Tante Elsie und mein letzter Sommer
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Geschichten, die an ''ein wunderbares Buffet erinnern: üppig, saftig und voller Überraschungen.''
HALLANDSPOSTEN
Kjell Westö, geboren 1961 in Helsinki, gehört zu den bekanntesten nordischen Autoren. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und werden in viele Sprachen übersetzt.
Tante Elsie, die einen Schuss Erotik in die ländliche Kinderwelt trägt. Der Schiedsrichter, der aus persönlichen Gründen den fälligen Elfmeter am liebsten nicht pfeifen würde. Und der glücklose Rockgitarrist, der sich mit einem erfolgreichen Exkumpel herumschlagen muss. Kjell Westös Helden schlagen sich wacker auf den Feldern des Alltags, auch wenn sie nicht immer als Sieger aus ihren Kämpfen hervorgehen.
"Ich bin ein heimlicher Freund von Kurzgeschichten. Wenn sie gut erzählt sind. Die von Kjell Westö sind sogar sehr gut erzählt. Sie ziehen einen schnell in ihren Bann und jedes Mal habe ich an ihrem Ende bedauert, dass sie nicht noch ein bisschen weitergehen. Ein schönes Buch zum Schmökern zwischendurch." -- WDR, Frau tv
"Die Finnen sind ein kurioses Völkchen, das gerne trinkt und flucht. Behauptet jedenfalls Kjell Westö und erzählt ein paar lustige Geschichten aus seiner Heimat (...). Im Hohen Norden geht es offenbar manchmal zu, als wäre ganz Bullerbü auf Speed. Sehr schräg.' -- Brigitte Young Miss
Tante Elsie und mein letzter Sommer von Kjell Westö
LESEPROBE
Im August kam Tante Elsie. Der Lärm der Stadt und dieharten Holzpulte der Schule hatten sich bereits fest in meinen Gedankenverankert. Die Sonne versank immer schneller hinter dem Land der grossen Kiefernauf der anderen Seite des Wassers. Ich war mir sicher, wenn ich nur dasMotorboot nehmen und die dunkle Klippe mit der leer stehenden grünen Hütteumrunden dürfte, würde ich das Zischen hören und sehen können, wenn die Sonnein eine der Buchten hinter dem Kiefernwald fiel; aber Papa meinte, das Boot seiviel zu kippelig. Einige Jahre vergingen, unser Boxer Bruno gewann eine Dritter-Platz-Schleifebei einer grossen Hundeausstellung und lief immer seltener weg, mein BruderKenneth zog zu Hause aus, an den Wintersamstagen bekamen wir schulfrei, aber gleichzeitigwurde der Sommer kastriert; es war nicht mehr der September, der die Grenzemarkierte, sondern der sechzehnte oder achtzehnte August. Wir assen Flusskrebse,Onkel Walle holte sie in Tammerfors, blaugrau und grauslig krabbelten sie inihren Pappkartons, wurden in den Kochtopf geworfen und wurden rot und tot. DieRaubfische erwachten aus ihrer Juliträgheit, die Zander gingen wieder ins Netz.Inmitten des schweren, dunklen Grüns gab es einen Abgrund, das spürte ich,obwohl ich erst viel später gelernt habe, die Worte dafür zu finden. Im Augustwartete ich auf Tante Elsie. Sie kam mit einem Duft aus Tabak und Moschus, Grossstadtund Lachen. Tante Elsie setzte eine Zäsur, ihre Stimme war laut und gierig,durchdrang die Genügsamkeit und übersättigte Ruhe, die im August über Lönnbackahing. Ihre Haare kräuselten sich bis zur Taille, so schwarz wie dieKohlenhalden neben den Kraftwerken, die der Stadt Wärme spendeten. Die Stadt!Vielleicht war dies ja das Geheimnis Tante Elsies - dass sie an Helsingforserinnerte. Sie war hektisch und schnell, ihre Kent rauchte sie mit energischenZügen, die ihre Wangen zu zwei grossen Gruben