Das achte Opfer / Julia Durant Bd.2
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PROLOG
Halb zehn. Große Pause. Es war stickig im Klassenzimmer, und alle strömten hinaus in die Gänge und hinunter auf den Pausenhof. Auch Carla, zwölf Jahre alt, einsfünfundfünfzig groß, mit noch sehr knabenhafter Figur und einem kindlich-naiven Gesichtsausdruck, graublauen Augen und schulterlangem, dunkelblondem Haar, stieg die Treppen hinab, ein Schulbrot, das ihre Mutter ihr am Morgen eingepackt hatte, in der linken Hand. Sie fühlte sich nicht sonderlich wohl, vor einem Monat hatte sie zum ersten Mal ihre Periode gehabt, die einhergegangen war mit heftigen Unterleibsschmerzen und Übelkeit; sie hatte zwei Tage dem Unterricht fernbleiben müssen. Glücklicherweise war sie frühzeitig von ihrer Mutter aufgeklärt worden, so daß dieses erste Mal nicht zu einem Horrortrip wurde; dennoch hatte sie Angst gehabt. Wovor genau, hätte sie nicht auszudrücken vermocht. Vielleicht, weil Blut ihr immer Angst machte, vielleicht, weil die Schmerzen so heftig waren, vielleicht aber auch nur vor dem Neuen, Unbekannten, das sie trotz aller Aufklärung noch nicht ganz verstand.
Aus den Erzählungen ihrer Mutter entnahm sie lediglich, daß sie damit den ersten Weg zum Frauwerden beschritt.
Und Frauwerden bedeutete, Kinder bekommen zu können, vorsichtig im Umgang mit Jungs und Männern zu sein, und, und, und . . .
Sie hatte Hunger, aber keinen Appetit. Da waren wieder diese leichte, bohrende Übelkeit und das Ziehen in ihrem Bauch, und sie ahnte, daß es bald wieder soweit sein würde. Sie hielt das Brot eine Weile in der Hand, betrachtete es, während um sie herum geredet, gestritten, gelacht oder gebalgt wurde, Jungen die Mädchen hänselten, ein paar Lehrer als hilflose Aufpasser fungierten und die Sonne bereits jetzt am Morgen mit unbarmherziger Kraft von einem wolkenlosen,
»Nee, nicht so richtig. Mir geht s nicht so besonders. Hab Bauchweh.«
»Kriegst du wieder deine Tage?« fragte Sylvia und legte einen Arm um Carlas Schultern.
»Hmh, sieht so aus. Verdammter Mist.«
»Ach komm, ist alles halb so schlimm. Ich hab den Scheiß schon seit zwei Jahren und komme inzwischen ganz gut damit zurecht.«
»Hast du auch immer solche Schmerzen?«
»Geht so. Ich hab ganz gute Tabletten dagegen. Damit lässt sich s aushalten. Auf jeden Fall stirbt man nicht daran.«
»Das weiß ich auch! Ist trotzdem ein blödes Gefühl.«
Sie gingen ein Stück über den Hof, setzten sich auf eine der vielen Rundbänke. Carla nahm ihr Brot und warf es in den neben ihr stehenden Abfallkorb. Sie hatte die Beine eng geschlossen, die Hände gefaltet, den Blick zu Boden gesenkt.
