Mungo, D: Streunende Köter [Cani Sciolti]
Die Ultras sind böse. Sie sind die dunkle Hemisphäre des Fußballs. Das obszöne Grauen der Zivilgesellschaft. Die Ultras sind der Blitzableiter der Gutmenschen, des Bürgertums, der Krämerseelen, der Profis, der Hausfrauen, der...
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Produktinformationen zu „Mungo, D: Streunende Köter [Cani Sciolti] “
Klappentext zu „Mungo, D: Streunende Köter [Cani Sciolti] “
Die Ultras sind böse. Sie sind die dunkle Hemisphäre des Fußballs. Das obszöne Grauen der Zivilgesellschaft. Die Ultras sind der Blitzableiter der Gutmenschen, des Bürgertums, der Krämerseelen, der Profis, der Hausfrauen, der armseligen Journaille und der Bullen auf Opfersuche. Die Ultras sind die Güllegrube unter dem freien Himmel der Stadien. Symbol blinder und irrationaler Gewalt. Das schlimmste, wenn nicht einzige Übel des ansonsten strahlend reinen und jungfräulich unbefleckten Fußballsystems. Trotzdem werden Ultras immer wieder zu Schlachtvieh für die Titelseiten. Gut, um als Monster für die erste Seite herzuhalten, aber auch bildreiches Rahmenprogramm, donnernder und unaufhörlicher Soundtrack, zwölfter Mann, das Spektakel im Spektakel des Sports, an den wir unser Herz verloren haben. Aber die Ultras entziehen sich den Schubladen. Jedenfalls die wahren. Sie zerpflücken Klassifizierungen, Statistiken, Vorurteile und Vereinfachungen. Sie verursachen Probleme und schädigen das Gemeinwohl. Die Ultras fahren hunderte und aberhunderte Kilometer durchs Land, geben auch eine Menge Geld aus, verzichten auf Zuneigung und Liebe. Sie riskieren Prügel und Knast. Um sie im Zaum zu halten braucht man Polizeitransporter, Panzerwagen, Hubschrauber und Legionen von Sondereinsatzkräften, Polizeibeamten, ausgebildeten Fahndern, Feuerwehren und Rettungswagen. Und sie, die dreckigen und bösen, verbreiten Chaos, überrennen und zerstören alles, versuchen ohne Karte ins Stadion zu kommen. Dann, wenn die Sache abgleitet, zerstören sie Autos und Mopeds, überrennen Absperrungen und Polizeiketten, besprühen Wände mit ihren Slogans, werfen Rauchtöpfe und Bengalos, Steine und Flaschen, verantworten Geldstrafen und Platzsperren, nageln nicht genehme Spieler ans Kreuz und entlassen vox popoli unbeliebte Trainer. Die Ultras sind böse, unverschämt,
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kriminell und kehren sich nicht um die Regeln des zivilen Miteinanders. Ihre Höhlen sind die Kurven. Sie verschwinden in der Masse, die sie aufnimmt, sie versteckt und sich von ihnen beschützen und repräsentieren lässt. Viele können nicht erklären, was Ultra zu sein überhaupt heißt. Aber viele können davon erzählen. Ich glaube zu wissen, dass die Ultras ein Recht auf eine eigene Geschichte haben. Und ich die Pflicht, ein Buch über sie zu schreiben. Mit ihnen. Und dieses Buch haltet ihr in den Händen.
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Autoren-Porträt von Domenico Mungo
DOMENICO MUNGO (*Turin, 1971) Journalist, Autor, Essayist, Videomaker, Lehrer für Literatur und Geschichte, Ultra der Fiorentina. Musik- und Literaturkritiker. Ex-Direktor des Magazins Supertifo. Von ihm wurden die Bücher Sensomutanti (2003), Cani Sciolti (2008), The Final (2010), Avevate Ragione Voi (Gedichte, 2010), Stadio Italia (2010), Noi Odiamo Tutti (2010) publiziert. Experte für die italienische Ultrabewegung und systemkritische Strömungen. Derzeit erscheinen von ihm eine Sammlung von Erzählungen zum G8-Gipfel in Genua 2001 sowie eine Biografie von Kurt Cobain.
