Teuflischer Sog / Juan Cabrillo Bd.7
Roman. Deutsche Erstveröffentlichung
Der Kampf um die Schätze der Antarktis hat begonnen. Ein amerikanischer Satellit mit waffenfähigem Plutonium stürzt mitten in den argentinischen Dschungel ab. Juan Cabrillo und das Team der Oregon werden mit höchster Priorität...
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Produktinformationen zu „Teuflischer Sog / Juan Cabrillo Bd.7 “
Der Kampf um die Schätze der Antarktis hat begonnen. Ein amerikanischer Satellit mit waffenfähigem Plutonium stürzt mitten in den argentinischen Dschungel ab. Juan Cabrillo und das Team der Oregon werden mit höchster Priorität beauftragt, ihn sicherzustellen. Auch ein argentinischer General setzt alles daran, den Satelliten in seine Finger zu kriegen. Doch als Cabrillo und sein Team das Plutonium endlich bergen können, erkennen sie, dass die Verschwörung noch viel weiter reicht. Denn der Satellit wurde abgeschossen - von einem Waffensystem, wie es nur die Chinesen besitzen!
Klappentext zu „Teuflischer Sog / Juan Cabrillo Bd.7 “
Der Kampf um die Schätze der Antarktis hat begonnen...Ein amerikanischer Satellit mit waffenfähigem Plutonium stürzt mitten in den argentinischen Dschungel ab. Juan Cabrillo und das Team der Oregon werden mit höchster Priorität beauftragt, ihn sicherzustellen. Auch ein argentinischer General setzt alles daran, den Satelliten in seine Finger zu kriegen. Doch als Cabrillo und sein Team das Plutonium endlich bergen können, erkennen sie, dass die Verschwörung noch viel weiter reicht. Denn der Satellit wurde abgeschossen - von einem Waffensystem, wie es nur die Chinesen besitzen!
Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Abenteuer von Juan Cabrillo nicht entgehen!
Lese-Probe zu „Teuflischer Sog / Juan Cabrillo Bd.7 “
Teuflischer Sog von Clive Cussler & Jack Du Brul7. Dezember 1941
Pine Island
Washington State
Ein goldener Schatten sprang über das Dollbord des kleinen Bootes, als dessen Bug auf dem steinigen Strand aufsetzte. Der Golden Retriever platschte ins Wasser und pflügte durch die Wellen, wobei er seinen Schweif wie eine Siegesfahne hochreckte. Als er dann wieder auf trockenem Boden stand, schüttelte er sich, so dass die Wassertropfen aus seinem Fell flogen: wie Diamantsplitter durch die kühle, frische Luft. Dann blickte er zum Boot zurück. Der Hund bellte ein See-möwenpaar an, das in einiger Entfernung auf dem Strand spazieren ging. Erschrocken ergriffen die Vögel die Flucht. Da ihre Gefährten viel zu langsam folgten, rannte die Rassehündin zu einer Baumgruppe in der Nähe. Ihr Gebell wurde immer leiser, bis es von dem Wald völlig verschluckt wurde, der den größten Teil der etwa zweieinhalb Quadratkilometer großen Insel bedeckte, die ungefähr eine Ruderstunde vor dem Festland lag.
... mehr
»Amelia«, rief Jimmy Ronish, der jüngste der fünf Brüder im Boot, den Hund.
»Ihr wird schon nichts passieren«, sagte Nick, zog die Ruder ein und nahm die Bootsleine in die Hand. Er war der älteste der Ronish-Jungen.
Vollendet koordinierte er seinen Sprung mit der Brandung und landete auf dem kiesbedeckten Strand, als sich eine Welle zurückzog. Drei lange Schritte später
befand er sich oberhalb der Flutlinie aus Strandgut und teilweise getrocknetem Seetang und schlang die Leine um einen Balken Treibholz, der von der Sonne und dem Salzwasser gebleicht und mit zahllosen eingeschnitzten Initialen schraffiert war. Kräftig zerrte er an der Leine, um das vierzehn Fuß lange Boot auf festen Boden zu hieven. Dann band er es fest.
»Beeilt euch«, ermahnte Nick Ronish seine jüngeren Brüder. »In fünf Stunden ist Ebbetiefststand, und wir haben noch eine Menge zu tun.«
Während die Lufttemperatur um diese späte Jahreszeit noch einigermaßen angenehm war, hatte sich der Nordpazifik bereits empfindlich abgekühlt und zwang sie, ihre Ausrüstung im Rhythmus der vom Strand ablaufenden Wellen zu entladen. Eines der schwersten Ausrüstungsteile war ein einhundert Meter langes Hanfseil, das sich Ron und Don, die Zwillinge, g emeinsam auf die Schultern laden mussten, um es bis zum Strand zu schaffen. Jimmy war für den Rucksack mit ihrer Verpflegung zuständig, und da er erst neun Jahre alt war, hatte seine schmächtige Gestalt an dieser Last schwer zu tragen.
Die vier älteren Jungen - Nick, neunzehn Jahre alt, Ron und Don ein Jahr jünger, und Kevin, nur elf Monate nach ihnen geboren - hätten mit ihren schlaffen, flachsblonden Haaren und ihren blassblauen Augen auch Vierlinge sein können. Obwohl sie bereits an der Schwelle zum Mannesalter standen, hatten sie sich die überschäumende Energie ihrer Jugend erhalten. Jimmy hingegen wirkte für sein Alter eher klein, mit dunklem Haar und braunen Augen. Seine Brüder hänselten ihn, indem sie meinten, er sehe wie Mr. Greenfield aus, der Gemüsehändler des Städtchens. Und auch wenn Jimmy nicht genau wusste, was das bedeutete, wusste
er doch sofort, dass es ihm nicht gefiel. Er vergötterte seine älteren Brüder und hasste alles, was ihn von ihnen unterschied.
Ihre Familie besaß die kleine Insel vor der Küste - und das schon so lange, wie die Erinnerung ihres Großvaters zurückreichte. Es war ein Ort, an dem jede Generation Jungen - denn seit 1862 hatte die Familie Ronish keinen weiblichen Nachwuchs mehr hervorgebracht - mit Abenteuern ausgefüllte Sommerferien verlebt hatte. Es fiel ihnen leicht, sich vorzustellen, sie wären allesamt Huck Finns und auf dem Mississippi gestrandet - oder Tom Sawyers und damit beschäftigt, das weitläufige Höhlensystem der Insel zu erforschen. Außerdem ging von Pine Island allein schon wegen des Schachts eine ganz besondere Faszination aus.
Mütter hatten ihren Jungen stets verboten, in der Nähe des Schachts zu spielen, seit Abe Ronish, Großonkel des gegenwärtigen Ronish-Nachwuchses, im Jahr 1887 hineingestürzt war und dabei den Tod gefunden hatte. Das Verbot wurde selbstverständlich ignoriert, sobald es ausgesprochen worden war.
Seine eigentliche Anziehungskraft verdankte die Insel aber einer örtlichen Legende, die zu berichten wusste, dass ein gewisser Pierre Devereaux, einer der erfolgreichsten Kaperer, die jemals die Karibik unsicher gemacht hatten, einen Teil seiner Beute auf dieser hoch im Norden liegenden Insel versteckt haben sollte. Und zwar allein aus dem Grund, sein Schiff während einer hartnäckigen Verfolgung durch ein Fregattengeschwader, das ihn um Kap Horn herum und an der süd- und nordamerikanischen Küste ent lang-jagte, leichter zu machen. Untermauert wurde die Legende durch die Entdeckung einer kleinen Pyramide von Kanonenkugeln in einer der Höhlen der Insel -
und außerdem durch die Tatsache, dass der quadratische Schacht mit roh behauenen Holzbalken abgestützt wurde.
Die Kanonenkugeln waren zwar längst verschwunden und wurden mittlerweile als Mythos betrachtet, doch die Existenz der Balkenverschalung rund um das rätselhafte Loch in der steinigen Erde war ja nicht zu leugnen.
»Meine Schuhe sind nass geworden«, beklagte sich Jimmy.
