Mond über der Eifel / Siggi Baumeister Bd.17
Ein Eifel-Krimi
»Eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Krimi-Serien.« WDRJakob Stern - Heiler und Schamane - wird in der Nähe seines abgelegenen Gehöfts tot aufgefunden. Der Mörder hat ihn auf den dicken Ästen einer sogenannten heiligen Eiche festgebunden, und niemand...
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Produktinformationen zu „Mond über der Eifel / Siggi Baumeister Bd.17 “
Klappentext zu „Mond über der Eifel / Siggi Baumeister Bd.17 “
»Eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Krimi-Serien.« WDRJakob Stern - Heiler und Schamane - wird in der Nähe seines abgelegenen Gehöfts tot aufgefunden. Der Mörder hat ihn auf den dicken Ästen einer sogenannten heiligen Eiche festgebunden, und niemand kann sich erklären, weshalb.Für den Journalisten Siggi Baumeister gestaltet sich die Suche nach dem Täter ausserordentlich schwierig. Und auch der Leiter der Mordkommission fürchtet bereits, dass er diesen Fall unerledigt mit in Rente nehmen wird. Dabei bieten sich den Ermittlern pausenlos Zeugen an, die glauben, durch ihren Kontakt zu allerlei Engeln, Geistwesen, Sehern, Channeling-Spezialisten und sonstigen Spiritisten herausfinden zu können, warum dem allseits beliebten Jakob etwas Derartiges angetan wurde. Zum Glück hält Baumeister in diesen esoterischen Wirren seine fünf Sinne beisammen. Und so gelingt es ihm, langsam die ersten greifbaren Motive zu Tage zu fördern: Habgier, Neid und Hass.
Lese-Probe zu „Mond über der Eifel / Siggi Baumeister Bd.17 “
Mond über der Eifel von Jacques Berndorf1. Kapitel
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Es war das Jahr, in dem der Muttertag auf den Pfingstsonntag fiel, der Eifelhimmel unglaublich blau und vollkommen
wolkenlos war und die Temperatur bei zwanzig Grad lag. So etwas macht mich immer misstrauisch, weil ich dann an Starkregen denke und an die Möglichkeit, dass mein Auto auf dem Hof plötzlich bis an die Lenksäule in braunem, schlammigem Wasser steht - alles schon vorgekommen. Maria hatte sich seit Tagen nicht mehr gemeldet, und von Emma und Rodenstock wusste ich nicht genau, ob sie noch lebten.
Tante Anni hatte mich mit der ungeheuerlichen Nachricht völlig verdattert, dass sie als dreiundachtzigjährige bekennende Lesbe nun endlich ihren ersten Mann ausprobieren wollte. Ihre Wahl war auf Hermann, einen verwitweten Landwirt aus Bongard gefallen, mit dessen Trecker, einem Porsche Junior, Baujahr 57, zwölf PS, sie vor zwei Wochen plötzlich auf meinem Hof angeknattert kam. Zwei Wochen währte das goldene Glück nun schon, und jetzt wendete ich bereits eine Urlaubskarte vom Gardasee in meinen Händen. Was sollte man bloß davon halten?
Mein Kater Satchmo war aus irgendeinem Grund tödlich beleidigt und lümmelte sich im hohen Gras am Teich. Ab und zu linste er zu mir herüber, aber ich reagierte gar nicht, weil ich zu den Tieren gehöre, die sich die Erde untertan machten, und auf eine blöde Eifeler Scheunenkatze musste ich nicht reagieren.
Ja, gut, ich war knötterig, aber was willst du machen, wenn sich alles gegen dich verschworen hat?
Dann klingelte das Telefon, aber ich wollte nicht rangehen. Satchmos Kopf zuckte hoch, aber er wollte offensichtlich auch nicht. Und so schwiegen wir beide vor uns hin. Da ich den Auftrag hatte, einen Text zum Nationalpark Eifel zu verfassen, überlegte ich kurz, ob ich damit jetzt beginnen sollte, aber es war elf Uhr, und ein Arbeitsbeginn zwischen dem späten Frühstück und der Mittagsruhe erschien mir unangebracht.
Der Anrufbeantworter sprang an, aus dem Lautsprecher ertönte Rodenstocks Stimme und eröffnete überaus trocken: »Es gibt Arbeit. Eine besonders fiese Geschichte, Baumeister. Eine von den Geschichten, die man eigentlich nicht glauben will.« Ich griff mit einem tiefen Seufzer nach dem Hörer, brummte: »Dann erzähl sie mir«, und damit begann die Sache mit Jamie-Lee.
