Die Mutter der Königin / Rosenkrieg Bd.3
Historischer Roman. Deutsche Erstausgabe
Jacquetta von Luxemburg soll den Duke of Bedford heiraten den Mann, der den Tod ihrer Freundin Jeanne d'Arc zu verantworten hat. Doch ihr Mann stirbt früh und der Weg ist frei für Jacquettas große Liebe. Am Hof von Henry VI. kämpft sie um ihr Glück.
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Produktinformationen zu „Die Mutter der Königin / Rosenkrieg Bd.3 “
Jacquetta von Luxemburg soll den Duke of Bedford heiraten den Mann, der den Tod ihrer Freundin Jeanne d'Arc zu verantworten hat. Doch ihr Mann stirbt früh und der Weg ist frei für Jacquettas große Liebe. Am Hof von Henry VI. kämpft sie um ihr Glück.
Klappentext zu „Die Mutter der Königin / Rosenkrieg Bd.3 “
Herrin der Flüsse, Seherin des Schicksals, Mutter der weissen Königin. Sie sei so rein, dass sie ein Einhorn fangen könne, sagt man über Jacquetta von Luxemburg. Ihrer Vermählung mit dem mächtigen Duke of Bedford, dem engsten Berater König Henrys VI., sieht die junge Frau mit Furcht entgegen. Denn ihr Herz gehört Bedfords Junker Richard Woodville. Als der ungeliebte Gemahl unerwartet stirbt, schliessen die beiden heimlich den Bund der Ehe - eine beispiellose Überschreitung der Standesgrenzen.
Dann nimmt der König die junge Marguerite d'Anjou zur Frau, und Jacquetta steigt zur engsten Vertrauten der neuen Königin auf. Intrigen und Missgunst beherrschen bald das Leben bei Hofe. Doch mit unerschütterlicher Loyalität kämpft Jacquetta für das Herrscherpaar - und für ihre Tochter Elizabeth, die sie für etwas Höheres geboren sieht: die Krone des englischen Königreichs und die weisse Rose von York.
Herrin der Flüsse, Seherin des Schicksals, Mutter der weissen Königin.
Sie sei so rein, dass sie ein Einhorn fangen könne, sagt man über Jacquetta von Luxemburg. Ihrer Vermählung mit dem mächtigen Duke of Bedford, dem engsten Berater König Henrys VI., sieht die junge Frau mit Furcht entgegen. Denn ihr Herz gehört Bedfords Junker Richard Woodville. Als der ungeliebte Gemahl unerwartet stirbt, schliessen die beiden heimlich den Bund der Ehe - eine beispiellose Überschreitung der Standesgrenzen.
Dann nimmt der König die junge Marguerite d'Anjou zur Frau, und Jacquetta steigt zur engsten Vertrauten der neuen Königin auf. Intrigen und Missgunst beherrschen bald das Leben bei Hofe. Doch mit unerschütterlicher Loyalität kämpft Jacquetta für das Herrscherpaar - und für ihre Tochter Elizabeth, die sie für etwas Höheres geboren sieht: die Krone des englischen Königreichs und die weisse Rose von York.
Sie sei so rein, dass sie ein Einhorn fangen könne, sagt man über Jacquetta von Luxemburg. Ihrer Vermählung mit dem mächtigen Duke of Bedford, dem engsten Berater König Henrys VI., sieht die junge Frau mit Furcht entgegen. Denn ihr Herz gehört Bedfords Junker Richard Woodville. Als der ungeliebte Gemahl unerwartet stirbt, schliessen die beiden heimlich den Bund der Ehe - eine beispiellose Überschreitung der Standesgrenzen.
Dann nimmt der König die junge Marguerite d'Anjou zur Frau, und Jacquetta steigt zur engsten Vertrauten der neuen Königin auf. Intrigen und Missgunst beherrschen bald das Leben bei Hofe. Doch mit unerschütterlicher Loyalität kämpft Jacquetta für das Herrscherpaar - und für ihre Tochter Elizabeth, die sie für etwas Höheres geboren sieht: die Krone des englischen Königreichs und die weisse Rose von York.
Lese-Probe zu „Die Mutter der Königin / Rosenkrieg Bd.3 “
Die Mutter der Königin von Philippa GregoryBurg Beaurevoir
in der Nähe von Arras
Sommer-Winter 1430
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Wie ein braves Kind sitzt diese seltsame Kriegstrophäe auf einem kleinen Hocker in der Ecke ihrer Zelle. Im Stroh zu ihren Füßen liegen auf einer Zinnplatte die Überreste des Abendessens. Mein Onkel hat ihr gutes Fleisch schicken lassen und sogar das weiße Brot von seinem Tisch, doch sie hat es kaum angerührt. Ich starre sie an - die Reitstiefel, die Männerkappe, die sie auf dem kurzen braunen Haar trägt - , als sei sie ein exotisches Tier, zu unserer Kurzweil in Gefangenschaft gehalten, als hätte jemand ein Löwenjunges aus dem fernen Äthiopien geschickt, um die große Familie von Luxemburg zu unterhalten und unsere Sammlung zu bereichern. Hinter mir bekreuzigt sich eine Dame und flüstert: «Ist sie eine Hexe?»
Ich weiß es nicht. Woher soll man so etwas wissen?
«Das ist lächerlich», sagt meine Großtante energisch. «Auf wessen Befehl ist das Mädchen angekettet? Öffnet augenblicklich die Tür. »
Unter den Männern erhebt sich Gemurmel, jeder möchte die Verantwortung auf den anderen schieben, aber dann dreht einer den großen Schlüssel in der Zellentür herum, «Ich weiß, was eine Hafterleichterung ist. Was ein Ritter dem anderen verspricht. Sie haben Regeln wie beim Tjosten. Aber ich bin nicht so wie sie. Meine Worte sind richtige Worte, nicht wie das Gedicht eines Troubadours. Und für mich ist dies kein Spiel.»
«Jungfer, Hafterleichterung ist kein Spiel!», unterbricht meine Großtante Jehanne sie.
Das Mädchen sieht sie an. «Doch, meine Dame. Adlige Herren nehmen diese Dinge nicht ernst. Nicht so ernst wie ich. Sie spielen Krieg und geben sich selbst die Regeln. Sie reiten aus und verwüsten das Land guter Leute, und wenn die strohgedeckten Dächer brennen, lachen sie. Außerdem kann ich nichts versprechen. Ich bin bereits versprochen.»
«Dem, der sich fälschlicherweise König von Frankreich nennt?»
«Dem König des Himmels.»
Meine Großtante überlegt einen Augenblick. «Ich trage ihnen auf, dir die Ketten abzunehmen und dich zu bewachen, damit du nicht fliehen kannst, dann kannst du uns in meinem Gemach Gesellschaft leisten. Was du für dein Land und für deinen König getan hast, war großartig, Johanna, wenn auch verblendet. Und ich dulde nicht, dass du unter meinem Dach als Gefangene in Ketten gehalten wirst.»
