Hexenkind
Ein Pilzesammler entdeckt in einem einsam gelegenen alten Bauernhaus in der Toscana eine schlimm zugerichtete Leiche. Der deutschstämmigen Sarah, Frau des Trattoriabesitzers Romano, hat jemand die Kehle durchgeschnitten. Dieser Mord ist aber erst der...
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Ein Pilzesammler entdeckt in einem einsam gelegenen alten Bauernhaus in der Toscana eine schlimm zugerichtete Leiche. Der deutschstämmigen Sarah, Frau des Trattoriabesitzers Romano, hat jemand die Kehle durchgeschnitten. Dieser Mord ist aber erst der Anfang für ein Verhängnis, das vor Jahren in Deutschland begann, sich nun über die ganze Familie auszubreiten beginnt und sich bis zu einem bitterbösen Ende steigert.
Ein Pilzesammler entdeckt in einem einsam gelegenen alten Bauernhaus in der Toscana eine schlimm zugerichtete Leiche. Der deutschstämmigen Sarah, Frau des Trattoriabesitzers Romano, hat jemand die Kehle durchgeschnitten. Dieser Mord ist aber erst der Anfang für ein Verhängnis, das vor Jahren in Deutschland begann, sich nun über die ganze Familie auszubreiten beginnt und sich bis zu einem bitterbösen Ende steigert.
Hexenkind vonSabine Thiesler
LESEPROBE
Toskana, 21. Oktober 2005
1
Noch nie in seinem Leben hatte er soviel Blut gesehen. Er lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete sich dabei,wie er atmete. Ein - aus - ein - aus. Bloss nicht aufhören, jetzt bloss nichtschwindlig werden. Er blinzelte, drückte die Augen ganz fest zu und machte siedann langsam wieder auf. Sein Blick war klar, mit den Augen hatte es nichts zutun und auch nicht mit seinem Verstand. Was er sah, war eindeutig Blut, obwohler es nicht begreifen konnte.
Er war an diesem Morgen bereits imDunkeln aufgebrochen, hatte seinen Wagen in Solataunter der Kastanie in der Ortsmitte stehen lassen und war dann - begleitet vomwütenden Gekläff mehrerer Hunde - losgewandert. Jetzt war es zwanzig nachsieben, und die Sonne ging auf. In einer Viertelstunde würde sie hinter Volpaio auftauchen, aber noch war es ziemlich dunkel imdichten Wald, in dem das Haus Sarah Simonettis stand.Sie hatte den Wald nie lichten lassen, obwohl die meisten Baumstämme meterhoch,aber nicht dicker waren als ein Kinderarm. Sarah liebte die Dunkelheit und dieStille, als brauche sie ein Versteck.
Marcello ging langsam. Seit seinemHerzinfarkt vor über zwei Jahren machte er regelmässig lange ruhige Spaziergänge,die jetzt im Herbst besonders lohnend waren, da er Pilze suchen konnte. In derlinken Hand trug er den Korb, den er sorgsam mit Blättern ausgelegt hatte, undin der rechten hielt er den Stock, mit dem er den Waldboden absuchte, indem erErika, Unterholz und Gestrüpp zur Seite schob. Bisher hatte er lediglich zweiwinzige Pfifferlinge und einen mittelgrossen Steinpilz gefunden, aber der Vormittagwar noch lang, und er wusste, dass erst jetzt das Gebiet begann, wo diemeisten Steinpilze wuchsen.
Sarah suchte nie Pilze. »Für einPilzgericht, das mir noch nicht einmal besonders gut schmeckt, setze ich nichtmein Leben aufs Spiel«, hatte sie häufig gesagt. Obwohl er ihr schon imvergangenen Jahr angeboten hatte, die Pilze auf ihre Geniessbarkeit hin zuprüfen, hatte sie abgelehnt. »Viel Spass beim Suchen«, sagte sie. »Und gutenAppetit. Ich halte mich da raus.«
Er wusste also, dass er sie nichtstörte, wenn er das terrassenförmig angelegte Gebiet ums Haus herum abging,aber er bemühte sich dennoch, so leise wie möglich zu sein, um sie nicht zuerschrecken.
