Middlesex
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''Locker, vielschichtig, tiefgründig, genial.''
Die Welt
Dieser Cal Stephanides ist es, der uns von der mehr als siebzig Jahre umspannenden Lebens- und Liebesgeschichte seiner griechischen Einwandererfamilie erzählt. Er berichtet von Seidenraupen und Rumschmuggel und einer Klarinette, die auf der Haut eines Mädchens schmachtende Töne erzeugt. Er erzählt vom heiligen Christophorus, der Miltons Leben rettet, und von der Niederlage des Nebenbuhlers Father Mike. Vor allem aber erzählt er von dem, was sich die griechischen Götter nicht haben träumen lassen: von Vererbung und der Achterbahnfahrt eines Gens, von den Verworrenheiten des Geschlechts.
Mit überbordender Phantasie schöpft Jeffrey Eugenides aus einem Reichtum an Geschichten, bündelt sie zu einer virtuosen Mischung aus modernem Gesellschafts- und pikareskem Abenteuerroman. Sein als literarisches Ereignis gefeiertes Buch ist «ein zutiefst berührendes Porträt einer leidenschaftlich ins 20. Jahrhundert Amerikas verstrickten Familie», schrieb die New York Times, «ein Roman von turmhoher Kraft».
In einem kleinasiatischen Bergdorf fängt alles an. Ein junger Mann und eine junge Frau, Bruder und Schwester, fliehen vor den Türken nach Smyrna und, als die Stadt brennt, nach Amerika. Es ist das Jahr 1922. Auf dem Schiff heiraten sie und lassen sich später in der Autostadt Detroit nieder. Niemand ahnt das Geheimnis dieses Paares, doch nach Jahrzehnten hat der Tabubruch der beiden ungeahnte Folgen.
"Locker, vielschichtig, tiefgründig, genial." -- Die Welt
Middlesex von Jeffrey Eugenides
LESEPROBE
HEIMKINO
Meine Augensahen, endlich angeknipst, das Folgende: Eine Schwester nimmt mich dem Arztab; das triumphierende Gesicht meiner Mutter, gross wie Mount Rushmore, als siemir nachschaut, wie ich zu meinem ersten Bad gebracht werde. (Ich habe gesagt,es sei unmöglich, dennoch erinnere ich mich daran.) Auch an andere Dinge,wichtige wie unwichtige: an den erbarmungslosen Schein der OP-Lampen, an weisseSchuhe, die über weisse Fussböden quietschen, an eine Stubenfliege, die Gazeverschmutzt, und an die individuellen Dramen, die sich um mich herum, überallauf den Gängen des Frauenkrankenhauses, abspielen. Ich spürte das Glück vonPaaren mit einem ersten Kind und die innere Kraft von Katholiken, die ihrneuntes hinnahmen. Ich empfand die Enttäuschung einer jungen Mutter, als siedas fliehende Kinn ihres Mannes an ihrer neugeborenen Tochter wiederentdeckte, und das Entsetzen eines frisch gebackenen Vaters, als er dieAusbildungskosten für Drillinge überschlug. Auf den Stockwerken über derEntbindungstation erholten sich Frauen in blumenlosen Zimmern vonTotaloperationen und Brustamputationen. Halbwüchsige Mädchen mit geplatztenEierstockzysten lagen im Morphiumdämmer. Alles war von Anfang an um mich herum,die Last des weiblichen Leidens mit seiner biblischen Rechtfertigung und denTricks, es wegzuzaubern.
DieSchwester, die mich wusch, hiess Rosalee. Sie war eine hübsche,schmalgesichtige Frau aus den Bergen von Tennessee. Nachdem sie mir denSchleim aus den Nasenlöchern gesaugt hatte, gab sie mir eineVitamin-K-Spritze, damit mein Blut gerann. Inzucht ist in den Appalachen nichtsUngewöhnliches, dasselbe gilt für genetische Missbildungen, aber SchwesterRosalee bemerkte nichts Auffälliges an mir. Sorgen bereitete ihr eindunkelroter Klecks auf meiner Wange, sie hielt ihn für einen Portweinfleck. Er stelltesich als Plazenta heraus und konnte abgewaschen werden. Schwester Rosalee trugmich zurück zu Dr. Philobosian zur anatomischen Untersuchung. Sie legte michauf einen Tisch, liess aber zur Sicherheit eine Hand auf mir. Sie hatte bemerkt,wie sehr die Hand des Arztes bei der Entbindung gezittert hatte.
196o war Dr. Nishan Philobosian vierundsiebzig. Er hatteeinen Kopf wie ein Kamel, der nach vorn geneigt auf dem Hals sass, alles Lebenin den Wangen. Weisses Haar legte sich zu einem Heiligenschein um seinenansonsten kahlen Kopf und verstopfte seine grossen Ohren wie Watte. An seinerChirurgenbrille waren rechteckige Lupen angebracht.
Er begann an meinem Hals, suchte ihn nach kretinoiden Faltenab. Er zählte meine Finger und Zehen. Er inspizierte meinen Gaumen; er testetemeinen Moro-Reflex, ohne überrascht zu werden. Er überprüfte mein Gesäss aufeinen Sakralfortsatz. Dann drehte er mich wieder auf den Rücken, ergriff meinebeiden krummen Beine und zog sie auseinander.