«Werdet Ihr Eurem Neffen sagen, er soll mich freilassen?»
Meine Großtante zögert. «Ich kann ihm nichts befehlen, aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du wieder nach Hause kannst. Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass er dich den Engländern ausliefert.»
Bei diesem Wort schaudert Johanna und bekreuzigt sich, schlägt sich auf lächerlichste Art gegen Kopf und Brust wie ein Bauer, wenn vom Beelzebub gesprochen wird. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Sie sieht mich aus dunklen Augen an.
«Das sind nur normale Sterbliche», erkläre ich ihr. «Die Engländer haben keine übermenschlichen Kräfte. Du brauchst dich vor ihnen nicht so zu fürchten. Du musst dich auch nicht bekreuzigen, wenn man von ihnen spricht.»
«Ich fürchte mich nicht. Ich bin keine solche Närrin zu glauben, dass sie übermenschliche Kräfte besäßen. Das ist es nicht. Aber sie wissen, dass ich welche habe. Das macht sie gefährlich. Sobald ich ihnen in die Hände falle, werden sie mich umbringen, so viel Angst haben sie vor mir. Ich bin ihre Schreckensvision. Ich bin die Angst, die sie nachts umtreibt.»
«Solange ich lebe, werden sie dich nicht bekommen», versichert meine Großtante ihr. Johanna sieht mich wieder an, und in ihrem harten, dunklen Blick steht unverkennbar die Frage, ob auch ich in dieser ernsthaften Versicherung den Klang eines vollkommen leeren Versprechens gehört habe. Meine Großtante glaubt, wenn sie Jeanne d'Arc in unsere Gesellschaft einführt, sich mit ihr unterhält, ihren religiösen Eifer beschwichtigt und sie vielleicht sogar ein wenig erzieht, könne das Mädchen mit der Zeit dazu gebracht werden, ein Kleid zu tragen wie alle anderen jungen Frauen, und die kämpferische Jugendliche, die man in Compiègne von ihrem weißen Pferd gezerrt hat, werde sich völlig verwandeln. So wie in einer umgekehrten Messe Wein zu Wasser wird. Sie glaubt, Johanna werde zu einer jungen Frau, die man zu den Hofdamen setzen kann, die einem Befehl williger folgt als dem Läuten der Kirchenglocken. Vielleicht vergessen die Engländer sie dann sogar, die jetzt verlangen, dass wir ihnen dieses Zwitterwesen ausliefern, diese mörderische Hexe. Wenn wir ihnen nicht mehr anzubieten haben als eine gehorsame Kammerzofe, geben sie sich vielleicht zufrieden und ziehen ihrer gewalttätigen Wege.
Johanna ist erschöpft von den Niederlagen. Außerdem beschleicht sie die Sorge, dass der von ihr gekrönte König das heilige Öl nicht wert war, dass der von ihr in die Flucht geschlagene Feind sich wieder sammelt und dass ihr die göttliche Mission entgleitet. All das, was sie zu der von ihrer Truppe bewunderten Jungfrau gemacht hat, ist unsicher geworden. Im Lichte der beharrlichen Freundlichkeit meiner Großtante wird sie wieder zu einer ungelenken Bauernmaid, zu einem ganz gewöhnlichen Mädchen.
Natürlich wollen die adligen Hofdamen meiner Großtante mehr über das Abenteuer wissen, das jetzt langsam und schleichend zur Niederlage wird. Als Johanna schon einige Tage mit uns verbracht und gelernt hat, ein Mädchen zu sein und nicht die Jungfrau von Orléans, nehmen sie all ihren Mut zusammen und fragen sie.
«Wie konntest du so tapfer sein?», will eine wissen. «Wo lernt man, so mutig zu sein, in der Schlacht, meine ich? »
Johanna lächelt. Wir sitzen zu viert im Gras am Wassergraben vor der Burg, faul wie Kinder. Die Julisonne brennt vom Himmel, und das Weideland um die Burg flirrt im Dunst der Hitze; sogar die Bienen sind faul, erst summen sie noch, dann verstummen auch sie - wie trunken von den Blumen. Wir haben uns den schattigsten Platz unter dem großen Turm gesucht, hinter uns im glasklaren Wasser des Grabens hören wir von Zeit zu Zeit ein leises Plätschern, wenn ein Karpfen an die Oberfläche steigt. Johanna lümmelt sich wie ein Junge, eine Hand hält sie ins Wasser, die Kappe hat sie sich tief in die Stirn gezogen. Im Korb neben mir sind halbfertige Hemden, die wir für die armen Kinder im nahen Cambrai säumen sollen. Aber wir drücken uns vor der Arbeit, Johanna hat kein Talent, und ich halte das kostbare Kartenspiel meiner Großtante in den Händen, mische die Karten und betrachte müßig die Bilder.
«Gott hat mich gerufen», erklärt Johanna nur. «Ich wusste, dass er mich beschützen würde. Deswegen hatte ich keine Angst. Nicht einmal im schlimmsten Schlachtgetümmel. Er sagte mir voraus, dass ich verletzt, aber keinen Schmerz spüren würde, deswegen wusste ich, dass ich weiterkämpfen konnte. Ich habe sogar meine Männer gewarnt, dass ich an dem Tag verwundet werden würde. Ich wusste es, bevor ich in die Schlacht gezogen bin. So einfach war das. »
«Hörst du wirklich Stimmen, Jeanne?», frage ich sie. «Und du?»
Die Frage erschrickt die anderen Mädchen derart, dass mich plötzlich alle anstarren. Ich werde rot, als schämte ich mich. «Nein! Nein!»
«Sondern?»
«Was meinst du?»
«Was hörst du denn dann?», fragt sie, als hörte jeder vernünftige Mensch irgendetwas.
«Jedenfalls keine Stimmen», antworte ich.
«Also, was hörst du dann?»
Ich sehe mich um, als würden die Fische aus dem Wasser steigen, um uns zu belauschen. «Wenn einer aus meiner Familie stirbt, höre ich etwas», erkläre ich. «Etwas ganz Besonderes. »
«Was?», fragt mich das Mädchen namens Elizabeth. «Das wusste ich ja gar nicht. Kann ich es auch hören?»
«Du entstammst nicht meinem Haus», antworte ich gereizt. «Natürlich kannst du es nicht hören. Du müsstest eine Nachfahrin von ... und überhaupt dürft ihr nie darüber sprechen. Ihr solltet es gar nicht wissen. Ich hätte es euch nicht erzählen sollen.»
«Aber was ist es für ein Geräusch?», wiederholt Johanna die Frage.
«Es ist wie ein Singen», antworte ich, und sie nickt, als hätte sie es auch schon gehört.
