Liebe auf den ersten Kuss / Marsden Bd.2
Roman
Als Erin Marsden, Tochter des ehemaligen Polizeichefs von Serendipity, feststellt, dass sie schwanger ist, steht ihre heile Welt Kopf. Denn Vater ihres ungeborenen Babys ist der mysteriöse Ex-Cop Cole Sanders, den ein dunkles Geheimnis umgibt. Aber...
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Produktinformationen zu „Liebe auf den ersten Kuss / Marsden Bd.2 “
Als Erin Marsden, Tochter des ehemaligen Polizeichefs von Serendipity, feststellt, dass sie schwanger ist, steht ihre heile Welt Kopf. Denn Vater ihres ungeborenen Babys ist der mysteriöse Ex-Cop Cole Sanders, den ein dunkles Geheimnis umgibt. Aber während Erin tiefere Gefühle entwickelt, geht Cole auf Distanz. Erst als Erin von einer Unbekannten wiederholt attackiert wird und Schutz braucht, erkennt Cole in ihr die Frau, die ihn glücklich machen kann - und stellt sich seiner Vergangenheit.
Klappentext zu „Liebe auf den ersten Kuss / Marsden Bd.2 “
Als Erin Marsden, Tochter des ehemaligen Polizeichefs von Serendipity, feststellt, dass sie schwanger ist, steht ihre heile Welt Kopf. Denn Vater ihres ungeborenen Babys ist der mysteriöse Ex-Cop Cole Sanders, den ein dunkles Geheimnis umgibt. Aber während Erin tiefere Gefühle entwickelt, geht Cole auf Distanz. Erst als Erin von einer Unbekannten wiederholt attackiert wird und Schutz braucht, erkennt Cole in ihr die Frau, die ihn glücklich machen kann - und stellt sich seiner Vergangenheit.
Lese-Probe zu „Liebe auf den ersten Kuss / Marsden Bd.2 “
Liebe auf den ersten Kuss von Carly Phillips Kapitel 1
Erin Marsden war schon immer ein artiges, anständiges Mädchen gewesen, das stets die Erwartungen der anderen erfüllte. Schließlich war sie die einzige Tochter des ehemaligen Polizeichefs von Serendipity, und ihre zwei überfürsorglichen Brüder arbeiteten beide ebenfalls bei der Polizei. Der ältere der beiden war sogar der neue Polizeichef der Stadt. Erin selbst war in der hiesigen Bezirksstaatsanwaltschaft tätig und leistete sich prinzipiell keine Fehltritte - allerdings eher aus Angst davor, ihre Familie zu enttäuschen und nicht so sehr, weil sie fürchtete, aus der Rolle zu fallen, der sie ihr ganzes Leben lang treu gewesen war.
Jedenfalls bis gestern Nacht.
Sie blinzelte und ließ den Blick durch das Zimmer wandern: ein fremdes Bett, ein Raum, der ihr nicht bekannt vorkam. Sie war splitterfasernackt, und neben ihr lag ein warmer, männlicher Körper, nackt wie sie selbst.
Cole Sanders.
Sie betrachtete sein etwas zu langes, zerzaustes Haar und den durchtrainierten Oberkörper und schauderte wohlig, als sie registrierte, dass sie die Nachwirkungen ihrer nächtlichen Aktivitäten noch am ganzen Leib deutlich spüren konnte. Oh ja, sie hatte den festgefahrenen Pfad verlassen und dabei nicht bloß eine Hundertachtziggradwende vollzogen, sondern sich auf etwas eingelassen, das so gar nicht zum Image des anständigen Mädchens passte: auf einen One-Night- Stand.
Ein One-Night-Stand.
... mehr
Schon bei dem Gedanken daran schwindelte ihr, und eine leichte Übelkeit stieg in ihr hoch, als sie im Geiste noch einmal die verschiedenen Stationen auf dem Weg durchging, der sie hierher geführt hatte. Gestern hatte alles begonnen, auf der Hochzeit ihres Bruders Mike, wo sie sich inmitten von Familienangehörigen und Freunden ihres Single-Daseins nur zu bewusst gewesen war. Lauter glückliche, verliebte Paare, soweit das Auge reichte. Irgendwann hatte sie sich abgesetzt, aber da sie keine Lust gehabt hatte, schon nach Hause zu gehen, hatte sie unterwegs noch einen Abstecher in Joe's Bar gemacht. Fehler Nummer eins. Dort hatte sie mit einem alten Freund getanzt und zugelassen, dass Cole Sanders abklatschte. Fehler Nummer zwei. Sie kannte Cole von früher und erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sie sich eines Nachts mit sechzehn geküsst hatten, bevor er tags darauf die Stadt für lange Zeit verlassen hatte.
Beim Tanzen hatte er sie an seinen stahlharten Körper gedrückt, und der schwermütige Blick seiner dunkelblauen Augen hatte ihr schier das Herz zerrissen. Dann - Fehler Nummer drei - hatte sie sich eingestanden, dass es heftig zwischen ihnen knisterte, ein Umstand, den sie, seit er wieder in der Stadt war, beide tunlichst ignoriert hatten. Und zu guter Letzt war sie aufs Ganze gegangen und ihm bereitwillig nach oben in sein Apartment über der Bar gefolgt, wo sie sich die ganze Nacht miteinander vergnügt hatten.
Und, oh Gott, der Sex mit Cole war fantastisch gewesen. Einfach phänomenal. Wer hätte gedacht, dass es dabei derart heiß hergehen konnte? Am liebsten hätte sich Erin wie eine zufrieden schnurrende Katze gestreckt, doch sie ließ es bleiben, um den leise schnarchenden Mann neben sich nicht zu wecken.
Obwohl Jed Sanders ein guter Freund ihrer Eltern war, wusste sie kaum etwas über Cole, genau wie die anderen Bewohner von Serendipity, einschließlich ihres Bruders Mike, der früher einer seiner besten Kumpels gewesen war. Coles Vater Jed war bis vor einem Jahr der stellvertretende Polizeichef von Serendipity gewesen, sprach allerdings nie von seinem Sohn. Laut Mike war Cole einige Tage vor dem Abschluss aus der Polizeiakademie ausgetreten. Was er danach getrieben hatte, wusste niemand so genau, aber die Gerüchteküche in ihrer kleinen Stadt brodelte heftig. Mal wurde gemunkelt, Cole stehe in Manhattan mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung, mal hieß es, er sei der Anführer eines Drogen- und Prostitutionsrings. Erin konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass er derart auf die schiefe Bahn geraten war, schließlich kannte sie ihn gewissermaßen seit der Kindheit. Wobei sie zugegebenermaßen nicht allzu viel mit dem aufmüpfigen Teenager zu tun gehabt hatte, der sich regelmäßig mit seinem strengen Vater angelegt und sich nie um Regeln geschert hatte.
Trotzdem glaubte sie nach wie vor, dass Cole ein anständiger Bursche war, selbst wenn das etwas naiv sein mochte.
Wie dem auch sei, jetzt galt es erst einmal, sich möglichst unbemerkt vom Acker zu machen. Leider war Erin weitgehend unbeleckt, was das Verhalten am »Morgen danach« anging. Ihre bisherigen Affären waren eher beschaulich bis eintönig gewesen und allesamt auf dieselbe Art und Weise zu Ende gegangen, nämlich mit einem höflichen »Es liegt nicht an dir, sondern an mir« von ihrer Seite. In die Verlegenheit, sich aus der Wohnung eines Mannes schleichen zu müssen, war sie bislang noch nie gekommen.
Noch einmal betrachtete sie Coles breite Schultern, die sich mit jedem Atemzug hoben und senkten und schauderte erneut beim Anblick seiner tätowierten Arme, deren Muskeln wie von harter körperlicher Arbeit gestählt wirkten.
Tief durchatmen, Erin.
Sie zwang sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Habseligkeiten waren im gesamten Zimmer verstreut, und ganz nebenbei bemerkt war ein Brautjung- fernkleid wohl eher hinderlich, wenn man sich unauffällig aus dem Haus schleichen wollte. Mit einem letzten Blick auf den Mann, der in der vergangenen Nacht buchstäblich die Erde hatte beben lassen, glitt Erin unter der warmen Decke hervor und machte sich auf die Suche nach ihrem Kleid. Ah, da lag es ja. Just als sie sich bückte und die Hand danach ausstreckte, ertönte hinter ihr Coles tiefe Stimme.
»Hätte nicht gedacht, dass du zu der Sorte Frau gehörst, die sich sang- und klanglos aus dem Staub macht«, stellte er ungeniert fest. Sein Tonfall war lässig- verschlafen.
Erin wäre am liebsten im Boden versunken. Warum musste er ausgerechnet jetzt aufwachen, wo sie ihm den nackten Allerwertesten hinstreckte? Sie hob hastig das Kleid vom Boden auf und wirbelte herum, wobei sie sich bemühte, ihren Körper züchtig zu verdecken, denn inzwischen war sie wieder ganz das anständige Mädchen, das sie noch vor vierundzwanzig Stunden gewesen war.
»Ich kenne bereits jeden Zentimeter von dir in- und auswendig«, erinnerte Cole sie, ohne den verschlafenen Blick von ihr abzuwenden.
Erin wurde rot und beschloss, diesen Kommentar einfach zu übergehen und sich stattdessen auf seine erste Bemerkung zu konzentrieren. »Für welche Sorte Frau hast du mich denn gehalten?«
Er richtete sich auf und rutschte nach oben bis zum Kopfteil des Bettes. Mit seinen zerstrubbelten schwarzen Haaren wirkte er so unwiderstehlich attraktiv, dass sie sich am liebsten gleich wieder zu ihm gesellt hätte. Was jedoch aus mehreren Gründen völlig ausgeschlossen war: Erstens war ein One-Night-Stand schon per definitionem vorbei, sobald der Morgen graute, zweitens hatte Cole sie zu ihrer großen Enttäuschung mit keinem Wort dazu aufgefordert, und drittens war ihr Auftritt als unanständiges Mädchen ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Heute Morgen, ohne Alkohol im Blut, hatte die brave Erin wieder die Oberhand gewonnen, und mit ihr die Schamhaftigkeit. Leider.
Cole lehnte sich zurück, die Finger hinter dem Kopf verschränkt, und betrachtete sie eingehend. Die Decke war ihm bis unter den Nabel gerutscht, und Erin musste sich sehr zusammenreißen, um nicht auf seinen flachen Bauch und die Wölbung unter der Decke zu starren.
»Jedenfalls nicht für die Sorte ›verklemmter Feigling‹, nach deinem forschen Verhalten gestern Abend.« Er hob eine Augenbraue.
Lächelte der Mann eigentlich nie? »Und ich hätte nicht gedacht, dass du zu dem Typ Mann gehörst, der am Morgen nach einem One-Night-Stand noch gern ausgiebig plaudert.«
Sie fragte sich, warum er sie nicht einfach hatte gehen lassen, selbst wenn er bereits wach gewesen war. Damit wäre ihnen diese peinliche Unterhaltung erspart geblieben. Andererseits wäre sie vermutlich früher oder später ohnehin fällig gewesen. So gesehen konnten sie es genauso gut gleich hinter sich bringen.
»Du findest also, ich war forsch«, zitierte sie ihn und straffte die Schultern ein wenig.
Im Job war Erin knallhart - das musste sie sein, um ihrem Chef Kontra geben und sich gegen die Strafverteidiger und deren Klienten durchsetzen zu können. Aber dass sie im Umgang mit Männern forsch war, das hörte sie jetzt zum ersten Mal, und sie fasste es beinahe als Kompliment auf.
»Okay, ich habe die Bar mit dir zusammen verlassen, dazu gehörte in der Tat eine ordentliche Portion Courage «, räumte sie mit einem Anflug von Stolz ein.
Cole musterte sie, ohne eine Miene zu verziehen, aber sie hätte schwören können, dass seine Augen amüsiert aufblitzten, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.
»Mit ›forsch‹ meinte ich eigentlich dein Verhalten im Bett.«
Es klang durchaus anerkennend, sodass Erins Herz unwillkürlich schneller schlug. Sie errötete, murmelte »Danke« und hätte sich im selben Moment am liebsten geohrfeigt. Hatte sie das wirklich gerade gesagt?
Cole schenkte ihr ein sexy Lächeln, das sie nie mehr vergessen würde. »Aber um zum Anfang unserer Unterhaltung zurückzukommen: Nein, ich hatte nicht erwartet, dass du dich einfach hinausschleichst. Bereust du die Nacht mit mir etwa bereits?«, fragte er, wobei die Frage sie mehr erstaunte als sein angriffslustiger Tonfall.
Sie schüttelte ohne zu zögern den Kopf. »Überhaupt nicht.« Es stimmte sie traurig, dass er so von ihr dachte, aber es überraschte sie nicht. Die Bürger der Stadt hatten ihn nicht gerade mit offenen Armen empfangen, und wenn sie von den Ereignissen der vergangenen Nacht erfuhren, würden sie sich bestimmt fragen, ob Erin den Verstand verloren hatte. Sollten ihre Brüder je dahinterkommen ... Nicht auszudenken! Doch Reue verspürte sie bislang keine, und daran würde sich wohl auch in absehbarer Zeit nichts ändern. Außerdem wollte sie Cole auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, dass es ihr peinlich war, mit ihm geschlafen zu haben.
»Du überraschst mich«, gab er zu, während er sie aufmerksam betrachtete. »Und ich hatte gedacht, es gibt nichts mehr auf dieser Welt, das mich noch überraschen kann.«
Es klang, als hätte er in seinem Leben schon zu viel gesehen und erlebt. Erin hätte gern nachgehakt und bei Bedarf ein paar tröstende Worte gesagt, doch ehe sie den Gedanken weiter verfolgen oder ihn gar in die Tat umsetzen konnte, sprach Cole weiter.
»Aber dein Bauchgefühl trügt nicht, was mich angeht: Es ist mir tatsächlich lieber, wenn sich der Morgen danach nicht unnötig in die Länge zieht.«
Enttäuschung machte sich in ihrem Herzen breit, und das fand Erin höchst bedenklich. Bloß nicht allzu lange darüber nachdenken. »Gut zu wissen, dass wir diesbezüglich dieselben Ansichten vertreten«, antwortete sie leichthin und zwang sich zu einem Grinsen, obwohl ihr eigentlich nicht der Sinn danach stand.
