - echt oder nicht?
Diese Liebesgeschichte ist einerseits in der Autobiografie Abaelards - der »Historia calamitatum« - und andererseits im Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise dokumentiert. Wer nach ihrem historischen Verlauf fragt, kommt nicht umhin, sich der nicht nur im 20. Jahrhundert, da aber besonders intensiv geführten Echtheits- und Verfasserschaftsdebatte zu stellen.
Die Autobiografie Abaelards, für die sich in der Rezeptionsgeschichte der Name »Historia calamitatum« eingebürgert hat, hat die Form eines Briefes. Sie ist an einen namentlich nicht genannten Freund gerichtet, dem Abaelard durch den Bericht über sein eigenes Schicksal Trost spenden will (»ad amicum suum consolatoria«). Per Zufall gelangt dieser Trostbrief Abaelards in die Hände von Heloise. Seine Lektüre weckt in ihr den alten Schmerz und schlägt neue Wunden. Sie ergreift die Initiative und schreibt Abaelard. In der Folge tauschen die beiden (wohl) zwischen 1133 und 1135 elf Briefe. Ursprünglich (vermutlich) selbstständig, wurde der Trostbrief später dem Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise eingefügt respektive ihm als erster Brief vorangestellt. Die erste Edition des Briefwechsels im Rahmen einer Gesamtausgabe des Oeuvres Abaelards aus dem Jahre 1616 wurde prompt auf den römischen Index der verbotenen Bücher gesetzt - nicht zuletzt wegen Heloises vermeintlicher Verstocktheit und verächtlichen Haltung gegenüber der Ehe.
Die Fragen der Forschung sind vielfältig: Inwiefern kann man diesen literarischen Repräsentationen der historischen Liebesbeziehung trauen? Ist die Autobiografie wirklich aus der Feder - und nur der Feder - Abaelards geflossen? Ist sie ein Dokument des 12. Jahrhunderts oder nicht doch vielmehr eine Quelle aus dem 13. Jahrhundert, sind doch alle überlieferten Handschrift en ausschließlich in letzteres zu datieren? Handelt es sich bei den Briefen wirklich um Heloises und Abaelards eigene Worte? Ist ihr Briefdialog, ihre Wechselrede, ihr Einander-Befragen und Sich-Austauschen manipuliert? Ist er womöglich ganz und gar fiktional komponiert oder ist er die Abaelards und Heloises Feder entsprungene dichterische Dramatisierung faktisch stattgehabter Vorgänge? Gibt es (k)ein historisches Original? Ist der Briefwechsel, wie von der Forschung gemutmaßt, eine redaktionelle »Bricolage« - aber wessen?
Das Spektrum der Antworten, die die Wissenschaft präsentiert, reicht von »zu schön, um nicht wahr zu sein« bis »zu schön, um wahr zu sein«. Und auch das wurde gefolgert: dass selbst bei historischer Unechtheit der Briefwechsel doch zumindest ein »gefühlsechtes« Zeugnis sei, was immer das auch heißen mag. Als einigermaßen gesichert darf wohl nur gelten, dass, so wurde formuliert, das Briefkorpus, wie es sich heute präsentiert, keine reale, im Originalzustand überlieferte Privatkorrespondenz ist. Wenn im Fortgang mehrfach auf Abaelards Autobiografi e und den Briefwechsel der beiden zurückgegriff en und daraus zitiert respektive darauf rekurriert werden wird, steht dies unter dem Echtheits-Vorbehalt (und all den anderen Vorbehalten) der Forschung.
