Todesmelodie / Julia Durant Bd.12
Ein neuer Fall für Julia Durant. Roman. Originalausgabe
Gute Nachrichten für alle Krimi-Fans: Julia Durant ist zurück!
Gleich der erste Fall nach ihrer Rückkehr in den aktiven Dienst verlangt Julia Durant, die immer noch unter dem Trauma ihrer Entführung leidet, wieder...
Gleich der erste Fall nach ihrer Rückkehr in den aktiven Dienst verlangt Julia Durant, die immer noch unter dem Trauma ihrer Entführung leidet, wieder...
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Produktinformationen zu „Todesmelodie / Julia Durant Bd.12 “
Gute Nachrichten für alle Krimi-Fans: Julia Durant ist zurück!
Gleich der erste Fall nach ihrer Rückkehr in den aktiven Dienst verlangt Julia Durant, die immer noch unter dem Trauma ihrer Entführung leidet, wieder alles ab: In einem WG-Zimmer wird eine Studentin aufgefunden. Sie wurde grausam gequält und schließlich getötet, am Tatort läuft der Song "Stairway to Heaven". Verbissen ermittelt das K11 die mutmaßlichen Verdächtigen, und das Gericht verurteilt sie zu hohen Haftstrafen. Zwei Jahre lang wähnen sich alle in dem Glauben, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Doch dann taucht ein weiterer toter Student auf, und wieder spielt dasselbe Lied ...
Rund ein Jahr nach dem plötzlichen Tod von Andreas Franz wird die Reihe um Julia Durant fortgesetzt - ganz in seinem Sinne und in enger Zusammenarbei mit seiner Familie.
„Mein Mann würde sich darüber freuen, dass seine Figuren weiterleben dürfen. Ich bin sehr beeindruckt davon, wie es Daniel Holbe gelungen ist, die Geschichte um Julia Durant und ihre Kollegen weiterzuschreiben, und wünsche mir, dass die Franz-Leser ähnlich empfinden werden."
Inge Franz
Ein Nachfolger für Andreas Franz
Daniel Holbe, Jahrgang 1976, lebt mit seiner Familie in Wetterau bei Frankfurt. Insbesondere Krimis aus "seiner" Region faszinieren den lesebegeisterten Holbe schon seit langem.
So wurde er Andreas-Franz-Fan - und schließlich selbst Autor. Als er einen Krimi beim Verlag anbot, war Daniel Holbe überrascht: Man fragte ihn, ob er sich auch vorstellen könne, ein bereits bestehendes Projekt zu übernehmen. Er sollte die erfolgreiche Julia-Durant- Reihe von Andreas Franz fortsetzen. "Als leidenschaftlicher Krimi-Leser, auch und vor allem von Andreas Franz, ist das Vollenden der Todesmelodie natürlich ein besonderes Privileg für mich."
Gleich der erste Fall nach ihrer Rückkehr in den aktiven Dienst verlangt Julia Durant, die immer noch unter dem Trauma ihrer Entführung leidet, wieder alles ab: In einem WG-Zimmer wird eine Studentin aufgefunden. Sie wurde grausam gequält und schließlich getötet, am Tatort läuft der Song "Stairway to Heaven". Verbissen ermittelt das K11 die mutmaßlichen Verdächtigen, und das Gericht verurteilt sie zu hohen Haftstrafen. Zwei Jahre lang wähnen sich alle in dem Glauben, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Doch dann taucht ein weiterer toter Student auf, und wieder spielt dasselbe Lied ...
Rund ein Jahr nach dem plötzlichen Tod von Andreas Franz wird die Reihe um Julia Durant fortgesetzt - ganz in seinem Sinne und in enger Zusammenarbei mit seiner Familie.
„Mein Mann würde sich darüber freuen, dass seine Figuren weiterleben dürfen. Ich bin sehr beeindruckt davon, wie es Daniel Holbe gelungen ist, die Geschichte um Julia Durant und ihre Kollegen weiterzuschreiben, und wünsche mir, dass die Franz-Leser ähnlich empfinden werden."
Inge Franz
Ein Nachfolger für Andreas Franz
Daniel Holbe, Jahrgang 1976, lebt mit seiner Familie in Wetterau bei Frankfurt. Insbesondere Krimis aus "seiner" Region faszinieren den lesebegeisterten Holbe schon seit langem.
So wurde er Andreas-Franz-Fan - und schließlich selbst Autor. Als er einen Krimi beim Verlag anbot, war Daniel Holbe überrascht: Man fragte ihn, ob er sich auch vorstellen könne, ein bereits bestehendes Projekt zu übernehmen. Er sollte die erfolgreiche Julia-Durant- Reihe von Andreas Franz fortsetzen. "Als leidenschaftlicher Krimi-Leser, auch und vor allem von Andreas Franz, ist das Vollenden der Todesmelodie natürlich ein besonderes Privileg für mich."
Klappentext zu „Todesmelodie / Julia Durant Bd.12 “
Gleich der erste Fall nach ihrer Rückkehr in den aktiven Dienst verlangt Julia Durant, die immer noch unter dem Trauma ihrer Entführung leidet, wieder alles ab: In einem WG-Zimmer wird eine Studentin aufgefunden. Sie wurde grausam gequält und schliesslich getötet, am Tatort läuft der Song "Stairway to Heaven". Verbissen ermittelt das K11 die mutmasslichen Verdächtigen, und das Gericht verurteilt sie zu hohen Haftstrafen. Zwei Jahre lang wähnen sich alle in dem Glauben, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Doch dann taucht ein weiterer toter Student auf, und wieder spielt dasselbe Lied ...
Lese-Probe zu „Todesmelodie / Julia Durant Bd.12 “
Todesmelodie von Andreas Franz... mehr
Jennifer Mason lag nackt auf ihrem Bett. Es war ein gewöhnlicher Futon, eins vierzig breit, weißes Laken. Die hell bezogene Sommerdecke war zerwühlt und hing zu zwei Dritteln auf das nussfarbene Parkett hinunter. Links vom Bett stand eine kleine Kommode, daneben ein Kleiderschrank aus einfach verarbeitetem Birkenholz. Rechts befand sich ein Holzregal, darin eine Stereoanlage und einige CDs, ansonsten glich der schmucklose Raum eher einem Büro als einem Wohnbereich. Weiße IKEA-Regale voll mit Büchern und ein verhältnismäßig großer Schreibtisch, darauf ein halbwegs moderner Laptop und Schreibutensilien. Die vier Halogen-Spots an der Decke vermochten jeden Winkel der zwanzig Quadratmeter grell mit Licht zu durchfluten.
Keinerlei Romantik im Raum, wie ihre Mitbewohnerin stets zu bemängeln wusste. Adriana Riva, eine hochgewachsene und ausgesprochen attraktive Italienerin, teilte sich die kleine Studenten-WG mit Jennifer und einer weiteren Studentin. Was sie nicht teilten, war die Auffassung vom Studieren. Adriana entstammte einer einfachen Arbeiterfamilie, die schon allein damit zu beeindrucken war, dass ihre Tochter überhaupt eine Hochschule besuchte. Sie finanzierte das Studium mit einem lukrativen Nebenjob bei einer Eventagentur und kannte die Rhein-Main-Partyszene in- und auswendig. Für Jennifer hingegen, die einen älteren Bruder mit steiler Laufbahn in der Armee und einen hochgebildeten Vater hatte, war es keine Selbstverständlichkeit, ein Auslandsjahr in Frankfurt verbringen zu dürfen. Ihre Noten hatten perfekt zu sein, sie musste jeden Leistungsnachweis nach Hause schicken. Die einundzwanzigjährige Kanadierin ließ sich daher nur selten zu Discobesuchen oder ausschweifenden Semesterpartys überreden, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf das Studium. Umso mühsamer war es für Adriana gewesen, sie davon zu überzeugen, wenigstens zu Semesterbeginn eine kleine Feier zu veranstalten.
»Aber wirklich nur ein paar Leute!«, waren Jennifers warnende Worte gewesen.
»Versprochen«, hatte Adriana gesagt.
»Keine Kiffer!«
»Nein, keine Kiffer.«
»Und nicht diese Komasäufer und deren Kumpane!«
Die dumpfen Bassschläge der Stereoanlage waren längst verklungen, umso intensiver nahm Jennifer nun die grellen, psychedelischen Farben wahr, die sich wie schnell drehende Spiralen in ihre weit aufgerissenen Augen bohrten. Sie fühlte das weiche, schweißnasse Bettlaken im Rücken, doch sie war nicht in der Lage, Arme und Beine zu bewegen. Sie vermochte nicht einmal die Position ihrer Extremitäten mit Gewissheit zu bestimmen und spürte diese erst wieder, als sich zwei Fäuste fest um ihre Handgelenke schlossen. Irgendwann - sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie viel Zeit dazwischen vergangen war - bemerkte sie den dumpfen Rhythmus ihres Unterleibs, der ohne ihr Zutun wild zu beben begonnen hatte. Es waren harte, gnadenlose Stöße, deren Inbrunst sie allerdings nicht wahrnahm. Sicher war nur, dass sie es nicht wollte: Sie wollte die stechenden Farben nicht mehr sehen und auch nicht die Fratzen, die sich immer wieder aus ihnen lösten, unangenehm dicht vor ihren Augen. Lüstern bleckten sie die Zähne oder drohten sie mit aufgerissenen Mäulern zu verschlingen. Und dann der brennend heiße Atem und das weit entfernte hysterische Lachen.
Jennifer war sich sicher, dass sie fliehen musste, doch sie wusste weder vor wem noch wohin. Ein weiterer Stoß durchfuhr ihren wehrlosen Körper, und ein Krampf schien ihren Bauch zu durchziehen. Plötzlich sehnte sie sich danach, ihrem Körper zu entschweben, einfach diese nutzlose Hülle zu verlassen, die sie quälte und nicht entkommen ließ. Wie gerne hätte sie sich den bunten Farben hingegeben, wäre ein Teil des Regenbogens geworden, fern von allem irdischen Leid. Doch das gepeinigte Gefängnis aus Fleisch und Knochen hielt ihre Seele fest umklammert und zwang ihr Stunde um Stunde weiterer schmerzhafter Demütigung auf.
Endlich aber, als die Farben längst verblasst waren und sich die Sehnsucht nach Wärme in ein Wimmern der Verzweiflung gewandelt hatte, ließ der Peiniger von ihr ab. Ein letztes Mal beugte er sich über sie. Der kalte Stahl am Hals erschreckte sie nicht, und Sekunden später spürte sie eine wohlige Wärme, die sie allen Schmerz vergessen ließ. Das Letzte, was Jennifer Mason wahrnahm, war der Geschmack von Eisen und eine angenehme Schwere.
Dankbar spürte sie, wie der geschundene Leib ihre Seele freiließ.
SAMSTAG, 6. SEPTEMBER 2008, 6.25 UHR
Müde stapfte Julia Durant die hölzernen Treppenstufen hinauf. Ihr freies Wochenende hatte sie sich weiß Gott anders vorgestellt, als morgens um halb sieben einen Tatort aufzusuchen. Andererseits hatte sie zu dieser Tageszeit keine Viertelstunde gebraucht, um Frankfurt von ihrer neuen Wohnung am Holzhausenpark in Richtung Fechenheim zu durchqueren. Die WG, zu der man sie gerufen hatte, lag in einem Altbau, der sich außen kaum von den anderen Häusern des Viertels unterschied: ein weiß getünchtes Backsteinhaus, zwei Etagen, mit einer klobigen Gaube, die aus dem schwarzen Ziegeldach hervorragte. Die Hausbesitzer gehörten zur oberen Mittelschicht und vermieteten, seit ihre Kinder ausgezogen waren, die obere Etage an Studenten. Am Ende der Treppe angekommen, verschnaufte Durant. »Jaja, die Raucherlunge«, hörte sie einen ihr unbekannten Kollegen sagen, der an ihr vorbeihuschte und nach unten verschwand. Idiot, dachte sie, ihr habt ja keine Ahnung.
Nach ihrer Entführung im vergangenen Juni hatte Julia Durant einen Zusammenbruch erlitten und vier Tage in den Main-Taunus-Kliniken Bad Soden verbracht. Auf Anraten der Ärzte sowie das Drängen ihres Vaters und ihrer besten Freundin Susanne hatte sie nach der Entlassung umgehend ihre lange geplante Reise nach Südfrankreich angetreten. Schon nach wenigen Tagen war jedoch klar gewesen, dass es mit einem einfachen Urlaub nicht getan war. Julia Durant war ausgebrannt.
»Ich würde sie gerne für ein paar Monate bei mir behalten«, hatte sie Susanne mit sorgenvoller Stimme zu ihrem Vater sagen hören.