Bibliographische Angaben
- Autor: Domenico Mungo
- 2011, 320 Seiten, Masse: 13,1 x 20 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Kai Tippmann
- Verlag: Burkhardt & Partner
- ISBN-10: 3940159093
- ISBN-13: 9783940159090
Rezension zu „Mungo, D: Streunende Köter [Cani Sciolti] “
Domenico Mungo ist vieles, Anarchist, Skinhead, Gewalttäter, Journalist, Philosoph, Musiker, Dichter, Drogenkonsument, Hausbesetzer, hochrangiger Ultrà der Fiorentina und vor allem eines: ein unglaublich guter Autor. ¿Cani Sciolti¿ ist mit einigem Abstand das beste Buch, das mir zum Thema Ultràs jemals zwischen die Finger gelangt ist. Nicht nur, weil hier jemand aus der ersten Reihe der italienischen Ultrà-Bewegung das Wort ergreift, sondern weil es Mungo wie praktisch niemand anderes versteht, sich vor keinerlei Karren spannen zu lassen und keinerlei Blätter vor den Mund zu nehmen und das gesamte noch mit einem erzählerischen Talent verbindet, das eigentlich für den literarischen Kanon reichen sollte. Würde er denn nur ¿das richtige¿ schreiben. ¿Cani Sciolti¿ ist in erster Linie ein wahres Buch und schildert die Welt der Ultràs der 80er und 90er Jahre fotorealistisch ¿ nicht etwa, wie sie Ultràs oder deren Gegner gern hören würden: Nichts wird beschönigt, mythisiert, überhöht, erniedrigt, verklärt oder auch nur erklärt. ¿Cani Sciolti¿ ist hingegen dreckig, gewalttätig, ungerecht und eindeutig subjektiv. Oder wie Lorenzo Contucci es im Vorwort so treffend formuliert: ¿¿Cani sciolti¿ lässt sich in einem Satz zusammenfassen: ¿Die Wahrheit mag nicht revolutionär sein, aber sie geht gehörig auf den Sack.¿¿Technisch gesehen fasst der Autor chronologisch geordnet Texte aus der Welt der Kurven zusammen, das Buch ist als eine Art Bibliothek zur Erhaltung einer vergessenen Welt angelegt. Weil es die Ultrà-Bewegung verdient, eine Stimme und eine Erzählung zu haben. Ein Großteil der Kapitel stammt aus Beziehungen des Autors zu anderen Vertretern italienischer Kurven, die man während eines forcierten Exils in der Schweiz (wohin man sich vor der Verfolgung im Nachgang zur Tötung Gabriele Sandris flüchtete) zusammentrug. Ein Manifest einer untergegangenen Bewegung.
