Jesus liebt mich
Marie verliebt sich immer in die falschen Männer. Kurz nachdem auch noch ihre Hochzeit platzt, lernt sie einen Zimmermann kennen. Und der ist so ganz anders als die anderen: einfühlsam, selbstlos, aufmerksam. Dummerweise erklärt er beim...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Jesus liebt mich “
Marie verliebt sich immer in die falschen Männer. Kurz nachdem auch noch ihre Hochzeit platzt, lernt sie einen Zimmermann kennen. Und der ist so ganz anders als die anderen: einfühlsam, selbstlos, aufmerksam. Dummerweise erklärt er beim ersten Rendezvous, er sei Jesus. Hat sich Marie dieses Mal in den
falschesten aller falschen Männer verliebt?
Klappentext zu „Jesus liebt mich “
Marie hat das Talent, sich ständig in die falschen Männer zu verlieben. Kurz nachdem ihre Hochzeit geplatzt ist, lernt sie einen Zimmermann kennen. Und der ist so ganz anders als alle Männer zuvor: einfühlsam, selbstlos, aufmerksam. Dummerweise erklärt er beim ersten Rendezvous, er sei Jesus. Zunächst denkt Marie, dieser Zimmermann habe nicht alle Zähne an der Laubsäge. Doch bald dämmert ihr: Joshua ist wirklich der Messias. Hat Marie sich diesmal in den falschesten aller Männer verliebt?Jetzt verfilmt mit Florian David Fitz, Jessica Schwarz, Henry Hübchen, Hannelore Elsner u.a.
Marie hat das Talent, sich ständig in die falschen Männer zu verlieben. Kurz nachdem ihre Hochzeit geplatzt ist, lernt sie einen Zimmermann kennen. Und der ist so ganz anders als alle Männer zuvor: einfühlsam, selbstlos, aufmerksam. Dummerweise erklärt er beim ersten Rendezvous, er sei Jesus. Zunächst denkt Marie, dieser Zimmermann habe nicht alle Zähne an der Laubsäge. Doch bald dämmert ihr: Joshua ist wirklich der Messias. Hat Marie sich diesmal in den falschesten aller Männer verliebt?
Jetzt verfilmt mit Florian David Fitz, Jessica Schwarz, Henry Hübchen, Hannelore Elsner u.a.
Jetzt verfilmt mit Florian David Fitz, Jessica Schwarz, Henry Hübchen, Hannelore Elsner u.a.
Lese-Probe zu „Jesus liebt mich “
Jesus liebt mich von David Safier 1
So hat Jesus doch nie im Leben ausgesehen, dachte ich, als ich mir ein Abendmahl-Gemälde im Pfarrbüro ansah. Der war doch ein arabischer Jude, wieso sieht er dann auf den meisten Bildern aus wie einer von den Bee Gees?
Weiter kam ich in meinen Gedanken nicht, denn Pastor Gabriel betrat das Büro, ein älterer Herr mit Bart, einschüchternden Augen und tiefen Sorgenfalten, die sicherlich jeder bekommt, der über dreißig Jahre Schäfchen hüten muss.
Ohne jegliche Begrüßung fragte er mich: «Liebst du ihn, Marie?»
«Ja ... ähem ... klar liebe ich Jesus ... großartiger Mann ...», antwortete ich.
«Ich meine den Mann, den du in meiner Kirche heiraten willst.»
«Oh ...»
Pastor Gabriel stellte immer so indiskrete Fragen. Die meisten Leute in unserem kleinen Örtchen Malente führten das darauf zurück, dass er sich ernsthaft für die Menschen interessierte. Ich hingegen glaubte, dass er schlicht und ergreifend unglaublich neugierig war.
«Ja», erwiderte ich, «natürlich liebe ich ihn.»
Mein Sven war ja auch ein liebenswerter Mann. Ein sanfter Mann. Einer, bei dem ich mich geborgen fühlen konnte. Dem es auch kein bisschen was ausmachte, mit einer Frau zusammen zu sein, deren Body-Mass-Index Anlass für Klagegebete gab. Und vor allen Dingen: Bei Sven konnte ich mir sicher sein, dass er mich nicht mit einer Stewardess betrügt - so wie mein Ex Marc, von dem ich hoffte, dass er einmal in der Hölle schmoren würde. Betreut von äußerst kreativen Dämonen.
... mehr
«Nimm Platz, Marie», forderte Gabriel mich auf und schob seinen Lesesessel an den Schreibtisch. Ich setzte mich hin und versackte im dunklen 70-Jahre-Leder, während Gabriel an seinem Tisch Platz nahm. Ich musste zu ihm aufsehen, und mir war sofort klar: Das ist eine von ihm durchaus beabsichtigte Blickachse.
«Du willst also in der Kirche heiraten?», fragte Gabriel.
Nein, im Hühnerstall, hätte ich am liebsten gereizt geantwortet, erwiderte aber in möglichst nettem Tonfall: «Ja, darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.»
«Ich habe dazu nur eine Frage, Marie.»
«Und welche?»
«Warum willst du in der Kirche heiraten?»
Die ehrliche Antwort darauf wäre gewesen: Weil es nichts Unromantischeres gibt als eine Hochzeit auf dem Standesamt. Und ich schon als kleines Mädchen von einer kirchlichen Hochzeit in Weiß geträumt habe und es auch jetzt noch tue, obwohl ich vom Kopf her natürlich weiß, dass es nichts Kitschigeres gibt, aber wer interessiert sich bei einer Heirat schon für den Kopf?
