Küssen hat noch nie geschadet / Seattle Chinooks Bd.6
Roman. Deutsche Erstausgabe
Nach einer feucht-fröhlichen Nacht in Las Vegas wacht Autumn neben Eishockeyspieler Sam auf den sie aus Versehen geheiratet hat. Sam haut erstmal ab. Erst zwei Jahre später sehen sie sich wieder. Vielleicht haben sie ja damals in Las Vegas das Richtige gemacht?
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Küssen hat noch nie geschadet / Seattle Chinooks Bd.6 “
Nach einer feucht-fröhlichen Nacht in Las Vegas wacht Autumn neben Eishockeyspieler Sam auf den sie aus Versehen geheiratet hat. Sam haut erstmal ab. Erst zwei Jahre später sehen sie sich wieder. Vielleicht haben sie ja damals in Las Vegas das Richtige gemacht?
Klappentext zu „Küssen hat noch nie geschadet / Seattle Chinooks Bd.6 “
Autumn sucht in Las Vegas das Glück - und findet einen Ehemann ...Autumn Haven hatte eigentlich vor, bei einem Kurztrip nach Las Vegas ihr Glück im Spielcasino zu versuchen - und nicht nach einer feuchtfröhlichen Nacht neben dem Eishockeyspieler Sam Leclaire aufzuwachen, der sich auch noch als ihr frischgebackener Ehemann herausstellt. Doch Sam scheint es mit dem Bund fürs Leben nicht so ernst zu nehmen, denn ehe sie sich versieht, ist er auf und davon. Zwei Jahre später kreuzen sich ihre Wege ein zweites Mal, und für Autumn stellt sich die Frage, ob sie damals in Vegas nicht vielleicht doch eine Glückssträhne hatte ...
Lese-Probe zu „Küssen hat noch nie geschadet / Seattle Chinooks Bd.6 “
Küssen hat noch nie geschadet von Rachel GibsonEINS
Der richtige Mann für mich: ♦ ist kein Berufssportler
... mehr
Sam LeClaire war ein gut aussehender Kotzbrocken. Das fanden alle. Angefangen bei Sportjournalisten bis hin zu übereifrigen Fußballmüttern.
Das Mädchen in seinem Bett fand das ebenfalls. Auch wenn es kein Mädchen mehr war, sondern eine erwachsene Frau.
»Ich begreife nicht, warum ich nicht mitkommen kann.«
Sam, der sich vor dem Spiegel seine blau gestreifte Krawatte band, warf einen Blick auf das Supermodel. Die Schönheit hieß Veronica Del Toro, war allerdings schlicht unter ihrem Vornamen bekannt. So wie Tyra, Heidi und Gisele.
»Weil ich nicht ahnen konnte, dass du heute in der Stadt bist«, erklärte er ihr nun schon zum zehnten Mal. »Auf den letzten Drücker noch jemanden mitzubringen wäre unverschämt.« Was natürlich nicht der wahre Grund war.
»Aber ich bin Veronica.«
Eben. Das war der wahre Grund. Sie war unverschämt, und auch noch narzisstisch. Obwohl er das niemandem verübelte. Er selbst konnte auch unverschämt und narzisstisch sein, doch ungeachtet der vielen Gerüchte, die über ihn kursierten, wusste er sehr gut, wann man sich benehmen musste.
»Ich esse auch nicht viel.«
Wohl eher gar nichts. Noch so eine Eigenschaft, die ihn tierisch an ihr nervte. Dass sie nie etwas aß. Zuerst bestellte sie sich Unmengen, da sie anscheinend kurz vorm Verhungern war, und dann stocherte sie nur lustlos darin herum.
Sam schob den Krawattenknoten nach oben und reckte das Kinn zur Seite, um sich den Hemdkragen zuzuknöpfen. »Ich hab dir schon ein Taxi gerufen.« Im Spiegel verfolgte er, wie Veronica aus dem Bett stieg und auf ihn zugeschlendert kam. Sie lief über seinen Teppich, als stakste sie über den Laufsteg. Mit langen, schlaksigen Gliedern und großen Brüsten, die kaum wackelten.
»Wann kommst du wieder?«, hauchte sie und schlang ihm dabei die Arme um die Taille, legte das Kinn auf seine Schulter und schmachtete ihn mit ihren dunkelbraunen Augen an.
»Spät.« Er reckte das Kinn zur anderen Seite. Während er auch die zweite Kragenspitze festknöpfte, warf er einen Blick zur Kommode, wo sein klobiger Meisterschaftsring lag. Der Ring aus Weiß- und Gelbgold war mit dem Logo seiner Mannschaft verziert, in das hundertsechzig Diamanten, Smaragde und Saphire eingearbeitet waren. Zudem waren auf der einen Seite der Stanley-Cup und die Jahreszahl eingraviert und auf der anderen sein Name und seine Spielernummer. Er hatte das Ding aus der Schublade geholt, um es Veronica zu zeigen, gedachte aber nicht, es zu tragen. Obwohl er durchaus gern Schmuck trug. Doch der Ring war so riesig, dass er ihm bis zum Fingerknöchel reichte, und echt protzig. Selbst für einen Mann, der es protzig mochte.
»Wie spät ist es?«
Im Spiegel ließ er den Blick zum Wecker auf dem Nachttisch schweifen. Schon halb sieben, und die Hochzeit sollte um sieben beginnen. Eigentlich hätte er gar keine Zeit für ein Treffen mit Veronica gehabt, aber sie war nicht sehr oft in der Stadt, und er hatte sich eine schnelle Nummer versprochen. Allerdings hätte er es besser wissen müssen. Schließlich war sie Veronica, und da ging gar nichts schnell. »Sehr spät. Wann geht dein Flieger?«
»Morgen früh.« Seufzend ließ sie ihre schlanken Hände auf seinem Smokinghemd über seine harten Brustmuskeln gleiten. »Ich könnte hier auf dich warten.«
Er wandte sich ihr zu, und ihre Hände wanderten zu seiner Taille. »Keine Ahnung, wann ich zurück bin. Es könnte richtig spät werden.« Obwohl er das bezweifelte, da in nur fünf Tagen das Auftaktspiel der regulären Saison anstand. Er strich ihr das lange dunkle Haar hinter die Schultern. »Ruf mich an, wenn du wieder in Seattle bist.«
»Das kann Monate dauern, und bis dahin bist du längst mit der Mannschaft unterwegs.« Enttäuscht ließ sie die Hände sinken und stakste zum Bett zurück.