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Stückhaft, stilistisch kaum einzuordnen, unstrukturiert ¿ aber aus erster Hand. Hier findet man den Inhalt einer Unterhaltung mit einem Mitbegründer der Fossa dei Leoni aus dem Inneren des eingekesselten Gästesektors der Milanisti nach dem Tod Vincenzo Spagnolos, wie der Barbour-Parka des Täters den Besitzer wechselte und wie die blutige Tatwaffe entsorgt wurde. Hier findet man ein Interview mit dem Mörder von Vincenzo Paparelli, das dieser während seiner Flucht in der Schweiz gegeben hatte. Hier kann man lesen, wie ¿Pompa¿, Begründer des CAV (Colettivo Autonomo Viola), sein Banner im Mailänder San Siro praktisch im Alleingang gegen eine Übermacht der Brigate Rossonere und Fossa dei Leoni verteidigte, blutüberströmt durch eine Schnittverletzung die später durch 42 Stiche genäht werden musste. Der Hintergrund dessen also, was Jahre später zum Banner ¿Ehre dem Pompa¿ in der Mailänder Curva Sud führen sollte. Hier wird berichtet, wie die völlig durchgeknallten Florenzer ¿Alcool Campi¿ mit einem geklauten Fiat 500 gefüllt mit Mollis den Zug aus Bologna abfackelten und dabei einen 15-jährigen Fan für sein Leben entstellten. Hier findet man den Bericht eines Juventus-Ultràs aus dem Brüsseler Heysel-Stadion. Hier findet man den Autor selbst, der in einem Moment der Unachtsamkeit zwischen die Reihen der gegnerischen Polizei und gegnerische Brescia-Ultràs gelangt, was gern auch einmal tödlich ausgehen kann. Wobei Mungo immer darauf beharrt, dass er sein Leben nicht ¿riskiert¿ ¿ sein Leben ist von vornherein außerhalb dessen angelegt, was die Mehrheit als Leben definiert. Da gibt es überhaupt nichts zu verlieren, er ist von vornherein vom Mehrheitsleben ausgeschlossen. Er hat sich von vornherein ausgeschlossen.Eine Sammlung von Augenzeugenberichten der kritischsten und weniger kritischen Momente der Ultrà-Bewegung also. Gefüllt mit CS-Granaten, Projektilen, Klingen, Koks, Heroin, Amphetaminen, Blut, Toten, Knochenbrüchen, Scherben, Schweiß. Man erfährt von Reisen in vollgekotzten und vollgepissten Zugabteilen, von praktisch ausradierten Autobahnraststätten, von hunderten brennenden Autos und verwüsteten Innenstädten, von durch Papierbomben zerfetzte Händen, von im Auge steckenden Signalraketen, von kiloweise verschlungenen Drogen jedweder Art, von gebrochenen Rippen, Nasen, Kiefernknochen, von Schweiß, Sperma, Blut, Zahnsplittern, von CS-Gasgranaten und Schlagstöcken aus Edelstahl. Und Achtung: ¿Cani Sciolti¿ eignet sich nicht dazu, sich auf der Wohnzimmercouch mal so richtig wohlig einen kühlen Schauer den Rücken herunterrieseln zu lassen: Bei Mungo gibt¿s direkt in die Fresse! Als eine Art stummer Archivar stellt Mungo fremde Texte unkommentiert neben eigene, nichts wird dabei erklärt oder auch nur zu beschönigen versucht. Keine über sich selbst ¿ als Außenseiter ¿ hinausgehende Philosophie, keine Utopie und vor allem keine Hoffnung auf Besserung. Mungo macht es sich nicht zur Aufgabe, die Welt der Ultràs vom Sessel aus nachvollziehbar zu machen ¿ er will sie lediglich wiedergeben. Mungo macht es sich nicht zur Aufgabe, die Welt als solche zu verändern ¿ er will lediglich seinen Platz verteidigen. Praktisch niemals ist von ideologischem Ballast die Rede.Dass es Mungo trotz alledem schafft, nicht nur ein präzises und unverstelltes Bild der teilweise haarsträubenden Gegebenheiten in italienischen Stadien der 80er und 90er Jahre zu zeichnen, sondern dass er es trotzdem eben auch schafft, die Leidenschaft, den Geist und die Kraft jener Jahre zu übermitteln und trotz allem nachvollziehbar zu machen, ist Beleg für die literarische Wucht dieses Autoren. Indem er gerade auf Deutungen und Interpretationen verzichtet, dem Leser keinen