Houwelandt
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Houwelandt von John von Düffel
LESEPROBE
Die Insel vor ihm hatte die Farbe des Sandsteins, den manhier brach. Das Land in seinem Rücken entliess seine Hügel ins Licht. Es wareine buckelnde Herde, die vor der aufsteigenden Sonne davonkroch, spärlicheHaine, gewundene Terrassen, Gärten aus Geröll. Auf den Spuren der Dämmerungwanderten Schatten wie dunkle Wolken über das Land. Doch der Morgen im Sommerwar kurz, und sobald die Sonne steil stand, würde sich nichts mehr rühren.Jorge de Houwelandt watete bis zu den Hüften in den Uferwellen und rieb sicheine Handvoll Wasser ins Gesicht. Das Meer schmeckte nach Schlaf. Ohne dieAugen zu öffnen, legte er das Kinn auf die Brust, streckte die Arme aus undtauchte ein. Mit angehaltenem Atem schwamm er ein paar Züge unter Wasser, inseinen Ohren das Rollen der Kiesel und Steine in der sanften Dünung. Er wusste,dass Esther ihm vom Strand aus zusah, dass sie die schiefergraue Oberfläche nachseinem Kopf absuchte und darauf wartete, ihn zwischen den Wellenwiederauftauchen zu sehen, die sich zu dieser frühen Stunde noch nicht brachen,sondern an Land huschten wie Tiere unter einem Tuch. Er brauchte nicht zuatmen. Er verspürte keinen Drang nach Luft. Was er brauchte, war das Meer. Erkonnte die Feier noch immer absagen. Er war das Familienoberhaupt. Wenn ernicht wollte, würde sein Geburtstag nicht stattfinden, alle würden bleiben, wosie waren. Er, Jorge, brauchte kein Fest. Die kleine Bucht warf einenSchattensaum über das allmählich erwachende Meer. Nur auf der Insel lag schonLicht. Es fing sich in den Klippen und verlieh dem Sandstein für Augenblickedie Farbe von gebrannten Ziegeln. Jorge glitt schwerelos durch dieanschmiegsame, zudringliche Frische der flüssigen Welt und betrachtete dierundgewaschenen Steine und Muscheln unter sich. Ein, zwei Züge noch, dannerreichte er die Felder von Seegras und totem Tang. Danach kam nur noch Tiefeund sich selbst überschattendes Blau. Jorge dachte nicht daran aufzutauchen. Erwusste, dass Esther ihn beobachtete. Für einen Moment war es, als könnte erhören, wie sie von einem Fuss auf den anderen trat und der Steinstrand unterihren Sandalen knirschte. Er sah ihr zum Meer gewandtes Gesicht und dieSträhnen ihres noch immer dichten Haars im auflandigen Wind. Sie würde nichtnach ihm rufen, obwohl ihr sein Name auf den Lippen lag, Esther würde die Luftanhalten, als wären ihre und seine Lungen eins. Doch er vermisste nichts. Er hattesie hinter sich gelassen wie alles an Land. Das Wasser war flüssiges Glas,farblos vor Frühe. Durch die Tanggärten strich schon der Herbst. Jorge tauchtezwischen zwei algenverhangenen Bojen hindurch, die den Schwimmbereichmarkierten. Der Gedanke an Sauerstoff durchzuckte ihn, doch es war nur einReflex wie vor dem Einschlafen - schon vorbei. All seine Sinne richteten sichauf das bodenlose Blau, das sich unter ihm auftat, und die hinaufdrängendeTiefe. Sie hatte ein so weiches Fell. Jorge war überwältigt von dem Gefühl desEntronnenseins auf der Haut. Wie jeden Morgen. Hinter einem Fischerboot miteingezogenem Motor durchbrach er die Oberfläche. Das Tier, das ihn trug, hatteden Rücken krumm gemacht und ihn in die Höhe gehoben. Jorge schnappte nicht nachLuft, sie strömte in ihn ein. Er war vollkommen ruhig. Es würde keinenGeburtstag geben, und erst recht nicht, wenn es, wie Esther betonte, seinachtzigster war.
© DuMont Literatur und Kunst Verlag
- Autor: John Düffel
- 2004, 315 Seiten, Masse: 15,1 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DuMont Buchverlag
- ISBN-10: 3832178821
- ISBN-13: 9783832178826
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