Nun, da der Abschied nahte, war Erin nicht bloß verlegen, sie bedauerte es auch mehr, als sie erwartet hatte. Tja, das hatte sie jetzt davon, dass sie sich auf einen One-Night-Stand mit einem Kerl eingelassen hatte, für den sie schon als blutjunges Schulmädchen eine Schwäche gehabt hatte.
»War ja nur ein One-Night-Stand. Du musst also nicht befürchten, dass es noch einmal vorkommt«, fügte sie so schnippisch wie nur irgend möglich hinzu.
»Jammerschade«, murmelte er, und Erin hob erstaunt den Kopf.
»Und genau deshalb muss es auch bei einem One- Night-Stand bleiben«, fuhr er fort, so leise, als wäre es nicht für ihre Ohren bestimmt.
»Was soll das denn heißen?«, fragte Erin, die Rätsel und geheimnisvolle Andeutungen hasste.
»Weil du real bist, meine Liebe, in einer Welt, in der nichts und niemand so ist, wie es scheint, und das macht dich gefährlich.«
»Klingt ja alles äußerst mysteriös«, spöttelte sie und überlegte gerade, ob sie ihn bitten sollte, sich umzudrehen, während sie sich anzog, da warf er die Decke beiseite und stieg aus dem Bett. Im Adamskostüm.
In ihrem Kopf herrschte plötzlich Leere. Sie versuchte zu schlucken und musste husten. Bis der Anfall vorbei war, hatte sie erneut eine hochrote Birne.
Cole ging wortlos zur Kommode, öffnete eine Schublade und reichte Erin eine Jogginghose und ein ausgewaschenes T-Shirt. »Hier, das ist bequemer und weniger auffällig.«
Sie schluckte. »Danke.«
»Das Bad ist da drüben.« Er deutete auf die offene Tür in der Ecke. »Nimm dir ein Handtuch aus der Schublade und lass dir ruhig Zeit«, sagte er und schlurfte gelassen zur Kochnische seines kleinen Apartments. Den Mann brachte so schnell nichts aus der Ruhe.
Erin schüttelte den Kopf und verbannte alle Gedanken an ihn aus ihrem Gehirn. Konzentration!, ermahnte sie sich. Jetzt hieß es duschen, anziehen und gehen.
Alles andere - Gefühle wie Überlegungen - musste warten, bis sie allein war. Erst dann würde sie wie immer die Ereignisse Revue passieren lassen und den Vorfall in der hintersten Ecke ihres Gedächtnisses abspeichern. Und nur noch in langen, einsamen Nächten daran denken, in denen sie mit ihrem Vibrator allein war. Denn tief in ihrem Inneren war ihr klar, dass Cole - seiner reservierten, griesgrämigen Art heute Morgen zum Trotz - die Latte unerreichbar hoch gelegt hatte für alle Männer, die nach ihm kamen.
Dabei hatte Erin auch vorher schon ziemlich hohe Ansprüche an das starke Geschlecht gehabt.
Drei Monate später
Wenn diese Verhandlung nicht bald zu Ende war, würde Erin demnächst vor dem Richter, der Jury und allen anderen Anwesenden im Gerichtssaal in Ohnmacht fallen oder sich alternativ auf ihre brandneuen Schuhe erbrechen. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Richter White, dessen weißer Haarschopf seinem Namen alle Ehre machte, zog die Anweisungen für die Geschworenen in ermüdender Ausführlichkeit in die Länge. Die letzten zwanzig Minuten kamen der völlig erschöpften Erin, der obendrein fürchterlich übel war, vor wie eine halbe Ewigkeit. Als sie endlich den heiß ersehnten Schlag des Hammers vernahm, der für den heutigen Tag das Ende der Verhandlung signalisierte, ließ sie den Kopf unsanft auf die Tischplatte sinken.
»Keine Sorge, ich habe alles notiert, was der Richter gesagt hat. Es war nichts dabei, was wir nicht vorausgesehen hätten oder wogegen ich Einwände erhoben hätte«, versicherte ihr ihre Kollegin Trina Lewis.
»Danke«, murmelte Erin.
»Komm, wir gehen. Sollen wir noch einen Abstecher auf die Toilette machen?«
Erin zwang sich, den Kopf zu heben. »Ja. Bitte.«
Trina hatte Erins Sachen bereits eingesammelt und in ihre Tasche gepackt. Gemeinsam verließen sie den Gerichtssaal, der zu Erins großer Erleichterung schon fast leer war, sie musste sich also mit niemandem mehr unterhalten.
»Ähm, kann ich kurz mit dir reden, Erin?«, fragte Trina, als sie die Damentoilette betraten.
»Natürlich.«
Trina arbeitete seit zwei Jahren bei der Staatsanwaltschaft und war mittlerweile eine gute Freundin von Erin. Sie waren ungefähr im selben Alter und die einzigen Frauen dort, weshalb es zwischen ihnen weder berufliche Machtkämpfe noch Eitelkeiten gab, im Gegenteil - sie waren einander eine Zuflucht vor dem Machogehabe ihrer Kollegen. Gemeinsam mit Macy Donovan gingen die beiden oft ins Kino oder zu Joe's, oder sie verbrachten einen gemütlichen Mädelsabend zu Hause. Früher war außerdem Alexa Collins häufig mit von der Partie gewesen, die mittlerweile jedoch leider nach Texas gezogen war.
Trina spähte kurz unter alle Türen, um sicherzugehen, dass sie allein waren. Sie waren vorsichtig geworden, seit Lyle Gordon, ein fauler Mistkerl und der Strafverteidiger im aktuellen Fall, seiner Anwaltsassistentin befohlen hatte, sich auf der Damentoilette zu postieren und ihm hinterher alles zu berichten, was für seinen Fall von Nutzen war.
»Die Luft ist rein«, stellte Trina fest.
»Worum geht's denn?« Erin drehte den Wasserhahn auf und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser.
»Um deine Darmgrippe. Sie verdient allmählich einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde als längste Darmgrippe aller Zeiten, findest du nicht?« Trina zupfte ein Papierhandtuch aus dem Spender und reichte es Erin.
»Es ist doch schon besser geworden«, schwindelte diese.
»Nein, ist es nicht. Seit Wochen geht das jetzt bereits so.«
Erin erhob keinen Widerspruch. Sie hatte zunächst auf eine Lebensmittelvergiftung getippt, war mittlerweile aber zu dem Schluss gekommen, dass ihre Beschwerden auf eine besonders hartnäckige Viruserkrankung zurückzuführen war.
»In all der Zeit, die ich dich kenne, bist du noch nie so oft morgens zu spät gekommen und abends früher nach Hause gegangen wie in den vergangenen Wochen. «
Erin schnaubte. »Wir kennen uns gerade mal zwei Jahre.« Aber sogar Evan Carmichael, ihr Boss, hatte bereits angefangen, Fragen zu stellen und seine Besorgnis um ihren Gesundheitszustand zum Ausdruck gebracht, dabei kreiste er sonst ausschließlich um sich selbst.
»Wie auch immer, jedenfalls war ich in der Mittagspause, während du in der Cafeteria deinen Tee getrunken hast, in der Apotheke, und habe dir das hier besorgt. « Sie hielt eine braune Papiertüte in die Höhe.
Erin hob eine Augenbraue und nahm die Tüte mit spitzen Fingern entgegen.
»Was ist da drin?« Sie spähte hinein, ohne die Antwort abzuwarten. »Ein Schwangerschaftstest?«, stieß sie entsetzt hervor und hielt sich sogleich die Hand vor den Mund.
Okay, sie hatte schon eine ganze Weile nicht mehr ihre Tage gehabt, was sie allerdings auf die Tatsache zurückgeführt hatte, dass sie so unter Stress stand. An eine Schwangerschaft zu denken, wäre ihr nie in den Sinn gekommen.
»So abwegig ist das nun auch wieder nicht«, sagte Trina.
»Soll das ein Witz sein? Wir ackern seit über einem Monat rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zuletzt meinen batteriebetriebenen Freund benutzt habe, von einem Körperkontakt mit einem Mann aus Fleisch und Blut ganz zu schweigen.«
»Du lügst«, stellte Trina fest.
Erin errötete. Sie wussten beide ganz genau, wann sie zum letzten Mal mit einem Mann geschlafen hatte. Und sie erinnerte sich haarklein an jeden Zentimeter von Coles muskulösem Körper, an jedes Detail der gemeinsamen Nacht.
Ja, sie hatten mehrmals miteinander geschlafen, aber sie hatten jedes Mal verhütet. Außerdem, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihr Leben von Grund auf veränderte, nur weil sie ein einziges Mal über ihren Schatten gesprungen war? Das würde ihr das Schicksal nicht antun, nachdem sie all die Jahre ein anständiges Mädchen gewesen war. Oder etwa doch?
Jetzt bereute Erin es, dass sie ihre zwei engsten Freundinnen eingeweiht hatte, denn eine von ihnen stand nun neben ihr und hielt ihr diese dämliche Schachtel unter die Nase, die jede Frau der Welt sogleich als Schwangerschaftstest identifizieren konnte.
»Nun nimm schon«, befahl Trina.
»Ich kann unmöglich schwanger sein.« Allein bei der Vorstellung drehte sich Erin der Magen um, und jede Zelle ihres Körpers protestierte unüberhörbar.
»Gut, dann beweis mir das Gegenteil, und ich schleppe dich zum Arzt, damit er herausfindet, wieso dir seit fast vier Wochen permanent übel ist.« Trina fixierte sie mit einem Blick, bei dem jeder potentielle Angeklagte bibbernd »Ich will zu meiner Mami« geflennt hätte.
»Okay.« Erin nahm die Schachtel und verzog sich in eine Kabine. Ihre Hände zitterten dermaßen, dass sie kaum in der Lage war, die Anleitung zu lesen, geschweige denn ihr zu folgen. Dennoch wartete sie mit Trina ein paar Minuten später auf das Ergebnis.
Während sich der Minutenzeiger der Uhr unendlich langsam weiterbewegte, herrschte gespannte Stille, und Erins Gedanken wanderten unwillkürlich zu Cole. Seit der gemeinsamen Nacht ging er ihr aus dem Weg.
Wenn sie sich im Cuppa Café begegneten, nickte er ihr lediglich kurz zu und suchte dann das Weite.
Neulich bei Joe's hatte sie sich dann aus einem unerklärlichen Impuls heraus ein Herz gefasst und ihn angesprochen. Sie hatte sowohl ihr flaues Gefühl als auch die Schmetterlinge ignoriert, die sie im Bauch hatte, sobald er in der Nähe war und ihr sein maskuliner Geruch in die Nase stieg. Da er wie sie an der Bar gestanden und darauf gewartet hatte, bedient zu werden, war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich mit ihr zu unterhalten. Sie hatte ihn sogar ein, zwei Mal zum Lachen gebracht, was in ihr die absurde Hoffnung geweckt hatte, dass ... Ja, was? Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, und das war auch ganz gut so, denn Cole hatte sich, sobald er sein Bier in der Hand hielt, mit dem üblichen knappen Nicken verabschiedet und war verschwunden. Er hatte ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass eine gemeinsame Nacht sie noch lange nicht zu Freunden machte.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie konnte nicht leugnen, dass seine Gleichgültigkeit sie kränkte. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn er Serendipity verlassen hätte, damit sie nicht ständig an ihren einzigen Fehltritt erinnert wurde.
Sie durfte nicht schwanger sein, schon gar nicht von ihm. Ein schlimmeres Horrorszenario konnte sie sich wirklich nicht vorstellen. Allein bei dem Gedanken daran drehte sich ihr der Magen um.
»Ding!« Trinas übertrieben fröhliche Stimme riss sie aus ihren unerfreulichen Gedanken.
Erin schauderte und schlang die Arme um sich. »Sieh du nach.«
Trina streckte ihr die Hand hin, und Erin ergriff sie, dankbar für die Unterstützung ihrer Freundin. Sie hielt den Atem an, und ihr Herz pochte so heftig, dass sie sicher war, man müsse es weithin hören können. Es war schwer zu sagen, ob der Kloß in ihrer Kehle von ihrer Panik herrührte oder von der Übelkeit.
»Und?«, fragte sie, als sie die Stille und die Anspannung nicht mehr aushielt.
»Er ist positiv«, flüsterte Trina. Ihr vorgetäuschter Optimismus war verflogen.
Jetzt konnte Erin den Brechreiz nicht mehr unterdrücken. Sie gab einen Laut von sich, der ihr selbst fremd war und hastete in die nächstbeste Kabine.
Kapitel 2
Als Cole erwachte, schien die Sonne in seine kleine Wohnung über Joe's Bar. Er begann den Tag mit einer Bestandsaufnahme seiner Gedanken und Gefühle, wie er es seit seinem letzten Auftrag stets tat, und stellte fest: Alles wie gehabt.
Also duschte er, zog sich an und begab sich ins Cuppa Café, das sich gleich um die Ecke befand und Joes Schwester Trisha gehörte. Dort holte sich Cole jeden Morgen seinen dringend benötigten Kaffee und tat, als würde er nicht bemerken, dass die Leute einen großen Bogen um ihn machten. Zugegeben, nicht alle - die charmante Trisha hatte, genau wie ihr Bruder, der Barbesitzer, jederzeit ein Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Gäste. Schon mehrfach hatte sie Cole in ein Gespräch verwickelt und versucht, in Erfahrung zu bringen, wo er sich im vergangenen Jahr herumgetrieben hatte oder warum er sich so lange nicht mehr hatte blicken lassen. Ihre Bemühungen hatten nichts gefruchtet, und mittlerweile hatte sie es aufgegeben und wollte ihn stattdessen zu einem Date mit einer ihrer Freundinnen überreden. Sie meinte es bestimmt gut, stieß bei Cole damit aber auf taube Ohren.
Normalerweise unternahm er nach Beendigung einer Mission mit einem seiner Kollegen eine Reise oder erholte sich in den Bergen von Montana, wo einer der anderen Agenten eine Hütte hatte, doch diesmal hatte er beschlossen, mal wieder einen Heimaturlaub einzulegen.