»Ja, das wäre gut«, hatte dieser zugestimmt. »Sie braucht dringend eine Auszeit, sonst geht sie daran kaputt.«
Es kostete nur zwei Anrufe, einen bei der Krankenkasse und einen bei ihrem Vorgesetzten Berger, und alles war genehmigt: ein Jahr unbezahlte Freistellung, beginnend nach ihrem regulären Urlaub zuzüglich Überstunden und Resttagen, also alles in allem gut dreihundertneunzig Tage. Doch damit alleine war Durant noch nicht geholfen gewesen. Es hatte Wochen gebraucht, bis sie bereit war, sich auf eine Therapie einzulassen, und Monate, um dort das Geschehene zu verarbeiten. Ohne ihre Freundin Susanne hätte sie das alles niemals durchgestanden. Doch nun war Julia wieder zurück, seit vier Wochen im Dienst, und musste langsam wieder alleine klarkommen.
Raucherlunge, dachte sie verächtlich, wenn es doch nur das wäre. Sie war von einem Arzt zum nächsten gerannt, hatte EKG, UKG und EEG über sich ergehen lassen und so viele Blutproben gegeben, dass sie sich wie eine Kuh beim Melken vorgekommen war. Nichts. Keine organische Disposition.
»Tout est bien, Madame Durant«, hatte man ihr stets versichert, »Sie sind kerngesund.«
Warum fühle ich mich dann manchmal wie eine Achtzigjährige, verdammt? Es war zum Verzweifeln.
»Hallo, Julia«, erklang plötzlich die vertraute Stimme von Frank Hellmer und holte sie zurück aus ihren trüben Gedanken. »Ich wusste gar nicht, dass du schon wieder Bereitschaftsdienst machst.«
»Hallo, Frank.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ist mein erster heute.«
»Und dann gleich in die Vollen, wie? Stehst du schon lange hier?«
»Gerade angekommen«, flunkerte sie. »Was liegt denn an?« »Willst du das wirklich wissen?«, seufzte Hellmer. Durant begriff auf Anhieb, welche Frage ihr Kollege damit eigentlich hatte stellen wollen.
»Ach komm schon, Frank«, forderte sie, »ich bin dafür bereit, glaub mir. Irgendwann muss ich ja wieder anfangen, oder? Also los!«
Stirnrunzelnd nickte Hellmer und ließ den Blick über seine Notizen fliegen, bevor er mit dem Bericht begann.
»Jennifer Mason, einundzwanzig, Kanadierin. Wohnt hier mit zwei anderen Studentinnen und ist schon das zweite Semester in Frankfurt. Also etwa seit Januar, Februar, so genau wissen wir das noch nicht. Die Vermieter sind im Ausland, gestern Abend gab es hier eine Gartenparty. Fing wohl alles ganz harmlos an, es gab auch keine Klagen der Nachbarn, und es waren maximal sechs bis acht Personen. Dafür haben sie eine Menge konsumiert, es liegt Ecstasy herum, wir fanden einige Joints und Spuren von Kokain. Es gibt reichlich leere Flaschen, hauptsächlich Wodka und andere harte Sachen. Irgendwann muss die Party einen katastrophalen Verlauf genommen haben, denn wir fanden die Mason nackt auf ihrem Bett, übel zugerichtet und allem Anschein nach vergewaltigt. Laut der Spurensicherung leuchtet das Laken im UV-Licht wie ein Christbaum. Zu guter Letzt wurde ihr die Kehle aufgeschlitzt, so was hab ich lange nicht mehr gesehen. Die Meldung ging von einer der Mitbewohnerinnen ein, Ariana, nein Adriana, eine Italienerin.« Hellmer blätterte in seinen Aufzeichnungen. »Genau, Adriana heißt sie«, fuhr er fort, »und mit Nachnamen Riva. Sie ist kurz nach dem Eintreffen der ersten Beamten zusammengebrochen, deshalb sind unsere Infos auch noch recht vage. Ob ihr Kollaps dem Schock oder der Nachwirkung irgendwelcher Drogen geschuldet ist, das ist noch unklar. Sie wurde offenbar nicht vergewaltigt. Man hat sie jetzt erst mal in die BGU gebracht.«
»Wieso ausgerechnet die Unfallklinik?«
»Keine Ahnung.« Hellmer zuckte mit den Schultern. »Lag wohl einfach am nächsten, nehme ich an.«
»Was ist mit der anderen?«
»Stimmt«, sagte Hellmer hastig, »da gibt's ja noch die Dritte. Helena Johnson, Amerikanerin. Von ihr fehlt seit der Party jede Spur.«
»Hmmm.«
Durant hob das Kinn in Richtung Flur und sah ihren Kollegen fragend an. »Die Leiche ist noch da, nehme ich an?« Hellmer nickte und wies mit seiner Rechten quer über den kleinen Flur. »Leiche, Spurensicherung und Kollegin Sievers«, lächelte er matt. »Hier entlang.«
Julia Durant schätzte die Wohnung auf etwa hundert Quadratmeter. Neben der Eingangstür lag das Badezimmer. Linker Hand befand sich ein Raum, dessen Tür halb angelehnt war. Auf einem selbstgemalten Türschild stand der Name Helena. An der Wand gegenüber befanden sich zwei weitere Türen, beide weit geöffnet, die ebenfalls in private Zimmer führten. Rechts um die Ecke folgte eine schmale Tür mit einem jener billigen, messingfarbenen Beschläge, die es in jedem Baumarkt gab: Gäste-WC. Daneben führte ein offener Durchgang in die Gemeinschaftsküche. Die Einrichtung war eine bunte Mischung aus klobigem Siebzigerjahre-Inventar und günstigen IKEA-Möbeln. Im langgezogenen Flur beispielsweise ergänzte ein schlichter weißer Schuhschrank eine klobige, dunkelbraun lasierte Holzgarderobe und einen auf Kolonialstil gezimmerten Telefontisch. Ein schmaler, rahmenloser Spiegel täuschte dem von der Treppe her eintretenden Besucher einen geräumigeren Flur vor. Die Wände waren hell, und entlang der Decke zog sich eine aufgesetzte Stuckleiste. Alles in allem eine typische Studentenwohnung: günstig, funktional und doch mit einem Hauch von Individualität. Durant ließ Hellmer den Vortritt. Als dieser gerade durch den Türrahmen des linken Zimmers treten wollte, eilte von innen eine kleine Gestalt in Richtung Flur und lief ihm direkt in die Arme. Ein dumpfes Stolpern ertönte, er fing die Person reflexartig mit seinen kräftigen Armen auf, dann vernahm Julia Durant ein spitzes, bekannt klingendes Kichern.
»Na, na, nicht so hastig«, ulkte Hellmer und löste die junge Frau sanft aus seiner Umarmung.
»Guten Morgen, Julia«, begrüßte die Beamtin sie und drehte sich noch einmal kurz zu Hellmer um, der bereits von einem Kollegen der Spurensicherung beiseitegewinkt worden war. Sie hatte die Stimme richtig zugeordnet. Sabine Kaufmann war eine quirlige, meist gutgelaunte Person von achtundzwanzig Jahren. Obwohl sie noch einige Zentimeter kleiner war als Julia Durant, stach sie überall durch ihren blonden Bubikopf hervor. Die Frisur passte hervorragend zu der hellen, mit Sommersprossen übersäten Haut und den wachsamen grünen Augen, denen sich, so sagte man, kaum ein Detail zu entziehen vermochte. Durant fragte sich, warum Hellmer sie in seiner Leiche-Spusi-Sievers-Aufzählung nicht erwähnt hatte.
»Hallo, Sabine«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang dabei kühl. Sofort bedauerte sie ihren Ton und musste daran denken, dass sie die junge Kollegin damals immerhin selbst als ihre Urlaubsvertretung ausgewählt hatte. Und es war niemand anderes als Sabine Kaufmann gewesen, die Julia Durant in ihrem Verlies gefunden hatte.
»Schön, dich zu sehen«, fügte Durant deshalb mit einem ehrlichen Lächeln hinzu. »Alle wieder komplett heute, nicht wahr?«
»Kann man so sagen, ja. Wobei ich schon wieder auf dem Sprung bin.«
»War ja nicht zu übersehen eben. Wohin geht's?«
Kaufmann klopfte mit der linken Hand an die Tasche ihrer Jeansweste, die sie über der engen, rosafarbenen Bluse trug. Ein Stück ihres Notizblocks ragte heraus.
»Hausbesuch bei einem US-Amerikaner, John Simmons. Ist wohl der Freund von Helena Johnson, der verschwundenen Mitbewohnerin, zumindest gibt es hier Fotos von den beiden.« Schulterzuckend fügte sie hinzu: »Ist einen Versuch wert, solange wir nichts anderes haben.«
»Na dann viel Erfolg. Ich sehe mir jetzt erst einmal die Tote an.«
»Mach dich auf was gefasst«, seufzte Kaufmann. »Ich glaube, da werde ich mich wohl nie dran gewöhnen.«
»Musst du auch nicht. Wir dürfen unsere menschliche Seite nicht verlieren.«
»Da hast du natürlich recht. Allerdings frage ich mich, wo der oder die Täter diese Seite gestern Nacht hatten.«
Ohne eine Antwort auf diese Frage zu suchen, die Julia Durant sich schon an so vielen Tatorten hatte stellen müssen, zwinkerten die beiden sich zu, und Sabine Kaufmann verschwand im Treppenabgang. Durant blickte ihr noch einen Augenblick hinterher, atmete tief durch und betrat Jennifer Masons Zimmer. Auf einem Futon, ähnlich dem, den sie selbst einmal besessen hatte, lag eine zierliche Gestalt. Das lange Haar war verklebt von Schweiß und Blut, die Arme und Beine hatte sie von sich gestreckt. Dies verwunderte Julia Durant ein wenig. Nach Hellmers Informationen über die Misshandlungen und die gewaltsame Penetration hätte sie Jennifer Mason in Fötalstellung erwartet, die Arme um den Unterleib geschlungen. Eine typische Körperhaltung von Frauen, die gerade Opfer sexueller Gewalt geworden waren. Stattdessen wirkte die junge Frau auf dem blutgetränkten Laken sonderbar entspannt, beinahe so, als hätte sie den Moment des Todes als Erlösung empfunden.
Andrea Sievers von der rechtsmedizinischen Abteilung bemerkte Julia Durant erst, als diese direkt neben ihr stand. »Mensch, das ist ja ein seltener Anblick«, platzte sie heraus. Seit Julias Rückkehr hatten die beiden sich noch nicht gesehen. Tausend Fragen standen der emsigen Mittdreißigerin ins Gesicht geschrieben, doch Julia konnte förmlich sehen, wie ihre Kollegin sich zur Professionalität zwang. Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder geschäftig, es war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für Wiedersehensfreude oder Smalltalk.
»Bin seit August wieder im Dienst«, sagte Durant deshalb nur, »und heute zum ersten Mal draußen unterwegs.«
Sievers nickte, und Durant musterte sie argwöhnisch. Obwohl sie keine verräterischen Signale zu erkennen vermochte, unterstellte sie der Rechtsmedizinerin ähnliche Zweifel wie Hellmer. Vielleicht bilde ich mir das ja auch nur ein, dachte sie. Aber es nervte sie ohne Ende, dass man ihr unterstellte, noch nicht bereit zu sein. Wenn überhaupt, durfte sie das nur selbst. Dann unterbrach sie die unangenehm werdende Stille und fragte schnell: »Hast du schon irgendwelche Erkenntnisse?« »Das meiste wird sich erst sagen lassen, wenn wir sie im Institut untersucht haben. Bei der Menge an Verletzungen und Körperflüssigkeiten wird das eine ganz schöne Sisyphus arbeit werden.«
»Habe ich befürchtet, Hellmer hat schon so etwas anklingen lassen. Was ist mit Todesursache und Zeitpunkt?«
»Na ja, verblutet ist sie durch den vertikalen Einschnitt am Hals. Die Tatwaffe ist allem Anschein nach ein Küchenmesser, zumindest hat die Spurensicherung eines neben dem Bett sichergestellt. Trachea und Arteria carotis wurden durchtrennt, also Luftröhre und Halsschlagader, dadurch kam es zu einem schnellen Ausbluten, außerdem ist Blut in die Lungenflügel eingedrungen. Wie viel sie davon gespürt hat, ist schwer zu sagen, da von einem starken bis exzessiven Konsum von Betäubungsmitteln auszugehen ist. Hierzu mehr nach unseren Laboranalysen. Selbst ohne Drogen würde man bei einer solchen Verletzung relativ schnell das Bewusstsein verlieren und keinen Schmerz mehr empfinden.«
Mit gepressten Lippen beugte sich Julia Durant über den Futon und betrachtete Jennifer Mason.