Doch dies zuzugeben schien mir nicht gerade förderlich für mein Anliegen. Daher stammelte ich mit dem besten Lächeln, das ich nur zaubern konnte: «Ich ... Es ist mir ein tiefes Bedürfnis in der Kirche ... vor Gott ...»
«Marie, ich sehe dich hier so gut wie nie in den Gottesdiensten », unterbrach mich Gabriel scharf.
«Ich ... ich ... muss beruflich viel tun.»
«Am siebten Tag sollst du ruhen.»
Ich ruhte am siebten Tag, und auch am sechsten Tag, und manchmal feierte ich sogar krank, um an einem der ersten fünf Tage zu ruhen, aber das war wohl nicht das, was Gabriel meinte.
«Du hast schon vor zwanzig Jahren in meinem Konfirmandenunterricht an Gott gezweifelt», mahnte Gabriel.
Der Mann hatte vielleicht ein Gedächtnis. Dass er das noch wusste! Damals war ich dreizehn und mit dem coolen Kevin zusammen. In seinen Armen fühlte ich mich wie im Himmel, und mit ihm hatte ich auch meinen ersten Zungenkuss. Aber leider wollte er mich nicht nur küssen, er wollte auch immer wieder unter meinen Pulli. Ich ließ das nicht zu, weil ich fand, dass das noch Zeit hatte. Eine Ansicht, die er nicht teilte. Deswegen fummelte er bei der Konfirmanden- Freizeit-Party unter dem Pulli einer anderen, direkt vor meinen Augen. Und die Welt, wie ich sie kannte, endete in diesem Augenblick.
Es konnte mich auch nicht trösten, dass Kevin die Brüste der anderen mit der gleichen Sensibilität behandelte, die Bäcker beim Herstellen von Brötchenteig an den Tag legen. Selbst meine zwei Jahre ältere Schwester Kata konnte mich nicht beruhigen, obwohl sie so schöne Dinge sagte wie: «Der hat dich gar nicht verdient», «Er ist ein blöder Sack» oder «Man sollte ihn standrechtlich erschießen».
So lief ich zu Gabriel und fragte ihn mit Tränen in den Augen: «Wie kann es einen Gott geben, wenn es in der Welt etwas so Fieses wie Liebeskummer gibt?»
«Erinnerst du dich auch, was ich dir darauf geantwortet habe?», fragte Gabriel.
«Gott lässt den Liebeskummer zu, weil er den Menschen einen freien Willen gegeben hat», erwiderte ich mit einem leicht leiernden Tonfall.
Ich erinnerte mich auch daran, dass ich damals fand, dass Gott Kevin ruhig den freien Willen wieder hätte nehmen können.
«Ich habe ebenfalls einen freien Willen», erklärte Gabriel. «Ich bin kurz vor der Pensionierung und muss nicht mehr jeden trauen, von dessen Gottesfürchtigkeit ich nicht überzeugt bin. Warte auf meinen Nachfolger. Der kommt in sechs Monaten!»
«Wir wollen aber jetzt heiraten!»
«Und das ist mein Problem, weil ...?», fragte er provozierend.
Ich schwieg und fragte mich: Darf man Pastoren eigentlich hauen?
«Ich mag es nicht, wenn man meine Kirche als Eventstätte nutzt», erklärte Gabriel und sah mich durchdringend an. Ich war kurz davor, mich schuldig zu fühlen - meine Wut wich einem diffusen schlechten Gewissen.
«Du weißt, dass es noch eine evangelische Kirche im Ort gibt», sagte Gabriel.
«Aber ... in der will ich nicht heiraten.»
«Und warum nicht?»
«Weil ... weil ...», ich wusste nicht, ob ich es wirklich sagen sollte. Aber eigentlich war es ja auch egal, Pastor Gabriel hatte offensichtlich eh keine gute meine Meinung von mir. Also sagte ich etwas kleinlaut: «Weil in der Kirche meine Eltern geheiratet haben.»
Verblüffenderweise wurde Gabriel nun sanfter: «Du bist Mitte dreißig, da müsstest du doch über die Trennung deiner Eltern langsam mal hinweg sein?»
«Klar ... klar, bin ich das, wäre ja auch albern, wenn nicht», antwortete ich. Schließlich hatte ich ja ein paar Stunden Therapie hinter mir, bis die mir zu teuer wurde. (Eigentlich sollten alle Eltern darauf verpflichtet werden, für ihre Kinder gleich bei der Geburt ein Sparkonto einzurichten, damit die später davon ihren Psychologen zahlen konnten.)
«Aber du hast dennoch Angst, dass es Unglück bringt, dich in der Kirche trauen zu lassen, in der deine Eltern heirateten? », hakte Gabriel nach.
Nach kurzem Zögern nickte ich: «Ich bin halt abergläubisch. »
Er sah mich an, mit einem überraschend verständnisvollen Blick. Anscheinend setzte gerade seine christliche Nächstenliebe ein.
«Einverstanden», erklärte er. «Ihr könnt hier heiraten.»
Ich konnte es kaum fassen: «Sie ... Sie sind ein Engel, Pastor! »
«Ich weiß», antwortete er und lächelte dabei merkwürdig melancholisch.
Als Gabriel merkte, dass mir dies auffiel, bedeutete er mir hinauszugehen. «Schnell, bevor ich es mir anders überlege.» Ich sprang erleichtert auf und eilte Richtung Tür. Dabei fiel mein Blick auf ein weiteres Gemälde, diesmal eines von der Wiederauferstehung Jesu. Und ich dachte bei mir: Der sieht wirklich so aus, als ob er gleich Stayin' Alive singen würde.