Während sie in ihren knappen Slip stieg, betrachtete er ihren knöchrigen Arsch. An Veronica war viel Liebenswertes. Ihr Gesicht. Ihr Körper. Ihre Oberflächlichkeit. In ihrem Kopf ging nichts Tiefgründiges vor sich, aber daran konnte er nichts Falsches finden. Es war nichts falsch daran, immer nur an der Oberfläche zu kratzen und jeden tiefschürfenden Gedanken zu vermeiden. Das machte das Leben einfacher. »Wir können uns jederzeit unterwegs treffen.«
»Schon.« Sie griff nach ihrem roten T-Shirt und zog es sich über den Kopf, bevor sie in ihre Jeans stieg. »Aber bis dahin hast du ein blaues Auge.«
Er grinste. »Stimmt.« Er schnappte sich seine Anzugjacke und schlüpfte hinein. In der letzten Saison hatte er Veronica in Pittsburgh aufgegabelt. An jenem Abend hatte er gegen die Penguins ein Tor gemacht, aufgrund einer doppelten kleinen Strafe vier Minuten auf der Strafbank abgesessen und sich sein erstes größeres Veilchen der Saison eingehandelt. Vielleicht brachte sie ihm dieses Jahr ja genauso viel Glück.
Er griff nach seiner Geldbörse und schob sie in die Gesäßtasche seiner Khakihose.
»In der letzten Saison war dein schönes Gesicht völlig entstellt«, jammerte Veronica und schlüpfte in ihre Pumps.
So schlimm war es nun auch wieder nicht gewesen. Nur ein paar Nähte und kleinere Blutergüsse. Während seiner sechzehn Jahre in der NHL hatte er schon Schlimmeres erlebt.
»Du solltest modeln.«
»Nein danke.« Vor Jahren hatte er mal Werbung für Diesel-Unterwäsche gemacht und die ganze Prozedur sterbenslangweilig gefunden. Er hatte fast den ganzen Tag im knappen weißen Slip rumgesessen, bis die Crew diverse Sets aufgebaut hatte. Und zum Schluss waren dabei Riesenplakatwände und Anzeigen in Zeitschriften mit Fotos rausgekommen, auf denen sein Sack praktisch raushing und echt gigantisch wirkte. Die Jungs aus der Mannschaft hatten ihn aufgezogen ohne Ende, und seine Mutter hatte sich einen Monat nicht mehr in die Kirche getraut. Nach dieser Erfahrung überließ er das Modeln lieber Typen, denen diese Art von Aufmerksamkeit zusagte. Typen wie Beckham.
Gemeinsam verließen sie das Schlafzimmer in Sams zentral gelegener Loftwohnung. Im offenen Innenbereich umschmeichelten graue Schatten die Ledermöbel, und das verblassende Sonnenlicht warf matte Muster auf den Holzboden.
Sam hielt Veronica die Wohnungstür auf und schloss sie hinter sich ab. Als die zwei durch den Gang liefen, schweiften seine Gedanken zu dem Spiel gegen San José in einer knappen Woche. In der letzten Saison waren die Sharks zwar schon in der Vorrunde der Play-offs ausgeschieden, doch das garantierte den Chinooks noch lange keinen Sieg im Eröffnungsspiel dieser Saison. Bei weitem nicht. Die Sharks waren hungrig, und ein paar Chinooks-Spieler hatten in der Saisonpause ein bisschen zu heftig gefeiert. Sam war zugegebenermaßen auch kein Kind von Traurigkeit gewesen, aber nicht allzu fett geworden, und seine Leber war noch in guter Verfassung. Johan und Logan hingegen hatten sich je viereinhalb Kilo Übergewicht angefressen, und Vlad soff wie ein Matrose auf Landgang. Das Kapitänsamt war soeben Walker Brooks verliehen worden. Was keine Überraschung war. Schließlich war Walker in den letzten Jahren schon Ersatzkapitän gewesen.
»Ich liebe Hochzeiten«, seufzte Veronica, während sie zum Fahrstuhl trotteten.
Alle gingen davon aus, dass von nun an Alexander Devereaux das A auf dem Trikot tragen würde, doch noch war nichts offiziell. Es hatte so gewisse Andeutungen gegeben, dass Sam das Amt des Ersatzkapitäns übernehmen sollte, aber er hatte nicht angebissen. Er war nicht der Verantwortungsbewussteste, und daran sollte sich nichts ändern.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und die zwei traten ein. »Du nicht?«
»Was?« Zerstreut drückte er auf den Knopf fürs Foyer. »Magst du keine Hochzeiten?«
»Nicht sonderlich.« Hochzeiten machten ihm in etwa so viel Spaß, wie den Puck in die Eier zu kriegen.
Schweigend fuhren sie ins Erdgeschoss, und als sie die Lobby durchquerten, bugsierte Sam Veronica mit der Hand im Kreuz zu den zwei schweren Türen aus Glas und Edelstahl. Kaum waren sie aufgeglitten, da wartete am Straßenrand schon ein gelbes Taxi auf sie.
Er küsste sie zum Abschied. »Ruf mich an, wenn du das nächste Mal in der Stadt bist. Ich will dich wirklich gern wiedersehen«, gab er ihr noch mit auf den Weg und schlug dann die Taxitür zu.
Neblige Wolken umfingen die sich verdunkelnde Skyline von Seattle. Sam lief zu Fuß bis zur nächsten Ecke und schlenderte die zwei Blocks bis zum Rainier Club in der Fourth Avenue weiter. Der Stadtlärm hallte von den Gebäuden wider, und er betrachtete sich prüfend im Schaufenster. Eine leichte Brise fuhr ihm unters Revers und wehte die blonde Haarsträhne hoch, die ihm in die Stirn fiel. Die feuchtkalte Luft veranlasste ihn dazu, seinen Blazer doch lieber zuzuknöpfen.
Er konzentrierte sich wieder auf den überfüllten Bürgersteig, und nach kurzer Zeit erblickte er den traditionsreichen, exklusiven Club mit der alten Backsteinfassade und dem gepflegten Rasen, der förmlich nach Geld stank. Während er die Straße entlangging, drehten sich Passanten nach ihm um, von denen einige sogar seinen Namen riefen. Er hob zwar zum Gruß die Hand, lief aber weiter. Dieses Ausmaß an Beachtung war neu für ihn. Klar, er hatte seine Fans. Sogar eine Menge. Die seine Karriere verfolgten und auf ihren Trikots stolz seinen Namen und seine Spielernummer trugen. Doch seit dem Pokalgewinn im Juli hatte sich sein Bekanntheitsgrad um das Hundertfache gesteigert, was durchaus okay für ihn war. Seine Fans wollten bloß Autogramme oder ihm die Hand schütteln, und damit kam er klar.
