Hannas Töchter
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Hannas Töchter von Marianne Fredriksson
LESEPROBE
Anna wusste, dass sie anspruchsvoll war wie ein Kind. Abertrotzdem, kaum liess sie ihre Gedanken gewähren, gingen sie auch schon mit ihr durch.Nur noch einmal eine Begegnung und vielleicht eine Antwort auf eine der Fragen,die zu stellen ihre Zeit nie ausgereicht hatte. Doch wenn sie dann nach gutfünf Stunden auf dem Parkplatz des Krankenhauses ankam, hatte sie sich damitabgefunden, dass die Mutter sie auch diesmal nicht erkennen würde.
Trotzdem wollte sie die Fragen stellen.
Ich tue es um meinetwillen, dachte sie. Was Mama betrifft,ist es ja egal, worüber ich rede.
Aber sie irrte sich. Johanna verstand zwar die Worte nicht,spürte jedoch den Schmerz der Tochter und ihre eigene Machtlosigkeit. Sie erinnertesich nicht mehr daran, dass es ihre Aufgabe war, dieses Kind zu trösten, dasschon immer unsinnige Fragen gestellt hatte. Doch die Forderung bestand weiterund auch die Schuld an aller Unzulänglichkeit.
Sie wollte in die Stille flüchten, schloss die Augen. Es gingnicht, das Herz schlug, und hinter den Augenlidern war das Dunkel rot undschmerzhaft.
Sie begann zu weinen. Anna versuchte zu trösten, schon gut, schongut, trocknete die Wangen der Greisin und schämte sich.
Johannas Verzweiflung war nicht aufzuhalten, Anna bekamAngst; klingelte um Hilfe. Es dauerte wie üblich, aber dann stand die blonde Frauin der Tür. Sie hatte junge Augen, ohne Tiefe. Auf der blauen Oberfläche standVerachtung, und für einen Augenblick konnte Anna sehen, was jene sah: eine Fraumittleren Alters, verängstigt und hilflos, neben der Uralten, lieber Gott!
»Schon gut, schon gut«, sagte auch sie, aber die Stimme warhart, ebenso hart wie die Hände, die der Greisin übers Haar strichen.
Trotzdem gelang es. Johanna schlief so plötzlich ein, dass esunwirklich schien.
»Wir dürfen die Patienten nicht aufregen«, sagte die Frau.»Jetzt bleiben Sie eine Weile ruhig sitzen. In zehn Minuten kommen wir Windelnwechseln und Betten machen.«
Anna flüchtete lautlos wie ein gescheuchter Hund durch denTagesraum hinaus auf die Terrasse, griff nach ihren Zigaretten und machteeinen tiefen Lungenzug. Das beruhigte, sie konnte denken. Erste Gedanken derWut: was für ein verdammtes Weibsstück, hart wie Granit. Hübsch,selbstverständlich, und ekelhaft jung. Hatte Mama ihr aus Furcht gehorcht, gabes hier eine Disziplin, die die hilflosen Alten spürten, der sie sich fügten?
Dann kamen die Selbstvorwürfe, diese junge Frau tat ihre,Annas, Arbeit, tat alles, was laut Naturgesetz sie hätte tun müssen. Aber nichtkonnte, sich nicht überwinden konnte, selbst wenn Zeit und Platz vorhandengewesen wären.
Zu allerletzt kam die staunenswerte Erkenntnis: Der Mutterwaren die von ihr gestellten Fragen irgendwie nahegegangen.
Sie drückte die Zigarette in der rostigen Blechdose aus, diejemand auf den entferntesten Tisch gestellt hatte, ein widerwilliges Zugeständnisan die Verlorenen. 0 Gott, wie müde sie war. Mama, dachte sie, du wunderbarekleine Mama, warum kannst du nicht barmherzig sein und sterben?
Erschrocken warf sie einen Blick auf den Krankenhauspark, indem die Ahornbäume blühten und nach Honig dufteten. Sie atmete den Duft intiefen Zügen ein, als suche sie Trost beim Frühling. Aber ihre Sinne bliebentaub, ich bin schon selbst fast wie eine Tote, dachte sie, als sie kehrtmachteund mit entschlossenen Schritten zur Tür der Stationsschwester ging, anklopfte,gerade noch denken konnte: Bringen wir's hinter uns, Märta.
Märta war die einzige, die sie hier kannte. Sie begrüsstensich wie alte Freundinnen, die Tochter setzte sich in den Besucherstuhl und wolltegerade zu fragen beginnen, als die Gefühle sie übermannten.
»Ich will nicht heulen«, sagte sie, und dann heulte siedoch.
»Es ist nicht leicht«, die Schwester schob ihr den Kartonmit Papiertüchern hin.
»Ich will wissen, wieviel sie mitkriegt«, sagte Anna undsprach von der Hoffnung, erkannt zu werden, sprach von den Fragen, die sie der Muttergestellt hatte, die nichts begriff und doch verstand.
Märta hörte ohne Erstaunen zu: »Ich glaube, die Altenverstehen in einer Art, die wir nur schwer erfassen. Wie Neugeborene. Sie habenja selbst zwei Kinder bekommen und wissen, dass schon Säuglinge allesmitkriegen, Aufregung und Freude, bestimmt erinnern Sie sich?«
Nein, sie erinnerte sich nicht, erinnerte sich nur ihreseigenen überwältigenden Gefühls von Zärtlichkeit und Versagen. Aber sie wusste,wovon die Krankenschwester sprach, denn sie hatte ihre Enkelkinder, von denensie viel gelernt hatte.
Dann sprach Märta in tröstenden Worten vom Allgemeinzustand deralten Frau, man hatte die wundgelegenen Stellen in den Griff bekommen,körperliche Qualen litt sie also nicht.
»Aber sie ist nachts ein bisschen unruhig«, sagte Märta. »Essieht aus, als hätte sie Alpträume, sie wacht schreiend auf.«
»Träume?«
»Klar träumt sie, das tun alle. Das Traurige ist, dass wirnie erfahren werden, was unsere Patienten so träumen.«
Anna dachte an die Katze, die sie zu Hause gehabt hatten,das schöne Tier, das aus dem Schlaf hochfuhr und mit gespreizten Krallen zufauchen begann. Dann schämte sie sich auch dieses Gedankens.
Doch Schwester Märta sah ihre Verlegenheit nicht.
»Mit Rücksicht auf Johannas schlechten Allgemeinzustand möchtenwir ihr lieber nichts Beruhigendes geben. Ausserdem meine ich, sie braucht ihreTräume vielleicht.«
»Braucht...?«
Schwester Märta überhörte das Erstaunen in Annas Stimme und fuhrfort: »Wir haben vor, ihr ein eigenes Zimmer zu geben. In ihrem jetzigenZustand stört sie die andern im Saal.«
© Wolfgang Krüger Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1997
Übersetzung: Senta Kapoun
Autoren-Porträt vonMarianneFredriksson
Marianne Fredriksson wurde am 28.3.1927 in Göteborg geboren undlebt jetzt in der Nähe von Stockholm. Als Journalistin arbeitete sie lange fürbekannte schwedische Zeitungen und Zeitschriften. 1980 veröffentlichte sie ihrerstes Buch, seitdem hat sie 11 weitere erfolgreiche Romane geschrieben.
- Autor: Marianne Fredriksson
- 2008, 18. Aufl., 384 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Schwed. v. Senta Kapoun
- Übersetzer: Senta Kapoun
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596144868
- ISBN-13: 9783596144860
- Erscheinungsdatum: 01.05.1999
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