Ungehalten fuhr Nick zu seinem jüngsten Bruder herum und schimpfte: »Verdammt noch mal, Jimmy, ich hab dir doch gesagt, wenn ich dich nur einmal meckern höre, bleibst du beim Boot.«
»Ich hab ja gar nicht gemeckert«, erwiderte der Junge und bemühte sich, nicht wehleidig zu klingen. »Ich hab es doch nur gesagt.« Er schüttelte ein paar Wassertropfen von seinem nassen Fuß, um zu zeigen, dass es ihm nichts ausmachte. Drohend musterte ihn Nick mit eisigem Blick und konzentrierte sich wieder auf ihr Vorhaben.
Pine Island hatte die Umrisse eines ValentinstagHerzens, das aus dem eisigen Pazifik aufgestiegen war. Der einzige Strandabschnitt befand sich dort, wo sich die beiden oberen Wölbungen trafen. Die restliche Insel war mit Klippen umgürtet, die so uneinnehmbar wie Burgmauern erschienen, oder sie wurde von unter Wasser liegenden Felsen geschützt, die wie Perlen auf einer Schnur aussahen und den Boden auch des stabilsten Bootes aufschlitzen konnten. Nur eine Handvoll Tiere war auf der Insel heimisch, vorwiegend Eichhörnchen und Mäuse, die von Stürmen auf das Eiland verschlagen worden waren, sowie Seevögel, die sich auf den hoch gewachsenen Kiefern ausruhten und in den Wellen nach Beute Ausschau hielten.
Eine einzige Straße teilte die Insel. Sie war vor zwanzig Jahren von einer anderen Generation RonishMänner mühsam aus dem Wald gehackt worden. Mit benzingetriebenen Pumpen bewaffnet, waren sie der Insel zu Leibe gerückt, um den Schacht trockenzulegen. Allerdings hatten sie schließlich feststellen müssen, dass ihnen kein Erfolg beschieden war. Ganz gleich wie viele Pumpen sie auch betrieben oder wie viel Wasser sie aus der Tiefe zutage förderten, der Schacht lief immer wieder voll. Eine gründliche Suche nach dem unterirdischen Gang, der ihn mit dem Meer verband, führte zu keinem Ergebnis. Man überlegte, in der Nähe des Schachtes einen Kofferdamm um die Öffnung der Bucht aufzuschütten, da man glaubte, dass es logischerweise keinen anderen Zufluss geben konnte. Doch die Männer entschieden, dass sich ein solcher Aufwand nicht lohne.
Nun waren Nick und seine Brüder an der Reihe. Und jener hatte etwas herausgefunden, auf das seine Onkel und sein Vater bislang nicht gekommen waren. Als nämlich Pierre Devereaux den Schacht damals ausgehoben hatte, um dort seinen Schatz zu verstecken, dürfte ihm als einzige Pumpe die von Hand zu bedienende Bilgenpumpe seines Schiffes zur Verfügung gestanden haben. Auf Grund ihrer geringen Leistung hatten die Piraten den Schacht mit ihrer Ausrüstung aber niemals trockenlegen können, wenn nicht einmal drei Zehn-PS-Pumpen es geschafft hatten.
Eine Erklärung für die besonderen Verhältnisse in dem Schacht musste also woanders zu finden sein.
Nick wusste von den Geschichten, die seine Onkel erzählten, dass sie ihren Versuch, in den Schacht vorzudringen, im Hochsommer unternommen hatten. Als er einen alten Almanach zu Rate zog, sah er, dass sich die Männer für ihr Unterfangen eine Periode mit besonders hohem Ebbestand ausgesucht hatten. Er wusste jedoch, dass er und seine Brüder - um einige Aussicht auf Erfolg zu haben - ihren Versuch, den Grund des Schachtes zu erreichen, zu dem gleichen Zeitpunkt im Jahr starten müssten, an dem Devereaux den Schacht gegraben hatte: und zwar wenn die Ebbephasen den niedrigsten Stand hatten. Das würde in diesem Jahr am siebten Dezember um kurz nach zwei Uhr der Fall sein.
Die älteren Brüder hatten ihr Projekt, das Geheimnis des Schachtes zu lüften, bereits seit dem Frühsommer geplant. Indem sie alle möglichen Jobs annahmen, hatten sie genug Geld zusammengekratzt, um eine geeignete Ausrüstung zu kaufen, und zwar als Erstes eine mit Benzin betriebene Zweiwegpumpe, dann das Seil und Grubenhelme mit Batterielampen. Sie hatten mit dem Seil und einem gefüllten Eimer so lange trainiert, bis ihre Arme und Schultern in der Lage gewesen waren, ohne zu ermüden stundenlang arbeiten zu können. Und sie hatten sich sogar Brillen gebastelt, mit denen sie unter Wasser sehen konnten, falls es nötig sein sollte.
Jimmy war eigentlich nur deshalb mitgenommen worden, weil er sie darüber reden gehört und ihnen gedroht hatte, alles ihren Eltern zu erzählen, falls sie ihn nicht mitmachen ließen.
Plötzlich entstand rechts von ihnen ein Tumult. Ein ganzer Schwarm Vögel schwang sich explosionsartig mit heftigem Flattern und lautem Gezwitscher in den blauen Himmel. Amelia, ihre Golden-Retriever-Hündin, kam zwischen den Bäumen hervorgestürmt, bellte heftig und ließ ihren Schweif wie den Taktstock des Teufels hin und her schwingen. Sie jagte hinter einer
Möwe her, die dicht über dem Boden dahinflatterte, und blieb dann verwundert stehen, als der Vogel in die Luft schoss. Ihre Zunge hing aus der Schnauze, und Geifer troff von ihrem dunklen Zahnfleisch herab.
»Amelia! Komm!«, rief Jimmy mit seiner hohen Stimme. Die Hündin rannte an seine Seite und warf ihn in ihrer Ausgelassenheit beinahe um.
»Krabbe, nimm das«, sagte Nick und reichte Jimmy die Grubenhelme und ihre Behälter mit schweren Bleibatterien.
Die Pumpe war der schwerste Ausrüstungsgegenstand. Nick hatte eine Schlinge mit zwei Tragbalken konstruiert, wie er es in den sonntäglichen Matineevorstellungen im Kino gesehen hatte, wenn Eingeborene den Filmhelden in ihr Lager schleppten. Die Tragbalken hatten sie sich von einer Baustelle geholt. Nun legten die vier Jungen sie sich auf die Schultern und hievten die Maschine aus dem Ruderboot heraus. Erst schwang sie hin und her, dann kam sie zur Ruhe. Und nun machten sie sich auf den ersten Marsch über die Insel: Der würde knapp anderthalb Kilometer lang sein.
Sie brauchten eine Dreiviertelstunde, um ihre gesamte Ausrüstung über die Insel zu schaffen. Der Schacht befand sich auf einem Felsvorsprung über einer seichten Bucht, die - aus der Luft betrachtet - den einzigen Makel darstellte, der die ansonsten vollendete Herzform der Insel störte. Die Wellen rollten schäumend gegen die Küste, doch bei dem ruhigen, schönen Wetter schaffte es nur gelegentlich eine Gischtflocke, die steilen Felsen zu überwinden und in der Nähe des Schachtes zu landen.
»Kevin«, sagte Nick, nach ihrem zweiten Marsch zum Boot und wieder zurück auf die Klippe ein wenig außer Atem, »geh mit Jimmy Holz holen - für ein
Feuer. Und möglichst kein Treibholz, denn das verbrennt zu schnell.«
Ehe sein Auftrag ausgeführt werden konnte, lockte ihre natürliche Neugier alle fünf Ronish-Brüder für einen kurzen Blick näher an den Schacht heran.
Der vertikale Schacht hatte eine Seitenlänge von etwa zwei Metern und war absolut quadratisch. So tief ihre Augen reichten, war er mit Holzbalken ausgeschlagen, die vom Alter gedunkelt waren - es war Eichenholz, das auf dem Festland zurechtgeschnitten und auf die Insel transportiert worden sein musste. Kalte, feuchte Luft stieg aus der Tiefe auf und ließ ihnen eine Art unheimlicher Liebkosung zuteilwerden, die ihre Begeisterung für einen kurzen Augenblick dämpfte. Fast war es so, als machte der Schacht mühsame, geräuschvolle Atemzüge, und man brauchte nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass sie von den Geistern der Männer herrührten, die bei dem Versuch umgekommen waren, dem Schoß der Erde seine Geheimnisse zu entreißen.
