Himmelsstürmer
Mein Leben im freien Fall. Nachw. v. Joe Kittinger
Mit seinem Sturzflug durch die Schallmauer im Oktober 2012 wurde er weltberühmt, doch auch schon davor sorgte Felix Baumgartner, halb Extremsportler, halb Abenteurer, für Schlagzeilen: So sprang er z.B. 1999 von der Christus-Statue in Rio. Lesen...
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Produktinformationen zu „Himmelsstürmer “
Mit seinem Sturzflug durch die Schallmauer im Oktober 2012 wurde er weltberühmt, doch auch schon davor sorgte Felix Baumgartner, halb Extremsportler, halb Abenteurer, für Schlagzeilen: So sprang er z.B. 1999 von der Christus-Statue in Rio. Lesen Sie, was den Österreicher zu seinen spekakulären Aktionen antreibt und wie er sich auf etwas noch nie Dagewesenes vorbereitet.
Lese-Probe zu „Himmelsstürmer “
Mein Leben im freien Fall von Felix BaumgartnerAm tiefsten Punkt des höchsten Sprungs
Nachts um halb vier wird mir klar: Ich will nach Hause. Ich fahre jetzt von meinem Apartment in Santa Monica zum Flughafen, schaue, dass ich ein Ticket bekomme, und fliege heim nach Salzburg. Seit Wochen habe ich nicht mehr schlafen können, diese Nacht erst recht nicht, weil ich wusste: Morgen geht’s nach Brooks, San Antonio, Texas. Dorthin, wo all die Spaceshuttles getestet und die Astronauten trainiert worden sind. Da werde ich dann fünf Stunden in diesem Anzug aushalten und den Experten der Air Force zeigen müssen, dass ich es draufhabe. Und ich weiß genau: Ich habe es nicht drauf. Was tun? Es gibt keine Lösung. Das ist nun der Tag, den ich so lange hinausgeschoben habe. Es gibt nur einen Ausweg: Flucht. Weg von hier, weg von dem Anzug, weg vom Team. Schon längst hätte ich der Mannschaft meine Angst beichten müssen. Dieses Riesenteam hat sich monatelang den Arsch aufgerissen, Tag und Nacht gearbeitet, alle haben an mich geglaubt. Und jetzt lasse ich sie fünf Minuten vor zwölf im Stich. So etwas habe ich nie gemacht in meinem Leben. Ich habe mich immer meinen Dämonen gestellt, die Dinge nicht hinausgeschoben, sondern angepackt. Wenn es ein Problem gab, dann habe ich nach der passenden Lösung gesucht. Es ist das erste Mal, dass ich versucht habe, das Problem immer wieder wegzuschieben, in der Hoffnung, dass die Lösung irgendwann von selbst kommen würde. Jedes Mal bin ich geflüchtet und habe mir gesagt: Wenn du die Miete diesmal nicht zahlen kannst, zahlst du halt nächstes Mal. Aber ich wusste genau: Nächstes Mal wird’s nicht besser. Und irgendwann musst du die Miete zahlen. Genau das ist jetzt passiert.
Der Grund, aus dem ich vor 25 Jahren mit dem Fallschirmspringen angefangen habe, ist dieses unvergleichliche Gefühl der Freiheit,
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wenn es dich beim Absprung runterzieht. Wenn ich gesprungen bin, dann am liebsten in Jeans und T-Shirt, manchmal mit einem Helm. Und jetzt? Rein in einen Anzug, dann einen Fallschirm drauf, der dreimal so groß ist wie ein normaler, noch zwei Sauerstoffflaschen dazu, das Chest Pack für die Datenaufzeichnung auf der Brust: Am Schluss war ich doppelt so schwer. Von Freiheit keine Spur. Es ist mühsam zu springen, macht keinen Spaß. Und ich musste alles von Grund auf neu lernen, weil das Zusatzgewicht und der Anzug mich blockierten. Ich stand da wie ein Anfänger, hatte keine Routine, kein Selbstvertrauen, wusste nicht, was auf mich zukam – und sprang trotzdem. Ich war vom ersten Moment an professionell, was die ganze Kapseltechnik betrifft. Das Handling der Knöpfe, die Souveränität im Cockpit, die Emergency Procedures, die man auswendig wissen muss: Das habe ich immer perfekt und fehlerfrei gemacht, in Rekordzeit. Alle haben mich gelobt, dass ich mir so viele Dinge merken und unter diesen Bedingungen auch ausführen kann. Das ist genau mein Background: in kurzer Zeit immer richtig reagieren. Auf so etwas bin ich trainiert. Aber dieser Anzug! Das Selbstvertrauen, das ich immer hatte, sobald ich gut vorbereitet war, ich hätte es auch abrufen können, egal, wie viele Leute von der NASA zusehen: kein Problem – wenn der Anzug nicht gewesen wäre. Das Projekt »Red Bull Stratos« ist jetzt drei Jahre alt. Gespürt habe ich das Problem mit dem Druckanzug immer wieder bei den Tests. Ohne den Anzug hätte ich dieses Projekt in vollen Zügen genießen können. Der gefährliche Teil des Projektes, der Entwicklungsteil, der technische Teil: Das wären alles schöne Sachen gewesen. Doch statt der Vorfreude auf einen Testsprung aus 10 000 Metern, dachte ich: Ich will nicht in diesen Anzug! Es war wie eine schwierige Prüfung, vor der man Angst hat. Ich wurde irrsinnig sensibel, reagierte auf Kleinigkeiten, die mir sonst nie Probleme bereitet hätten. Zum Beispiel hat mich das Licht in dem Raum gestört, in dem Mike Todd, der Anzugtechniker, mich immer angezogen hat. Ich habe zuvor nie über Licht nachgedacht. Und dann dieser Geruch! Der Helm hat eine Gummidichtung, die das Gesicht abschließt, und dieser Gummigeruch hat angefangen, mich extrem zu stören. Ich hatte an jedem Detail etwas auszusetzen, selbst an den Stimmen. Zum Glück hat Mike eine sehr ruhige, angenehme Stimme. Aber es gab andere Menschen, die reinkamen, und deren Stimmen fingen an, mich aufzuregen. Alles, was mit diesem Anzug verbunden war, hat sich irgendwann negativ aufgeladen. Es war klar, irgendwann würde ich kollabieren. Ich war gefangen in diesem Anzug, gefangen in der Tatsache, dass ich eigentlich der Held dieses Projektes sein sollte, in den vergangenen 20, 25 Jahren immer meine Leistung erbracht habe, für viele in der Fallschirm- und Base-Jumping-Szene als Alleskönner bekannt war – und dann scheitere ich an der Hürde Anzug. Ich versage am Boden, nicht in 39 Kilometern Höhe beim Sprung aus einer Kapsel am Rande des Weltalls. Was für ein Desaster! Zwei Jahre lang habe ich mich und mein Team ausgetrickst. Ich habe immer geschaut, dass ich die Etappen im Anzug kurz halte. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn ich mehr Zeit darin verbracht, mich selbst gezwungen hätte: Heute mache ich eine ganze Stunde, auch wenn ich offiziell nur eine halbe Stunde drin sein muss. Aber ich habe es immer in die Gegenrichtung getrieben, geschaut, dass ich schnell rauskomme, mir Ausreden einfallen lassen. Das Team hat sich nichts dabei gedacht. Sie nahmen an: Wenn er ein Problem im Anzug haben sollte, dann schon in den ersten fünf Minuten. Das war bei mir nicht so. Ich habe mich nicht superwohl gefühlt, aber in den ersten zehn Minuten war es auch kein wirkliches Problem. Und viel länger hat das erste Mal nicht gedauert. Danach habe ich mir Tricks einfallen lassen wie: »Kann ich kurz das Visier aufmachen, um besser sprechen zu können?« Der schlimmste Moment ist nämlich, wenn der Helm geschlossen wird. Dann bist du in deiner eigenen Welt in diesem Anzug. Mit offenem Visier ist man weniger gefangen da drin. Ich habe mir gedacht: Irgendwann kommt der Tag, an dem ich den Anzug anlege und sage: Okay, easy. Dieser Tag ist leider nicht gekommen.