»Mit allem geschmückt, was Liebhaber anzulocken pflegt« Wir schreiben das Jahr 1116 oder 1117. Abaelard hält mit großem Erfolg nicht nur Logik-Vorlesungen, sondern auch theologische Vorlesungen auf dem Mont Ste Geneviève. Seine Schülerzahlen wachsen rasant. Er ist, noch nicht einmal 40-jährig, auf dem Zenit seines öffentlichen Lehrens. Er weiß um seine Berühmtheit ebenso wie um seine Attraktivität als Mann. Er muss bei der Damenwelt »keine Zurückweisungen«4 fürchten, wie er in seiner Autobiografie sagen und was ihm auch seine spätere Geliebte und Ehefrau Heloise bescheinigen wird: »(...) wo ist der König oder der Weise, der dir an Ruhm gleichkäme? Welches Land, welche Stadt, welches Dorf war nicht darauf erpicht, dich zu sehen? (...) Sehnte sich nicht jede Frau, jedes Mädchen nach dem Abwesenden? Glühten sie nicht alle für den Anwesenden? Welche Fürstin, welche hohe Dame beneidete mich nicht um meine Freuden, um das Lager meiner Liebe.«
Auch Heloise steht im Ruf außergewöhnlicher Klugheit und Schönheit. Hinsichtlich ihrer Bildung übertrifft sie alle anderen Frauen. Abaelard macht aus seinen eindeutigen Absichten ihr gegenüber keinen Hehl. »Sie, die ich mit allem geschmückt sah, was Liebhaber anzulocken pflegt, gedachte ich nun, da sie eher willfährig war, zur Liebe an mich zu fesseln.«6 Die Herkunft dieser ebenso intelligenten wie schönen jungen Frau, die gerade mal um die 18 Jahre alt ist, als der 20 Jahre ältere Abaelard sie lieben lernt, liegt im Dunkeln. Bleiben Mutmaßungen, die so manches »wohl« für sich haben, nur eines nicht, den sicheren Beweis. Wohl im letzten Jahr des 11. Jahrhunderts im Norden von Anjou geboren, ist sie wahrscheinlich das Kind einer Nonne, genauer der Adeligen Hersendis de Champagne. Diese war seit 1087 verwitwet und hatte vier oder fünf Jahre vor Heloises Geburt mit ihrem bisherigen Leben gebrochen. Zusammen mit dem Prediger Robert d'Abrissel gründet sie ein Doppelkloster in Fontevrault und wird Priorin der Chornonnen. Ihre Tochter Heloise, die sie wohl als Nonne zur Welt bringt, wächst zunächst im Kloster Notre-Dame d'Argenteuil auf. In der dem Kloster angegliederten Schule wird das Fundament für Heloises erstaunliche Bildung gelegt. Sie erhält ihr intellektuelles Rüstzeug, lernt Griechisch und Hebräisch und wird in der Heiligen Schrift und in den Lehren der Kirchenväter unterwiesen. Auch lernt sie weltliche Autoren wie Ovid und Seneca kennen, wovon später die Briefe der erwachsenen Heloise zeugen werden.
»Keine Stufe der Liebe ließen wir Leidenschaftlichen aus« Um das Jahr 1116/17 findet das Mädchen Aufnahme bei Hersendis mutmaßlichem (Halb-)Bruder Fulbert, seines Zeichens Domkanoniker an der Kathedrale Notre-Dame in Paris. Diesem ist sehr an einer angemessenen Erziehung seiner talentierten Nichte gelegen. Er engagiert den intellektuellen Kopf Abaelard nicht nur als ihren Hauslehrer, sondern er öffnet ihm auf dessen Begehr hin auch die Türen seines Hauses und nimmt ihn als Logiergast bei sich auf. »Er überließ sie (...) ganz und gar meiner Erziehung und bat mich obendrein dringend, ich möchte doch ja alle freie Zeit (...), sei's bei Tag oder bei Nacht, auf ihren Unterricht verwenden«.7 Wenn er spüre, dass sie nachlässig und unaufmerksam sei, so solle er nicht zögern, sie rücksichtslos zu züchtigen. Es kommt, wie es kommen musste. »Unter dem Deckmantel der Unterweisung gaben wir uns ganz der Liebe hin, und unsere Beschäftigung mit Lektüre bot uns die stille Abgeschiedenheit, die unsere Liebe sich wünschte. Da wurden über dem off enen Buch mehr Worte über Liebe als über Lektüre gewechselt; da gab es mehr Küsse als Sprüche. Nur allzu oft zog es die Hand statt zu den Büchern zu ihrem Busen, und öfter spiegelte Liebe die Augen ineinander, als dass die Lektüre sie auf die Schrift lenkte. (...) Kurz: Keine Stufe der Liebe ließen wir Leidenschaft lichen aus.« Schwangerschaft - Niederkunft - Heiratspläne
Heloises Onkel ist der Letzte, der von dem Geschehen unter seinem Dach erfährt. Er ist entsetzt. Abaelard wird des Hauses verwiesen. Als Heloise ihren Geliebten »in der höchsten Freude«9 von der Schwangerschaft unterrichtet, entführt er sie kurzerhand des Nachts aus dem Haus des Onkels. Er bringt sie zu seiner Schwester Dionysia in die Bretagne, wo Heloise die ganze Schwangerschaft über als (verkleidete) Nonne verbringt. Ihrem Sohn geben sie den vieldeutigen Namen »Astralabius«.