Er war eine Ewigkeit nicht mehr in Serendipity gewesen, und er hatte Sehnsucht nach der Stadt gehabt, in der er aufgewachsen war, wenngleich er das nur widerstrebend zugegeben hätte. Wobei sich diese Sehnsucht beileibe nicht auf alle Bewohner erstreckte.
Da war er also wieder, in seiner guten alten Heimatstadt, in der es einige Leute gab, die er mochte, während er auf andere gut und gern hätte verzichten können. Aber der nächste Auftrag würde bestimmt nicht allzu lange auf sich warten lassen. Cole liebte seine Arbeit als Undercover Cop, liebte es, dem Abschaum dieser Welt das Handwerk zu legen, wenngleich sein Vater überzeugt war, dass Cole keinen Deut besser war als die Männer, die der hinter Gitter brachte.
Sie waren eben sehr verschieden, und daran würde sich auch nichts mehr ändern. Es lag nicht nur an Coles Berufswahl, dass Jed Sanders enttäuscht von seinem Sohn war und kein gutes Haar an ihm ließ. Cole hatte sich längst daran gewöhnt, dass sein Vater eine schlechte Meinung von ihm hatte, aber die ständigen Sticheleien seines alten Herrn nervten ihn trotzdem. Genau deshalb war er so selten in Serendipity.
Hm. Wenn ihm Jeds Meinung so viel Kopfzerbrechen bereitete, hatte ihm seine letzte Mission wohl doch mehr zugesetzt als zunächst angenommen.
Sein Handy klingelte, und er ging sofort ran. Es war sein Cousin Nick Mancini.
»Tut mir leid, aber heute wird nicht gearbeitet, weil der Brandschutzgutachter kommt.«
Seit seiner Rückkehr war Cole seinem Cousin gelegentlich bei diversen Bauvorhaben und Renovierungsarbeiten zur Hand gegangen. Er fand es sehr beruhigend zu wissen, dass er sich auf diese Weise immer ein paar Kröten verdienen konnte, wenn er mal auf dem Trockenen saß. Schon früher hatte er gelegentlich in der Firma von Nicks Vater ausgeholfen, teils, um Jed aus dem Weg zu gehen, aber auch, um finanziell unabhängig zu sein. Er hätte wohl noch mehr ackern sollen, statt ständig Ärger zu machen, aber die Vergangenheit konnte man nun einmal nicht ändern. Und im Endeffekt hatten seine diversen Eskapaden im Grunde doch noch etwas Gutes gehabt, denn sie hatten schließlich dazu geführt, dass seine Mutter mit ihm aus Serendipity weggezogen war. Was ihm sein Vater übrigens heute noch übel nahm.
»Kein Problem«, sagte Cole. »Kannst du mich für eines der anderen Projekte brauchen?«
Nick schwieg, und Cole konnte sich schon denken, weshalb. Sein Cousin hatte bereits erwähnt, dass es Leute gab, die Cole nicht im Haus oder auf ihrer Baustelle haben wollten. Schlimm genug, wenn man ihm Diebstahl ganz allgemein zutraute, aber ihm zu unterstellen, er würde Freunde und frühere Nachbarn beklauen? Herrgott noch mal! Andererseits war es kein Wunder, dass man ihm misstraute, denn er musste sich, bedingt durch seine Arbeit, bedeckt halten und konnte nicht viel tun oder sagen, um die Bedenken der Leute zu zerstreuen. Also musste er wohl oder übel mit den Konsequenzen leben.
»Mach dir deswegen keine Gedanken«, beruhigte er seinen Cousin. »Ruf einfach an, wenn du mich brauchen kannst.«
»Meine Mutter hat erwähnt, dass es an Onkel Jeds Haus einiges zu tun gäbe«, sagte Nick. »Wenn du willst, kümmere ich mich am Wochenende darum.« Er war stets hilfsbereit und zur Stelle, wenn Not am Mann war, genau wie seine Mutter Gloria. Diese hatte ihrer Schwester, Coles Mutter, unter die Arme gegriffen, als sie es am dringendsten benötigt hatte. Sie hatte ihr Geld geliehen, damit sie Jed verlassen konnte, und Cole rechnete es seiner Tante bis heute hoch an.
»Lass mal«, winkte er ab. Er wusste das Angebot zu schätzen, fand es aber nicht angebracht, Nick seine Aufgaben zu überlassen. »Kümmere dich lieber um deine hübsche Ehefrau«, fuhr er fort. Er hatte aus beruflichen Gründen nicht dabei sein können, als Nick vor ein paar Monaten endlich seine Kate geheiratet hatte. Das war einer der wenigen Momente gewesen, in denen Cole seine Arbeit zum Teufel gewünscht hatte.
Denn im Allgemeinen gab es für ihn nichts anderes als seine Arbeit. Sie definierte ihn. Er hatte kein echtes Leben. Freunde, Alltagsrituale, Routine oder regelmäßige Freizeitaktivitäten, all das war ihm fremd. Er hatte seine Aufträge und dazwischen jeweils eine kurze Pause, bevor er wieder untertauchte.
»Ich tu's gern«, versicherte ihm Nick. »Und im Gegensatz zu dir muss ich mich von Jed nicht ständig beleidigen lassen.«
»Danke, aber solange ich in Serendipity bin, komme ich meinen Pflichten als Sohn selbst nach«, sagte Cole.
Nick schnaubte hörbar. »Warum willst du dich grundlos seinen Tiraden aussetzen?«
»Weil er mein Vater ist. Ich werde nicht zulassen, dass ihm andere ihre Zeit opfern. Aber danke.«
»Wie du meinst.« Nick räusperte sich. »Komm doch am Wochenende zu uns rüber, wenn du Lust hast.«
»Mal sehen.« Das war Coles Standardantwort, und sie wussten beide, dass er einen Besuch bei Nick und Kate nicht ernsthaft in Erwägung zog. Nick lud ihn trotzdem immer wieder ein.
Er verabschiedete sich, schnappte sich seinen Becher und verließ das Café. So gern er seinen Cousin mochte, Coles Familiensinn war nicht sehr ausgeprägt. Was »Familie« bedeutete, hatte er eigentlich erst erfahren, als seine Mutter schließlich Brody Williams geheiratet hatte, und da war Cole schon fast siebzehn gewesen, selbstständig und unabhängig. Er hatte sich selbst genügt und sich angewöhnt, nicht nach etwas zu streben, das er nicht haben konnte. Diese Einstellung hatte sich auch in seinem Arbeitsumfeld bewährt, und er sah keinen Grund, etwas daran zu ändern.
Als er auf den Bürgersteig trat, überquerten gerade zwei Frauen die Hauptstraße, von denen er die eine im ersten Moment für Erin hielt. Doch sie war es nicht. Seine Wahrnehmung hatte ihm beim Anblick der rotbraunen Haare einen Streich gespielt. Kein Wunder, schließlich musste er ständig an Erin denken.
Als sie sich nach dem One-Night-Stand zum ersten Mal über den Weg gelaufen waren, hatte er sich ihr gegenüber reserviert, ja, geradezu feindselig verhalten, um ihr zu signalisieren, dass sie sich das freundliche Winken und das fröhliche Lächeln sparen konnte. Ja, die Nacht mit ihr war bislang das einzig Gute, das ihm seit seiner Rückkehr nach Serendipity widerfahren war, aber er wusste, er musste jeden weiteren Kontakt zu ihr unterbinden, so schwer es ihm auch fiel. Sie auf Abstand zu halten war besser, als ihr den Eindruck zu vermitteln, dass es womöglich irgendwann ein Wir geben könnte. Denn Erin war eine Frau, die sich all das wünschte, was zum Leben in einer Kleinstadt dazugehörte. Genau das verdiente sie auch, doch Cole konnte es ihr nicht bieten.
Bei der Ladie's Night in Joe's Bar vor ein paar Tagen hatte sie sich dann mit geröteten Wangen und einem aufgeräumten Lächeln zu ihm gesellt, und er hatte sich gezwungen, ein bisschen höflichen Smalltalk mit ihr zu betreiben. Der Duft ihres Parfüms hatte sogleich Erinnerungen an ihre erotische gemeinsame Nacht geweckt, nach der er noch wochenlang jede Nacht mit einem Dauerständer wachgelegen und sich nach Erin gesehnt hatte, bis sich ihr Geruch endlich so weit aus seinem Bett und seiner Wohnung verflüchtigt hatte, dass er wieder in Ruhe hatte schlafen können.
Während er auf sein Bier gewartet hatte, war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich mit ihr zu unterhalten. Sie hatte ihm eine Hand auf den Arm gelegt, und bei der Berührung hatte er unwillkürlich daran denken müssen, wie sich ihre geschickten Finger um diverse andere Körperstellen geschmiegt hatten.
Erin hatte sichtlich gekränkt gewirkt, als Cole Reißaus genommen hatte und in seine Wohnung geflüchtet war, sobald ihm Joe seinen Drink über die Bar gereicht hatte. Wahrscheinlich hielt sie ihn für ein arrogantes Aas. So war er sich nach dieser Aktion jedenfalls vorgekommen. Dabei wollte er ihr bloß den Ärger ersparen, den sie sich unweigerlich einbrocken würde, wenn man sie mit Cole Sanders in Verbindung brachte.
Ja, das anständige Mädchen mit der weichen, weißen Haut reizte ihn. Erin hatte ihn völlig überrumpelt mit ihrem Sex-Appeal, ganz zu schweigen von ihrem hellen Lachen, das seine dunkle, erkaltete Seele wärmte.
»Schluss damit«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen und stieg in seinen alten Mustang, um sich auf den Weg zu seinem Vater zu machen.
Gott steh ihm bei.
Er war gespannt, in welcher Gemütsverfassung er seinen alten Herrn heute antreffen würde.
Nachdem Cole und seine Mutter aus Serendipity weggezogen waren, hatten sich seine Eltern scheiden lassen, ein Umstand, für den in Jeds Augen sein Sohn verantwortlich war. Jed war allein geblieben und verbittert, während Coles Mutter in Brody Williams schließlich einen guten zweiten Ehemann gefunden hatte.
Bis vor kurzem hatte sich Cole von seinem Vater wohlweislich ferngehalten, doch Jed wurde nun einmal nicht jünger, und solange Cole in der Stadt war, würde er tun, was er konnte, um seinem alten Herrn zu helfen, ob es diesem nun passte oder nicht.
Er parkte vor dem Haus, in dem er aufgewachsen war, und betrachtete es mit kritischem Blick. Das lose Brett an der Verandatreppe war noch das geringste Problem. Die Farbe blätterte allenthalben ab, die Fenster gehörten dringend geputzt, und wenn man das Dach nicht noch vor dem Winter reparierte, würde es wohl demnächst reinregnen.
Nun, Cole würde sich vorläufig auf die kleineren Reparaturen konzentrieren, und falls die Stimmung einigermaßen friedlich war, würde er versuchen, seinen Vater davon zu überzeugen, dass es klüger wäre, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Eine, die etwas kleiner und einfacher sauber zu halten war, vorzugsweise in einem Wohnblock mit Hausmeister. Als Cole ihm diesen Vorschlag vor einer Weile zum ersten Mal unterbreitet hatte, wäre ihm sein Vater beinahe an die Gurgel gegangen.
Sobald er um die Ecke bog, sah er zu seiner Verwunderung einen sportlichen royalblauen Jeep vor der Garage stehen. Er wusste, wem das Auto gehörte: Erin.
Cole fluchte verhalten. Er hatte weiß Gott alles getan, um ihr aus dem Weg zu gehen, hatte sich sogar bemüht, nicht einmal an sie zu denken, doch wie es aussah, würde er sich ihr nun wohl oder übel stellen müssen.
Erin deponierte einen der beiden Aufläufe, die ihre Mutter Ella für Jed Sanders gemacht hatte, in der Tiefkühltruhe und den anderen im Kühlschrank. Jed hatte sich den Arm gebrochen, und weil er jahrelang der Stellvertreter von Erins Vater Simon Marsden, dem ehemaligen Polizeichef von Serendipity gewesen war und für Erins Eltern quasi zur Familie gehörte, hatte Ella für Jed allerlei vorgekocht, ehe sie mit Simon zu einer einmonatigen Rundreise durch Alaska aufgebrochen war. Sie hatte Erin gebeten, dafür zu sorgen, dass Jed immer etwas zu essen vorrätig hatte, solange sie weg waren.
Gestandenen Männern wie Jed Sanders oder Simon Marsden waren körperliche Beeinträchtigungen aufgrund von Alter oder Krankheit erfahrungsgemäß ein Graus. Bei Simon war im Vorjahr ein bösartiger Tumor des Lymphsystems entdeckt worden, und nach seiner Heilung hatte er den Job an den Nagel gehängt, um die Jahre, die ihm noch blieben, mit Ella gebührend genießen zu können. Jed hatte hohen Blutdruck und bereits einen Herzinfarkt hinter sich, und wegen seines eingegipsten Armes war er zurzeit noch griesgrämiger als sonst. Trotzdem machte es Erin nichts aus, sich um ihn zu kümmern, schließlich war er seit ihrer Kindheit eine feste Institution in ihrem Elternhaus und auf dem Polizeirevier gewesen.
Deshalb hatte sie gerne eingewilligt, ihn mit Essen zu versorgen; doch seit sie wusste, dass sie von Cole schwanger war, fühlte sie sich hier äußerst unwohl.
Sie drehte sich zu Jed um und sagte: »Also, du schaltest den Backofen auf 180 Grad ein und stellst den Auflauf etwa eine halbe Stunde rein. Du kannst dir aber auch einzelne Portionen in der Mikrowelle wärmen.« Sie schloss die Kühlschranktür. »Noch Fragen?«
»Nein. Ich weiß es zu schätzen, Erin, aber ich hätte mir genauso gut was vom Family Restaurant kommen lassen können.«
Jed saß am Küchentisch und trank seinen Frühstückskaffee. Den eingegipsten Arm hatte er auf dem Tisch abgelegt.
»Du weißt genau, dass Mom das niemals zulassen würde. Schließlich muss jemand darauf achten, dass du dich salzarm ernährst.«
»Ich nehme blutdrucksenkende Tabletten, da kann ich doch essen, was ich will«, brummte Jed. Er hatte die Stirn in Falten gelegt, was seinem guten Aussehen jedoch keinen Abbruch tat.