Nur ein paar Augenblicke später war Maria am Telefon, um zu fragen, ob sie denn eine Audienz bei mir beantragen könne. Ein Anruf, auf den ich eigentlich mit wachsender Ungeduld gewartet hatte. Aber jetzt war alles anders.
»Das wird heute nicht gehen«, sagte ich. »Es gibt ein totes Kind.«
»Kannst du anrufen, wann du Zeit hast?«
Ich murmelte etwas Zustimmendes.
»Und wer ist das tote Kind?«
»Ich rufe dich an. Das Kind war dreizehn, mehr weiß ich nicht.«
»Pass auf dich auf«, sagte sie weich und hängte ein.
Dann rauschte auch schon Rodenstock in Emmas Volvo auf den Hof, ging hart in die Bremse und staubte mein Haus ein. Emma saß neben ihm.
Ich stieg hinten ein und wunderte mich über Emma. »Wieso machst du mit?«, fragte ich.
»Weil ich Kindermörder hasse«, erklärte sie wild. »Ich hasse diese Leute.«
»Wie würdest du fahren?«, fragte Rodenstock sachlich und stieß rückwärts aus meinem Hof.
»Runter ins Ahrtal, dann Blankenheim, dann Schleiden, Richtung Olef, am Ausgang von Schleiden links hoch nach Herhahn, dann die B266 an Vogelsang vorbei und dann die Serpentinen runter nach Einruhr.«
»Das würde ich auch so machen«, nickte er. »Was hat er dir gesagt?«
»Ich weiß nicht, ob ich alles mitgekriegt habe. Er sagte, er will uns haben, weil wir die Leute ausfragen können, ohne aufzufallen. Wie Pressefritzen, hat er wörtlich gesagt, was sehr viel darüber aussagt, wie er meinen Beruf beurteilt. Das Mädchen heißt Jamie-Lee. Wieso wird ein Mädchen in der Eifel Jamie-Lee getauft? Sie war dreizehn. Sie ist seit gestern Nachmittag verschwunden. Ungefähr fünfzehn Uhr. Sie wurde gefunden, als eine Wandergruppe zwischen Einruhr und Erkensruhr durch den Wald ging. Mehr weiß ich nicht. Doch, ich weiß, wann sie gefunden wurde. Das muss gegen neun Uhr heute Morgen gewesen sein. Wieso steckt Kischkewitz überhaupt drin? Der Nationalpark Eifel ist Nordrhein-Westfalen.«
»Richtig«, nickte Rodenstock. »Sie haben ihn um Hilfe gebeten. Er ist mit vier Leuten rüber. Sie wollen schnell sein, weil es ein Kind ist, und die Leute sich todsicher aufregen. Ob der Fundort der Tatort ist, weiß er noch nicht, er weiß eigentlich überhaupt nichts.«
Er schaltete oft und mühelos elegant, blieb immer am oberen Limit, und ich musste mich festhalten, um nicht hin und her geworfen zu werden.
»Dann kam es aber zu einer erschreckenden Auskunft Emma gegenüber«, fuhr er fort.
»Ja, ich habe noch ein paar Sätze mit ihm gesprochen«, schloss Emma merkwürdig tonlos an. »Sie haben sie noch nicht weggebracht, sie haben das Gelände abgesperrt und arbeiten noch. Das Mädchen war grell geschminkt.«
»Sie schminken sich heute früh«, murmelte ich.
»Oh nein, oh nein! Sie hat sich nicht geschminkt, sie ist geschminkt worden. Vom Täter. Kein Zweifel.«
»Ach, du lieber Gott«, murmelte ich.
»Der war mal wieder gerade nicht da«, bemerkte Emma scharf. »Und fahr langsamer, verdammt noch mal. Tote laufen nicht weg.«
»Ja«, sagte Rodenstock sanft. »Du hast ja recht.«
Es war viel los auf den Straßen, wir kamen nur stockend voran, Rodenstock fuhr häufig auf kleine, zähe Staus auf, die sich nur langsam auflösten. Sehr viele Holländer, sehr viele Belgier. Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad, er war nervös.
»Tante Anni hat mir eine Karte geschickt. Sie schwärmt vom Gardasee. «
»Sie hat viel zu lange allein gelebt«, stellte Emma fest. Dann begann sie zu glucksen. »Du meinst, es ist was Ernsthaftes? Mit Sex und so? Unsere Lieblingslesbe?«
Rodenstock begann ganz hoch zu kichern. Er setzte hinzu: »Mit weißen Söckchen.« Er stand jetzt an der Einmündung auf die B51, wir waren der vierte Wagen, es würde endlos dauern.