«Man sagt, es sei die Stimme Melusines, der Urahnin des Hauses von Luxemburg», flüstere ich. «Man sagt, sie sei eine Göttin gewesen, die dem Wasser entstieg, um den ersten Herzog zu heiraten, doch sie konnte keine Sterbliche werden. Sie kehrte zurück, um den Verlust ihrer Kinder zu beweinen.»
«Wann hast du sie gehört?»
«In der Nacht, in der meine kleine Schwester gestorben ist. Da habe ich etwas gehört. Und ich wusste sofort, dass es Melusine war. »
«Woher?», flüstert das andere Mädchen, voller Angst, von der Unterhaltung ausgeschlossen zu werden.
Ich zucke die Achseln. Johanna lächelt. Sie weiß, dass es Wahrheiten gibt, die nicht erklärt werden können. «Ich wusste es einfach», sage ich. «Es war, als hätte ich ihre Stimme erkannt. Als hätte ich sie schon immer gekannt.»
«Das stimmt. Man weiß es einfach.» Johanna nickt. «Aber wie kannst du sicher sein, dass der Gesang von Gott kommt und nicht vom Teufel?»
Ich zögere. Spirituelle Fragen sollte ich mit meinem Beichtvater besprechen oder zumindest mit meiner Mutter oder meiner Großtante. Aber Melusines Gesang, der Schauder, der mir dabei die Wirbelsäule hinunterläuft, und dass ich gelegentlich etwas sehe, was eigentlich unsichtbar ist - etwas halb Vergessenes, etwas, das um eine Ecke verschwindet, etwas Hellgraues im Zwielicht, ein allzu klarer Traum, den ich nicht vergessen kann, ein flüchtiger Blick in die Zukunft, aber nichts, was ich beschreiben könnte ... Diese Dinge sind zu zart für Worte. Wie soll ich nach ihnen fragen, wenn ich sie nicht benennen kann? Wie sollte ich es ertragen, wenn ein anderer ihnen unbeholfen Namen gibt oder sie sogar erklären will? Genauso gut könnte ich versuchen, das Wasser des Burggrabens in den hohlen Händen festzuhalten.
«Ich habe nie gefragt», erkläre ich. «Denn es ist doch eigentlich nichts. Stell dir vor, du kommst in ein Zimmer, in dem es still ist - aber du weißt, du spürst einfach, dass jemand da ist. Du kannst ihn zwar nicht hören oder sehen, aber du weißt es trotzdem. Mehr als das ist es kaum. Ich denke daran nie als an eine Gabe Gottes oder des Teufels. Es ist nichts weiter.»
«Meine Stimmen kommen von Gott», versichert Johanna mit Gewissheit. «Ich weiß es. Wenn dem nicht so wäre, wäre ich vollkommen verloren.»
«Dann kannst du das Schicksal vorhersagen?», fragt mich Elizabeth kindisch.
Meine Finger schließen sich um die Karten. «Nein», antworte ich. «Und mit diesen hier sagt man ohnehin nicht das Schicksal voraus, das sind nur Spielkarten. Außerdem würde meine Großtante es mir gar nicht erlauben, selbst wenn ich es könnte.»
«O bitte, sag meins voraus!»
«Es sind nur Spielkarten», beharre ich. «Ich bin keine Wahrsagerin.»
«Bitte, zieh eine Karte und sag mir mein Schicksal voraus», drängt Elizabeth. «Und eine für Jeanne. Was wird aus ihr? Bestimmt willst du doch auch wissen, wie es mit ihr weitergeht?»
«Sie haben nichts zu bedeuten», wende ich mich an Johanna. «Ich habe sie nur zum Spielen mitgebracht.»
«Sie sind wunderschön», findet sie. «Bei Hofe haben sie mir beigebracht, mit solchen Karten zu spielen. Wie bunt sie sind.»
Ich reiche sie ihr. «Geh vorsichtig mit ihnen um, sie sind kostbar», sage ich argwöhnisch, als sie sie in ihren schwieligen Händen auffächert. «Als ich klein war, hat die Demoiselle mir die Namen der Bilder erklärt. Sie borgt sie mir, weil ich so gerne mit ihnen spiele. Aber ich musste ihr versprechen, gut darauf aufzupassen.»
Johanna gibt mir die Karten zurück. Obwohl sie vorsichtig ist und meine Hände offen ausgestreckt sind, fällt eine der Karten mit dem Bild nach unten ins Gras.
«Oh, Entschuldigung!», ruft Johanna und hebt sie schnell auf.
Ich höre ein Flüstern, und ein kühler Atem fährt mir den Rücken hinab. Die Wiese mit den Kühen, die im Schatten des Baumes dösen, scheint in weite Ferne gerückt, als wären wir beide hinter Glas, Schmetterlinge in einer transparenten Kugel, in einer anderen Welt. «Jetzt kannst du sie dir auch anschauen», höre ich mich sagen.
Mit weit aufgerissenen Augen betrachtet Johanna das bunte Bild, dann zeigt sie es mir. «Was hat das zu bedeuten?»
Es ist das Bildnis eines Mannes in einer blauen Livree, der kopfüber an einem ausgestreckten Bein hängt, während das andere leicht gekrümmt ist, die Zehen gestreckt und gegen das gerade Bein gedrückt, als würde er in der Luft tanzen. Die Hände hält er hinter dem Rücken, als wollte er sich verbeugen. Wir sehen beide, mit welchem Schwung sein blaues Haar herabfällt und wie glücklich er lächelt.
«Le Pendu», liest Elizabeth. «Wie grässlich. Was bedeutet das? Oh, gewiss hat es doch nicht zu bedeuten, dass ... » Sie unterbricht sich.
«Es bedeutet nicht, dass du gehängt wirst», sage ich schnell zu Johanna. «Bitte denk so etwas nicht. Es ist nur eine Spielkarte, die nichts zu sagen hat. »
«Aber was bedeutet die Karte?», will das andere Mädchen wissen, obwohl Johanna still ist, als sei es nicht ihre Karte, nicht ihr Schicksal, das ich nicht deuten will.
«Zwei Bäume bilden seinen Galgen», erkläre ich. Unter Johannas ernstem, dunklem Blick spiele ich auf Zeit. «Das deutet auf Frühling und Erneuerung des Lebens - nicht auf Tod. Der Mann hängt zwischen zwei Bäumen im Gleichgewicht. Er ist der Mittelpunkt der Wiederauferstehung.»
Johanna nickt.
«Die Bäume biegen sich zu ihm herab, er ist glücklich. Und sieh mal: Er ist nicht am Hals aufgehängt worden, um zu sterben, sondern an den Füßen», fahre ich fort. «Wenn er wollte, könnte er sich aufbäumen und sich losbinden. Wenn er wollte, könnte er sich befreien.»
