Soll das ein Witz sein?
Humor ist, wenn man trotzdem lacht
Witz komm raus, du bist umzingelt
Jetzt geht's dem Witz an den Kragen! Hier wird er seziert, in seine Einzelteile zerpflückt und bis ins Mark analysiert. Hellmuth Karasek sammelt Diktatorenwitze, jüdische Witze, Arztwitze, Irrenwitze,...
Jetzt geht's dem Witz an den Kragen! Hier wird er seziert, in seine Einzelteile zerpflückt und bis ins Mark analysiert. Hellmuth Karasek sammelt Diktatorenwitze, jüdische Witze, Arztwitze, Irrenwitze,...
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Produktinformationen zu „Soll das ein Witz sein? “
Witz komm raus, du bist umzingelt
Jetzt geht's dem Witz an den Kragen! Hier wird er seziert, in seine Einzelteile zerpflückt und bis ins Mark analysiert. Hellmuth Karasek sammelt Diktatorenwitze, jüdische Witze, Arztwitze, Irrenwitze, Männerwitze, Frauenwitze, Elefantenwitze - kein Lebensbereich, der nicht als Witz taugt. Für ihn ist es die kürzeste und präziseste Form von erzählter Literatur. Ein Buch zum Mitlachen und Mitdenken.
Jetzt geht's dem Witz an den Kragen! Hier wird er seziert, in seine Einzelteile zerpflückt und bis ins Mark analysiert. Hellmuth Karasek sammelt Diktatorenwitze, jüdische Witze, Arztwitze, Irrenwitze, Männerwitze, Frauenwitze, Elefantenwitze - kein Lebensbereich, der nicht als Witz taugt. Für ihn ist es die kürzeste und präziseste Form von erzählter Literatur. Ein Buch zum Mitlachen und Mitdenken.
Lese-Probe zu „Soll das ein Witz sein? “
Soll das ein Witz sein? von Hellmuth KarasekECKART VON HIRSCHHAUSEN
VORWORT
Kennen Sie den? Kommt ein Literaturkritiker zum Arzt ... Klingt wie der Einstieg in einen Witz. Und so ist die Idee zu diesem Buch auch entstanden: Von Wein und Pasta beflügelt, in einer Kneipe auf Sylt, wo Hellmuth Karasek und ich im Lauf eines langen Abends eine gemeinsame Leidenschaft entdeckten: das Witzeerzählen. Und wenn man, wie wir beide, schon seit Jahren auf der Suche nach guten Witzen ist, freut es jeden von uns umso mehr, auf einen Kenner und Sammler zu stoßen, der noch andere seltene Kostbarkeiten in seinem Repertoire hat. Bis spät in die Nacht hauten wir uns die Pointen um die Ohren und hatten samt allen anderen Anwesenden an unserem Tisch sehr viel Spaß. Im Nachhinein heißt es bei solchen Gelegenheiten stets: »Man hätte dabei sein müssen.« Deshalb haben wir unser nächtliches Treffen noch einmal aufleben lassen, in Berlin in der »Bar jeder Vernunft «. Und jetzt kann jeder nachträglich noch »live« dabei sein, denn wir haben es aufgenommen und zugunsten der Stiftung HUMOR HILFT HEILEN eine CD daraus gemacht: Ist das ein Witz?
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Als Arzt hat mich die Wirkung von Humor schon immer fasziniert: Genauer gesagt war ich erst Komiker und dann Arzt, nicht umgekehrt. Denn schon in der Schulzeit sammelte ich Witze und trat als kabarettistischer Zauberkünstler auf. Wenn man die Physiologie des Lachens betrachtet, erkennt man, dass Humor das natürlichste Anti-Stress-Mittel ist, das es überhaupt gibt. Wenn wir Angst haben, weil wir nicht wissen, ob etwas Bedrohliches auf uns zukommt, dann spannen wir unsere Muskeln an. Aber was tun wir, wenn wir lachen? Wir entspannen unsere Muskeln, lassen sie gewissermaßen los, denn im Lachen können wir die Muskelspannung gar nicht aufrechterhalten. Kinder wälzen sich vor Lachen auf dem Boden, lachende Erwachsene krümmen sich, können manchmal gar Muskeln entspannen, die sie eigentlich seit ihrem vierten Lebensjahr ganz gut unter Kontrolle hatten. Daher kommen auch Redewendungen wie: Man lacht sich krumm, kaputt oder gar krank. Nach dem Lachen sinkt der Blutdruck, und das Immunsystem verbessert sich. Gut belegt ist die schmerzhemmende Wirkung des Lachens. Das kann jeder selbst überprüfen: Hauen Sie sich mit einem Hammer auf den eigenen Daumen! Einmal alleine, und dann noch einmal in Gesellschaft, Sie spüren den Unterschied. Alleine tut es lange weh, in Gesellschaft muss ich über mein Missgeschick lachen, und der Schmerz lässt nach. Deshalb sollten Menschen mit Schmerzen nicht alleine sein und etwas zu lachen bekommen. Bis es Humor auf Krankenschein gibt, ist es sicher noch ein weiter Weg, aber man darf ja wohl träumen von einer neuen Kultur, die sich mehr damit beschäftigt, was der menschlichen Seele guttut und sie vor Stress schützt. Im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft. Ein verbreitetes Vorurteil verbannt das Lachen ins Reich des Oberflächlichen. Unsinn, im Gegenteil: Die Psychologie des Humors stößt zu den grundlegendsten Menschheitsfragen vor - wie ticken wir, warum täuschen wir uns so leicht, wie kommen wir der Wirklichkeit näher, woran halten wir gedanklich fest, und wann sind wir bereit, die Kontrolle abzugeben, loszulassen, uns im Lachen hinzugeben und zu ergeben? Bei aller Übereinstimmung gibt es zwischen Hellmuth Karasek und mir naturgemäß auch Auffassungsunterschiede: Er bezieht sich gern auf Sigmund Freud und die Psychoanalyse, die ich arg verquast finde. Das ganze Gedankengebäude in einem Aphorismus zusammengefasst: Wenn jemand eine Schraube locker hat, liegt es an der Mutter. Und wenn man den Freudianern mit vernünftigen Argumenten kommt, lautet ihre stereotype Antwort: Da hast du etwas verdrängt. Ich bin überzeugt, dass es zeitgemäßere und wirksamere Ideen in der Psychotherapie gibt. So arbeitet man in der Hypnotherapie, den systemischen Ansätzen und auch in der provokativen Therapie nach Frank Farrelly mit der heilenden Wirkung von humorvollen Geschichten. Da kann eine Geschichte, zum richtigen Zeitpunkt in einer tragfähigen Beziehung erzählt, mit einem Gedanken ein ganzes Lebensprinzip verdeutlichen. Und hinter diese Erkenntnis des anderen Blickwinkels kommt man auch nicht mehr zurück. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass es besser ist, eine offenkundige Schwäche gar nicht erst zu verstecken, sondern aus der Schwäche eine Stärke zu machen: Ein Stotterer bewirbt sich als Vertreter, er will Bibeln von Tür zu Tür zu verkaufen. Der Vertriebsleiter der christlichen Firma ist skeptisch, erbarmt sich jedoch: »Na gut, hier haben Sie eine Bibel, probieren Sie mal Ihr Glück. «Eine halbe Stunde später ist der Stotterer wieder da. Verkauft! Der erstaunte Vertriebsleiter gibt ihm jetzt drei Bibeln - nach einer Stunde sind auch die verkauft. Um es kurz zu machen: In zwei Tagen sind dreißig Bibeln verkauft, da nimmt der Vertriebsmann den Stotterer zur Seite und sagt: »Guter Mann, ich mache das seit zwanzig Jahren, habe aber noch nie erlebt, dass jemand so erfolgreich Bibeln verkauft. Ich verrate Ihren Trick nicht, aber sagen Sie mir bitte, wie Sie das machen.« »G-g-ganz einfach. Ich k-klingel und sag, hier ist die Bi-Bibel, wollen S-S-Sie k-k-kaufen, oder soll ich vo-vo-vorlesen?« Eine große Leitfigur dieser Art moderner Psychotherapie ist Viktor Frankl, der aus seiner eigenen Biografie eine unglaubliche Wende im therapeutischen Denken entwickelt hat.
Im KZ hat er mit anderen jüdischen Häftlingen verabredet, jeden Tag einen Witz zu erzählen. Im Nachhinein sagte er, dass dieses Festhalten an der Freiheit im Kopf ihm in der verzweifelten Situation immer wieder Kraft gegeben habe. Aus seinen traumatischen Erfahrungen hat Viktor Frankl später die Logotherapie entwickelt, die davon ausgeht, dass Menschen das Erlebnis von Sinn, von Sinnhaftigkeit dringender benötigen als alles andere. Wenn ein Patient sich beispielsweise umbringen wollte, hat er ihn gefragt, warum er es bisher nicht getan hat! Er drehte also die Perspektive um und fragte sein Gegenüber nach dem, was ihm bisher Halt gegeben hat, um daran zu arbeiten. Humor ist das bewährte Gegengift gegen irrsinnige Annahmen und felsenfeste Überzeugungen. Instinktiv lieben wir alle diese unumstößlichen Gewissheiten, aber der Humor kann sie ins Wanken bringen und die Perspektiven verändern. Wenn wir uns von dem Schock erholt haben, sehen wir klarer als vorher: Vielleicht ist alles ganz anders, nicht schwarz oder weiß, sondern bunt.
