Oh, wie schön ist Kanada!
Leben unterm Ahornblatt
Mit deutscher Direktheit kommt man in Kanada nicht weit. Das muss eine Auslandskorrespondentin durch amüsante Fehltritte und Missverständnisse lernen, während sie das riesige Abenteuerland bereist. Sie möchte so locker und tolerant wie die Kanadier wirken -...
lieferbar
versandkostenfrei
Taschenbuch
Fr. 16.90
inkl. MwSt.
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Oh, wie schön ist Kanada! “
Klappentext zu „Oh, wie schön ist Kanada! “
Mit deutscher Direktheit kommt man in Kanada nicht weit. Das muss eine Auslandskorrespondentin durch amüsante Fehltritte und Missverständnisse lernen, während sie das riesige Abenteuerland bereist. Sie möchte so locker und tolerant wie die Kanadier wirken - selbst wenn ein Cowboy ein Brandeisen auf ihre Bluejeans ansetzt oder wenn sie in Neufundland einen Kabeljau küssen muss. Ein überraschender und humorvoller Leitfaden, wie man sich in Kanada (und einen Kanadier) verliebt.Lese-Probe zu „Oh, wie schön ist Kanada! “
Oh, wie schön ist Kanada! von Bernadette Calonego»Das ist Kanada, nicht der Kongo!«
... mehr
Wäre ich nicht so aufgebracht, würde ich den Mann vor mir gründlich abtasten. Er muss ein Trugbild sein. Wenn ich ihn mit meinen Fingern berühre, wird er sich bestimmt auflösen wie eine Fata Morgana. Der tief in die Stirn gezogene breitrandige Hut, die Muskeln an den Unterarmen, die breiten Schultern, die gebogenen Spitzen der Stiefel. Das gebräunte Gesicht mit den männlichen Falten. Und diese Jeans, meine Güte!
Er sieht genau so aus, wie sich Lieschen Müller einen Cowboy vorstellt. Ein wandelndes Klischee, die Hände in die Hüften gestemmt, einen Kaugummi im Mund. Vor Klischees fürchtet sich meine Journalistenseele wie der Teufel vorm Weihwasser. Klischees bedeuten immer Ärger. Meine Finger zucken, aber dann rastet meine Selbstdisziplin wieder ein. Siebzehn Jahre Redaktionsdrill sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Das Über-Ich meldet sich. Meine Teure, du bist nicht als Journalistin hier. Du bist auf Urlaub, hörst du? U-R-L-A-U-B. Entspannung, Erholung, einfach mal wegtreten. Wegtreten. Genau. Ich trete einige Schritte von dem Cowboy weg, der auf seinen Stiefeln wippt. »Sie sind also Ankes Freundin aus Deutschland, die noch nie einen Bären gesehen hat?«, fragt er, die Beine gespreizt, als säße er auf einem Pferd. Dieser Typ hat überhaupt nicht die Absicht, sich aufzulösen wie eine Fata Morgana. »Einen lebenden Bären«, korrigiere ich ihn. »Und Sie, haben Sie schon mal ein lebendes Krokodil gesehen?« Der Cowboy stutzt einen Moment, dann lacht er. »Sie sind genau wie Anke, Sie wären imstande, einen schweren Laster umzublasen.« Beim Namen Anke hätte ich nicht nur einen Laster umblasen, sondern Feuer speien können. Meine alte Schulfreundin ist schuld daran, dass ich schon seit zweieinhalb Stunden in der kanadischen Provinz British Columbia festsitze. Auf einem Flughafen, der