»Nicht spotten«, warnte Emma scheinheilig. »Das kommt alles auch auf uns zu. Viel schneller, als wir denken können.«
»Ich will aber keine weißen Söckchen tragen«, sagte ich nölend und erntete damit schallendes Gelächter.
Ein Handy meldete sich, jemand pfiff die Internationale, und Rodenstock sagte hastig: »Greif mal in meine rechte Jackentasche, bitte.«
Emma griff in seine Tasche, holte das Handy hervor und meldete sich: »Ja, bitte?« Dann hörte sie konzentriert zu und sagte kein Wort, nur gegen Ende ein etwas klägliches: »Ja, gut.« Hörte wieder zu, murmelte »Wenn du meinst« und »Mach‘s gut«, dann drehte sie sich zu Rodenstock und sagte seufzend: »Du solltest anhalten, drehen und wieder heimfahren. Das ist keine Sache für uns. Kischkewitz und seine Leute haben jetzt schon Krach mit dem Mann, der die Kommission leitet. Der ist ausgeflippt und hat rumgebrüllt, dass grundsätzlich jede Einzelheit zuerst an ihn geht, und dass er entscheidet, was er damit macht, dass er in allen Dingen zuerst informiert wird und so weiter und so fort. Kischkewitz sagt, er wird bei der ersten Gelegenheit abbrechen und nach Hause fahren. Sie haben das Mädchen jetzt auf die Reise in die Rechtsmedizin nach Düsseldorf geschickt und den Fundort freigegeben. Sie warten auf irgendeinen Staatssekretär, der entscheiden soll, wie es weitergeht. Da vorne, da kannst du drehen.«
Rodenstock drückte das Warnblinklicht und fuhr ganz rechts an den Straßenrand. Dann erreichte er den Waldweg, auf den Emma gezeigt hatte, und bog ein. Wir waren jetzt kurz vor Krekel. Rodenstock fuhr ein gutes Stück von der Straße weg in den Wald hinein. »Hat Kischkewitz gesagt, wie die Gruppe um diesen Leiter reagiert?«, fragte er.
»Kein Wort davon, aber es klang so, als sei der Mann höchst unbeliebt«, antwortete Emma.
»Dann steigen wir erst mal aus und gucken uns die Bäume an«, entschied Rodenstock. »Außerdem muss ich pinkeln.« Er stieg aus und verschwand nach rechts zwischen die Bäume.
»Er steckt mich immer an«, seufzte Emma, stieg aus und ging in die andere Richtung.
Neben dem Auto lagen ein paar Stämme Langholz, und ich hockte mich auf einen Sonnenfleck. Es war sehr still, der Verkehr auf der Straße war nur noch ein leises Rauschen, wurde nur dröhnend, wenn ein Pulk Motorradfahrer vorbeizog.
Rodenstock kam zurück und murmelte: »Eigentlich habe ich noch nie gekniffen, nur weil ein wild gewordener Vorgesetzter die Szene betritt. Was denkst du?«
»Es ist mein Job, und es kann in jeder Minute ein wichtiger Job werden«, sagte ich. »Ich könnte anrufen und sie fragen, ob sie die Geschichte wollen. Ich bin überhaupt nicht beeindruckt von Leuten, die so rumbrüllen. Aber du kannst echte Schwierigkeiten kriegen, weil du mal vom Fach warst.«
»Wir sollten weiterfahren«, nickte er leichthin. »Meine Neugier kann mir niemand verbieten.«
»Was ist, wenn Kischkewitz deinetwegen Schwierigkeiten kriegt?«
»Der ist erwachsen, er kann selber brüllen.«
Als Emma zurückkam, fragte sie: »Wir fahren weiter, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte ich. »Dein Mann ist der Meinung, dass er als Bürger neugierig sein darf. Und bei mir ist das sogar Beruf.«
»Dann wäre es gut, Kischkewitz anzurufen und ihm zu sagen, dass wir trotz allem vorbeischauen, sonst kommen wir um die Ecke, und er muss so tun, als kenne er uns nicht.« Dann hielt sie inne und setzte hinzu: »Mir ist nach einem Schnaps.«
»Wir besorgen einen«, versprach Rodenstock. »Ich sage Kischkewitz Bescheid.« Er ging abseits und begann zu telefonieren, er wirkte ganz gelassen.
»Ich sollte mich da raushalten«, murmelte Emma. »Ich bin zu alt für so was.«
»Das bist du nicht, du leidest nur. Wenn du tagsüber einen Schnaps willst, protestiert dein Magen gegen den rüden Alltag.«
»Oder so«, nickte sie. »Wie geht es dir mit Maria?«
»Nicht so gut. Wir sehen uns, aber sehr selten. Sie arbeitet zu viel in ihrem Aldi.«
»Das klingt nicht gerade nach einem Rosengarten.«
»Es ist auch keiner. Wahrscheinlich sind wir nur zwei alte Krähen mit schlechten Erfahrungen.«
Emma stand da in der Sonne und grinste mich an. Sie sagte nichts. Und zu ihren Füßen standen drei rote Lichtnelken und wirkten äußerst dekorativ.