Ein Beispiel: Ein betrunkener Mann tastet sich um eine Litfaßsäule herum, läuft dabei immer im Kreis und schreit: »Hilfe, ich bin eingemauert!« Durch das Fassungsvermögen seines Magens ist das Fassungsvermögen seines Hirns eingeschränkt, er versteht nicht, dass er sich nur umdrehen müsste, um schlagartig frei zu sein. Diese subversive Sprengkraft des Witzes erklärt auch, warum sämtliche Diktaturen, alle Herrschaftssysteme, die auf brutaler Unterdrückung und totalitärer Ideologie beruhen, ungeheure Angst vor Komik und Satire haben. Eines meiner großen Vorbilder, Werner Finck, hat in den Zeiten der Naziherrschaft beispielhaften Mut bewiesen. Zu einem Gestapo-Spitzel, der versuchte, seine Witze mitzuschreiben, sagte er: »Kommen Sie mit, oder soll ich mitkommen?« Und er fügte hinzu: »Ich stehe hinter jeder Regierung, unter der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe.«
Die widerständige Tradition von Witzen setzte sich dann in den Zeiten des Kalten Kriegs im Ostblock fort. In der DDR erzählte man sich, Willy Brandt habe zu Walter Ulbricht gesagt: »Mein Hobby ist, Witze zu sammeln, die die Leute über mich erzählen. « Dazu Ulbricht: »Ich habe ein ganz ähnliches Hobby: Ich sammle Leute, die Witze über mich erzählen.« Witze zünden im Kopf, wenn Bilder entstehen, die nicht zusammenpassen, und wir uns nicht entscheiden können, was denn nun »richtig« ist. Unser Verstand möchte so gerne immer alles verstehen und in Gut und Böse einteilen. In ihrer Komplexität und ihren Paradoxien sträubt sich die Welt indes gegen derart eindeutige Zuordnungen; damit wir daran nicht verzweifeln, wurde uns das Lachen geschenkt. Unser Geist kennt drei Zustände, in denen Widersprüche auftauchen und stehen bleiben können: der Traum, die Psychose und das Lachen. Unter ihnen ist das Lachen eindeutig der heilsamste Geisteszustand. Lassen Sie sich also anstecken von der gesündesten Infektionskrankheit der Welt: dem Lachen! Schopenhauermeinte, jedes Lachen sei eine kleine Erleuchtung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Vergnügen, Aufklärung und Erkenntnis bei der Reise meines Freundes Hellmuth Karasek durch die Welt der Witze. Und wenn Ihnen einer besonders gut gefällt, erzählen Sie ihn weiter. Glück kommt selten allein. Lachen auch. Gemeinsam zu lachen ist das, was uns Menschen erfolgreich macht. Statt uns die Köpfe einzuschlagen, lassen wir lieber den Geist Funken schlagen. Humor ist vor allen Dingen ein soziales Phänomen, das Aggressionen mindert, Menschen zu Gruppen zusammenfügt und Stress abbaut. Was will man mehr? Jede Frau sucht einen Mann mit Humor. Und umgekehrt. Konkret will die Frau einen, der witzig ist, der Mann eine, die ihn witzig findet. Und Hellmuth ist wirklich witzig! Doch urteilen Sie selbst. Goethe hat schon erkannt, dass nichts den Menschen so treffend charakterisiert wie das, worüber er lacht. Jeder Witz, den ein Mensch erzählt, ist also auch eine Art Persönlichkeitstest für sein Gegenüber, ebenso wie für den Erzähler selbst. Von peinlich berührt, im Tiefsten bewegt bis lustvoll gekitzelt ist alles drin. In diesem Sinne, viel Freude, erkenne dich selbst
- und lache auf!
WARUM IM HIMMEL NICHT GELACHT WIRD - ABER AUF ERDEN SCHON
Es gibt eine auf den ersten Blick höchst befremdliche Einsicht des großen amerikanischen Erzählers, Humoristen und Satirikers Mark Twain. Sie lautet: »Im Himmel wird nicht gelacht.« Wie bitte? Ist das nicht eine extrem abtörnende Vorstellung, dass an dem Ort, den wir uns als den schönsten vorstellen, als den absoluten Gegenpol zur Erde, dem irdischen Jammertal und dem Anti-Ort zur Hölle, wo nach allen Vorstellungen permanente Folterqualen herrschen, Sünder die furchtbarsten, vor allem nie endenden Strafen erleiden, dass also in der hellsten, heilsten, friedvollsten, heitersten aller möglichen Welten, eben im Himmel, nicht gelacht wird. Ausgerechnet dort, wo wir die größte Heiterkeit erwarten! Nun könnten Agnostiker die Achseln zucken und sagen: So what! Was soll's! Da es den Himmel ohnehin nicht gibt und wir infolgedessen auch nicht dorthin kommen können, ist es uns egal, ob dort gelacht wird oder nicht. Wir werden uns höchstens darüber streiten, wenn wir uns darüber keine Gedanken mehr machen können. Denn wir leben ja auf der Erde, die das Gegenteil zum Himmel ist, und kommen aus dem Paradies, aus dem wir vertrieben wurden, dank Eva und dank dem verbotenen Apfel, und über diese Vertreibung gibt es eine Schilderung, abseits und jenseits der Bibel, aber auf dieser fußend. Mark Twain schildert in den Tagebüchern von Adam und Eva und in Evas Tagebuch aus zwei Perspektiven, wie wir aus dem Himmel (respektive dem Paradies) auf der Erde gelandet sind.
Adam, inzwischen Vater von zwei Jungen, hat die Einsicht: »Es lebt sich besser außerhalb des Gartens (gemeint ist der Garten Eden) mit ihr als drinnen ohne sie.« Über diesen Ehewitz lässt sich lachen. Und am Ende von Evas Tagebuch, vierzig Jahre später, sitzt Adam an Evas Grab und sagt: »Wo immer sie war, da war das Paradies.« Auch hier gibt es wieder Grund zum Lachen. Dabei hatte Adam, in der Friedfertigkeit des Paradieses, also im Himmel auf Erden, auf einer Reise erfahren, wann seine lebendige Rippe von der verbotenen Frucht der Erkenntnis gegessen hatte - als nämlich die wilden Tiere, die in totaler Harmonie nebeneinander grasten und ästen, übereinander herfielen, sich zerfleischten, ihm sein Pferd töteten, sodass er nur mit Mühe und Not mit dem Leben davonkam. Jonathan Swift, wie Mark Twain als Kinderbuchklassiker ausgewiesen, ein Humorist von misanthropischen Gnaden, hat eine Kannibalengeschichte geschrieben, die während des ewigen Kolonialkriegs zwischen England und Irland im 17. Jahrhundert spielt. Darin macht er einen bescheidenen Vorschlag: »amodest proposal«. Die Briten, die reichen Gutsbesitzer, mögen doch als kulinarische Abwechslung die von Hungertod bedrohten irischen Babys der Tagelöhner verspeisen, sie würden sicher köstlich schmecken. Mit diesem extremen Beispiel will ich deutlich machen, warum auf Erden (im Unterschied zum Himmel oder zu jedem vorstellbaren Paradies) gelacht wird, ja gelacht werden muss - weil nämlich das Elend dieser Welt ohne Lachen nicht auszuhalten wäre. Im Himmel braucht man kein Lachen.
Auf der Erde aber haben wir es bitter nötig. Wie das Sprichwort weiß: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Trotzdem. Auf das Trotzdem kommt es an. Wir brauchen das Lachen, um die Welt aushalten zu können. Das klingt zwar pathetisch, ist aber zweifellos wahr.
Man kann es auch mit einem Witz verdeutlichen, der davon handelt, wie man - wäre man im Paradies oder im Himmel, also wunschlos glücklich, ruhig, zufrieden in sich selbst ruhend, ohne Hunger und Durst - eigentlich nicht nur auf das Lachen verzichten könnte, sondern sogar auf das Sprechen. Eltern machen sich um ihren kleinen Sohn Sorgen. Zwar isst er brav, schläft gut, wächst und gedeiht, aber er bleibt stumm. Will und kann nicht reden. Die Eltern suchen Ärzte auf, holen Gutachten ein. Keine Ursache für irgendeine Krankheit ist zu entdecken. Die Eltern sind ratlos. Eines Mittags bringt die Mutter die Suppe auf den Tisch, um den die Eltern und ihr Sohn vor ihren Tellern sitzen. Die Mutter tut die Suppe auf. Alle fangen an zu essen. Auf einmal sagt der Sohn: »Salz!« Die Eltern schauen sich fassungslos an. Starren auf ihren Sohn. »Du kannst ja sprechen!«, sagen sie zu dem Kleinen. »Warum hast du denn bisher nichts gesagt?« »Bisher hat ja auch kein Salz gefehlt«, antwortet der Junge. Ein Witz ist immer auch eine Geschichte. Und das auf zweierlei Art: etwas, das etwas erzählt, was sich zu erzählen lohnt, weil es unerhört ist. Und etwas, das erzählt wird, ist wie im Märchen: »Es war einmal.« Witze soll man grundsätzlich »erzählen«. So wie man, eigentlich, Märchen vorlesen soll und auch Geschichten, wie die berühmten aus Tausendundeiner Nacht grundsätzlich erzählt werden sollten. Bei der Scheherazade ist das »fiktive« Erzählen, das der Leser liest, sozusagen die konstitutionelle Voraussetzung.