2
«Ich hab dir doch gesagt, Pastor Gabriel ist ein ganz netter Mann», sagte Sven, während er mir auf dem Sofa in unserer süßen kleinen Dachgeschosswohnung die Füße massierte. Das machte er - im Gegensatz zu allen anderen Männern - supergerne, was ich auf einen seltenen Gendefekt zurück führte. Meine Exfreunde hatten mich meistens nicht länger als zehn Minuten massiert und erwarteten für diese großartige Leistung anschließend Sex. Besonders Stewardessliebhaber Marc, von dem ich hoffte, dass er später in der Hölle von äußerst kreativen Dämonen betreut würde, die in der altehrwürdigen Kunst der Kastration ausgebildet waren.
Bevor ich mit Mitte dreißig Sven kennenlernte, war ich Single und mein Sexleben inexistent. Jedes Mal, wenn ich Frauen mit Kindern sah, merkte ich, wie meine biologische Uhr ticktack machte. Und jedes Mal, wenn diese völlig übermüdeten Mütter mich mitleidig anlächelten und mir erzählten, dass man nur mit Kindern eine glückliche, erfüllte, in sich ruhende Frau sein konnte, traf das mein äußerst fragiles Selbstbewusstsein. In diesen Augenblicken konnte ich mich nur mit einem Liedchen beruhigen, das ich extra für solche Situationen gedichtet hatte: «Ich hab keine Schwangerschaftsstreifen, dudei, dudei! Ich hab keine Schwangerschaftsstreifen, dudei, dudei, hey!»
Ich versuchte mich schon mit der Tatsache abzufinden, als eine dieser alten Frauen zu enden, die sieben Monate nach ihrem Tod zufällig von Entrümpelungsunternehmern verwest in ihrer Zweizimmerwohnung gefunden werden, da traf ich Sven.
Ich hatte zuvor in einem Malenter Café im Vorbeigehen gegenüber einer extrem nervigen frischgebackenen Mutter meinen Schwangerschaftsstreifen-Song etwas zu laut gesungen. Die glückliche, erfüllte Mutter zeigte mir daraufhin, wie sehr sie in sich ruhte: Sie schüttete mir ihren Kaffee ins Gesicht. Ich stolperte, fiel und schlug gegen eine Tischkante. Ich hatte eine Platzwunde an der Stirn, fuhr sofort mit dem nächsten Taxi ins Krankenhaus und wurde von Sven in Empfang genommen. Er arbeitete dort als Pfleger und war keine überragende Schönheit - von daher passten wir sehr gut zueinander. Als ich beim Nähen der Wunde weinte, gab er mir ein Taschentuch. Als ich wegen der Flecken auf meiner schönen Bluse jammerte, tröstete er mich. Und als ich ihm für alles dankte, lud er mich zur Pizza ein. Fünfzehn Pizzen später zog ich zu ihm und war heilfroh, meine Zweizimmerwohnung nie wieder sehen zu müssen.
Weitere vierundachtzig Abendessen später machte Sven mir einen formvollendeten Heiratsantrag: auf den Knien, mit einem wunderschönen Ring, der ihn mindestens ein Monatsgehalt gekostet hatte. Dabei ließ er die Kinderfußballmannschaft, die er in seiner Freizeit betreute, ein riesiges Herz aus Rosen legen und Dein ist mein ganzes Herz singen.
Er fragte mich: «Willst du meine Frau werden?»
Für einen Augenblick dachte ich mir: «Wenn ich jetzt nein sage, dann sind die Kinder für den Rest des Lebens verstört. »
Dann antwortete ich tief gerührt: «Klar will ich das!»
Sven rieb meine Füße gerade mit Extra Sensitive Massageöl ein, das künstlich nach Rosen duftete, da fiel mein Blick auf den «Malenter Kurier». Er hatte eine Immobilienanzeige angekringelt.
«Du ... hast da was angekreuzt?»
«Da gibt's ein Neubaugebiet, wo wir uns die Grundstückspreise leisten könnten.»
«Und ... warum sollten wir uns das angucken?», fragte ich alarmiert.
«Na ja, etwas Größeres wäre nicht schlecht ... wenn wir mal Kinder haben wollen.»
Kinder? Hatte er da eben «Kinder» gesagt? In meinen Single-Zeiten hatte ich zwar neidisch auf Mütter gestarrt, aber seitdem ich mit Sven zusammen war, fand ich, dass ich noch ein bisschen Zeit hatte, bis ich als Augenringe-Zombie anderen erzählte, wie erfüllt ich bin.
«Ich ... finde, wir sollten unser Leben als Paar noch ein bisschen genießen», gab ich zu bedenken.
«Ich bin neununddreißig und du vierunddreißig. Mit jedem Jahr, das wir warten, wird die Chance größer, dass wir ein behindertes Kind bekommen», erklärte Sven.
«Du hast eine nette Art, eine Frau vom Kinderkriegen zu überzeugen», erwiderte ich und versuchte dabei zu lächeln.
«Entschuldige.» Sven entschuldigte sich immer sehr schnell.
«Schon gut.»
«Aber ... du willst doch auch welche?», fragte er.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Wollte ich wirklich welche? Meine Sprechpause näherte sich bedrohlich einer Schweigeminute, als der zunehmend verunsicherte Sven nachfragte: «Nicht wahr, Marie?»