«Aber er befreit sich nicht», bemerkt das Mädchen. «Er gleicht einem Stehaufmännchen, einem Akrobaten. Was soll das? »
«Er ist freiwillig dort, er wartet. Er hat nichts dagegen, am Fuß aufgehängt zu werden und in der Luft zu hängen.»
«Als lebendiges Opfer?», fragt Johanna langsam, die Worte aus der Messe wählend.
«Er wird nicht gekreuzigt», betone ich schnell. Als würde uns jedes Wort, das ich sage, zu einer anderen Todesart führen. «Das hat gar nichts zu bedeuten.»
«Nein», meint Johanna. «Es sind Spielkarten, und wir spielen nur mit ihnen. Es ist eine hübsche Karte, der Gehängte. Er sieht glücklich aus, so auf dem Kopf im Frühling. Soll ich euch ein Spiel beibringen, das wir in der Champagne spielen?»
«Ja», sage ich. Ich halte die Hand auf, damit sie mir die
Karte zurückgibt. Sie betrachtet sie noch einen Moment. «Ehrlich, es hat nichts zu sagen», wiederhole ich.
Sie lächelt mich an, ihr Lächeln ist klar und ehrlich. «Ich
weiß genau, was es bedeutet.»
«Spielen wir?» Ich mische die Karten. Eine dreht sich in meiner Hand.
«Sieh mal, das ist eine gute Karte», bemerkt Johanna. «La Roue de Fortune.»
Ich zeige sie ihr. «Das Rad des Schicksals, das dich ganz nach oben oder ganz nach unten bringen kann. Die Botschaft der Karte ist weder Sieg noch Niederlage, denn beide kommen auf dem Rad vor.»
«In meinem Land haben die Bauern ein Zeichen für das Rad des Schicksals», erzählt Johanna. «Wenn etwas sehr Gutes oder sehr Schlechtes geschieht, zeichnen sie mit dem Zeigefinger einen Kreis in die Luft. Wenn jemand Geld erbt oder eine gute Kuh verliert, machen sie so. » Sie streckt den Finger in die Luft und zeichnet einen Kreis. «Und dazu sagen sie etwas.»
«Einen Zauberspruch?»
«Nicht direkt.» Sie lächelt verschmitzt.
«Was denn sonst?»
Sie kichert. «Sie sagen: Merde.»
Vor Lachen falle ich fast hintenüber.
«Was? Was ist?», fragt das jüngere Mädchen.
«Nichts ist», sage ich. Johanna kichert immer noch. «
Jeannes Landsleute sagen zu Recht, dass alles zu Staub wird und dass man nur eines dagegen tun kann: gleichgültig zu werden.»
Johannas Zukunft hängt an einem seidenen Faden, sie schwingt vor und zurück wie der Gehängte. Meine gesamte Familie, mein Vater, Pierre Graf von St. Pol, mein Onkel, Louis von Luxemburg, und mein Lieblingsonkel, Jean von Luxemburg, sie alle sind mit den Engländern verbündet. Mein Vater schreibt aus St. Pol an seinen Bruder Jean und verlangt von ihm als dem Oberhaupt der Familie, Johanna den Engländern zu überstellen. Aber meine Großtante, die Demoiselle, besteht darauf, dass wir Johanna beschützen, und so zögert Onkel Jean.
Die Engländer fordern die Herausgabe der Gefangenen, und da sie über den Großteil Frankreichs herrschen und ihr Verbündeter, der Herzog von Burgund, den restlichen Teil kontrolliert, ist ihr Wille meist Gesetz. Die einfachen englischen Soldaten haben auf dem Schlachtfeld gekniet und dankend Freudentränen vergossen, als die Jungfrau gefangen genommen wurde. Sie haben keine Zweifel daran, dass die verfeindete französische Armee ohne die Jungfrau wieder zu dem verängstigten Haufen wird, der sie vor ihrer Ankunft war.
Der Duke of Bedford, der Regent über die englischen Besitzungen in Frankreich, beherrscht fast den gesamten Norden des Landes. Mehrmals täglich schickt er Briefe an meinen Onkel, um ihn an seine Loyalität den Engländern gegenüber und ihre lange Freundschaft zu erinnern. Er bietet ihm auch Geld an. Mir macht es Spaß, nach den englischen Boten Ausschau zu halten, die in der feinen Livree des königlichen Herzogs auf prächtigen Pferden angeritten kommen. Es heißt, der Herzog wäre ein großer Mann und sehr beliebt, der größte Mann in Frankreich und gewiss niemand, den man zum Feind will, doch bislang gehorcht mein Onkel seiner Tante, der Demoiselle, und weigert sich, ihm unsere Gefangene auszuhändigen.
Mein Onkel erwartet, dass der französische Hof ein Angebot für sie macht - schließlich hat er Johanna seine Existenz zu verdanken - , doch dieser bleibt merkwürdigerweise stumm, selbst nachdem mein Onkel dem König geschrieben hat, die Jungfrau sei in seinem Gewahrsam und sie sei bereit, an den Hof ihres Königs zurückzukehren und erneut in seiner Armee zu dienen. Mit ihr an der Spitze könnten sie ausreiten und die Engländer schlagen. Sie werden doch gewiss ein Vermögen bezahlen, um sie zurückzubekommen?
«Sie wollen sie nicht», erklärt ihm meine Großtante. Sie sitzen an ihrem privaten Esstisch, das große Abendessen für den ganzen Haushalt in der großen Halle ist bereits vorüber. Die beiden haben vor den Männern meines Onkels gesessen, die Gerichte gekostet und sie als Zeichen ihrer besonderen Gewogenheit ihren Günstlingen geschickt. Jetzt sitzen sie bequem an einem kleinen Tisch vor dem Feuer in den privaten Gemächern meiner Großtante, wo ihre persönlichen Bediensteten ihnen aufwarten. Während das Essen serviert wird, habe ich mit einer anderen Hofdame dabeizustehen. Ich muss die Diener im Auge behalten, sie nach Wunsch herbeirufen, die Hände bescheiden vor dem Körper gefaltet, und soll nicht zuhören. Aber selbstverständlich tue ich genau das.
«Jeanne d'Arc hat einen Mann aus Prinz Charles gemacht. Er war nichts, bevor sie mit ihrer Vision zu ihm gekommen ist. Erst sie hat diesen Jüngling zum Mann und zum König gemacht. Sie hat ihn gelehrt, sein Erbe einzufordern. Aus den Gefolgsleuten in seinem Lager hat sie eine Armee formiert und sie zum Sieg geführt. Wären sie ihrem Rat gefolgt, wie sie ihren Stimmen folgt, hätten sie die Engländer auf ihre nebligen Inseln zurückgejagt, und wir wären sie für immer los gewesen.»