Sehr deutlich wird das bei folgendem Witz: Zwei Freunde treffen sich im Tennisclub. Sagt der eine zum anderen: »Sag mal, du hast ja richtig zugenommen.« Sagt der andere: »Du, ich weiß auch nicht. Aber beim Einschlafen liege ich immer neben meiner Frau, strecke die Hand nach ihr aus und berühre sie. Und sie schreckt hoch und sagt: ›Is was!‹ Ja, und dann stehe ich auf im Dunkeln, tapse in die Küche zum Kühlschrank und esse was!« Diesen Witz sollte man streng genommen immer erzählen, weil er nur beim Erzählen funktioniert. »Is was!«, das muss das verschliffene »Ist etwas?« sein, das der Hörer, der Mann im Halbschlaf, der Tastende, der die Hand vergeblich und verdrossen und eher aus Verlegenheit nach seiner Frau im Dunkeln ausstreckt, als »Iss was!« versteht, also als Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen und besser stattdessen etwas zu essen. Dieser Witz, über den wir lachen, weil er eine überraschende Verwechslung parat hält, erzählt von einem Paar, Herrn Jedermann und Frau Jederfrau, wie es in voller Ausführlichkeit in zahlreichen Romanen, Erzählungen, Novellen vorkommt, hier verknappt auf eine Pointe, die im Missverständnis die Dunkelheit des Schlafzimmers im Licht der Wahrheit wie ein Blitzlicht beleuchtet. Etwas geschwollen ausgedrückt? Zugegeben.
Aber es gibt Romane, Erzählungen, vornehmlich von Updike oder Walser oder Flaubert oder Tschechow, oder Dramen wie Gesellschaftskomödien, die von nichts anderem handeln. Ausführlicher. Aber, so paradox es klingt, die Ausführlichkeit dieses Witzes ist gerade seine Verknappung. Nachdem man ihn gehört hat, entfaltet die Geschichte ein Eigenleben, wie eine ins Wasser geworfene japanische Muschel, die sich nach und nach zu einer schönen Papierblume entfaltet. Nur dass diese Papierblume nicht die Schönheit der Poesie entfaltet, sondern dass sich die zynische Wahrheit der Realität in der winzigen Spitze einer Pointe, paradox gesagt, breitmacht. Eine Vierzeilengeschichte als Verlaufsgeschichte einer Ehe. Der Ehe. Im Zeitalter des Frustfressens, des Kummerspecks, des Nachts-zum-Kühlschrank-Gehens, dort, wo bei Axel Hacke der Bosch brummt, wenn sich der Erzähler sein Bier holt und die Zwiesprache des nächtlich Alleingelassenen mit dem technischen Gerät sucht. Wir wollen das alles nicht überstrapazieren.
Aber Witze sind gesellschaftliche Momentaufnahmen, die Lebenslügen offenlegen, oder etwas bescheidener, eine Nummer kleiner: Ein Witz zeigt, was unsere Gewohnheiten über uns sagen. Und noch etwas zeigt sich an diesem Witz. Er hat einen Rahmen, eine Rahmenerzählung: Zwei Freunde, die einander länger nicht gesehen haben, treffen sich im Club. Der eine stellt eine gewisse Verfettung an dem anderen fest. Dieser Rahmen federt den Witz ab. Denn der Witz transportiert auch eine Art Beichte: Wir, sagt der Witzeerzähler, werden alle ein bisschen fett, weil uns das Leben faul, träge und zu Gewohnheitstieren macht. Solche Beichten wären, in »Alltagsprosa« erzählt - du, weißt du, dass ich zu Hause immer öfter aufstehe, um in der Nacht noch etwas aus dem Kühlschrank zu holen? -, ziemlich ermüdend. Es ist die Pointe, die die Wahrheit erträglich macht. Ich, der ich viel auf Reisen zu Lesungen und Vorträgen bin, ertappe mich dabei, dass ich des Nachts Toblerone oder Bounty aus der Minibar verzehre. Niemand außer meiner Alleinsein-Routine muss dabei zu mir »Iss was« oder »Trink was« sagen. Das nächste Beispiel spielt an der Bar. Der Barkeeper ist ein Tröster der einsamen Geschäftsreisenden, der Gruppen, in der die Unermüdlichen und Schlaflosen, die scheinbar noch Aufgekratzten, die aus Angst vor dem Zubettgehen noch einen nehmen. Einen Absacker. Barkeeper sind oft die letzten Gesprächspartner, die Beichtväter der Moderne, man kommt sich mit ihnen über Gespräche über das Wetter, die Politik, die Lage näher, probiert einen neuen Drink, und schon geht das Beichten los. Hemingway hat sie geliebt, in Paris, in Madrid, in Venedig, auf Kuba. Es gibt berühmte Bars, und in Las Vegas oder Atlantic City haben sich ganze Generationen von Gangstern, Stars, Schriftstellern, Pianisten an der Bar das Hirn aus dem Kopf gesoffen. Die Bar war der Ort der »Lost Generation«, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Philip Roth. Es gibt einen unsterblichen Frank-Sinatra-Song von dieser Welt: »One for My Baby, One More for the Road«. Hier der Witz: In der Bar des Hamburger Hotel Atlantic oder der des Berliner Adlon oder der des Münchener Vier Jahreszeiten sitzt am Tresen ein einzelner Gast und bestellt zwei einfache Whiskys. On the rocks! Nach geraumer Zeit: Noch mal zwei Whiskys. Auf Eis. Und dann, nach etwa einer weiteren Stunde: »Noch zwei, bitte! Mit Eis!« Der Barmann sagt zu dem einsamen Gast: »Entschuldigung! Es geht mich ja nix an. Aber warum bestellen Sie nicht statt der zwei Einfachen einen Doppelten? Das wäre doch logischer.« »Nein, nein«, sagt der einsame Trinker. »Das verstehen Sie falsch. Jetzt, wo ich hier meinen Whisky trinke, sitzt mein bester Freund in London im Carlton, bestellt sich auch zwei und wir prosten uns zu!« »Ach, das ist aber eine schöne Geschichte«, sagt der Keeper. Und der Mann zahlt und geht.
Eine Woche später kommt er wieder. Setzt sich, und als der Kellner sich ihm zuwendet, sagt er: »Einen einfachen Whisky. Auf Eis.« Der Barkeeper schaut ihn kurz verdutzt an und stellt ihm dann einen einfachen Whisky hin. Nach einer Weile bestellt der Mann wieder einen Einfachen. Mit Eis. Und als das zum dritten Mal passiert, sagt der Keeper wieder: »Entschuldigung, es geht mich wieder nichts an! Aber ist Ihrem Freund in London im Carlton etwas passiert? Etwas Schlimmes?« »Nein, nein«, beruhigt ihn der Mann. »Keineswegs. Es geht ihm gut. Nur ich habe mir das Trinken abgewöhnt.« Auch dieser Witz hat einen überraschenden Dreh, eine Pointe, die alle Erwartungen auf den Kopf stellt. »Gott sei Dank«, denkt der Barkeeper und mit ihm der neugierige Zuhörer, »ist dem Freund in London, dem der Freund in Hamburg aus der Distanz kumpelhaft zuprostet, nichts passiert.« Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit der Pointe.
Im Gegenteil. Der Witz erzählt, während er scheinbar eine rührende Freundschaftsgeschichte von zwei getrennt Vereinten vorträgt, davon, dass Freundschaft in Wahrheit nur ein Vorwand für das Saufen ist. Wie Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt (Vatertag), Betriebsfeiern (wenn sie nicht, wie im Gellért- Bad in Budapest, für eine Versicherungssause die Gartenlaube zum Puff machen), Karneval, Geburtstage. Alles endet in der fröhlichen Gewissheit: Darauf müssen wir noch einen trinken. Prost, Gerd! Sehr zum Wohl, Paul! So jung kommen wir nicht mehr zusammen! Der Witz vom Gast in der Atlantic-Bar entlarvt die Männerfreundschaft als pure Ausrede für das Sich-allein- Besaufen.
Auch dies ist eine Geschichte, die, mit schöner Kunstfertigkeit erzählt, die gefühlige Scheinwelt eines Freundschaftsrituals zum absurden Ende bringt. Es ist die Lumpazivagabundus-Pointe Nestroys: »Wann ich mir meinen Verdruss nit versaufet, ich müsst mich grad aus Verzweiflung dem Trunk ergeben.« Im garantiert alkoholfreien Himmel würde darüber niemand lachen. So unsicher man darüber sein kann, ob es den Himmel überhaupt gibt, so sicher ist es, dass dort keine Witze über Religionen mehr erzählt werden - erzählt werden müssen. Zumindest nicht der folgende, in dem es um Religion und Atheismus geht und der einen kämpferischen Atheisten und einen altersmüden Bischof zu Protagonisten hat.