Nach der Hälfte des Blocks überquerte er die Straße. Das Leben meinte es gut mit Sam. In der letzten Saison hatten die Seattle Chinooks den Stanley-Cup gewonnen, und sein Name wäre bis in alle Ewigkeit auf der höchsten Eishockeyauszeichnung eingraviert. Die Erinnerung, wie er, den Pokal über den Kopf gereckt, vor den Zuschauern im Heimstadion seine Siegesrunde auf dem Eis gedreht hatte, zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen.
Seine Karriere befand sich auf dem Höhepunkt. Mit Blut, Schweiß und Schinderei hatte er alle Ziele erreicht, die er sich je gesteckt hatte. Er verdiente mehr Geld, als er je für möglich gehalten hätte, und investierte es mit Vorliebe in Immobilien, Designeranzüge, guten Wein und schöne Frauen.
Als er unter die schwarze Markise des Rainier Clubs trat, begrüßte ihn ein Empfangsportier. Sein Privatleben lief auch ziemlich rund. Eine feste Freundin hatte er zwar nicht, aber das war ganz nach seinem Geschmack. Die Frauen waren verrückt nach ihm, und er nach ihnen. Manchmal vielleicht ein bisschen zu sehr.
Die Inneneinrichtung des exklusiven Clubs war so spießig, dass er den Drang verspürte, die Schuhe auszuziehen, wie früher als kleiner Junge, wenn seine Mom einen neuen Teppich erstanden hatte. Ein paar seiner Mannschaftskameraden lungerten am Fuß der breiten Treppe herum und schienen sich leicht unwohl zu fühlen, sahen ansonsten allerdings gut aus mit ihren teuren Anzügen und ihrer Sommerbräune. In zwei Monaten würden einige von ihnen mit mindestens einem blauen Auge und mit genähten Wunden im Gesicht rumlaufen.
»Schön, dass du's noch geschafft hast«, meinte Stürmer Daniel Holstrom, als Sam sich näherte.
Harfenmusik waberte die Treppe hinab. Sam schob die Manschette seines Smokinghemds zurück und sah auf seine TAG-Heuer-Herrenuhr. »Noch zehn Minuten«, verkündete er. »Worauf wartet ihr noch?«
»Vlad und Logan sind noch nicht da«, antwortete Torwart Marty Darche.
»Ist Savage denn hier?«, fragte Sam, womit er den Bräutigam und ehemaligen Chinooks-Kapitän, Ty Savage, meinte.
»Ich hab ihn etwa vor zehn Minuten gesehen«, erwiderte Daniel. »Das erste Mal, dass er jenseits der Eisfläche in Schweiß ausbricht. Zumindest soweit ich weiß. Wahrscheinlich hat er Angst, dass die Braut zur Vernunft gekommen und auf halbem Weg nach Vancouver ist.«
Marty senkte verschwörerisch die Stimme. »Da oben warten mindestens vier Playmates auf uns.«
Was keine Überraschung war, wenn man in Betracht zog, dass die Braut nicht nur die Eignerin der Seattle Chinooks, sondern in grauer Vorzeit auch einmal Playmate des Jahres gewesen war. »Wird bestimmt 'ne tolle Party«, lachte Sam, der aus den Augenwinkeln einen glänzenden rotbraunen Pferdeschwanz und ein sanftes Profil wahrnahm. Als er sich umdrehte, blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Alles in ihm kam zum Stillstand, während sein Blick der Frau mit dem Pferdeschwanz folgte, die durch die Lobby auf die Eingangstüren zusteuerte. Sie trug ein Headset und gab Anweisungen in das winzige Mikrofon vor ihrem Mund. Ein schwarzer Pullover schmiegte sich an ihren Körper, und an ihrer schwarzen Hose war ein Mini-Akku befestigt. Irritiert zog Sam die Augenbrauen zusammen, und in seinem Magen sammelte sich Säure. Wenn es auf diesem Planeten eine Frau gab, die ihn nicht liebte, die ihn sogar abgrundtief hasste, war es die Frau, die gerade durch die Eingangstüren verschwand.
Daniel legte ihm die Hand auf die Schulter. »Hey, Sam, ist das nicht deine Frau?«
»Du hast eine Frau?« Marty wandte sich neugierig nach vorn.
»Exfrau.« Die brennende Säure in seinem Magen stieg langsam nach oben.
»Ich wusste gar nicht, dass du mal verheiratet warst.« Daniel lachte, als fände er das saukomisch.
Sam warf Daniel aus den Augenwinkeln einen strafenden Blick zu. Eine stumme Warnung, die den Flügelstürmer nur noch lauter lachen ließ, doch wenigstens hielt er die Klappe und behielt die schmutzigen Details über Sams feucht-fröhlichen Ausflug zu einer kitschigen Hochzeitskapelle in Las Vegas für sich.
Bevor er die Treppe hinaufstieg, richtete er seine Aufmerksamkeit noch einmal kurz auf den Eingangsbereich. Die Frau hieß Autumn, und genau wie der Herbst war sie schön und unberechenbar. An einem Tag war sie angenehm warm, und schon am nächsten so kalt, dass es einem die Eier abfror.
Er erreichte das erste Stockwerk und kam an der Harfenspielerin vorbei. Sam liebte keine Überraschungen. Es gefiel ihm gar nicht, wenn ihn etwas unvorbereitet traf. Lieber wusste er gern vorher, woher die Schläge kamen, damit er sich dagegen wappnen konnte.
Er lief über den kurzen Flur, in dem sich nur noch wenige Hochzeitsgäste aufhielten. Er hatte nicht damit gerechnet, Autumn heute Abend hier zu sehen, doch allzu überrascht hätte er wohl nicht zu sein brauchen. Schließlich war sie Hochzeitsplanerin, oder, worauf sie großen Wert legte, »Event-Managerin«. Wo war da der Unterschied? Hochzeit oder Event, es war derselbe verdammte Zirkus. Aber es war typisch für Autumn, eine solche Bagatelle derart aufzubauschen.
»Möchten Sie sich ins Gästebuch eintragen?«, fragte ihn eine Frau, die an einem runden Tischchen saß. Normalerweise unterschrieb Sam nur in Gegenwart seines Anwalts, doch die Frau mit den großen braunen Augen ließ ein Lächeln aufblitzen, und er trat auf sie zu. Sie trug ein enges rotes Oberteil, das über der Brust spannte, und ein funkelndes Band in ihren dunklen Haaren.