Sie fragte: »Wann habt ihr euch zuletzt gesehen?«
»Vor vier Wochen«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Du lieber Himmel, welch eine berauschende Partnerschaft!« »Du bist ekelhaft«, sagte ich.
»Manchmal«, gab sie zu. »Wo ist denn der Haken?«
»Im Alltag. Sie kommt am Samstagmittag, und sie sagt, sie sei kaputt, und sie sagt, sie müsse erst mal in Ruhe ankommen. Am Sonntagmorgen ist sie noch immer nicht ganz da. Und Sonntagabend muss sie früh ins Bett, denn sie steht um vier Uhr auf, um gegen sechs Uhr in ihrem Laden in Prüm zu sein. Dann kriegt sie ihre Lieferungen. Alles in allem haben wir keine guten Karten.«
»Und wenn du zu ihr nach Prüm fährst?«
»Das gefällt ihr noch weniger. Sie sagt, sie müsse möglichst oft aus Prüm raus. Wieso erzähle ich dir das alles?«
»Weil du sonst mit keinem Menschen drüber redest. Schon gar nicht mit deinen Freunden.«
»Da höre ich Vorwürfe.«
»Na ja, du bist schon ein seltsamer Vogel. Du wohnst zweitausend Meter weit weg und benimmst dich so, als sei das eine unüberbrückbare Entfernung. Und mein Ehemann fragt sich manchmal, ob du überhaupt mit ihm etwas zu tun haben willst.«
»Dein Ehemann ist meschugge.«
»Dem würde ich nicht zustimmen. Er liebt dich, falls dir das bis heute verborgen geblieben ist. Also gut, das Thema ist nicht neu. Ich wollte auch nur sagen, dass unser Haus dir immer offen steht. Dämliche Floskel.«
»Ich muss mich bessern, ich weiß.«
»Das wäre schön«, sagte sie mit freundlichem Nachdruck. »Sieh an, mein Macker ist fertig.«
Rodenstock kam herangetrabt und machte einen abwesenden Eindruck. »Das ist komisch«, stammelte er, »dieser Kommissionsleiter scheint mit sämtlichen Beteiligten Krach zu haben. Er ist ein Mann aus Aachen mit schlechtem Ruf. Er hat einen Leitenden Oberstaatsanwalt dazu überredet, eine totale Nachrichtensperre zu verhängen. Natürlich mit dem Erfolg, dass sieben Fernsehsender durch die Gegend fahren und lautstark Informationshonorare anbieten. Er hat einen Mediziner und einen Chemiker mitten in einer Untersuchung des Mädchens weggeschickt - mit der Feststellung, er habe keine Zeit mehr, auf die trödeligen Wissenschaftler zu warten. Dann hat er einen Verdächtigen festgenommen, obwohl der gar nicht sehr verdächtig ist. Wir können ruhig hinfahren, sagt Kischkewitz. Sie tagen im Hinterzimmer einer Kneipe. Ich soll euch grüßen. Und er rät uns zu einem Termin bei einer gewissen Griseldis. Die Adresse habe ich. Sie hat einen seltsamen Beruf. Sie behauptet, sie sei Hexe.«
»Wie schön«, entgegnete Emma sanft. »Endlich mal ein verständiger Mensch. Und wer ist der Verdächtige, der nicht verdächtig ist?«
»Eine merkwürdige Figur, dreiundvierzig Jahre alt, lebt auf einem alten Bauernhof. Der Mann heißt Jakob Stern.«
»Und wieso ist er nicht verdächtig?«, fragte ich.
»Weil er ein netter, lieber Kerl ist und keiner Fliege was zuleide tun könnte. Sagen alle.«
»Aber er kannte diese Jamie-Lee?«, fragte Emma.
»Ja, er kannte sie sogar sehr gut, sagt Kischkewitz.«
»Erklär mir, wieso ein Mann Chef einer Mordkommission wird, wenn kein Mensch ihn leiden kann«, bat ich.