Die beiden gehen, in einen »Gibt es Gott? Gibt es Gott nicht?«-Disput verwickelt, am Wiener Ring entlang.
Und man hört Fetzen ihres erregten Dialogs.
Der Atheist sagt: »Ich glaube nicht an Gott!«
Und der Bischof: »Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen mir und Ihnen. Ich glaube nicht einmal das!«
Das ist eine witzige Variante des Bekenntnisses von Augustinus, der da schrieb: »Credo, quia absurdum est.« - Ich glaube, weil es unvernünftig ist. Umso unvernünftiger ist es, dass sich Menschen deswegen oder unter dem Vorwand des Glaubens bis heute die Köpfe einschlagen, dass es Männer gibt, die sich und andere für das Versprechen umbringen, im Paradies dafür von willigen Jungfrauen empfangen zu werden. Der Glaube kann eben nicht nur Berge versetzen. Sondern auch die Erde mit Himmelversprechen zur Hölle verwandeln. Aber auch das ist nicht neu und bestenfalls ein schlechter Witz.
In Zeiten der Schlachten des Feminismus und der Kämpfe gegen die Diskriminierung von Schwarzen gab es in den USA einen Witz von einem Mann, der aus dem Todeskoma wieder erwacht und, nachdem er zurück auf Erden ist, gefragt wird, ob er denn Gottes Antlitz gesehen habe. »Yes«, antwortet er. »She is black.«
Damals gab es auf Erden weder Obama als Präsidenten noch Angela Merkel als Kanzlerin. Aber von Vater und Sohn im Himmel war nicht die Rede.
WIE WIRD MAN WITZEERZÄHLER?
Wie ergreift man diesen Beruf, der zur fixen Idee werden kann und sich manchmal vom Menschheitssegen zur Menschheitsplage auswächst, wenigstens was die Opfer des Witzeerzählers betrifft? Die Antwort muss lauten: aus Mangel oder, freudianisch gesprochen: aus Substitution. Der Witz ist eine Ersatzhandlung. Vielleicht erinnern sich manche noch an den Sportunterricht, wenn in der Klasse zwei Fußball- oder Volleyball- oder Völkerballmannschaften per Zuruf ausgesucht wurden. Die zwei Sportcracks der Klasse wählen sich ihr Team. Wer zu den zuletzt Aufgerufenen gehört, hat nur eine Chance, in der Klasse zu überleben: Er muss Klassenclown werden. Er muss durch Witz kompensieren, was er an Muskelkraft und Mut vermissen lässt. Ich erinnere mich an die öffentliche Turnprüfung an Geräten, vor dem Abitur, als meine mir gewogene Russischlehrerin, bevor ich zur Tat schritt und ans Reck oder den Barren musste, mir beruhigend die Hand auf den Arm legte, bevor ich aufstand und losschritt: »Keine Angst, Hellmuth, ich werde bei Ihrer Übung die Augen zumachen.« Anderes als Witzeerzählen bleibt einem da nicht mehr. Das gilt auch später noch, wenn die betuchteren Klassenkameraden in schickeren Klamotten oder gar mit dem eigenen Moped, Motorrad oder Auto vorfahren. Auch dagegen hilft nur Witze erzählen, Spaß machen! Die Lacher auf seiner Seite haben! Wer erzählt, braucht nicht zu handeln. Der gibt vor, schon gehandelt zu haben, und wer gehandelt hat, der hat anschließend was zu erzählen. Witze zum Beispiel.
Witzeerzähler wird man auch aus Überfluss, also dem Gegenteil von Mangel. Ein gewitzter Kopf hat so viel Verstand, dass er wenigstens etwas davon als Witz abgeben kann. Er kann sich den Witz leisten, er braucht sein bisschen Verstand nicht nur für die Realität. Es ist wie mit dem Klavierspieler, von dem es in dem Lied heißt: »... wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau'n.« Ich habe Geige spielen gelernt, das ist ähnlich unattraktiv wie Blockflöte und klingt, vor allen Dingen bei Anfängern, gar nicht gut. Ich habe es nur auf zwei Jahre Geigenunterricht gebracht. Auch aus diesem Grund musste ich aufs Witzeerzählen ausweichen. Eine Zeit lang dachte ich, ich könnte meine »Mängel« auch mit Singen kompensieren, und heimlich glaube ich das immer noch, aber meine Familie hat mir längst den Schneid abgekauft. Was also bleibt mir? Das Witzeerzählen.
Dazu fällt mir auch gleich die Geschichte von dem Barpianisten ein, der den verliebten Paaren was ins Ohr spielt und säuselt.
Er hat als Attraktion einen kleinen Affen bei sich. Dieser Affe ist ein possierliches Tier, und ein junges Paar bemerkt auf einmal, dass der Affe sein Genital in ein Cocktailglas der beiden senkt. Der Mann schämt sich und flüstert dem Pianisten leise ins Ohr: »Ihr Affe hat sein - äh - in meinem Whiskyglas.« Der Pianist spielt weiter und fragt nur: »Hä?«, weil er nichts versteht. Wieder flüstert der junge Mann. Und als sich das dreimal wiederholt, sagt der Pianist: »Okay, summen Sie es, dann werde ich es spielen.«
Der Witzeerzähler - Frauen erklären in absoluter Mehrheit kategorisch: Ich kann keine Witze erzählen -, der Witzeerzähler also geht häufig eine Kumpanei mit einer bevorzugten Zuhörerin ein, der er besonders imponieren will. Sigmund Freud hat beschrieben, dass Männer beim Stammtisch schlüpfrige Witze oder doppeldeutige Witze oder auch Zoten mit Vorliebe dann erzählen, wenn eine weibliche Bedienung noch in Hörnähe ist. Sie brauchen auch unter Witzebrüdern das Gefühl, dass sie einen erotischen Kurzschluss zu einem weiblichen Wesen herstellen können. Nach dem Motto: Summen Sie es, ich werde es spielen. Besonders Witze mit absteigender Tendenz sind hierfür ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich, dass ich vor vielen Jahren, als ich noch jung und schuldig war, besonders gern den folgenden Witz erzählt habe. Es handelt sich um einen Graf-Bobby- Witz: Graf Bobby unterhält sich mit seinem Freund Freddy darüber, wie viel Positionen es beim Lieben gibt. (Da drängt sich mir der Arbeitslosenwitz in den Kopf, wo ein Arbeitsloser fröhlich nach Hause kommt und ruft: »Ich hab 'ne neue Stellung!«, und die Frau antwortet: »Du Schwein, hättest dich besser um Arbeit kümmern sollen.«) Bobby also denkt kurz nach und sagt: »Es gibt neunundneunzig Stellungen.« »Nein, hundert«, sagt Freddy. Bobby rechnet wieder kurz im Kopf nach und sagt: »Nein, neunundneunzig.« Bis die beiden beschließen zu wetten, standesgemäß um eine Flasche Champagner. »Gut«, sagt Bobby nach dem Handschlag zu Freddy, »fang an aufzuzählen!«
Immer wenn ich damals so weit mit dem Witz gekommen war, bemerkte ich eine gewisse Unruhe in den Augen der von mir angepeilten Zuhörerin. Was sie empfand, würde man heute wohl als Vorausschämen bezeichnen. O Gott, der nette Herr K. wird doch jetzt nicht mit einer schrecklichen Zote aufwarten und ekligen Details. Sie rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und hüstelte. Ich fuhr unerbittlich fort: »Also«, sagt Bobby zu Freddy, »fang an aufzuzählen!« Darauf sagt Freddy: »Erstens, normal.« Bobby unterbricht ihn und sagt: »Du hast gewonnen, das hatte ich ganz vergessen.« Große Erleichterung und Gelächter, auch bei meiner Zuhörerin. Gleichzeitig hatte ich sie sozusagen in eine Geheimverbindung mit meinen schmutzigsten Gedanken, die sie mir zutraute, gebracht. Wir waren gewissermaßen über etwas Unausgesprochenes verkuppelt. Wenn ich etwas übertrieb, so schämte sie sich sogar ein bisschen, weil sie mir so etwas Schmutziges zugetraut hatte. Ich war sicher, dass sie, in Gedanken wenigstens, tätige Reue übe. Viele Witze sind schlüpfrig, was nicht nur an die Flüssigkeit des Humors erinnert, sondern auch an das Ausrutschen auf dem doppelten Boden des Witzes, der ja, wenn er gut ist, das Zweideutige eindeutig macht und, indem er es verbessert, verschlimmert. Es gibt das entwaffnende Frage-und-Antwort-Spiel mit Woody Allen: »Muss Sex eigentlich immer schmutzig sein?« - »Wenn er gut ist, schon.« Die im Witz außer Kraft gesetzte Zensur, die für einen Moment den Blick auf die schmutzige beziehungsweise als schmutzig verschriene Wahrheit lenkt, erinnert an die Polizei, und zwar an die Sittenpolizei (die ja laut Freud auch im Hirn tätig ist). Im Witz findet das statt, was Karl Kraus für den Sittenskandal gesagt hat: »Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet.« Labiche und Feydeau, die großen französischen Salonkomödienschreiber des 19. Jahrhunderts, stellten ihre Helden in zwei beliebten komischen Konstellationen dar, die für den Helden tragisch und für den Zuschauer komisch waren. Die erste Situation war die In-flagranti-Situation.