Da ich diesen lieben Mann einfach nicht leiden sehen konnte, scherzte ich: «Klar, fünfzehn Stück.»
«Fußballmannschaft plus Auswechselspieler», lächelte er glücklich. Dann küsste er meinen Nacken. Damit begann er traditionell das Vorspiel. Aber er brauchte ausnahmsweise mal sehr lange, um mich in Wallung zu bringen.
3
«Kläranlage wird dreißig Jahre alt» tippte ich als Überschrift meines neuen Seite-eins-Artikels, ohne jeglichen Anflug von Elan. Als ich die Journalistenschule verließ, hatte ich noch auf eine Stelle bei einem Magazin wie dem «Spiegel» gehofft, aber dazu hätte ich wohl einen besseren Abschluss als 2,7 haben müssen. So landete ich zuerst in München bei der «Anna», dem Magazin für die moderne Frau, deren Aufmerksamkeitsspanne für höchstens eine halbe Seite langt. Es war kein Traumjob, aber an guten Tagen fühlte ich mich fast wie Carrie aus «Sex and the City». Um so zu sein wie sie, fehlten mir eigentlich nur ein fünfstelliges Budget für Markenklamotten und eine Fettabsaugung.
Vielleicht wäre ich ewig bei der «Anna» geblieben. Aber leider wurde dort Marc Chefredakteur. Leider war er supercharmant. Leider wurden wir ein Paar. Leider betrog er mich mit der schlanken Stewardess, und leider reagierte ich darauf nicht ganz so souverän, wie ich es hätte tun sollen: Ich versuchte ihn mit dem Auto zu überfahren.
Na ja, nicht wirklich ernsthaft.
Aber er musste schon ein bisschen aus dem Weg springen.
Nach dieser Aktion kündigte ich bei der «Anna» und fand mit meinem suboptimalen Lebenslauf auf dem ausgetrockneten Journalistenmarkt keine andere Stelle als ausgerechnet beim «Malenter Kurier», und die auch nur, weil mein Vater den Verleger kannte. Mit einunddreißig Jahren in meinen Heimatort zurückzukehren war für mich so, wie mit einem Schild herumzulaufen, auf dem stand: «Hallo, ich habe in meinem Leben aber so was von komplett versagt.»
Der Vorteil, in so einer verstaubten Redaktion zu arbeiten, lag lediglich darin, dass ich genug Zeit hatte, mir über die Sitzordnung der Hochzeitsfeier Gedanken zu machen, was bekanntlich eine Wissenschaft für sich ist. Besonders beschäftigte mich die Frage, wie ich meine geschiedenen Eltern positionieren sollte. Während ich mir darüber den Kopf zerbrach, betrat Papa die Redaktion und machte die Sache mit der Sitzordnung noch komplizierter. Migräne verursachend kompliziert.
«Ich muss dir dringend etwas erzählen», begrüßte er mich. Ich war verwundert, lag doch ein Strahlen in seinem sonst so blassen Gesicht. Er hatte reichlich Eau de Cologne aufgetragen, und seine wenigen verbliebenen Haare waren ausnahmsweise gekämmt.
«Du, Papa, kann das noch ein bisschen warten?», fragte ich. «Ich habe keine Zeit, ich muss einen Artikel schreiben über alles, was ich noch nie über die Beseitigung von Exkrementen wissen wollte.»
«Ich habe eine Freundin», platzte es aus ihm heraus.
«Du ... du ... Das ist ja wunderbar», stammelte ich und vergaß die Exkremente.
Papa hatte eine Freundin? Das war eindeutig eine Überraschung. Ich malte mir aus, wer diese Frau wohl sein mochte: eine ältere Dame aus dem Kirchenchor vielleicht? Oder eine Patientin aus seiner Urologenpraxis (obwohl ich mir die erste Begegnung lieber nicht so genau vorstellen mochte).
«Sie heißt Swetlana», strahlte Papa.
«Swetlana?», wiederholte ich und versuchte sämtliche Vorurteile gegenüber slawisch klingenden Frauennamen aus meinen Gedanken zu verdrängen. «Klingt ... nett ...»
«Sie ist nicht nur nett. Sie ist großartig», strahlte er noch mehr.
Mein Gott, er war verliebt! Das erste Mal seit über zwanzig Jahren. Und obwohl ich mir das immer für ihn gewünscht hatte, war ich mir gerade nicht ganz sicher, wie ich das finden sollte.
«Du wirst dich bestimmt gut mit Swetlana verstehen», sagte Papa.
«Ah ja?»
«Ihr habt ein Alter.»
«Was?!?»
«Jedenfalls fast.»
«Was heißt das? Ist sie vierzig?», fragte ich.
«Nein, sie ist fünfundzwanzig.»
«Wie alt?»
«Fünfundzwanzig.»
«wie alt?»
«Fünfundzwanzig.»
«wieeee alt???»
«Warum fragst du das immer wieder?»
Weil sich mein Hirn bei der Vorstellung, dass mein Vater eine fünfundzwanzigjährige Freundin hatte, der Kernschmelze näherte.
«Wo, wo, woher kommt sie denn genau?», fragte ich, um Contenance bemüht.
«Aus Minsk.»
«Russland?»
«Weißrussland», korrigierte er mich.
Ich schaute mich irritiert um und hoffte, irgendwo eine versteckte Kamera zu erspähen.
«Ich weiß, was du jetzt denkst», sagte Papa.
«Dass hier bestimmt eine versteckte Kamera ist?»
«Gut, ich weiß doch nicht, was du denkst.»