Ein verrostetes Eisengitter war über die Schachtöffnung gedeckt worden, damit niemand hineinstürzte. Es war mit Ketten verankert, die an eisernen Bolzen befestigt waren, die man in den Fels gebohrt hatte. Sie hatten den Schlüssel zu dem Vorhängeschloss in der Schreibtischschublade ihres Vaters gefunden, unter der Mauser, die in ihrem Futteral lag. Er hatte diese Waffe während des Ersten Weltkriegs erbeutet. Einen kurzen Moment lang fürchtete Nick, der Schlüssel würde im Schloss abbrechen, doch schließlich drehte er sich, und der Bügel klappte mit einem Klicken auf.
„Na los, holt endlich das Feuerholz«, befahl er, und seine jüngsten Brüder rannten mit einer heiser kläffenden Amelia davon.
Mit Hilfe der Zwillinge hob Nick das schwere Gitter von der Schachtöffnung herunter und stellte es beiseite. Als Nächstes musste ein Holzgerüst über dem Schacht errichtet werden, so dass das Seil von einem Flaschenzugsystem herab und direkt in das Loch hineinhing. Dann konnten zwei Jungen einen dritten leicht daran herunterlassen und wieder heraufziehen. Dazu verwendeten die Jungen die Tragebalken sowie einige Eisenstifte, die in vorgebohrte Löcher passten. Die unteren Enden der Balken wurden direkt in die Eichenbalken genagelt, die den Schacht im oberen Teil abstützten. Trotz seines Alters war das Holz immer noch hart genug, um für einige verbogene Nägel zu sorgen.
Nick übernahm die wichtige Aufgabe, die Knoten zu binden, die buchstäblich über Leben und Tod entschieden, während Don, der mechanisch versierteste der Jungen, so lange an der Pumpe hantierte, bis sie gleichmäßig brummend lief.
Als alles einsatzbereit war, hatten Kevin und Jim zehn Meter vom Schacht entfernt ein Feuer angezündet und genügend Holz zusammengetragen, um es zwei Stunden lang in Gang zu halten. Sie versammelten sich darum, verzehrten die Sandwiches, die sie vor ihrem Aufbruch eingepackt hatten, und tranken dazu aus Feldflaschen ihren gesüßten Eistee.
»Der Trick besteht darin, die Ebbe genau abzupassen«, sagte Nick mit einem Mund voller Fleischwurstsandwich. »Zehn Minuten vor und nach ihrem niedrigsten Stand - das ist alles, was wir an Zeit zur Verfügung haben, ehe der Schacht wieder schneller vollläuft, als unsere Pumpe ihn leeren kann. Als sie es damals, 1921, versuchten, konnten sie den Wasserspiegel nur bis auf sechzig Meter runterdrücken. Aber sie wussten auf Grund ihrer Messungen, dass sich der Schachtgrund in etwa achtzig Metern Tiefe befand. Da wir uns auf einem Felsvorsprung befinden, vermute ich, dass sich die Sohle des Schachtes etwa fünf Meter unter der tiefsten Ebbemarke befindet. Wir sollten es also eigentlich schaffen, den Wasserzufluss zu finden und zu verschließen. Die restliche Arbeit kann man dann der Pumpe überlassen.«
»Ich wette, da unten steht eine riesige Kiste voll mit Gold«, sagte Jimmy mit großen Augen, als sähe er sie schon vor sich.
»Vergiss nicht«, erwiderte Don, »dass der Schacht sicherlich an die einhundertmal mit Greifhaken abgesucht wurde und niemals irgendjemand etwas heraufgezogen hat. «
»Dann sind es eben lose Golddublonen«, beharrte Jimmy, »in Säcken, die längst verfault sind.«
Nick stand auf und wischte sich ein paar Brotkrümel aus dem Schoß. »In einer halben Stunde wissen wir es genau.«
Er zog sich Gummistiefel an, die bis zu den Oberschenkeln reichten, und hängte sich die Batterietasche für seinen Grubenhelm über die Schulter, bevor er in eine Öljacke schlüpfte und den Elektrodraht am Kragen herauszog. Dann schwang er sich den zweiten Gerätesack über die Schulter.
Ron ließ einen Korkschwimmer an einer Schnur hinab, die alle drei Meter mit einer Markierung versehen war. »Sechzig Meter«, verkündete er, als die Schnur schlaff wurde.
Nick schlängelte sich in ein Gurtgeschirr und befestigte es an der Schlinge am Ende ihres dicken Seils. »Lasst den Pumpenschlauch herab, aber schaltet die Pumpe noch nicht ein. Ich geh runter.«
Ruckartig zog er an dem Seil, um die Flaschenzugbremse zu testen. Sie stoppte sofort. »Okay, Leute, wir haben das den ganzen Sommer lang trainiert. Kein Herumalbern mehr, ja? «
»Wir sind bereit«, meldete Ron Ronish. Sein Zwillingsbruder nickte bestätigend.
»Jimmy, ich will, dass du einen Abstand von mindestens drei Metern zum Schacht einhältst. Ist das klar? Wenn ich erst mal unten bin, gibt es ohnehin nichts mehr zu sehen.«
»Ich komme ganz bestimmt nicht näher ran. Versprochen.«
Nick wusste, wie wenig man sich auf das Wort seines jüngsten Bruders verlassen konnte, so dass Kevin, als er ihm einen vielsagenden Blick schickte, den Daumen nach oben stieß. Er würde dafür sorgen, dass Jimmy ihnen nicht ins Gehege käme.
»Fünfundsechzig Meter«, sagte Ron, nachdem er wieder nach seinem Schwimmer geschaut hatte.
Nick grinste. »Wir sind bereits am tiefsten Punkt, der bisher erreicht wurde, und brauchten keinen Finger krumm zu machen.« Er tippte gegen seine Schläfe. »Man muss nur ein wenig nachdenken.«
Ohne einen weiteren Kommentar verließ er den Rand des Schachts und baumelte jetzt über seiner Öffnung. Sein Körper drehte sich, als das leicht verwickelte Seil belastet wurde und sich gerade zog. Schließlich kam Nicks Körper zur Ruhe. Falls er so etwas wie Angst hatte, so war dies seiner Miene nicht anzusehen. Dafür wirkte sie ganz starr vor Konzentration. Er nickte den Zwillingen zu, und sie zogen ein wenig an der Leine, um die Bremse zu lösen, und ließen dann ein Stück Seil über die Rollen des Flaschenzugs gleiten. Nick sank ein paar Zentimeter ab.
»Okay, noch einen Test.«
Die Jungen zogen wieder, während die Bremse griff und hielt.
»Und jetzt zieht«, befahl Nick, und seine Brüder hievten ihn mühelos die gleiche Anzahl Zentimeter wieder hoch.
»Kein Problem, Nick«, meinte Don. »Ich hab dir doch gesagt, dass dieses Ding idiotensicher ist. Verdammt, ich wette, sogar Jimmy könnte dich von unten heraufziehen.«
»Vielen Dank, darauf verzichte ich gerne.« Nick machte zwei tiefe Atemzüge und sagte: »Na schön. Diesmal richtig.«
Mit gleichmäßigen, kontrollierten Bewegungen erlaub ten die Zwillinge der Schwerkraft, Nick langsam in die Tiefe zu ziehen. Er rief ihnen zu anzuhalten, als er etwa drei Meter tief in den Schacht eingetaucht war. Bei dieser Entfernung voneinander konnten sie sich noch durch Worte verständigen. Für später aber, wenn Nick sich dann der Schachtsohle näherte, hatten sie eine Reihe spezieller Zugsignale an der Schwimmerschnur vereinbart.
»Was ist los? «, rief Don nach unten.
»Hier sind Initialen in die Eichenbalken eingeschnitzt. ALR.«
»Sicherlich Onkel Albert«, sagte Don. »Ich glaube, sein zweiter Vorname ist Lewis.«
»Daneben ist Dads JGR und dann noch TMD. «
»Das wird wohl Mr. Davis sein. Er hatte ihnen doch geholfen, als sie versuchten, bis auf den Grund vorzustoßen.«
»Okay, dann lasst mich weiter runter.«
Bei etwa fünfzehn Metern, wo die Holzverschalung aufhörte und nacktem Fels Platz machte, schaltete
Nick seine Helmlampe ein. Das Gestein sah völlig natürlich aus. Als wäre der Schacht vor Millionen von Jahren gleichzeitig mit der Insel entstanden. Außerdem war er feucht genug, so dass schleimiger grüner Schimmel darauf gedeihen konnte, obgleich sich dieser Bereich noch weit über der Flutlinie befand. Er richtete den Lichtstrahl an seinen herabhängenden Beinen vorbei in die Tiefe. Nach wenigen Metern wurde er unter seinen Füßen vom Abgrund verschluckt. Ein ständiger Luftzug wehte an Nicks Gesicht vorbei, und er musste unwillkürlich frösteln.