Sam war ein großer Fan von eng und funkelnd und erwiderte ihr Lächeln. »Klar.« Sie reichte ihm einen albernen Füller mit einer großen weißen Feder. »Hübsches Haarband.«
Anscheinend war sie nicht an Komplimente gewöhnt, denn sie betastete errötend ihren Kopf. »Machen Sie sich lustig über mich?«
»Nein. Es sieht gut aus in Ihren Haaren.«
»Danke.«
Als er sich vorbeugte, streifte seine Krawatte das weiße Leinentischtuch. »Sind Sie mit der Braut oder mit dem Bräutigam verwandt?«
»Weder noch. Ich arbeite für Haven Event Management.«
Sein Lächeln erstarb. Das bedeutete, dass sie für Autumn tätig war. Autumn Haven. Während ihr Vorname zu ihr passte wie die Faust aufs Auge, war ihr Nachname, der »Hafen« bedeutete, ein krasser Widerspruch in sich. Wie Riesenkrevette, stummer Schrei oder verschmuster Puma.
»Na dann viel Spaß«, meinte Sam sarkastisch und gab Autumns Angestellter den Füller zurück. Er legte die kurze Strecke zum großen Saal zurück, wo ein Platzanweiser Sam zu einem Stuhl relativ weit vorn führte. Er schritt über einen roten Teppich, der mit weißen Rosenblütenblättern übersät war. Die meisten Plätze waren bereits von diversen Eishockeyspielern samt Ehefrauen oder Freundinnen besetzt. Zwischen Exkapitän Mark Bressler und Faiths Assistent Jules Garcia entdeckte er die Ross-Zwillinge, Bo und Chelsea. Die Zwillinge arbeiteten in der einen oder anderen Funktion für die Chinooks-Organisation und waren besser unter ihren Spitznamen Mini-Pit und Kleiner Boss bekannt.
Er nahm einen der letzten freien Plätze neben Frankie »der Sniper« Kawczynski ein. Ganz vorne stand ein Mann im blauen Anzug mit einer Bibel in der Hand vor einem riesigen Steinkamin, der mit roten Rosen und irgendwelchen weißen Blumen geschmückt war. Das musste der Prediger sein, vielleicht auch ein Friedensrichter. Aber eines war sicher, ein falscher Elvis war er nicht.
»Hey, Sam. Lungern Daniel und Marty noch immer unten rum?«
»Ja.« Sam sah auf die Uhr. Wenn sie es noch vor der Braut schaffen wollten, sollten sich die Jungs lieber sputen. Dies war eines der Ereignisse, zu denen die Spieler pünktlich erscheinen mussten, und die Teilnahme an der Hochzeit von Faith Duffy, Eignerin der Seattle Chinooks, ganz abzusagen, war undenkbar. Ansonsten würde Sam nicht im Anzug hier hocken und darauf warten, dass die Show endlich begann. Und sich vor den Reizen seiner Exfrau fürchten.
Aus der Musikanlage dröhnte irgendwelche Hochzeitsmucke, und Sam warf einen Blick über die Schulter, als eine Frau, die er als Mutter der Braut wiedererkannte, den Saal betrat. Statt ihrer sonst knallengen Klamotten und ihren protzigen Klunkern trug sie heute ein schlichtes rotes Kleid. Ihre einzigen Accessoires bestanden aus einem Blumensträußchen und dem winzigen weißen Kläffer, den sie auf dem Arm trug. Der wie alle kleinen Kläffer große Ohrmuscheln hatte. In Rot, passend zu seinen Nägeln.
Dicht hinter der Brautmutter betraten Ty Savage und sein Vater Pavel den Raum. Vater und Sohn waren Eishockeylegenden, und jeder, der sich auch nur annähernd für den Sport interessierte, hatte den Namen Savage schon einmal gehört. Sam hatte Pavel von frühster Kindheit an beim »Old School«-Eishockey zugesehen, bei dem es noch keine Schutzhelme und Kampfregeln gab. Später hatte Sam dann sowohl mit als auch gegen Ty gespielt und war unbestritten einer der besten Spieler, die sich je ein Paar Schlittschuhe zugeschnürt hatten. Beide Männer steckten in traditionellen schwarzen Smokings, und einen unbehaglichen Augenblick lang blitzte vor Sams geistigem Auge seine eigene Hochzeit auf. Nur dass er statt eines Smokings ein BELIEVE- T-Shirt von Cher und Jeans getragen hatte. Er wusste nicht, was demütigender gewesen war, die Hochzeit oder das T-Shirt.
Ty und Pavel nahmen ihre Plätze gegenüber der Brautmutter vor dem Kamin ein. Ty wirkte ganz ruhig. Gar nicht nervös oder von der Angst getrieben, einen Riesenfehler zu begehen. Vermutlich hatte Sam auf seiner Hochzeit auch recht ruhig gewirkt. Natürlich war er hackevoll gewesen. Das war die einzige Erklärung für sein Handeln. Der Schrecken des Ganzen war erst am nächsten Morgen bis in sein Hirn vorgedrungen. Die Erinnerung an seine hackevolle Hochzeit mied er wie eine Hure die Sittenpolizei. Auch jetzt schob er sie weit weg und verschloss sie sicher dort, wo er alle unangenehmen Erinnerungen und ungewollten Gefühle verwahrte.
Die leise Harfenmusik ging in den Hochzeitsmarsch über, und als die Braut den Saal betrat, erhoben sich alle. Faith Duffy war eine der schönsten Frauen auf dem Planeten. Groß und blond, mit einem fantastischen Gesicht. Wie eine Barbiepuppe. Perfekte Brüste. Und er fand nicht, dass er ein Perversling war, nur weil ihm ihr Busen auffiel. Schließlich war sie Playmate des Jahres gewesen, und die meisten Männer hier im Saal hatten ihre Fotostrecke bewundert. Heute trug sie ein eng anliegendes weißes Kleid, das sie vom Hals bis zu den Knien verhüllte. Über den hauchdünnen Schleier auf Faiths Kopf hinweg erhaschte er einen Blick auf Autumn, die hinten in den Saal schlüpfte. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie ihn als unreif und egoistisch beschimpft, ihm vorgeworfen, ein verantwortungsloser geiler Bock zu sein, und ihre Tirade mit dem Vorwurf beendet, Fußpilz im Gehirn zu haben. Was nicht stimmte. Er hatte noch nie Fußpilz gehabt, nicht mal am Fuß, und hatte ihr das sehr übel genommen. Er hatte die Beherrschung verloren und sie eine zickige Kneifzange genannt. Was in ihrem Fall auch stimmte, aber das war noch nicht das Schlimmste gewesen. Nein, das Schlimmste war der Ausdruck in den blauen Augen seines dreijährigen Sohnes Conner gewesen, der plötzlich hinter dem Sofa auftauchte. Als hätten seine Eltern ihm eigenhändig einen Dolch ins Herz gestoßen. Das war das Schlimmste daran gewesen. Nach diesem Abend hatten sie einvernehmlich beschlossen, dass es das Beste wäre, sich nicht mehr am selben Ort aufzuhalten. Deshalb war es heute das erste Mal, dass er sich mit Autumn im selben Gebäude befand, sie überhaupt sah, seit wie lange inzwischen? Zwei Jahre vielleicht?