Er hatte volles, silbergraues Haar, und seine klar geschnittenen, maskulinen Gesichtszüge erinnerten Erin sehr an Cole.
Sie schüttelte den Kopf, ließ sich aber auf keine Diskussionen ein. »Darüber reden wir ein andermal. Ich muss ins Büro.«
»Macht er dir etwa das Leben schwer?«, ließ sich in diesem Augenblick eine Männerstimme hinter ihr vernehmen.
Erin fuhr herum. »Cole! Wo kommst du denn plötzlich her?« Ihr Herz raste, als sie ihm so plötzlich gegenüberstand.
»Durch den Hintereingang.«
»Dieser Nichtsnutz hat noch immer einen Schlüssel«, knurrte Jed. »Was zum Teufel willst du hier?«, fuhr er Cole an.
Erin krümmte sich innerlich. Sie konnte nicht fassen, wie aggressiv sich Jed seinem Sohn gegenüber verhielt. Es war gute zwanzig Jahre her, seit sie den rauen Umgangston, der zwischen den beiden herrschte, zuletzt erlebt hatte. Cole war ein ziemlicher Wildfang gewesen. Er hatte früh angefangen, Alkohol zu trinken, hatte Ärger gemacht und war in der Schule des Öfteren vom Unterricht ausgeschlossen worden. Irgendwann hatten ihre Eltern sogar erzählt, Jed habe Cole damit gedroht, ihn auf eine Militärschule zu schicken, aber sie hatte angenommen, die beiden hätten das Kriegsbeil längst begraben.
Cole ignorierte die Worte seines Vaters. »Auch dir einen schönen guten Morgen, Dad.« Er war fast eins achtzig groß, und die Küche wirkte kleiner, als er näher trat.
Er lehnte sich an die Anrichte. »Was treibst du denn hier?«, fragte er Erin. Der aufmerksame Blick seiner wunderschönen tintenblauen Augen ruhte auf ihr.
»Mom hat mich gebeten, Jed mit Essen zu versorgen, während sie mit Dad durch Alaska tingelt.« Und nun, da sie ihre Pflicht getan hatte, sollte sie schleunigst das Weite suchen. Sie schnappte sich ihre Tasche und den Autoschlüssel, der daneben lag. »Ich muss los.«
»Lass dich von dem da nicht vertreiben«, sagte Jed.
Cole ließ sie nicht aus den Augen, und Erin schluckte und versuchte, ihr Unbehagen zu verbergen.
Sie hatte schon besser ausgesehen. Die Sorge wegen ihrer ungeplanten Schwangerschaft raubte ihr den Schlaf und die Übelkeit, die sie zu den unmöglichsten Zeiten überfiel, tat ein Übriges. Sie war hin- und hergerissen, hätte sich gern Rat geholt, wusste jedoch nicht, an wen sie sich wenden sollte. Wenn der- oder diejenige sich verplapperte, erfuhren womöglich ihre Eltern oder ihre Brüder davon, oder - schlimmer noch - Cole. Erin war also alles andere als in Topform, und sie wollte nicht, dass Cole Verdacht schöpfte. Die Vorstellung, dass sie früher oder später mit der Wahrheit würde herausrücken müssen, war schon schlimm genug. Sie unterdrückte den Impuls, sich nervös durch die Haare zu fahren und umklammerte stattdessen den Schlüsselbund etwas fester. »Tu ich nicht. Meine Arbeit wartet.«
»Jetzt ergreifen sogar schon die Frauen die Flucht vor dir«, sagte Jed verächtlich zu Cole. Es schwang kein Fünkchen Humor in seinen Worten mit.
Oh Gott, nun lass endlich gut sein, dachte Erin. Sie hätte schrecklich gern interveniert, wusste aber, dass keiner der beiden Streithähne es zu schätzen gewusst hätte, wenn sie sich einmischte. Also begnügte sie sich damit, Jed einen strafenden Blick zuzuwerfen, um ihm unmissverständlich klarzumachen, was sie von seinen Kommentaren hielt. Wenn er seinen Sohn schon unbedingt abkanzeln musste, dann sollte er es gefälligst ohne Zuhörer tun.
Es entging ihr nicht, dass Cole die Schultern straffte und tat, als würden die Worte seines Vaters an ihm abprallen. Doch sosehr er sich gegen Jeds Angriffe rüstete, sie trafen ihn trotzdem, wie an seiner angespannten Miene unschwer zu erkennen war. Und seine geröteten Wangen verrieten deutlich, dass ihm die Szene genauso peinlich war wie Erin.
Höchste Zeit, einen Abgang zu machen, ehe die Sache noch mehr aus dem Ruder lief. Erin verabschiedete sich von den beiden und suchte hastig das Weite.
»Das hast du ja toll hingekriegt«, stellte Jed zynisch fest, sobald Erin gegangen war. »Sie konnte gar nicht schnell genug abhauen.«
Cole schüttelte den Kopf. »Das hast du dir schon selbst zuzuschreiben, Dad.« Er war an die Beleidigungen seines Vaters gewöhnt und sogar stolz darauf, dass es ihm meist gelang, sie einfach zu überhören, doch es war offensichtlich gewesen, dass sich Erin äußerst unwohl in ihrer Haut gefühlt hatte.
»Von wegen. Sie hatte es erst eilig, nachdem du hier aufgekreuzt bist.«
Cole ballte die Fäuste. »Nun hör schon auf damit. Wo ist die Liste der Dinge, die repariert werden müssen? «
»Ach, hat dein Cousin etwa endlich eingesehen, dass er einen Taugenichts wie dich nicht auf die Häuser respektabler Kunden loslassen kann?«
Erin war zwar inzwischen fort, aber Cole hatte trotzdem nicht vor, auf die Provokationen seines Vaters einzusteigen. Wortlos marschierte er aus der Küche, um den Werkzeugkoffer aus seinem Wagen zu holen.
Als er nach draußen trat, bemerkte er überrascht, dass Erins Auto noch in der Einfahrt stand.
Der Motor lief zwar, doch Erin saß einfach nur da, die Stirn ans Lenkrad gelehnt. Hm. Cole hatte beileibe nicht die Absicht, sich in ihre Privatangelegenheiten einzumischen, aber er musste zumindest versuchen herauszufinden, was mit ihr los war.
Er klopfte an die Scheibe.
Erin fuhr erschrocken zusammen, dann ließ sie das Fenster hinunter.
Cole bückte sich zu ihr runter. »Alles okay?«, fragte er und musterte sie prüfend. Sie wirkte blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen, die ihm vorhin gar nicht aufgefallen waren.
»Mir war bloß etwas ... schwindlig, aber jetzt geht es wieder.« Mit zitternden Fingern strich sie sich die Haare aus dem Gesicht.
Sie war rot angelaufen, und in ihren Augen spiegelte sich ein Ausdruck, der fast schon an Panik grenzte. Cole runzelte die Stirn.
»Ich muss los.« Sie machte Anstalten, sich anzuschnallen, aber noch ehe sie den ersten Gang einlegen konnte, hatte Cole die Fahrertür geöffnet.
»Vergiss es.«
»He, was soll das?«, fragte sie mit erhobener Stimme.
»Wann hast du zuletzt etwas gegessen?«
Sie wich seinem Blick aus.
»Lass es mich anders formulieren. Hast du heute schon gefrühstückt?«
Sie sah ihn noch immer nicht an, konnte aber auch die Autotür nicht schließen, weil er ihr im Weg stand. Wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden den längeren Atem hat, dachte Cole. Seine Sturheit war unübertroffen.
»Nein«, sagte sie schließlich.
»Darf ich fragen, warum?«
»Darf ich fragen, was dich das angeht?«, konterte sie.
Cole musste unwillkürlich grinsen. Was für eine Schlagfertigkeit, selbst in körperlich geschwächtem Zustand! »Weil ich nicht vorhabe, dich einfach losfahren zu lassen, solange dir schwindlig ist. Wir gehen jetzt wieder da rein, und ich mache dir etwas zu essen. «
»Das ist sehr liebenswürdig, aber nein danke. Ich habe einen Müsliriegel dabei.« Sie kramte in ihrer Tasche und hielt schließlich triumphierend einen eingeschweißten Riegel in die Höhe. »Voilà.«
Er nickte. »Okay, und warum hast du den nicht schon vorher gegessen?«
»Weil ich vorhin so ein flaues Gefühl im Magen hatte. Hör zu, ich muss los, ich komme zu spät ins Büro.«
»Erst isst du deinen Riegel, sonst wirst du womöglich unterwegs ohnmächtig und kommst von der Straße ab.«
Erin verdrehte die Augen, riss jedoch artig die Verpackung auf und nahm einen Bissen. Cole verfolgte, wie sie kaute, schaffte es nicht, den Blick abzuwenden, obwohl er spürte, dass er sie damit irritierte.
»Du siehst müde aus. Schläfst du auch genug?«
Sie verschluckte sich fast an ihrem Riegel. »Was soll das werden, die spanische Inquisition?«
Er hatte keine Ahnung. Er wusste nur, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, und er machte sich Sorgen. Ja, das war untypisch für ihn, zumal ihm das Debakel mit Vincent Maronis Frau Victoria noch in den Knochen steckte.
Er verdrängte die Erinnerungen an seine letzte Mission und konzentrierte sich wieder auf Erin, die sich soeben den letzten Bissen in den Mund schob, dann eine Flasche Wasser aus ihrer Tasche zutage förderte und ein paar kräftige Schlucke daraus nahm. »So, jetzt geht es mir schon viel besser.«
Das war garantiert gelogen, und Cole hatte nach wie vor ein ungutes Gefühl bei der Sache, aber nun musste er sie wohl oder übel ziehen lassen. »Gut. Und du bist wirklich fit genug, um Auto zu fahren?«
»Ja. Danke.« Sie nickte und musterte ihn so eingehend, als wollte sie seine Gedanken lesen. Tja, allzu viel Lesestoff gab es da nicht.
»Na dann ... pass auf dich auf.« Er klopfte mit der flachen Hand auf das Autodach.
»Du auch.« Sie zögerte. »Ähm, und achte gar nicht auf das, was dein Vater sagt. Er ist bloß mies gelaunt, weil er sich den Arm gebrochen hat.«
»Von wegen. Er hat dieselbe schlechte Meinung von mir wie eh und je.« Kaum war es heraus, hätte sich Cole am liebsten auf die Zunge gebissen. Er brauchte ihr Mitleid nicht.
Doch ihre schmalen Augen und ihr angespanntes Gesicht verrieten nicht Mitleid, sondern Wut. »Und das total zu Unrecht.«
Sie verteidigte Jed nicht. Sie war auf seiner Seite.
Cole spürte, wie ihm warm ums Herz wurde, doch er verdrängte das angenehme Gefühl sogleich. Er war nicht auf ihre Unterstützung angewiesen, und er wollte auch nicht, dass sie ihn mochte. Er würde ihr nur schaden. Ihr und ihrem Ruf als anständiges Mädchen.
»Ich dachte, du hast es eilig«, knurrte er bloß und ignorierte den Anflug von Enttäuschung, der über ihr Gesicht huschte.
Es war nur in ihrem eigenen Interesse, wenn er sie auf Abstand hielt, aber irgendwie fühlte es sich trotzdem nicht so an, als hätte er ihr einen Gefallen getan.
Nachdem er kurze Zeit später ein loses Brett an der Veranda festgenagelt hatte, nahm er sich eine Schublade in der Küche vor, die nicht mehr ordentlich schließen wollte. Danach hatte er vorerst die Nase voll und beschloss, seinem ehemaligen Kumpel Mike Mars- den, dem neuen Polizeichef der Stadt, einen Besuch abzustatten. Mike war ebenfalls als Undercover-Agent tätig gewesen, wenn auch in weit weniger intensivem Maße als Cole, aber er wusste zumindest, wie in diesem Berufszweig der Hase lief; und Cole hatte nach dem unerfreulichen Vormittag mit seinem Vater das Bedürfnis, sich mit jemandem auszutauschen. Bislang hatte er die Begegnung mit Mike aufgeschoben, denn dieser hatte Coles wilde Jugendjahre live miterlebt, genau wie Jed. Aber wenn er längere Zeit in dieser Stadt leben wollte, musste er irgendwann anfangen, unter die Leute zu gehen. Allmählich hing ihm das Alleinsein nämlich zum Hals raus. Er brauchte soziale Kontakte - und zwar mehr als bloß einen Plausch mit einem von Nicks Bauarbeitern dann und wann. Cole war gespannt, wie der Empfang auf dem Revier ausfallen würde. Er brauchte dringend einen Realitätscheck, und wenn er ganz ehrlich sein sollte, brauchte er außerdem einen Freund. Auch wenn dieser Freund ein Bruder von Erin Marsden war.
Mist, Mist, Mist! Erin hätte sich am liebsten mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen - allein, sie ließ es bleiben, weil ihr auch so bereits der Schädel dröhnte.
Tief durchatmen, ermahnte sie sich und bemühte sich verzweifelt, zu ignorieren, dass der Müsliriegel, den sie eben gegessen hatte, drohte, wieder hochzukommen.
Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, sich vorhin in der Einfahrt von Jed Sanders derart gehen zu lassen, nur weil ihr ein bisschen übel war? Immerhin, Cole schien ihre Ausrede von wegen »nichts gefrühstückt« gefressen zu haben. Sie musste ihm von ihrer Schwangerschaft erzählen, selbst wenn es ihr noch so sehr widerstrebte und sie keine Ahnung hatte, wie sie es am geschicktesten anstellen sollte. Sie stöhnte.
Da heute Vormittag keine Besprechungen in ihrem Terminkalender standen, beschloss sie, einen kleinen Zwischenstopp beim Family Restaurant einzulegen, das sich am Stadtrand befand, und ihrer Freundin Macy Donovan einen Besuch abzustatten. Sie musste sich einen Schlachtplan zurechtlegen. Nichts gegen Trina, aber Macy kannte sie eben schon viel länger.
Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und betrachtete das alte Gebäude. Macy und ihre Geschwister hatten mehrfach versucht, ihren Vater zu einigen Veränderungen am Interieur und an der Speisekarte zu überreden, doch bislang hatte er sich gegen jede Art der Modernisierung gesträubt. Trotzdem war das Restaurant eine feste Einrichtung in Serendipity, in die es über kurz oder lang jeden verschlug, sei es wegen des Essens, wegen der Gesellschaft oder wegen beidem.