Und so packe ich nun nach der schlaflosen Nacht in Santa Monica meine Sachen, sperre das Zimmer ab und denke: Du verlässt jetzt alles, wofür du gearbeitet hast. 25 Jahre lang habe ich mich indirekt für dieses Projekt vorbereitet. Jeder Sprung war ein Baustein, ein Teil des Ganzen. Ich steige ins Auto. Bestimmt 50 Mal bin ich hier schon zum Flughafen gefahren, aber diesmal läuft es ab wie in Zeitlupe, wie in Trance. Ich nehme die Lichter in der Nacht ganz anders wahr. Ich fliege heim, lasse alles hinter mir. Ich kann nicht zurück, muss mir Luft verschaffen, ohne Rücksicht auf das, was ich damit auslöse. Ich muss jetzt mal an mich denken. Ein Telefonat. Es ist immer einfacher, wenn man jemandem nicht in die Augen sehen muss. Ich sage: »Jungs, ich habe Probleme mit dem Anzug. Ich weiß, das kommt ein bisschen spät. Aber ich muss zurück nach Österreich, ich brauche mein gewohntes Umfeld: Eltern, Freundin, Menschen, bei denen ich mich wohlfühle.« Hier sind im Laufe der Zeit alle zu Feinden geworden. Joe Kittinger, Art Thompson, die Leute, die für mich arbeiten: alles Feinde – weil sie mit meinem Problem zu tun haben. Weil sie wollen, dass ich fünf Stunden in diesem Anzug verbringe. Diese Folterknechte! Am Flughafen rufe ich Art an, unseren Projektleiter, und beichte ihm alles. Er schreit und flucht nicht, sagt nur: »Warte, ich komme!« Ich sitze in einer Ecke und heule Rotz und Wasser. Die Leute schauen, ein Polizist kommt zu mir und fragt, ob alles okay ist. Nein. Ist es nicht. Ich gebe auf. Ich bin am Ende, am tiefsten Punkt meines höchsten Sprungs.
Pfannkuchen vom Vortag – wie ich Red-Bull-Athlet wurde
Das Headquarter des Weltkonzerns Red Bull liegt heute in Fuschl am See unweit von Salzburg. Dort arbeiten rund 500 der weltweit 9000 Angestellten am Erfolg des führenden Anbieters für Energy-Drinks. Zu Beginn der 1980er- Jahre, als der Konzern gegründet wurde, residierte Red Bull noch nicht am Fuschlsee, sondern in Salzburg in der Alpenstraße. Im oberen Stock der Berger Bank hatte Dietrich Mateschitz sein Büro. Kennengelernt habe ich den Mann, der 1944 in Sankt Marein in der Steiermark zur Welt kam und mit Red Bull die Welt der Energy-Drinks eroberte, über den Heeressportverein Salzburg. Dieser trägt heute den Namen HSV Red Bull Salzburg. Mit dem Fallschirmspringen habe ich 1986 begonnen, mit 16 Jahren, als Zivilperson beim Heeressportverein unter der Anleitung des Vereinschefs Roland Rettenbacher. Zwei Jahre später verpflichtete ich mich beim Bundesheer und kam nach einer Zeit als Panzerfahrer und Ausbilder ins hochprofessionell betriebene Leistungszentrum der Fallschirmspringer nach Wiener Neustadt. Neben dem Fallschirmspringen lernte ich dort auch Boxen, weil mir nach Dienstschluss oft langweilig war. Ich brachte es sogar zu einem Profikampf, am 5. August 1992 gegen einen Kroaten, der in der ersten Runde k. o. ging. Mein erster und bis heute einziger professioneller Kampf. Ebenfalls 1992 veranstaltete Red Bull in Wien seinen ersten »Red Bull Flugtag«. Die Idee dieses verrückten Wettbewerbs, der bis heute jedes Jahr in einer anderen Stadt auf der Welt ausgetragen wird: Die Teilnehmer stürzen sich in selbst gebauten Fluggeräten von einer Rampe ins Gewässer. Bewertet werden Flugweite und Originalität des Geräts. Für den Flugtag in Wien suchte Red Bull damals nach Fallschirmspringern, die zu Beginn des Wettbewerbs auf der Rampe landen sollten. Die Suche führte den Konzern nach Salzburg, wo es zu dieser Zeit nur zwei Vereine gab: den 1. Salzburger Fallschirmspringerclub und den Heeressportverein, in dem ich Mitglied war. Meine Kameraden und ich mussten nicht lange überredet werden, wir machten beim Flugtag mit, landeten cool auf der Rampe, und Dietrich Mateschitz war so begeistert, dass er sich entschloss, unseren Verein zu unterstützen. Von der Summe, die er uns zur Verfügung stellte, konnten wir uns ein paar neue Fallschirme kaufen. Logisch, dass da Red Bull draufstand. Und von da an war ich einer der ersten Red- Bull-Sportler. Heute sind es 650 Athleten und zahlreiche Mannschaften. Als Maschinenschlosserlehrling verdiente ich damals 1550 Schilling im Monat – ein Fallschirmsprung kostete 150 Schilling pro 1000 Meter. An einem guten Vormittag sprang ich vielleicht vier-, fünfmal, da war die Hälfte vom Monatslohn schnell weg. Und wenn die anderen dann am Nachmittag fragten: »Springen wir noch mal?«, musste ich immer antworten: »Sorry, Jungs, aber heute ist erst der 14., ich hab noch ein bisschen was vor diesen Monat.« Zu dieser Zeit hatte ich wirklich eine Kriegskasse, die ich mir immer ganz knapp einteilen musste, wenn ich mal ein bisschen ausgehen wollte. Während alle anderen mit 16, 17 längst ihre eigenen Mopeds gekauft oder geschenkt bekommen hatten, fuhr ich immer noch mit dem Fahrrad herum. Leisten konnte ich mir das Fallschirmspringen nur, weil meine Mutter ab und an ein bisschen Geld von meinem Vater abzweigte. Nicht Tausende von Schillingen, sondern hier und da mal 150 Schilling. Immer mit dem Hinweis: »Das sagen wir dem Papa aber nicht.« Meine Mutter war für den Haushalt verantwortlich, fürs Putzen, Kochen, Waschen, fürs Kindererziehen – und für die Banküberweisungen. Mein Vater verdiente als Einrichtungsberater gutes Geld, hatte aber nie Zeit, sich um finanzielle Angelegenheiten zu kümmern. Er ist ein extrem sparsamer Mensch, der für Sport nie viel übriggehabt hat. Sein Kommentar zu meinen Sprüngen lautete: »Wenn du das Geld zum Fallschirmspringen hast, kannst du es dafür ausgeben. Du solltest es aber besser sparen.« Damals litt ich unter seiner Sparsamkeit, heute muss ich oft darüber lachen. Ich erinnere mich, wie mein Vater einmal mit einem Paar Schuhe auf dem Gepäckträger seines Fahrrads durch die Gegend fuhr, um einen Schuster zu finden, der sie neu besohlen sollte. Und wir sprechen hier nicht von einem Paar schicker handgenähter Lederschuhe, sondern von Billigtretern. Als er wieder zurückkam, klemmten seine Schuhe unberührt auf dem Gepäckträger. »Was hast du denn jetzt so lange gemacht? Und wieso sind auf den Schuhen noch die alten Sohlen?«, fragte ich. »Na ja, ich hab einen Schuster gefunden, der sieben Euro verlangt. Und ich habe mich an einen anderen erinnert, der macht es für fünf. Der hatte aber schon geschlossen. « Er fuhr also zwei Tage mit seinem Paar Schuhe herum und hatte am Ende zwei Euro gespart.