...
Übersetzung: Antje Althans
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Sam LeClaire war ein gut aussehender Kotzbrocken. Das fanden alle. Angefangen bei Sportjournalisten bis hin zu übereifrigen Fußballmüttern.
Das Mädchen in seinem Bett fand das ebenfalls. Auch wenn es kein Mädchen mehr war, sondern eine erwachsene Frau.
»Ich begreife nicht, warum ich nicht mitkommen kann.«
Sam, der sich vor dem Spiegel seine blau gestreifte Krawatte band, warf einen Blick auf das Supermodel. Die Schönheit hieß Veronica Del Toro, war allerdings schlicht unter ihrem Vornamen bekannt. So wie Tyra, Heidi und Gisele.
»Weil ich nicht ahnen konnte, dass du heute in der Stadt bist«, erklärte er ihr nun schon zum zehnten Mal. »Auf den letzten Drücker noch jemanden mitzubringen wäre unverschämt.« Was natürlich nicht der wahre Grund war.
»Aber ich bin Veronica.«
Eben. Das war der wahre Grund. Sie war unverschämt, und auch noch narzisstisch. Obwohl er das niemandem verübelte. Er selbst konnte auch unverschämt und narzisstisch sein, doch ungeachtet der vielen Gerüchte, die über ihn kursierten, wusste er sehr gut, wann man sich benehmen musste.
»Ich esse auch nicht viel.«
Wohl eher gar nichts. Noch so eine Eigenschaft, die ihn tierisch an ihr nervte. Dass sie nie etwas aß. Zuerst bestellte sie sich Unmengen, da sie anscheinend kurz vorm Verhungern war, und dann stocherte sie nur lustlos darin herum.
Sam schob den Krawattenknoten nach oben und reckte das Kinn zur Seite, um sich den Hemdkragen zuzuknöpfen. »Ich hab dir schon ein Taxi gerufen.« Im Spiegel verfolgte er, wie Veronica aus dem Bett stieg und auf ihn zugeschlendert kam. Sie lief über seinen Teppich, als stakste sie über den Laufsteg. Mit langen, schlaksigen Gliedern und großen Brüsten, die kaum wackelten.
»Wann kommst du wieder?«, hauchte sie und schlang ihm dabei die Arme um die Taille, legte das Kinn auf seine Schulter und schmachtete ihn mit ihren dunkelbraunen Augen an.
»Spät.« Er reckte das Kinn zur anderen Seite. Während er auch die zweite Kragenspitze festknöpfte, warf er einen Blick zur Kommode, wo sein klobiger Meisterschaftsring lag. Der Ring aus Weiß- und Gelbgold war mit dem Logo seiner Mannschaft verziert, in das hundertsechzig Diamanten, Smaragde und Saphire eingearbeitet waren. Zudem waren auf der einen Seite der Stanley-Cup und die Jahreszahl eingraviert und auf der anderen sein Name und seine Spielernummer. Er hatte das Ding aus der Schublade geholt, um es Veronica zu zeigen, gedachte aber nicht, es zu tragen. Obwohl er durchaus gern Schmuck trug. Doch der Ring war so riesig, dass er ihm bis zum Fingerknöchel reichte, und echt protzig. Selbst für einen Mann, der es protzig mochte.
»Wie spät ist es?«
Im Spiegel ließ er den Blick zum Wecker auf dem Nachttisch schweifen. Schon halb sieben, und die Hochzeit sollte um sieben beginnen. Eigentlich hätte er gar keine Zeit für ein Treffen mit Veronica gehabt, aber sie war nicht sehr oft in der Stadt, und er hatte sich eine schnelle Nummer versprochen. Allerdings hätte er es besser wissen müssen. Schließlich war sie Veronica, und da ging gar nichts schnell. »Sehr spät. Wann geht dein Flieger?«
»Morgen früh.« Seufzend ließ sie ihre schlanken Hände auf seinem Smokinghemd über seine harten Brustmuskeln gleiten. »Ich könnte hier auf dich warten.«
Er wandte sich ihr zu, und ihre Hände wanderten zu seiner Taille. »Keine Ahnung, wann ich zurück bin. Es könnte richtig spät werden.« Obwohl er das bezweifelte, da in nur fünf Tagen das Auftaktspiel der regulären Saison anstand. Er strich ihr das lange dunkle Haar hinter die Schultern. »Ruf mich an, wenn du wieder in Seattle bist.«
»Das kann Monate dauern, und bis dahin bist du längst mit der Mannschaft unterwegs.« Enttäuscht ließ sie die Hände sinken und stakste zum Bett zurück.
Während sie in ihren knappen Slip stieg, betrachtete er ihren knöchrigen Arsch. An Veronica war viel Liebenswertes. Ihr Gesicht. Ihr Körper. Ihre Oberflächlichkeit. In ihrem Kopf ging nichts Tiefgründiges vor sich, aber daran konnte er nichts Falsches finden. Es war nichts falsch daran, immer nur an der Oberfläche zu kratzen und jeden tiefschürfenden Gedanken zu vermeiden. Das machte das Leben einfacher. »Wir können uns jederzeit unterwegs treffen.«
»Schon.« Sie griff nach ihrem roten T-Shirt und zog es sich über den Kopf, bevor sie in ihre Jeans stieg. »Aber bis dahin hast du ein blaues Auge.«
Er grinste. »Stimmt.« Er schnappte sich seine Anzugjacke und schlüpfte hinein. In der letzten Saison hatte er Veronica in Pittsburgh aufgegabelt. An jenem Abend hatte er gegen die Penguins ein Tor gemacht, aufgrund einer doppelten kleinen Strafe vier Minuten auf der Strafbank abgesessen und sich sein erstes größeres Veilchen der Saison eingehandelt. Vielleicht brachte sie ihm dieses Jahr ja genauso viel Glück.
Er griff nach seiner Geldbörse und schob sie in die Gesäßtasche seiner Khakihose.
»In der letzten Saison war dein schönes Gesicht völlig entstellt«, jammerte Veronica und schlüpfte in ihre Pumps.