Es ging weiter abwärts, immer tiefer in die Erde hinein, mit keinem anderen Halt als einem Seil und dem Vertrauen zu seinen Brüdern. Als er einmal hochblickte, war der Himmel nur noch ein kleiner quadratischer Fleck über ihm. Die Schachtwände rückten zwar nicht auf ihn zu, aber er konnte doch ihre Nähe spüren. Er versuchte, nicht daran zu denken. Plötzlich gewahrte er unter sich einen Reflex, und während er tiefer sank, erkannte er, dass er die Flutmarke erreicht hatte. Das Gestein war immer noch feucht. Nach seiner Schätzung befand er sich ungefähr fünfzig bis fünfundfünfzig Meter unter der Erdoberfläche. Es gab noch immer keine Anzeichen dafür, dass Wasser aus dem Ozean bis in den Schacht gelangen konnte. Aber er rechnete auch nicht damit, etwas Derartiges zu sehen, ehe er die Siebzig-Meter-Marke erreicht hätte.
Drei Meter tiefer glaubte er, etwas hören zu können - ein unendlich leises Plätschern von Wasser. Zweimal zog er an der Schwimmerschnur, um seinen Brüdern mitzuteilen, sie sollten seinen Abstieg verlangsamen. Sie reagierten sofort, und seine Sinkgeschwindigkeit halbierte sich. Das Geräusch von Wasser, das in den Schacht einströmte, wurde lauter.
Nick starrte in die Dunkelheit und versuchte, etwas zu erkennen, während Wasser von den Schachtwänden tropfte und wie Regen auf seinen Helm pladderte. Gelegentlich traf ihn ein Tropfen wie eine Eisnadel im Nacken.
Da!
Er wartete noch einige Sekunden, um einen weiteren halben Meter abzusinken, erst dann zog er ruck artig an der Schnur.
Er hing frei vor einem etwa postkartengroßen Spalt im soliden Fels. Er konnte nicht abschätzen, wie viel Wasser durch die Öffnung hereinströmte - gewiss nicht genug, um alle Pumpen, die sein Vater und seine Onkel damals hierhergebracht hatten, zur Wirkungslosigkeit zu verdammen - daher entschied er, dass mindestens eine weitere Verbindung mit dem Pazifik existieren musste. Vorsichtig holte er eine Handvoll Werg aus seiner Gerätetasche, stopfte es so tief es ging in den Spalt und hielt es in der eisigen Strömung an Ort und Stelle fest. Als das Meerwasser die Wergfasern benetzte, begannen sie aufzuquellen, bis der Wasserstrom zu einem Rinnsal schrumpfte und schließlich ganz versiegte.
Der Wergpfropfen wurde nicht lange halten, wenn die Flut wieder einsetzte, deshalb blieb ihm äußerst wenig Zeit, wenn er erst einmal auf dem Grund des Schachtes angelangt war.
Nick zog wieder an der Schnur, und sein Abstieg ging weiter, vorbei an vereinzelten Muschelkolonien, die am Fels klebten. Ein fauliger Geruch lag in der Luft. Er verstopfte zwei weitere, etwa genauso große Risse im Gestein, und als der dritte verschlossen war, konnte er kein Wasser mehr in den Schacht eindringen hören. Er zog viermal an der Schnur, und einen
Augenblick später blähte sich der schlaffe Schlauch, der an der Pumpe hing, auf, als er anfing, den Schacht leerzusaugen.
Sekunden später erschien auch schon die Wasseroberfläche unter ihm. Er gab mit der Schnur ein Zeichen, seinen Abstieg zu stoppen, und holte sein eigenes Senkblei aus der Tasche seiner Öljacke. Er ließ es ins Wasser hinunter und brummte zufrieden, als er sah, dass das Wasser im Schacht nur noch etwa fünf Meter hoch stand. Da der Schacht in dieser Tiefe gut einen halben Meter enger war, schätzte er, dass ihn die Pumpe innerhalb von zehn Minuten bis auf einen Meter Wasserhöhe geleert haben dürfte.
Er konnte die Wasseroberfläche unter sich sinken sehen, indem er sich am Auftauchen von Unregelmäßigkeiten in der Schachtwand orientierte, und erkannte, dass er sich verschätzt hatte. Die Pumpe arbeitete viel schneller, als er ...
Etwas auf seiner linken Seite fiel ihm ins Auge. Während der Wasserspiegel sank, tauchte dort eine Nische auf. Sie schien gut einen halben Meter tief und genauso breit zu sein, und er konnte auf Anhieb erkennen, dass sie nicht natürlichen Ursprungs war. Er sah, wo sich Hämmer und Meißel ins brüchige Gestein gegraben hatten. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Hier war ein weiterer eindeutiger Beweis, dass sich jemand in dem Schacht zu schaffen gemacht hatte. Es war allerdings keinesfalls ein Beweis dafür, dass dies auch das Versteck von Pierre Devereaux' Schatz war, aber für den Neunzehnjährigen lag dies eigentlich klar auf der Hand.
Mittlerweile war auch genügend Wasser aus dem Schacht herausgepumpt worden, so dass Nick den Abfall sehen konnte, der einen Weg bis auf den Grund
des Schachtes gefunden hatte. Es war vorwiegend Treibholz, das durch die unterirdischen Kanäle in den Schacht gesogen worden war, wie auch kleine Äste und Zweige, die durch das Gitter gefallen sein mochten. Es waren aber auch einige Balken darunter, die offenbar in den Schacht gelangt waren, ehe man das Gitter darüber-gedeckt hatte. Er konnte sich vorstellen, wie sein Vater und seine Onkel einige davon einfach hineingeworfen hatten, wohl aus Enttäuschung darüber, das Geheimnis nicht gelöst zu haben.
Die Pumpe an der Erdoberfläche verrichtete weiter ihre Arbeit und hatte keine Schwierigkeiten, die Rinnsale, die durch seine Wergpfropfen sickerten, in Schach zu halten. Neben ihm wurde die künstlich geschaffene Nische ständig größer. Einer Intuition folgend ließ er sich von seinen Brüdern noch ein Stück weiter hinab und verlagerte sein Gewicht, um am Ende des Seils eine Pendelbewegung zu starten. Als er weit genug ausschwang und sich der Nische näherte, streckte er ein Bein aus und tastete mit dem Fuß herum. Sein Schuh fand unter ein paar Zentimetern Wasser festen Halt. Er ließ sich zurückschwingen, warf sich dann in die Öffnung und landete sicher auf beiden Füßen. Er gab seinen Brüdern ein Zeichen, das Seil still zu halten, und löste es von seinem Gurtgeschirr.
Nick Ronish stand nicht mehr als einen knappen Meter über der Sohle der Schatzgrube. Er konnte fast spüren, dass die Beute zum Greifen nahe war.
Das letzte Hindernis waren die Holztrümmer, die den Boden des Schachtes in einem unentwirrbaren Durcheinander bedeckten. Sie müssten erst noch einiges davon wegräumen, um den Boden darunter nach Goldmünzen absuchen zu können. Er wusste, dass die Arbeit schneller vonstattengehen würde, wenn sie zu zweit hier unten wären. Daher band er ein paar Äste an das Seil und signalisierte seinen Brüdern, sie sollten es zuerst hochziehen und dann einen von ihnen daran in den Schacht herablassen. Kevin und der andere Zwilling könnten den Flaschenzug bedienen, und - falls es nötig sein sollte - könnte Jimmy ihnen sicherlich helfen.
Er lachte verhalten, als das triefnasse Holzbündel über seinem Kopf in der Dunkelheit verschwand. Wahrscheinlich könnten sie das Seil an Amelias Halsband befestigen und den verrückten Hund das Holz heraufziehen lassen.