zusammenzogen, und die Schritte, mitdenen sie ging, waren so kurz, dass es aussah, als würde sie laufen. Auf ihremNachttisch in der Saunakammer lagen stets vier Bücher, alle mit einem Eselsohrirgendwo in der Mitte. Tante Elsie war nicht wie wir anderen; sie war masslos, spielteFussball mit mir und meinem dicken Cousin Robin, wanderte rastlos auf Lönnbackaumher, rauchte Kette, las in einem fort und genoss so gierig und redete über soviele Dinge gleichzeitig, dass Grossmutter, die das halbe Jahr dort draussen inder Stille lebte und ausserdem alt war und in aller Ruhe über die Dingenachdenken wollte, oft aussah, als würde sie nichts verstehen. »Elsie, Liebes«,sagte sie, »du solltest dir deinen Kopf nicht mit so vielen Dingen vollstopfen. Was du nicht verdaut bekommst, kann schmerzhaft für dich werden.« TanteElsie lachte und schüttelte energisch den Kopf, sodass sich der schwarzeSchwall wie ein Vorhang über ihre Augen legte. »Ich bin noch jung, ich schaffdas schon.« Ich fand nicht, dass Tante Elsie jung war. Für mich waren sie allealt und dem Tod und Verschwinden auf eine Weise nahe, die mir manchmal eineleichenblasse Angst einflösste, allein zurückzubleiben: Papa und Mama,Grossmutter, Onkel Walle und Satu, die Onkel Walles Frau und Robins Mama war undFinnisch sprach, und Tante Elsie; sie alle hatten schon so unfassbar langegelebt. Aber wenn Tante Elsie nicht jung war, so war sie dennoch schön, auf diegleiche Art schön wie Helsingfors, wenn man am Tag vor dem Schulbeginnzurückkehrte und die Stadt am Ende der Autobahn vor einem lag, mit all ihrenMenschen und all ihrer Gier. Jeden Morgen steht Tante Elsie vor der Sauna. Vorihr steht eine gesprungene Emailleschüssel. Tante Elsie beugt sich über dieSchüssel. Es ist immer früh, alle anderen schlafen. Tante Elsie wäscht sichunter den Armen, ihre Brüste schwingen wie gewaltige Pendel von links nachrechts und wieder zurück, das Wasser spritzt, und Tante Elsie pfeift vor sichhin. Robin und ich stehen am Waldsaum, zusammengekauert hinter dem grossenStein, wir bekommen immer grössere Augen. Dann geht Tante Elsie schwimmen, wenndas Wetter gut ist. Robin und ich schleichen hinterher, verstecken uns hinter derRiesentanne. Der See glitzert mit hundert Augen, die Ukeleien hüpfen auf undab, als zöge jemand mit Fäden an ihnen, weisse und gelbe Seerosenblätterschaukeln auf dem Wasser. Robin und mir verschlägt es die Sprache, weil allesso wunderschön ist. Tante Elsies Haare sind so lang, dass sie bis zu ihrem Pohängen, der sich leuchtend weiss von ihrem braunen Rücken und den braunen Beinenabsetzt. Wir warten auf den Moment, wenn sie zurück schwimmt, sich aufrichtetund an Land watet. Ich hebe einen Fuss auf einen Stein und lehne mich vor, damitRobin nicht sieht, was mit mir geschieht. Im Sommer vor dem, in dem allesgeschah, hatte Robin begonnen, es mir gleichzutun. Grossmutter stand am Herd undbackte Scones. Musik strömte aus dem alten Transistorradio, das auf der Kommodeneben dem Porträt von Grossvater und Urgrossmutter und den anderen Toten stand. »BleibtTante Elsie lange dieses Jahr?«, fragte ich. »Viljaaaoooooviljaaa«, sangGrossmutter. Ihr Oberkörper wiegte sich verträumt, während sie aus vollem Halsesang. Ich habe niemals begriffen, wie sie es anstellte, aber obwohl dies langevor der Zeit der vielen Rundfunksender war, bereitete es Grossmutter nur seltenProbleme, eine Wellenlänge mit der Lustigen Witwe zu finden. »Wann wirstdu mir erzählen, wo Tante Elsie im Winter wohnt und wie sie mit uns verwandtist?