An diesem Morgen war irgendetwasanders. Das spürte er, als er zwischen den Bäumen und dem meterhohen Weissdornhinunter auf das Dach ihres Hauses sah, das sich an den Berg schmiegte, jabeinah darin verschwand.
Er blieb stehen und horchte. Es warungewöhnlich still. Kein Windhauch rauschte in den Blättern der Eichen, er strengtesich an und konzentrierte sich, aber es war noch nicht mal der Gesang oder dasRufen eines Vogels zu hören.
Er war schon Monate nicht mehrhierher gekommen. Hatte es nicht gewagt, hatte immer noch Angst. Aber in den letztenTagen hatte er mehrmals von Sarah geträumt, und die Sehnsucht, die er jetztzweieinhalb Jahre erfolgreich bekämpft hatte, war wieder da. Er wollte nureinmal an ihrem Haus vorbeigehen. Mehr nicht. Immerhin hatte er durch das Pilzesammeln einen Grund und eine Ausrede, falls sie sichwundern sollte. Er wusste, dass sie immer sehr früh aufstand, und wollte sienur einmal kurz sehen. Vielleicht lud sie ihn sogar auf einen Espresso ein.Nichts weiter. Nur ein Espresso auf der kleinen Terrasse vor der Küche. Erwürde auch nicht mit ihr ins Haus gehen. Es würde nichts geschehen. Nicht amfrühen Morgen und nicht nach zweieinhalb Jahren, in denen er gelernt hatte, alleszu vergessen.
Vorsichtig, um nicht auszurutschen,kletterte er den steilen Hang hinunter. Sarah wird wahrscheinlich gar nicht dasein, dachte er sich, schliesslich kommt sie nur ein- bis zweimal in der Wochehierher.
Die Stille machte ihn nervös. Erfröstelte und zog den Reissverschluss seiner Jacke hoch bis unters Kinn. Als erum die Hausecke mehr schlich als ging und sich dabei an einer knorrigen Eichefesthielt, sah er die Haustür sperrangelweit offen stehen.
»Sarah!«,rief er erst leise und dann mehrmals wesentlich lauter. »Signora Simonetti!«
Nichts regte sich. Es blieb so stillwie zuvor. Er konnte sich nur schwer vorstellen, dass Sarah weggegangen und dieTür offen gelassen hatte, noch weniger konnte er sich vorstellen, dass sie beioffen stehender Tür schlief.
Marcello spürte, wie die Angst seinHerz langsam zusammenschnürte, und er überlegte, ob er einfach davonlaufenund irgendwo anders Pilze suchen sollte, aber die Sorge um Sarah hinderte ihndaran.
Er kannte das Haus. Er hatte es sichgenau angesehen, um die Versicherungssumme festzusetzen, und Sarah hatte ausserdemnoch Fotos von jedem Zimmer nachgereicht. Sie hatte das Haus lediglich gegenFeuer versichert, alle anderen Versicherungen hatte sie abgelehnt. »Wozu?«, fragte sie. »Hier kommt niemand in den Wald, um michoder einen alten Stuhl oder meine dicke Jacke zu klauen. Dieses Haus findetüberhaupt niemand, der es nicht kennt.« Ihre Unerschrockenheitund ihr fester Glaube, dass ihr nie etwas geschehen würde, hatten ihnfasziniert. Seiner Frau und seinen Töchtern war es unmöglich, auch nur füreinen kurzen Spaziergang allein in den Wald zu gehen, aber Sarah lebte hier miteiner Sorglosigkeit, die im Dorf kaum jemand verstand.
Jetzt rief er nicht mehr, sondernbetrat, leise »Permesso« murmelnd, die Küche. Ihmwurde bewusst, dass er den Atem anhielt, als er sich umsah. In der Küche warnichts Ungewöhnliches. Sie war sauber und ordentlich, einige Teller und Tassenstapelten sich gespült zum Abtropfen auf einem Tablett, auf dem Tisch stand einkleiner Strauss Buschrosen, und auf dem Herd gab es keinen einzigen noch sowinzigen Fettspritzer. Das Einzigartige in der Küche war die der Türgegenüberliegende Felswand des Berges, die eine ganze Küchenwand ausmachte unddie Sarah völlig naturbelassen hatte.