diesen Namen gar nicht verdient. Außer einer Auswahl von fünfzig Sorten Kartoffelchips und Getränken, die wie billiges Shampoo aussehen, gibt es nichts zu kaufen. »Die deutschen Mädchen, die hier leben«, sagt der Cowboy, »sind wirklich -« »Wo ist Anke?«,unterbreche ich ihn. Verdutzt schiebt er seinen Hut einen Zentimeter himmelwärts. »Sie konnte nicht weg, deswegen bin ich hier. Ich bin Jake. Ist das Ihr Gepäck?« Sein Blick fällt auf meine zwei Koffer. Er hört auf zu kauen. »Ich hoffe, da ist nichts als deutsches Bier drin. Haben Sie eigentlich noch Kleider in Deutschland gelassen oder gleich alles mitgenommen?« Vielleicht hätte ich mich in diesem Augenblick umdrehen und mit der nächsten Maschine nach Vancouver zurückfliegen sollen. Dann wäre mir einiges erspart geblieben. Zum Beispiel die blutige Sauerei auf der Ladefläche des Pick-up-Trucks, der vor dem Flughafengebäude auf uns wartet. Jake sieht die Abscheu auf meinem Gesicht und grinst. »Wir haben einen dritten Passagier. Er tut Ihnen aber nichts.« Zu spät. Mir dreht sich bereits der Magen um. Ein totes Tier liegt dort, der Kopf mitsamt dem Geweih abgetrennt. Blut rinnt aus dem offenen Maul, die Zunge hängt heraus. Die Augen dunkel und starr. Zerrissenes Fleisch zwischen braunem Fell. Ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, hievt Jake die Koffer auf die hintere Sitzreihe des Pick-ups. »Steigen Sie schon mal vorne ein«, ruft er. Ich öffne die Tür und bleibe wie angewurzelt stehen. Auf dem Sitz liegt ein Gewehr, der Lauf auf mich gerichtet. Wie von der Tarantel gestochen umrunde ich den
Pick-up. »Halt! Halt!«, rufe ich und strecke die Handfläche nach vorne, als müsste ich den Stoßverkehr in Frankfurt stoppen. Ich stamme aus Frankfurt und weiß, dass es kein Mittel gegen den Stoßverkehr gibt. Aber vielleicht kann ich etwas gegen dreiste Cowboys tun. »Woher weiß ich eigentlich, wer Sie sind?«, sage ich. »Vielleicht hat Anke Sie gar nicht geschickt.« Jake, der gerade den zweiten Koffer hochstemmen wollte, lässt ihn wieder sinken. Er nimmt seinen Hut vom Kopf, streicht sich übers volle braune Haar und setzt ihn dann mit beiden Händen wieder auf. Wie mir später klar wird, ist es eine Angewohnheit, um Zeit zu gewinnen, ohne die Selbstbeherrschung zu verlieren. »Wer soll ich denn sein?«, fragt er schließlich. Ich ringe um die Antwort. Gail hat mich auf alles Mögliche vorbereitet, aber nicht auf wildbret jagende Cowboys. Sie riet mir stattdessen, mich von den Horrorgeschichten wohlmeinender Kanadier nicht beeindrucken zu lassen. »Sie erzählen dir von aggressiven Bären und von Pumas, die Kinder überfallen«, hat sie mich gewarnt, »von Kojoten, die kleine Hündchen von der Leine weg fressen, und dann, wenn du dich nicht mehr in die Wildnis traust, sagen sie: Keine Bange, es kann dir doch nichts passieren.« Gail ist Kanadierin und muss es schließlich wissen. Ich habe sie auf einer Veranstaltung der Deutsch-Kanadischen Gesellschaft in Frankfurt kennengelernt. Gail ist mit einem Deutschen verheiratet und isst mindestens einmal die Woche Kartoffelpuffer mit Apfelmus. Jake sieht mich immer noch fragend an. Ich klammere mich an meine Tasche mit dem deutschen Pass und stammle: »Ich ... ich kenne Sie nicht ... und Sie haben ein Gewehr im Truck.« Jake schüttelt langsam den Kopf. »Das ist mein Jagdgewehr, Fraulein. Alle haben hier ein Jagdgewehr. Selbst Anke hat eins.« Er sagt »Änky«. Ich bewege mich nicht von der Stelle und schweige. »Mädchen, Sie haben keine andere Wahl, als mit mir zu kommen. Die Hotels in der Gegend sind voll, wegen des Rodeos. Der Rückflug nach Vancouver ist weg. Und Anke würde mich erschießen, wenn ich ohne Sie käme. Mit dem Jagdgewehr.« Er fasst den zweiten Koffer und zwinkert vielsagend. Dann knallt er die hintere Tür zu. »Beruhigen Sie sich. Das hier ist nicht der Kongo, das ist Kanada.« »Und Sie sind nicht Crocodile Dundee, sondern ein -« Das Surren meines Handys unterbricht mich. Ich fische es aus der Tasche. »Wo seid ihr? Ist alles okay? Ist Jake bei dir?