»Vermutlich das Einzige, was ihr in dieser Nacht keine Schmerzen bereitet hat, wie?«
»Das ist zu befürchten«, seufzte Andrea Sievers. »Der ganze Körper weist unzählige Hämatome auf, besonders an den Innenseiten der Oberschenkel und an den Unterarmen.«
»An den Armen fixiert und die Beine auseinandergedrückt«, folgerte Durant angewidert. Sie war zeit ihres Lebens eine starke Persönlichkeit gewesen, eine jener Frauen, die sich ihrer weiblichen Reize zwar durchaus bewusst waren, sich aber niemals als Sexobjekte hätten deklassieren lassen. Mochte es auch wenig damenhaft sein, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen, Salamibrot und Dosenbier zu verzehren und eine harte Schale zu mimen, so hatte Julia Durant sich genau auf diese Weise Respekt verschafft. Trotz ihrer unübersehbaren und äußerst reizvollen weiblichen Attribute gab sie auch einen guten Kerl ab. Jahrelang hatte sie diese Fassade gepflegt, die sie unnahbar machte und damit auch scheinbar unbesiegbar. Doch dann waren all diese Dinge geschehen, erst der Reinfall mit ihrem letzten Freund, Georg, anschließend der Zwist mit Hellmer und dann natürlich die Sache mit Thomas Holzer. Mit nur einem Handstreich hatte dieser Psychopath sie in seine Gewalt gebracht und anschließend in ein unterirdisches Verlies verfrachtet, wo er sie nackt, schutzlos und völlig isoliert einsperrte. Sie hatte geschrien und gewimmert, gezittert und gebetet, doch es hatte Tage gedauert, bis ihre Kollegen sie schließlich aus der Gewalt des Perversen befreiten. Für Durant, an der Holzer sich nicht nur körperlich vergangen hatte, war es eine Ewigkeit gewesen, die sie am Ende nur noch in katatonischer Regungslosigkeit verbracht hatte. Julia Durant hatte die Nase gestrichen voll von dem sogenannten starken Geschlecht. Von Männern, die sich nicht anders profilieren konnten, als Macht über Schwächere zu demonstrieren, und gleichzeitig über nicht genügend Chuzpe verfügten, dies unter ihresgleichen zu tun. Holzer, das wusste Durant, würde sein Leben lang büßen, doch das war nur ein schwacher Trost.
»Der Tod muss zwischen drei und halb vier eingetreten sein«, setzte Dr. Sievers erneut an. »Ob die Betäubungsmittel auch ohne Kehlenschnitt zum Tode geführt hätten, wird sich im Labor zeigen.«
Frank Hellmer eilte mit schweren Schritten herbei. Julia befürchtete, ihm nun alles noch einmal erklären zu müssen. »Habt ihr es?«, fragte er stattdessen zu ihrer Verwunderung. »Ja. Das Opfer ist verblutet, der Todeszeitpunkt war spätestens gegen halb vier. Details gibt es dann von Professor Bock.« Dr. Sievers verstaute das Thermometer, diverse Röhrchen und eine altmodische Lupe in ihrem Koffer. Anschließend streifte sie sich die Einweghandschuhe aus gelblichem Latex von den Händen und steckte sie in eine Tüte. Nach einem sich vergewissernden Blick in Richtung der Kollegen von der Spurensicherung entledigte sie sich außerdem ihrer hellblauen Gamaschen. Mitsamt den Handschuhen verschwanden diese eingetütet in dem geräumigen Koffer. Ein Haarnetz zu tragen hatte die selbstbewusste Brünette stets abgelehnt, wie Julia Durant wusste. Ein ordentlich zusammengebundener Pferdeschwanz tat es auch, war Andreas Überzeugung.
»Ich verschwinde dann, wenn's recht ist«, sagte sie. »Unten warten bestimmt schon die Gnadenlosen.«
Damit waren die Männer des Bestattungsinstituts gemeint, die die Leiche in die Rechtsmedizin transportieren sollten. Julia Durant nickte und deutete hinter sich. »Die standen schon Gewehr bei Fuß, als ich hier ankam.« Dann wandte sie sich an Hellmer: »Und du hast dich über den Stand der Spurensicherung informiert?«
»Ja, die wollten nur grünes Licht von mir, das gesamte Haus zu versiegeln. Werden wohl geraume Zeit hier zu tun haben.« »Denk ich mir.«
»Das Messer und die hölzernen Bettkanten werden als Erstes auf Spuren untersucht, und es gibt ja auch die ganzen aufgerauchten Joints, Zigarettenstummel, Flaschen und Becher. Da werden sich Fingerabdrücke und Speichelreste en masse befinden. Und dann kann die KTU sich noch an dem Laken austoben«, schloss Hellmer.
»Ja, Andrea hat mir das bestätigt. Es gibt tatsächlich jede Menge Spermaspuren, alle frisch, das lässt sich ja unter UV nicht immer auf Anhieb unterscheiden. Die Anzahl lässt darauf schließen, dass es sich um mehr als einen Täter handelt.« Jeder andere Kollege hätte nun wahrscheinlich einen süffisanten Kommentar über Manneskraft vom Stapel gelassen, und Julia Durant war in diesem Moment einfach nur dankbar, dass Hellmer die Klappe hielt. Genau betrachtet hatte er es ja auch nicht mehr nötig, ihr etwas vorzumachen. Doch diese gemeinsame Erinnerung war schon beinahe vergessen. Das war mit einer anderen Julia Durant gewesen.
»Was ich mich frage«, grübelte sie laut, »ist, warum es bei einer Vergewaltigung und anschließender Tötung so dermaßen viele Spuren gibt. Ich meine, jeder noch so abgedrehte Gewaltverbrecher ist sich doch der Tatsache bewusst, dass Blut, Sperma und Fingerabdrücke unfehlbare Beweise sind.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Hellmer.
»Na überleg doch mal. Wir haben eine Studentenparty, eine Menge Alkohol und Drogen. Irgendwann artet es in eine Orgie aus. Mal angenommen, du würdest nicht mehr so genau wissen, wo die Grenzen verlaufen: Würdest du nicht wenigstens ein Gummi benutzen? Sei es nun, um nicht im Saft deines Vorgängers zu stochern, oder eben, wenn der Sex nicht einvernehmlich war, um nicht sofort deine DNA überall zu verteilen. Da haben sich gleich mehrere Personen völlig unlogisch verhalten, und so naiv ist doch heutzutage niemand mehr, oder?«
»Weiß nicht.« Hellmer zuckte die Schultern. »Im Drogenrausch wird ihnen das wohl gar nicht mehr bewusst oder einfach nur scheißegal gewesen sein. Vielleicht waren der Mörder und der oder die Sexualpartner auch verschiedene Personen? Es war im Protokoll von sechs bis acht Gästen die Rede. Wer sagt uns denn, dass die Mason in ihrem Vollrausch nicht ein, zwei ihrer Kommilitonen rangelassen hat und ihr danach jemand ganz anderes an die Gurgel gegangen ist? Könnte ein eifersüchtiger Freund sein oder ein verschmähter Liebhaber. Das ist doch alles noch viel zu spekulativ. Könnte ja sogar die Riva gewesen sein. Hast du deren Figur gesehen? Gegen die hätte sie doch selbst nüchtern keine faire Chance gehabt.«
»Jennifer Mason hatte heute Nacht überhaupt keine Chance«, antwortete Julia Durant mit einem Kopfschütteln. »Dann soll sie also, bevor es zur Gewalt kam, Geschlechtsverkehr mit mehreren Männern gehabt haben?«
»Kann doch sein, oder?«, entgegnete Hellmer mit unschuldigem Gesichtsausdruck.
»Natürlich«, entgegnete Durant spitz und warf ihrem Kollegen einen vernichtenden Blick zu. Hatte er den vergangenen Sommer einfach vergessen? Hatte er das Bild verdrängt, wie sie kaum die Treppe aus dem Verlies hinaufgehen konnte, weil ihr Unterleib an jeder nur denkbaren Stelle schmerzte? Oder hatte er geplappert, ohne zu denken? Diese Seite an Hellmer, die er nicht oft, aber eben immer wieder mal zeigte, brachte Durant auch nach all den gemeinsamen Jahren noch auf die Palme. Verstärkt wurde dies durch die allgemein sehr naiven Vorstellungen von Männern darüber, wie Frauen Sexualität empfanden und welche Bedürfnisse und Vorlieben dabei für sie vorherrschten. Lustgewinn durch schmerzhaftes Eindringen und damit einhergehende Verletzungen im inneren Schambereich jedenfalls wünschte sich keine normale Frau. Und Jennifer Mason machte bislang nicht den Eindruck, als habe sie auffällige sexuelle Orientierungen gehabt.
Hellmer stand noch immer mit ausdruckslosem Gesicht neben ihr, und Durant entschied sich, ihren Kommentar noch einmal zu unterstreichen.
»Das Einvernehmen endet für mich mit den Würgemalen und Blutergüssen an Hals, Oberarmen und Handgelenken, den Hautabschürfungen an den Oberschenkeln und den Hautrissen im Intim- und Analbereich.«
»Vielleicht hast du recht. Aber wir drehen uns im Kreis, merkst du das?« Tonfall und Worte klangen verdächtig nach einem von Hellmers typischen Friedensangeboten. »Lass uns irgendwo frühstücken gehen und die Kollegen von der KTU und Forensik ihren Job machen. Vielleicht können wir später zu Adriana Riva fahren und herausfinden, wer alles auf der Party war.«
»Und was ist mit Jennifer Masons Familie?«
Hellmer schüttelte energisch den Kopf.
»In Kanada ist es jetzt Mitternacht oder so. Außerdem haben wir die Eltern noch gar nicht ermittelt. Der Nachnahme Mason bedeutet im Deutschen nicht nur Maurer, er ist auch von der Häufigkeit vergleichbar. Füllt also ganze Spalten im Telefonbuch, da kann sich unser Dreamteam dran verausgaben.«
Julia Durant musste unwillkürlich grinsen. Hellmer meinte damit ihre Kollegen Kullmer und Seidel, die sich vor ein paar Jahren dazu entschlossen hatten, Berufliches und Privates nicht mehr voneinander zu trennen. Die Arbeit im Präsidium lag also in guten Händen. Mehr gab es zu dieser frühen Stunde einfach nicht zu tun.
»Na gut, Frank«, sagte sie. »Lass uns von hier verschwinden.«
SAMSTAG, 7.50 UHR
Mann, noch nicht mal acht Uhr«, kommentierte Frank Hellmer die in riesigen Lettern aufflammende Digitalanzeige seines Bordcomputers. Julia Durant musterte das protzige Interieur des Porsche interessiert, verkniff sich aber einen Kommentar. Bereits im vergangenen Sommer hatte sie dieses Thema mit ihrem Kollegen durchgekaut und verspürte nicht die geringste Lust auf eine Neuauflage. Letzten Endes ging es sie auch nichts an. Hellmer hatte wieder zu seiner Ex-Frau zurückgefunden, diese war nun einmal wohlhabend, und warum sollte sie ihr Geld nicht auch ausgeben. Lebe jetzt, sonst tun's deine Erben, hatte Nadine irgendwann in grauer Vorzeit einmal gesagt. Von dieser Unbeschwertheit, das wusste Julia nur zu gut, war heute nicht mehr allzu viel übrig. Der Porsche allerdings war geblieben, und Hellmer lenkte ihn gerade auf die Borsigallee.
»Wo wollen wir denn frühstücken?«, fragte er und warf Durant einen Blick zu. »Im Hessencenter ein Café suchen oder lieber gleich die Kantine in der BGU?«
»Ach, ich weiß nicht«, seufzte sie. »Aber bitte bloß nirgendwohin, wo ich Café au Lait und Croissants vorgesetzt bekomme!« Zweifelsohne hatte Julia die Lebensart und das Verwöhnprogramm von Susanne Tomlin an der französischen Riviera zu schätzen gewusst. Doch seit ihrer Rückkehr genoss sie wieder die tägliche Wurst- oder Nutellaschnitte - Roggen- oder Körnerbrot wohlgemerkt und nichts, was einem Baguette auch nur im Entferntesten ähnelte. Dazu schwarzen, arabischen Kaffee aus einer einfachen Henkeltasse anstatt mit doppelt so viel Milch in einer Porzellanschale. »Mir würde ein Ausflug auf die Fast-Food-Meile voll und ganz genügen«, gestand Durant. »Da gibt's alles Mögliche an Frühstückskram und vor allem einen brauchbaren Kaffee.« »Wie Madame wünschen«, nickte Hellmer und trat aufs Gas. Offenbar hatte er sein Ziel bereits im Kopf, und tatsächlich setzte er kaum drei Minuten später den Blinker, kreuzte die Straßenbahngleise und steuerte auf einen Parkplatz zu. Trotz des schrecklichen Tatorts, der Julia Durant noch deutlich vor Augen stand, verspürte sie nun heftigen Appetit. Dabei kam ihr in den Sinn, dass sie unbedingt diverse Snacks in ihrem Kühlschrank aufstocken sollte. Doppelt so groß wie der, den sich Julia damals für ihre eigene Küche ausgesucht hatte, machte sich in Susannes zweitürigem Monstrum sehr schnell eine unangenehme Leere breit.
Die Fahrt hatte kaum lange genug gedauert, um das Niveau von Smalltalk-Plattitüden zu verlassen, geschweige denn, dass sich ein Gespräch über den Fall hätte entwickeln können. Durant trat durch die doppelte Glastür in das Schnellrestaurant und hielt sie für Hellmer offen. Dabei wanderte ihr Blick bereits über die wenigen Anwesenden und suchte eine ruhige, möglichst abgeschiedene Ecke, in der sie sich ungestört unterhalten konnten. »Soll ich dir was mitbringen?«, fragte Hellmer und deutete auf die bunten Plastiktransparente mit den Frühstücksangeboten. Eine der Empfehlungen war eine Art Schinken-KäseCroissant, und als er sah, dass auch Julia das Bild gesehen hatte, grinste er breit.