So schlimm war es nun auch wieder nicht gewesen. Nur ein paar Nähte und kleinere Blutergüsse. Während seiner sechzehn Jahre in der NHL hatte er schon Schlimmeres erlebt.
»Du solltest modeln.«
»Nein danke.« Vor Jahren hatte er mal Werbung für Diesel-Unterwäsche gemacht und die ganze Prozedur sterbenslangweilig gefunden. Er hatte fast den ganzen Tag im knappen weißen Slip rumgesessen, bis die Crew diverse Sets aufgebaut hatte. Und zum Schluss waren dabei Riesenplakatwände und Anzeigen in Zeitschriften mit Fotos rausgekommen, auf denen sein Sack praktisch raushing und echt gigantisch wirkte. Die Jungs aus der Mannschaft hatten ihn aufgezogen ohne Ende, und seine Mutter hatte sich einen Monat nicht mehr in die Kirche getraut. Nach dieser Erfahrung überließ er das Modeln lieber Typen, denen diese Art von Aufmerksamkeit zusagte. Typen wie Beckham.
Gemeinsam verließen sie das Schlafzimmer in Sams zentral gelegener Loftwohnung. Im offenen Innenbereich umschmeichelten graue Schatten die Ledermöbel, und das verblassende Sonnenlicht warf matte Muster auf den Holzboden.
Sam hielt Veronica die Wohnungstür auf und schloss sie hinter sich ab. Als die zwei durch den Gang liefen, schweiften seine Gedanken zu dem Spiel gegen San José in einer knappen Woche. In der letzten Saison waren die Sharks zwar schon in der Vorrunde der Play-offs ausgeschieden, doch das garantierte den Chinooks noch lange keinen Sieg im Eröffnungsspiel dieser Saison. Bei weitem nicht. Die Sharks waren hungrig, und ein paar Chinooks-Spieler hatten in der Saisonpause ein bisschen zu heftig gefeiert. Sam war zugegebenermaßen auch kein Kind von Traurigkeit gewesen, aber nicht allzu fett geworden, und seine Leber war noch in guter Verfassung. Johan und Logan hingegen hatten sich je viereinhalb Kilo Übergewicht angefressen, und Vlad soff wie ein Matrose auf Landgang. Das Kapitänsamt war soeben Walker Brooks verliehen worden. Was keine Überraschung war. Schließlich war Walker in den letzten Jahren schon Ersatzkapitän gewesen.
»Ich liebe Hochzeiten«, seufzte Veronica, während sie zum Fahrstuhl trotteten.
Alle gingen davon aus, dass von nun an Alexander Devereaux das A auf dem Trikot tragen würde, doch noch war nichts offiziell. Es hatte so gewisse Andeutungen gegeben, dass Sam das Amt des Ersatzkapitäns übernehmen sollte, aber er hatte nicht angebissen. Er war nicht der Verantwortungsbewussteste, und daran sollte sich nichts ändern.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und die zwei traten ein. »Du nicht?«
»Was?« Zerstreut drückte er auf den Knopf fürs Foyer. »Magst du keine Hochzeiten?«
»Nicht sonderlich.« Hochzeiten machten ihm in etwa so viel Spaß, wie den Puck in die Eier zu kriegen.
Schweigend fuhren sie ins Erdgeschoss, und als sie die Lobby durchquerten, bugsierte Sam Veronica mit der Hand im Kreuz zu den zwei schweren Türen aus Glas und Edelstahl. Kaum waren sie aufgeglitten, da wartete am Straßenrand schon ein gelbes Taxi auf sie.
Er küsste sie zum Abschied. »Ruf mich an, wenn du das nächste Mal in der Stadt bist. Ich will dich wirklich gern wiedersehen«, gab er ihr noch mit auf den Weg und schlug dann die Taxitür zu.
Neblige Wolken umfingen die sich verdunkelnde Skyline von Seattle. Sam lief zu Fuß bis zur nächsten Ecke und schlenderte die zwei Blocks bis zum Rainier Club in der Fourth Avenue weiter. Der Stadtlärm hallte von den Gebäuden wider, und er betrachtete sich prüfend im Schaufenster. Eine leichte Brise fuhr ihm unters Revers und wehte die blonde Haarsträhne hoch, die ihm in die Stirn fiel. Die feuchtkalte Luft veranlasste ihn dazu, seinen Blazer doch lieber zuzuknöpfen.
Er konzentrierte sich wieder auf den überfüllten Bürgersteig, und nach kurzer Zeit erblickte er den traditionsreichen, exklusiven Club mit der alten Backsteinfassade und dem gepflegten Rasen, der förmlich nach Geld stank. Während er die Straße entlangging, drehten sich Passanten nach ihm um, von denen einige sogar seinen Namen riefen. Er hob zwar zum Gruß die Hand, lief aber weiter. Dieses Ausmaß an Beachtung war neu für ihn. Klar, er hatte seine Fans. Sogar eine Menge. Die seine Karriere verfolgten und auf ihren Trikots stolz seinen Namen und seine Spielernummer trugen. Doch seit dem Pokalgewinn im Juli hatte sich sein Bekanntheitsgrad um das Hundertfache gesteigert, was durchaus okay für ihn war. Seine Fans wollten bloß Autogramme oder ihm die Hand schütteln, und damit kam er klar.
Nach der Hälfte des Blocks überquerte er die Straße. Das Leben meinte es gut mit Sam. In der letzten Saison hatten die Seattle Chinooks den Stanley-Cup gewonnen, und sein Name wäre bis in alle Ewigkeit auf der höchsten Eishockeyauszeichnung eingraviert. Die Erinnerung, wie er, den Pokal über den Kopf gereckt, vor den Zuschauern im Heimstadion seine Siegesrunde auf dem Eis gedreht hatte, zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen.
Seine Karriere befand sich auf dem Höhepunkt. Mit Blut, Schweiß und Schinderei hatte er alle Ziele erreicht, die er sich je gesteckt hatte. Er verdiente mehr Geld, als er je für möglich gehalten hätte, und investierte es mit Vorliebe in Immobilien, Designeranzüge, guten Wein und schöne Frauen.
Als er unter die schwarze Markise des Rainier Clubs trat, begrüßte ihn ein Empfangsportier. Sein Privatleben lief auch ziemlich rund. Eine feste Freundin hatte er zwar nicht, aber das war ganz nach seinem Geschmack. Die Frauen waren verrückt nach ihm, und er nach ihnen. Manchmal vielleicht ein bisschen zu sehr.