Mein Onkel lächelt. «Oh, liebe Tante! Dieser Krieg dauert jetzt schon fast hundert Jahre. Glaubst du wirklich, dass er endet, weil ein dahergelaufenes Mädchen Stimmen hört? Sie hätte die Engländer nie und nimmer vertreiben können. Niemals wären sie abgezogen. Diese Gebiete gehören ihnen, durch Erbfolge und Eroberungen. Sie müssen nur den Mut und die Kraft aufbringen, sie zu halten. Und von beidem hat John von Bedford genug.» Er wirft einen Blick auf sein Weinglas, und ich winke dem Hofdiener, damit er nachschenkt. Ich trete vor, um dem Mann den Kelch hinzuhalten, dann setze ich ihn behutsam auf dem Tisch ab. Sie trinken aus feinem Glas; mein Onkel ist ein wohlhabender Mann, und für meine Tante ist das Beste gerade gut genug.
«Der englische König mag fast noch ein Kind sein, aber der Sicherheit seines Königreichs schadet das nicht, denn sein Onkel Bedford steht hier treu zu ihm, und sein Onkel, der Duke of Gloucester, ist ihm in England treu. Bedford hat den Mut und die Verbündeten, die englischen Besitzungen hier zu halten, und ich glaube, sie werden den Dauphin immer weiter nach Süden treiben. Bis ins Meer. Die Zeit der Jungfrau, so bemerkenswert sie auch gewesen sein mag, ist vorbei. Am Ende werden die Engländer den Krieg gewinnen und ihre rechtmäßigen Besitzungen halten. Und all unsere Lords, die sich jetzt gegen sie verschworen haben, werden die Knie beugen und ihnen dienen.»
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Wie ein braves Kind sitzt diese seltsame Kriegstrophäe auf einem kleinen Hocker in der Ecke ihrer Zelle. Im Stroh zu ihren Füßen liegen auf einer Zinnplatte die Überreste des Abendessens. Mein Onkel hat ihr gutes Fleisch schicken lassen und sogar das weiße Brot von seinem Tisch, doch sie hat es kaum angerührt. Ich starre sie an - die Reitstiefel, die Männerkappe, die sie auf dem kurzen braunen Haar trägt - , als sei sie ein exotisches Tier, zu unserer Kurzweil in Gefangenschaft gehalten, als hätte jemand ein Löwenjunges aus dem fernen Äthiopien geschickt, um die große Familie von Luxemburg zu unterhalten und unsere Sammlung zu bereichern. Hinter mir bekreuzigt sich eine Dame und flüstert: «Ist sie eine Hexe?»
Ich weiß es nicht. Woher soll man so etwas wissen?
«Das ist lächerlich», sagt meine Großtante energisch. «Auf wessen Befehl ist das Mädchen angekettet? Öffnet augenblicklich die Tür. »
Unter den Männern erhebt sich Gemurmel, jeder möchte die Verantwortung auf den anderen schieben, aber dann dreht einer den großen Schlüssel in der Zellentür herum, «Ich weiß, was eine Hafterleichterung ist. Was ein Ritter dem anderen verspricht. Sie haben Regeln wie beim Tjosten. Aber ich bin nicht so wie sie. Meine Worte sind richtige Worte, nicht wie das Gedicht eines Troubadours. Und für mich ist dies kein Spiel.»
«Jungfer, Hafterleichterung ist kein Spiel!», unterbricht meine Großtante Jehanne sie.
Das Mädchen sieht sie an. «Doch, meine Dame. Adlige Herren nehmen diese Dinge nicht ernst. Nicht so ernst wie ich. Sie spielen Krieg und geben sich selbst die Regeln. Sie reiten aus und verwüsten das Land guter Leute, und wenn die strohgedeckten Dächer brennen, lachen sie. Außerdem kann ich nichts versprechen. Ich bin bereits versprochen.»
«Dem, der sich fälschlicherweise König von Frankreich nennt?»
«Dem König des Himmels.»
Meine Großtante überlegt einen Augenblick. «Ich trage ihnen auf, dir die Ketten abzunehmen und dich zu bewachen, damit du nicht fliehen kannst, dann kannst du uns in meinem Gemach Gesellschaft leisten. Was du für dein Land und für deinen König getan hast, war großartig, Johanna, wenn auch verblendet. Und ich dulde nicht, dass du unter meinem Dach als Gefangene in Ketten gehalten wirst.»
«Werdet Ihr Eurem Neffen sagen, er soll mich freilassen?»
Meine Großtante zögert. «Ich kann ihm nichts befehlen, aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du wieder nach Hause kannst. Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass er dich den Engländern ausliefert.»
Bei diesem Wort schaudert Johanna und bekreuzigt sich, schlägt sich auf lächerlichste Art gegen Kopf und Brust wie ein Bauer, wenn vom Beelzebub gesprochen wird. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Sie sieht mich aus dunklen Augen an.
«Das sind nur normale Sterbliche», erkläre ich ihr. «Die Engländer haben keine übermenschlichen Kräfte. Du brauchst dich vor ihnen nicht so zu fürchten. Du musst dich auch nicht bekreuzigen, wenn man von ihnen spricht.»
«Ich fürchte mich nicht. Ich bin keine solche Närrin zu glauben, dass sie übermenschliche Kräfte besäßen. Das ist es nicht. Aber sie wissen, dass ich welche habe. Das macht sie gefährlich. Sobald ich ihnen in die Hände falle, werden sie mich umbringen, so viel Angst haben sie vor mir. Ich bin ihre Schreckensvision. Ich bin die Angst, die sie nachts umtreibt.»
«Solange ich lebe, werden sie dich nicht bekommen», versichert meine Großtante ihr. Johanna sieht mich wieder an, und in ihrem harten, dunklen Blick steht unverkennbar die Frage, ob auch ich in dieser ernsthaften Versicherung den Klang eines vollkommen leeren Versprechens gehört habe. Meine Großtante glaubt, wenn sie Jeanne d'Arc in unsere Gesellschaft einführt, sich mit ihr unterhält, ihren religiösen Eifer beschwichtigt und sie vielleicht sogar ein wenig erzieht, könne das Mädchen mit der Zeit dazu gebracht werden, ein Kleid zu tragen wie alle anderen jungen Frauen, und die kämpferische Jugendliche, die man in Compiègne von ihrem weißen Pferd gezerrt hat, werde sich völlig verwandeln. So wie in einer umgekehrten Messe Wein zu Wasser wird. Sie glaubt, Johanna werde zu einer jungen Frau, die man zu den Hofdamen setzen kann, die einem Befehl williger folgt als dem Läuten der Kirchenglocken. Vielleicht vergessen die Engländer sie dann sogar, die jetzt verlangen, dass wir ihnen dieses Zwitterwesen ausliefern, diese mörderische Hexe. Wenn wir ihnen nicht mehr anzubieten haben als eine gehorsame Kammerzofe, geben sie sich vielleicht zufrieden und ziehen ihrer gewalttätigen Wege.