Heute war es allerdings in erster Linie Macys Vernunft und Bodenständigkeit, deretwegen Erin hier einkehrte. Sie trat ein, setzte sich auf einen Hocker an der Bar und winkte ihrer Freundin, um auf sich aufmerksam zu machen. Macy geleitete ein älteres Paar an einen Tisch und gesellte sich dann zu ihr.
»Hallo, Erin! Lange nicht gesehen. Wie geht's, wie steht's?«, erkundigte sich Macy und klopfte mit den langen, leuchtend pink lackierten Fingernägeln, klappernd auf den Tresen.
»Also, wenn ich ehrlich sein soll ...« Erin hatte weder Zeit noch Lust, lange um den heißen Brei herumzureden.
»Natürlich. Was ist los?« Macy betrachtete sie prüfend. »Hätte ich mir ja eigentlich denken können, dass irgendetwas im Busch ist, nachdem du dich eine ganze Weile nicht gemeldet hast.«
Erin nickte und beugte sich über den Tresen. »Es muss aber unbedingt unter uns bleiben, okay?« Das fehlte ihr gerade noch, dass demnächst womöglich allerlei Gerüchte über sie und Cole kursierten.
Macy nickte mit ernster Miene. »Großes Indianerehrenwort «, sagte sie und hob eine Hand zum Schwur.
© 2014 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
Schon bei dem Gedanken daran schwindelte ihr, und eine leichte Übelkeit stieg in ihr hoch, als sie im Geiste noch einmal die verschiedenen Stationen auf dem Weg durchging, der sie hierher geführt hatte. Gestern hatte alles begonnen, auf der Hochzeit ihres Bruders Mike, wo sie sich inmitten von Familienangehörigen und Freunden ihres Single-Daseins nur zu bewusst gewesen war. Lauter glückliche, verliebte Paare, soweit das Auge reichte. Irgendwann hatte sie sich abgesetzt, aber da sie keine Lust gehabt hatte, schon nach Hause zu gehen, hatte sie unterwegs noch einen Abstecher in Joe's Bar gemacht. Fehler Nummer eins. Dort hatte sie mit einem alten Freund getanzt und zugelassen, dass Cole Sanders abklatschte. Fehler Nummer zwei. Sie kannte Cole von früher und erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sie sich eines Nachts mit sechzehn geküsst hatten, bevor er tags darauf die Stadt für lange Zeit verlassen hatte.
Beim Tanzen hatte er sie an seinen stahlharten Körper gedrückt, und der schwermütige Blick seiner dunkelblauen Augen hatte ihr schier das Herz zerrissen. Dann - Fehler Nummer drei - hatte sie sich eingestanden, dass es heftig zwischen ihnen knisterte, ein Umstand, den sie, seit er wieder in der Stadt war, beide tunlichst ignoriert hatten. Und zu guter Letzt war sie aufs Ganze gegangen und ihm bereitwillig nach oben in sein Apartment über der Bar gefolgt, wo sie sich die ganze Nacht miteinander vergnügt hatten.
Und, oh Gott, der Sex mit Cole war fantastisch gewesen. Einfach phänomenal. Wer hätte gedacht, dass es dabei derart heiß hergehen konnte? Am liebsten hätte sich Erin wie eine zufrieden schnurrende Katze gestreckt, doch sie ließ es bleiben, um den leise schnarchenden Mann neben sich nicht zu wecken.
Obwohl Jed Sanders ein guter Freund ihrer Eltern war, wusste sie kaum etwas über Cole, genau wie die anderen Bewohner von Serendipity, einschließlich ihres Bruders Mike, der früher einer seiner besten Kumpels gewesen war. Coles Vater Jed war bis vor einem Jahr der stellvertretende Polizeichef von Serendipity gewesen, sprach allerdings nie von seinem Sohn. Laut Mike war Cole einige Tage vor dem Abschluss aus der Polizeiakademie ausgetreten. Was er danach getrieben hatte, wusste niemand so genau, aber die Gerüchteküche in ihrer kleinen Stadt brodelte heftig. Mal wurde gemunkelt, Cole stehe in Manhattan mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung, mal hieß es, er sei der Anführer eines Drogen- und Prostitutionsrings. Erin konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass er derart auf die schiefe Bahn geraten war, schließlich kannte sie ihn gewissermaßen seit der Kindheit. Wobei sie zugegebenermaßen nicht allzu viel mit dem aufmüpfigen Teenager zu tun gehabt hatte, der sich regelmäßig mit seinem strengen Vater angelegt und sich nie um Regeln geschert hatte.
Trotzdem glaubte sie nach wie vor, dass Cole ein anständiger Bursche war, selbst wenn das etwas naiv sein mochte.
Wie dem auch sei, jetzt galt es erst einmal, sich möglichst unbemerkt vom Acker zu machen. Leider war Erin weitgehend unbeleckt, was das Verhalten am »Morgen danach« anging. Ihre bisherigen Affären waren eher beschaulich bis eintönig gewesen und allesamt auf dieselbe Art und Weise zu Ende gegangen, nämlich mit einem höflichen »Es liegt nicht an dir, sondern an mir« von ihrer Seite. In die Verlegenheit, sich aus der Wohnung eines Mannes schleichen zu müssen, war sie bislang noch nie gekommen.
Noch einmal betrachtete sie Coles breite Schultern, die sich mit jedem Atemzug hoben und senkten und schauderte erneut beim Anblick seiner tätowierten Arme, deren Muskeln wie von harter körperlicher Arbeit gestählt wirkten.
Tief durchatmen, Erin.
Sie zwang sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Habseligkeiten waren im gesamten Zimmer verstreut, und ganz nebenbei bemerkt war ein Brautjung- fernkleid wohl eher hinderlich, wenn man sich unauffällig aus dem Haus schleichen wollte. Mit einem letzten Blick auf den Mann, der in der vergangenen Nacht buchstäblich die Erde hatte beben lassen, glitt Erin unter der warmen Decke hervor und machte sich auf die Suche nach ihrem Kleid. Ah, da lag es ja. Just als sie sich bückte und die Hand danach ausstreckte, ertönte hinter ihr Coles tiefe Stimme.
»Hätte nicht gedacht, dass du zu der Sorte Frau gehörst, die sich sang- und klanglos aus dem Staub macht«, stellte er ungeniert fest. Sein Tonfall war lässig- verschlafen.
Erin wäre am liebsten im Boden versunken. Warum musste er ausgerechnet jetzt aufwachen, wo sie ihm den nackten Allerwertesten hinstreckte? Sie hob hastig das Kleid vom Boden auf und wirbelte herum, wobei sie sich bemühte, ihren Körper züchtig zu verdecken, denn inzwischen war sie wieder ganz das anständige Mädchen, das sie noch vor vierundzwanzig Stunden gewesen war.
»Ich kenne bereits jeden Zentimeter von dir in- und auswendig«, erinnerte Cole sie, ohne den verschlafenen Blick von ihr abzuwenden.
Erin wurde rot und beschloss, diesen Kommentar einfach zu übergehen und sich stattdessen auf seine erste Bemerkung zu konzentrieren. »Für welche Sorte Frau hast du mich denn gehalten?«
Er richtete sich auf und rutschte nach oben bis zum Kopfteil des Bettes. Mit seinen zerstrubbelten schwarzen Haaren wirkte er so unwiderstehlich attraktiv, dass sie sich am liebsten gleich wieder zu ihm gesellt hätte. Was jedoch aus mehreren Gründen völlig ausgeschlossen war: Erstens war ein One-Night-Stand schon per definitionem vorbei, sobald der Morgen graute, zweitens hatte Cole sie zu ihrer großen Enttäuschung mit keinem Wort dazu aufgefordert, und drittens war ihr Auftritt als unanständiges Mädchen ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Heute Morgen, ohne Alkohol im Blut, hatte die brave Erin wieder die Oberhand gewonnen, und mit ihr die Schamhaftigkeit. Leider.
Cole lehnte sich zurück, die Finger hinter dem Kopf verschränkt, und betrachtete sie eingehend. Die Decke war ihm bis unter den Nabel gerutscht, und Erin musste sich sehr zusammenreißen, um nicht auf seinen flachen Bauch und die Wölbung unter der Decke zu starren.
»Jedenfalls nicht für die Sorte ›verklemmter Feigling‹, nach deinem forschen Verhalten gestern Abend.« Er hob eine Augenbraue.
Lächelte der Mann eigentlich nie? »Und ich hätte nicht gedacht, dass du zu dem Typ Mann gehörst, der am Morgen nach einem One-Night-Stand noch gern ausgiebig plaudert.«
Sie fragte sich, warum er sie nicht einfach hatte gehen lassen, selbst wenn er bereits wach gewesen war. Damit wäre ihnen diese peinliche Unterhaltung erspart geblieben. Andererseits wäre sie vermutlich früher oder später ohnehin fällig gewesen. So gesehen konnten sie es genauso gut gleich hinter sich bringen.
»Du findest also, ich war forsch«, zitierte sie ihn und straffte die Schultern ein wenig.
Im Job war Erin knallhart - das musste sie sein, um ihrem Chef Kontra geben und sich gegen die Strafverteidiger und deren Klienten durchsetzen zu können. Aber dass sie im Umgang mit Männern forsch war, das hörte sie jetzt zum ersten Mal, und sie fasste es beinahe als Kompliment auf.
»Okay, ich habe die Bar mit dir zusammen verlassen, dazu gehörte in der Tat eine ordentliche Portion Courage «, räumte sie mit einem Anflug von Stolz ein.
Cole musterte sie, ohne eine Miene zu verziehen, aber sie hätte schwören können, dass seine Augen amüsiert aufblitzten, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.
»Mit ›forsch‹ meinte ich eigentlich dein Verhalten im Bett.«
Es klang durchaus anerkennend, sodass Erins Herz unwillkürlich schneller schlug. Sie errötete, murmelte »Danke« und hätte sich im selben Moment am liebsten geohrfeigt. Hatte sie das wirklich gerade gesagt?
Cole schenkte ihr ein sexy Lächeln, das sie nie mehr vergessen würde. »Aber um zum Anfang unserer Unterhaltung zurückzukommen: Nein, ich hatte nicht erwartet, dass du dich einfach hinausschleichst. Bereust du die Nacht mit mir etwa bereits?«, fragte er, wobei die Frage sie mehr erstaunte als sein angriffslustiger Tonfall.
Sie schüttelte ohne zu zögern den Kopf. »Überhaupt nicht.« Es stimmte sie traurig, dass er so von ihr dachte, aber es überraschte sie nicht. Die Bürger der Stadt hatten ihn nicht gerade mit offenen Armen empfangen, und wenn sie von den Ereignissen der vergangenen Nacht erfuhren, würden sie sich bestimmt fragen, ob Erin den Verstand verloren hatte. Sollten ihre Brüder je dahinterkommen ... Nicht auszudenken! Doch Reue verspürte sie bislang keine, und daran würde sich wohl auch in absehbarer Zeit nichts ändern. Außerdem wollte sie Cole auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, dass es ihr peinlich war, mit ihm geschlafen zu haben.
»Du überraschst mich«, gab er zu, während er sie aufmerksam betrachtete. »Und ich hatte gedacht, es gibt nichts mehr auf dieser Welt, das mich noch überraschen kann.«
Es klang, als hätte er in seinem Leben schon zu viel gesehen und erlebt. Erin hätte gern nachgehakt und bei Bedarf ein paar tröstende Worte gesagt, doch ehe sie den Gedanken weiter verfolgen oder ihn gar in die Tat umsetzen konnte, sprach Cole weiter.
»Aber dein Bauchgefühl trügt nicht, was mich angeht: Es ist mir tatsächlich lieber, wenn sich der Morgen danach nicht unnötig in die Länge zieht.«
Enttäuschung machte sich in ihrem Herzen breit, und das fand Erin höchst bedenklich. Bloß nicht allzu lange darüber nachdenken. »Gut zu wissen, dass wir diesbezüglich dieselben Ansichten vertreten«, antwortete sie leichthin und zwang sich zu einem Grinsen, obwohl ihr eigentlich nicht der Sinn danach stand.
Nun, da der Abschied nahte, war Erin nicht bloß verlegen, sie bedauerte es auch mehr, als sie erwartet hatte. Tja, das hatte sie jetzt davon, dass sie sich auf einen One-Night-Stand mit einem Kerl eingelassen hatte, für den sie schon als blutjunges Schulmädchen eine Schwäche gehabt hatte.
»War ja nur ein One-Night-Stand. Du musst also nicht befürchten, dass es noch einmal vorkommt«, fügte sie so schnippisch wie nur irgend möglich hinzu.
»Jammerschade«, murmelte er, und Erin hob erstaunt den Kopf.
»Und genau deshalb muss es auch bei einem One- Night-Stand bleiben«, fuhr er fort, so leise, als wäre es nicht für ihre Ohren bestimmt.
»Was soll das denn heißen?«, fragte Erin, die Rätsel und geheimnisvolle Andeutungen hasste.
»Weil du real bist, meine Liebe, in einer Welt, in der nichts und niemand so ist, wie es scheint, und das macht dich gefährlich.«
»Klingt ja alles äußerst mysteriös«, spöttelte sie und überlegte gerade, ob sie ihn bitten sollte, sich umzudrehen, während sie sich anzog, da warf er die Decke beiseite und stieg aus dem Bett. Im Adamskostüm.
In ihrem Kopf herrschte plötzlich Leere. Sie versuchte zu schlucken und musste husten. Bis der Anfall vorbei war, hatte sie erneut eine hochrote Birne.
Cole ging wortlos zur Kommode, öffnete eine Schublade und reichte Erin eine Jogginghose und ein ausgewaschenes T-Shirt. »Hier, das ist bequemer und weniger auffällig.«
Sie schluckte. »Danke.«
»Das Bad ist da drüben.« Er deutete auf die offene Tür in der Ecke. »Nimm dir ein Handtuch aus der Schublade und lass dir ruhig Zeit«, sagte er und schlurfte gelassen zur Kochnische seines kleinen Apartments. Den Mann brachte so schnell nichts aus der Ruhe.