«Was hast du denn gedacht, was ich dachte?», fragte ich.
«Dass Swetlana auf mein Geld aus ist, nur weil ich sie über eine Partnervermittlung im Internet kennengelernt habe ...»
«Du hast sie wo kennengelernt?», unterbrach ich ihn.
«Bei www.amore-osteuropa.com.»
«Oh, www.amore-osteuropa.com - das klingt ja total seriös! »
«Du bist ironisch, oder?»
«Und du naiv», erwiderte ich.
«Auf www.Partnervermittlungs-Test.de hat die Agentur die besten Ratings», hielt er dagegen.
«Na, wenn www.Partnervermittlungs-Test.de das sagt, dann ist Swetlana sicherlich eine hochanständige Frau, die weder Interesse an deinem Geld noch der deutschen Staatsbürgerschaft hat», ätzte ich.
«Du kennst Swetlana doch gar nicht!» Papa war nun sehr beleidigt.
«Aber du?»
«Ich war letzten Monat in Minsk ...»
«Halt, halt, halt - alle Maschinen stopp!» Ich sprang von meinem Stuhl auf und baute mich vor ihm auf. «Du hast mir doch erzählt, du besuchst mit dem Kirchenchor Jerusalem. Du hattest dich doch so auf die Grabeskirche gefreut.»
«Ich habe gelogen.»
«Du hast deine eigene Tochter angelogen?» Ich konnte es nicht fassen.
«Weil du mich sonst aufgehalten hättest.»
«Und zwar mit Waffengewalt!»
Papa atmete durch: «Swetlana ist ein extrem reizendes Wesen.»
«Ja, das glaub ich. Sie reizt mich ja jetzt schon», erwiderte ich.
«Aber ...»
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«Nimm Platz, Marie», forderte Gabriel mich auf und schob seinen Lesesessel an den Schreibtisch. Ich setzte mich hin und versackte im dunklen 70-Jahre-Leder, während Gabriel an seinem Tisch Platz nahm. Ich musste zu ihm aufsehen, und mir war sofort klar: Das ist eine von ihm durchaus beabsichtigte Blickachse.
«Du willst also in der Kirche heiraten?», fragte Gabriel.
Nein, im Hühnerstall, hätte ich am liebsten gereizt geantwortet, erwiderte aber in möglichst nettem Tonfall: «Ja, darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.»
«Ich habe dazu nur eine Frage, Marie.»
«Und welche?»
«Warum willst du in der Kirche heiraten?»
Die ehrliche Antwort darauf wäre gewesen: Weil es nichts Unromantischeres gibt als eine Hochzeit auf dem Standesamt. Und ich schon als kleines Mädchen von einer kirchlichen Hochzeit in Weiß geträumt habe und es auch jetzt noch tue, obwohl ich vom Kopf her natürlich weiß, dass es nichts Kitschigeres gibt, aber wer interessiert sich bei einer Heirat schon für den Kopf?
Doch dies zuzugeben schien mir nicht gerade förderlich für mein Anliegen. Daher stammelte ich mit dem besten Lächeln, das ich nur zaubern konnte: «Ich ... Es ist mir ein tiefes Bedürfnis in der Kirche ... vor Gott ...»
«Marie, ich sehe dich hier so gut wie nie in den Gottesdiensten », unterbrach mich Gabriel scharf.
«Ich ... ich ... muss beruflich viel tun.»
«Am siebten Tag sollst du ruhen.»
Ich ruhte am siebten Tag, und auch am sechsten Tag, und manchmal feierte ich sogar krank, um an einem der ersten fünf Tage zu ruhen, aber das war wohl nicht das, was Gabriel meinte.
«Du hast schon vor zwanzig Jahren in meinem Konfirmandenunterricht an Gott gezweifelt», mahnte Gabriel.
Der Mann hatte vielleicht ein Gedächtnis. Dass er das noch wusste! Damals war ich dreizehn und mit dem coolen Kevin zusammen. In seinen Armen fühlte ich mich wie im Himmel, und mit ihm hatte ich auch meinen ersten Zungenkuss. Aber leider wollte er mich nicht nur küssen, er wollte auch immer wieder unter meinen Pulli. Ich ließ das nicht zu, weil ich fand, dass das noch Zeit hatte. Eine Ansicht, die er nicht teilte. Deswegen fummelte er bei der Konfirmanden- Freizeit-Party unter dem Pulli einer anderen, direkt vor meinen Augen. Und die Welt, wie ich sie kannte, endete in diesem Augenblick.
Es konnte mich auch nicht trösten, dass Kevin die Brüste der anderen mit der gleichen Sensibilität behandelte, die Bäcker beim Herstellen von Brötchenteig an den Tag legen. Selbst meine zwei Jahre ältere Schwester Kata konnte mich nicht beruhigen, obwohl sie so schöne Dinge sagte wie: «Der hat dich gar nicht verdient», «Er ist ein blöder Sack» oder «Man sollte ihn standrechtlich erschießen».
So lief ich zu Gabriel und fragte ihn mit Tränen in den Augen: «Wie kann es einen Gott geben, wenn es in der Welt etwas so Fieses wie Liebeskummer gibt?»
«Erinnerst du dich auch, was ich dir darauf geantwortet habe?», fragte Gabriel.
«Gott lässt den Liebeskummer zu, weil er den Menschen einen freien Willen gegeben hat», erwiderte ich mit einem leicht leiernden Tonfall.
Ich erinnerte mich auch daran, dass ich damals fand, dass Gott Kevin ruhig den freien Willen wieder hätte nehmen können.