Neben der Küche war ein kleinerMagazinraum, wo Sarah Haushaltsgegenstände und einige Vorräte aufbewahrte,aber auch das Magazin machte einen ähnlich ordentlichen Eindruck wie dieKüche.
Marcello stellte seinen Pilzkorbneben die Spüle und stieg die leicht gewundene Treppe hoch ins obere Stockwerk.Den Stock behielt er in der Hand. Das winzige Wohnzimmer mit dem kleinen Kaminwar dunkel und leer, Sarah hatte die Fensterläden geschlossen. Auf ihremSchreibtisch lag die angefangene Zeichnung von miteinander tanzenden Bäumen imWald. Marcello wusste, dass Sarah Kinderbücher illustrierte. DieSchreibtischlampe brannte und beleuchtete den Raum notdürftig. An der Wandlehnten weitere Blätter mit Zeichnungen in verschiedenen Formaten, die allevermenschlichte Pflanzen und Tiere zeigten, die zusammen Feste feierten, assen,tranken oder von paradiesischen Zuständen träumten.
Marcello hörte das Blut in seinenOhren rauschen, wie das herannahende Grollen eines schweren Sturms. Seine Handzitterte, als er unendlich langsam die Türklinke zum Schlafzimmerniederdrückte. »Sarah«, flüsterte er, bekam aber keine Antwort.
Sarah hatte auch die Wände ihresSchlafzimmers, die aus schweren Natursteinen gemauert waren, unverputzt gelassen.Zusammen mit den alten, von Holzwürmern zerfressenen Deckenbalken gaben siedem Raum eine fast grottenhafte Atmosphäre.Allerdings hatte sich Sarah in einem florentinischen Möbelgeschäft als Kontrastzu dem rustikalen Flair ein filigranes, golden wirkendes Messingbett bestellt,über dem stets eine weisse Spitzendecke lag. Ansonsten gab es in diesem Zimmernur einen Sessel am Fenster, goldene Kerzenhalter und einen venezianischen Spiegelmit goldverziertem pompösem Rahmen, dem Bett genaugegenüber.
Und in ihrem goldenen Bett lag Sarahnun mit durchgeschnittener Kehle. Ihr Kopf war leicht zur Seite gekippt, undMarcello konnte erkennen, wie tief der Schnitt ging, der Sarahs Kopf beinahvollständig vom Rumpf abgetrennt hatte. Die kostbare Decke und ihr seidener,fliederfarbener Morgenmantel waren von dunkelrotem Blut durchtränkt. Derleichte Mantel klaffte weit auseinander und offenbarte ihre Nacktheit bis zumBauchnabel. Auf dem Mattonifussboden hatte sich einebräunlich rote Pfütze gebildet. Sarahs Blut war sogar gegen die Wand gespritztund hatte ein faszinierendes unregelmässiges Muster auf den buckligen, rauenSteinen hinterlassen.
Marcello ging langsam wenigeSchritte ins Zimmer hinein, und erst jetzt sah er, was ausserdem noch in einer Blutlacheauf dem Boden lag. Die Augen von Caro, dem weissen Terrier, starrten trübe andie Decke und waren weit aus ihren Höhlen getreten. Er sah aus, als habe er inseinem letzten Moment immer noch nicht glauben können, was da gerade mit ihmgeschah. Caro, der den ganzen Tag geherzt, geküsst, gestreichelt, gekrault,durch die Gegend getragen und fast rund um die Uhr mit Leckereien gefüttertwurde, erlebte zum ersten und letzten Mal eine Hand, die ihm nichts Gutes tat,sondern genau wie Frauchen die Kehle durchschnitt.
Irgendein Irrer musste in daseinsame Haus im Wald eingedrungen sein und hatte Sarah und ihren Hund regelrechtabgeschlachtet.
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© Heyne Verlag
- Autor: Sabine Thiesler
- 2007, Originalausgabe, 574 Seiten, Masse: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453432746
- ISBN-13: 9783453432741
- Erscheinungsdatum: 08.10.2007
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