Erin schüttelte den Kopf und verbannte alle Gedanken an ihn aus ihrem Gehirn. Konzentration!, ermahnte sie sich. Jetzt hieß es duschen, anziehen und gehen.
Alles andere - Gefühle wie Überlegungen - musste warten, bis sie allein war. Erst dann würde sie wie immer die Ereignisse Revue passieren lassen und den Vorfall in der hintersten Ecke ihres Gedächtnisses abspeichern. Und nur noch in langen, einsamen Nächten daran denken, in denen sie mit ihrem Vibrator allein war. Denn tief in ihrem Inneren war ihr klar, dass Cole - seiner reservierten, griesgrämigen Art heute Morgen zum Trotz - die Latte unerreichbar hoch gelegt hatte für alle Männer, die nach ihm kamen.
Dabei hatte Erin auch vorher schon ziemlich hohe Ansprüche an das starke Geschlecht gehabt.
Drei Monate später
Wenn diese Verhandlung nicht bald zu Ende war, würde Erin demnächst vor dem Richter, der Jury und allen anderen Anwesenden im Gerichtssaal in Ohnmacht fallen oder sich alternativ auf ihre brandneuen Schuhe erbrechen. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Richter White, dessen weißer Haarschopf seinem Namen alle Ehre machte, zog die Anweisungen für die Geschworenen in ermüdender Ausführlichkeit in die Länge. Die letzten zwanzig Minuten kamen der völlig erschöpften Erin, der obendrein fürchterlich übel war, vor wie eine halbe Ewigkeit. Als sie endlich den heiß ersehnten Schlag des Hammers vernahm, der für den heutigen Tag das Ende der Verhandlung signalisierte, ließ sie den Kopf unsanft auf die Tischplatte sinken.
»Keine Sorge, ich habe alles notiert, was der Richter gesagt hat. Es war nichts dabei, was wir nicht vorausgesehen hätten oder wogegen ich Einwände erhoben hätte«, versicherte ihr ihre Kollegin Trina Lewis.
»Danke«, murmelte Erin.
»Komm, wir gehen. Sollen wir noch einen Abstecher auf die Toilette machen?«
Erin zwang sich, den Kopf zu heben. »Ja. Bitte.«
Trina hatte Erins Sachen bereits eingesammelt und in ihre Tasche gepackt. Gemeinsam verließen sie den Gerichtssaal, der zu Erins großer Erleichterung schon fast leer war, sie musste sich also mit niemandem mehr unterhalten.
»Ähm, kann ich kurz mit dir reden, Erin?«, fragte Trina, als sie die Damentoilette betraten.
»Natürlich.«
Trina arbeitete seit zwei Jahren bei der Staatsanwaltschaft und war mittlerweile eine gute Freundin von Erin. Sie waren ungefähr im selben Alter und die einzigen Frauen dort, weshalb es zwischen ihnen weder berufliche Machtkämpfe noch Eitelkeiten gab, im Gegenteil - sie waren einander eine Zuflucht vor dem Machogehabe ihrer Kollegen. Gemeinsam mit Macy Donovan gingen die beiden oft ins Kino oder zu Joe's, oder sie verbrachten einen gemütlichen Mädelsabend zu Hause. Früher war außerdem Alexa Collins häufig mit von der Partie gewesen, die mittlerweile jedoch leider nach Texas gezogen war.
Trina spähte kurz unter alle Türen, um sicherzugehen, dass sie allein waren. Sie waren vorsichtig geworden, seit Lyle Gordon, ein fauler Mistkerl und der Strafverteidiger im aktuellen Fall, seiner Anwaltsassistentin befohlen hatte, sich auf der Damentoilette zu postieren und ihm hinterher alles zu berichten, was für seinen Fall von Nutzen war.
»Die Luft ist rein«, stellte Trina fest.
»Worum geht's denn?« Erin drehte den Wasserhahn auf und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser.
»Um deine Darmgrippe. Sie verdient allmählich einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde als längste Darmgrippe aller Zeiten, findest du nicht?« Trina zupfte ein Papierhandtuch aus dem Spender und reichte es Erin.
»Es ist doch schon besser geworden«, schwindelte diese.
»Nein, ist es nicht. Seit Wochen geht das jetzt bereits so.«
Erin erhob keinen Widerspruch. Sie hatte zunächst auf eine Lebensmittelvergiftung getippt, war mittlerweile aber zu dem Schluss gekommen, dass ihre Beschwerden auf eine besonders hartnäckige Viruserkrankung zurückzuführen war.
»In all der Zeit, die ich dich kenne, bist du noch nie so oft morgens zu spät gekommen und abends früher nach Hause gegangen wie in den vergangenen Wochen. «
Erin schnaubte. »Wir kennen uns gerade mal zwei Jahre.« Aber sogar Evan Carmichael, ihr Boss, hatte bereits angefangen, Fragen zu stellen und seine Besorgnis um ihren Gesundheitszustand zum Ausdruck gebracht, dabei kreiste er sonst ausschließlich um sich selbst.
»Wie auch immer, jedenfalls war ich in der Mittagspause, während du in der Cafeteria deinen Tee getrunken hast, in der Apotheke, und habe dir das hier besorgt. « Sie hielt eine braune Papiertüte in die Höhe.
Erin hob eine Augenbraue und nahm die Tüte mit spitzen Fingern entgegen.
»Was ist da drin?« Sie spähte hinein, ohne die Antwort abzuwarten. »Ein Schwangerschaftstest?«, stieß sie entsetzt hervor und hielt sich sogleich die Hand vor den Mund.
Okay, sie hatte schon eine ganze Weile nicht mehr ihre Tage gehabt, was sie allerdings auf die Tatsache zurückgeführt hatte, dass sie so unter Stress stand. An eine Schwangerschaft zu denken, wäre ihr nie in den Sinn gekommen.
»So abwegig ist das nun auch wieder nicht«, sagte Trina.
»Soll das ein Witz sein? Wir ackern seit über einem Monat rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zuletzt meinen batteriebetriebenen Freund benutzt habe, von einem Körperkontakt mit einem Mann aus Fleisch und Blut ganz zu schweigen.«
»Du lügst«, stellte Trina fest.
Erin errötete. Sie wussten beide ganz genau, wann sie zum letzten Mal mit einem Mann geschlafen hatte. Und sie erinnerte sich haarklein an jeden Zentimeter von Coles muskulösem Körper, an jedes Detail der gemeinsamen Nacht.
Ja, sie hatten mehrmals miteinander geschlafen, aber sie hatten jedes Mal verhütet. Außerdem, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihr Leben von Grund auf veränderte, nur weil sie ein einziges Mal über ihren Schatten gesprungen war? Das würde ihr das Schicksal nicht antun, nachdem sie all die Jahre ein anständiges Mädchen gewesen war. Oder etwa doch?
Jetzt bereute Erin es, dass sie ihre zwei engsten Freundinnen eingeweiht hatte, denn eine von ihnen stand nun neben ihr und hielt ihr diese dämliche Schachtel unter die Nase, die jede Frau der Welt sogleich als Schwangerschaftstest identifizieren konnte.
»Nun nimm schon«, befahl Trina.
»Ich kann unmöglich schwanger sein.« Allein bei der Vorstellung drehte sich Erin der Magen um, und jede Zelle ihres Körpers protestierte unüberhörbar.
»Gut, dann beweis mir das Gegenteil, und ich schleppe dich zum Arzt, damit er herausfindet, wieso dir seit fast vier Wochen permanent übel ist.« Trina fixierte sie mit einem Blick, bei dem jeder potentielle Angeklagte bibbernd »Ich will zu meiner Mami« geflennt hätte.
»Okay.« Erin nahm die Schachtel und verzog sich in eine Kabine. Ihre Hände zitterten dermaßen, dass sie kaum in der Lage war, die Anleitung zu lesen, geschweige denn ihr zu folgen. Dennoch wartete sie mit Trina ein paar Minuten später auf das Ergebnis.
Während sich der Minutenzeiger der Uhr unendlich langsam weiterbewegte, herrschte gespannte Stille, und Erins Gedanken wanderten unwillkürlich zu Cole. Seit der gemeinsamen Nacht ging er ihr aus dem Weg.
Wenn sie sich im Cuppa Café begegneten, nickte er ihr lediglich kurz zu und suchte dann das Weite.
Neulich bei Joe's hatte sie sich dann aus einem unerklärlichen Impuls heraus ein Herz gefasst und ihn angesprochen. Sie hatte sowohl ihr flaues Gefühl als auch die Schmetterlinge ignoriert, die sie im Bauch hatte, sobald er in der Nähe war und ihr sein maskuliner Geruch in die Nase stieg. Da er wie sie an der Bar gestanden und darauf gewartet hatte, bedient zu werden, war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich mit ihr zu unterhalten. Sie hatte ihn sogar ein, zwei Mal zum Lachen gebracht, was in ihr die absurde Hoffnung geweckt hatte, dass ... Ja, was? Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, und das war auch ganz gut so, denn Cole hatte sich, sobald er sein Bier in der Hand hielt, mit dem üblichen knappen Nicken verabschiedet und war verschwunden. Er hatte ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass eine gemeinsame Nacht sie noch lange nicht zu Freunden machte.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie konnte nicht leugnen, dass seine Gleichgültigkeit sie kränkte. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn er Serendipity verlassen hätte, damit sie nicht ständig an ihren einzigen Fehltritt erinnert wurde.
Sie durfte nicht schwanger sein, schon gar nicht von ihm. Ein schlimmeres Horrorszenario konnte sie sich wirklich nicht vorstellen. Allein bei dem Gedanken daran drehte sich ihr der Magen um.
»Ding!« Trinas übertrieben fröhliche Stimme riss sie aus ihren unerfreulichen Gedanken.
Erin schauderte und schlang die Arme um sich. »Sieh du nach.«
Trina streckte ihr die Hand hin, und Erin ergriff sie, dankbar für die Unterstützung ihrer Freundin. Sie hielt den Atem an, und ihr Herz pochte so heftig, dass sie sicher war, man müsse es weithin hören können. Es war schwer zu sagen, ob der Kloß in ihrer Kehle von ihrer Panik herrührte oder von der Übelkeit.
»Und?«, fragte sie, als sie die Stille und die Anspannung nicht mehr aushielt.
»Er ist positiv«, flüsterte Trina. Ihr vorgetäuschter Optimismus war verflogen.
Jetzt konnte Erin den Brechreiz nicht mehr unterdrücken. Sie gab einen Laut von sich, der ihr selbst fremd war und hastete in die nächstbeste Kabine.
Kapitel 2
Als Cole erwachte, schien die Sonne in seine kleine Wohnung über Joe's Bar. Er begann den Tag mit einer Bestandsaufnahme seiner Gedanken und Gefühle, wie er es seit seinem letzten Auftrag stets tat, und stellte fest: Alles wie gehabt.
Also duschte er, zog sich an und begab sich ins Cuppa Café, das sich gleich um die Ecke befand und Joes Schwester Trisha gehörte. Dort holte sich Cole jeden Morgen seinen dringend benötigten Kaffee und tat, als würde er nicht bemerken, dass die Leute einen großen Bogen um ihn machten. Zugegeben, nicht alle - die charmante Trisha hatte, genau wie ihr Bruder, der Barbesitzer, jederzeit ein Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Gäste. Schon mehrfach hatte sie Cole in ein Gespräch verwickelt und versucht, in Erfahrung zu bringen, wo er sich im vergangenen Jahr herumgetrieben hatte oder warum er sich so lange nicht mehr hatte blicken lassen. Ihre Bemühungen hatten nichts gefruchtet, und mittlerweile hatte sie es aufgegeben und wollte ihn stattdessen zu einem Date mit einer ihrer Freundinnen überreden. Sie meinte es bestimmt gut, stieß bei Cole damit aber auf taube Ohren.
Normalerweise unternahm er nach Beendigung einer Mission mit einem seiner Kollegen eine Reise oder erholte sich in den Bergen von Montana, wo einer der anderen Agenten eine Hütte hatte, doch diesmal hatte er beschlossen, mal wieder einen Heimaturlaub einzulegen.
Er war eine Ewigkeit nicht mehr in Serendipity gewesen, und er hatte Sehnsucht nach der Stadt gehabt, in der er aufgewachsen war, wenngleich er das nur widerstrebend zugegeben hätte. Wobei sich diese Sehnsucht beileibe nicht auf alle Bewohner erstreckte.
Da war er also wieder, in seiner guten alten Heimatstadt, in der es einige Leute gab, die er mochte, während er auf andere gut und gern hätte verzichten können. Aber der nächste Auftrag würde bestimmt nicht allzu lange auf sich warten lassen. Cole liebte seine Arbeit als Undercover Cop, liebte es, dem Abschaum dieser Welt das Handwerk zu legen, wenngleich sein Vater überzeugt war, dass Cole keinen Deut besser war als die Männer, die der hinter Gitter brachte.
Sie waren eben sehr verschieden, und daran würde sich auch nichts mehr ändern. Es lag nicht nur an Coles Berufswahl, dass Jed Sanders enttäuscht von seinem Sohn war und kein gutes Haar an ihm ließ. Cole hatte sich längst daran gewöhnt, dass sein Vater eine schlechte Meinung von ihm hatte, aber die ständigen Sticheleien seines alten Herrn nervten ihn trotzdem. Genau deshalb war er so selten in Serendipity.
Hm. Wenn ihm Jeds Meinung so viel Kopfzerbrechen bereitete, hatte ihm seine letzte Mission wohl doch mehr zugesetzt als zunächst angenommen.
Sein Handy klingelte, und er ging sofort ran. Es war sein Cousin Nick Mancini.
»Tut mir leid, aber heute wird nicht gearbeitet, weil der Brandschutzgutachter kommt.«
Seit seiner Rückkehr war Cole seinem Cousin gelegentlich bei diversen Bauvorhaben und Renovierungsarbeiten zur Hand gegangen. Er fand es sehr beruhigend zu wissen, dass er sich auf diese Weise immer ein paar Kröten verdienen konnte, wenn er mal auf dem Trockenen saß. Schon früher hatte er gelegentlich in der Firma von Nicks Vater ausgeholfen, teils, um Jed aus dem Weg zu gehen, aber auch, um finanziell unabhängig zu sein. Er hätte wohl noch mehr ackern sollen, statt ständig Ärger zu machen, aber die Vergangenheit konnte man nun einmal nicht ändern. Und im Endeffekt hatten seine diversen Eskapaden im Grunde doch noch etwas Gutes gehabt, denn sie hatten schließlich dazu geführt, dass seine Mutter mit ihm aus Serendipity weggezogen war. Was ihm sein Vater übrigens heute noch übel nahm.