Er blieb in der Nische und drückte sich mit dem Rücken gegen den Fels - für den Fall, dass einer der Äste aus der Seilschlinge herausrutschte. Nach einer Fallhöhe von mehr als sechzig Metern würde es sicher schon ausreichen, dass er nur gestreift wurde, um in ernste Schwierigkeiten zu kommen.
Drei Minuten später machte sich ein freudig erregter Don keine zehn Meter über Nicks Kopf mit der Frage bemerkbar: »Schon was gefunden?«
»Allen möglichen Abfall«, antwortete Nick. »Wir müssen einiges davon beiseiteschaffen. Aber sieh mal, wo ich stehe. Das da wurde in den Fels geschlagen.«
»Von Piraten?«
»Von wem sonst?«
»Verdammt! Wir werden steinreich.«
Da sie wussten, dass der Gezeitenwechsel schon in Kürze einsetzen würde, arbeiteten die beiden Jungen wie die Wilden und rissen das Gewirr von miteinander verhakten Ästen auseinander. Nick nahm sein Klettergeschirr ab und benutzte es, um mindestens zweihundert Pfund mit Wasser getränkte Äste und Balken zusammenzubinden. Er und Don warteten in der Nische
Übersetzung: Michael Kubiak
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Verlagsgruppe Random House GmbH
»Amelia«, rief Jimmy Ronish, der jüngste der fünf Brüder im Boot, den Hund.
»Ihr wird schon nichts passieren«, sagte Nick, zog die Ruder ein und nahm die Bootsleine in die Hand. Er war der älteste der Ronish-Jungen.
Vollendet koordinierte er seinen Sprung mit der Brandung und landete auf dem kiesbedeckten Strand, als sich eine Welle zurückzog. Drei lange Schritte später
befand er sich oberhalb der Flutlinie aus Strandgut und teilweise getrocknetem Seetang und schlang die Leine um einen Balken Treibholz, der von der Sonne und dem Salzwasser gebleicht und mit zahllosen eingeschnitzten Initialen schraffiert war. Kräftig zerrte er an der Leine, um das vierzehn Fuß lange Boot auf festen Boden zu hieven. Dann band er es fest.
»Beeilt euch«, ermahnte Nick Ronish seine jüngeren Brüder. »In fünf Stunden ist Ebbetiefststand, und wir haben noch eine Menge zu tun.«
Während die Lufttemperatur um diese späte Jahreszeit noch einigermaßen angenehm war, hatte sich der Nordpazifik bereits empfindlich abgekühlt und zwang sie, ihre Ausrüstung im Rhythmus der vom Strand ablaufenden Wellen zu entladen. Eines der schwersten Ausrüstungsteile war ein einhundert Meter langes Hanfseil, das sich Ron und Don, die Zwillinge, g emeinsam auf die Schultern laden mussten, um es bis zum Strand zu schaffen. Jimmy war für den Rucksack mit ihrer Verpflegung zuständig, und da er erst neun Jahre alt war, hatte seine schmächtige Gestalt an dieser Last schwer zu tragen.
Die vier älteren Jungen - Nick, neunzehn Jahre alt, Ron und Don ein Jahr jünger, und Kevin, nur elf Monate nach ihnen geboren - hätten mit ihren schlaffen, flachsblonden Haaren und ihren blassblauen Augen auch Vierlinge sein können. Obwohl sie bereits an der Schwelle zum Mannesalter standen, hatten sie sich die überschäumende Energie ihrer Jugend erhalten. Jimmy hingegen wirkte für sein Alter eher klein, mit dunklem Haar und braunen Augen. Seine Brüder hänselten ihn, indem sie meinten, er sehe wie Mr. Greenfield aus, der Gemüsehändler des Städtchens. Und auch wenn Jimmy nicht genau wusste, was das bedeutete, wusste
er doch sofort, dass es ihm nicht gefiel. Er vergötterte seine älteren Brüder und hasste alles, was ihn von ihnen unterschied.
Ihre Familie besaß die kleine Insel vor der Küste - und das schon so lange, wie die Erinnerung ihres Großvaters zurückreichte. Es war ein Ort, an dem jede Generation Jungen - denn seit 1862 hatte die Familie Ronish keinen weiblichen Nachwuchs mehr hervorgebracht - mit Abenteuern ausgefüllte Sommerferien verlebt hatte. Es fiel ihnen leicht, sich vorzustellen, sie wären allesamt Huck Finns und auf dem Mississippi gestrandet - oder Tom Sawyers und damit beschäftigt, das weitläufige Höhlensystem der Insel zu erforschen. Außerdem ging von Pine Island allein schon wegen des Schachts eine ganz besondere Faszination aus.
Mütter hatten ihren Jungen stets verboten, in der Nähe des Schachts zu spielen, seit Abe Ronish, Großonkel des gegenwärtigen Ronish-Nachwuchses, im Jahr 1887 hineingestürzt war und dabei den Tod gefunden hatte. Das Verbot wurde selbstverständlich ignoriert, sobald es ausgesprochen worden war.
Seine eigentliche Anziehungskraft verdankte die Insel aber einer örtlichen Legende, die zu berichten wusste, dass ein gewisser Pierre Devereaux, einer der erfolgreichsten Kaperer, die jemals die Karibik unsicher gemacht hatten, einen Teil seiner Beute auf dieser hoch im Norden liegenden Insel versteckt haben sollte. Und zwar allein aus dem Grund, sein Schiff während einer hartnäckigen Verfolgung durch ein Fregattengeschwader, das ihn um Kap Horn herum und an der süd- und nordamerikanischen Küste ent lang-jagte, leichter zu machen. Untermauert wurde die Legende durch die Entdeckung einer kleinen Pyramide von Kanonenkugeln in einer der Höhlen der Insel -
und außerdem durch die Tatsache, dass der quadratische Schacht mit roh behauenen Holzbalken abgestützt wurde.
Die Kanonenkugeln waren zwar längst verschwunden und wurden mittlerweile als Mythos betrachtet, doch die Existenz der Balkenverschalung rund um das rätselhafte Loch in der steinigen Erde war ja nicht zu leugnen.
»Meine Schuhe sind nass geworden«, beklagte sich Jimmy.
Ungehalten fuhr Nick zu seinem jüngsten Bruder herum und schimpfte: »Verdammt noch mal, Jimmy, ich hab dir doch gesagt, wenn ich dich nur einmal meckern höre, bleibst du beim Boot.«
»Ich hab ja gar nicht gemeckert«, erwiderte der Junge und bemühte sich, nicht wehleidig zu klingen. »Ich hab es doch nur gesagt.« Er schüttelte ein paar Wassertropfen von seinem nassen Fuß, um zu zeigen, dass es ihm nichts ausmachte. Drohend musterte ihn Nick mit eisigem Blick und konzentrierte sich wieder auf ihr Vorhaben.
Pine Island hatte die Umrisse eines ValentinstagHerzens, das aus dem eisigen Pazifik aufgestiegen war. Der einzige Strandabschnitt befand sich dort, wo sich die beiden oberen Wölbungen trafen. Die restliche Insel war mit Klippen umgürtet, die so uneinnehmbar wie Burgmauern erschienen, oder sie wurde von unter Wasser liegenden Felsen geschützt, die wie Perlen auf einer Schnur aussahen und den Boden auch des stabilsten Bootes aufschlitzen konnten. Nur eine Handvoll Tiere war auf der Insel heimisch, vorwiegend Eichhörnchen und Mäuse, die von Stürmen auf das Eiland verschlagen worden waren, sowie Seevögel, die sich auf den hoch gewachsenen Kiefern ausruhten und in den Wellen nach Beute Ausschau hielten.
Eine einzige Straße teilte die Insel. Sie war vor zwanzig Jahren von einer anderen Generation RonishMänner mühsam aus dem Wald gehackt worden. Mit benzingetriebenen Pumpen bewaffnet, waren sie der Insel zu Leibe gerückt, um den Schacht trockenzulegen. Allerdings hatten sie schließlich feststellen müssen, dass ihnen kein Erfolg beschieden war. Ganz gleich wie viele Pumpen sie auch betrieben oder wie viel Wasser sie aus der Tiefe zutage förderten, der Schacht lief immer wieder voll. Eine gründliche Suche nach dem unterirdischen Gang, der ihn mit dem Meer verband, führte zu keinem Ergebnis. Man überlegte, in der Nähe des Schachtes einen Kofferdamm um die Öffnung der Bucht aufzuschütten, da man glaubte, dass es logischerweise keinen anderen Zufluss geben konnte. Doch die Männer entschieden, dass sich ein solcher Aufwand nicht lohne.