Johanna ist erschöpft von den Niederlagen. Außerdem beschleicht sie die Sorge, dass der von ihr gekrönte König das heilige Öl nicht wert war, dass der von ihr in die Flucht geschlagene Feind sich wieder sammelt und dass ihr die göttliche Mission entgleitet. All das, was sie zu der von ihrer Truppe bewunderten Jungfrau gemacht hat, ist unsicher geworden. Im Lichte der beharrlichen Freundlichkeit meiner Großtante wird sie wieder zu einer ungelenken Bauernmaid, zu einem ganz gewöhnlichen Mädchen.
Natürlich wollen die adligen Hofdamen meiner Großtante mehr über das Abenteuer wissen, das jetzt langsam und schleichend zur Niederlage wird. Als Johanna schon einige Tage mit uns verbracht und gelernt hat, ein Mädchen zu sein und nicht die Jungfrau von Orléans, nehmen sie all ihren Mut zusammen und fragen sie.
«Wie konntest du so tapfer sein?», will eine wissen. «Wo lernt man, so mutig zu sein, in der Schlacht, meine ich? »
Johanna lächelt. Wir sitzen zu viert im Gras am Wassergraben vor der Burg, faul wie Kinder. Die Julisonne brennt vom Himmel, und das Weideland um die Burg flirrt im Dunst der Hitze; sogar die Bienen sind faul, erst summen sie noch, dann verstummen auch sie - wie trunken von den Blumen. Wir haben uns den schattigsten Platz unter dem großen Turm gesucht, hinter uns im glasklaren Wasser des Grabens hören wir von Zeit zu Zeit ein leises Plätschern, wenn ein Karpfen an die Oberfläche steigt. Johanna lümmelt sich wie ein Junge, eine Hand hält sie ins Wasser, die Kappe hat sie sich tief in die Stirn gezogen. Im Korb neben mir sind halbfertige Hemden, die wir für die armen Kinder im nahen Cambrai säumen sollen. Aber wir drücken uns vor der Arbeit, Johanna hat kein Talent, und ich halte das kostbare Kartenspiel meiner Großtante in den Händen, mische die Karten und betrachte müßig die Bilder.
«Gott hat mich gerufen», erklärt Johanna nur. «Ich wusste, dass er mich beschützen würde. Deswegen hatte ich keine Angst. Nicht einmal im schlimmsten Schlachtgetümmel. Er sagte mir voraus, dass ich verletzt, aber keinen Schmerz spüren würde, deswegen wusste ich, dass ich weiterkämpfen konnte. Ich habe sogar meine Männer gewarnt, dass ich an dem Tag verwundet werden würde. Ich wusste es, bevor ich in die Schlacht gezogen bin. So einfach war das. »
«Hörst du wirklich Stimmen, Jeanne?», frage ich sie. «Und du?»
Die Frage erschrickt die anderen Mädchen derart, dass mich plötzlich alle anstarren. Ich werde rot, als schämte ich mich. «Nein! Nein!»
«Sondern?»
«Was meinst du?»
«Was hörst du denn dann?», fragt sie, als hörte jeder vernünftige Mensch irgendetwas.
«Jedenfalls keine Stimmen», antworte ich.
«Also, was hörst du dann?»
Ich sehe mich um, als würden die Fische aus dem Wasser steigen, um uns zu belauschen. «Wenn einer aus meiner Familie stirbt, höre ich etwas», erkläre ich. «Etwas ganz Besonderes. »
«Was?», fragt mich das Mädchen namens Elizabeth. «Das wusste ich ja gar nicht. Kann ich es auch hören?»
«Du entstammst nicht meinem Haus», antworte ich gereizt. «Natürlich kannst du es nicht hören. Du müsstest eine Nachfahrin von ... und überhaupt dürft ihr nie darüber sprechen. Ihr solltet es gar nicht wissen. Ich hätte es euch nicht erzählen sollen.»
«Aber was ist es für ein Geräusch?», wiederholt Johanna die Frage.
«Es ist wie ein Singen», antworte ich, und sie nickt, als hätte sie es auch schon gehört.
«Man sagt, es sei die Stimme Melusines, der Urahnin des Hauses von Luxemburg», flüstere ich. «Man sagt, sie sei eine Göttin gewesen, die dem Wasser entstieg, um den ersten Herzog zu heiraten, doch sie konnte keine Sterbliche werden. Sie kehrte zurück, um den Verlust ihrer Kinder zu beweinen.»
«Wann hast du sie gehört?»
«In der Nacht, in der meine kleine Schwester gestorben ist. Da habe ich etwas gehört. Und ich wusste sofort, dass es Melusine war. »
«Woher?», flüstert das andere Mädchen, voller Angst, von der Unterhaltung ausgeschlossen zu werden.
Ich zucke die Achseln. Johanna lächelt. Sie weiß, dass es Wahrheiten gibt, die nicht erklärt werden können. «Ich wusste es einfach», sage ich. «Es war, als hätte ich ihre Stimme erkannt. Als hätte ich sie schon immer gekannt.»
«Das stimmt. Man weiß es einfach.» Johanna nickt. «Aber wie kannst du sicher sein, dass der Gesang von Gott kommt und nicht vom Teufel?»
Ich zögere. Spirituelle Fragen sollte ich mit meinem Beichtvater besprechen oder zumindest mit meiner Mutter oder meiner Großtante. Aber Melusines Gesang, der Schauder, der mir dabei die Wirbelsäule hinunterläuft, und dass ich gelegentlich etwas sehe, was eigentlich unsichtbar ist - etwas halb Vergessenes, etwas, das um eine Ecke verschwindet, etwas Hellgraues im Zwielicht, ein allzu klarer Traum, den ich nicht vergessen kann, ein flüchtiger Blick in die Zukunft, aber nichts, was ich beschreiben könnte ... Diese Dinge sind zu zart für Worte. Wie soll ich nach ihnen fragen, wenn ich sie nicht benennen kann? Wie sollte ich es ertragen, wenn ein anderer ihnen unbeholfen Namen gibt oder sie sogar erklären will? Genauso gut könnte ich versuchen, das Wasser des Burggrabens in den hohlen Händen festzuhalten.
«Ich habe nie gefragt», erkläre ich. «Denn es ist doch eigentlich nichts. Stell dir vor, du kommst in ein Zimmer, in dem es still ist - aber du weißt, du spürst einfach, dass jemand da ist. Du kannst ihn zwar nicht hören oder sehen, aber du weißt es trotzdem. Mehr als das ist es kaum. Ich denke daran nie als an eine Gabe Gottes oder des Teufels. Es ist nichts weiter.»
«Meine Stimmen kommen von Gott», versichert Johanna mit Gewissheit. «Ich weiß es. Wenn dem nicht so wäre, wäre ich vollkommen verloren.»