Überraschend kommt der Ehemann nach Hause, der Liebhaber muss im Schrank oder im Kabinett verschwinden, es geht zu wie im zweiten Akt von Mozarts Figaros Hochzeit. Dieser Mechanismus schnurrt wie ein Maschinchen ab und erfüllt die Bergson-Definition von Komik: Komik ist Mechanik. Witzeerzähler sind immer auch Geschichtenerzähler. Dazu hat mir Reich-Ranicki, mit dem mich eine lange kollegiale Freundschaft verbindet, ein schönes Beispiel erzählt. Er hat in Polen, nach der Flucht aus dem Getto mit seiner Frau, bei einempolnischen Paar überlebt, das ihn unter Lebensgefahr versteckte. Die Reichs mussten tagsüber im Keller bleiben, wo sie für die Hausbewohner Zigaretten drehten.
© 2014 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
Als Arzt hat mich die Wirkung von Humor schon immer fasziniert: Genauer gesagt war ich erst Komiker und dann Arzt, nicht umgekehrt. Denn schon in der Schulzeit sammelte ich Witze und trat als kabarettistischer Zauberkünstler auf. Wenn man die Physiologie des Lachens betrachtet, erkennt man, dass Humor das natürlichste Anti-Stress-Mittel ist, das es überhaupt gibt. Wenn wir Angst haben, weil wir nicht wissen, ob etwas Bedrohliches auf uns zukommt, dann spannen wir unsere Muskeln an. Aber was tun wir, wenn wir lachen? Wir entspannen unsere Muskeln, lassen sie gewissermaßen los, denn im Lachen können wir die Muskelspannung gar nicht aufrechterhalten. Kinder wälzen sich vor Lachen auf dem Boden, lachende Erwachsene krümmen sich, können manchmal gar Muskeln entspannen, die sie eigentlich seit ihrem vierten Lebensjahr ganz gut unter Kontrolle hatten. Daher kommen auch Redewendungen wie: Man lacht sich krumm, kaputt oder gar krank. Nach dem Lachen sinkt der Blutdruck, und das Immunsystem verbessert sich. Gut belegt ist die schmerzhemmende Wirkung des Lachens. Das kann jeder selbst überprüfen: Hauen Sie sich mit einem Hammer auf den eigenen Daumen! Einmal alleine, und dann noch einmal in Gesellschaft, Sie spüren den Unterschied. Alleine tut es lange weh, in Gesellschaft muss ich über mein Missgeschick lachen, und der Schmerz lässt nach. Deshalb sollten Menschen mit Schmerzen nicht alleine sein und etwas zu lachen bekommen. Bis es Humor auf Krankenschein gibt, ist es sicher noch ein weiter Weg, aber man darf ja wohl träumen von einer neuen Kultur, die sich mehr damit beschäftigt, was der menschlichen Seele guttut und sie vor Stress schützt. Im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft. Ein verbreitetes Vorurteil verbannt das Lachen ins Reich des Oberflächlichen. Unsinn, im Gegenteil: Die Psychologie des Humors stößt zu den grundlegendsten Menschheitsfragen vor - wie ticken wir, warum täuschen wir uns so leicht, wie kommen wir der Wirklichkeit näher, woran halten wir gedanklich fest, und wann sind wir bereit, die Kontrolle abzugeben, loszulassen, uns im Lachen hinzugeben und zu ergeben? Bei aller Übereinstimmung gibt es zwischen Hellmuth Karasek und mir naturgemäß auch Auffassungsunterschiede: Er bezieht sich gern auf Sigmund Freud und die Psychoanalyse, die ich arg verquast finde. Das ganze Gedankengebäude in einem Aphorismus zusammengefasst: Wenn jemand eine Schraube locker hat, liegt es an der Mutter. Und wenn man den Freudianern mit vernünftigen Argumenten kommt, lautet ihre stereotype Antwort: Da hast du etwas verdrängt. Ich bin überzeugt, dass es zeitgemäßere und wirksamere Ideen in der Psychotherapie gibt. So arbeitet man in der Hypnotherapie, den systemischen Ansätzen und auch in der provokativen Therapie nach Frank Farrelly mit der heilenden Wirkung von humorvollen Geschichten. Da kann eine Geschichte, zum richtigen Zeitpunkt in einer tragfähigen Beziehung erzählt, mit einem Gedanken ein ganzes Lebensprinzip verdeutlichen. Und hinter diese Erkenntnis des anderen Blickwinkels kommt man auch nicht mehr zurück. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass es besser ist, eine offenkundige Schwäche gar nicht erst zu verstecken, sondern aus der Schwäche eine Stärke zu machen: Ein Stotterer bewirbt sich als Vertreter, er will Bibeln von Tür zu Tür zu verkaufen. Der Vertriebsleiter der christlichen Firma ist skeptisch, erbarmt sich jedoch: »Na gut, hier haben Sie eine Bibel, probieren Sie mal Ihr Glück. «Eine halbe Stunde später ist der Stotterer wieder da. Verkauft! Der erstaunte Vertriebsleiter gibt ihm jetzt drei Bibeln - nach einer Stunde sind auch die verkauft. Um es kurz zu machen: In zwei Tagen sind dreißig Bibeln verkauft, da nimmt der Vertriebsmann den Stotterer zur Seite und sagt: »Guter Mann, ich mache das seit zwanzig Jahren, habe aber noch nie erlebt, dass jemand so erfolgreich Bibeln verkauft. Ich verrate Ihren Trick nicht, aber sagen Sie mir bitte, wie Sie das machen.« »G-g-ganz einfach. Ich k-klingel und sag, hier ist die Bi-Bibel, wollen S-S-Sie k-k-kaufen, oder soll ich vo-vo-vorlesen?« Eine große Leitfigur dieser Art moderner Psychotherapie ist Viktor Frankl, der aus seiner eigenen Biografie eine unglaubliche Wende im therapeutischen Denken entwickelt hat.
Im KZ hat er mit anderen jüdischen Häftlingen verabredet, jeden Tag einen Witz zu erzählen. Im Nachhinein sagte er, dass dieses Festhalten an der Freiheit im Kopf ihm in der verzweifelten Situation immer wieder Kraft gegeben habe. Aus seinen traumatischen Erfahrungen hat Viktor Frankl später die Logotherapie entwickelt, die davon ausgeht, dass Menschen das Erlebnis von Sinn, von Sinnhaftigkeit dringender benötigen als alles andere. Wenn ein Patient sich beispielsweise umbringen wollte, hat er ihn gefragt, warum er es bisher nicht getan hat! Er drehte also die Perspektive um und fragte sein Gegenüber nach dem, was ihm bisher Halt gegeben hat, um daran zu arbeiten. Humor ist das bewährte Gegengift gegen irrsinnige Annahmen und felsenfeste Überzeugungen. Instinktiv lieben wir alle diese unumstößlichen Gewissheiten, aber der Humor kann sie ins Wanken bringen und die Perspektiven verändern. Wenn wir uns von dem Schock erholt haben, sehen wir klarer als vorher: Vielleicht ist alles ganz anders, nicht schwarz oder weiß, sondern bunt.
Ein Beispiel: Ein betrunkener Mann tastet sich um eine Litfaßsäule herum, läuft dabei immer im Kreis und schreit: »Hilfe, ich bin eingemauert!« Durch das Fassungsvermögen seines Magens ist das Fassungsvermögen seines Hirns eingeschränkt, er versteht nicht, dass er sich nur umdrehen müsste, um schlagartig frei zu sein. Diese subversive Sprengkraft des Witzes erklärt auch, warum sämtliche Diktaturen, alle Herrschaftssysteme, die auf brutaler Unterdrückung und totalitärer Ideologie beruhen, ungeheure Angst vor Komik und Satire haben. Eines meiner großen Vorbilder, Werner Finck, hat in den Zeiten der Naziherrschaft beispielhaften Mut bewiesen. Zu einem Gestapo-Spitzel, der versuchte, seine Witze mitzuschreiben, sagte er: »Kommen Sie mit, oder soll ich mitkommen?« Und er fügte hinzu: »Ich stehe hinter jeder Regierung, unter der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe.«
Die widerständige Tradition von Witzen setzte sich dann in den Zeiten des Kalten Kriegs im Ostblock fort. In der DDR erzählte man sich, Willy Brandt habe zu Walter Ulbricht gesagt: »Mein Hobby ist, Witze zu sammeln, die die Leute über mich erzählen. « Dazu Ulbricht: »Ich habe ein ganz ähnliches Hobby: Ich sammle Leute, die Witze über mich erzählen.« Witze zünden im Kopf, wenn Bilder entstehen, die nicht zusammenpassen, und wir uns nicht entscheiden können, was denn nun »richtig« ist. Unser Verstand möchte so gerne immer alles verstehen und in Gut und Böse einteilen. In ihrer Komplexität und ihren Paradoxien sträubt sich die Welt indes gegen derart eindeutige Zuordnungen; damit wir daran nicht verzweifeln, wurde uns das Lachen geschenkt. Unser Geist kennt drei Zustände, in denen Widersprüche auftauchen und stehen bleiben können: der Traum, die Psychose und das Lachen. Unter ihnen ist das Lachen eindeutig der heilsamste Geisteszustand. Lassen Sie sich also anstecken von der gesündesten Infektionskrankheit der Welt: dem Lachen! Schopenhauermeinte, jedes Lachen sei eine kleine Erleuchtung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Vergnügen, Aufklärung und Erkenntnis bei der Reise meines Freundes Hellmuth Karasek durch die Welt der Witze. Und wenn Ihnen einer besonders gut gefällt, erzählen Sie ihn weiter. Glück kommt selten allein. Lachen auch. Gemeinsam zu lachen ist das, was uns Menschen erfolgreich macht. Statt uns die Köpfe einzuschlagen, lassen wir lieber den Geist Funken schlagen. Humor ist vor allen Dingen ein soziales Phänomen, das Aggressionen mindert, Menschen zu Gruppen zusammenfügt und Stress abbaut. Was will man mehr? Jede Frau sucht einen Mann mit Humor. Und umgekehrt. Konkret will die Frau einen, der witzig ist, der Mann eine, die ihn witzig findet. Und Hellmuth ist wirklich witzig! Doch urteilen Sie selbst. Goethe hat schon erkannt, dass nichts den Menschen so treffend charakterisiert wie das, worüber er lacht. Jeder Witz, den ein Mensch erzählt, ist also auch eine Art Persönlichkeitstest für sein Gegenüber, ebenso wie für den Erzähler selbst. Von peinlich berührt, im Tiefsten bewegt bis lustvoll gekitzelt ist alles drin. In diesem Sinne, viel Freude, erkenne dich selbst
- und lache auf!