Was sah er da? Die saubere Salzwassermuschel der weiblichen Genitalien.Die Gegend entzündet, von Hormonen angeschwollen. Das Pavianmässige, das alleBabys haben. Dr. Philobosian hätte die Falten auseinander ziehen müssen, um besserzu sehen, doch er tat es nicht. Denn genau in diesem Augenblick berührte ihnSchwester Rosalee (für die dieser Moment ebenfalls Schicksal war) versehentlicham Arm. Dr. Phil blickte auf. Alterssichtige armenische Augen begegnetenmittelalten appalachischen. Der Blick dauerte, riss dann ab. Fünf Minuten aufder Welt, und schon meldeten sich die Themen meines Lebens - Zufall und Sex.
Schwester Rosalee errötete. «Schön», sagte Dr. Philobosian,und er meinte mich, sah aber seine Helferin an. «Ein schönes, gesundesMädchen.»
In der Seminole Street war die Geburtsfeier von der Aussichtauf den Tod gedämpft.
Desdemona hatte Lefty auf dem Küchenboden gefunden, wo er nebenseiner umgekippten Kaffeetasse lag. Sie kniete sich hin und presste ein Ohr aufseine Brust. Als sie keinen Herzschlag hörte, rief sie seinen Namen. IhrKlagelaut hallte von den harten Flächen der Küche wider: von Toaster, Herd,Kühlschrank. Dann brach sie über seiner Brust zusammen. In der Stille, diedarauf folgte, spürte Desdemona jedoch ein eigenartiges Gefühl in sichaufsteigen. Es breitete sich in dem Raum zwischen ihrer Angst und ihrem Kummeraus. Als blähe ein Gas sie auf, so war es. Bald klappten ihre Augenlider hoch,und sie erkannte das Gefühl: Es war Glück. Tränen liefen ihr übers Gesicht,und sie schalt Gott, weil er ihr den Mann genommen hatte, doch auf derKehrseite dieser angemessenen Gefühle war eine vollkommen unangemesseneErleichterung. Das Schlimmste war geschehen. Denn das war es: das Schlimmste. Zumersten Mal in ihrem Leben hatte meine Grossmutter nichts, worüber sie sichSorgen machen musste.
Meiner Erfahrung nach lassen sich Gefühle nicht mit einem Worterfassen. Ich glaube nicht an «Trauer», «Freude» oder «Bedauern». Vielleichtder beste Beweis, dass die Sprache patriarchalisch ist, ist der, dass sieGefühle grob vereinfacht. Ich hätte es gern, wenn mir Bezeichnungenkomplizierter hybrider Gefühle zur Verfügung stünden, germanischeBandwurmkonstruktionen wie «das Glück, das die Katastrophe begleitet». Oder:«Die Enttäuschung, wenn man mit dem Objekt seiner Phantasie schläft.» Ichwürde gern zeigen, wie «von alternden Familienmitgliedern vorgebrachteAndeutungen der Sterblichkeit» sich mit dem «Hass auf Spiegel, der in mittlerenJahren beginnt» verbindet. Ich hätte gern ein Wort für «die Trauer, ausgelöstvon miserabel besuchten Restaurants», wie auch für «die Begeisterung, einHotelzimmer mit Minibar zu bekommen». Nie hatte ich die richtigen Worte, ummein Leben zu beschreiben, und nun, da ich in meine Geschichte eingetretenbin, brauche ich sie mehr denn je. Ich kann mich nicht mehr einfachzurücklehnen und das Ganze aus der Ferne betrachten. Von nun an ist alles, wasich Ihnen erzähle, von der subjektiven Erfahrung gefärbt, Teil der Ereignissezu sein. Hier spaltet sich, teilt sich meine Geschichte, erfährt eine Meiose. Schonfühlt die Welt sich schwerer an, da ich ein Teil von ihr geworden bin. Ichrede von Wickelbandagen und durchweichtem Mull, vom Mehltaugeruch im Kino undvon verlausten Katzen und ihren stinkenden Katzenklos, vom Regen auf denStrassen der Stadt, wenn der Staub hochgeschwemmt wird und die alten Italienerihre Klappstühle reinbringen. Bis jetzt war es nicht meine Welt gewesen. Nichtmein Amerika. Aber nun ist es so weit, endlich.
Das Glück, das die Katastrophe begleitet, währte für Desdemonanicht lange. Ein paar Sekunden später drehte sie den Kopf zur Brust ihresMannes - und hörte sein Herz schlagen! Lefty wurde schnellstens ins Krankenhausgebracht. Zwei Tage danach erlangte er wieder das Bewusstsein. Sein Geist warklar, sein Gedächtnis intakt. Doch als er fragen wollte, ob das Kind ein Jungeoder ein Mädchen sei, merkte er, dass er nicht sprechen konnte. (...)
© 2003 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Eike Schönfeld
- Autor: Jeffrey Eugenides
- 2004, 736 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Eike Schönfeld
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499238101
- ISBN-13: 9783499238109
- Erscheinungsdatum: 19.10.2004
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