Als ich mit 22 Jahren, nach vier Dienstjahren, das Österreichische Bundesheer verließ, wollte ich einen Abschluss als Kfz-Mechaniker machen, spezialisiert auf Motorräder. Mit 18 hatte ich mir mein erstes Motorrad gekauft, eine Yamaha RD 500. Eine Unfallmaschine, die ich eigenhändig wieder herrichtete. Ich war damals bereits ausgebildeter Maschinenschlosser und schraubte für mein Leben gern an Motorrädern. Jetzt wollte ich es richtig lernen. Ich heuerte bei einer Werkstatt an, der durch meine Mitarbeit keine Kosten entstanden, weil mich das Militär weiterhin bezahlte. So bekam ich die Möglichkeit, mich nach der Zeit beim Heer wieder an die Arbeitswelt zu gewöhnen. Lange sollte diese Episode allerdings nicht dauern. Eines Tages, an einem Freitag, kam morgens ein Kunde mit seinem Motorrad in unsere Werkstatt und bat mich um einen kurzfristigen Servicetermin. Er wollte am nächsten Morgen um vier in der Früh mit seinen Freunden nach Griechenland fahren und hatte gerade noch rechtzeitig bemerkt, dass auf der langen Fahrt sein Kilometerservice fällig geworden wäre. Ich versicherte ihm, dass wir den Service übernehmen würden und er seine Maschine am selben Tag kurz vor Ladenschluss abholen könne. Kaum war seine Maschine auf der Hebebühne, kam der Verkaufsleiter zu mir. »Dem sein Motorrad machen wir heute nicht.« »Aber der hat doch einen Termin.« »Der Typ wollte sich neulich ein neues Motorrad kaufen und hat sich bei meinem Chef beschwert, weil ich ihm nicht genügend Prozente geben wollte. Und ich hab dann den Ärger bekommen.« »Ich bin hier ja nur Auszubildender, aber der Typ möchte morgen mit seinen Jungs nach Griechenland fahren. Wenn der später kommt und die Maschine ist nicht fertig …« »Dann ist das nicht dein Problem. Hau sie wieder runter von der Hebebühne!« Ich konnte es nicht fassen. Dann hätte ich ihm doch lieber gleich keinen Termin gegeben. Ich konnte dem Mann doch unmöglich den Service versprechen und das Motorrad dann einfach stehen lassen. Das widersprach meinem Gerechtigkeitssinn, der bei mir aus irgendeinem Grund schon immer besonders stark ausgeprägt war. Als der Kunde dann am späten Nachmittag kam, musste ich erklären: »Wir hatten heute so viel Stress, ich bin nicht dazu gekommen.« Er wurde kreidebleich und begann, zu weinen wie ein kleines Kind. Sein Griechenland-Trip war seit Monaten geplant, und wenn er jetzt ohne Service einen Motorschaden bekäme, wäre die Reparatur nicht von der Garantie abgedeckt. Für ihn brach eine Welt zusammen. Ich lief zum Verkäufer, der sich in seinem Büro verschanzt hatte, und sagte zu ihm: »So, da kannst du dich jetzt selber drum kümmern. Der Servicetyp sitzt vorne in der Werkstatt und heult Rotz und Wasser. Das musst du ausbügeln.« Der Verkaufsleiter ging zu ihm hin und sagte: »Wenn der Felix morgen um fünf Uhr in der Früh kommt und deine Jungs ein bisschen später losfahren, macht er dir den Service noch.« Daraufhin bat ich den Verkäufer um ein kurzes Gespräch unter vier Augen. »Okay, kein Problem. Ich komme morgen um fünf rein und arbeite an meinem sauer verdienten Wochenende. Aber ich stemple ein. Das sind Überstunden. Meine Dienstzeit geht von Montag bis Freitag.« »Das soll der zahlen, wenn du schon extra kommst. Mach mit dem was aus«, entgegnete der Verkaufsleiter. »Der Typ hatte heute einen Termin«, erwiderte ich, »und wir haben es nicht gemacht. Seine Kumpels fahren morgen nur wegen uns zwei Stunden später weg, und jetzt soll er auch noch einen Aufpreis zahlen.« Am nächsten Tag habe ich den Service gemacht. Und dem Kunden keinen Zuschlag abgenommen. Am Montag prüfte der Verkaufsleiter in der Früh als Erstes meine Stempelkarte und sagte: »Du hast ja abgestempelt. « »Ja, logisch.« Und von da an steckte ich in der Schublade mit der Aufschrift: »Unbequemer Mitarbeiter«. Es gab immer wieder Probleme. Mit jeder Woche wurde mir klarer, dass die Werkstatt ihre Kunden nach Strich und Faden betrog. Pro Tag wurden zwischen fünf und acht Motorradservices gemacht. Jeder Service dauerte ungefähr dreieinhalb Stunden. Acht mal dreieinhalb: Das macht 28 Arbeitsstunden am Tag. Der hat aber nun mal nur 24 Stunden. Und ein Arbeitstag sogar nur acht. Wenn wir Ventile einstellen mussten, sollten wir nur kurz horchen, ob ein Klappern zu hören war. Nein? Okay, passt. Abwischen, Motor sauber, fertig. Den Ölfilter haben wir teilweise gar nicht getauscht, sondern nur so gereinigt, dass er neu aussah – und die vermeintlichen Ersatzteile aufgeschrieben. Ich habe immer gesagt: »Jungs, das ist eine Drecksnummer. Ihr verlangt einen Haufen Kohle. Das ist Betrug.« Und dann kam uns ein ganz schlauer Kunde auf die Schliche. Er hatte auf die Batteriestopfen ein Haar gelegt und den Ölfilter markiert, vorher alles fotografiert und die Maschine zum Service gebracht. Beim Abholen sagte er dann: »So, schaut mal her: Das habe ich vorher fotografiert. Den Batteriestopfen so raus- und wieder reindrehen, ohne dass das Haar herunterfällt, das gibt es nicht. Und der Ölfilter ist nicht ausgetauscht worden, da ist noch die Markierung dran. Gar nichts habt ihr gemacht an meinem Motorrad!« »Mach mal keinen Stress«, versuchte der Meister ihn zu beruhigen, »ich muss schauen, was der Lehrling da wieder verbockt hat.« Doch dieses Mal spielte ich nicht mit. »Wenn du mir das anhängst, dann seid ihr morgen in der Zeitung. Ich habe euch immer gesagt, dass ich den Scheiß nicht machen will, und ihr habt gesagt, ich soll die Klappe halten und meinen Job machen! Du kannst dir sicher sein, dass ich den ganzen Laden auffliegen lasse.