»Untersteh dich!«, warnte sie ihn. »Bring mir irgendwas Fleischiges, und für hinterher noch was Süßes. Und einen ordentlichen Kaffee.«
Gemächlich schlenderte sie auf die Fensternische zu, die sie als idealen Sitzplatz auserkoren hatte, und nahm auf der rotbraunen Kunstlederbank Platz. Anders als zu späterer Stunde fand sie die Tischplatte unverklebt und ohne Krümel vor. Für einen kurzen Moment stützte sie die Ellbogen auf dem kühlen Marmor ab und verbarg ihren Kopf zwischen den Händen. Bitte nicht schon wieder, flehte sie in Gedanken, bitte jetzt kein Kreislauftief. Um sich zu entspannen, ging Julia im Stillen einige Übungssätze autogenen Trainings durch. Dieser Mummenschanz, wie sie die Übungen einst bezeichnet hatte, taugte tatsächlich etwas. Ruhe, Wärme und Atmung wahrnehmen, dabei eine Hand auf den Solarplexus legen. Wenn sie bloß niemand dabei erwischte. Gerade rechtzeitig, als Hellmer mit einem Tablett an den Tisch trat, auf dem sich nichts weiter befand als zwei stark dampfende Pappbecher, richtete sich Durant wieder auf.
»Na, hast wohl die Hälfte liegen lassen.«
»Nein, die produzieren noch. Wird alles frisch geliefert, sobald es fertig ist. Hier, dein Kaffee.«
Er schob einen der Becher in ihre Richtung, und Julia griff sich schnell drei der vier Zuckerbeutel. Sie riss sie alle gleichzeitig auf und versenkte den Inhalt in der tiefschwarzen Flüssigkeit.
»Ich sehe schon, manche Dinge ändern sich nie«, feixte Hellmer.
»Warum auch«, konterte Durant. Dann, nach einer kurzen Pause, sah sie ihren langjährigen Kollegen mit fragendem Blick an. »Manches hat sich aber schon verändert, oder?« »Weiß nicht. Was meinst du denn?« Hellmer schien verunsichert.
»Na komm schon«, bohrte sie. »Erzähl mal was von dir und Sabine. Ihr tollt ja herum wie junge Rehe.«
»Ach, daher weht der Wind.« Nun schien Hellmer erleichtert zu sein. »Na ja, was soll ich sagen, wir haben ein produktives Jahr hinter uns.«
»Produktiv?«, wiederholte sie und verzog das Gesicht. Noch bescheuerter hatte er es wohl nicht ausdrücken können. »Mensch, Julia, was soll ich denn sagen, verdammt?«, platzte Hellmer heraus. »Du hast die Kaufmann doch damals selbst vorgeschlagen und warst dann weg. Ist ja auch okay, hast du ja bitter nötig gehabt, sehe ich ein. Aber das Leben musste schließlich weitergehen.« Nervös trommelten seine Finger auf dem Plastiktablett. Etwas gefasster sagte er dann noch: »Hast du eigentlich 'ne Ahnung, was hier los war?«
Julia kannte die Akten, und zwar allesamt. Nach knapp vier Wochen Innendienst unter Bergers Fuchtel meinte sie, nahezu jeden noch so kleinen Vorgang der vergangenen dreizehn Monate auswendig herunterbeten zu können.
»Ist doch okay«, beschwichtigte sie ihren Kollegen und legte ihm die Hand auf den Unterarm. Etwas verwirrt stellte die vor wenigen Sekunden an den Tisch getretene Bedienung ein Tablett mit Pappboxen, Servietten und Plastikbesteck ab und eilte davon.
»Es ist nur«, begann Julia und rief sich die seltsame Szene vorhin im Flur der WG ins Gedächtnis, »dass ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren kann, als bräuchte man mich nicht mehr. Ich ziehe in eine Wohnung, von deren Balkon ich Berger fast auf den Schreibtisch spucken könnte, knie mich voll rein, damit ich endlich wieder auf die Straße komme, und dann habe ich meinen ersten Tatort und muss feststellen, dass ich nur das fünfte Rad am Wagen bin.«
»So ein Quatsch.« Aber Hellmer klang nicht so überzeugend, wie sie es sich erhofft hatte.
Durant versuchte es anders: »Als ich vorhin zum Tatort kam, hast du nicht einmal ihren Namen erwähnt, eben so, als würde man ohnehin davon ausgehen, dass dort, wo du bist, auch sie nicht fern ist.«
Nun schien der Groschen zu fallen.
»Du meinst, weil es bei uns früher so war?«
»Zwölf Jahre lang, lieber Frank. Wir haben so ziemlich jede Höhe und Tiefe mitgenommen, die einem nur widerfahren konnte.«
Noch immer lag Julias Hand auf seinem Unterarm, und Hellmer legte darauf nun seine freie Hand. Zwei einsame Tränen sammelte sich unter ihren Augen, nicht dick genug, um her-abzutropfen, aber sichtbar für Hellmer.
»Verdammt, ich bin ein Trottel«, presste er zerknirscht hervor. »Ich seh dich bald jeden Tag und hab keine Ahnung, wie's in dir aussieht.«
»Frank, ich hab eine Scheißangst«, gestand Julia Durant. »Mir geht es alles andere als gut, aber wenn ich nicht bald wieder normalen Dienst machen kann, ertrag ich das nicht länger.« »Ist schon gut, Frau Kollegin«, lächelte Hellmer und packte ihre Hand ganz fest. »Glaub mir, Berger hat nicht vor, dich als Bürokraft zu beschäftigen. Und so gut es mit Sabine auch läuft, ich möchte meine alte Partnerin ebenfalls gerne wiederhaben.«
Durant zog die Nase hoch, zwinkerte Hellmer dankend zu und befreite dann ihre Hand. Noch bevor sie mit dem ersten Pappkarton zu rascheln begann, hörte sie ihn etwas brummeln. Es hatte mit den unbestreitbaren Vorzügen zu tun, die eine junge gegenüber einer alten Kollegin hätte.
Lächelnd schüttelte Julia Durant den Kopf und biss voller Genuss in den mit Schweinehack, Bacon und Ei belegten Burger. Manche Dinge änderten sich tatsächlich nie.
Adriana Riva musste ausgesprochen hübsch sein, dies kam jedoch inmitten der sterilen Atmosphäre des Krankenzimmers mit seinen weißen Laken, dem Krankenhaushemd und dem Tropf in ihrem blassen Unterarm nicht zur Geltung. Zwischen den Schlitzen der heruntergelassenen Jalousie drangen warme Strahlen der Morgensonne hindurch, und in dem grellen Licht leuchteten unzählige feine Staubpartikel, die bei jeder noch so kleinen Bewegung wild durcheinanderstoben. Die gibt es also sogar hier und nicht nur bei mir zu Hause, registrierte Durant zufrieden. Die beiden Kommissare waren vor knapp zehn Minuten an der BGU eingetroffen und hatten sich den Weg zur Patientin Riva erfragt. Dabei waren sie auf erstaunlich wenig Widerstand seitens der Ärzte gestoßen. Sie werteten es als gutes Zeichen, denn dann konnte der Schock des Mädchens nicht so schlimm sein. Im Fahrstuhl schließlich, unter den naserümpfenden Blicken eines jungen Assistenzarztes, hatte Hellmer sein piependes Handy herausgezogen. Einer SMS von Sabine Kaufmann zufolge war John Simmons zwar bei seiner gemeldeten Anschrift ausfindig gemacht worden, von seiner Freundin Helena Johnson jedoch gab es keine Spur. Simmons selbst läge noch im Delirium; Details später.
...
© 2012 Knaur Taschenbuch
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Jennifer Mason lag nackt auf ihrem Bett. Es war ein gewöhnlicher Futon, eins vierzig breit, weißes Laken. Die hell bezogene Sommerdecke war zerwühlt und hing zu zwei Dritteln auf das nussfarbene Parkett hinunter. Links vom Bett stand eine kleine Kommode, daneben ein Kleiderschrank aus einfach verarbeitetem Birkenholz. Rechts befand sich ein Holzregal, darin eine Stereoanlage und einige CDs, ansonsten glich der schmucklose Raum eher einem Büro als einem Wohnbereich. Weiße IKEA-Regale voll mit Büchern und ein verhältnismäßig großer Schreibtisch, darauf ein halbwegs moderner Laptop und Schreibutensilien. Die vier Halogen-Spots an der Decke vermochten jeden Winkel der zwanzig Quadratmeter grell mit Licht zu durchfluten.
Keinerlei Romantik im Raum, wie ihre Mitbewohnerin stets zu bemängeln wusste. Adriana Riva, eine hochgewachsene und ausgesprochen attraktive Italienerin, teilte sich die kleine Studenten-WG mit Jennifer und einer weiteren Studentin. Was sie nicht teilten, war die Auffassung vom Studieren. Adriana entstammte einer einfachen Arbeiterfamilie, die schon allein damit zu beeindrucken war, dass ihre Tochter überhaupt eine Hochschule besuchte. Sie finanzierte das Studium mit einem lukrativen Nebenjob bei einer Eventagentur und kannte die Rhein-Main-Partyszene in- und auswendig. Für Jennifer hingegen, die einen älteren Bruder mit steiler Laufbahn in der Armee und einen hochgebildeten Vater hatte, war es keine Selbstverständlichkeit, ein Auslandsjahr in Frankfurt verbringen zu dürfen. Ihre Noten hatten perfekt zu sein, sie musste jeden Leistungsnachweis nach Hause schicken. Die einundzwanzigjährige Kanadierin ließ sich daher nur selten zu Discobesuchen oder ausschweifenden Semesterpartys überreden, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf das Studium. Umso mühsamer war es für Adriana gewesen, sie davon zu überzeugen, wenigstens zu Semesterbeginn eine kleine Feier zu veranstalten.
»Aber wirklich nur ein paar Leute!«, waren Jennifers warnende Worte gewesen.
»Versprochen«, hatte Adriana gesagt.
»Keine Kiffer!«
»Nein, keine Kiffer.«
»Und nicht diese Komasäufer und deren Kumpane!«
Die dumpfen Bassschläge der Stereoanlage waren längst verklungen, umso intensiver nahm Jennifer nun die grellen, psychedelischen Farben wahr, die sich wie schnell drehende Spiralen in ihre weit aufgerissenen Augen bohrten. Sie fühlte das weiche, schweißnasse Bettlaken im Rücken, doch sie war nicht in der Lage, Arme und Beine zu bewegen. Sie vermochte nicht einmal die Position ihrer Extremitäten mit Gewissheit zu bestimmen und spürte diese erst wieder, als sich zwei Fäuste fest um ihre Handgelenke schlossen. Irgendwann - sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie viel Zeit dazwischen vergangen war - bemerkte sie den dumpfen Rhythmus ihres Unterleibs, der ohne ihr Zutun wild zu beben begonnen hatte. Es waren harte, gnadenlose Stöße, deren Inbrunst sie allerdings nicht wahrnahm. Sicher war nur, dass sie es nicht wollte: Sie wollte die stechenden Farben nicht mehr sehen und auch nicht die Fratzen, die sich immer wieder aus ihnen lösten, unangenehm dicht vor ihren Augen. Lüstern bleckten sie die Zähne oder drohten sie mit aufgerissenen Mäulern zu verschlingen. Und dann der brennend heiße Atem und das weit entfernte hysterische Lachen.
Jennifer war sich sicher, dass sie fliehen musste, doch sie wusste weder vor wem noch wohin. Ein weiterer Stoß durchfuhr ihren wehrlosen Körper, und ein Krampf schien ihren Bauch zu durchziehen. Plötzlich sehnte sie sich danach, ihrem Körper zu entschweben, einfach diese nutzlose Hülle zu verlassen, die sie quälte und nicht entkommen ließ. Wie gerne hätte sie sich den bunten Farben hingegeben, wäre ein Teil des Regenbogens geworden, fern von allem irdischen Leid. Doch das gepeinigte Gefängnis aus Fleisch und Knochen hielt ihre Seele fest umklammert und zwang ihr Stunde um Stunde weiterer schmerzhafter Demütigung auf.
Endlich aber, als die Farben längst verblasst waren und sich die Sehnsucht nach Wärme in ein Wimmern der Verzweiflung gewandelt hatte, ließ der Peiniger von ihr ab. Ein letztes Mal beugte er sich über sie. Der kalte Stahl am Hals erschreckte sie nicht, und Sekunden später spürte sie eine wohlige Wärme, die sie allen Schmerz vergessen ließ. Das Letzte, was Jennifer Mason wahrnahm, war der Geschmack von Eisen und eine angenehme Schwere.
Dankbar spürte sie, wie der geschundene Leib ihre Seele freiließ.