Rodenstock startete den Wagen und fuhr an die Einmündung des Waldwegs. »So etwas kommt vor«, sagte er. »Der Mann erfüllt sämtliche beruflichen Anforderungen, eigentlich wartet er auf solch einen Job. Und dann stellt sich heraus, dass er ein Arschloch ist. Du musst zugeben, das gibt es in jedem Beruf. Das Schlimme ist in diesem Fall, dass der sogenannte Verdächtige von Beginn an öffentlich als Verdächtiger bezeichnet wurde. So etwas kann für so einen armen Kerl fatale Folgen haben.«
»Wer macht so was?«, fragte ich.
»Eben deshalb müssen wir hin«, antwortete Rodenstock einfach und gab Gas.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Es war das Jahr, in dem der Muttertag auf den Pfingstsonntag fiel, der Eifelhimmel unglaublich blau und vollkommen
wolkenlos war und die Temperatur bei zwanzig Grad lag. So etwas macht mich immer misstrauisch, weil ich dann an Starkregen denke und an die Möglichkeit, dass mein Auto auf dem Hof plötzlich bis an die Lenksäule in braunem, schlammigem Wasser steht - alles schon vorgekommen. Maria hatte sich seit Tagen nicht mehr gemeldet, und von Emma und Rodenstock wusste ich nicht genau, ob sie noch lebten.
Tante Anni hatte mich mit der ungeheuerlichen Nachricht völlig verdattert, dass sie als dreiundachtzigjährige bekennende Lesbe nun endlich ihren ersten Mann ausprobieren wollte. Ihre Wahl war auf Hermann, einen verwitweten Landwirt aus Bongard gefallen, mit dessen Trecker, einem Porsche Junior, Baujahr 57, zwölf PS, sie vor zwei Wochen plötzlich auf meinem Hof angeknattert kam. Zwei Wochen währte das goldene Glück nun schon, und jetzt wendete ich bereits eine Urlaubskarte vom Gardasee in meinen Händen. Was sollte man bloß davon halten?
Mein Kater Satchmo war aus irgendeinem Grund tödlich beleidigt und lümmelte sich im hohen Gras am Teich. Ab und zu linste er zu mir herüber, aber ich reagierte gar nicht, weil ich zu den Tieren gehöre, die sich die Erde untertan machten, und auf eine blöde Eifeler Scheunenkatze musste ich nicht reagieren.
Ja, gut, ich war knötterig, aber was willst du machen, wenn sich alles gegen dich verschworen hat?
Dann klingelte das Telefon, aber ich wollte nicht rangehen. Satchmos Kopf zuckte hoch, aber er wollte offensichtlich auch nicht. Und so schwiegen wir beide vor uns hin. Da ich den Auftrag hatte, einen Text zum Nationalpark Eifel zu verfassen, überlegte ich kurz, ob ich damit jetzt beginnen sollte, aber es war elf Uhr, und ein Arbeitsbeginn zwischen dem späten Frühstück und der Mittagsruhe erschien mir unangebracht.
Der Anrufbeantworter sprang an, aus dem Lautsprecher ertönte Rodenstocks Stimme und eröffnete überaus trocken: »Es gibt Arbeit. Eine besonders fiese Geschichte, Baumeister. Eine von den Geschichten, die man eigentlich nicht glauben will.« Ich griff mit einem tiefen Seufzer nach dem Hörer, brummte: »Dann erzähl sie mir«, und damit begann die Sache mit Jamie-Lee.
Nur ein paar Augenblicke später war Maria am Telefon, um zu fragen, ob sie denn eine Audienz bei mir beantragen könne. Ein Anruf, auf den ich eigentlich mit wachsender Ungeduld gewartet hatte. Aber jetzt war alles anders.
»Das wird heute nicht gehen«, sagte ich. »Es gibt ein totes Kind.«
»Kannst du anrufen, wann du Zeit hast?«
Ich murmelte etwas Zustimmendes.
»Und wer ist das tote Kind?«
»Ich rufe dich an. Das Kind war dreizehn, mehr weiß ich nicht.«
»Pass auf dich auf«, sagte sie weich und hängte ein.
Dann rauschte auch schon Rodenstock in Emmas Volvo auf den Hof, ging hart in die Bremse und staubte mein Haus ein. Emma saß neben ihm.
Ich stieg hinten ein und wunderte mich über Emma. »Wieso machst du mit?«, fragte ich.
»Weil ich Kindermörder hasse«, erklärte sie wild. »Ich hasse diese Leute.«
»Wie würdest du fahren?«, fragte Rodenstock sachlich und stieß rückwärts aus meinem Hof.