« Eine weibliche Stimme. Unverkennbar Anke. Den Rest des Gesprächs möchte ich lieber nicht dokumentiert sehen. Wir sind kurz davor, uns zu streiten. Ihren letzten Satz könnte ich ihr heute noch um die Ohren hauen: »Himmel, Kind«, brüllt sie, »stell dich doch nicht so an! Du bist in Kanada!« Es ist immer dasselbe. Wenn man vorsichtig ist, stellt man sich an. Aber wenn man Risiken eingeht, heißt es hinterher: Wie konntest du nur so unvorsichtig sein! Ich gebe auf und nehme Platz auf dem Beifahrersitz. Das Gewehr hat Jake neben den Hirschkopf auf die Ladefläche gelegt. Ich weiß nicht, ob das den Behörden gefallen würde, aber wenigstens ist es außer Sichtweite. Hätte ich meinen Laptop aktivieren können, dann hätte ich jetzt die kanadische Kriminalitätsrate mit der deutschen verglichen, damit ich nicht mehr so dumm dastehe.
Jake hält zehn Minuten später vor einer Tim-Hortons-Filiale und kommt kurz darauf mit Kaffee und Doughnuts zurück. »Sehen Sie, so nett sind wir Kanadier«, sagt er und grinst. Zum ersten Mal lächle ich zurück. »Ja, ich weiß, in Kanada laufen alle Leute mit einem Heiligenschein herum.« Der Kaffeeduft stimmt mich beinahe versöhnlich. Gail hat mir erzählt, dass Tim Hortons nicht nur eine Schnellimbisskette ist, sondern eine kanadische Institution. Das Unternehmen gehört zwar inzwischen einem amerikanischen Konzern und hatte deswegen seinen Geschäftssitz vorübergehend in die USA verlegt, aber das war nur von kurzer Dauer, und die Zentrale befindet sich heute wieder in Kanada. Selbst die Soldaten in Kandahar würden mit Kaffee von Tim Hortons versorgt, hatte Gail erwähnt. Burger King und Pizza Hut wurden vom Oberkommandierenden der Nato aus dem afghanischen Hauptquartier verbannt. Aber Tim Hortons durfte bleiben. Dieser Gedanke hätte vielleicht meine Kampfbereitschaft stärken sollen. Aber als mir Jake einen Doughnut in die Hand drückt, bin ich schon so geschwächt vor Hunger, dass ich bald den Hirsch hinter mir angeknabbert hätte. »Langen Sie ruhig zu«, sagt er, »wir werden drei Stunden unterwegs sein, und unterwegs gibt's keinen Laden.« Drei Stunden! Ohne Laden! Auch das hat mir Anke verschwiegen. Zugegeben, sie hatte am Telefon von »abgeschieden« gesprochen, aber ich hatte nur »Ruhe, Natur, Einkehr« verstanden. Großer Fehler, du hättest nachfragen sollen. Jake stellt meinen Kaffeebecher in eine Vertiefung zwischen den Sitzen. »Das ist das wichtigste Accessoire in einem kanadischen Wagen«, sagt er und steuert den Pick-up auf eine Landstraße. »Man hat es erfunden, weil der Kaffee so heiß ist«, sage ich und reibe mir die Hand. »Falsch, das hier ist für die Bierdosen gedacht. Kaffee trinke ich nur mit deutschen Mädchen.« »Frauen«, korrigiere ich ihn. Er sieht mich von der Seite an. »Seid ihr deutschen Ladys immer so auf Konfrontationskurs?« »Warum?« »Ihr seid so ... direkt.« Er spuckt das Wort aus wie eine faule Kirsche. Ich weiß nicht, worauf er hinaus will. »Was heißt direkt?«
(c) Ullstein TB (Verlag)
Wäre ich nicht so aufgebracht, würde ich den Mann vor mir gründlich abtasten. Er muss ein Trugbild sein. Wenn ich ihn mit meinen Fingern berühre, wird er sich bestimmt auflösen wie eine Fata Morgana. Der tief in die Stirn gezogene breitrandige Hut, die Muskeln an den Unterarmen, die breiten Schultern, die gebogenen Spitzen der Stiefel. Das gebräunte Gesicht mit den männlichen Falten. Und diese Jeans, meine Güte!