»Hör mal zu, Carla, ich hab da eine Idee. Am Samstag steigt bei Matti eine kleine Fete. Du kennst doch Matti, oder?«
»Hab den Namen schon mal gehört, aber . . .«
»Das ist der Dunkelhaarige da drüben am Geländer. Er ist schon in der zehnten, und - na ja, er hat mich gefragt«, sagte sie lachend und zuckte mit den Schultern. »Du mußt dir mal vorstellen, ausgerechnet mich, ob ich nicht Lust hätte, auch zu kommen.« Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Bei der Gelegenheit hat er mich auch gleich gefragt, ob ich dich nicht fragen will, ob du nicht auch Lust hättest . . .«
Carla blickte erstaunt auf. »Was, ich?«
»Ja, warum nicht du?«
»Ich bin zwölf, wenn du das vergessen haben solltest.«
»Na und? Ich bin dreizehn und gehe auch hin. Ich kann dir nur soviel verraten - was ich bis jetzt von Mattis Feten gehört habe, da soll s ganz schön abgehen.«
»Wie meinst du das?«
»Tolle Musik und so n Zeug. Der macht das regelmäßig, wenn seine Eltern mal wieder verreist sind. Was ist, kommst du mit?«
»Weiß nicht. Ich glaube kaum, daß meine Eltern das erlauben.«
»Und warum nicht? Du kannst ihnen ja sagen, daß du mit mir dorthin gehst und wir auch nicht länger als bis elf oder höchstens zwölf bleiben. Dein Vater oder meine Mutter können uns ja abholen. Das Wichtigste ist doch, daß die Alten wissen, wo wir sind. Dann machen sie sich auch keine Sorgen. Brauchen sie im übrigen auch nicht, ist alles ganz harmlos. Ich weiß auch schon von ein paar anderen, die hingehen.«
»Mal sehen.«
»Schau, heute ist Montag. Wenn du heute oder morgen deine Tage kriegst, dann bist du am Samstag auch wieder einigermaßen fit. Überleg s dir. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn du . . .«
»Mal sehen, was sich machen läßt. Aber versprechen kann ich gar nichts.«
»Okay, wir können ja heute nachmittag oder heute abend mal telefonieren.«
Sie standen von der Bank auf und gingen mit langsamen Schritten zum Schulgebäude zurück. Sie folgten einfach dem Strom der anderen Schüler, die sich nach und nach in den einzelnen Klassen verteilten. Die nächsten zwei Stunden würden die Hölle werden. Mathe. Wenn es überhaupt ein Fach gab, das Carla haßte, dann dieses. Nicht, weil sie es nicht kapierte, sie gehörte zu den besten Schülerinnen der Klasse, sondern weil sie einfach nicht begriff, wozu sie das alles lernen sollte. Es gab nur einen einzigen Traum, den sie sich später erfüllen wollte - Schauspielerin. Und das Talent dazu besaß sie, wahrscheinlich hatte sie es von ihrer Mutter geerbt, die bis vor wenigen Jahren nicht nur als Model in vielen Zeitschriften und Magazinen, sondern auch im Fernsehen in zahlreichen Werbespots zu sehen gewesen war.
Jetzt hatte sie ihr Engagement zurückgeschraubt, wollte etwas Ruhe in ihr Leben bringen und sich mehr um die Familie kümmern. Aber schon seit sie ein kleines Kind war, wußte Carla, daß sie nichts mehr wollte, als eines Tages auch auf der Bühne und vor der Kamera zu stehen.
SAMSTAG, 18.00 UHR
Gemeinsam mit Sylvia betrat Carla Mattis Haus, eine geräumige Villa nicht weit von ihrem eigenen Haus entfernt. Sie hatte ihr hübschestes, dunkelblaues Kleid angezogen, sich etwas geschminkt, um dadurch ein wenig älter auszusehen. Sie hatte ihren Eltern gesagt, daß sie nach der Party mit zu Sylvia gehen und auch dort übernachten würde. Sie bräuchten sich also keine Sorgen zu machen.
Außer Matti waren noch ein paar Jungen und Mädchen von der Schule da, und einige Gesichter, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Soweit sie feststellen konnte, war sie die jüngste der Anwesenden, die meisten waren etwa zwischen fünfzehn und zwanzig. Vielleicht sogar ein wenig älter. Einige tranken Bier, andere auch härtere Sachen.
Manche rauchten, laute Musik hämmerte aus riesigen Lautsprechern. Man mußte fast schreien, wollte man sich unterhalten. Ein paarmal meinte sie, von Blicken förmlich verfolgt zu werden, aber sie konnte sich auch täuschen. Matti kam kurz zu ihr, wechselte einige belanglose Worte mit ihr. Sie fühlte sich nicht sonderlich wohl in der Umgebung: der Lärm, die vielen fremden Gesichter, der schwer in der Luft hängende, süßliche Geruch. Und doch war sie neugierig, trank eine Cola, beobachtete das Treiben um sich herum.
Zwanzig Uhr. Sie saß immer noch auf ihrem Stuhl, ohne daß sich irgend jemand um sie gekümmert hätte. Selbst Sylvia, ihre beste Freundin, war seit über einer halben Stunde in dem Treiben verschwunden, zuletzt hatte sie sie mit einem bestimmt fünf oder sechs Jahre älteren Jungen die Treppe zum ersten Stock hochgehen sehen. Sie trank eine weitere Cola, als eine ihr unbekannte junge Frau auf sie zukam und sich zu ihr setzte. Carla schätzte sie auf etwa zwanzig, sie war groß, hatte lange, dunkle Haare und ebenso dunkle, große Augen, sie trug ein schwarzes Minikleid, das jede ihrer reichlich vorhandenen Rundungen mehr als betonte. Für einen Moment sah sie Carla direkt an, schließlich sagte sie mit warmer, weicher Stimme: »Ich hab dich noch nie gesehen. Bist du zum ersten Mal hier?«
Carla nickte.