Nun waren Nick und seine Brüder an der Reihe. Und jener hatte etwas herausgefunden, auf das seine Onkel und sein Vater bislang nicht gekommen waren. Als nämlich Pierre Devereaux den Schacht damals ausgehoben hatte, um dort seinen Schatz zu verstecken, dürfte ihm als einzige Pumpe die von Hand zu bedienende Bilgenpumpe seines Schiffes zur Verfügung gestanden haben. Auf Grund ihrer geringen Leistung hatten die Piraten den Schacht mit ihrer Ausrüstung aber niemals trockenlegen können, wenn nicht einmal drei Zehn-PS-Pumpen es geschafft hatten.
Eine Erklärung für die besonderen Verhältnisse in dem Schacht musste also woanders zu finden sein.
Nick wusste von den Geschichten, die seine Onkel erzählten, dass sie ihren Versuch, in den Schacht vorzudringen, im Hochsommer unternommen hatten. Als er einen alten Almanach zu Rate zog, sah er, dass sich die Männer für ihr Unterfangen eine Periode mit besonders hohem Ebbestand ausgesucht hatten. Er wusste jedoch, dass er und seine Brüder - um einige Aussicht auf Erfolg zu haben - ihren Versuch, den Grund des Schachtes zu erreichen, zu dem gleichen Zeitpunkt im Jahr starten müssten, an dem Devereaux den Schacht gegraben hatte: und zwar wenn die Ebbephasen den niedrigsten Stand hatten. Das würde in diesem Jahr am siebten Dezember um kurz nach zwei Uhr der Fall sein.
Die älteren Brüder hatten ihr Projekt, das Geheimnis des Schachtes zu lüften, bereits seit dem Frühsommer geplant. Indem sie alle möglichen Jobs annahmen, hatten sie genug Geld zusammengekratzt, um eine geeignete Ausrüstung zu kaufen, und zwar als Erstes eine mit Benzin betriebene Zweiwegpumpe, dann das Seil und Grubenhelme mit Batterielampen. Sie hatten mit dem Seil und einem gefüllten Eimer so lange trainiert, bis ihre Arme und Schultern in der Lage gewesen waren, ohne zu ermüden stundenlang arbeiten zu können. Und sie hatten sich sogar Brillen gebastelt, mit denen sie unter Wasser sehen konnten, falls es nötig sein sollte.
Jimmy war eigentlich nur deshalb mitgenommen worden, weil er sie darüber reden gehört und ihnen gedroht hatte, alles ihren Eltern zu erzählen, falls sie ihn nicht mitmachen ließen.
Plötzlich entstand rechts von ihnen ein Tumult. Ein ganzer Schwarm Vögel schwang sich explosionsartig mit heftigem Flattern und lautem Gezwitscher in den blauen Himmel. Amelia, ihre Golden-Retriever-Hündin, kam zwischen den Bäumen hervorgestürmt, bellte heftig und ließ ihren Schweif wie den Taktstock des Teufels hin und her schwingen. Sie jagte hinter einer
Möwe her, die dicht über dem Boden dahinflatterte, und blieb dann verwundert stehen, als der Vogel in die Luft schoss. Ihre Zunge hing aus der Schnauze, und Geifer troff von ihrem dunklen Zahnfleisch herab.
»Amelia! Komm!«, rief Jimmy mit seiner hohen Stimme. Die Hündin rannte an seine Seite und warf ihn in ihrer Ausgelassenheit beinahe um.
»Krabbe, nimm das«, sagte Nick und reichte Jimmy die Grubenhelme und ihre Behälter mit schweren Bleibatterien.
Die Pumpe war der schwerste Ausrüstungsgegenstand. Nick hatte eine Schlinge mit zwei Tragbalken konstruiert, wie er es in den sonntäglichen Matineevorstellungen im Kino gesehen hatte, wenn Eingeborene den Filmhelden in ihr Lager schleppten. Die Tragbalken hatten sie sich von einer Baustelle geholt. Nun legten die vier Jungen sie sich auf die Schultern und hievten die Maschine aus dem Ruderboot heraus. Erst schwang sie hin und her, dann kam sie zur Ruhe. Und nun machten sie sich auf den ersten Marsch über die Insel: Der würde knapp anderthalb Kilometer lang sein.
Sie brauchten eine Dreiviertelstunde, um ihre gesamte Ausrüstung über die Insel zu schaffen. Der Schacht befand sich auf einem Felsvorsprung über einer seichten Bucht, die - aus der Luft betrachtet - den einzigen Makel darstellte, der die ansonsten vollendete Herzform der Insel störte. Die Wellen rollten schäumend gegen die Küste, doch bei dem ruhigen, schönen Wetter schaffte es nur gelegentlich eine Gischtflocke, die steilen Felsen zu überwinden und in der Nähe des Schachtes zu landen.
»Kevin«, sagte Nick, nach ihrem zweiten Marsch zum Boot und wieder zurück auf die Klippe ein wenig außer Atem, »geh mit Jimmy Holz holen - für ein
Feuer. Und möglichst kein Treibholz, denn das verbrennt zu schnell.«
Ehe sein Auftrag ausgeführt werden konnte, lockte ihre natürliche Neugier alle fünf Ronish-Brüder für einen kurzen Blick näher an den Schacht heran.
Der vertikale Schacht hatte eine Seitenlänge von etwa zwei Metern und war absolut quadratisch. So tief ihre Augen reichten, war er mit Holzbalken ausgeschlagen, die vom Alter gedunkelt waren - es war Eichenholz, das auf dem Festland zurechtgeschnitten und auf die Insel transportiert worden sein musste. Kalte, feuchte Luft stieg aus der Tiefe auf und ließ ihnen eine Art unheimlicher Liebkosung zuteilwerden, die ihre Begeisterung für einen kurzen Augenblick dämpfte. Fast war es so, als machte der Schacht mühsame, geräuschvolle Atemzüge, und man brauchte nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass sie von den Geistern der Männer herrührten, die bei dem Versuch umgekommen waren, dem Schoß der Erde seine Geheimnisse zu entreißen.
Ein verrostetes Eisengitter war über die Schachtöffnung gedeckt worden, damit niemand hineinstürzte. Es war mit Ketten verankert, die an eisernen Bolzen befestigt waren, die man in den Fels gebohrt hatte. Sie hatten den Schlüssel zu dem Vorhängeschloss in der Schreibtischschublade ihres Vaters gefunden, unter der Mauser, die in ihrem Futteral lag. Er hatte diese Waffe während des Ersten Weltkriegs erbeutet. Einen kurzen Moment lang fürchtete Nick, der Schlüssel würde im Schloss abbrechen, doch schließlich drehte er sich, und der Bügel klappte mit einem Klicken auf.
„Na los, holt endlich das Feuerholz«, befahl er, und seine jüngsten Brüder rannten mit einer heiser kläffenden Amelia davon.
Mit Hilfe der Zwillinge hob Nick das schwere Gitter von der Schachtöffnung herunter und stellte es beiseite. Als Nächstes musste ein Holzgerüst über dem Schacht errichtet werden, so dass das Seil von einem Flaschenzugsystem herab und direkt in das Loch hineinhing. Dann konnten zwei Jungen einen dritten leicht daran herunterlassen und wieder heraufziehen. Dazu verwendeten die Jungen die Tragebalken sowie einige Eisenstifte, die in vorgebohrte Löcher passten. Die unteren Enden der Balken wurden direkt in die Eichenbalken genagelt, die den Schacht im oberen Teil abstützten. Trotz seines Alters war das Holz immer noch hart genug, um für einige verbogene Nägel zu sorgen.
Nick übernahm die wichtige Aufgabe, die Knoten zu binden, die buchstäblich über Leben und Tod entschieden, während Don, der mechanisch versierteste der Jungen, so lange an der Pumpe hantierte, bis sie gleichmäßig brummend lief.
Als alles einsatzbereit war, hatten Kevin und Jim zehn Meter vom Schacht entfernt ein Feuer angezündet und genügend Holz zusammengetragen, um es zwei Stunden lang in Gang zu halten. Sie versammelten sich darum, verzehrten die Sandwiches, die sie vor ihrem Aufbruch eingepackt hatten, und tranken dazu aus Feldflaschen ihren gesüßten Eistee.