»Runter ins Ahrtal, dann Blankenheim, dann Schleiden, Richtung Olef, am Ausgang von Schleiden links hoch nach Herhahn, dann die B266 an Vogelsang vorbei und dann die Serpentinen runter nach Einruhr.«
»Das würde ich auch so machen«, nickte er. »Was hat er dir gesagt?«
»Ich weiß nicht, ob ich alles mitgekriegt habe. Er sagte, er will uns haben, weil wir die Leute ausfragen können, ohne aufzufallen. Wie Pressefritzen, hat er wörtlich gesagt, was sehr viel darüber aussagt, wie er meinen Beruf beurteilt. Das Mädchen heißt Jamie-Lee. Wieso wird ein Mädchen in der Eifel Jamie-Lee getauft? Sie war dreizehn. Sie ist seit gestern Nachmittag verschwunden. Ungefähr fünfzehn Uhr. Sie wurde gefunden, als eine Wandergruppe zwischen Einruhr und Erkensruhr durch den Wald ging. Mehr weiß ich nicht. Doch, ich weiß, wann sie gefunden wurde. Das muss gegen neun Uhr heute Morgen gewesen sein. Wieso steckt Kischkewitz überhaupt drin? Der Nationalpark Eifel ist Nordrhein-Westfalen.«
»Richtig«, nickte Rodenstock. »Sie haben ihn um Hilfe gebeten. Er ist mit vier Leuten rüber. Sie wollen schnell sein, weil es ein Kind ist, und die Leute sich todsicher aufregen. Ob der Fundort der Tatort ist, weiß er noch nicht, er weiß eigentlich überhaupt nichts.«
Er schaltete oft und mühelos elegant, blieb immer am oberen Limit, und ich musste mich festhalten, um nicht hin und her geworfen zu werden.
»Dann kam es aber zu einer erschreckenden Auskunft Emma gegenüber«, fuhr er fort.
»Ja, ich habe noch ein paar Sätze mit ihm gesprochen«, schloss Emma merkwürdig tonlos an. »Sie haben sie noch nicht weggebracht, sie haben das Gelände abgesperrt und arbeiten noch. Das Mädchen war grell geschminkt.«
»Sie schminken sich heute früh«, murmelte ich.
»Oh nein, oh nein! Sie hat sich nicht geschminkt, sie ist geschminkt worden. Vom Täter. Kein Zweifel.«
»Ach, du lieber Gott«, murmelte ich.
»Der war mal wieder gerade nicht da«, bemerkte Emma scharf. »Und fahr langsamer, verdammt noch mal. Tote laufen nicht weg.«
»Ja«, sagte Rodenstock sanft. »Du hast ja recht.«
Es war viel los auf den Straßen, wir kamen nur stockend voran, Rodenstock fuhr häufig auf kleine, zähe Staus auf, die sich nur langsam auflösten. Sehr viele Holländer, sehr viele Belgier. Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad, er war nervös.
»Tante Anni hat mir eine Karte geschickt. Sie schwärmt vom Gardasee. «
»Sie hat viel zu lange allein gelebt«, stellte Emma fest. Dann begann sie zu glucksen. »Du meinst, es ist was Ernsthaftes? Mit Sex und so? Unsere Lieblingslesbe?«
Rodenstock begann ganz hoch zu kichern. Er setzte hinzu: »Mit weißen Söckchen.« Er stand jetzt an der Einmündung auf die B51, wir waren der vierte Wagen, es würde endlos dauern.
»Nicht spotten«, warnte Emma scheinheilig. »Das kommt alles auch auf uns zu. Viel schneller, als wir denken können.«
»Ich will aber keine weißen Söckchen tragen«, sagte ich nölend und erntete damit schallendes Gelächter.
Ein Handy meldete sich, jemand pfiff die Internationale, und Rodenstock sagte hastig: »Greif mal in meine rechte Jackentasche, bitte.«
Emma griff in seine Tasche, holte das Handy hervor und meldete sich: »Ja, bitte?« Dann hörte sie konzentriert zu und sagte kein Wort, nur gegen Ende ein etwas klägliches: »Ja, gut.« Hörte wieder zu, murmelte »Wenn du meinst« und »Mach‘s gut«, dann drehte sie sich zu Rodenstock und sagte seufzend: »Du solltest anhalten, drehen und wieder heimfahren. Das ist keine Sache für uns. Kischkewitz und seine Leute haben jetzt schon Krach mit dem Mann, der die Kommission leitet. Der ist ausgeflippt und hat rumgebrüllt, dass grundsätzlich jede Einzelheit zuerst an ihn geht, und dass er entscheidet, was er damit macht, dass er in allen Dingen zuerst informiert wird und so weiter und so fort. Kischkewitz sagt, er wird bei der ersten Gelegenheit abbrechen und nach Hause fahren. Sie haben das Mädchen jetzt auf die Reise in die Rechtsmedizin nach Düsseldorf geschickt und den Fundort freigegeben. Sie warten auf irgendeinen Staatssekretär, der entscheiden soll, wie es weitergeht. Da vorne, da kannst du drehen.«
Rodenstock drückte das Warnblinklicht und fuhr ganz rechts an den Straßenrand. Dann erreichte er den Waldweg, auf den Emma gezeigt hatte, und bog ein. Wir waren jetzt kurz vor Krekel. Rodenstock fuhr ein gutes Stück von der Straße weg in den Wald hinein. »Hat Kischkewitz gesagt, wie die Gruppe um diesen Leiter reagiert?«, fragte er.