Er sieht genau so aus, wie sich Lieschen Müller einen Cowboy vorstellt. Ein wandelndes Klischee, die Hände in die Hüften gestemmt, einen Kaugummi im Mund. Vor Klischees fürchtet sich meine Journalistenseele wie der Teufel vorm Weihwasser. Klischees bedeuten immer Ärger. Meine Finger zucken, aber dann rastet meine Selbstdisziplin wieder ein. Siebzehn Jahre Redaktionsdrill sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Das Über-Ich meldet sich. Meine Teure, du bist nicht als Journalistin hier. Du bist auf Urlaub, hörst du? U-R-L-A-U-B. Entspannung, Erholung, einfach mal wegtreten. Wegtreten. Genau. Ich trete einige Schritte von dem Cowboy weg, der auf seinen Stiefeln wippt. »Sie sind also Ankes Freundin aus Deutschland, die noch nie einen Bären gesehen hat?«, fragt er, die Beine gespreizt, als säße er auf einem Pferd. Dieser Typ hat überhaupt nicht die Absicht, sich aufzulösen wie eine Fata Morgana. »Einen lebenden Bären«, korrigiere ich ihn. »Und Sie, haben Sie schon mal ein lebendes Krokodil gesehen?« Der Cowboy stutzt einen Moment, dann lacht er. »Sie sind genau wie Anke, Sie wären imstande, einen schweren Laster umzublasen.« Beim Namen Anke hätte ich nicht nur einen Laster umblasen, sondern Feuer speien können. Meine alte Schulfreundin ist schuld daran, dass ich schon seit zweieinhalb Stunden in der kanadischen Provinz British Columbia festsitze. Auf einem Flughafen, der
diesen Namen gar nicht verdient. Außer einer Auswahl von fünfzig Sorten Kartoffelchips und Getränken, die wie billiges Shampoo aussehen, gibt es nichts zu kaufen. »Die deutschen Mädchen, die hier leben«, sagt der Cowboy, »sind wirklich -« »Wo ist Anke?«,unterbreche ich ihn. Verdutzt schiebt er seinen Hut einen Zentimeter himmelwärts. »Sie konnte nicht weg, deswegen bin ich hier. Ich bin Jake. Ist das Ihr Gepäck?« Sein Blick fällt auf meine zwei Koffer. Er hört auf zu kauen. »Ich hoffe, da ist nichts als deutsches Bier drin. Haben Sie eigentlich noch Kleider in Deutschland gelassen oder gleich alles mitgenommen?« Vielleicht hätte ich mich in diesem Augenblick umdrehen und mit der nächsten Maschine nach Vancouver zurückfliegen sollen. Dann wäre mir einiges erspart geblieben. Zum Beispiel die blutige Sauerei auf der Ladefläche des Pick-up-Trucks, der vor dem Flughafengebäude auf uns wartet. Jake sieht die Abscheu auf meinem Gesicht und grinst. »Wir haben einen dritten Passagier. Er tut Ihnen aber nichts.« Zu spät. Mir dreht sich bereits der Magen um. Ein totes Tier liegt dort, der Kopf mitsamt dem Geweih abgetrennt. Blut rinnt aus dem offenen Maul, die Zunge hängt heraus. Die Augen dunkel und starr. Zerrissenes Fleisch zwischen braunem Fell. Ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, hievt Jake die Koffer auf die hintere Sitzreihe des Pick-ups. »Steigen Sie schon mal vorne ein«, ruft er. Ich öffne die Tür und bleibe wie angewurzelt stehen. Auf dem Sitz liegt ein Gewehr, der Lauf auf mich gerichtet. Wie von der Tarantel gestochen umrunde ich den