« Mein Meister wartete noch genau bis zu dem Tag, als meine Militärzeit vorbei war, dann wurde ich vor die Tür gesetzt: Danke und auf Wiederschauen. Ich wäre gern Motorradmechaniker geblieben, aber mein Gerechtigkeitssinn, an dem ich ohne Rücksicht auf Verluste festhielt, machte mir einen Strich durch die Rechnung. Da stand ich also, ohne Geld und ohne Job. Um mir das Fallschirmspringen zu finanzieren, begann ich auf dem Bau zu arbeiten und Gelegenheitsjobs anzunehmen. Einer der Jobs war der des Paketausträgers bei einem namhaften Automobilhersteller, zweimal die Woche. Bald schon war ich dort geringfügig beschäftigt und verdiente ein Traumgehalt von 3650 Schilling im Monat! Richtig beliebt wurde ich, als in einem der Büros einmal irgendein riesengroßer Metallkasten verschoben werden musste, wofür keiner von den Angestellten kräftig genug war. »Herr Baumgartner, könnten Sie nicht kurz den Kasten …?« »Ja, logisch. Ärmel hoch und los!« Ich kam mir vor wie der Typ in der Coca-Cola-Werbung, in der alle Sekretärinnen sich um halb eins ans Fenster ihres Großraumbüros begeben, um einen Bauarbeiter bei seiner oberkörperfreien Mittagspause zu bestaunen. »Herr Baumgartner, wollen Sie nicht noch einen Kaffee mit uns trinken?« In jedem Büro, in dem ich ein Paket abzugeben hatte, schäkerte ich zehn Minuten lang mit dem weiblichen Personal. Es war warm, ich hatte ein Dach über dem Kopf, und ab und zu durfte ich mit dem schicken Wagen der Chefin fahren, ihre Klamotten aus der Reinigung holen oder einen Ring vom Juwelier. Ich selbst fuhr damals nur einen uralten Mercedes-Bus. Der Job hat richtig Spaß gemacht. Bis zu der Geschichte mit dem Buch. Ich sollte ein Paket ausliefern, dessen Absender und Empfänger nicht zu entziffern waren. Nach kurzem Überlegen entschloss ich mich, das Paket zu öffnen und einen Blick auf das Begleitschreiben zu werfen, um herauszufinden, wer der Adressat war. Statt eines Anschreibens lag ein Buch in dem Paket mit dem Titel »Die 1000 Fehler des«, gefolgt von dem Namen eines der meistverkauften Automodelle Europas. Was war das? Meine Neugierde war geweckt, und ich begann, in dem Buch zu blättern. Es war eine Art Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Kunden von Vertragswerkstätten. Wie konnte dieser oder jener Fehler des Autos einem gewöhnlichen Kunden erklärt werden? Bei welcher Art von kritisch versiertem Techniker kam man nicht umhin, den Fehler kostenlos beheben zu lassen? Und welche haarsträubende Geschichte konnte man hingegen einer alten, gebrechlichen Pensionistin erzählen? Das Buch war ein Meilenstein in meiner Persönlichkeitsentwicklung. So schaut das Leben also aus, dachte ich mir. Wenn du dich auskennst, kommst du zu deinem Recht. Wenn du gutgläubig bist, verkaufen sie dich für dumm. Was ich in diesem Buch las, erinnerte mich sofort an eine Eigenschaft, die ich an meinem Vater immer besonders geschätzt hatte. Niemand konnte ihm je etwas vormachen. Wenn er etwas zu reklamieren hatte, ging er rein in den Laden und kam mit dem wieder raus, was er wollte. Meine Mutter hat sich in solchen Momenten geschämt, aber ich bin jedes Mal gern mitgegangen, stand neben meinem Vater, hab zugehört und gedacht: Stark! »Du musst den Mund aufmachen und gut argumentieren. Nur rumschreien bringt nichts«, hatte mir mein Vater erklärt. Er hat nie geschrien, sondern mit erhobener Stimme gesagt, was Sache ist. Ich habe gemerkt, dass man zu seinem Recht kommen kann, auch wenn es mit Mühe verbunden ist. Das habe ich sicher von meinem Vater gelernt. Der war ein Meister darin. Nach der Sache mit dem Buch zählte ich eins und eins zusammen und beschloss, meine Zukunft zielgerichteter in die Hand zu nehmen. Auch wenn das angesichts meiner angespannten finanziellen Situation zunächst noch bedeutete, dass ich zu einem Meister der Improvisation werden musste. Ich hatte inzwischen das Fach gewechselt vom Fallschirmspringen zum B. A. S. E.-Jumping, dem freien Fall von Gebäuden (Building), Sendemasten (Antenna), Brücken (Span) und Felsvorsprüngen (Earth), im letzten Moment gebremst durch einen Fallschirm, der einen sicher zu Boden schweben lässt. Beim Fallschirmspringen ist dein Fallschirm darauf ausgelegt, etwa 800 Meter über dem Boden geöffnet zu werden. Er ist so gepackt, dass er sich sanft, also verhältnismäßig langsam öffnet. Außerdem führst du einen Reserveschirm mit dir. Selbst wenn der Hauptfallschirm defekt sein sollte, hat man als Springer so relative Sicherheit. Beim Base-Springen muss sich der Fallschirm wegen der geringeren Absprunghöhe deutlich schneller öffnen und den Fall viel rasanter bremsen. Deshalb ist der Fallschirm meist größer, um eine möglichst hohe Bremswirkung zu erzielen, und wird von einem Hilfsschirm aus dem sogenannten Base Rig auf deinem Rücken gezogen. Normalerweise gibt es keinen Reserveschirm, weil dir als Springer ohnehin keine Zeit bleiben würde, ihn zu öffnen. Bei besonders niedrigen Sprunghöhen wird der Hilfsschirm nicht im Rucksack gelassen, sondern bereits beim Absprung in der Hand gehalten. So lässt sich der Hauptschirm deutlich schneller öffnen. Ich hatte mir vorgenommen, mit einer guten Videoaufnahme von einem meiner Sprünge in die »Red Bull Sports Compilation« aufgenommen zu werden, mit der jedes Jahr zur Weihnachtszeit die besten Projekte der besten Red-Bull-Athleten präsentiert werden. Die Filme auf der Compilation werden noch heute weltweit in Diskotheken, Gaststätten und an anderen öffentlichen Orten gezeigt. Red Bull hatte damals noch keine eigenen Kamerateams, aber man konnte sich als Athlet eine Kamera ausleihen. Allerdings konnte ich mich mit dem Riesending schlecht selbst in der Luft filmen. Ich rief also meinen deutschen Kumpel Wolfgang di Ruggerio an, den ich beim Base- Springen kennengelernt hatte und der ein Schnittstudio besaß: »Kannst du mit nach Norwegen fahren? Ich zahle dir den Flug und das Essen, und du filmst mich. Verdienen tust du nichts, aber es kostet dich auch nichts.