Der Name »Astralabius« (teilweise auch »Astrolabius« geschrieben) wird in der Literatur verschieden gedeutet. Meist wird eine Verbindung zu dem gleichnamigen Messinstrument, das im 12. Jahrhundert in der Astrologie in Gebrauch war, abgelehnt. Aus dem Griechischen herleitend übersetzt man ihn mit »einer, der nach den Sternen greift«. Im 19. Jahrhundert findet sich die Bedeutungszuschreibung »Schatten auf der Sonne«, insofern der unehelich gezeugte Sohn einen dunklen Schatten auf die Lichtgestalt des berühmten Vaters wirft. Die Schriftstellerin Luise Rinser, die uns in einem späteren Kapitel dieses Buches wieder begegnen wird, hat in ihrem Ende des 20. Jahrhunderts entstandenen Roman »Abaelards Liebe« Astralabius als Anagramm auf Abaelard entschlüsselt und diesen zum Erzähler der Geschichte von Heloise und Abaelard gemacht. Ob Abaelard in den späten 30er-Jahren des 12. Jahrhunderts wirklich selbst den »Carmen ad Astralabium«, ein umfangreiches Lehrgedicht an seinen Sohn (»Astralabi fili, vite dulcedo paterne«), geschrieben hat, darüber herrscht in der Forschung Uneinigkeit.
Dem hintergangenen und gekränkten Onkel bietet Abaelard schließlich an, dessen Nichte zu heiraten, allerdings unter der Bedingung, dass die Vermählung geheim gehalten werde. Weshalb Abaelard auf der Geheimhaltung bestand, darüber ist in der Forschung viel gerätselt worden. War die Heirat mit Heloise für ihn das, was man eine Mesalliance nennt? War Heloise niedereren Standes als er, gar ein illegitimes Kind und somit vaterlos? Oder hinderte Abaelard kirchliches Recht an einer Heirat, weil er Kleriker war? Jedoch hieß damals Kleriker-Sein nicht automatisch auch Priester-Sein. Zwar trug man als Kleriker die Tonsur, man war jedoch nicht zum Zölibat verpflichtet. Allerdings durfte ein Kleriker nur eine Jungfrau, nicht aber eine Witwe heiraten. War die Heirat mit Heloise also in diesem Sinne inopportun, weil sie bereits Mutter und damit offenkundig keine Jungfrau mehr war?