Pick-up. »Halt! Halt!«, rufe ich und strecke die Handfläche nach vorne, als müsste ich den Stoßverkehr in Frankfurt stoppen. Ich stamme aus Frankfurt und weiß, dass es kein Mittel gegen den Stoßverkehr gibt. Aber vielleicht kann ich etwas gegen dreiste Cowboys tun. »Woher weiß ich eigentlich, wer Sie sind?«, sage ich. »Vielleicht hat Anke Sie gar nicht geschickt.« Jake, der gerade den zweiten Koffer hochstemmen wollte, lässt ihn wieder sinken. Er nimmt seinen Hut vom Kopf, streicht sich übers volle braune Haar und setzt ihn dann mit beiden Händen wieder auf. Wie mir später klar wird, ist es eine Angewohnheit, um Zeit zu gewinnen, ohne die Selbstbeherrschung zu verlieren. »Wer soll ich denn sein?«, fragt er schließlich. Ich ringe um die Antwort. Gail hat mich auf alles Mögliche vorbereitet, aber nicht auf wildbret jagende Cowboys. Sie riet mir stattdessen, mich von den Horrorgeschichten wohlmeinender Kanadier nicht beeindrucken zu lassen. »Sie erzählen dir von aggressiven Bären und von Pumas, die Kinder überfallen«, hat sie mich gewarnt, »von Kojoten, die kleine Hündchen von der Leine weg fressen, und dann, wenn du dich nicht mehr in die Wildnis traust, sagen sie: Keine Bange, es kann dir doch nichts passieren.« Gail ist Kanadierin und muss es schließlich wissen. Ich habe sie auf einer Veranstaltung der Deutsch-Kanadischen Gesellschaft in Frankfurt kennengelernt. Gail ist mit einem Deutschen verheiratet und isst mindestens einmal die Woche Kartoffelpuffer mit Apfelmus. Jake sieht mich immer noch fragend an. Ich klammere mich an meine Tasche mit dem deutschen Pass und stammle: »Ich ... ich kenne Sie nicht ... und Sie haben ein Gewehr im Truck.« Jake schüttelt langsam den Kopf. »Das ist mein Jagdgewehr, Fraulein. Alle haben hier ein Jagdgewehr. Selbst Anke hat eins.« Er sagt »Änky«. Ich bewege mich nicht von der Stelle und schweige. »Mädchen, Sie haben keine andere Wahl, als mit mir zu kommen. Die Hotels in der Gegend sind voll, wegen des Rodeos. Der Rückflug nach Vancouver ist weg. Und Anke würde mich erschießen, wenn ich ohne Sie käme. Mit dem Jagdgewehr.« Er fasst den zweiten Koffer und zwinkert vielsagend. Dann knallt er die hintere Tür zu. »Beruhigen Sie sich. Das hier ist nicht der Kongo, das ist Kanada.« »Und Sie sind nicht Crocodile Dundee, sondern ein -« Das Surren meines Handys unterbricht mich. Ich fische es aus der Tasche. »Wo seid ihr? Ist alles okay? Ist Jake bei dir?« Eine weibliche Stimme. Unverkennbar Anke. Den Rest des Gesprächs möchte ich lieber nicht dokumentiert sehen. Wir sind kurz davor, uns zu streiten. Ihren letzten Satz könnte ich ihr heute noch um die Ohren hauen: »Himmel, Kind«, brüllt sie, »stell dich doch nicht so an! Du bist in Kanada!« Es ist immer dasselbe. Wenn man vorsichtig ist, stellt man sich an. Aber wenn man Risiken eingeht, heißt es hinterher: Wie konntest du nur so unvorsichtig sein! Ich gebe auf und nehme Platz auf dem Beifahrersitz. Das Gewehr hat Jake neben den Hirschkopf auf die Ladefläche gelegt. Ich weiß nicht, ob das den Behörden gefallen würde, aber wenigstens ist es außer Sichtweite. Hätte ich meinen Laptop aktivieren können, dann hätte ich jetzt die kanadische Kriminalitätsrate mit der deutschen verglichen, damit ich nicht mehr so dumm dastehe.