»Der Trick besteht darin, die Ebbe genau abzupassen«, sagte Nick mit einem Mund voller Fleischwurstsandwich. »Zehn Minuten vor und nach ihrem niedrigsten Stand - das ist alles, was wir an Zeit zur Verfügung haben, ehe der Schacht wieder schneller vollläuft, als unsere Pumpe ihn leeren kann. Als sie es damals, 1921, versuchten, konnten sie den Wasserspiegel nur bis auf sechzig Meter runterdrücken. Aber sie wussten auf Grund ihrer Messungen, dass sich der Schachtgrund in etwa achtzig Metern Tiefe befand. Da wir uns auf einem Felsvorsprung befinden, vermute ich, dass sich die Sohle des Schachtes etwa fünf Meter unter der tiefsten Ebbemarke befindet. Wir sollten es also eigentlich schaffen, den Wasserzufluss zu finden und zu verschließen. Die restliche Arbeit kann man dann der Pumpe überlassen.«
»Ich wette, da unten steht eine riesige Kiste voll mit Gold«, sagte Jimmy mit großen Augen, als sähe er sie schon vor sich.
»Vergiss nicht«, erwiderte Don, »dass der Schacht sicherlich an die einhundertmal mit Greifhaken abgesucht wurde und niemals irgendjemand etwas heraufgezogen hat. «
»Dann sind es eben lose Golddublonen«, beharrte Jimmy, »in Säcken, die längst verfault sind.«
Nick stand auf und wischte sich ein paar Brotkrümel aus dem Schoß. »In einer halben Stunde wissen wir es genau.«
Er zog sich Gummistiefel an, die bis zu den Oberschenkeln reichten, und hängte sich die Batterietasche für seinen Grubenhelm über die Schulter, bevor er in eine Öljacke schlüpfte und den Elektrodraht am Kragen herauszog. Dann schwang er sich den zweiten Gerätesack über die Schulter.
Ron ließ einen Korkschwimmer an einer Schnur hinab, die alle drei Meter mit einer Markierung versehen war. »Sechzig Meter«, verkündete er, als die Schnur schlaff wurde.
Nick schlängelte sich in ein Gurtgeschirr und befestigte es an der Schlinge am Ende ihres dicken Seils. »Lasst den Pumpenschlauch herab, aber schaltet die Pumpe noch nicht ein. Ich geh runter.«
Ruckartig zog er an dem Seil, um die Flaschenzugbremse zu testen. Sie stoppte sofort. »Okay, Leute, wir haben das den ganzen Sommer lang trainiert. Kein Herumalbern mehr, ja? «
»Wir sind bereit«, meldete Ron Ronish. Sein Zwillingsbruder nickte bestätigend.
»Jimmy, ich will, dass du einen Abstand von mindestens drei Metern zum Schacht einhältst. Ist das klar? Wenn ich erst mal unten bin, gibt es ohnehin nichts mehr zu sehen.«
»Ich komme ganz bestimmt nicht näher ran. Versprochen.«
Nick wusste, wie wenig man sich auf das Wort seines jüngsten Bruders verlassen konnte, so dass Kevin, als er ihm einen vielsagenden Blick schickte, den Daumen nach oben stieß. Er würde dafür sorgen, dass Jimmy ihnen nicht ins Gehege käme.
»Fünfundsechzig Meter«, sagte Ron, nachdem er wieder nach seinem Schwimmer geschaut hatte.
Nick grinste. »Wir sind bereits am tiefsten Punkt, der bisher erreicht wurde, und brauchten keinen Finger krumm zu machen.« Er tippte gegen seine Schläfe. »Man muss nur ein wenig nachdenken.«
Ohne einen weiteren Kommentar verließ er den Rand des Schachts und baumelte jetzt über seiner Öffnung. Sein Körper drehte sich, als das leicht verwickelte Seil belastet wurde und sich gerade zog. Schließlich kam Nicks Körper zur Ruhe. Falls er so etwas wie Angst hatte, so war dies seiner Miene nicht anzusehen. Dafür wirkte sie ganz starr vor Konzentration. Er nickte den Zwillingen zu, und sie zogen ein wenig an der Leine, um die Bremse zu lösen, und ließen dann ein Stück Seil über die Rollen des Flaschenzugs gleiten. Nick sank ein paar Zentimeter ab.
»Okay, noch einen Test.«
Die Jungen zogen wieder, während die Bremse griff und hielt.
»Und jetzt zieht«, befahl Nick, und seine Brüder hievten ihn mühelos die gleiche Anzahl Zentimeter wieder hoch.
»Kein Problem, Nick«, meinte Don. »Ich hab dir doch gesagt, dass dieses Ding idiotensicher ist. Verdammt, ich wette, sogar Jimmy könnte dich von unten heraufziehen.«
»Vielen Dank, darauf verzichte ich gerne.« Nick machte zwei tiefe Atemzüge und sagte: »Na schön. Diesmal richtig.«
Mit gleichmäßigen, kontrollierten Bewegungen erlaub ten die Zwillinge der Schwerkraft, Nick langsam in die Tiefe zu ziehen. Er rief ihnen zu anzuhalten, als er etwa drei Meter tief in den Schacht eingetaucht war. Bei dieser Entfernung voneinander konnten sie sich noch durch Worte verständigen. Für später aber, wenn Nick sich dann der Schachtsohle näherte, hatten sie eine Reihe spezieller Zugsignale an der Schwimmerschnur vereinbart.
»Was ist los? «, rief Don nach unten.
»Hier sind Initialen in die Eichenbalken eingeschnitzt. ALR.«
»Sicherlich Onkel Albert«, sagte Don. »Ich glaube, sein zweiter Vorname ist Lewis.«
»Daneben ist Dads JGR und dann noch TMD. «
»Das wird wohl Mr. Davis sein. Er hatte ihnen doch geholfen, als sie versuchten, bis auf den Grund vorzustoßen.«
»Okay, dann lasst mich weiter runter.«
Bei etwa fünfzehn Metern, wo die Holzverschalung aufhörte und nacktem Fels Platz machte, schaltete
Nick seine Helmlampe ein. Das Gestein sah völlig natürlich aus. Als wäre der Schacht vor Millionen von Jahren gleichzeitig mit der Insel entstanden. Außerdem war er feucht genug, so dass schleimiger grüner Schimmel darauf gedeihen konnte, obgleich sich dieser Bereich noch weit über der Flutlinie befand. Er richtete den Lichtstrahl an seinen herabhängenden Beinen vorbei in die Tiefe. Nach wenigen Metern wurde er unter seinen Füßen vom Abgrund verschluckt. Ein ständiger Luftzug wehte an Nicks Gesicht vorbei, und er musste unwillkürlich frösteln.
Es ging weiter abwärts, immer tiefer in die Erde hinein, mit keinem anderen Halt als einem Seil und dem Vertrauen zu seinen Brüdern. Als er einmal hochblickte, war der Himmel nur noch ein kleiner quadratischer Fleck über ihm. Die Schachtwände rückten zwar nicht auf ihn zu, aber er konnte doch ihre Nähe spüren. Er versuchte, nicht daran zu denken. Plötzlich gewahrte er unter sich einen Reflex, und während er tiefer sank, erkannte er, dass er die Flutmarke erreicht hatte. Das Gestein war immer noch feucht. Nach seiner Schätzung befand er sich ungefähr fünfzig bis fünfundfünfzig Meter unter der Erdoberfläche. Es gab noch immer keine Anzeichen dafür, dass Wasser aus dem Ozean bis in den Schacht gelangen konnte. Aber er rechnete auch nicht damit, etwas Derartiges zu sehen, ehe er die Siebzig-Meter-Marke erreicht hätte.
Drei Meter tiefer glaubte er, etwas hören zu können - ein unendlich leises Plätschern von Wasser. Zweimal zog er an der Schwimmerschnur, um seinen Brüdern mitzuteilen, sie sollten seinen Abstieg verlangsamen. Sie reagierten sofort, und seine Sinkgeschwindigkeit halbierte sich. Das Geräusch von Wasser, das in den Schacht einströmte, wurde lauter.