«Ich habe ebenfalls einen freien Willen», erklärte Gabriel. «Ich bin kurz vor der Pensionierung und muss nicht mehr jeden trauen, von dessen Gottesfürchtigkeit ich nicht überzeugt bin. Warte auf meinen Nachfolger. Der kommt in sechs Monaten!»
«Wir wollen aber jetzt heiraten!»
«Und das ist mein Problem, weil ...?», fragte er provozierend.
Ich schwieg und fragte mich: Darf man Pastoren eigentlich hauen?
«Ich mag es nicht, wenn man meine Kirche als Eventstätte nutzt», erklärte Gabriel und sah mich durchdringend an. Ich war kurz davor, mich schuldig zu fühlen - meine Wut wich einem diffusen schlechten Gewissen.
«Du weißt, dass es noch eine evangelische Kirche im Ort gibt», sagte Gabriel.
«Aber ... in der will ich nicht heiraten.»
«Und warum nicht?»
«Weil ... weil ...», ich wusste nicht, ob ich es wirklich sagen sollte. Aber eigentlich war es ja auch egal, Pastor Gabriel hatte offensichtlich eh keine gute meine Meinung von mir. Also sagte ich etwas kleinlaut: «Weil in der Kirche meine Eltern geheiratet haben.»
Verblüffenderweise wurde Gabriel nun sanfter: «Du bist Mitte dreißig, da müsstest du doch über die Trennung deiner Eltern langsam mal hinweg sein?»
«Klar ... klar, bin ich das, wäre ja auch albern, wenn nicht», antwortete ich. Schließlich hatte ich ja ein paar Stunden Therapie hinter mir, bis die mir zu teuer wurde. (Eigentlich sollten alle Eltern darauf verpflichtet werden, für ihre Kinder gleich bei der Geburt ein Sparkonto einzurichten, damit die später davon ihren Psychologen zahlen konnten.)
«Aber du hast dennoch Angst, dass es Unglück bringt, dich in der Kirche trauen zu lassen, in der deine Eltern heirateten? », hakte Gabriel nach.
Nach kurzem Zögern nickte ich: «Ich bin halt abergläubisch. »
Er sah mich an, mit einem überraschend verständnisvollen Blick. Anscheinend setzte gerade seine christliche Nächstenliebe ein.
«Einverstanden», erklärte er. «Ihr könnt hier heiraten.»
Ich konnte es kaum fassen: «Sie ... Sie sind ein Engel, Pastor! »
«Ich weiß», antwortete er und lächelte dabei merkwürdig melancholisch.
Als Gabriel merkte, dass mir dies auffiel, bedeutete er mir hinauszugehen. «Schnell, bevor ich es mir anders überlege.» Ich sprang erleichtert auf und eilte Richtung Tür. Dabei fiel mein Blick auf ein weiteres Gemälde, diesmal eines von der Wiederauferstehung Jesu. Und ich dachte bei mir: Der sieht wirklich so aus, als ob er gleich Stayin' Alive singen würde.
2
«Ich hab dir doch gesagt, Pastor Gabriel ist ein ganz netter Mann», sagte Sven, während er mir auf dem Sofa in unserer süßen kleinen Dachgeschosswohnung die Füße massierte. Das machte er - im Gegensatz zu allen anderen Männern - supergerne, was ich auf einen seltenen Gendefekt zurück führte. Meine Exfreunde hatten mich meistens nicht länger als zehn Minuten massiert und erwarteten für diese großartige Leistung anschließend Sex. Besonders Stewardessliebhaber Marc, von dem ich hoffte, dass er später in der Hölle von äußerst kreativen Dämonen betreut würde, die in der altehrwürdigen Kunst der Kastration ausgebildet waren.
Bevor ich mit Mitte dreißig Sven kennenlernte, war ich Single und mein Sexleben inexistent. Jedes Mal, wenn ich Frauen mit Kindern sah, merkte ich, wie meine biologische Uhr ticktack machte. Und jedes Mal, wenn diese völlig übermüdeten Mütter mich mitleidig anlächelten und mir erzählten, dass man nur mit Kindern eine glückliche, erfüllte, in sich ruhende Frau sein konnte, traf das mein äußerst fragiles Selbstbewusstsein. In diesen Augenblicken konnte ich mich nur mit einem Liedchen beruhigen, das ich extra für solche Situationen gedichtet hatte: «Ich hab keine Schwangerschaftsstreifen, dudei, dudei! Ich hab keine Schwangerschaftsstreifen, dudei, dudei, hey!»
Ich versuchte mich schon mit der Tatsache abzufinden, als eine dieser alten Frauen zu enden, die sieben Monate nach ihrem Tod zufällig von Entrümpelungsunternehmern verwest in ihrer Zweizimmerwohnung gefunden werden, da traf ich Sven.
Ich hatte zuvor in einem Malenter Café im Vorbeigehen gegenüber einer extrem nervigen frischgebackenen Mutter meinen Schwangerschaftsstreifen-Song etwas zu laut gesungen. Die glückliche, erfüllte Mutter zeigte mir daraufhin, wie sehr sie in sich ruhte: Sie schüttete mir ihren Kaffee ins Gesicht. Ich stolperte, fiel und schlug gegen eine Tischkante. Ich hatte eine Platzwunde an der Stirn, fuhr sofort mit dem nächsten Taxi ins Krankenhaus und wurde von Sven in Empfang genommen. Er arbeitete dort als Pfleger und war keine überragende Schönheit - von daher passten wir sehr gut zueinander. Als ich beim Nähen der Wunde weinte, gab er mir ein Taschentuch. Als ich wegen der Flecken auf meiner schönen Bluse jammerte, tröstete er mich. Und als ich ihm für alles dankte, lud er mich zur Pizza ein. Fünfzehn Pizzen später zog ich zu ihm und war heilfroh, meine Zweizimmerwohnung nie wieder sehen zu müssen.