«Dann kannst du das Schicksal vorhersagen?», fragt mich Elizabeth kindisch.
Meine Finger schließen sich um die Karten. «Nein», antworte ich. «Und mit diesen hier sagt man ohnehin nicht das Schicksal voraus, das sind nur Spielkarten. Außerdem würde meine Großtante es mir gar nicht erlauben, selbst wenn ich es könnte.»
«O bitte, sag meins voraus!»
«Es sind nur Spielkarten», beharre ich. «Ich bin keine Wahrsagerin.»
«Bitte, zieh eine Karte und sag mir mein Schicksal voraus», drängt Elizabeth. «Und eine für Jeanne. Was wird aus ihr? Bestimmt willst du doch auch wissen, wie es mit ihr weitergeht?»
«Sie haben nichts zu bedeuten», wende ich mich an Johanna. «Ich habe sie nur zum Spielen mitgebracht.»
«Sie sind wunderschön», findet sie. «Bei Hofe haben sie mir beigebracht, mit solchen Karten zu spielen. Wie bunt sie sind.»
Ich reiche sie ihr. «Geh vorsichtig mit ihnen um, sie sind kostbar», sage ich argwöhnisch, als sie sie in ihren schwieligen Händen auffächert. «Als ich klein war, hat die Demoiselle mir die Namen der Bilder erklärt. Sie borgt sie mir, weil ich so gerne mit ihnen spiele. Aber ich musste ihr versprechen, gut darauf aufzupassen.»
Johanna gibt mir die Karten zurück. Obwohl sie vorsichtig ist und meine Hände offen ausgestreckt sind, fällt eine der Karten mit dem Bild nach unten ins Gras.
«Oh, Entschuldigung!», ruft Johanna und hebt sie schnell auf.
Ich höre ein Flüstern, und ein kühler Atem fährt mir den Rücken hinab. Die Wiese mit den Kühen, die im Schatten des Baumes dösen, scheint in weite Ferne gerückt, als wären wir beide hinter Glas, Schmetterlinge in einer transparenten Kugel, in einer anderen Welt. «Jetzt kannst du sie dir auch anschauen», höre ich mich sagen.
Mit weit aufgerissenen Augen betrachtet Johanna das bunte Bild, dann zeigt sie es mir. «Was hat das zu bedeuten?»
Es ist das Bildnis eines Mannes in einer blauen Livree, der kopfüber an einem ausgestreckten Bein hängt, während das andere leicht gekrümmt ist, die Zehen gestreckt und gegen das gerade Bein gedrückt, als würde er in der Luft tanzen. Die Hände hält er hinter dem Rücken, als wollte er sich verbeugen. Wir sehen beide, mit welchem Schwung sein blaues Haar herabfällt und wie glücklich er lächelt.
«Le Pendu», liest Elizabeth. «Wie grässlich. Was bedeutet das? Oh, gewiss hat es doch nicht zu bedeuten, dass ... » Sie unterbricht sich.
«Es bedeutet nicht, dass du gehängt wirst», sage ich schnell zu Johanna. «Bitte denk so etwas nicht. Es ist nur eine Spielkarte, die nichts zu sagen hat. »
«Aber was bedeutet die Karte?», will das andere Mädchen wissen, obwohl Johanna still ist, als sei es nicht ihre Karte, nicht ihr Schicksal, das ich nicht deuten will.
«Zwei Bäume bilden seinen Galgen», erkläre ich. Unter Johannas ernstem, dunklem Blick spiele ich auf Zeit. «Das deutet auf Frühling und Erneuerung des Lebens - nicht auf Tod. Der Mann hängt zwischen zwei Bäumen im Gleichgewicht. Er ist der Mittelpunkt der Wiederauferstehung.»
Johanna nickt.
«Die Bäume biegen sich zu ihm herab, er ist glücklich. Und sieh mal: Er ist nicht am Hals aufgehängt worden, um zu sterben, sondern an den Füßen», fahre ich fort. «Wenn er wollte, könnte er sich aufbäumen und sich losbinden. Wenn er wollte, könnte er sich befreien.»
«Aber er befreit sich nicht», bemerkt das Mädchen. «Er gleicht einem Stehaufmännchen, einem Akrobaten. Was soll das? »
«Er ist freiwillig dort, er wartet. Er hat nichts dagegen, am Fuß aufgehängt zu werden und in der Luft zu hängen.»
«Als lebendiges Opfer?», fragt Johanna langsam, die Worte aus der Messe wählend.
«Er wird nicht gekreuzigt», betone ich schnell. Als würde uns jedes Wort, das ich sage, zu einer anderen Todesart führen. «Das hat gar nichts zu bedeuten.»
«Nein», meint Johanna. «Es sind Spielkarten, und wir spielen nur mit ihnen. Es ist eine hübsche Karte, der Gehängte. Er sieht glücklich aus, so auf dem Kopf im Frühling. Soll ich euch ein Spiel beibringen, das wir in der Champagne spielen?»
«Ja», sage ich. Ich halte die Hand auf, damit sie mir die
Karte zurückgibt. Sie betrachtet sie noch einen Moment. «Ehrlich, es hat nichts zu sagen», wiederhole ich.
Sie lächelt mich an, ihr Lächeln ist klar und ehrlich. «Ich
weiß genau, was es bedeutet.»
«Spielen wir?» Ich mische die Karten. Eine dreht sich in meiner Hand.
«Sieh mal, das ist eine gute Karte», bemerkt Johanna. «La Roue de Fortune.»
Ich zeige sie ihr. «Das Rad des Schicksals, das dich ganz nach oben oder ganz nach unten bringen kann. Die Botschaft der Karte ist weder Sieg noch Niederlage, denn beide kommen auf dem Rad vor.»
«In meinem Land haben die Bauern ein Zeichen für das Rad des Schicksals», erzählt Johanna. «Wenn etwas sehr Gutes oder sehr Schlechtes geschieht, zeichnen sie mit dem Zeigefinger einen Kreis in die Luft. Wenn jemand Geld erbt oder eine gute Kuh verliert, machen sie so. » Sie streckt den Finger in die Luft und zeichnet einen Kreis. «Und dazu sagen sie etwas.»
«Einen Zauberspruch?»
«Nicht direkt.» Sie lächelt verschmitzt.
«Was denn sonst?»
Sie kichert. «Sie sagen: Merde.»
Vor Lachen falle ich fast hintenüber.
«Was? Was ist?», fragt das jüngere Mädchen.
«Nichts ist», sage ich. Johanna kichert immer noch. «
Jeannes Landsleute sagen zu Recht, dass alles zu Staub wird und dass man nur eines dagegen tun kann: gleichgültig zu werden.»