Bewertungsvorschlag anbietet, sondern die Geschehnisse nur möglichst echt wiedergibt, gelingt es Mungo, der Kurve eine Stimme zu geben und womöglich sogar Diskussionen anzuregen. Denn jede Bewertung setzt immer zuerst die Kenntnis des Geschehenen voraus ¿ und wer könnte dies besser als Mungo, der knapp 3 Jahrzehnte an vorderster Front stand. Die Bewertung ist ihm auch egal, Ultrà ist keine Revolte, Ultrà ist Ablehnung des Gegebenen. Ultrà ist das Setzen eigener Regeln und die Befolgung dieser. Ultrà ist, sich lieber alle Knochen brechen zu lassen als auch nur einen Schritt zurückzuweichen ¿ gerade weil dies in den Augen jedes Nicht-Ultràs völlig sinnlos erscheint. Na und? Ist es denn sinnvoller, für eine Hand voll Lire in Turin vom Baugerüst zu fallen? Dem Chef für¿s 13. Monatsgehalt die übrigen 12 Monate in den Arsch zu kriechen? Dem Schatzi ein Goldkettchen zu kaufen? Alles gleich bescheuert, alles gleichermaßen arbiträr, antwortet Mungo, aber wenigstens ist Ultrà echt. Jenseits der verkommenen Moral, der korrupten Politik, der ¿legitimierten gesellschaftlichen Gewalt¿, der Diktatur der Mehrheitsmeinung. Jenseits von Gut und Böse ¿ durchaus in Nietzsches Sinne: Moral als gesellschaftliche Konvention für die dumme Masse, die ihre Ur-Instinkte in Kategorien einteilen muss und so letztlich abtötet. Alles zivilisatorischer Dreck, der das Chaos der animalischen Primärinstinkte überzuckert. In Wirklichkeit geht es um Solidarität, Verlässlichkeit, Freundschaft, Treue, Revierverhalten und, ja, Männlichkeit. Und wenn es um Schmerz geht, dann gehört der eben auch dazu. Eindeutig verlaufen demzufolge bei Mungo auch die Grenzlinien: ¿Professionelle Ultràs¿, wie er sie nennt, die ihr Geschäft im Ticketverkauf oder der Unterstützung politischer Parteien machen und Youtube-Ultrà-Kiddies, die sich vor ihren Schlachterzählungen Internet einen runterholen, bei denen sie niemals verloren haben und niemals weggerannt sind, stehen bei ihm auf einer Stufe mit der Staatsmacht, dargestellt von Sklaven in Uniform mit blauem Helm.Es geht dem Autor wie gesagt überhaupt nicht darum, Verständnis zu wecken oder irgendetwas zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Die Charaktere von ¿Cani sciolti¿ sind Anti-Helden im völlig unromantischen Sinn: dreckig, stinkend, versoffen, bekifft, zugekokst und latent gewalttätig. ¿Streunende Köter¿ eben. Mungo ist sich durchaus bewusst, dass sein Ultrà-Sein aus jeglicher Außenperspektive völlig irrational erscheint, keinerlei Maßstäben irgendeiner Zivilgesellschaft entspricht. Und trotzdem. Und trotzdem vermittelt er die Leidenschaft jener Jahre und ich meine, man kann seine sehr persönlichen Beweggründe durchaus gefahrlos verallgemeinern: Mungo ist Anti. Gegen einen Staat, dessen Gesellschaft immer weniger wirklichen Freiraum zulässt, auf der anderen Seite aber hunderttausende von Simulationen anbietet: Man schreibt sich SMS statt zu kommunizieren. Mungo reist mit seinen Leuten 12 Stunden an den Arsch der Welt, um ein Auswärtsspiel zu besuchen. Gewalt ist geächtet und wird in filmische Darstellungen oder Videospiele verlegt. Mungo beschreibt, wie sein zerschundener Körper sich lebendig anfühlt, nicht trotz, sondern gerade weil 3 Rippen und das Jochbein gebrochen sind. Dem postmodernen Relativismus aller Werte setzt Mungo die 100%ige Treue zu den Farben und seiner Stadt entgegen, Freundschaft, Verlässlichkeit und rückhaltlosen Einsatz. Natürlich klingt es in den Ohren der meisten absurd, sein Leben einer Fußballmannschaft zu widmen, aber Mungo macht an mehr als einer Stelle überdeutlich, wie absurd er es findet, sein Leben der Büroarbeit, den Weihnachtseinkäufen oder dem Mittelklassewagen zu opfern.
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