Die Inneneinrichtung des exklusiven Clubs war so spießig, dass er den Drang verspürte, die Schuhe auszuziehen, wie früher als kleiner Junge, wenn seine Mom einen neuen Teppich erstanden hatte. Ein paar seiner Mannschaftskameraden lungerten am Fuß der breiten Treppe herum und schienen sich leicht unwohl zu fühlen, sahen ansonsten allerdings gut aus mit ihren teuren Anzügen und ihrer Sommerbräune. In zwei Monaten würden einige von ihnen mit mindestens einem blauen Auge und mit genähten Wunden im Gesicht rumlaufen.
»Schön, dass du's noch geschafft hast«, meinte Stürmer Daniel Holstrom, als Sam sich näherte.
Harfenmusik waberte die Treppe hinab. Sam schob die Manschette seines Smokinghemds zurück und sah auf seine TAG-Heuer-Herrenuhr. »Noch zehn Minuten«, verkündete er. »Worauf wartet ihr noch?«
»Vlad und Logan sind noch nicht da«, antwortete Torwart Marty Darche.
»Ist Savage denn hier?«, fragte Sam, womit er den Bräutigam und ehemaligen Chinooks-Kapitän, Ty Savage, meinte.
»Ich hab ihn etwa vor zehn Minuten gesehen«, erwiderte Daniel. »Das erste Mal, dass er jenseits der Eisfläche in Schweiß ausbricht. Zumindest soweit ich weiß. Wahrscheinlich hat er Angst, dass die Braut zur Vernunft gekommen und auf halbem Weg nach Vancouver ist.«
Marty senkte verschwörerisch die Stimme. »Da oben warten mindestens vier Playmates auf uns.«
Was keine Überraschung war, wenn man in Betracht zog, dass die Braut nicht nur die Eignerin der Seattle Chinooks, sondern in grauer Vorzeit auch einmal Playmate des Jahres gewesen war. »Wird bestimmt 'ne tolle Party«, lachte Sam, der aus den Augenwinkeln einen glänzenden rotbraunen Pferdeschwanz und ein sanftes Profil wahrnahm. Als er sich umdrehte, blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Alles in ihm kam zum Stillstand, während sein Blick der Frau mit dem Pferdeschwanz folgte, die durch die Lobby auf die Eingangstüren zusteuerte. Sie trug ein Headset und gab Anweisungen in das winzige Mikrofon vor ihrem Mund. Ein schwarzer Pullover schmiegte sich an ihren Körper, und an ihrer schwarzen Hose war ein Mini-Akku befestigt. Irritiert zog Sam die Augenbrauen zusammen, und in seinem Magen sammelte sich Säure. Wenn es auf diesem Planeten eine Frau gab, die ihn nicht liebte, die ihn sogar abgrundtief hasste, war es die Frau, die gerade durch die Eingangstüren verschwand.
Daniel legte ihm die Hand auf die Schulter. »Hey, Sam, ist das nicht deine Frau?«
»Du hast eine Frau?« Marty wandte sich neugierig nach vorn.
»Exfrau.« Die brennende Säure in seinem Magen stieg langsam nach oben.
»Ich wusste gar nicht, dass du mal verheiratet warst.« Daniel lachte, als fände er das saukomisch.
Sam warf Daniel aus den Augenwinkeln einen strafenden Blick zu. Eine stumme Warnung, die den Flügelstürmer nur noch lauter lachen ließ, doch wenigstens hielt er die Klappe und behielt die schmutzigen Details über Sams feucht-fröhlichen Ausflug zu einer kitschigen Hochzeitskapelle in Las Vegas für sich.
Bevor er die Treppe hinaufstieg, richtete er seine Aufmerksamkeit noch einmal kurz auf den Eingangsbereich. Die Frau hieß Autumn, und genau wie der Herbst war sie schön und unberechenbar. An einem Tag war sie angenehm warm, und schon am nächsten so kalt, dass es einem die Eier abfror.
Er erreichte das erste Stockwerk und kam an der Harfenspielerin vorbei. Sam liebte keine Überraschungen. Es gefiel ihm gar nicht, wenn ihn etwas unvorbereitet traf. Lieber wusste er gern vorher, woher die Schläge kamen, damit er sich dagegen wappnen konnte.
Er lief über den kurzen Flur, in dem sich nur noch wenige Hochzeitsgäste aufhielten. Er hatte nicht damit gerechnet, Autumn heute Abend hier zu sehen, doch allzu überrascht hätte er wohl nicht zu sein brauchen. Schließlich war sie Hochzeitsplanerin, oder, worauf sie großen Wert legte, »Event-Managerin«. Wo war da der Unterschied? Hochzeit oder Event, es war derselbe verdammte Zirkus. Aber es war typisch für Autumn, eine solche Bagatelle derart aufzubauschen.
»Möchten Sie sich ins Gästebuch eintragen?«, fragte ihn eine Frau, die an einem runden Tischchen saß. Normalerweise unterschrieb Sam nur in Gegenwart seines Anwalts, doch die Frau mit den großen braunen Augen ließ ein Lächeln aufblitzen, und er trat auf sie zu. Sie trug ein enges rotes Oberteil, das über der Brust spannte, und ein funkelndes Band in ihren dunklen Haaren.
Sam war ein großer Fan von eng und funkelnd und erwiderte ihr Lächeln. »Klar.« Sie reichte ihm einen albernen Füller mit einer großen weißen Feder. »Hübsches Haarband.«
Anscheinend war sie nicht an Komplimente gewöhnt, denn sie betastete errötend ihren Kopf. »Machen Sie sich lustig über mich?«
»Nein. Es sieht gut aus in Ihren Haaren.«
»Danke.«
Als er sich vorbeugte, streifte seine Krawatte das weiße Leinentischtuch. »Sind Sie mit der Braut oder mit dem Bräutigam verwandt?«
»Weder noch. Ich arbeite für Haven Event Management.«
Sein Lächeln erstarb. Das bedeutete, dass sie für Autumn tätig war. Autumn Haven. Während ihr Vorname zu ihr passte wie die Faust aufs Auge, war ihr Nachname, der »Hafen« bedeutete, ein krasser Widerspruch in sich. Wie Riesenkrevette, stummer Schrei oder verschmuster Puma.
»Na dann viel Spaß«, meinte Sam sarkastisch und gab Autumns Angestellter den Füller zurück. Er legte die kurze Strecke zum großen Saal zurück, wo ein Platzanweiser Sam zu einem Stuhl relativ weit vorn führte. Er schritt über einen roten Teppich, der mit weißen Rosenblütenblättern übersät war. Die meisten Plätze waren bereits von diversen Eishockeyspielern samt Ehefrauen oder Freundinnen besetzt. Zwischen Exkapitän Mark Bressler und Faiths Assistent Jules Garcia entdeckte er die Ross-Zwillinge, Bo und Chelsea. Die Zwillinge arbeiteten in der einen oder anderen Funktion für die Chinooks-Organisation und waren besser unter ihren Spitznamen Mini-Pit und Kleiner Boss bekannt.