« Wenig später saßen wir zusammen in einem Camp im Nirgendwo. Sprit und Essen, alles war sauteuer, weil es mit dem Schiff gebracht werden musste. Der Campbesitzer, Einar hieß er, sagte eines Morgens zu mir: »Ich mache immer diese Pfannkuchen, und die, die vom Vortag übrig bleiben, die kannst du haben. Kostet dich nichts.« Alte, vertrocknete Pfannkuchen? Mir war es egal. Hauptsache, ich hatte etwas zu essen. Ich begnügte mich also mit den Pfannkuchen vom Vortag, während Wolfgang neben mir saß mit einer riesigen Pizza. Ich machte die Sprünge und aß schlechter als der Kameramann, dem ich die Reise spendiert hatte, ein stattlicher Mann mit ordentlich Hunger, der sagte: »Sorry, aber die Pizza brauche ich selbst. Ich muss ja morgen wieder mit dir den Berg rauflaufen.« Aber es war mir egal, wie viele alte Pfannkuchen ich essen musste, weil ich wusste: Ich komme mit coolen Aufnahmen heim und leite die nächste Phase meiner Sportlerlaufbahn ein.
© Piper Verlag GmbH, München 2013
Und so packe ich nun nach der schlaflosen Nacht in Santa Monica meine Sachen, sperre das Zimmer ab und denke: Du verlässt jetzt alles, wofür du gearbeitet hast. 25 Jahre lang habe ich mich indirekt für dieses Projekt vorbereitet. Jeder Sprung war ein Baustein, ein Teil des Ganzen. Ich steige ins Auto. Bestimmt 50 Mal bin ich hier schon zum Flughafen gefahren, aber diesmal läuft es ab wie in Zeitlupe, wie in Trance. Ich nehme die Lichter in der Nacht ganz anders wahr. Ich fliege heim, lasse alles hinter mir. Ich kann nicht zurück, muss mir Luft verschaffen, ohne Rücksicht auf das, was ich damit auslöse. Ich muss jetzt mal an mich denken. Ein Telefonat. Es ist immer einfacher, wenn man jemandem nicht in die Augen sehen muss. Ich sage: »Jungs, ich habe Probleme mit dem Anzug. Ich weiß, das kommt ein bisschen spät. Aber ich muss zurück nach Österreich, ich brauche mein gewohntes Umfeld: Eltern, Freundin, Menschen, bei denen ich mich wohlfühle.« Hier sind im Laufe der Zeit alle zu Feinden geworden. Joe Kittinger, Art Thompson, die Leute, die für mich arbeiten: alles Feinde – weil sie mit meinem Problem zu tun haben. Weil sie wollen, dass ich fünf Stunden in diesem Anzug verbringe. Diese Folterknechte! Am Flughafen rufe ich Art an, unseren Projektleiter, und beichte ihm alles. Er schreit und flucht nicht, sagt nur: »Warte, ich komme!« Ich sitze in einer Ecke und heule Rotz und Wasser. Die Leute schauen, ein Polizist kommt zu mir und fragt, ob alles okay ist. Nein. Ist es nicht. Ich gebe auf. Ich bin am Ende, am tiefsten Punkt meines höchsten Sprungs.
Pfannkuchen vom Vortag – wie ich Red-Bull-Athlet wurde
Das Headquarter des Weltkonzerns Red Bull liegt heute in Fuschl am See unweit von Salzburg. Dort arbeiten rund 500 der weltweit 9000 Angestellten am Erfolg des führenden Anbieters für Energy-Drinks. Zu Beginn der 1980er- Jahre, als der Konzern gegründet wurde, residierte Red Bull noch nicht am Fuschlsee, sondern in Salzburg in der Alpenstraße. Im oberen Stock der Berger Bank hatte Dietrich Mateschitz sein Büro. Kennengelernt habe ich den Mann, der 1944 in Sankt Marein in der Steiermark zur Welt kam und mit Red Bull die Welt der Energy-Drinks eroberte, über den Heeressportverein Salzburg. Dieser trägt heute den Namen HSV Red Bull Salzburg. Mit dem Fallschirmspringen habe ich 1986 begonnen, mit 16 Jahren, als Zivilperson beim Heeressportverein unter der Anleitung des Vereinschefs Roland Rettenbacher. Zwei Jahre später verpflichtete ich mich beim Bundesheer und kam nach einer Zeit als Panzerfahrer und Ausbilder ins hochprofessionell betriebene Leistungszentrum der Fallschirmspringer nach Wiener Neustadt. Neben dem Fallschirmspringen lernte ich dort auch Boxen, weil mir nach Dienstschluss oft langweilig war. Ich brachte es sogar zu einem Profikampf, am 5. August 1992 gegen einen Kroaten, der in der ersten Runde k. o. ging. Mein erster und bis heute einziger professioneller Kampf. Ebenfalls 1992 veranstaltete Red Bull in Wien seinen ersten »Red Bull Flugtag«. Die Idee dieses verrückten Wettbewerbs, der bis heute jedes Jahr in einer anderen Stadt auf der Welt ausgetragen wird: Die Teilnehmer stürzen sich in selbst gebauten Fluggeräten von einer Rampe ins Gewässer. Bewertet werden Flugweite und Originalität des Geräts. Für den Flugtag in Wien suchte Red Bull damals nach Fallschirmspringern, die zu Beginn des Wettbewerbs auf der Rampe landen sollten. Die Suche führte den Konzern nach Salzburg, wo es zu dieser Zeit nur zwei Vereine gab: den 1. Salzburger Fallschirmspringerclub und den Heeressportverein, in dem ich Mitglied war. Meine Kameraden und ich mussten nicht lange überredet werden, wir machten beim Flugtag mit, landeten cool auf der Rampe, und Dietrich Mateschitz war so begeistert, dass er sich entschloss, unseren Verein zu unterstützen. Von der Summe, die er uns zur Verfügung stellte, konnten wir uns ein paar neue Fallschirme kaufen. Logisch, dass da Red Bull draufstand. Und von da an war ich einer der ersten Red- Bull-Sportler. Heute sind es 650 Athleten und zahlreiche Mannschaften. Als Maschinenschlosserlehrling verdiente ich damals 1550 Schilling im Monat – ein Fallschirmsprung kostete 150 Schilling pro 1000 Meter. An einem guten Vormittag sprang ich vielleicht vier-, fünfmal, da war die Hälfte vom Monatslohn schnell weg. Und wenn die anderen dann am Nachmittag fragten: »Springen wir noch mal?