WARUM IM HIMMEL NICHT GELACHT WIRD - ABER AUF ERDEN SCHON
Es gibt eine auf den ersten Blick höchst befremdliche Einsicht des großen amerikanischen Erzählers, Humoristen und Satirikers Mark Twain. Sie lautet: »Im Himmel wird nicht gelacht.« Wie bitte? Ist das nicht eine extrem abtörnende Vorstellung, dass an dem Ort, den wir uns als den schönsten vorstellen, als den absoluten Gegenpol zur Erde, dem irdischen Jammertal und dem Anti-Ort zur Hölle, wo nach allen Vorstellungen permanente Folterqualen herrschen, Sünder die furchtbarsten, vor allem nie endenden Strafen erleiden, dass also in der hellsten, heilsten, friedvollsten, heitersten aller möglichen Welten, eben im Himmel, nicht gelacht wird. Ausgerechnet dort, wo wir die größte Heiterkeit erwarten! Nun könnten Agnostiker die Achseln zucken und sagen: So what! Was soll's! Da es den Himmel ohnehin nicht gibt und wir infolgedessen auch nicht dorthin kommen können, ist es uns egal, ob dort gelacht wird oder nicht. Wir werden uns höchstens darüber streiten, wenn wir uns darüber keine Gedanken mehr machen können. Denn wir leben ja auf der Erde, die das Gegenteil zum Himmel ist, und kommen aus dem Paradies, aus dem wir vertrieben wurden, dank Eva und dank dem verbotenen Apfel, und über diese Vertreibung gibt es eine Schilderung, abseits und jenseits der Bibel, aber auf dieser fußend. Mark Twain schildert in den Tagebüchern von Adam und Eva und in Evas Tagebuch aus zwei Perspektiven, wie wir aus dem Himmel (respektive dem Paradies) auf der Erde gelandet sind.
Adam, inzwischen Vater von zwei Jungen, hat die Einsicht: »Es lebt sich besser außerhalb des Gartens (gemeint ist der Garten Eden) mit ihr als drinnen ohne sie.« Über diesen Ehewitz lässt sich lachen. Und am Ende von Evas Tagebuch, vierzig Jahre später, sitzt Adam an Evas Grab und sagt: »Wo immer sie war, da war das Paradies.« Auch hier gibt es wieder Grund zum Lachen. Dabei hatte Adam, in der Friedfertigkeit des Paradieses, also im Himmel auf Erden, auf einer Reise erfahren, wann seine lebendige Rippe von der verbotenen Frucht der Erkenntnis gegessen hatte - als nämlich die wilden Tiere, die in totaler Harmonie nebeneinander grasten und ästen, übereinander herfielen, sich zerfleischten, ihm sein Pferd töteten, sodass er nur mit Mühe und Not mit dem Leben davonkam. Jonathan Swift, wie Mark Twain als Kinderbuchklassiker ausgewiesen, ein Humorist von misanthropischen Gnaden, hat eine Kannibalengeschichte geschrieben, die während des ewigen Kolonialkriegs zwischen England und Irland im 17. Jahrhundert spielt. Darin macht er einen bescheidenen Vorschlag: »amodest proposal«. Die Briten, die reichen Gutsbesitzer, mögen doch als kulinarische Abwechslung die von Hungertod bedrohten irischen Babys der Tagelöhner verspeisen, sie würden sicher köstlich schmecken. Mit diesem extremen Beispiel will ich deutlich machen, warum auf Erden (im Unterschied zum Himmel oder zu jedem vorstellbaren Paradies) gelacht wird, ja gelacht werden muss - weil nämlich das Elend dieser Welt ohne Lachen nicht auszuhalten wäre. Im Himmel braucht man kein Lachen.
Auf der Erde aber haben wir es bitter nötig. Wie das Sprichwort weiß: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Trotzdem. Auf das Trotzdem kommt es an. Wir brauchen das Lachen, um die Welt aushalten zu können. Das klingt zwar pathetisch, ist aber zweifellos wahr.
Man kann es auch mit einem Witz verdeutlichen, der davon handelt, wie man - wäre man im Paradies oder im Himmel, also wunschlos glücklich, ruhig, zufrieden in sich selbst ruhend, ohne Hunger und Durst - eigentlich nicht nur auf das Lachen verzichten könnte, sondern sogar auf das Sprechen. Eltern machen sich um ihren kleinen Sohn Sorgen. Zwar isst er brav, schläft gut, wächst und gedeiht, aber er bleibt stumm. Will und kann nicht reden. Die Eltern suchen Ärzte auf, holen Gutachten ein. Keine Ursache für irgendeine Krankheit ist zu entdecken. Die Eltern sind ratlos. Eines Mittags bringt die Mutter die Suppe auf den Tisch, um den die Eltern und ihr Sohn vor ihren Tellern sitzen. Die Mutter tut die Suppe auf. Alle fangen an zu essen. Auf einmal sagt der Sohn: »Salz!« Die Eltern schauen sich fassungslos an. Starren auf ihren Sohn. »Du kannst ja sprechen!«, sagen sie zu dem Kleinen. »Warum hast du denn bisher nichts gesagt?« »Bisher hat ja auch kein Salz gefehlt«, antwortet der Junge. Ein Witz ist immer auch eine Geschichte. Und das auf zweierlei Art: etwas, das etwas erzählt, was sich zu erzählen lohnt, weil es unerhört ist. Und etwas, das erzählt wird, ist wie im Märchen: »Es war einmal.« Witze soll man grundsätzlich »erzählen«. So wie man, eigentlich, Märchen vorlesen soll und auch Geschichten, wie die berühmten aus Tausendundeiner Nacht grundsätzlich erzählt werden sollten. Bei der Scheherazade ist das »fiktive« Erzählen, das der Leser liest, sozusagen die konstitutionelle Voraussetzung.
Sehr deutlich wird das bei folgendem Witz: Zwei Freunde treffen sich im Tennisclub. Sagt der eine zum anderen: »Sag mal, du hast ja richtig zugenommen.« Sagt der andere: »Du, ich weiß auch nicht. Aber beim Einschlafen liege ich immer neben meiner Frau, strecke die Hand nach ihr aus und berühre sie. Und sie schreckt hoch und sagt: ›Is was!‹ Ja, und dann stehe ich auf im Dunkeln, tapse in die Küche zum Kühlschrank und esse was!« Diesen Witz sollte man streng genommen immer erzählen, weil er nur beim Erzählen funktioniert. »Is was!«, das muss das verschliffene »Ist etwas?« sein, das der Hörer, der Mann im Halbschlaf, der Tastende, der die Hand vergeblich und verdrossen und eher aus Verlegenheit nach seiner Frau im Dunkeln ausstreckt, als »Iss was!« versteht, also als Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen und besser stattdessen etwas zu essen. Dieser Witz, über den wir lachen, weil er eine überraschende Verwechslung parat hält, erzählt von einem Paar, Herrn Jedermann und Frau Jederfrau, wie es in voller Ausführlichkeit in zahlreichen Romanen, Erzählungen, Novellen vorkommt, hier verknappt auf eine Pointe, die im Missverständnis die Dunkelheit des Schlafzimmers im Licht der Wahrheit wie ein Blitzlicht beleuchtet. Etwas geschwollen ausgedrückt? Zugegeben.