Johannas Zukunft hängt an einem seidenen Faden, sie schwingt vor und zurück wie der Gehängte. Meine gesamte Familie, mein Vater, Pierre Graf von St. Pol, mein Onkel, Louis von Luxemburg, und mein Lieblingsonkel, Jean von Luxemburg, sie alle sind mit den Engländern verbündet. Mein Vater schreibt aus St. Pol an seinen Bruder Jean und verlangt von ihm als dem Oberhaupt der Familie, Johanna den Engländern zu überstellen. Aber meine Großtante, die Demoiselle, besteht darauf, dass wir Johanna beschützen, und so zögert Onkel Jean.
Die Engländer fordern die Herausgabe der Gefangenen, und da sie über den Großteil Frankreichs herrschen und ihr Verbündeter, der Herzog von Burgund, den restlichen Teil kontrolliert, ist ihr Wille meist Gesetz. Die einfachen englischen Soldaten haben auf dem Schlachtfeld gekniet und dankend Freudentränen vergossen, als die Jungfrau gefangen genommen wurde. Sie haben keine Zweifel daran, dass die verfeindete französische Armee ohne die Jungfrau wieder zu dem verängstigten Haufen wird, der sie vor ihrer Ankunft war.
Der Duke of Bedford, der Regent über die englischen Besitzungen in Frankreich, beherrscht fast den gesamten Norden des Landes. Mehrmals täglich schickt er Briefe an meinen Onkel, um ihn an seine Loyalität den Engländern gegenüber und ihre lange Freundschaft zu erinnern. Er bietet ihm auch Geld an. Mir macht es Spaß, nach den englischen Boten Ausschau zu halten, die in der feinen Livree des königlichen Herzogs auf prächtigen Pferden angeritten kommen. Es heißt, der Herzog wäre ein großer Mann und sehr beliebt, der größte Mann in Frankreich und gewiss niemand, den man zum Feind will, doch bislang gehorcht mein Onkel seiner Tante, der Demoiselle, und weigert sich, ihm unsere Gefangene auszuhändigen.
Mein Onkel erwartet, dass der französische Hof ein Angebot für sie macht - schließlich hat er Johanna seine Existenz zu verdanken - , doch dieser bleibt merkwürdigerweise stumm, selbst nachdem mein Onkel dem König geschrieben hat, die Jungfrau sei in seinem Gewahrsam und sie sei bereit, an den Hof ihres Königs zurückzukehren und erneut in seiner Armee zu dienen. Mit ihr an der Spitze könnten sie ausreiten und die Engländer schlagen. Sie werden doch gewiss ein Vermögen bezahlen, um sie zurückzubekommen?
«Sie wollen sie nicht», erklärt ihm meine Großtante. Sie sitzen an ihrem privaten Esstisch, das große Abendessen für den ganzen Haushalt in der großen Halle ist bereits vorüber. Die beiden haben vor den Männern meines Onkels gesessen, die Gerichte gekostet und sie als Zeichen ihrer besonderen Gewogenheit ihren Günstlingen geschickt. Jetzt sitzen sie bequem an einem kleinen Tisch vor dem Feuer in den privaten Gemächern meiner Großtante, wo ihre persönlichen Bediensteten ihnen aufwarten. Während das Essen serviert wird, habe ich mit einer anderen Hofdame dabeizustehen. Ich muss die Diener im Auge behalten, sie nach Wunsch herbeirufen, die Hände bescheiden vor dem Körper gefaltet, und soll nicht zuhören. Aber selbstverständlich tue ich genau das.
«Jeanne d'Arc hat einen Mann aus Prinz Charles gemacht. Er war nichts, bevor sie mit ihrer Vision zu ihm gekommen ist. Erst sie hat diesen Jüngling zum Mann und zum König gemacht. Sie hat ihn gelehrt, sein Erbe einzufordern. Aus den Gefolgsleuten in seinem Lager hat sie eine Armee formiert und sie zum Sieg geführt. Wären sie ihrem Rat gefolgt, wie sie ihren Stimmen folgt, hätten sie die Engländer auf ihre nebligen Inseln zurückgejagt, und wir wären sie für immer los gewesen.»
Mein Onkel lächelt. «Oh, liebe Tante! Dieser Krieg dauert jetzt schon fast hundert Jahre. Glaubst du wirklich, dass er endet, weil ein dahergelaufenes Mädchen Stimmen hört? Sie hätte die Engländer nie und nimmer vertreiben können. Niemals wären sie abgezogen. Diese Gebiete gehören ihnen, durch Erbfolge und Eroberungen. Sie müssen nur den Mut und die Kraft aufbringen, sie zu halten. Und von beidem hat John von Bedford genug.» Er wirft einen Blick auf sein Weinglas, und ich winke dem Hofdiener, damit er nachschenkt. Ich trete vor, um dem Mann den Kelch hinzuhalten, dann setze ich ihn behutsam auf dem Tisch ab. Sie trinken aus feinem Glas; mein Onkel ist ein wohlhabender Mann, und für meine Tante ist das Beste gerade gut genug.
«Der englische König mag fast noch ein Kind sein, aber der Sicherheit seines Königreichs schadet das nicht, denn sein Onkel Bedford steht hier treu zu ihm, und sein Onkel, der Duke of Gloucester, ist ihm in England treu. Bedford hat den Mut und die Verbündeten, die englischen Besitzungen hier zu halten, und ich glaube, sie werden den Dauphin immer weiter nach Süden treiben. Bis ins Meer. Die Zeit der Jungfrau, so bemerkenswert sie auch gewesen sein mag, ist vorbei. Am Ende werden die Engländer den Krieg gewinnen und ihre rechtmäßigen Besitzungen halten. Und all unsere Lords, die sich jetzt gegen sie verschworen haben, werden die Knie beugen und ihnen dienen.»
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Autoren-Porträt von Philippa Gregory
Philippa Gregory, geboren 1954 in Kenia, studierte Geschichte in Brighton und promovierte an der University of Edinburgh über die englische Literatur des 18. Jahrhunderts. Ihre historischen Romane sind weltweit Bestseller und wurden mit Starbesetzung verfilmt, zuletzt «Das Erbe der weissen Rose» in einer aufwändigen Produktion des US-Senders Starz. Ausserdem schreibt Philippa Gregory Kinder- und Jugendbücher, Kurzgeschichten, Reiseberichte und Drehbücher und arbeitet als Journalistin für Zeitung, Radio und Fernsehen. Sie lebt mit ihrer Familie in Nordengland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Philippa Gregory
- 2012, 3. Aufl., 672 Seiten, 4 Schwarz-Weiss-Abbildungen, mit Abbildungen, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Astrid Becker, Elvira Willems
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499256738
- ISBN-13: 9783499256738
- Erscheinungsdatum: 24.10.2012
Rezension zu „Die Mutter der Königin / Rosenkrieg Bd.3 “
Jede Neuerscheinung von Philippa Gregory hat längst eine eingebaute Bestsellergarantie. Buchreport
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