SAMSTAG, 6. SEPTEMBER 2008, 6.25 UHR
Müde stapfte Julia Durant die hölzernen Treppenstufen hinauf. Ihr freies Wochenende hatte sie sich weiß Gott anders vorgestellt, als morgens um halb sieben einen Tatort aufzusuchen. Andererseits hatte sie zu dieser Tageszeit keine Viertelstunde gebraucht, um Frankfurt von ihrer neuen Wohnung am Holzhausenpark in Richtung Fechenheim zu durchqueren. Die WG, zu der man sie gerufen hatte, lag in einem Altbau, der sich außen kaum von den anderen Häusern des Viertels unterschied: ein weiß getünchtes Backsteinhaus, zwei Etagen, mit einer klobigen Gaube, die aus dem schwarzen Ziegeldach hervorragte. Die Hausbesitzer gehörten zur oberen Mittelschicht und vermieteten, seit ihre Kinder ausgezogen waren, die obere Etage an Studenten. Am Ende der Treppe angekommen, verschnaufte Durant. »Jaja, die Raucherlunge«, hörte sie einen ihr unbekannten Kollegen sagen, der an ihr vorbeihuschte und nach unten verschwand. Idiot, dachte sie, ihr habt ja keine Ahnung.
Nach ihrer Entführung im vergangenen Juni hatte Julia Durant einen Zusammenbruch erlitten und vier Tage in den Main-Taunus-Kliniken Bad Soden verbracht. Auf Anraten der Ärzte sowie das Drängen ihres Vaters und ihrer besten Freundin Susanne hatte sie nach der Entlassung umgehend ihre lange geplante Reise nach Südfrankreich angetreten. Schon nach wenigen Tagen war jedoch klar gewesen, dass es mit einem einfachen Urlaub nicht getan war. Julia Durant war ausgebrannt.
»Ich würde sie gerne für ein paar Monate bei mir behalten«, hatte sie Susanne mit sorgenvoller Stimme zu ihrem Vater sagen hören.
»Ja, das wäre gut«, hatte dieser zugestimmt. »Sie braucht dringend eine Auszeit, sonst geht sie daran kaputt.«
Es kostete nur zwei Anrufe, einen bei der Krankenkasse und einen bei ihrem Vorgesetzten Berger, und alles war genehmigt: ein Jahr unbezahlte Freistellung, beginnend nach ihrem regulären Urlaub zuzüglich Überstunden und Resttagen, also alles in allem gut dreihundertneunzig Tage. Doch damit alleine war Durant noch nicht geholfen gewesen. Es hatte Wochen gebraucht, bis sie bereit war, sich auf eine Therapie einzulassen, und Monate, um dort das Geschehene zu verarbeiten. Ohne ihre Freundin Susanne hätte sie das alles niemals durchgestanden. Doch nun war Julia wieder zurück, seit vier Wochen im Dienst, und musste langsam wieder alleine klarkommen.
Raucherlunge, dachte sie verächtlich, wenn es doch nur das wäre. Sie war von einem Arzt zum nächsten gerannt, hatte EKG, UKG und EEG über sich ergehen lassen und so viele Blutproben gegeben, dass sie sich wie eine Kuh beim Melken vorgekommen war. Nichts. Keine organische Disposition.
»Tout est bien, Madame Durant«, hatte man ihr stets versichert, »Sie sind kerngesund.«
Warum fühle ich mich dann manchmal wie eine Achtzigjährige, verdammt? Es war zum Verzweifeln.
»Hallo, Julia«, erklang plötzlich die vertraute Stimme von Frank Hellmer und holte sie zurück aus ihren trüben Gedanken. »Ich wusste gar nicht, dass du schon wieder Bereitschaftsdienst machst.«
»Hallo, Frank.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ist mein erster heute.«
»Und dann gleich in die Vollen, wie? Stehst du schon lange hier?«
»Gerade angekommen«, flunkerte sie. »Was liegt denn an?« »Willst du das wirklich wissen?«, seufzte Hellmer. Durant begriff auf Anhieb, welche Frage ihr Kollege damit eigentlich hatte stellen wollen.
»Ach komm schon, Frank«, forderte sie, »ich bin dafür bereit, glaub mir. Irgendwann muss ich ja wieder anfangen, oder? Also los!«
Stirnrunzelnd nickte Hellmer und ließ den Blick über seine Notizen fliegen, bevor er mit dem Bericht begann.
»Jennifer Mason, einundzwanzig, Kanadierin. Wohnt hier mit zwei anderen Studentinnen und ist schon das zweite Semester in Frankfurt. Also etwa seit Januar, Februar, so genau wissen wir das noch nicht. Die Vermieter sind im Ausland, gestern Abend gab es hier eine Gartenparty. Fing wohl alles ganz harmlos an, es gab auch keine Klagen der Nachbarn, und es waren maximal sechs bis acht Personen. Dafür haben sie eine Menge konsumiert, es liegt Ecstasy herum, wir fanden einige Joints und Spuren von Kokain. Es gibt reichlich leere Flaschen, hauptsächlich Wodka und andere harte Sachen. Irgendwann muss die Party einen katastrophalen Verlauf genommen haben, denn wir fanden die Mason nackt auf ihrem Bett, übel zugerichtet und allem Anschein nach vergewaltigt. Laut der Spurensicherung leuchtet das Laken im UV-Licht wie ein Christbaum. Zu guter Letzt wurde ihr die Kehle aufgeschlitzt, so was hab ich lange nicht mehr gesehen. Die Meldung ging von einer der Mitbewohnerinnen ein, Ariana, nein Adriana, eine Italienerin.« Hellmer blätterte in seinen Aufzeichnungen. »Genau, Adriana heißt sie«, fuhr er fort, »und mit Nachnamen Riva. Sie ist kurz nach dem Eintreffen der ersten Beamten zusammengebrochen, deshalb sind unsere Infos auch noch recht vage. Ob ihr Kollaps dem Schock oder der Nachwirkung irgendwelcher Drogen geschuldet ist, das ist noch unklar. Sie wurde offenbar nicht vergewaltigt. Man hat sie jetzt erst mal in die BGU gebracht.«
»Wieso ausgerechnet die Unfallklinik?«
»Keine Ahnung.« Hellmer zuckte mit den Schultern. »Lag wohl einfach am nächsten, nehme ich an.«
»Was ist mit der anderen?«
»Stimmt«, sagte Hellmer hastig, »da gibt's ja noch die Dritte. Helena Johnson, Amerikanerin. Von ihr fehlt seit der Party jede Spur.«
»Hmmm.«
Durant hob das Kinn in Richtung Flur und sah ihren Kollegen fragend an. »Die Leiche ist noch da, nehme ich an?« Hellmer nickte und wies mit seiner Rechten quer über den kleinen Flur. »Leiche, Spurensicherung und Kollegin Sievers«, lächelte er matt. »Hier entlang.«
Julia Durant schätzte die Wohnung auf etwa hundert Quadratmeter. Neben der Eingangstür lag das Badezimmer. Linker Hand befand sich ein Raum, dessen Tür halb angelehnt war. Auf einem selbstgemalten Türschild stand der Name Helena. An der Wand gegenüber befanden sich zwei weitere Türen, beide weit geöffnet, die ebenfalls in private Zimmer führten. Rechts um die Ecke folgte eine schmale Tür mit einem jener billigen, messingfarbenen Beschläge, die es in jedem Baumarkt gab: Gäste-WC. Daneben führte ein offener Durchgang in die Gemeinschaftsküche. Die Einrichtung war eine bunte Mischung aus klobigem Siebzigerjahre-Inventar und günstigen IKEA-Möbeln. Im langgezogenen Flur beispielsweise ergänzte ein schlichter weißer Schuhschrank eine klobige, dunkelbraun lasierte Holzgarderobe und einen auf Kolonialstil gezimmerten Telefontisch. Ein schmaler, rahmenloser Spiegel täuschte dem von der Treppe her eintretenden Besucher einen geräumigeren Flur vor. Die Wände waren hell, und entlang der Decke zog sich eine aufgesetzte Stuckleiste. Alles in allem eine typische Studentenwohnung: günstig, funktional und doch mit einem Hauch von Individualität. Durant ließ Hellmer den Vortritt. Als dieser gerade durch den Türrahmen des linken Zimmers treten wollte, eilte von innen eine kleine Gestalt in Richtung Flur und lief ihm direkt in die Arme. Ein dumpfes Stolpern ertönte, er fing die Person reflexartig mit seinen kräftigen Armen auf, dann vernahm Julia Durant ein spitzes, bekannt klingendes Kichern.
»Na, na, nicht so hastig«, ulkte Hellmer und löste die junge Frau sanft aus seiner Umarmung.
»Guten Morgen, Julia«, begrüßte die Beamtin sie und drehte sich noch einmal kurz zu Hellmer um, der bereits von einem Kollegen der Spurensicherung beiseitegewinkt worden war. Sie hatte die Stimme richtig zugeordnet. Sabine Kaufmann war eine quirlige, meist gutgelaunte Person von achtundzwanzig Jahren. Obwohl sie noch einige Zentimeter kleiner war als Julia Durant, stach sie überall durch ihren blonden Bubikopf hervor. Die Frisur passte hervorragend zu der hellen, mit Sommersprossen übersäten Haut und den wachsamen grünen Augen, denen sich, so sagte man, kaum ein Detail zu entziehen vermochte. Durant fragte sich, warum Hellmer sie in seiner Leiche-Spusi-Sievers-Aufzählung nicht erwähnt hatte.
»Hallo, Sabine«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang dabei kühl. Sofort bedauerte sie ihren Ton und musste daran denken, dass sie die junge Kollegin damals immerhin selbst als ihre Urlaubsvertretung ausgewählt hatte. Und es war niemand anderes als Sabine Kaufmann gewesen, die Julia Durant in ihrem Verlies gefunden hatte.
»Schön, dich zu sehen«, fügte Durant deshalb mit einem ehrlichen Lächeln hinzu. »Alle wieder komplett heute, nicht wahr?«
»Kann man so sagen, ja. Wobei ich schon wieder auf dem Sprung bin.«
»War ja nicht zu übersehen eben. Wohin geht's?«
Kaufmann klopfte mit der linken Hand an die Tasche ihrer Jeansweste, die sie über der engen, rosafarbenen Bluse trug. Ein Stück ihres Notizblocks ragte heraus.
»Hausbesuch bei einem US-Amerikaner, John Simmons. Ist wohl der Freund von Helena Johnson, der verschwundenen Mitbewohnerin, zumindest gibt es hier Fotos von den beiden.« Schulterzuckend fügte sie hinzu: »Ist einen Versuch wert, solange wir nichts anderes haben.«
»Na dann viel Erfolg. Ich sehe mir jetzt erst einmal die Tote an.«
»Mach dich auf was gefasst«, seufzte Kaufmann. »Ich glaube, da werde ich mich wohl nie dran gewöhnen.«
»Musst du auch nicht. Wir dürfen unsere menschliche Seite nicht verlieren.«
»Da hast du natürlich recht. Allerdings frage ich mich, wo der oder die Täter diese Seite gestern Nacht hatten.«
Ohne eine Antwort auf diese Frage zu suchen, die Julia Durant sich schon an so vielen Tatorten hatte stellen müssen, zwinkerten die beiden sich zu, und Sabine Kaufmann verschwand im Treppenabgang. Durant blickte ihr noch einen Augenblick hinterher, atmete tief durch und betrat Jennifer Masons Zimmer. Auf einem Futon, ähnlich dem, den sie selbst einmal besessen hatte, lag eine zierliche Gestalt. Das lange Haar war verklebt von Schweiß und Blut, die Arme und Beine hatte sie von sich gestreckt. Dies verwunderte Julia Durant ein wenig. Nach Hellmers Informationen über die Misshandlungen und die gewaltsame Penetration hätte sie Jennifer Mason in Fötalstellung erwartet, die Arme um den Unterleib geschlungen. Eine typische Körperhaltung von Frauen, die gerade Opfer sexueller Gewalt geworden waren. Stattdessen wirkte die junge Frau auf dem blutgetränkten Laken sonderbar entspannt, beinahe so, als hätte sie den Moment des Todes als Erlösung empfunden.
Andrea Sievers von der rechtsmedizinischen Abteilung bemerkte Julia Durant erst, als diese direkt neben ihr stand. »Mensch, das ist ja ein seltener Anblick«, platzte sie heraus. Seit Julias Rückkehr hatten die beiden sich noch nicht gesehen. Tausend Fragen standen der emsigen Mittdreißigerin ins Gesicht geschrieben, doch Julia konnte förmlich sehen, wie ihre Kollegin sich zur Professionalität zwang. Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder geschäftig, es war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für Wiedersehensfreude oder Smalltalk.