Aber es gibt Romane, Erzählungen, vornehmlich von Updike oder Walser oder Flaubert oder Tschechow, oder Dramen wie Gesellschaftskomödien, die von nichts anderem handeln. Ausführlicher. Aber, so paradox es klingt, die Ausführlichkeit dieses Witzes ist gerade seine Verknappung. Nachdem man ihn gehört hat, entfaltet die Geschichte ein Eigenleben, wie eine ins Wasser geworfene japanische Muschel, die sich nach und nach zu einer schönen Papierblume entfaltet. Nur dass diese Papierblume nicht die Schönheit der Poesie entfaltet, sondern dass sich die zynische Wahrheit der Realität in der winzigen Spitze einer Pointe, paradox gesagt, breitmacht. Eine Vierzeilengeschichte als Verlaufsgeschichte einer Ehe. Der Ehe. Im Zeitalter des Frustfressens, des Kummerspecks, des Nachts-zum-Kühlschrank-Gehens, dort, wo bei Axel Hacke der Bosch brummt, wenn sich der Erzähler sein Bier holt und die Zwiesprache des nächtlich Alleingelassenen mit dem technischen Gerät sucht. Wir wollen das alles nicht überstrapazieren.
Aber Witze sind gesellschaftliche Momentaufnahmen, die Lebenslügen offenlegen, oder etwas bescheidener, eine Nummer kleiner: Ein Witz zeigt, was unsere Gewohnheiten über uns sagen. Und noch etwas zeigt sich an diesem Witz. Er hat einen Rahmen, eine Rahmenerzählung: Zwei Freunde, die einander länger nicht gesehen haben, treffen sich im Club. Der eine stellt eine gewisse Verfettung an dem anderen fest. Dieser Rahmen federt den Witz ab. Denn der Witz transportiert auch eine Art Beichte: Wir, sagt der Witzeerzähler, werden alle ein bisschen fett, weil uns das Leben faul, träge und zu Gewohnheitstieren macht. Solche Beichten wären, in »Alltagsprosa« erzählt - du, weißt du, dass ich zu Hause immer öfter aufstehe, um in der Nacht noch etwas aus dem Kühlschrank zu holen? -, ziemlich ermüdend. Es ist die Pointe, die die Wahrheit erträglich macht. Ich, der ich viel auf Reisen zu Lesungen und Vorträgen bin, ertappe mich dabei, dass ich des Nachts Toblerone oder Bounty aus der Minibar verzehre. Niemand außer meiner Alleinsein-Routine muss dabei zu mir »Iss was« oder »Trink was« sagen. Das nächste Beispiel spielt an der Bar. Der Barkeeper ist ein Tröster der einsamen Geschäftsreisenden, der Gruppen, in der die Unermüdlichen und Schlaflosen, die scheinbar noch Aufgekratzten, die aus Angst vor dem Zubettgehen noch einen nehmen. Einen Absacker. Barkeeper sind oft die letzten Gesprächspartner, die Beichtväter der Moderne, man kommt sich mit ihnen über Gespräche über das Wetter, die Politik, die Lage näher, probiert einen neuen Drink, und schon geht das Beichten los. Hemingway hat sie geliebt, in Paris, in Madrid, in Venedig, auf Kuba. Es gibt berühmte Bars, und in Las Vegas oder Atlantic City haben sich ganze Generationen von Gangstern, Stars, Schriftstellern, Pianisten an der Bar das Hirn aus dem Kopf gesoffen. Die Bar war der Ort der »Lost Generation«, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Philip Roth. Es gibt einen unsterblichen Frank-Sinatra-Song von dieser Welt: »One for My Baby, One More for the Road«. Hier der Witz: In der Bar des Hamburger Hotel Atlantic oder der des Berliner Adlon oder der des Münchener Vier Jahreszeiten sitzt am Tresen ein einzelner Gast und bestellt zwei einfache Whiskys. On the rocks! Nach geraumer Zeit: Noch mal zwei Whiskys. Auf Eis. Und dann, nach etwa einer weiteren Stunde: »Noch zwei, bitte! Mit Eis!« Der Barmann sagt zu dem einsamen Gast: »Entschuldigung! Es geht mich ja nix an. Aber warum bestellen Sie nicht statt der zwei Einfachen einen Doppelten? Das wäre doch logischer.« »Nein, nein«, sagt der einsame Trinker. »Das verstehen Sie falsch. Jetzt, wo ich hier meinen Whisky trinke, sitzt mein bester Freund in London im Carlton, bestellt sich auch zwei und wir prosten uns zu!« »Ach, das ist aber eine schöne Geschichte«, sagt der Keeper. Und der Mann zahlt und geht.
Eine Woche später kommt er wieder. Setzt sich, und als der Kellner sich ihm zuwendet, sagt er: »Einen einfachen Whisky. Auf Eis.« Der Barkeeper schaut ihn kurz verdutzt an und stellt ihm dann einen einfachen Whisky hin. Nach einer Weile bestellt der Mann wieder einen Einfachen. Mit Eis. Und als das zum dritten Mal passiert, sagt der Keeper wieder: »Entschuldigung, es geht mich wieder nichts an! Aber ist Ihrem Freund in London im Carlton etwas passiert? Etwas Schlimmes?« »Nein, nein«, beruhigt ihn der Mann. »Keineswegs. Es geht ihm gut. Nur ich habe mir das Trinken abgewöhnt.« Auch dieser Witz hat einen überraschenden Dreh, eine Pointe, die alle Erwartungen auf den Kopf stellt. »Gott sei Dank«, denkt der Barkeeper und mit ihm der neugierige Zuhörer, »ist dem Freund in London, dem der Freund in Hamburg aus der Distanz kumpelhaft zuprostet, nichts passiert.« Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit der Pointe.
Im Gegenteil. Der Witz erzählt, während er scheinbar eine rührende Freundschaftsgeschichte von zwei getrennt Vereinten vorträgt, davon, dass Freundschaft in Wahrheit nur ein Vorwand für das Saufen ist. Wie Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt (Vatertag), Betriebsfeiern (wenn sie nicht, wie im Gellért- Bad in Budapest, für eine Versicherungssause die Gartenlaube zum Puff machen), Karneval, Geburtstage. Alles endet in der fröhlichen Gewissheit: Darauf müssen wir noch einen trinken. Prost, Gerd! Sehr zum Wohl, Paul! So jung kommen wir nicht mehr zusammen! Der Witz vom Gast in der Atlantic-Bar entlarvt die Männerfreundschaft als pure Ausrede für das Sich-allein- Besaufen.
Auch dies ist eine Geschichte, die, mit schöner Kunstfertigkeit erzählt, die gefühlige Scheinwelt eines Freundschaftsrituals zum absurden Ende bringt. Es ist die Lumpazivagabundus-Pointe Nestroys: »Wann ich mir meinen Verdruss nit versaufet, ich müsst mich grad aus Verzweiflung dem Trunk ergeben.« Im garantiert alkoholfreien Himmel würde darüber niemand lachen. So unsicher man darüber sein kann, ob es den Himmel überhaupt gibt, so sicher ist es, dass dort keine Witze über Religionen mehr erzählt werden - erzählt werden müssen. Zumindest nicht der folgende, in dem es um Religion und Atheismus geht und der einen kämpferischen Atheisten und einen altersmüden Bischof zu Protagonisten hat.
Die beiden gehen, in einen »Gibt es Gott? Gibt es Gott nicht?«-Disput verwickelt, am Wiener Ring entlang.
Und man hört Fetzen ihres erregten Dialogs.
Der Atheist sagt: »Ich glaube nicht an Gott!«
Und der Bischof: »Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen mir und Ihnen. Ich glaube nicht einmal das!«
Das ist eine witzige Variante des Bekenntnisses von Augustinus, der da schrieb: »Credo, quia absurdum est.« - Ich glaube, weil es unvernünftig ist. Umso unvernünftiger ist es, dass sich Menschen deswegen oder unter dem Vorwand des Glaubens bis heute die Köpfe einschlagen, dass es Männer gibt, die sich und andere für das Versprechen umbringen, im Paradies dafür von willigen Jungfrauen empfangen zu werden. Der Glaube kann eben nicht nur Berge versetzen. Sondern auch die Erde mit Himmelversprechen zur Hölle verwandeln. Aber auch das ist nicht neu und bestenfalls ein schlechter Witz.
In Zeiten der Schlachten des Feminismus und der Kämpfe gegen die Diskriminierung von Schwarzen gab es in den USA einen Witz von einem Mann, der aus dem Todeskoma wieder erwacht und, nachdem er zurück auf Erden ist, gefragt wird, ob er denn Gottes Antlitz gesehen habe. »Yes«, antwortet er. »She is black.«
Damals gab es auf Erden weder Obama als Präsidenten noch Angela Merkel als Kanzlerin. Aber von Vater und Sohn im Himmel war nicht die Rede.
WIE WIRD MAN WITZEERZÄHLER?