«, musste ich immer antworten: »Sorry, Jungs, aber heute ist erst der 14., ich hab noch ein bisschen was vor diesen Monat.« Zu dieser Zeit hatte ich wirklich eine Kriegskasse, die ich mir immer ganz knapp einteilen musste, wenn ich mal ein bisschen ausgehen wollte. Während alle anderen mit 16, 17 längst ihre eigenen Mopeds gekauft oder geschenkt bekommen hatten, fuhr ich immer noch mit dem Fahrrad herum. Leisten konnte ich mir das Fallschirmspringen nur, weil meine Mutter ab und an ein bisschen Geld von meinem Vater abzweigte. Nicht Tausende von Schillingen, sondern hier und da mal 150 Schilling. Immer mit dem Hinweis: »Das sagen wir dem Papa aber nicht.« Meine Mutter war für den Haushalt verantwortlich, fürs Putzen, Kochen, Waschen, fürs Kindererziehen – und für die Banküberweisungen. Mein Vater verdiente als Einrichtungsberater gutes Geld, hatte aber nie Zeit, sich um finanzielle Angelegenheiten zu kümmern. Er ist ein extrem sparsamer Mensch, der für Sport nie viel übriggehabt hat. Sein Kommentar zu meinen Sprüngen lautete: »Wenn du das Geld zum Fallschirmspringen hast, kannst du es dafür ausgeben. Du solltest es aber besser sparen.« Damals litt ich unter seiner Sparsamkeit, heute muss ich oft darüber lachen. Ich erinnere mich, wie mein Vater einmal mit einem Paar Schuhe auf dem Gepäckträger seines Fahrrads durch die Gegend fuhr, um einen Schuster zu finden, der sie neu besohlen sollte. Und wir sprechen hier nicht von einem Paar schicker handgenähter Lederschuhe, sondern von Billigtretern. Als er wieder zurückkam, klemmten seine Schuhe unberührt auf dem Gepäckträger. »Was hast du denn jetzt so lange gemacht? Und wieso sind auf den Schuhen noch die alten Sohlen?«, fragte ich. »Na ja, ich hab einen Schuster gefunden, der sieben Euro verlangt. Und ich habe mich an einen anderen erinnert, der macht es für fünf. Der hatte aber schon geschlossen. « Er fuhr also zwei Tage mit seinem Paar Schuhe herum und hatte am Ende zwei Euro gespart.
Als ich mit 22 Jahren, nach vier Dienstjahren, das Österreichische Bundesheer verließ, wollte ich einen Abschluss als Kfz-Mechaniker machen, spezialisiert auf Motorräder. Mit 18 hatte ich mir mein erstes Motorrad gekauft, eine Yamaha RD 500. Eine Unfallmaschine, die ich eigenhändig wieder herrichtete. Ich war damals bereits ausgebildeter Maschinenschlosser und schraubte für mein Leben gern an Motorrädern. Jetzt wollte ich es richtig lernen. Ich heuerte bei einer Werkstatt an, der durch meine Mitarbeit keine Kosten entstanden, weil mich das Militär weiterhin bezahlte. So bekam ich die Möglichkeit, mich nach der Zeit beim Heer wieder an die Arbeitswelt zu gewöhnen. Lange sollte diese Episode allerdings nicht dauern. Eines Tages, an einem Freitag, kam morgens ein Kunde mit seinem Motorrad in unsere Werkstatt und bat mich um einen kurzfristigen Servicetermin. Er wollte am nächsten Morgen um vier in der Früh mit seinen Freunden nach Griechenland fahren und hatte gerade noch rechtzeitig bemerkt, dass auf der langen Fahrt sein Kilometerservice fällig geworden wäre. Ich versicherte ihm, dass wir den Service übernehmen würden und er seine Maschine am selben Tag kurz vor Ladenschluss abholen könne. Kaum war seine Maschine auf der Hebebühne, kam der Verkaufsleiter zu mir. »Dem sein Motorrad machen wir heute nicht.« »Aber der hat doch einen Termin.« »Der Typ wollte sich neulich ein neues Motorrad kaufen und hat sich bei meinem Chef beschwert, weil ich ihm nicht genügend Prozente geben wollte. Und ich hab dann den Ärger bekommen.« »Ich bin hier ja nur Auszubildender, aber der Typ möchte morgen mit seinen Jungs nach Griechenland fahren. Wenn der später kommt und die Maschine ist nicht fertig …« »Dann ist das nicht dein Problem. Hau sie wieder runter von der Hebebühne!« Ich konnte es nicht fassen. Dann hätte ich ihm doch lieber gleich keinen Termin gegeben. Ich konnte dem Mann doch unmöglich den Service versprechen und das Motorrad dann einfach stehen lassen. Das widersprach meinem Gerechtigkeitssinn, der bei mir aus irgendeinem Grund schon immer besonders stark ausgeprägt war. Als der Kunde dann am späten Nachmittag kam, musste ich erklären: »Wir hatten heute so viel Stress, ich bin nicht dazu gekommen.« Er wurde kreidebleich und begann, zu weinen wie ein kleines Kind. Sein Griechenland-Trip war seit Monaten geplant, und wenn er jetzt ohne Service einen Motorschaden bekäme, wäre die Reparatur nicht von der Garantie abgedeckt. Für ihn brach eine Welt zusammen. Ich lief zum Verkäufer, der sich in seinem Büro verschanzt hatte, und sagte zu ihm: »So, da kannst du dich jetzt selber drum kümmern. Der Servicetyp sitzt vorne in der Werkstatt und heult Rotz und Wasser. Das musst du ausbügeln.« Der Verkaufsleiter ging zu ihm hin und sagte: »Wenn der Felix morgen um fünf Uhr in der Früh kommt und deine Jungs ein bisschen später losfahren, macht er dir den Service noch.« Daraufhin bat ich den Verkäufer um ein kurzes Gespräch unter vier Augen. »Okay, kein Problem. Ich komme morgen um fünf rein und arbeite an meinem sauer verdienten Wochenende. Aber ich stemple ein. Das sind Überstunden. Meine Dienstzeit geht von Montag bis Freitag.« »Das soll der zahlen, wenn du schon extra kommst. Mach mit dem was aus«, entgegnete der Verkaufsleiter. »Der Typ hatte heute einen Termin«, erwiderte ich, »und wir haben es nicht gemacht. Seine Kumpels fahren morgen nur wegen uns zwei Stunden später weg, und jetzt soll er auch noch einen Aufpreis zahlen.