»Na ja, beim ersten Mal ist es noch ein bißchen - komisch, oder? Aber man gewöhnt sich dran. Willst du nicht lieber was anderes trinken . . . als diese Cola? Soll ich dir was mixen?«
»Was denn?« fragte Carla mißtrauisch.
»Laß dich einfach überraschen. Es wird dir schmecken, ich garantiere es dir. Und außerdem fühlst du dich danach mit Sicherheit ein bißchen wohler.«
»Ich fühl mich nicht unwohl . . .«
»Ach komm, das sieht doch jeder, daß dir das alles hier nicht ganz geheuer ist. Ich bin gleich wieder da.« Sie erhob sich, reichte Carla die Hand und fügte hinzu: »Übrigens, ich heiße Anna, und du?«
»Carla.«
»Ein hübscher Name, wirklich. Bis gleich.«
Kaum eine Minute später kehrte Anna zurück, ein Glas in der Hand, das sie Carla hinhielt. »Hier, das ist garantiert besser als Cola. Du mußt es aber auf einen Zug austrinken.«
»Warum?«
»Man muß sich an den Geschmack erst gewöhnen, das ist alles. Es ist wie mit Medizin. Aber ich schwöre dir, es ist nichts Schlimmes. Also komm, trink.« Carla nahm das Glas und trank es leer, wie Anna gesagt hatte. Das Getränk schmeckte etwas bitter, und es brannte anfänglich im Magen.
Doch schon nach wenigen Augenblicken spürte sie Wärme in sich aufsteigen, spürte sie, wie die Anspannung, die sie während der letzten zwei Stunden verspürt hatte, schwand.
»Na, und? Besser jetzt?«
Carla lächelte zum ersten Mal an diesem Abend. »Ein bißchen.«
»Möchtest du noch eins?«
»Ja, warum nicht?«
»Komm mit, dann kann ich dich auch gleich den anderen vorstellen. Es sind alles ganz nette Typen.«
Sie wurde einem nach dem anderen vorgestellt, trank ihr zweites Glas leer. Ein junger Mann in Jeans, T-Shirt und einem Blazer kam auf sie zu, lächelte sie an.
»Na, wie geht’s?«
»Ganz gut, warum?«
»Nur so ‚ne Frage. Kennst du eigentlich schon das Haus?«
»Nein, wie sollte ich?«
»Mein Bruder Matti ist nicht gerade ein besonders aufmerksamer Gastgeber. Aber du mußt ihn entschuldigen, er ist noch jung und unerfahren. Wenn du gestattest, werde ich mich deiner annehmen. Einverstanden?«
»Von mir aus.«
»Gut, gehen wir nach oben. Oben ist nämlich mehr los als hier unten. Highlife, wenn du verstehst, was ich meine. Also, komm.«
»Wie heißt du?«
»Nenn mich Charles oder Charly. Aber nur meine Freunde dürfen mich Charly nennen.«
»Okay, Charly.«
Sie gingen die Treppe hoch, betraten das zweite Zimmer links. Vier Jungs und vier Mädchen saßen an einem Glastisch und blickten auf, als Charly und Carla in das Zimmer kamen. Die einzige Person, die Carla kannte, war Sylvia, die anderen hatte sie noch nie zuvor gesehen.
»Hier, setz dich. Wir haben hier eine gemütliche, aber aufregende Runde. Es wird dir gefallen.« Charly blickte einen auf der anderen Seite des Tisches stehenden Mann an, gab ihm ein Zeichen. Der Mann ging an einen Schrank, holte ein kleines Päckchen heraus, legte es auf den Tisch.
Charly öffnete es, kippte den weißen Inhalt auf die Glasplatte.
Er sagte: »So, Leute, jetzt kann die Party losgehen.«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
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Interview mit Andreas Franz
Es hat lange gedauert, ehe ein Buch von Ihnen von einem Verlag angenommen wurde und Sie zu einem erfolgreichen Krimiautor wurden. Schreiben Sie gerne, oder ist Schreiben vor allem harte Arbeit für Sie? Wie empfinden Sie es, nun ein Bestsellerautor zu sein?