»Kein Wort davon, aber es klang so, als sei der Mann höchst unbeliebt«, antwortete Emma.
»Dann steigen wir erst mal aus und gucken uns die Bäume an«, entschied Rodenstock. »Außerdem muss ich pinkeln.« Er stieg aus und verschwand nach rechts zwischen die Bäume.
»Er steckt mich immer an«, seufzte Emma, stieg aus und ging in die andere Richtung.
Neben dem Auto lagen ein paar Stämme Langholz, und ich hockte mich auf einen Sonnenfleck. Es war sehr still, der Verkehr auf der Straße war nur noch ein leises Rauschen, wurde nur dröhnend, wenn ein Pulk Motorradfahrer vorbeizog.
Rodenstock kam zurück und murmelte: »Eigentlich habe ich noch nie gekniffen, nur weil ein wild gewordener Vorgesetzter die Szene betritt. Was denkst du?«
»Es ist mein Job, und es kann in jeder Minute ein wichtiger Job werden«, sagte ich. »Ich könnte anrufen und sie fragen, ob sie die Geschichte wollen. Ich bin überhaupt nicht beeindruckt von Leuten, die so rumbrüllen. Aber du kannst echte Schwierigkeiten kriegen, weil du mal vom Fach warst.«
»Wir sollten weiterfahren«, nickte er leichthin. »Meine Neugier kann mir niemand verbieten.«
»Was ist, wenn Kischkewitz deinetwegen Schwierigkeiten kriegt?«
»Der ist erwachsen, er kann selber brüllen.«
Als Emma zurückkam, fragte sie: »Wir fahren weiter, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte ich. »Dein Mann ist der Meinung, dass er als Bürger neugierig sein darf. Und bei mir ist das sogar Beruf.«
»Dann wäre es gut, Kischkewitz anzurufen und ihm zu sagen, dass wir trotz allem vorbeischauen, sonst kommen wir um die Ecke, und er muss so tun, als kenne er uns nicht.« Dann hielt sie inne und setzte hinzu: »Mir ist nach einem Schnaps.«
»Wir besorgen einen«, versprach Rodenstock. »Ich sage Kischkewitz Bescheid.« Er ging abseits und begann zu telefonieren, er wirkte ganz gelassen.
»Ich sollte mich da raushalten«, murmelte Emma. »Ich bin zu alt für so was.«
»Das bist du nicht, du leidest nur. Wenn du tagsüber einen Schnaps willst, protestiert dein Magen gegen den rüden Alltag.«
»Oder so«, nickte sie. »Wie geht es dir mit Maria?«
»Nicht so gut. Wir sehen uns, aber sehr selten. Sie arbeitet zu viel in ihrem Aldi.«
»Das klingt nicht gerade nach einem Rosengarten.«
»Es ist auch keiner. Wahrscheinlich sind wir nur zwei alte Krähen mit schlechten Erfahrungen.«
Emma stand da in der Sonne und grinste mich an. Sie sagte nichts. Und zu ihren Füßen standen drei rote Lichtnelken und wirkten äußerst dekorativ.
Sie fragte: »Wann habt ihr euch zuletzt gesehen?«
»Vor vier Wochen«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Du lieber Himmel, welch eine berauschende Partnerschaft!« »Du bist ekelhaft«, sagte ich.