«, versuchte ich es. »Wenn du älter bist. Könntest du bitte zum Seehinuntergehen und deiner alten Grossmutter Wasser holen?« Ich ging. »Sei lieb zuTante Elsie, wenn sie kommt«, sagte Grossmutter, als ich zurückkehrte. »Sie hathart gearbeitet und ist müde.« Ich nickte. Grossmutter stand weiter am Herd, siehatte wieder angefangen zu singen: »Viljaaaoooviljaaa « Als Papa den Wagen nahmund zur grossen Strasse fuhr, um Tante Elsie abzuholen, hockte ich draussen aufder Bucht und angelte. Ich wurde wütend; zur grossen Strasse zu fahren, wäre einewillkommene Abwechslung vom täglichen Einerlei gewesen. Obwohl ich es nichtzugeben wollte, sehnte ich mich bereits nach der Stadt, und an der grossenStrasse wären die Autos vorbeigerauscht und hätten mir einen Vorgeschmack daraufgegeben. Ausserdem hätte ich, mit etwas Glück, einen Blick auf jemanden aus derverrückten Familie erhaschen können. Der Bauernhof der verrückten Familie lagam Waldsaum, etwa zweihundert Meter von der grossen Strasse entfernt. Zwischen Strasseund Hof lagen ein paar kleinere Felder, die von ihnen bewirtschaftet wurden.Papa hatte mir verboten, Aaltonens die verrückte Familie zu nennen, aber esfiel mir schwer, es bleiben zu lassen, da Herr Aaltonen der einzige von ihnen war,der normal zu sein schien. Herr Aaltonen war gross, grobschlächtig und still.Wenn er Papa, Mama oder Grossmutter sah, hellte sich seine Miene stets auf, under gab ihnen die Hand und grüsste: Es klang ungefähr wie »Puaiviee, puaiviee«.Er war grösser als Papa, obwohl es aussah, als wäre es umgekehrt. Ich weissnicht, ob Papa sich reckte oder Herr Aaltonen sich duckte, aber Herr Aaltonenschien zu Papa aufzublicken. Papa, der gerne zum Besten gab, dass er zwei Jahrein einer Fabrik gearbeitet hatte, bevor er anfing zu studieren und im Laufe derZeit reich wurde, wirkte oft verlegen. Manchmal unterhielten sich Papa und HerrAaltonen so leise, dass ich sie nicht hören konnte. Herr Aaltonen schüttelte dannoft den Kopf. Trat ich näher, erhoben beide die Stimme und einigten sich aufeinen gemeinsamen Angelausflug an einem der nächsten Tage. Einmal merkten sienicht, dass ich dicht hinter ihnen stand, und da verstand ich, dass sie überhauptnicht übers Fischen sprachen. »Papa, was bedeutet ihmisen on taakkansakannettava«, fragte ich hinterher. »Dass der Mensch mit dem leben muss, was ihmgegeben wurde«, sagte Papa. »Das pflegen Leute zu sagen, die an Gott glauben.« FrauAaltonen wohnte nur von Mai bis September auf dem Bauernhof. Im Winter ruhtesie sich siebzig Kilometer südlich in Tammerfors aus, das hatte Grossmuttererzählt. Mitten in einer Hitzewelle konnte Frau Aaltonen in dicken Wollsocken, braunenWinterstiefeln mit hohen Schäften, einem Wollpullover und langem Mantel zumKaufmannswagen kommen. Die Kinder schwitzten in ihren Badehosen, dieErwachsenen in Shorts, Bikinis und Strandsandalen. (...)
© btb Verlag
Übersetzung: Paul Berf
- Autor: Kjell Westö
- 2006, 313 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Berf, Paul
- Übersetzer: Paul Berf
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442734339
- ISBN-13: 9783442734337
- Erscheinungsdatum: 03.01.2006
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