« Am nächsten Tag habe ich den Service gemacht. Und dem Kunden keinen Zuschlag abgenommen. Am Montag prüfte der Verkaufsleiter in der Früh als Erstes meine Stempelkarte und sagte: »Du hast ja abgestempelt. « »Ja, logisch.« Und von da an steckte ich in der Schublade mit der Aufschrift: »Unbequemer Mitarbeiter«. Es gab immer wieder Probleme. Mit jeder Woche wurde mir klarer, dass die Werkstatt ihre Kunden nach Strich und Faden betrog. Pro Tag wurden zwischen fünf und acht Motorradservices gemacht. Jeder Service dauerte ungefähr dreieinhalb Stunden. Acht mal dreieinhalb: Das macht 28 Arbeitsstunden am Tag. Der hat aber nun mal nur 24 Stunden. Und ein Arbeitstag sogar nur acht. Wenn wir Ventile einstellen mussten, sollten wir nur kurz horchen, ob ein Klappern zu hören war. Nein? Okay, passt. Abwischen, Motor sauber, fertig. Den Ölfilter haben wir teilweise gar nicht getauscht, sondern nur so gereinigt, dass er neu aussah – und die vermeintlichen Ersatzteile aufgeschrieben. Ich habe immer gesagt: »Jungs, das ist eine Drecksnummer. Ihr verlangt einen Haufen Kohle. Das ist Betrug.« Und dann kam uns ein ganz schlauer Kunde auf die Schliche. Er hatte auf die Batteriestopfen ein Haar gelegt und den Ölfilter markiert, vorher alles fotografiert und die Maschine zum Service gebracht. Beim Abholen sagte er dann: »So, schaut mal her: Das habe ich vorher fotografiert. Den Batteriestopfen so raus- und wieder reindrehen, ohne dass das Haar herunterfällt, das gibt es nicht. Und der Ölfilter ist nicht ausgetauscht worden, da ist noch die Markierung dran. Gar nichts habt ihr gemacht an meinem Motorrad!« »Mach mal keinen Stress«, versuchte der Meister ihn zu beruhigen, »ich muss schauen, was der Lehrling da wieder verbockt hat.« Doch dieses Mal spielte ich nicht mit. »Wenn du mir das anhängst, dann seid ihr morgen in der Zeitung. Ich habe euch immer gesagt, dass ich den Scheiß nicht machen will, und ihr habt gesagt, ich soll die Klappe halten und meinen Job machen! Du kannst dir sicher sein, dass ich den ganzen Laden auffliegen lasse.« Mein Meister wartete noch genau bis zu dem Tag, als meine Militärzeit vorbei war, dann wurde ich vor die Tür gesetzt: Danke und auf Wiederschauen. Ich wäre gern Motorradmechaniker geblieben, aber mein Gerechtigkeitssinn, an dem ich ohne Rücksicht auf Verluste festhielt, machte mir einen Strich durch die Rechnung. Da stand ich also, ohne Geld und ohne Job. Um mir das Fallschirmspringen zu finanzieren, begann ich auf dem Bau zu arbeiten und Gelegenheitsjobs anzunehmen. Einer der Jobs war der des Paketausträgers bei einem namhaften Automobilhersteller, zweimal die Woche. Bald schon war ich dort geringfügig beschäftigt und verdiente ein Traumgehalt von 3650 Schilling im Monat! Richtig beliebt wurde ich, als in einem der Büros einmal irgendein riesengroßer Metallkasten verschoben werden musste, wofür keiner von den Angestellten kräftig genug war. »Herr Baumgartner, könnten Sie nicht kurz den Kasten …?« »Ja, logisch. Ärmel hoch und los!« Ich kam mir vor wie der Typ in der Coca-Cola-Werbung, in der alle Sekretärinnen sich um halb eins ans Fenster ihres Großraumbüros begeben, um einen Bauarbeiter bei seiner oberkörperfreien Mittagspause zu bestaunen. »Herr Baumgartner, wollen Sie nicht noch einen Kaffee mit uns trinken?« In jedem Büro, in dem ich ein Paket abzugeben hatte, schäkerte ich zehn Minuten lang mit dem weiblichen Personal. Es war warm, ich hatte ein Dach über dem Kopf, und ab und zu durfte ich mit dem schicken Wagen der Chefin fahren, ihre Klamotten aus der Reinigung holen oder einen Ring vom Juwelier. Ich selbst fuhr damals nur einen uralten Mercedes-Bus. Der Job hat richtig Spaß gemacht. Bis zu der Geschichte mit dem Buch. Ich sollte ein Paket ausliefern, dessen Absender und Empfänger nicht zu entziffern waren. Nach kurzem Überlegen entschloss ich mich, das Paket zu öffnen und einen Blick auf das Begleitschreiben zu werfen, um herauszufinden, wer der Adressat war. Statt eines Anschreibens lag ein Buch in dem Paket mit dem Titel »Die 1000 Fehler des«, gefolgt von dem Namen eines der meistverkauften Automodelle Europas. Was war das? Meine Neugierde war geweckt, und ich begann, in dem Buch zu blättern. Es war eine Art Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Kunden von Vertragswerkstätten. Wie konnte dieser oder jener Fehler des Autos einem gewöhnlichen Kunden erklärt werden? Bei welcher Art von kritisch versiertem Techniker kam man nicht umhin, den Fehler kostenlos beheben zu lassen? Und welche haarsträubende Geschichte konnte man hingegen einer alten, gebrechlichen Pensionistin erzählen? Das Buch war ein Meilenstein in meiner Persönlichkeitsentwicklung. So schaut das Leben also aus, dachte ich mir. Wenn du dich auskennst, kommst du zu deinem Recht. Wenn du gutgläubig bist, verkaufen sie dich für dumm. Was ich in diesem Buch las, erinnerte mich sofort an eine Eigenschaft, die ich an meinem Vater immer besonders geschätzt hatte. Niemand konnte ihm je etwas vormachen. Wenn er etwas zu reklamieren hatte, ging er rein in den Laden und kam mit dem wieder raus, was er wollte. Meine Mutter hat sich in solchen Momenten geschämt, aber ich bin jedes Mal gern mitgegangen, stand neben meinem Vater, hab zugehört und gedacht: Stark! »Du musst den Mund aufmachen und gut argumentieren. Nur rumschreien bringt nichts«, hatte mir mein Vater erklärt. Er hat nie geschrien, sondern mit erhobener Stimme gesagt, was Sache ist. Ich habe gemerkt, dass man zu seinem Recht kommen kann, auch wenn es mit Mühe verbunden ist. Das habe ich sicher von meinem Vater gelernt. Der war ein Meister darin. Nach der Sache mit dem Buch zählte ich eins und eins zusammen und beschloss, meine Zukunft zielgerichteter in die Hand zu nehmen. Auch wenn das angesichts meiner angespannten finanziellen Situation zunächst noch bedeutete, dass ich zu einem Meister der Improvisation werden musste. Ich hatte inzwischen das Fach gewechselt vom Fallschirmspringen zum B. A. S. E.