Wie ergreift man diesen Beruf, der zur fixen Idee werden kann und sich manchmal vom Menschheitssegen zur Menschheitsplage auswächst, wenigstens was die Opfer des Witzeerzählers betrifft? Die Antwort muss lauten: aus Mangel oder, freudianisch gesprochen: aus Substitution. Der Witz ist eine Ersatzhandlung. Vielleicht erinnern sich manche noch an den Sportunterricht, wenn in der Klasse zwei Fußball- oder Volleyball- oder Völkerballmannschaften per Zuruf ausgesucht wurden. Die zwei Sportcracks der Klasse wählen sich ihr Team. Wer zu den zuletzt Aufgerufenen gehört, hat nur eine Chance, in der Klasse zu überleben: Er muss Klassenclown werden. Er muss durch Witz kompensieren, was er an Muskelkraft und Mut vermissen lässt. Ich erinnere mich an die öffentliche Turnprüfung an Geräten, vor dem Abitur, als meine mir gewogene Russischlehrerin, bevor ich zur Tat schritt und ans Reck oder den Barren musste, mir beruhigend die Hand auf den Arm legte, bevor ich aufstand und losschritt: »Keine Angst, Hellmuth, ich werde bei Ihrer Übung die Augen zumachen.« Anderes als Witzeerzählen bleibt einem da nicht mehr. Das gilt auch später noch, wenn die betuchteren Klassenkameraden in schickeren Klamotten oder gar mit dem eigenen Moped, Motorrad oder Auto vorfahren. Auch dagegen hilft nur Witze erzählen, Spaß machen! Die Lacher auf seiner Seite haben! Wer erzählt, braucht nicht zu handeln. Der gibt vor, schon gehandelt zu haben, und wer gehandelt hat, der hat anschließend was zu erzählen. Witze zum Beispiel.
Witzeerzähler wird man auch aus Überfluss, also dem Gegenteil von Mangel. Ein gewitzter Kopf hat so viel Verstand, dass er wenigstens etwas davon als Witz abgeben kann. Er kann sich den Witz leisten, er braucht sein bisschen Verstand nicht nur für die Realität. Es ist wie mit dem Klavierspieler, von dem es in dem Lied heißt: »... wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau'n.« Ich habe Geige spielen gelernt, das ist ähnlich unattraktiv wie Blockflöte und klingt, vor allen Dingen bei Anfängern, gar nicht gut. Ich habe es nur auf zwei Jahre Geigenunterricht gebracht. Auch aus diesem Grund musste ich aufs Witzeerzählen ausweichen. Eine Zeit lang dachte ich, ich könnte meine »Mängel« auch mit Singen kompensieren, und heimlich glaube ich das immer noch, aber meine Familie hat mir längst den Schneid abgekauft. Was also bleibt mir? Das Witzeerzählen.
Dazu fällt mir auch gleich die Geschichte von dem Barpianisten ein, der den verliebten Paaren was ins Ohr spielt und säuselt.
Er hat als Attraktion einen kleinen Affen bei sich. Dieser Affe ist ein possierliches Tier, und ein junges Paar bemerkt auf einmal, dass der Affe sein Genital in ein Cocktailglas der beiden senkt. Der Mann schämt sich und flüstert dem Pianisten leise ins Ohr: »Ihr Affe hat sein - äh - in meinem Whiskyglas.« Der Pianist spielt weiter und fragt nur: »Hä?«, weil er nichts versteht. Wieder flüstert der junge Mann. Und als sich das dreimal wiederholt, sagt der Pianist: »Okay, summen Sie es, dann werde ich es spielen.«
Der Witzeerzähler - Frauen erklären in absoluter Mehrheit kategorisch: Ich kann keine Witze erzählen -, der Witzeerzähler also geht häufig eine Kumpanei mit einer bevorzugten Zuhörerin ein, der er besonders imponieren will. Sigmund Freud hat beschrieben, dass Männer beim Stammtisch schlüpfrige Witze oder doppeldeutige Witze oder auch Zoten mit Vorliebe dann erzählen, wenn eine weibliche Bedienung noch in Hörnähe ist. Sie brauchen auch unter Witzebrüdern das Gefühl, dass sie einen erotischen Kurzschluss zu einem weiblichen Wesen herstellen können. Nach dem Motto: Summen Sie es, ich werde es spielen. Besonders Witze mit absteigender Tendenz sind hierfür ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich, dass ich vor vielen Jahren, als ich noch jung und schuldig war, besonders gern den folgenden Witz erzählt habe. Es handelt sich um einen Graf-Bobby- Witz: Graf Bobby unterhält sich mit seinem Freund Freddy darüber, wie viel Positionen es beim Lieben gibt. (Da drängt sich mir der Arbeitslosenwitz in den Kopf, wo ein Arbeitsloser fröhlich nach Hause kommt und ruft: »Ich hab 'ne neue Stellung!«, und die Frau antwortet: »Du Schwein, hättest dich besser um Arbeit kümmern sollen.«) Bobby also denkt kurz nach und sagt: »Es gibt neunundneunzig Stellungen.« »Nein, hundert«, sagt Freddy. Bobby rechnet wieder kurz im Kopf nach und sagt: »Nein, neunundneunzig.« Bis die beiden beschließen zu wetten, standesgemäß um eine Flasche Champagner. »Gut«, sagt Bobby nach dem Handschlag zu Freddy, »fang an aufzuzählen!«
Immer wenn ich damals so weit mit dem Witz gekommen war, bemerkte ich eine gewisse Unruhe in den Augen der von mir angepeilten Zuhörerin. Was sie empfand, würde man heute wohl als Vorausschämen bezeichnen. O Gott, der nette Herr K. wird doch jetzt nicht mit einer schrecklichen Zote aufwarten und ekligen Details. Sie rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und hüstelte. Ich fuhr unerbittlich fort: »Also«, sagt Bobby zu Freddy, »fang an aufzuzählen!« Darauf sagt Freddy: »Erstens, normal.« Bobby unterbricht ihn und sagt: »Du hast gewonnen, das hatte ich ganz vergessen.« Große Erleichterung und Gelächter, auch bei meiner Zuhörerin. Gleichzeitig hatte ich sie sozusagen in eine Geheimverbindung mit meinen schmutzigsten Gedanken, die sie mir zutraute, gebracht. Wir waren gewissermaßen über etwas Unausgesprochenes verkuppelt. Wenn ich etwas übertrieb, so schämte sie sich sogar ein bisschen, weil sie mir so etwas Schmutziges zugetraut hatte. Ich war sicher, dass sie, in Gedanken wenigstens, tätige Reue übe. Viele Witze sind schlüpfrig, was nicht nur an die Flüssigkeit des Humors erinnert, sondern auch an das Ausrutschen auf dem doppelten Boden des Witzes, der ja, wenn er gut ist, das Zweideutige eindeutig macht und, indem er es verbessert, verschlimmert. Es gibt das entwaffnende Frage-und-Antwort-Spiel mit Woody Allen: »Muss Sex eigentlich immer schmutzig sein?« - »Wenn er gut ist, schon.« Die im Witz außer Kraft gesetzte Zensur, die für einen Moment den Blick auf die schmutzige beziehungsweise als schmutzig verschriene Wahrheit lenkt, erinnert an die Polizei, und zwar an die Sittenpolizei (die ja laut Freud auch im Hirn tätig ist). Im Witz findet das statt, was Karl Kraus für den Sittenskandal gesagt hat: »Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet.« Labiche und Feydeau, die großen französischen Salonkomödienschreiber des 19. Jahrhunderts, stellten ihre Helden in zwei beliebten komischen Konstellationen dar, die für den Helden tragisch und für den Zuschauer komisch waren. Die erste Situation war die In-flagranti-Situation.
Überraschend kommt der Ehemann nach Hause, der Liebhaber muss im Schrank oder im Kabinett verschwinden, es geht zu wie im zweiten Akt von Mozarts Figaros Hochzeit. Dieser Mechanismus schnurrt wie ein Maschinchen ab und erfüllt die Bergson-Definition von Komik: Komik ist Mechanik. Witzeerzähler sind immer auch Geschichtenerzähler. Dazu hat mir Reich-Ranicki, mit dem mich eine lange kollegiale Freundschaft verbindet, ein schönes Beispiel erzählt. Er hat in Polen, nach der Flucht aus dem Getto mit seiner Frau, bei einempolnischen Paar überlebt, das ihn unter Lebensgefahr versteckte. Die Reichs mussten tagsüber im Keller bleiben, wo sie für die Hausbewohner Zigaretten drehten.
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Autoren-Porträt von Hellmuth Karasek
Karasek, HellmuthHellmuth Karasek war Journalist und Schriftsteller und leitete über zwanzig Jahre lang das Kulturressort des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Er war Herausgeber des Berliner Tagesspiegels und zuletzt Autor bei Welt und Welt am Sonntag. Er veröffentlichte u.a. Billy Wilder - Eine Nahaufnahme (1992), Mein Kino (1994), Go West, eine Biographie der fünfziger Jahre (1996), die Romane Das Magazin (1998), Betrug (2001), Karambolagen. Begegnungen mit Zeitgenossen (2002), seine Erinnerungen Auf der Flucht (2004), den Bestsellererfolg Süsser Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten (2006), die Glossenbände Vom Küssen der Kröten (2008), Im Paradies gibt's keine roten Ampeln (2011) sowie Ihr tausendfaches Weh und Ach. Was Männer von Frauen wollen (2009) und die Reiseerlebnisse Auf Reisen (2013). Hellmuth Karasek starb 2015.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hellmuth Karasek
- 2013, 384 Seiten, Masse: 11,9 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453412699
- ISBN-13: 9783453412699
- Erscheinungsdatum: 09.12.2013
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