»Kein Problem«, sagte Cole. »Kannst du mich für eines der anderen Projekte brauchen?«
Nick schwieg, und Cole konnte sich schon denken, weshalb. Sein Cousin hatte bereits erwähnt, dass es Leute gab, die Cole nicht im Haus oder auf ihrer Baustelle haben wollten. Schlimm genug, wenn man ihm Diebstahl ganz allgemein zutraute, aber ihm zu unterstellen, er würde Freunde und frühere Nachbarn beklauen? Herrgott noch mal! Andererseits war es kein Wunder, dass man ihm misstraute, denn er musste sich, bedingt durch seine Arbeit, bedeckt halten und konnte nicht viel tun oder sagen, um die Bedenken der Leute zu zerstreuen. Also musste er wohl oder übel mit den Konsequenzen leben.
»Mach dir deswegen keine Gedanken«, beruhigte er seinen Cousin. »Ruf einfach an, wenn du mich brauchen kannst.«
»Meine Mutter hat erwähnt, dass es an Onkel Jeds Haus einiges zu tun gäbe«, sagte Nick. »Wenn du willst, kümmere ich mich am Wochenende darum.« Er war stets hilfsbereit und zur Stelle, wenn Not am Mann war, genau wie seine Mutter Gloria. Diese hatte ihrer Schwester, Coles Mutter, unter die Arme gegriffen, als sie es am dringendsten benötigt hatte. Sie hatte ihr Geld geliehen, damit sie Jed verlassen konnte, und Cole rechnete es seiner Tante bis heute hoch an.
»Lass mal«, winkte er ab. Er wusste das Angebot zu schätzen, fand es aber nicht angebracht, Nick seine Aufgaben zu überlassen. »Kümmere dich lieber um deine hübsche Ehefrau«, fuhr er fort. Er hatte aus beruflichen Gründen nicht dabei sein können, als Nick vor ein paar Monaten endlich seine Kate geheiratet hatte. Das war einer der wenigen Momente gewesen, in denen Cole seine Arbeit zum Teufel gewünscht hatte.
Denn im Allgemeinen gab es für ihn nichts anderes als seine Arbeit. Sie definierte ihn. Er hatte kein echtes Leben. Freunde, Alltagsrituale, Routine oder regelmäßige Freizeitaktivitäten, all das war ihm fremd. Er hatte seine Aufträge und dazwischen jeweils eine kurze Pause, bevor er wieder untertauchte.
»Ich tu's gern«, versicherte ihm Nick. »Und im Gegensatz zu dir muss ich mich von Jed nicht ständig beleidigen lassen.«
»Danke, aber solange ich in Serendipity bin, komme ich meinen Pflichten als Sohn selbst nach«, sagte Cole.
Nick schnaubte hörbar. »Warum willst du dich grundlos seinen Tiraden aussetzen?«
»Weil er mein Vater ist. Ich werde nicht zulassen, dass ihm andere ihre Zeit opfern. Aber danke.«
»Wie du meinst.« Nick räusperte sich. »Komm doch am Wochenende zu uns rüber, wenn du Lust hast.«
»Mal sehen.« Das war Coles Standardantwort, und sie wussten beide, dass er einen Besuch bei Nick und Kate nicht ernsthaft in Erwägung zog. Nick lud ihn trotzdem immer wieder ein.
Er verabschiedete sich, schnappte sich seinen Becher und verließ das Café. So gern er seinen Cousin mochte, Coles Familiensinn war nicht sehr ausgeprägt. Was »Familie« bedeutete, hatte er eigentlich erst erfahren, als seine Mutter schließlich Brody Williams geheiratet hatte, und da war Cole schon fast siebzehn gewesen, selbstständig und unabhängig. Er hatte sich selbst genügt und sich angewöhnt, nicht nach etwas zu streben, das er nicht haben konnte. Diese Einstellung hatte sich auch in seinem Arbeitsumfeld bewährt, und er sah keinen Grund, etwas daran zu ändern.
Als er auf den Bürgersteig trat, überquerten gerade zwei Frauen die Hauptstraße, von denen er die eine im ersten Moment für Erin hielt. Doch sie war es nicht. Seine Wahrnehmung hatte ihm beim Anblick der rotbraunen Haare einen Streich gespielt. Kein Wunder, schließlich musste er ständig an Erin denken.
Als sie sich nach dem One-Night-Stand zum ersten Mal über den Weg gelaufen waren, hatte er sich ihr gegenüber reserviert, ja, geradezu feindselig verhalten, um ihr zu signalisieren, dass sie sich das freundliche Winken und das fröhliche Lächeln sparen konnte. Ja, die Nacht mit ihr war bislang das einzig Gute, das ihm seit seiner Rückkehr nach Serendipity widerfahren war, aber er wusste, er musste jeden weiteren Kontakt zu ihr unterbinden, so schwer es ihm auch fiel. Sie auf Abstand zu halten war besser, als ihr den Eindruck zu vermitteln, dass es womöglich irgendwann ein Wir geben könnte. Denn Erin war eine Frau, die sich all das wünschte, was zum Leben in einer Kleinstadt dazugehörte. Genau das verdiente sie auch, doch Cole konnte es ihr nicht bieten.
Bei der Ladie's Night in Joe's Bar vor ein paar Tagen hatte sie sich dann mit geröteten Wangen und einem aufgeräumten Lächeln zu ihm gesellt, und er hatte sich gezwungen, ein bisschen höflichen Smalltalk mit ihr zu betreiben. Der Duft ihres Parfüms hatte sogleich Erinnerungen an ihre erotische gemeinsame Nacht geweckt, nach der er noch wochenlang jede Nacht mit einem Dauerständer wachgelegen und sich nach Erin gesehnt hatte, bis sich ihr Geruch endlich so weit aus seinem Bett und seiner Wohnung verflüchtigt hatte, dass er wieder in Ruhe hatte schlafen können.
Während er auf sein Bier gewartet hatte, war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich mit ihr zu unterhalten. Sie hatte ihm eine Hand auf den Arm gelegt, und bei der Berührung hatte er unwillkürlich daran denken müssen, wie sich ihre geschickten Finger um diverse andere Körperstellen geschmiegt hatten.
Erin hatte sichtlich gekränkt gewirkt, als Cole Reißaus genommen hatte und in seine Wohnung geflüchtet war, sobald ihm Joe seinen Drink über die Bar gereicht hatte. Wahrscheinlich hielt sie ihn für ein arrogantes Aas. So war er sich nach dieser Aktion jedenfalls vorgekommen. Dabei wollte er ihr bloß den Ärger ersparen, den sie sich unweigerlich einbrocken würde, wenn man sie mit Cole Sanders in Verbindung brachte.
Ja, das anständige Mädchen mit der weichen, weißen Haut reizte ihn. Erin hatte ihn völlig überrumpelt mit ihrem Sex-Appeal, ganz zu schweigen von ihrem hellen Lachen, das seine dunkle, erkaltete Seele wärmte.
»Schluss damit«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen und stieg in seinen alten Mustang, um sich auf den Weg zu seinem Vater zu machen.
Gott steh ihm bei.
Er war gespannt, in welcher Gemütsverfassung er seinen alten Herrn heute antreffen würde.
Nachdem Cole und seine Mutter aus Serendipity weggezogen waren, hatten sich seine Eltern scheiden lassen, ein Umstand, für den in Jeds Augen sein Sohn verantwortlich war. Jed war allein geblieben und verbittert, während Coles Mutter in Brody Williams schließlich einen guten zweiten Ehemann gefunden hatte.
Bis vor kurzem hatte sich Cole von seinem Vater wohlweislich ferngehalten, doch Jed wurde nun einmal nicht jünger, und solange Cole in der Stadt war, würde er tun, was er konnte, um seinem alten Herrn zu helfen, ob es diesem nun passte oder nicht.
Er parkte vor dem Haus, in dem er aufgewachsen war, und betrachtete es mit kritischem Blick. Das lose Brett an der Verandatreppe war noch das geringste Problem. Die Farbe blätterte allenthalben ab, die Fenster gehörten dringend geputzt, und wenn man das Dach nicht noch vor dem Winter reparierte, würde es wohl demnächst reinregnen.
Nun, Cole würde sich vorläufig auf die kleineren Reparaturen konzentrieren, und falls die Stimmung einigermaßen friedlich war, würde er versuchen, seinen Vater davon zu überzeugen, dass es klüger wäre, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Eine, die etwas kleiner und einfacher sauber zu halten war, vorzugsweise in einem Wohnblock mit Hausmeister. Als Cole ihm diesen Vorschlag vor einer Weile zum ersten Mal unterbreitet hatte, wäre ihm sein Vater beinahe an die Gurgel gegangen.
Sobald er um die Ecke bog, sah er zu seiner Verwunderung einen sportlichen royalblauen Jeep vor der Garage stehen. Er wusste, wem das Auto gehörte: Erin.
Cole fluchte verhalten. Er hatte weiß Gott alles getan, um ihr aus dem Weg zu gehen, hatte sich sogar bemüht, nicht einmal an sie zu denken, doch wie es aussah, würde er sich ihr nun wohl oder übel stellen müssen.
Erin deponierte einen der beiden Aufläufe, die ihre Mutter Ella für Jed Sanders gemacht hatte, in der Tiefkühltruhe und den anderen im Kühlschrank. Jed hatte sich den Arm gebrochen, und weil er jahrelang der Stellvertreter von Erins Vater Simon Marsden, dem ehemaligen Polizeichef von Serendipity gewesen war und für Erins Eltern quasi zur Familie gehörte, hatte Ella für Jed allerlei vorgekocht, ehe sie mit Simon zu einer einmonatigen Rundreise durch Alaska aufgebrochen war. Sie hatte Erin gebeten, dafür zu sorgen, dass Jed immer etwas zu essen vorrätig hatte, solange sie weg waren.
Gestandenen Männern wie Jed Sanders oder Simon Marsden waren körperliche Beeinträchtigungen aufgrund von Alter oder Krankheit erfahrungsgemäß ein Graus. Bei Simon war im Vorjahr ein bösartiger Tumor des Lymphsystems entdeckt worden, und nach seiner Heilung hatte er den Job an den Nagel gehängt, um die Jahre, die ihm noch blieben, mit Ella gebührend genießen zu können. Jed hatte hohen Blutdruck und bereits einen Herzinfarkt hinter sich, und wegen seines eingegipsten Armes war er zurzeit noch griesgrämiger als sonst. Trotzdem machte es Erin nichts aus, sich um ihn zu kümmern, schließlich war er seit ihrer Kindheit eine feste Institution in ihrem Elternhaus und auf dem Polizeirevier gewesen.
Deshalb hatte sie gerne eingewilligt, ihn mit Essen zu versorgen; doch seit sie wusste, dass sie von Cole schwanger war, fühlte sie sich hier äußerst unwohl.
Sie drehte sich zu Jed um und sagte: »Also, du schaltest den Backofen auf 180 Grad ein und stellst den Auflauf etwa eine halbe Stunde rein. Du kannst dir aber auch einzelne Portionen in der Mikrowelle wärmen.« Sie schloss die Kühlschranktür. »Noch Fragen?«
»Nein. Ich weiß es zu schätzen, Erin, aber ich hätte mir genauso gut was vom Family Restaurant kommen lassen können.«
Jed saß am Küchentisch und trank seinen Frühstückskaffee. Den eingegipsten Arm hatte er auf dem Tisch abgelegt.
»Du weißt genau, dass Mom das niemals zulassen würde. Schließlich muss jemand darauf achten, dass du dich salzarm ernährst.«
»Ich nehme blutdrucksenkende Tabletten, da kann ich doch essen, was ich will«, brummte Jed. Er hatte die Stirn in Falten gelegt, was seinem guten Aussehen jedoch keinen Abbruch tat.
Er hatte volles, silbergraues Haar, und seine klar geschnittenen, maskulinen Gesichtszüge erinnerten Erin sehr an Cole.
Sie schüttelte den Kopf, ließ sich aber auf keine Diskussionen ein. »Darüber reden wir ein andermal. Ich muss ins Büro.«
»Macht er dir etwa das Leben schwer?«, ließ sich in diesem Augenblick eine Männerstimme hinter ihr vernehmen.
Erin fuhr herum. »Cole! Wo kommst du denn plötzlich her?« Ihr Herz raste, als sie ihm so plötzlich gegenüberstand.
»Durch den Hintereingang.«
»Dieser Nichtsnutz hat noch immer einen Schlüssel«, knurrte Jed. »Was zum Teufel willst du hier?«, fuhr er Cole an.
Erin krümmte sich innerlich. Sie konnte nicht fassen, wie aggressiv sich Jed seinem Sohn gegenüber verhielt. Es war gute zwanzig Jahre her, seit sie den rauen Umgangston, der zwischen den beiden herrschte, zuletzt erlebt hatte. Cole war ein ziemlicher Wildfang gewesen. Er hatte früh angefangen, Alkohol zu trinken, hatte Ärger gemacht und war in der Schule des Öfteren vom Unterricht ausgeschlossen worden. Irgendwann hatten ihre Eltern sogar erzählt, Jed habe Cole damit gedroht, ihn auf eine Militärschule zu schicken, aber sie hatte angenommen, die beiden hätten das Kriegsbeil längst begraben.
Cole ignorierte die Worte seines Vaters. »Auch dir einen schönen guten Morgen, Dad.« Er war fast eins achtzig groß, und die Küche wirkte kleiner, als er näher trat.
Er lehnte sich an die Anrichte. »Was treibst du denn hier?«, fragte er Erin. Der aufmerksame Blick seiner wunderschönen tintenblauen Augen ruhte auf ihr.
»Mom hat mich gebeten, Jed mit Essen zu versorgen, während sie mit Dad durch Alaska tingelt.« Und nun, da sie ihre Pflicht getan hatte, sollte sie schleunigst das Weite suchen. Sie schnappte sich ihre Tasche und den Autoschlüssel, der daneben lag. »Ich muss los.«
»Lass dich von dem da nicht vertreiben«, sagte Jed.