»Bin seit August wieder im Dienst«, sagte Durant deshalb nur, »und heute zum ersten Mal draußen unterwegs.«
Sievers nickte, und Durant musterte sie argwöhnisch. Obwohl sie keine verräterischen Signale zu erkennen vermochte, unterstellte sie der Rechtsmedizinerin ähnliche Zweifel wie Hellmer. Vielleicht bilde ich mir das ja auch nur ein, dachte sie. Aber es nervte sie ohne Ende, dass man ihr unterstellte, noch nicht bereit zu sein. Wenn überhaupt, durfte sie das nur selbst. Dann unterbrach sie die unangenehm werdende Stille und fragte schnell: »Hast du schon irgendwelche Erkenntnisse?« »Das meiste wird sich erst sagen lassen, wenn wir sie im Institut untersucht haben. Bei der Menge an Verletzungen und Körperflüssigkeiten wird das eine ganz schöne Sisyphus arbeit werden.«
»Habe ich befürchtet, Hellmer hat schon so etwas anklingen lassen. Was ist mit Todesursache und Zeitpunkt?«
»Na ja, verblutet ist sie durch den vertikalen Einschnitt am Hals. Die Tatwaffe ist allem Anschein nach ein Küchenmesser, zumindest hat die Spurensicherung eines neben dem Bett sichergestellt. Trachea und Arteria carotis wurden durchtrennt, also Luftröhre und Halsschlagader, dadurch kam es zu einem schnellen Ausbluten, außerdem ist Blut in die Lungenflügel eingedrungen. Wie viel sie davon gespürt hat, ist schwer zu sagen, da von einem starken bis exzessiven Konsum von Betäubungsmitteln auszugehen ist. Hierzu mehr nach unseren Laboranalysen. Selbst ohne Drogen würde man bei einer solchen Verletzung relativ schnell das Bewusstsein verlieren und keinen Schmerz mehr empfinden.«
Mit gepressten Lippen beugte sich Julia Durant über den Futon und betrachtete Jennifer Mason.
»Vermutlich das Einzige, was ihr in dieser Nacht keine Schmerzen bereitet hat, wie?«
»Das ist zu befürchten«, seufzte Andrea Sievers. »Der ganze Körper weist unzählige Hämatome auf, besonders an den Innenseiten der Oberschenkel und an den Unterarmen.«
»An den Armen fixiert und die Beine auseinandergedrückt«, folgerte Durant angewidert. Sie war zeit ihres Lebens eine starke Persönlichkeit gewesen, eine jener Frauen, die sich ihrer weiblichen Reize zwar durchaus bewusst waren, sich aber niemals als Sexobjekte hätten deklassieren lassen. Mochte es auch wenig damenhaft sein, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen, Salamibrot und Dosenbier zu verzehren und eine harte Schale zu mimen, so hatte Julia Durant sich genau auf diese Weise Respekt verschafft. Trotz ihrer unübersehbaren und äußerst reizvollen weiblichen Attribute gab sie auch einen guten Kerl ab. Jahrelang hatte sie diese Fassade gepflegt, die sie unnahbar machte und damit auch scheinbar unbesiegbar. Doch dann waren all diese Dinge geschehen, erst der Reinfall mit ihrem letzten Freund, Georg, anschließend der Zwist mit Hellmer und dann natürlich die Sache mit Thomas Holzer. Mit nur einem Handstreich hatte dieser Psychopath sie in seine Gewalt gebracht und anschließend in ein unterirdisches Verlies verfrachtet, wo er sie nackt, schutzlos und völlig isoliert einsperrte. Sie hatte geschrien und gewimmert, gezittert und gebetet, doch es hatte Tage gedauert, bis ihre Kollegen sie schließlich aus der Gewalt des Perversen befreiten. Für Durant, an der Holzer sich nicht nur körperlich vergangen hatte, war es eine Ewigkeit gewesen, die sie am Ende nur noch in katatonischer Regungslosigkeit verbracht hatte. Julia Durant hatte die Nase gestrichen voll von dem sogenannten starken Geschlecht. Von Männern, die sich nicht anders profilieren konnten, als Macht über Schwächere zu demonstrieren, und gleichzeitig über nicht genügend Chuzpe verfügten, dies unter ihresgleichen zu tun. Holzer, das wusste Durant, würde sein Leben lang büßen, doch das war nur ein schwacher Trost.
»Der Tod muss zwischen drei und halb vier eingetreten sein«, setzte Dr. Sievers erneut an. »Ob die Betäubungsmittel auch ohne Kehlenschnitt zum Tode geführt hätten, wird sich im Labor zeigen.«
Frank Hellmer eilte mit schweren Schritten herbei. Julia befürchtete, ihm nun alles noch einmal erklären zu müssen. »Habt ihr es?«, fragte er stattdessen zu ihrer Verwunderung. »Ja. Das Opfer ist verblutet, der Todeszeitpunkt war spätestens gegen halb vier. Details gibt es dann von Professor Bock.« Dr. Sievers verstaute das Thermometer, diverse Röhrchen und eine altmodische Lupe in ihrem Koffer. Anschließend streifte sie sich die Einweghandschuhe aus gelblichem Latex von den Händen und steckte sie in eine Tüte. Nach einem sich vergewissernden Blick in Richtung der Kollegen von der Spurensicherung entledigte sie sich außerdem ihrer hellblauen Gamaschen. Mitsamt den Handschuhen verschwanden diese eingetütet in dem geräumigen Koffer. Ein Haarnetz zu tragen hatte die selbstbewusste Brünette stets abgelehnt, wie Julia Durant wusste. Ein ordentlich zusammengebundener Pferdeschwanz tat es auch, war Andreas Überzeugung.
»Ich verschwinde dann, wenn's recht ist«, sagte sie. »Unten warten bestimmt schon die Gnadenlosen.«
Damit waren die Männer des Bestattungsinstituts gemeint, die die Leiche in die Rechtsmedizin transportieren sollten. Julia Durant nickte und deutete hinter sich. »Die standen schon Gewehr bei Fuß, als ich hier ankam.« Dann wandte sie sich an Hellmer: »Und du hast dich über den Stand der Spurensicherung informiert?«
»Ja, die wollten nur grünes Licht von mir, das gesamte Haus zu versiegeln. Werden wohl geraume Zeit hier zu tun haben.« »Denk ich mir.«
»Das Messer und die hölzernen Bettkanten werden als Erstes auf Spuren untersucht, und es gibt ja auch die ganzen aufgerauchten Joints, Zigarettenstummel, Flaschen und Becher. Da werden sich Fingerabdrücke und Speichelreste en masse befinden. Und dann kann die KTU sich noch an dem Laken austoben«, schloss Hellmer.
»Ja, Andrea hat mir das bestätigt. Es gibt tatsächlich jede Menge Spermaspuren, alle frisch, das lässt sich ja unter UV nicht immer auf Anhieb unterscheiden. Die Anzahl lässt darauf schließen, dass es sich um mehr als einen Täter handelt.« Jeder andere Kollege hätte nun wahrscheinlich einen süffisanten Kommentar über Manneskraft vom Stapel gelassen, und Julia Durant war in diesem Moment einfach nur dankbar, dass Hellmer die Klappe hielt. Genau betrachtet hatte er es ja auch nicht mehr nötig, ihr etwas vorzumachen. Doch diese gemeinsame Erinnerung war schon beinahe vergessen. Das war mit einer anderen Julia Durant gewesen.
»Was ich mich frage«, grübelte sie laut, »ist, warum es bei einer Vergewaltigung und anschließender Tötung so dermaßen viele Spuren gibt. Ich meine, jeder noch so abgedrehte Gewaltverbrecher ist sich doch der Tatsache bewusst, dass Blut, Sperma und Fingerabdrücke unfehlbare Beweise sind.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Hellmer.
»Na überleg doch mal. Wir haben eine Studentenparty, eine Menge Alkohol und Drogen. Irgendwann artet es in eine Orgie aus. Mal angenommen, du würdest nicht mehr so genau wissen, wo die Grenzen verlaufen: Würdest du nicht wenigstens ein Gummi benutzen? Sei es nun, um nicht im Saft deines Vorgängers zu stochern, oder eben, wenn der Sex nicht einvernehmlich war, um nicht sofort deine DNA überall zu verteilen. Da haben sich gleich mehrere Personen völlig unlogisch verhalten, und so naiv ist doch heutzutage niemand mehr, oder?«
»Weiß nicht.« Hellmer zuckte die Schultern. »Im Drogenrausch wird ihnen das wohl gar nicht mehr bewusst oder einfach nur scheißegal gewesen sein. Vielleicht waren der Mörder und der oder die Sexualpartner auch verschiedene Personen? Es war im Protokoll von sechs bis acht Gästen die Rede. Wer sagt uns denn, dass die Mason in ihrem Vollrausch nicht ein, zwei ihrer Kommilitonen rangelassen hat und ihr danach jemand ganz anderes an die Gurgel gegangen ist? Könnte ein eifersüchtiger Freund sein oder ein verschmähter Liebhaber. Das ist doch alles noch viel zu spekulativ. Könnte ja sogar die Riva gewesen sein. Hast du deren Figur gesehen? Gegen die hätte sie doch selbst nüchtern keine faire Chance gehabt.«
»Jennifer Mason hatte heute Nacht überhaupt keine Chance«, antwortete Julia Durant mit einem Kopfschütteln. »Dann soll sie also, bevor es zur Gewalt kam, Geschlechtsverkehr mit mehreren Männern gehabt haben?«
»Kann doch sein, oder?«, entgegnete Hellmer mit unschuldigem Gesichtsausdruck.
»Natürlich«, entgegnete Durant spitz und warf ihrem Kollegen einen vernichtenden Blick zu. Hatte er den vergangenen Sommer einfach vergessen? Hatte er das Bild verdrängt, wie sie kaum die Treppe aus dem Verlies hinaufgehen konnte, weil ihr Unterleib an jeder nur denkbaren Stelle schmerzte? Oder hatte er geplappert, ohne zu denken? Diese Seite an Hellmer, die er nicht oft, aber eben immer wieder mal zeigte, brachte Durant auch nach all den gemeinsamen Jahren noch auf die Palme. Verstärkt wurde dies durch die allgemein sehr naiven Vorstellungen von Männern darüber, wie Frauen Sexualität empfanden und welche Bedürfnisse und Vorlieben dabei für sie vorherrschten. Lustgewinn durch schmerzhaftes Eindringen und damit einhergehende Verletzungen im inneren Schambereich jedenfalls wünschte sich keine normale Frau. Und Jennifer Mason machte bislang nicht den Eindruck, als habe sie auffällige sexuelle Orientierungen gehabt.
Hellmer stand noch immer mit ausdruckslosem Gesicht neben ihr, und Durant entschied sich, ihren Kommentar noch einmal zu unterstreichen.
»Das Einvernehmen endet für mich mit den Würgemalen und Blutergüssen an Hals, Oberarmen und Handgelenken, den Hautabschürfungen an den Oberschenkeln und den Hautrissen im Intim- und Analbereich.«
»Vielleicht hast du recht. Aber wir drehen uns im Kreis, merkst du das?« Tonfall und Worte klangen verdächtig nach einem von Hellmers typischen Friedensangeboten. »Lass uns irgendwo frühstücken gehen und die Kollegen von der KTU und Forensik ihren Job machen. Vielleicht können wir später zu Adriana Riva fahren und herausfinden, wer alles auf der Party war.«
»Und was ist mit Jennifer Masons Familie?«
Hellmer schüttelte energisch den Kopf.
»In Kanada ist es jetzt Mitternacht oder so. Außerdem haben wir die Eltern noch gar nicht ermittelt. Der Nachnahme Mason bedeutet im Deutschen nicht nur Maurer, er ist auch von der Häufigkeit vergleichbar. Füllt also ganze Spalten im Telefonbuch, da kann sich unser Dreamteam dran verausgaben.«
Julia Durant musste unwillkürlich grinsen. Hellmer meinte damit ihre Kollegen Kullmer und Seidel, die sich vor ein paar Jahren dazu entschlossen hatten, Berufliches und Privates nicht mehr voneinander zu trennen. Die Arbeit im Präsidium lag also in guten Händen. Mehr gab es zu dieser frühen Stunde einfach nicht zu tun.
»Na gut, Frank«, sagte sie. »Lass uns von hier verschwinden.«
SAMSTAG, 7.50 UHR
Mann, noch nicht mal acht Uhr«, kommentierte Frank Hellmer die in riesigen Lettern aufflammende Digitalanzeige seines Bordcomputers. Julia Durant musterte das protzige Interieur des Porsche interessiert, verkniff sich aber einen Kommentar. Bereits im vergangenen Sommer hatte sie dieses Thema mit ihrem Kollegen durchgekaut und verspürte nicht die geringste Lust auf eine Neuauflage. Letzten Endes ging es sie auch nichts an. Hellmer hatte wieder zu seiner Ex-Frau zurückgefunden, diese war nun einmal wohlhabend, und warum sollte sie ihr Geld nicht auch ausgeben. Lebe jetzt, sonst tun's deine Erben, hatte Nadine irgendwann in grauer Vorzeit einmal gesagt. Von dieser Unbeschwertheit, das wusste Julia nur zu gut, war heute nicht mehr allzu viel übrig. Der Porsche allerdings war geblieben, und Hellmer lenkte ihn gerade auf die Borsigallee.