Ich schreibe sogar sehr gerne, aber es ist auch harte Arbeit, verdammt harte Arbeit. Doch wie empfinde ich es, nun ein Bestsellerautor zu sein?! Bin ich überhaupt einer, nur weil ich ein paar tausend Bücher mehr als ein paar andere verkaufe? Ich denke, das Problem ist, dass die meisten glauben, Bestsellerautor müsste gleichbedeutend sein mit Bestverdiener. Das ist jedoch ein Riesenirrtum. Es gibt überall, auch hierzulande, Bestsellerautoren, die Millionen verdienen, ich hingegen bin froh, dass ich meine Familie einigermaßen über die Runden bringen kann. Ein weiteres Problem ist, dass z.B. ein Grisham oder Crichton oder eine Walters oder Cornwell oder George und viele andere schon Monate vor Erscheinen ihres neuen Werks - ganz gleich wie gut oder miserabel es auch ist - medienwirksam von den Verlagen promotet werden, dazu erhalten sie Vorschüsse, von denen ich und auch andere Autoren jahrelang sorglos leben könnten. Für die oben genannten wird automatisch ein Platz in der Bestsellerliste reserviert, doch wenn ich mir zu vielen derer Bücher die Leserrezensionen anschaue, dann weichen diese doch sehr häufig von der Meinung der Medienrezensenten ab. Seltsam, oder? Meine Leserschaft hat sich im Laufe der Jahre fast ausschließlich durch Mund-zu-Mund Propaganda aufgebaut, und durch die Empfehlungen von Buchhändlern, denen ich sehr, sehr dankbar bin. Das heißt aber auch, dass ich noch lange Zeit hart weiterarbeiten muss, bevor ich mir mal einen Burnout oder einen richtig langen Urlaub leisten kann, von einem schicken Haus ganz zu schweigen. Aber schau mer mal, was die Zukunft bringt. Ich lebe nach dem Motto - cogito ergo sum, ich denke, also bin ich. Und ich hoffe, noch lange denken und auch beobachten zu können. Und sollte irgend jemand nach dem Gelesenen meinen, ich wäre nur neidisch auf die Großverdiener - falsch, im Gegenteil, ich schreibe wenigstens noch selbst und bin froh und dankbar, einen Beruf ausüben zu können, von dem ich immer geträumt habe.
1970 haben Sie das Gymnasium verlassen und eine Sprachschule besucht, um "etwas Ordentliches aus meinem Leben zu machen." Ist Ihnen das gelungen?
Ich denke schon. Schreiben war ein lang gehegter Traum, der Wirklichkeit wurde. Was kann es Schöneres und Erfüllteres geben?!
Es gibt immer wieder Polizisten, die an dem, was sie über Jahre sehen, seelisch zerbrechen. Wie wird innerhalb der Polizei mit psychischen Problemen umgegangen? Welche Art von Hilfe ist hier überhaupt möglich?
Es gibt Polizeipsychologen, die sich um z.B. traumatisierte Beamte kümmern, die mit schrecklichen Bildern konfrontiert wurden. Allerdings reden viele Beamte nicht über ihre Probleme, sondern fangen etwa an zu trinken, häusliche Gewalt findet man in dieser Berufsgruppe auch nicht selten, die Scheidungsrate ist relativ hoch. Welche Hilfe überhaupt möglich ist ich weiß es nicht.
In Ihren Krimis geht es häufig um verschiedene Formen des Missbrauchs. Was bedeutet Ihnen dieses Thema?
Missbrauch jedweder Form ist für mich verabscheuungswürdig, weil er nicht nur häufig den Körper verletzt, sondern vor allem die Seele tötet. Und ich gebe zu, es macht mich unendlich wütend, wenn ich wieder einmal von einem besonders gravierenden Fall höre. In meinen Büchern spielt Missbrauch eine große Rolle, denn ich möchte meine Leser auch zum Nachdenken anregen. Kinder können sich nicht wehren, sie schreien ihren Schmerz nach innen und haben nur sehr selten eine Chance, ihrem Peiniger zu entkommen. Und ich spreche auch aus eigener Erfahrung, da ich in meiner Kindheit fast vierzehn Jahre miterleben musste, wie meine Mutter beinahe täglich misshandelt und missbraucht wurde. Deshalb an alle Männer: Finger weg von Kindern und Frauen, es gibt andere Möglichkeiten, seine inneren und äußeren Konflikte zu lösen! Über das Vorwort meines ersten Romans "Jung, blond, tot" habe ich geschrieben: Wenn die Seele verbrennt, bleibt nicht einmal Asche. Missbrauch wird jedenfalls immer wieder mal in einem meiner Bücher vorkommen, es wird allerdings kein Dauerthema sein.