Er nahm einen der letzten freien Plätze neben Frankie »der Sniper« Kawczynski ein. Ganz vorne stand ein Mann im blauen Anzug mit einer Bibel in der Hand vor einem riesigen Steinkamin, der mit roten Rosen und irgendwelchen weißen Blumen geschmückt war. Das musste der Prediger sein, vielleicht auch ein Friedensrichter. Aber eines war sicher, ein falscher Elvis war er nicht.
»Hey, Sam. Lungern Daniel und Marty noch immer unten rum?«
»Ja.« Sam sah auf die Uhr. Wenn sie es noch vor der Braut schaffen wollten, sollten sich die Jungs lieber sputen. Dies war eines der Ereignisse, zu denen die Spieler pünktlich erscheinen mussten, und die Teilnahme an der Hochzeit von Faith Duffy, Eignerin der Seattle Chinooks, ganz abzusagen, war undenkbar. Ansonsten würde Sam nicht im Anzug hier hocken und darauf warten, dass die Show endlich begann. Und sich vor den Reizen seiner Exfrau fürchten.
Aus der Musikanlage dröhnte irgendwelche Hochzeitsmucke, und Sam warf einen Blick über die Schulter, als eine Frau, die er als Mutter der Braut wiedererkannte, den Saal betrat. Statt ihrer sonst knallengen Klamotten und ihren protzigen Klunkern trug sie heute ein schlichtes rotes Kleid. Ihre einzigen Accessoires bestanden aus einem Blumensträußchen und dem winzigen weißen Kläffer, den sie auf dem Arm trug. Der wie alle kleinen Kläffer große Ohrmuscheln hatte. In Rot, passend zu seinen Nägeln.
Dicht hinter der Brautmutter betraten Ty Savage und sein Vater Pavel den Raum. Vater und Sohn waren Eishockeylegenden, und jeder, der sich auch nur annähernd für den Sport interessierte, hatte den Namen Savage schon einmal gehört. Sam hatte Pavel von frühster Kindheit an beim »Old School«-Eishockey zugesehen, bei dem es noch keine Schutzhelme und Kampfregeln gab. Später hatte Sam dann sowohl mit als auch gegen Ty gespielt und war unbestritten einer der besten Spieler, die sich je ein Paar Schlittschuhe zugeschnürt hatten. Beide Männer steckten in traditionellen schwarzen Smokings, und einen unbehaglichen Augenblick lang blitzte vor Sams geistigem Auge seine eigene Hochzeit auf. Nur dass er statt eines Smokings ein BELIEVE- T-Shirt von Cher und Jeans getragen hatte. Er wusste nicht, was demütigender gewesen war, die Hochzeit oder das T-Shirt.
Ty und Pavel nahmen ihre Plätze gegenüber der Brautmutter vor dem Kamin ein. Ty wirkte ganz ruhig. Gar nicht nervös oder von der Angst getrieben, einen Riesenfehler zu begehen. Vermutlich hatte Sam auf seiner Hochzeit auch recht ruhig gewirkt. Natürlich war er hackevoll gewesen. Das war die einzige Erklärung für sein Handeln. Der Schrecken des Ganzen war erst am nächsten Morgen bis in sein Hirn vorgedrungen. Die Erinnerung an seine hackevolle Hochzeit mied er wie eine Hure die Sittenpolizei. Auch jetzt schob er sie weit weg und verschloss sie sicher dort, wo er alle unangenehmen Erinnerungen und ungewollten Gefühle verwahrte.
Die leise Harfenmusik ging in den Hochzeitsmarsch über, und als die Braut den Saal betrat, erhoben sich alle. Faith Duffy war eine der schönsten Frauen auf dem Planeten. Groß und blond, mit einem fantastischen Gesicht. Wie eine Barbiepuppe. Perfekte Brüste. Und er fand nicht, dass er ein Perversling war, nur weil ihm ihr Busen auffiel. Schließlich war sie Playmate des Jahres gewesen, und die meisten Männer hier im Saal hatten ihre Fotostrecke bewundert. Heute trug sie ein eng anliegendes weißes Kleid, das sie vom Hals bis zu den Knien verhüllte. Über den hauchdünnen Schleier auf Faiths Kopf hinweg erhaschte er einen Blick auf Autumn, die hinten in den Saal schlüpfte. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie ihn als unreif und egoistisch beschimpft, ihm vorgeworfen, ein verantwortungsloser geiler Bock zu sein, und ihre Tirade mit dem Vorwurf beendet, Fußpilz im Gehirn zu haben. Was nicht stimmte. Er hatte noch nie Fußpilz gehabt, nicht mal am Fuß, und hatte ihr das sehr übel genommen. Er hatte die Beherrschung verloren und sie eine zickige Kneifzange genannt. Was in ihrem Fall auch stimmte, aber das war noch nicht das Schlimmste gewesen. Nein, das Schlimmste war der Ausdruck in den blauen Augen seines dreijährigen Sohnes Conner gewesen, der plötzlich hinter dem Sofa auftauchte. Als hätten seine Eltern ihm eigenhändig einen Dolch ins Herz gestoßen. Das war das Schlimmste daran gewesen. Nach diesem Abend hatten sie einvernehmlich beschlossen, dass es das Beste wäre, sich nicht mehr am selben Ort aufzuhalten. Deshalb war es heute das erste Mal, dass er sich mit Autumn im selben Gebäude befand, sie überhaupt sah, seit wie lange inzwischen? Zwei Jahre vielleicht?
...
Übersetzung: Antje Althans
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Rachel Gibson
Seit sie sechzehn ist, erfindet Rachel Gibson mit Begeisterung Geschichten. Damals allerdings brauchte sie ihre Ideen vor allem dazu, um sich für ihre Eltern alle möglichen Ausreden einfallen zu lassen. Ihre Karriere als Autorin begann viel später und hat sie inzwischen ganz nach oben auf die amerikanischen Bestsellerplätze und ganz tief in die Herzen ihrer begeisterten Leserinnen geführt. Rachel Gibson lebt mit einem Ehemann, drei Kindern, zwei Katzen und einem Hund in Boise, Idaho.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rachel Gibson
- 2012, 287 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Althans, Antje
- Übersetzer: Antje Althans
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442476283
- ISBN-13: 9783442476282
Rezension zu „Küssen hat noch nie geschadet / Seattle Chinooks Bd.6 “
"Ein wunderschöner Liebesroman."
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