-Jumping, dem freien Fall von Gebäuden (Building), Sendemasten (Antenna), Brücken (Span) und Felsvorsprüngen (Earth), im letzten Moment gebremst durch einen Fallschirm, der einen sicher zu Boden schweben lässt. Beim Fallschirmspringen ist dein Fallschirm darauf ausgelegt, etwa 800 Meter über dem Boden geöffnet zu werden. Er ist so gepackt, dass er sich sanft, also verhältnismäßig langsam öffnet. Außerdem führst du einen Reserveschirm mit dir. Selbst wenn der Hauptfallschirm defekt sein sollte, hat man als Springer so relative Sicherheit. Beim Base-Springen muss sich der Fallschirm wegen der geringeren Absprunghöhe deutlich schneller öffnen und den Fall viel rasanter bremsen. Deshalb ist der Fallschirm meist größer, um eine möglichst hohe Bremswirkung zu erzielen, und wird von einem Hilfsschirm aus dem sogenannten Base Rig auf deinem Rücken gezogen. Normalerweise gibt es keinen Reserveschirm, weil dir als Springer ohnehin keine Zeit bleiben würde, ihn zu öffnen. Bei besonders niedrigen Sprunghöhen wird der Hilfsschirm nicht im Rucksack gelassen, sondern bereits beim Absprung in der Hand gehalten. So lässt sich der Hauptschirm deutlich schneller öffnen. Ich hatte mir vorgenommen, mit einer guten Videoaufnahme von einem meiner Sprünge in die »Red Bull Sports Compilation« aufgenommen zu werden, mit der jedes Jahr zur Weihnachtszeit die besten Projekte der besten Red-Bull-Athleten präsentiert werden. Die Filme auf der Compilation werden noch heute weltweit in Diskotheken, Gaststätten und an anderen öffentlichen Orten gezeigt. Red Bull hatte damals noch keine eigenen Kamerateams, aber man konnte sich als Athlet eine Kamera ausleihen. Allerdings konnte ich mich mit dem Riesending schlecht selbst in der Luft filmen. Ich rief also meinen deutschen Kumpel Wolfgang di Ruggerio an, den ich beim Base- Springen kennengelernt hatte und der ein Schnittstudio besaß: »Kannst du mit nach Norwegen fahren? Ich zahle dir den Flug und das Essen, und du filmst mich. Verdienen tust du nichts, aber es kostet dich auch nichts.« Wenig später saßen wir zusammen in einem Camp im Nirgendwo. Sprit und Essen, alles war sauteuer, weil es mit dem Schiff gebracht werden musste. Der Campbesitzer, Einar hieß er, sagte eines Morgens zu mir: »Ich mache immer diese Pfannkuchen, und die, die vom Vortag übrig bleiben, die kannst du haben. Kostet dich nichts.« Alte, vertrocknete Pfannkuchen? Mir war es egal. Hauptsache, ich hatte etwas zu essen. Ich begnügte mich also mit den Pfannkuchen vom Vortag, während Wolfgang neben mir saß mit einer riesigen Pizza. Ich machte die Sprünge und aß schlechter als der Kameramann, dem ich die Reise spendiert hatte, ein stattlicher Mann mit ordentlich Hunger, der sagte: »Sorry, aber die Pizza brauche ich selbst. Ich muss ja morgen wieder mit dir den Berg rauflaufen.« Aber es war mir egal, wie viele alte Pfannkuchen ich essen musste, weil ich wusste: Ich komme mit coolen Aufnahmen heim und leite die nächste Phase meiner Sportlerlaufbahn ein.
© Piper Verlag GmbH, München 2013
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Inhaltsverzeichnis zu „Himmelsstürmer “
Am tiefsten Punkt des höchsten Sprungs Pfannkuchen vom Vortag – wie ich Red-Bull- Athlet wurde
Zurück im Mission-Modus
Risiko? Nein, danke! – Wie ich Base-Springer wurde
Täuschen und Tarnen – mein erster Weltrekordsprung
Jesus in Rio – ein Bild für die Ewigkeit
Therapie in Lancaster und eine Zwangspause für Stratos
Bittere Pillen und eine Entmachtung
Auf der Zielgeraden: Der Tag X rückt näher
Going home – der Himmelssturm
Mein Weg, meine Träume – wie es weitergeht
»Wer weiß, was ihm alles noch einfällt.« Eva Baumgartner im Gespräch über ihren Sohn und ihre Ängste
Nachwort von Joe Kittinger
Stimmen, Zeichnungen und Dokumente
Bildnachweis
Autoren-Porträt von Felix Baumgartner
Felix Baumgartner, 1969 in Salzburg geboren, war der erste Mensch, der den Ärmelkanal ohne motorisierte Hilfe in der Luft überquerte. Er absolvierte den vermutlich schwierigsten B.A.S.E.-Jump aller Zeiten in einen 190 Meter tiefen flaschenförmigen Höhlenschacht im kroatischen Velebitgebirge - und schrieb mit seinem Sprung aus dem Weltall Geschichte. Jetzt hat er sich verdient zur Ruhe gesetzt: als Helikopterpilot der Notrettung.
Autoren-Interview mit Felix Baumgartner
Was ist Ihr Lieblingsbuch? Felix Baumgartner: DER PATE von Mario Puzo
Wer war der Held Ihrer Kindheit?
Felix Baumgartner: Die Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins
Was macht Sie nervös?
Felix Baumgartner: Wenn ich in ein Meeting reingehe, um ein Problem zu lösen, und mit zwei neuen Problemen rauskomme.
Mit welcher Person würden Sie gerne einen Tag tauschen?
Felix Baumgartner: Mit einem Kommandanten der International Space Station ISS
Womit kann man Sie glücklich machen?
Felix Baumgartner: Mit einer Stunde Helikopter fliegen
Bibliographische Angaben
- Autor: Felix Baumgartner
- 2013, 272 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Masse: 14,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarbeit: Becker, Thomas
- Verlag: Malik
- ISBN-10: 3890294286
- ISBN-13: 9783890294285
- Erscheinungsdatum: 14.05.2013
Rezension zu „Himmelsstürmer “
"Einen persönlichen Blick ins Innenleben der legendären 'Mission Stratos' liefert Baumgartner bei Malik.", Buchreport, 06.06.2013
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