Heloise will nicht geheiratet werden
Heloise zeigt sich ihrerseits wenig begeistert von Abaelards Angebot. Sie will gar nicht geheiratet werden. Während die einen betonen, Heloise habe Abaelards Ruhm als Philosoph nicht beeinträchtigen wollen, haben andere in Heloises Votum, wonach »die Liebe der Ehe und die Freiheit dem Zwang«11 vorzuziehen sei, ein vermeintlich modernes Plädoyer für die freie Liebe lesen wollen. In der sogenannten »Heloisenrede« lässt Abaelard sie sagen, der Gelehrte könne sich nicht gleichzeitig der Philosophie und einer Frau widmen und mit ihr einen Hausstand gründen. »Was für ein Zusammentreffen! Schüler und Kammerzofen, Schreibtisch und Kinderwagen! Bücher und Hefte beim Spinnrocken, Schreibrohr und Griffel bei den Spindeln! Wer kann sich der Betrachtung der Schrift oder der Philosophie hingeben und dabei das Geschrei der kleinen Kinder, den Singsang der Amme (...), die geräuschvolle Schar männlicher und weiblicher Dienstboten ertragen? Wer wird die beständige widerliche Unreinheit der Kinder aushalten können?«
Das vorhergehende Zitat gehört der sogenannten »Heloisenrede « an, die Abaelard in seiner »Historia calamitatum« Heloise in den Mund legt. Die Forschung legt Wert darauf zu betonen, dass diese »Heloisenrede« faktisch ein ganzes Sammelsurium unterschiedlichster Argumente antiker wie christlicher Provenienz ist, die alle dem einen großen Plädoyer wider die Ehe und für sexuelle Enthaltsamkeit dienen sollen. Heloises Plädoyer könnte aber widersprüchlicher kaum sein. Denn einerseits ermuntert sie Abaelard wortreich, ein enthaltsames Leben zu führen. Andererseits scheint sie aber an ihrem Status als seine Geliebte nichts ändern zu wollen.
Nichtsdestotrotz heiraten die beiden. Kaum jedoch ist die Eheschließung im Verborgenen - aber im Beisein von Heloises Onkel - erfolgt, bringt Abaelard Heloise ins Kloster. Und zwar dorthin zurück, wo sie einst ihr intellektuelles Rüstzeug erworben hat: nach Argenteuil. Dort wird die 20-Jährige mit dem Ordensgewand eingekleidet, was Fulbert und seine Verwandten glauben lässt, Abaelard habe sie »auf ganzer Linie getäuscht«, indem er Heloise gleich nach der Heirat »zur Nonne gemacht«13 habe. Das ist so nicht der Fall. Im Gegenteil. Abaelard besucht sie dort und die beiden fi nden in einem dunklen Winkel des Refektoriums auch als Mann und Frau zueinander, was Abaelard später schamvoll eingestehen wird. »Als du nach unserer Verheiratung bei den Nonnen im Kloster Argenteuil lebtest, kam ich eines Tages privat, um dich zu besuchen, und du weißt wohl noch, was dort die Unbändigkeit meiner Leidenschaft mit dir trieb, und zwar in einem Winkel des Refektoriums selbst, da wir sonst keinen Ort hatten, wohin wir uns hätten zurückziehen können.«
Die grausame Rache Fulberts
Für Heloises Onkel ist das Fass zum Überlaufen voll. Die Verbringung Heloises ins Kloster erzürnt ihn, glaubt er doch, dass Abaelard versucht, sich mit diesem Schachzug Heloises endgültig zu entledigen. Danach überstürzen sich die Ereignisse. Der sich getäuscht fühlende Kanoniker Fulbert sinnt auf Rache. Auf seine Veranlassung hin überfallen mit Geld bestochene Diener Abaelard des Nachts. Abaelard berichtet: Diese nehmen die »grausamste und beschämendste Rache« an ihm vor. »Sie beraubten mich der Körperteile, mit denen ich begangen hatte, worüber sie klagten.« Die leibliche Schändung ist eine furchtbare öffentliche Demütigung für Abaelard. Sie wird die Zäsur schlechthin in seinem wie auch Heloises Leben sein, die sie noch weiter und anders voneinander trennen sollte, als das bislang schon der Fall ist. Der Weg beider führt nun scheinbar unweigerlich und definitiv ins Kloster.
Copyright © 2011 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Elke Pahud de Mortanges
Dr. Elke Pahud de Mortanges, geb. 1962, ist ausserplanmässige Professorin für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Elke Pahud de Mortanges
- 2011, 272 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiss-Abbildungen, Masse: 14,4 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kösel
- ISBN-10: 346637006X
- ISBN-13: 9783466370061
Rezension zu „Unheilige Paare? “
"Die Dogmatikprofessorin geht das Thema mit viel Einfühlsamkeit und Klugheit an." Schweizerische Kirchenzeitung
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