Weitere vierundachtzig Abendessen später machte Sven mir einen formvollendeten Heiratsantrag: auf den Knien, mit einem wunderschönen Ring, der ihn mindestens ein Monatsgehalt gekostet hatte. Dabei ließ er die Kinderfußballmannschaft, die er in seiner Freizeit betreute, ein riesiges Herz aus Rosen legen und Dein ist mein ganzes Herz singen.
Er fragte mich: «Willst du meine Frau werden?»
Für einen Augenblick dachte ich mir: «Wenn ich jetzt nein sage, dann sind die Kinder für den Rest des Lebens verstört. »
Dann antwortete ich tief gerührt: «Klar will ich das!»
Sven rieb meine Füße gerade mit Extra Sensitive Massageöl ein, das künstlich nach Rosen duftete, da fiel mein Blick auf den «Malenter Kurier». Er hatte eine Immobilienanzeige angekringelt.
«Du ... hast da was angekreuzt?»
«Da gibt's ein Neubaugebiet, wo wir uns die Grundstückspreise leisten könnten.»
«Und ... warum sollten wir uns das angucken?», fragte ich alarmiert.
«Na ja, etwas Größeres wäre nicht schlecht ... wenn wir mal Kinder haben wollen.»
Kinder? Hatte er da eben «Kinder» gesagt? In meinen Single-Zeiten hatte ich zwar neidisch auf Mütter gestarrt, aber seitdem ich mit Sven zusammen war, fand ich, dass ich noch ein bisschen Zeit hatte, bis ich als Augenringe-Zombie anderen erzählte, wie erfüllt ich bin.
«Ich ... finde, wir sollten unser Leben als Paar noch ein bisschen genießen», gab ich zu bedenken.
«Ich bin neununddreißig und du vierunddreißig. Mit jedem Jahr, das wir warten, wird die Chance größer, dass wir ein behindertes Kind bekommen», erklärte Sven.
«Du hast eine nette Art, eine Frau vom Kinderkriegen zu überzeugen», erwiderte ich und versuchte dabei zu lächeln.
«Entschuldige.» Sven entschuldigte sich immer sehr schnell.
«Schon gut.»
«Aber ... du willst doch auch welche?», fragte er.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Wollte ich wirklich welche? Meine Sprechpause näherte sich bedrohlich einer Schweigeminute, als der zunehmend verunsicherte Sven nachfragte: «Nicht wahr, Marie?»
Da ich diesen lieben Mann einfach nicht leiden sehen konnte, scherzte ich: «Klar, fünfzehn Stück.»
«Fußballmannschaft plus Auswechselspieler», lächelte er glücklich. Dann küsste er meinen Nacken. Damit begann er traditionell das Vorspiel. Aber er brauchte ausnahmsweise mal sehr lange, um mich in Wallung zu bringen.
3
«Kläranlage wird dreißig Jahre alt» tippte ich als Überschrift meines neuen Seite-eins-Artikels, ohne jeglichen Anflug von Elan. Als ich die Journalistenschule verließ, hatte ich noch auf eine Stelle bei einem Magazin wie dem «Spiegel» gehofft, aber dazu hätte ich wohl einen besseren Abschluss als 2,7 haben müssen. So landete ich zuerst in München bei der «Anna», dem Magazin für die moderne Frau, deren Aufmerksamkeitsspanne für höchstens eine halbe Seite langt. Es war kein Traumjob, aber an guten Tagen fühlte ich mich fast wie Carrie aus «Sex and the City». Um so zu sein wie sie, fehlten mir eigentlich nur ein fünfstelliges Budget für Markenklamotten und eine Fettabsaugung.
Vielleicht wäre ich ewig bei der «Anna» geblieben. Aber leider wurde dort Marc Chefredakteur. Leider war er supercharmant. Leider wurden wir ein Paar. Leider betrog er mich mit der schlanken Stewardess, und leider reagierte ich darauf nicht ganz so souverän, wie ich es hätte tun sollen: Ich versuchte ihn mit dem Auto zu überfahren.
Na ja, nicht wirklich ernsthaft.
Aber er musste schon ein bisschen aus dem Weg springen.
Nach dieser Aktion kündigte ich bei der «Anna» und fand mit meinem suboptimalen Lebenslauf auf dem ausgetrockneten Journalistenmarkt keine andere Stelle als ausgerechnet beim «Malenter Kurier», und die auch nur, weil mein Vater den Verleger kannte. Mit einunddreißig Jahren in meinen Heimatort zurückzukehren war für mich so, wie mit einem Schild herumzulaufen, auf dem stand: «Hallo, ich habe in meinem Leben aber so was von komplett versagt.»
Der Vorteil, in so einer verstaubten Redaktion zu arbeiten, lag lediglich darin, dass ich genug Zeit hatte, mir über die Sitzordnung der Hochzeitsfeier Gedanken zu machen, was bekanntlich eine Wissenschaft für sich ist. Besonders beschäftigte mich die Frage, wie ich meine geschiedenen Eltern positionieren sollte. Während ich mir darüber den Kopf zerbrach, betrat Papa die Redaktion und machte die Sache mit der Sitzordnung noch komplizierter. Migräne verursachend kompliziert.