Cole ließ sie nicht aus den Augen, und Erin schluckte und versuchte, ihr Unbehagen zu verbergen.
Sie hatte schon besser ausgesehen. Die Sorge wegen ihrer ungeplanten Schwangerschaft raubte ihr den Schlaf und die Übelkeit, die sie zu den unmöglichsten Zeiten überfiel, tat ein Übriges. Sie war hin- und hergerissen, hätte sich gern Rat geholt, wusste jedoch nicht, an wen sie sich wenden sollte. Wenn der- oder diejenige sich verplapperte, erfuhren womöglich ihre Eltern oder ihre Brüder davon, oder - schlimmer noch - Cole. Erin war also alles andere als in Topform, und sie wollte nicht, dass Cole Verdacht schöpfte. Die Vorstellung, dass sie früher oder später mit der Wahrheit würde herausrücken müssen, war schon schlimm genug. Sie unterdrückte den Impuls, sich nervös durch die Haare zu fahren und umklammerte stattdessen den Schlüsselbund etwas fester. »Tu ich nicht. Meine Arbeit wartet.«
»Jetzt ergreifen sogar schon die Frauen die Flucht vor dir«, sagte Jed verächtlich zu Cole. Es schwang kein Fünkchen Humor in seinen Worten mit.
Oh Gott, nun lass endlich gut sein, dachte Erin. Sie hätte schrecklich gern interveniert, wusste aber, dass keiner der beiden Streithähne es zu schätzen gewusst hätte, wenn sie sich einmischte. Also begnügte sie sich damit, Jed einen strafenden Blick zuzuwerfen, um ihm unmissverständlich klarzumachen, was sie von seinen Kommentaren hielt. Wenn er seinen Sohn schon unbedingt abkanzeln musste, dann sollte er es gefälligst ohne Zuhörer tun.
Es entging ihr nicht, dass Cole die Schultern straffte und tat, als würden die Worte seines Vaters an ihm abprallen. Doch sosehr er sich gegen Jeds Angriffe rüstete, sie trafen ihn trotzdem, wie an seiner angespannten Miene unschwer zu erkennen war. Und seine geröteten Wangen verrieten deutlich, dass ihm die Szene genauso peinlich war wie Erin.
Höchste Zeit, einen Abgang zu machen, ehe die Sache noch mehr aus dem Ruder lief. Erin verabschiedete sich von den beiden und suchte hastig das Weite.
»Das hast du ja toll hingekriegt«, stellte Jed zynisch fest, sobald Erin gegangen war. »Sie konnte gar nicht schnell genug abhauen.«
Cole schüttelte den Kopf. »Das hast du dir schon selbst zuzuschreiben, Dad.« Er war an die Beleidigungen seines Vaters gewöhnt und sogar stolz darauf, dass es ihm meist gelang, sie einfach zu überhören, doch es war offensichtlich gewesen, dass sich Erin äußerst unwohl in ihrer Haut gefühlt hatte.
»Von wegen. Sie hatte es erst eilig, nachdem du hier aufgekreuzt bist.«
Cole ballte die Fäuste. »Nun hör schon auf damit. Wo ist die Liste der Dinge, die repariert werden müssen? «
»Ach, hat dein Cousin etwa endlich eingesehen, dass er einen Taugenichts wie dich nicht auf die Häuser respektabler Kunden loslassen kann?«
Erin war zwar inzwischen fort, aber Cole hatte trotzdem nicht vor, auf die Provokationen seines Vaters einzusteigen. Wortlos marschierte er aus der Küche, um den Werkzeugkoffer aus seinem Wagen zu holen.
Als er nach draußen trat, bemerkte er überrascht, dass Erins Auto noch in der Einfahrt stand.
Der Motor lief zwar, doch Erin saß einfach nur da, die Stirn ans Lenkrad gelehnt. Hm. Cole hatte beileibe nicht die Absicht, sich in ihre Privatangelegenheiten einzumischen, aber er musste zumindest versuchen herauszufinden, was mit ihr los war.
Er klopfte an die Scheibe.
Erin fuhr erschrocken zusammen, dann ließ sie das Fenster hinunter.
Cole bückte sich zu ihr runter. »Alles okay?«, fragte er und musterte sie prüfend. Sie wirkte blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen, die ihm vorhin gar nicht aufgefallen waren.
»Mir war bloß etwas ... schwindlig, aber jetzt geht es wieder.« Mit zitternden Fingern strich sie sich die Haare aus dem Gesicht.
Sie war rot angelaufen, und in ihren Augen spiegelte sich ein Ausdruck, der fast schon an Panik grenzte. Cole runzelte die Stirn.
»Ich muss los.« Sie machte Anstalten, sich anzuschnallen, aber noch ehe sie den ersten Gang einlegen konnte, hatte Cole die Fahrertür geöffnet.
»Vergiss es.«
»He, was soll das?«, fragte sie mit erhobener Stimme.
»Wann hast du zuletzt etwas gegessen?«
Sie wich seinem Blick aus.
»Lass es mich anders formulieren. Hast du heute schon gefrühstückt?«
Sie sah ihn noch immer nicht an, konnte aber auch die Autotür nicht schließen, weil er ihr im Weg stand. Wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden den längeren Atem hat, dachte Cole. Seine Sturheit war unübertroffen.
»Nein«, sagte sie schließlich.
»Darf ich fragen, warum?«
»Darf ich fragen, was dich das angeht?«, konterte sie.
Cole musste unwillkürlich grinsen. Was für eine Schlagfertigkeit, selbst in körperlich geschwächtem Zustand! »Weil ich nicht vorhabe, dich einfach losfahren zu lassen, solange dir schwindlig ist. Wir gehen jetzt wieder da rein, und ich mache dir etwas zu essen. «
»Das ist sehr liebenswürdig, aber nein danke. Ich habe einen Müsliriegel dabei.« Sie kramte in ihrer Tasche und hielt schließlich triumphierend einen eingeschweißten Riegel in die Höhe. »Voilà.«
Er nickte. »Okay, und warum hast du den nicht schon vorher gegessen?«
»Weil ich vorhin so ein flaues Gefühl im Magen hatte. Hör zu, ich muss los, ich komme zu spät ins Büro.«
»Erst isst du deinen Riegel, sonst wirst du womöglich unterwegs ohnmächtig und kommst von der Straße ab.«
Erin verdrehte die Augen, riss jedoch artig die Verpackung auf und nahm einen Bissen. Cole verfolgte, wie sie kaute, schaffte es nicht, den Blick abzuwenden, obwohl er spürte, dass er sie damit irritierte.
»Du siehst müde aus. Schläfst du auch genug?«
Sie verschluckte sich fast an ihrem Riegel. »Was soll das werden, die spanische Inquisition?«
Er hatte keine Ahnung. Er wusste nur, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, und er machte sich Sorgen. Ja, das war untypisch für ihn, zumal ihm das Debakel mit Vincent Maronis Frau Victoria noch in den Knochen steckte.
Er verdrängte die Erinnerungen an seine letzte Mission und konzentrierte sich wieder auf Erin, die sich soeben den letzten Bissen in den Mund schob, dann eine Flasche Wasser aus ihrer Tasche zutage förderte und ein paar kräftige Schlucke daraus nahm. »So, jetzt geht es mir schon viel besser.«
Das war garantiert gelogen, und Cole hatte nach wie vor ein ungutes Gefühl bei der Sache, aber nun musste er sie wohl oder übel ziehen lassen. »Gut. Und du bist wirklich fit genug, um Auto zu fahren?«
»Ja. Danke.« Sie nickte und musterte ihn so eingehend, als wollte sie seine Gedanken lesen. Tja, allzu viel Lesestoff gab es da nicht.
»Na dann ... pass auf dich auf.« Er klopfte mit der flachen Hand auf das Autodach.
»Du auch.« Sie zögerte. »Ähm, und achte gar nicht auf das, was dein Vater sagt. Er ist bloß mies gelaunt, weil er sich den Arm gebrochen hat.«
»Von wegen. Er hat dieselbe schlechte Meinung von mir wie eh und je.« Kaum war es heraus, hätte sich Cole am liebsten auf die Zunge gebissen. Er brauchte ihr Mitleid nicht.
Doch ihre schmalen Augen und ihr angespanntes Gesicht verrieten nicht Mitleid, sondern Wut. »Und das total zu Unrecht.«
Sie verteidigte Jed nicht. Sie war auf seiner Seite.
Cole spürte, wie ihm warm ums Herz wurde, doch er verdrängte das angenehme Gefühl sogleich. Er war nicht auf ihre Unterstützung angewiesen, und er wollte auch nicht, dass sie ihn mochte. Er würde ihr nur schaden. Ihr und ihrem Ruf als anständiges Mädchen.
»Ich dachte, du hast es eilig«, knurrte er bloß und ignorierte den Anflug von Enttäuschung, der über ihr Gesicht huschte.
Es war nur in ihrem eigenen Interesse, wenn er sie auf Abstand hielt, aber irgendwie fühlte es sich trotzdem nicht so an, als hätte er ihr einen Gefallen getan.
Nachdem er kurze Zeit später ein loses Brett an der Veranda festgenagelt hatte, nahm er sich eine Schublade in der Küche vor, die nicht mehr ordentlich schließen wollte. Danach hatte er vorerst die Nase voll und beschloss, seinem ehemaligen Kumpel Mike Mars- den, dem neuen Polizeichef der Stadt, einen Besuch abzustatten. Mike war ebenfalls als Undercover-Agent tätig gewesen, wenn auch in weit weniger intensivem Maße als Cole, aber er wusste zumindest, wie in diesem Berufszweig der Hase lief; und Cole hatte nach dem unerfreulichen Vormittag mit seinem Vater das Bedürfnis, sich mit jemandem auszutauschen. Bislang hatte er die Begegnung mit Mike aufgeschoben, denn dieser hatte Coles wilde Jugendjahre live miterlebt, genau wie Jed. Aber wenn er längere Zeit in dieser Stadt leben wollte, musste er irgendwann anfangen, unter die Leute zu gehen. Allmählich hing ihm das Alleinsein nämlich zum Hals raus. Er brauchte soziale Kontakte - und zwar mehr als bloß einen Plausch mit einem von Nicks Bauarbeitern dann und wann. Cole war gespannt, wie der Empfang auf dem Revier ausfallen würde. Er brauchte dringend einen Realitätscheck, und wenn er ganz ehrlich sein sollte, brauchte er außerdem einen Freund. Auch wenn dieser Freund ein Bruder von Erin Marsden war.
Mist, Mist, Mist! Erin hätte sich am liebsten mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen - allein, sie ließ es bleiben, weil ihr auch so bereits der Schädel dröhnte.
Tief durchatmen, ermahnte sie sich und bemühte sich verzweifelt, zu ignorieren, dass der Müsliriegel, den sie eben gegessen hatte, drohte, wieder hochzukommen.
Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, sich vorhin in der Einfahrt von Jed Sanders derart gehen zu lassen, nur weil ihr ein bisschen übel war? Immerhin, Cole schien ihre Ausrede von wegen »nichts gefrühstückt« gefressen zu haben. Sie musste ihm von ihrer Schwangerschaft erzählen, selbst wenn es ihr noch so sehr widerstrebte und sie keine Ahnung hatte, wie sie es am geschicktesten anstellen sollte. Sie stöhnte.
Da heute Vormittag keine Besprechungen in ihrem Terminkalender standen, beschloss sie, einen kleinen Zwischenstopp beim Family Restaurant einzulegen, das sich am Stadtrand befand, und ihrer Freundin Macy Donovan einen Besuch abzustatten. Sie musste sich einen Schlachtplan zurechtlegen. Nichts gegen Trina, aber Macy kannte sie eben schon viel länger.
Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und betrachtete das alte Gebäude. Macy und ihre Geschwister hatten mehrfach versucht, ihren Vater zu einigen Veränderungen am Interieur und an der Speisekarte zu überreden, doch bislang hatte er sich gegen jede Art der Modernisierung gesträubt. Trotzdem war das Restaurant eine feste Einrichtung in Serendipity, in die es über kurz oder lang jeden verschlug, sei es wegen des Essens, wegen der Gesellschaft oder wegen beidem.
Heute war es allerdings in erster Linie Macys Vernunft und Bodenständigkeit, deretwegen Erin hier einkehrte. Sie trat ein, setzte sich auf einen Hocker an der Bar und winkte ihrer Freundin, um auf sich aufmerksam zu machen. Macy geleitete ein älteres Paar an einen Tisch und gesellte sich dann zu ihr.
»Hallo, Erin! Lange nicht gesehen. Wie geht's, wie steht's?«, erkundigte sich Macy und klopfte mit den langen, leuchtend pink lackierten Fingernägeln, klappernd auf den Tresen.
»Also, wenn ich ehrlich sein soll ...« Erin hatte weder Zeit noch Lust, lange um den heißen Brei herumzureden.
»Natürlich. Was ist los?« Macy betrachtete sie prüfend. »Hätte ich mir ja eigentlich denken können, dass irgendetwas im Busch ist, nachdem du dich eine ganze Weile nicht gemeldet hast.«
Erin nickte und beugte sich über den Tresen. »Es muss aber unbedingt unter uns bleiben, okay?« Das fehlte ihr gerade noch, dass demnächst womöglich allerlei Gerüchte über sie und Cole kursierten.
Macy nickte mit ernster Miene. »Großes Indianerehrenwort «, sagte sie und hob eine Hand zum Schwur.
© 2014 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
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Autoren-Porträt von Carly Phillips
Carly Phillips, eine New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin, hat über 50 prickelnde Liebesromane geschrieben, mit heissen Männern, starken Frauen und den emotional fesselnden Geschichten, die ihre Leser*innen inzwischen erwarten und lieben. Sie ist glücklich verheiratet mit ihrer Collegeliebe, hat zwei fast erwachsene Töchter und drei verrückte Hunde, die auf ihrer Facebook-Fan-Page und ihrer Website zu bewundern sind. Carly Phillips liebt die sozialen Medien und steht in engem Kontakt mit ihren Leser*innen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carly Phillips
- 2014, Deutsche Erstausgabe, 464 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ursula C. Sturm
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453410688
- ISBN-13: 9783453410688
- Erscheinungsdatum: 09.04.2014
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