Jake hält zehn Minuten später vor einer Tim-Hortons-Filiale und kommt kurz darauf mit Kaffee und Doughnuts zurück. »Sehen Sie, so nett sind wir Kanadier«, sagt er und grinst. Zum ersten Mal lächle ich zurück. »Ja, ich weiß, in Kanada laufen alle Leute mit einem Heiligenschein herum.« Der Kaffeeduft stimmt mich beinahe versöhnlich. Gail hat mir erzählt, dass Tim Hortons nicht nur eine Schnellimbisskette ist, sondern eine kanadische Institution. Das Unternehmen gehört zwar inzwischen einem amerikanischen Konzern und hatte deswegen seinen Geschäftssitz vorübergehend in die USA verlegt, aber das war nur von kurzer Dauer, und die Zentrale befindet sich heute wieder in Kanada. Selbst die Soldaten in Kandahar würden mit Kaffee von Tim Hortons versorgt, hatte Gail erwähnt. Burger King und Pizza Hut wurden vom Oberkommandierenden der Nato aus dem afghanischen Hauptquartier verbannt. Aber Tim Hortons durfte bleiben. Dieser Gedanke hätte vielleicht meine Kampfbereitschaft stärken sollen. Aber als mir Jake einen Doughnut in die Hand drückt, bin ich schon so geschwächt vor Hunger, dass ich bald den Hirsch hinter mir angeknabbert hätte. »Langen Sie ruhig zu«, sagt er, »wir werden drei Stunden unterwegs sein, und unterwegs gibt's keinen Laden.« Drei Stunden! Ohne Laden! Auch das hat mir Anke verschwiegen. Zugegeben, sie hatte am Telefon von »abgeschieden« gesprochen, aber ich hatte nur »Ruhe, Natur, Einkehr« verstanden. Großer Fehler, du hättest nachfragen sollen. Jake stellt meinen Kaffeebecher in eine Vertiefung zwischen den Sitzen. »Das ist das wichtigste Accessoire in einem kanadischen Wagen«, sagt er und steuert den Pick-up auf eine Landstraße. »Man hat es erfunden, weil der Kaffee so heiß ist«, sage ich und reibe mir die Hand. »Falsch, das hier ist für die Bierdosen gedacht. Kaffee trinke ich nur mit deutschen Mädchen.« »Frauen«, korrigiere ich ihn. Er sieht mich von der Seite an. »Seid ihr deutschen Ladys immer so auf Konfrontationskurs?« »Warum?« »Ihr seid so ... direkt.« Er spuckt das Wort aus wie eine faule Kirsche. Ich weiß nicht, worauf er hinaus will. »Was heißt direkt?«
(c) Ullstein TB (Verlag)
... weniger
Autoren-Porträt von Bernadette Calonego
Bernadette Calonego lebt und arbeitet seit über zehn Jahren als Kanada-Korrespondentin derSüddeutschen Zeitung in Vancouver.Die Webseite der Autorin: http://www.bernadettecalonego.com/deutsch/blog/
Bibliographische Angaben
- Autor: Bernadette Calonego
- 2011, 6. Aufl., 272 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548283187
- ISBN-13: 9783548283180
- Erscheinungsdatum: 09.11.2011
Kommentar zu "Oh, wie schön ist Kanada!"
0 Gebrauchte Artikel zu „Oh, wie schön ist Kanada!“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Oh, wie schön ist Kanada!".
Kommentar verfassen