«Ich muss dir dringend etwas erzählen», begrüßte er mich. Ich war verwundert, lag doch ein Strahlen in seinem sonst so blassen Gesicht. Er hatte reichlich Eau de Cologne aufgetragen, und seine wenigen verbliebenen Haare waren ausnahmsweise gekämmt.
«Du, Papa, kann das noch ein bisschen warten?», fragte ich. «Ich habe keine Zeit, ich muss einen Artikel schreiben über alles, was ich noch nie über die Beseitigung von Exkrementen wissen wollte.»
«Ich habe eine Freundin», platzte es aus ihm heraus.
«Du ... du ... Das ist ja wunderbar», stammelte ich und vergaß die Exkremente.
Papa hatte eine Freundin? Das war eindeutig eine Überraschung. Ich malte mir aus, wer diese Frau wohl sein mochte: eine ältere Dame aus dem Kirchenchor vielleicht? Oder eine Patientin aus seiner Urologenpraxis (obwohl ich mir die erste Begegnung lieber nicht so genau vorstellen mochte).
«Sie heißt Swetlana», strahlte Papa.
«Swetlana?», wiederholte ich und versuchte sämtliche Vorurteile gegenüber slawisch klingenden Frauennamen aus meinen Gedanken zu verdrängen. «Klingt ... nett ...»
«Sie ist nicht nur nett. Sie ist großartig», strahlte er noch mehr.
Mein Gott, er war verliebt! Das erste Mal seit über zwanzig Jahren. Und obwohl ich mir das immer für ihn gewünscht hatte, war ich mir gerade nicht ganz sicher, wie ich das finden sollte.
«Du wirst dich bestimmt gut mit Swetlana verstehen», sagte Papa.
«Ah ja?»
«Ihr habt ein Alter.»
«Was?!?»
«Jedenfalls fast.»
«Was heißt das? Ist sie vierzig?», fragte ich.
«Nein, sie ist fünfundzwanzig.»
«Wie alt?»
«Fünfundzwanzig.»
«wie alt?»
«Fünfundzwanzig.»
«wieeee alt???»
«Warum fragst du das immer wieder?»
Weil sich mein Hirn bei der Vorstellung, dass mein Vater eine fünfundzwanzigjährige Freundin hatte, der Kernschmelze näherte.
«Wo, wo, woher kommt sie denn genau?», fragte ich, um Contenance bemüht.
«Aus Minsk.»
«Russland?»
«Weißrussland», korrigierte er mich.
Ich schaute mich irritiert um und hoffte, irgendwo eine versteckte Kamera zu erspähen.
«Ich weiß, was du jetzt denkst», sagte Papa.
«Dass hier bestimmt eine versteckte Kamera ist?»
«Gut, ich weiß doch nicht, was du denkst.»
«Was hast du denn gedacht, was ich dachte?», fragte ich.
«Dass Swetlana auf mein Geld aus ist, nur weil ich sie über eine Partnervermittlung im Internet kennengelernt habe ...»
«Du hast sie wo kennengelernt?», unterbrach ich ihn.
«Bei www.amore-osteuropa.com.»
«Oh, www.amore-osteuropa.com - das klingt ja total seriös! »
«Du bist ironisch, oder?»
«Und du naiv», erwiderte ich.
«Auf www.Partnervermittlungs-Test.de hat die Agentur die besten Ratings», hielt er dagegen.
«Na, wenn www.Partnervermittlungs-Test.de das sagt, dann ist Swetlana sicherlich eine hochanständige Frau, die weder Interesse an deinem Geld noch der deutschen Staatsbürgerschaft hat», ätzte ich.
«Du kennst Swetlana doch gar nicht!» Papa war nun sehr beleidigt.
«Aber du?»
«Ich war letzten Monat in Minsk ...»
«Halt, halt, halt - alle Maschinen stopp!» Ich sprang von meinem Stuhl auf und baute mich vor ihm auf. «Du hast mir doch erzählt, du besuchst mit dem Kirchenchor Jerusalem. Du hattest dich doch so auf die Grabeskirche gefreut.»
«Ich habe gelogen.»
«Du hast deine eigene Tochter angelogen?» Ich konnte es nicht fassen.
«Weil du mich sonst aufgehalten hättest.»
«Und zwar mit Waffengewalt!»
Papa atmete durch: «Swetlana ist ein extrem reizendes Wesen.»
«Ja, das glaub ich. Sie reizt mich ja jetzt schon», erwiderte ich.
«Aber ...»
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Autoren-Porträt von David Safier
David Safier, 1966 geboren, zählt zu den erfolgreichsten Autoren der letzten Jahre. Seine Romane, darunter «Mieses Karma», «Jesus liebt mich», «Happy Family» und «MUH!» erreichten Millionenauflagen im In- und Ausland. Der erste Band seiner Krimireihe rund um die Ex-Kanzlerin gegört zu den bestverkauften Büchern des Jahres 2021. Als Drehbuchautor wurde David Safier unter anderem mit dem Grimme-Preis sowie dem International Emmy ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Bremen, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Bibliographische Angaben
- Autor: David Safier
- 2012, 2., MDT, 336 Seiten, 16 Schwarz-Weiss-Abbildungen, mit Abbildungen, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499255804
- ISBN-13: 9783499255809
- Erscheinungsdatum: 20.11.2012
Rezension zu „Jesus liebt mich “
Jesus liebt mich ist grosses Kino! Bunte
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