Fast alle von Ihnen beschriebenen Fälle beruhen auf wahren Begebenheiten. Sie haben gute Kontakte zur Frankfurter Polizei. Gleichzeitig sagen Sie - wie mit ähnlichen Worten übrigens auch Henning Mankell: "Die Wirklichkeit sieht allemal düsterer aus, als meine Phantasie es zulässt." Wie passt das zusammen? Welche Wirklichkeiten verschließen sich Ihnen beim Schreiben?
Es ist richtig, dass ich das gesagt habe. Jedes Mal, wenn ich mit Kripobeamten spreche, erfahre ich, wie skrupellos manche Menschen vorgehen, so skrupellos, dass meine Phantasie nicht ausreicht, um mir dies auszudenken. Allerdings erhalte ich so nach und nach Einblick in Abgründe, die die wenigsten sehen oder sehen wollen. Dabei handelt es sich nicht nur um "einfache" Mörder oder Serientäter, sondern auch um die kriminellen Machenschaften in Politik und Wirtschaft. Es ist ein dichtes und immer dichter werdendes Netz der organisierten Kriminalität, die mittlerweile alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens infiltriert oder sogar unter Kontrolle hat. Und das ist erschreckend, aber nicht mehr zu ändern.
Die Personen in Ihren Romanen sind psychologisch sehr einfühlsam gezeichnet. Dabei fällt auf, dass insbesondere das Verhalten der Täter erklärt, ja manchmal geradezu "entschuldigt" wird. Glauben Sie, dass sich jede kriminelle Tat psychologisch erklären lässt?
Dass ich Täterverhalten entschuldige, ist schlichtweg falsch. Ich versuche lediglich zu ergründen, was einen Menschen zum Beispiel zu einem Mörder hat werden lassen. Und da gibt es unzählige Gründe, doch einer der häufigsten - gerade bei Serienkillern - ist persönlich erlebter Missbrauch. Wie ich oben bereits erwähnte, verletzt Missbrauch nicht nur den Körper, sondern tötet die Seele, vor allem, wenn dieser Missbrauch über einen längeren Zeitraum hinweg geschieht. Da ich selbst im Alter von fünfzehn Jahren mit einem Serienkiller befreundet war und seine Kindheitsgeschichte fast zwanzig Jahre später erfuhr (darauf beruht übrigens "Jung, blond, tot"), begann ich mich intensiver mit dem Phänomen Serienkiller zu beschäftigen. Ich entschuldige nicht einen einzigen Mord, ich entschuldige aber auch nicht das, was diese Menschen letztlich dazu getrieben hat, diese schrecklichen Taten zu begehen. Nur in dem Buch "Das achte Opfer" versuche ich, Verständnis für das Verhalten des Täters zu wecken, denn dieses Buch beruht ebenfalls auf einer wahren Geschichte, die mir von einem höchst resignierten Hauptkommissar, der seit beinahe fünfunddreißig Jahren bei der Kripo ist, erzählt wurde. In besagtem Buch lege ich den Finger in eine Wunde und prangere unser Justizsystem an, was dazu führte, dass ich mehrere wütende Briefe und Mails von Staatsanwälten und Richtern erhalten habe, in denen ich bezichtigt wurde, Selbstjustiz gutzuheißen. Diese werten Damen und Herren sollten das Buch einmal nicht aus der juristischen, sondern der menschlichen Warte lesen. Außerdem sehe ich mich weniger als Roman-, denn als Berichtautor, da fast alle von mir niedergeschriebenen Fälle auf wahren Begebenheiten beruhen - und ich merke an den Reaktionen meiner LeserInnen, dass genau dies an meinen Büchern geschätzt wird. Und nein, ich glaube nicht, dass sich jede kriminelle Tat psychologisch erklären lässt, da manche Taten im Affekt oder in einem Zustand geistiger Verwirrung geschehen und somit nicht erklärbar sind, nicht einmal von den Tätern. Eigentlich lassen sich die wenigsten Taten, ganz gleich welcher Art, psychologisch erklären, auch wenn manche sogenannte Gutachter und Psychologen das zu können meinen. Der menschliche Geist, die Psyche und die Emotionen sind dazu noch viel zu wenig erforscht.
Die Fragen stellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Andreas Franz
- 2000, 29. Aufl., 512 Seiten, Masse: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426617897
- ISBN-13: 9783426617892
- Erscheinungsdatum: 02.05.2000
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