»Wo wollen wir denn frühstücken?«, fragte er und warf Durant einen Blick zu. »Im Hessencenter ein Café suchen oder lieber gleich die Kantine in der BGU?«
»Ach, ich weiß nicht«, seufzte sie. »Aber bitte bloß nirgendwohin, wo ich Café au Lait und Croissants vorgesetzt bekomme!« Zweifelsohne hatte Julia die Lebensart und das Verwöhnprogramm von Susanne Tomlin an der französischen Riviera zu schätzen gewusst. Doch seit ihrer Rückkehr genoss sie wieder die tägliche Wurst- oder Nutellaschnitte - Roggen- oder Körnerbrot wohlgemerkt und nichts, was einem Baguette auch nur im Entferntesten ähnelte. Dazu schwarzen, arabischen Kaffee aus einer einfachen Henkeltasse anstatt mit doppelt so viel Milch in einer Porzellanschale. »Mir würde ein Ausflug auf die Fast-Food-Meile voll und ganz genügen«, gestand Durant. »Da gibt's alles Mögliche an Frühstückskram und vor allem einen brauchbaren Kaffee.« »Wie Madame wünschen«, nickte Hellmer und trat aufs Gas. Offenbar hatte er sein Ziel bereits im Kopf, und tatsächlich setzte er kaum drei Minuten später den Blinker, kreuzte die Straßenbahngleise und steuerte auf einen Parkplatz zu. Trotz des schrecklichen Tatorts, der Julia Durant noch deutlich vor Augen stand, verspürte sie nun heftigen Appetit. Dabei kam ihr in den Sinn, dass sie unbedingt diverse Snacks in ihrem Kühlschrank aufstocken sollte. Doppelt so groß wie der, den sich Julia damals für ihre eigene Küche ausgesucht hatte, machte sich in Susannes zweitürigem Monstrum sehr schnell eine unangenehme Leere breit.
Die Fahrt hatte kaum lange genug gedauert, um das Niveau von Smalltalk-Plattitüden zu verlassen, geschweige denn, dass sich ein Gespräch über den Fall hätte entwickeln können. Durant trat durch die doppelte Glastür in das Schnellrestaurant und hielt sie für Hellmer offen. Dabei wanderte ihr Blick bereits über die wenigen Anwesenden und suchte eine ruhige, möglichst abgeschiedene Ecke, in der sie sich ungestört unterhalten konnten. »Soll ich dir was mitbringen?«, fragte Hellmer und deutete auf die bunten Plastiktransparente mit den Frühstücksangeboten. Eine der Empfehlungen war eine Art Schinken-KäseCroissant, und als er sah, dass auch Julia das Bild gesehen hatte, grinste er breit.
»Untersteh dich!«, warnte sie ihn. »Bring mir irgendwas Fleischiges, und für hinterher noch was Süßes. Und einen ordentlichen Kaffee.«
Gemächlich schlenderte sie auf die Fensternische zu, die sie als idealen Sitzplatz auserkoren hatte, und nahm auf der rotbraunen Kunstlederbank Platz. Anders als zu späterer Stunde fand sie die Tischplatte unverklebt und ohne Krümel vor. Für einen kurzen Moment stützte sie die Ellbogen auf dem kühlen Marmor ab und verbarg ihren Kopf zwischen den Händen. Bitte nicht schon wieder, flehte sie in Gedanken, bitte jetzt kein Kreislauftief. Um sich zu entspannen, ging Julia im Stillen einige Übungssätze autogenen Trainings durch. Dieser Mummenschanz, wie sie die Übungen einst bezeichnet hatte, taugte tatsächlich etwas. Ruhe, Wärme und Atmung wahrnehmen, dabei eine Hand auf den Solarplexus legen. Wenn sie bloß niemand dabei erwischte. Gerade rechtzeitig, als Hellmer mit einem Tablett an den Tisch trat, auf dem sich nichts weiter befand als zwei stark dampfende Pappbecher, richtete sich Durant wieder auf.
»Na, hast wohl die Hälfte liegen lassen.«
»Nein, die produzieren noch. Wird alles frisch geliefert, sobald es fertig ist. Hier, dein Kaffee.«
Er schob einen der Becher in ihre Richtung, und Julia griff sich schnell drei der vier Zuckerbeutel. Sie riss sie alle gleichzeitig auf und versenkte den Inhalt in der tiefschwarzen Flüssigkeit.
»Ich sehe schon, manche Dinge ändern sich nie«, feixte Hellmer.
»Warum auch«, konterte Durant. Dann, nach einer kurzen Pause, sah sie ihren langjährigen Kollegen mit fragendem Blick an. »Manches hat sich aber schon verändert, oder?« »Weiß nicht. Was meinst du denn?« Hellmer schien verunsichert.
»Na komm schon«, bohrte sie. »Erzähl mal was von dir und Sabine. Ihr tollt ja herum wie junge Rehe.«
»Ach, daher weht der Wind.« Nun schien Hellmer erleichtert zu sein. »Na ja, was soll ich sagen, wir haben ein produktives Jahr hinter uns.«
»Produktiv?«, wiederholte sie und verzog das Gesicht. Noch bescheuerter hatte er es wohl nicht ausdrücken können. »Mensch, Julia, was soll ich denn sagen, verdammt?«, platzte Hellmer heraus. »Du hast die Kaufmann doch damals selbst vorgeschlagen und warst dann weg. Ist ja auch okay, hast du ja bitter nötig gehabt, sehe ich ein. Aber das Leben musste schließlich weitergehen.« Nervös trommelten seine Finger auf dem Plastiktablett. Etwas gefasster sagte er dann noch: »Hast du eigentlich 'ne Ahnung, was hier los war?«
Julia kannte die Akten, und zwar allesamt. Nach knapp vier Wochen Innendienst unter Bergers Fuchtel meinte sie, nahezu jeden noch so kleinen Vorgang der vergangenen dreizehn Monate auswendig herunterbeten zu können.
»Ist doch okay«, beschwichtigte sie ihren Kollegen und legte ihm die Hand auf den Unterarm. Etwas verwirrt stellte die vor wenigen Sekunden an den Tisch getretene Bedienung ein Tablett mit Pappboxen, Servietten und Plastikbesteck ab und eilte davon.
»Es ist nur«, begann Julia und rief sich die seltsame Szene vorhin im Flur der WG ins Gedächtnis, »dass ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren kann, als bräuchte man mich nicht mehr. Ich ziehe in eine Wohnung, von deren Balkon ich Berger fast auf den Schreibtisch spucken könnte, knie mich voll rein, damit ich endlich wieder auf die Straße komme, und dann habe ich meinen ersten Tatort und muss feststellen, dass ich nur das fünfte Rad am Wagen bin.«
»So ein Quatsch.« Aber Hellmer klang nicht so überzeugend, wie sie es sich erhofft hatte.
Durant versuchte es anders: »Als ich vorhin zum Tatort kam, hast du nicht einmal ihren Namen erwähnt, eben so, als würde man ohnehin davon ausgehen, dass dort, wo du bist, auch sie nicht fern ist.«
Nun schien der Groschen zu fallen.
»Du meinst, weil es bei uns früher so war?«
»Zwölf Jahre lang, lieber Frank. Wir haben so ziemlich jede Höhe und Tiefe mitgenommen, die einem nur widerfahren konnte.«
Noch immer lag Julias Hand auf seinem Unterarm, und Hellmer legte darauf nun seine freie Hand. Zwei einsame Tränen sammelte sich unter ihren Augen, nicht dick genug, um her-abzutropfen, aber sichtbar für Hellmer.
»Verdammt, ich bin ein Trottel«, presste er zerknirscht hervor. »Ich seh dich bald jeden Tag und hab keine Ahnung, wie's in dir aussieht.«
»Frank, ich hab eine Scheißangst«, gestand Julia Durant. »Mir geht es alles andere als gut, aber wenn ich nicht bald wieder normalen Dienst machen kann, ertrag ich das nicht länger.« »Ist schon gut, Frau Kollegin«, lächelte Hellmer und packte ihre Hand ganz fest. »Glaub mir, Berger hat nicht vor, dich als Bürokraft zu beschäftigen. Und so gut es mit Sabine auch läuft, ich möchte meine alte Partnerin ebenfalls gerne wiederhaben.«
Durant zog die Nase hoch, zwinkerte Hellmer dankend zu und befreite dann ihre Hand. Noch bevor sie mit dem ersten Pappkarton zu rascheln begann, hörte sie ihn etwas brummeln. Es hatte mit den unbestreitbaren Vorzügen zu tun, die eine junge gegenüber einer alten Kollegin hätte.
Lächelnd schüttelte Julia Durant den Kopf und biss voller Genuss in den mit Schweinehack, Bacon und Ei belegten Burger. Manche Dinge änderten sich tatsächlich nie.
Adriana Riva musste ausgesprochen hübsch sein, dies kam jedoch inmitten der sterilen Atmosphäre des Krankenzimmers mit seinen weißen Laken, dem Krankenhaushemd und dem Tropf in ihrem blassen Unterarm nicht zur Geltung. Zwischen den Schlitzen der heruntergelassenen Jalousie drangen warme Strahlen der Morgensonne hindurch, und in dem grellen Licht leuchteten unzählige feine Staubpartikel, die bei jeder noch so kleinen Bewegung wild durcheinanderstoben. Die gibt es also sogar hier und nicht nur bei mir zu Hause, registrierte Durant zufrieden. Die beiden Kommissare waren vor knapp zehn Minuten an der BGU eingetroffen und hatten sich den Weg zur Patientin Riva erfragt. Dabei waren sie auf erstaunlich wenig Widerstand seitens der Ärzte gestoßen. Sie werteten es als gutes Zeichen, denn dann konnte der Schock des Mädchens nicht so schlimm sein. Im Fahrstuhl schließlich, unter den naserümpfenden Blicken eines jungen Assistenzarztes, hatte Hellmer sein piependes Handy herausgezogen. Einer SMS von Sabine Kaufmann zufolge war John Simmons zwar bei seiner gemeldeten Anschrift ausfindig gemacht worden, von seiner Freundin Helena Johnson jedoch gab es keine Spur. Simmons selbst läge noch im Delirium; Details später.
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Autoren-Porträt von Andreas Franz, Daniel Holbe
Andreas Franz arbeitete als Studiomusiker, LKW-Fahrer und Übersetzer - doch seine große Leidenschaft galt von jeher dem Schreiben. Bereits mit seinem ersten Erfolgsroman Jung, blond, tot gelang es ihm, unzählige Krimileser in seinen Bann zu ziehen. Seitdem folgte Bestseller auf Bestseller. Mit einer deutschen Gesamtauflage von über 5 Millionen hat sich Andreas Franz in die erste Riege der deutschen Spannungsautoren geschrieben. Die große Authentizität seiner Kriminalromane beruht nicht zuletzt auf seinen engen und vertrauensvollen Kontakten zu Polizei und anderen Dienststellen.Der Autor war seit 1974 verheiratet und hatte fünf Kinder. Er wohnte zuletzt in Hattersheim am Main. Am 13. März 2011 verstarb Andreas Franz im Alter von 57 Jahren.
Daniel Holbe, Jahrgang 1976, lebt mit seiner Familie in der Wetterau unweit von Frankfurt. Insbesondere Krimis rund um Frankfurt und Hessen faszinieren den lesebegeisterten Daniel Holbe schon seit geraumer Zeit. So wurde er Andreas-Franz-Fan - und schließlich selbst Autor. Als er einen Krimi bei Droemer Knaur anbot, war Daniel Holbe überrascht von der Reaktion des Verlags: Ob er sich auch vorstellen könne, ein bereits bestehendes Projekt in dieser Region zu übernehmen? "Als leidenschaftlicher Krimi-Leser, auch und vor allem von Andreas Franz, ist das Vollenden der Todesmelodie natürlich ein besonderes Privileg für mich."
Autoren-Interview mit Andreas Franz
Interview mit Daniel Holbe zum Schreiben und zum Krimi „Todesmelodie"Herr Holbe, der Weg zum Autorendasein ist oft steinig und mit vielen Enttäuschungen versehen. Ihr Weg hingegen verlief ausgesprochen überraschend. Sie sind gleich in die A-Liga der Autoren katapultiert worden, und zwar als als „Co-Autor" des 2011 verstorbenen Andreas Franz. Beschreiben Sie uns, wie es zu diesem ungewöhnlichen Coup kam!
Daniel Holbe: Nun, wie man es nimmt. Erfahrungen habe ich ja durchaus bereits gemacht. Ablehnungsbriefe von Verlagen, die üblichen Standardfloskeln („intensive Prüfung" etc.), das kenne ich ebenfalls. Es war ein großes Glück, dass ich zum richtigen Zeitpunkt eine erfolgreiche Autorin kennenlernen durfte, über sie dann meine Agentur - und damit konnte ich viele Stolpersteine gleich zu Anfang vermeiden.
Der Coup, wie Sie es nennen, bestand dann einfach darin, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein. Will sagen, ich hatte im Frühjahr ein neues Projekt an meine Agentur herangetragen, etwas Regionales, also eine ganz andere Richtung. Von hier aus wanderte eine Leseprobe unter anderem auf den Schreibtisch von Frau Steffen-Reimann, meiner Lektorin beim Droemer Verlag.
Der Rest ist Geschichte: einerseits ich, ein noch unverbrauchter Autor, wohnhaft im Rhein-Main-Gebiet, einen Regionalkrimi im Hinterkopf, andererseits der Verlag mit dem Erbe eines Autors von Regionalkrimis ... Und auf einmal war dann diese Idee da, daraus etwas Neues zu machen.
Wie haben Sie sich auf die neue Arbeit als Co-Autor vorbereitet?