»Manchmal«, gab sie zu. »Wo ist denn der Haken?«
»Im Alltag. Sie kommt am Samstagmittag, und sie sagt, sie sei kaputt, und sie sagt, sie müsse erst mal in Ruhe ankommen. Am Sonntagmorgen ist sie noch immer nicht ganz da. Und Sonntagabend muss sie früh ins Bett, denn sie steht um vier Uhr auf, um gegen sechs Uhr in ihrem Laden in Prüm zu sein. Dann kriegt sie ihre Lieferungen. Alles in allem haben wir keine guten Karten.«
»Und wenn du zu ihr nach Prüm fährst?«
»Das gefällt ihr noch weniger. Sie sagt, sie müsse möglichst oft aus Prüm raus. Wieso erzähle ich dir das alles?«
»Weil du sonst mit keinem Menschen drüber redest. Schon gar nicht mit deinen Freunden.«
»Da höre ich Vorwürfe.«
»Na ja, du bist schon ein seltsamer Vogel. Du wohnst zweitausend Meter weit weg und benimmst dich so, als sei das eine unüberbrückbare Entfernung. Und mein Ehemann fragt sich manchmal, ob du überhaupt mit ihm etwas zu tun haben willst.«
»Dein Ehemann ist meschugge.«
»Dem würde ich nicht zustimmen. Er liebt dich, falls dir das bis heute verborgen geblieben ist. Also gut, das Thema ist nicht neu. Ich wollte auch nur sagen, dass unser Haus dir immer offen steht. Dämliche Floskel.«
»Ich muss mich bessern, ich weiß.«
»Das wäre schön«, sagte sie mit freundlichem Nachdruck. »Sieh an, mein Macker ist fertig.«
Rodenstock kam herangetrabt und machte einen abwesenden Eindruck. »Das ist komisch«, stammelte er, »dieser Kommissionsleiter scheint mit sämtlichen Beteiligten Krach zu haben. Er ist ein Mann aus Aachen mit schlechtem Ruf. Er hat einen Leitenden Oberstaatsanwalt dazu überredet, eine totale Nachrichtensperre zu verhängen. Natürlich mit dem Erfolg, dass sieben Fernsehsender durch die Gegend fahren und lautstark Informationshonorare anbieten. Er hat einen Mediziner und einen Chemiker mitten in einer Untersuchung des Mädchens weggeschickt - mit der Feststellung, er habe keine Zeit mehr, auf die trödeligen Wissenschaftler zu warten. Dann hat er einen Verdächtigen festgenommen, obwohl der gar nicht sehr verdächtig ist. Wir können ruhig hinfahren, sagt Kischkewitz. Sie tagen im Hinterzimmer einer Kneipe. Ich soll euch grüßen. Und er rät uns zu einem Termin bei einer gewissen Griseldis. Die Adresse habe ich. Sie hat einen seltsamen Beruf. Sie behauptet, sie sei Hexe.«
»Wie schön«, entgegnete Emma sanft. »Endlich mal ein verständiger Mensch. Und wer ist der Verdächtige, der nicht verdächtig ist?«
»Eine merkwürdige Figur, dreiundvierzig Jahre alt, lebt auf einem alten Bauernhof. Der Mann heißt Jakob Stern.«
»Und wieso ist er nicht verdächtig?«, fragte ich.
»Weil er ein netter, lieber Kerl ist und keiner Fliege was zuleide tun könnte. Sagen alle.«
»Aber er kannte diese Jamie-Lee?«, fragte Emma.
»Ja, er kannte sie sogar sehr gut, sagt Kischkewitz.«
»Erklär mir, wieso ein Mann Chef einer Mordkommission wird, wenn kein Mensch ihn leiden kann«, bat ich.
Rodenstock startete den Wagen und fuhr an die Einmündung des Waldwegs. »So etwas kommt vor«, sagte er. »Der Mann erfüllt sämtliche beruflichen Anforderungen, eigentlich wartet er auf solch einen Job. Und dann stellt sich heraus, dass er ein Arschloch ist. Du musst zugeben, das gibt es in jedem Beruf. Das Schlimme ist in diesem Fall, dass der sogenannte Verdächtige von Beginn an öffentlich als Verdächtiger bezeichnet wurde. So etwas kann für so einen armen Kerl fatale Folgen haben.«
»Wer macht so was?«, fragte ich.
»Eben deshalb müssen wir hin«, antwortete Rodenstock einfach und gab Gas.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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Autoren-Porträt von Jacques Berndorf
Berndorf, JacquesJacques Berndorf ist das Pseudonym des 1936 in Duisburg geborenen Journalisten, Sachbuch- und Romanautors Michael Preute. Sein erster Eifel-Krimi, »Eifelblues«, erschien 1989. Mittlerweile umfasst die Eifel-Krimi-Serie um den Journalisten Siggi Baumeister 21 Bände und ist deutschlandweit überaus populär. Jacques Berndorf zählt zu den erfolgreichsten deutschen Krimiautoren, und seine Romane führen regelmässig die Bestsellerlisten an.Der Autor hat selbst in der Eifel eine späte Heimat gefunden und schöpft aus seiner ländlichen Umgebung Kraft und Ideen für seine authentischen Kriminalromane.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jacques Berndorf
- 352 Seiten, Masse: 12,5 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596193443
- ISBN-13: 9783596193448
- Erscheinungsdatum: 07.10.2011
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