Nick starrte in die Dunkelheit und versuchte, etwas zu erkennen, während Wasser von den Schachtwänden tropfte und wie Regen auf seinen Helm pladderte. Gelegentlich traf ihn ein Tropfen wie eine Eisnadel im Nacken.
Da!
Er wartete noch einige Sekunden, um einen weiteren halben Meter abzusinken, erst dann zog er ruck artig an der Schnur.
Er hing frei vor einem etwa postkartengroßen Spalt im soliden Fels. Er konnte nicht abschätzen, wie viel Wasser durch die Öffnung hereinströmte - gewiss nicht genug, um alle Pumpen, die sein Vater und seine Onkel damals hierhergebracht hatten, zur Wirkungslosigkeit zu verdammen - daher entschied er, dass mindestens eine weitere Verbindung mit dem Pazifik existieren musste. Vorsichtig holte er eine Handvoll Werg aus seiner Gerätetasche, stopfte es so tief es ging in den Spalt und hielt es in der eisigen Strömung an Ort und Stelle fest. Als das Meerwasser die Wergfasern benetzte, begannen sie aufzuquellen, bis der Wasserstrom zu einem Rinnsal schrumpfte und schließlich ganz versiegte.
Der Wergpfropfen wurde nicht lange halten, wenn die Flut wieder einsetzte, deshalb blieb ihm äußerst wenig Zeit, wenn er erst einmal auf dem Grund des Schachtes angelangt war.
Nick zog wieder an der Schnur, und sein Abstieg ging weiter, vorbei an vereinzelten Muschelkolonien, die am Fels klebten. Ein fauliger Geruch lag in der Luft. Er verstopfte zwei weitere, etwa genauso große Risse im Gestein, und als der dritte verschlossen war, konnte er kein Wasser mehr in den Schacht eindringen hören. Er zog viermal an der Schnur, und einen
Augenblick später blähte sich der schlaffe Schlauch, der an der Pumpe hing, auf, als er anfing, den Schacht leerzusaugen.
Sekunden später erschien auch schon die Wasseroberfläche unter ihm. Er gab mit der Schnur ein Zeichen, seinen Abstieg zu stoppen, und holte sein eigenes Senkblei aus der Tasche seiner Öljacke. Er ließ es ins Wasser hinunter und brummte zufrieden, als er sah, dass das Wasser im Schacht nur noch etwa fünf Meter hoch stand. Da der Schacht in dieser Tiefe gut einen halben Meter enger war, schätzte er, dass ihn die Pumpe innerhalb von zehn Minuten bis auf einen Meter Wasserhöhe geleert haben dürfte.
Er konnte die Wasseroberfläche unter sich sinken sehen, indem er sich am Auftauchen von Unregelmäßigkeiten in der Schachtwand orientierte, und erkannte, dass er sich verschätzt hatte. Die Pumpe arbeitete viel schneller, als er ...
Etwas auf seiner linken Seite fiel ihm ins Auge. Während der Wasserspiegel sank, tauchte dort eine Nische auf. Sie schien gut einen halben Meter tief und genauso breit zu sein, und er konnte auf Anhieb erkennen, dass sie nicht natürlichen Ursprungs war. Er sah, wo sich Hämmer und Meißel ins brüchige Gestein gegraben hatten. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Hier war ein weiterer eindeutiger Beweis, dass sich jemand in dem Schacht zu schaffen gemacht hatte. Es war allerdings keinesfalls ein Beweis dafür, dass dies auch das Versteck von Pierre Devereaux' Schatz war, aber für den Neunzehnjährigen lag dies eigentlich klar auf der Hand.
Mittlerweile war auch genügend Wasser aus dem Schacht herausgepumpt worden, so dass Nick den Abfall sehen konnte, der einen Weg bis auf den Grund
des Schachtes gefunden hatte. Es war vorwiegend Treibholz, das durch die unterirdischen Kanäle in den Schacht gesogen worden war, wie auch kleine Äste und Zweige, die durch das Gitter gefallen sein mochten. Es waren aber auch einige Balken darunter, die offenbar in den Schacht gelangt waren, ehe man das Gitter darüber-gedeckt hatte. Er konnte sich vorstellen, wie sein Vater und seine Onkel einige davon einfach hineingeworfen hatten, wohl aus Enttäuschung darüber, das Geheimnis nicht gelöst zu haben.
Die Pumpe an der Erdoberfläche verrichtete weiter ihre Arbeit und hatte keine Schwierigkeiten, die Rinnsale, die durch seine Wergpfropfen sickerten, in Schach zu halten. Neben ihm wurde die künstlich geschaffene Nische ständig größer. Einer Intuition folgend ließ er sich von seinen Brüdern noch ein Stück weiter hinab und verlagerte sein Gewicht, um am Ende des Seils eine Pendelbewegung zu starten. Als er weit genug ausschwang und sich der Nische näherte, streckte er ein Bein aus und tastete mit dem Fuß herum. Sein Schuh fand unter ein paar Zentimetern Wasser festen Halt. Er ließ sich zurückschwingen, warf sich dann in die Öffnung und landete sicher auf beiden Füßen. Er gab seinen Brüdern ein Zeichen, das Seil still zu halten, und löste es von seinem Gurtgeschirr.
Nick Ronish stand nicht mehr als einen knappen Meter über der Sohle der Schatzgrube. Er konnte fast spüren, dass die Beute zum Greifen nahe war.
Das letzte Hindernis waren die Holztrümmer, die den Boden des Schachtes in einem unentwirrbaren Durcheinander bedeckten. Sie müssten erst noch einiges davon wegräumen, um den Boden darunter nach Goldmünzen absuchen zu können. Er wusste, dass die Arbeit schneller vonstattengehen würde, wenn sie zu zweit hier unten wären. Daher band er ein paar Äste an das Seil und signalisierte seinen Brüdern, sie sollten es zuerst hochziehen und dann einen von ihnen daran in den Schacht herablassen. Kevin und der andere Zwilling könnten den Flaschenzug bedienen, und - falls es nötig sein sollte - könnte Jimmy ihnen sicherlich helfen.
Er lachte verhalten, als das triefnasse Holzbündel über seinem Kopf in der Dunkelheit verschwand. Wahrscheinlich könnten sie das Seil an Amelias Halsband befestigen und den verrückten Hund das Holz heraufziehen lassen.
Er blieb in der Nische und drückte sich mit dem Rücken gegen den Fels - für den Fall, dass einer der Äste aus der Seilschlinge herausrutschte. Nach einer Fallhöhe von mehr als sechzig Metern würde es sicher schon ausreichen, dass er nur gestreift wurde, um in ernste Schwierigkeiten zu kommen.
Drei Minuten später machte sich ein freudig erregter Don keine zehn Meter über Nicks Kopf mit der Frage bemerkbar: »Schon was gefunden?«
»Allen möglichen Abfall«, antwortete Nick. »Wir müssen einiges davon beiseiteschaffen. Aber sieh mal, wo ich stehe. Das da wurde in den Fels geschlagen.«
»Von Piraten?«
»Von wem sonst?«
»Verdammt! Wir werden steinreich.«
Da sie wussten, dass der Gezeitenwechsel schon in Kürze einsetzen würde, arbeiteten die beiden Jungen wie die Wilden und rissen das Gewirr von miteinander verhakten Ästen auseinander. Nick nahm sein Klettergeschirr ab und benutzte es, um mindestens zweihundert Pfund mit Wasser getränkte Äste und Balken zusammenzubinden. Er und Don warteten in der Nische
Übersetzung: Michael Kubiak
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Clive Cussler, Jack DuBrul
Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New-York-Times-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.Jack DuBrul studierte an der George-Washington-Universität, Washington D.C. Kaum hatte er seinen Abschluss in der Tasche, veröffentlichte er seinen ersten Roman. Er lebt mit seiner Frau Debbie in Burlington, Vermont. Jack DuBrul studierte an der George-Washington-Universität, Washington D.C. Kaum hatte er seinen Abschluss in der Tasche, veröffentlichte er seinen ersten Roman. Er lebt mit seiner Frau Debbie in Burlington, Vermont.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Clive Cussler , Jack DuBrul
- 2011, Deutsche Erstausgabe, 509 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michael Kubiak
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 344237751X
- ISBN-13: 9783442377510
- Erscheinungsdatum: 12.10.2011
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