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Daniel Holbe: Ich habe das getan, was ich z.B. bei meinem ersten Buch nie gewagt hätte: Nämlich alles gelesen, was es von der Reihe gab, chronologisch, unglaublich schnell und mit dem Ziel, den Ton zu verinnerlichen, in dem Andreas Franz sich ausdrückte. Mein Arbeitszimmer habe ich neu tapeziert mit leeren Papierbahnen, auf denen sich bald die Hauptcharaktere wiederfanden, mit ihren Lebensläufen, außerdem einer Zeitschiene, auf der wichtige Ereignisse verzeichnet sind. Parallel dazu verzeichnet habe ich jeweils die Quelle des Titels, damit ich nachschlagen konnte. Das hatte schon etwas von Profiling und ich bin auch ein wenig stolz darauf, denn dem Verlag hat das offenbar imponiert, dass ich mich so analytisch in die Figuren hineinbegeben habe. Dennoch bin ich mir sicher, dass es noch viel mehr zu entdecken gibt und dass ich gewiss auch irgendwo einen Fehler übersehen habe.
Was ist das für ein Gefühl, „für" Andreas Franz zu schreiben - Ehrfurcht, Ehre, Freude?
Daniel Holbe: Alles davon - in wiederkehrender Reihenfolge.
Ich freue mich natürlich, vom ersten Tage an, habe aber zugleich eine große Ehrfurcht vor der Ehre, dass ausgerechnet ich das machen soll.
Diese Ehrfurcht beinhaltet durchaus auch immer mal wieder etwas Angst, denn ich werde nie erfahren, welches Ende Andreas Franz sich für die Todesmelodie erdacht hat und ob er meine Fortschreibung eher nickend oder kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen würde.
Auf der anderen Seite, und da komme ich zur Freude, bestärkt mich zum Beispiel die Reaktion von Frau Franz, die nach dem Lesen neuer Seiten meines Manuskriptes spontan sagte: „Das ist ja so, als ob ich von Andreas die neuen Seiten zum Lesen bekommen habe!" Mit Freude also schließt sich der Kreis, denn damit nehme ich dann die positiven Reaktionen von Frau Franz oder aus dem Lektorat entgegen.
Wenn Sie Ihr bisheriges Schreiben betrachten - was verbindet Sie mit Andreas Franz, was unterscheidet Sie von ihm?
Daniel Holbe: Allem voran verbindet uns wohl der Name Julia, denn Julia Durant ist nicht die erste Frau mit diesem Vornamen, die mein Leben veränderte. Da gibt es zunächst meine Schwester, dann später meine Frau und nun - aller guten Dinge sind drei - auch noch diese gewisse Kommissarin.
Dass wir in der gleichen Region leben, auch persönlich viele Gemeinsamkeiten hatten, mag auf den ersten Blick Zufall sein. Trotzdem war es für Frau Franz, mit der ich viele angenehme Kontakte hatte, durchaus ein wichtiger Faktor, dass wir nicht völlig unterschiedliche Typen sind. Ihre erste Feststellung, als wir uns kennenlernten, war: „Ach, auch ein Ohrringträger."
Unterschiede gibt es natürlich einige in unseren Lebensläufen und Erfahrungen, doch eines ist dabei unerlässlich: würde ich nicht mit Sympathie und einer gleichen Wellenlänge zu dem Menschen Andreas Franz blicken können, so wäre mir der Einstieg in dieses Projekt nicht möglich gewesen.
Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade Franz-Krimis schreiben?
Daniel Holbe: Von meiner letzten Phase des „Nicht-Franz-Krimi-Schreibens" bin ich monatelang entfernt, das habe ich schon fast vergessen. Nun, ich versuche es trotzdem einmal ...
Ich habe vor vielen Jahren mein Herz an die Sozialarbeit verloren und in unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet. Natürlich bringt einen dieses Betätigungsfeld durchaus mit Situationen und Schicksalen in Berührung, die man auch literarisch umsetzen kann. Einen gewissen Wiedererkennungswert hatte da natürlich auch die Frankfurter Reihe um Julia Durant. Parallel zur Arbeit mit Menschen habe ich mein Interesse an Sozialforschung entdeckt, also den großen Zusammenhängen, um es einmal so zu sagen.
Mit dem großen Glück gesegnet, sehr flexibel arbeiten zu können, konnte ich mir stets die Zeit abzwacken, die ich für dieses Buchprojekt benötigte. Da meine Frau im Sommer 2011 eine neue Stelle angenommen hat, habe ich das Glück, beruflich ein wenig zurückschrauben zu können, um mich diesem Projekt zu widmen. Für andere Buchprojekte blieb da überhaupt nichts an Zeit übrig, das macht aber nichts.
Meine Familie befindet sich ja noch im sprichwörtlichen Aufbau. Unser Sohn wurde gerade zwei Jahre alt und mein liebstes Hobby, draußen in der Natur zu sein, lässt sich da gut unter einen Hut bringen. Eng wird es nur, wenn die Grenze zwischen Büro und Kinderzimmer verschwimmt. Ich bin nämlich ein Mensch, der sich unheimlich gerne und schnell ablenken lässt ...
Welchen Krimi von Andreas Franz haben Sie selbst zuerst gelesen, welchen haben Sie besonders gemocht?
Daniel Holbe: Begonnen habe ich wohl mit dem „achten Opfer", das ist mir zumindest in Erinnerung geblieben, weil die erste Leiche aus Friedberg stammt, so wie ich.
Gut gefallen hat mir „Tödliches Lachen", ebenfalls ganz toll war das „Todeskreuz" und ich war natürlich absolut fasziniert von „Mörderische Tage", denn dort hat Andreas Franz mit seiner Heldin etwas gemacht, was man einfach erst nach einer ganzen Reihe von Büchern machen kann. Eine Sinfonie mit Paukenschlag, möchte ich sagen, aber auch von der ganzen Atmosphäre drum herum absolut packend.
Ich bin ein klassischer Durant-Fan, das mag auch damit zusammenhängen, dass ich sämtliche Handlungsorte persönlich kenne. Seit ich allerdings Peter Brandt kennenlernen durfte, vor allem im Crossover mit Julia, gehört Offenbach ebenso zu meinem Revier, zumal die Geschichten dort wieder ein ganz eigenes Feeling haben.
Daniel Holbe: Ich habe das getan, was ich z.B. bei meinem ersten Buch nie gewagt hätte: Nämlich alles gelesen, was es von der Reihe gab, chronologisch, unglaublich schnell und mit dem Ziel, den Ton zu verinnerlichen, in dem Andreas Franz sich ausdrückte. Mein Arbeitszimmer habe ich neu tapeziert mit leeren Papierbahnen, auf denen sich bald die Hauptcharaktere wiederfanden, mit ihren Lebensläufen, außerdem einer Zeitschiene, auf der wichtige Ereignisse verzeichnet sind. Parallel dazu verzeichnet habe ich jeweils die Quelle des Titels, damit ich nachschlagen konnte. Das hatte schon etwas von Profiling und ich bin auch ein wenig stolz darauf, denn dem Verlag hat das offenbar imponiert, dass ich mich so analytisch in die Figuren hineinbegeben habe. Dennoch bin ich mir sicher, dass es noch viel mehr zu entdecken gibt und dass ich gewiss auch irgendwo einen Fehler übersehen habe.
Was ist das für ein Gefühl, „für" Andreas Franz zu schreiben - Ehrfurcht, Ehre, Freude?
Daniel Holbe: Alles davon - in wiederkehrender Reihenfolge.
Ich freue mich natürlich, vom ersten Tage an, habe aber zugleich eine große Ehrfurcht vor der Ehre, dass ausgerechnet ich das machen soll.
Diese Ehrfurcht beinhaltet durchaus auch immer mal wieder etwas Angst, denn ich werde nie erfahren, welches Ende Andreas Franz sich für die Todesmelodie erdacht hat und ob er meine Fortschreibung eher nickend oder kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen würde.
Auf der anderen Seite, und da komme ich zur Freude, bestärkt mich zum Beispiel die Reaktion von Frau Franz, die nach dem Lesen neuer Seiten meines Manuskriptes spontan sagte: „Das ist ja so, als ob ich von Andreas die neuen Seiten zum Lesen bekommen habe!" Mit Freude also schließt sich der Kreis, denn damit nehme ich dann die positiven Reaktionen von Frau Franz oder aus dem Lektorat entgegen.
Wenn Sie Ihr bisheriges Schreiben betrachten - was verbindet Sie mit Andreas Franz, was unterscheidet Sie von ihm?
Daniel Holbe: Allem voran verbindet uns wohl der Name Julia, denn Julia Durant ist nicht die erste Frau mit diesem Vornamen, die mein Leben veränderte. Da gibt es zunächst meine Schwester, dann später meine Frau und nun - aller guten Dinge sind drei - auch noch diese gewisse Kommissarin.
Dass wir in der gleichen Region leben, auch persönlich viele Gemeinsamkeiten hatten, mag auf den ersten Blick Zufall sein. Trotzdem war es für Frau Franz, mit der ich viele angenehme Kontakte hatte, durchaus ein wichtiger Faktor, dass wir nicht völlig unterschiedliche Typen sind. Ihre erste Feststellung, als wir uns kennenlernten, war: „Ach, auch ein Ohrringträger."
Unterschiede gibt es natürlich einige in unseren Lebensläufen und Erfahrungen, doch eines ist dabei unerlässlich: würde ich nicht mit Sympathie und einer gleichen Wellenlänge zu dem Menschen Andreas Franz blicken können, so wäre mir der Einstieg in dieses Projekt nicht möglich gewesen.
Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade Franz-Krimis schreiben?
Daniel Holbe: Von meiner letzten Phase des „Nicht-Franz-Krimi-Schreibens" bin ich monatelang entfernt, das habe ich schon fast vergessen. Nun, ich versuche es trotzdem einmal ...
Ich habe vor vielen Jahren mein Herz an die Sozialarbeit verloren und in unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet. Natürlich bringt einen dieses Betätigungsfeld durchaus mit Situationen und Schicksalen in Berührung, die man auch literarisch umsetzen kann. Einen gewissen Wiedererkennungswert hatte da natürlich auch die Frankfurter Reihe um Julia Durant. Parallel zur Arbeit mit Menschen habe ich mein Interesse an Sozialforschung entdeckt, also den großen Zusammenhängen, um es einmal so zu sagen.
Mit dem großen Glück gesegnet, sehr flexibel arbeiten zu können, konnte ich mir stets die Zeit abzwacken, die ich für dieses Buchprojekt benötigte. Da meine Frau im Sommer 2011 eine neue Stelle angenommen hat, habe ich das Glück, beruflich ein wenig zurückschrauben zu können, um mich diesem Projekt zu widmen. Für andere Buchprojekte blieb da überhaupt nichts an Zeit übrig, das macht aber nichts.
Meine Familie befindet sich ja noch im sprichwörtlichen Aufbau. Unser Sohn wurde gerade zwei Jahre alt und mein liebstes Hobby, draußen in der Natur zu sein, lässt sich da gut unter einen Hut bringen. Eng wird es nur, wenn die Grenze zwischen Büro und Kinderzimmer verschwimmt. Ich bin nämlich ein Mensch, der sich unheimlich gerne und schnell ablenken lässt ...
Welchen Krimi von Andreas Franz haben Sie selbst zuerst gelesen, welchen haben Sie besonders gemocht?
Daniel Holbe: Begonnen habe ich wohl mit dem „achten Opfer", das ist mir zumindest in Erinnerung geblieben, weil die erste Leiche aus Friedberg stammt, so wie ich.
Gut gefallen hat mir „Tödliches Lachen", ebenfalls ganz toll war das „Todeskreuz" und ich war natürlich absolut fasziniert von „Mörderische Tage", denn dort hat Andreas Franz mit seiner Heldin etwas gemacht, was man einfach erst nach einer ganzen Reihe von Büchern machen kann. Eine Sinfonie mit Paukenschlag, möchte ich sagen, aber auch von der ganzen Atmosphäre drum herum absolut packend.
Ich bin ein klassischer Durant-Fan, das mag auch damit zusammenhängen, dass ich sämtliche Handlungsorte persönlich kenne. Seit ich allerdings Peter Brandt kennenlernen durfte, vor allem im Crossover mit Julia, gehört Offenbach ebenso zu meinem Revier, zumal die Geschichten dort wieder ein ganz eigenes Feeling haben.
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Andreas Franz , Daniel Holbe
- 2012, 17. Aufl., 432 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426639440
- ISBN-13: 9783426639443
- Erscheinungsdatum: 27.04.2012
Rezension zu „Todesmelodie / Julia Durant Bd.12 “
""Todesmelodie" mutet dem Leser und Hörer viel zu: Brutalitäten wie Folterszenen oder blutige Morde werde geschildert, die hart am Rande des Erträglichen entlangschrammen. nichts für zarte Seelen." FreiePresse 20121123
Pressezitat
""Todesmelodie" mutet dem Leser und Hörer viel zu: Brutalitäten wie Folterszenen oder blutige Morde werde geschildert, die hart am Rande des Erträglichen entlangschrammen. nichts für zarte Seelen." FreiePresse 20121123
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