Gruppentherapie
Ein Handbuch für die ambulante und stationäre verhaltenstherapeutische Praxis
Gruppentherapie gewinnt in Kliniken und Praxen zunehmend an Bedeutung: Sie hat gegenüber der Einzeltherapie zusätzliche Wirkfaktoren und ist insbesondere als verhaltenstherapeutische Gruppentherapie sehr gut evidenzbasiert.
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Produktinformationen zu „Gruppentherapie “
Gruppentherapie gewinnt in Kliniken und Praxen zunehmend an Bedeutung: Sie hat gegenüber der Einzeltherapie zusätzliche Wirkfaktoren und ist insbesondere als verhaltenstherapeutische Gruppentherapie sehr gut evidenzbasiert.
Dieses Handbuch bietet praktische Hilfen für die Planung und Umsetzung gruppentherapeutisch basierter Methoden und Techniken. Es liefert eine Anleitung zur besseren Strukturierung von Sitzungen sowie klare Regeln zur Interaktion, die Teilnehmern und Therapeuten mehr Sicherheit geben und helfen, schwierige Gruppensituationen zu vermeiden.
Dieses Handbuch bietet praktische Hilfen für die Planung und Umsetzung gruppentherapeutisch basierter Methoden und Techniken. Es liefert eine Anleitung zur besseren Strukturierung von Sitzungen sowie klare Regeln zur Interaktion, die Teilnehmern und Therapeuten mehr Sicherheit geben und helfen, schwierige Gruppensituationen zu vermeiden.
Klappentext zu „Gruppentherapie “
Gruppentherapie gewinnt in Kliniken und Praxen zunehmend an Bedeutung: Sie hat gegenüber der Einzeltherapie zusätzliche Wirkfaktoren und ist insbesondere als verhaltenstherapeutische Gruppentherapie sehr gut evidenzbasiert.Dieses Handbuch bietet praktische Hilfen für die Planung und Umsetzung gruppentherapeutisch basierter Methoden und Techniken. Es liefert eine Anleitung zur besseren Strukturierung von Sitzungen sowie klare Regeln zur Interaktion, die Teilnehmern und Therapeuten mehr Sicherheit geben und helfen, schwierige Gruppensituationen zu vermeiden.
Lese-Probe zu „Gruppentherapie “
Gruppentherapie von Ulrich Schweiger und Valerija Sipos... mehr
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er wächst in Gruppen auf, er lernt, studiert, arbeitet und verbringt seine Freizeit häufig in Gruppen. Gruppen prägen das Verhalten, das emotionale Erleben und Bewertungsprozesse. Die meisten Menschen verbringen nur den kleineren Teil ihres Lebens alleine oder in geschützten Zweierbeziehungen. Die Psychotherapie war von ihren Ursprüngen her in einer geschützten dyadischen Beziehung angesiedelt. Auch die Psychotherapieausbildung war immer sehr stark auf die Einzeltherapie ausgerichtet. Trotz dieser Ausgangsbedingungen hat sich die Gruppentherapie sehr dynamisch entwickelt. Die Methoden der Gruppentherapie gewinnen in der Anwendung in Kliniken und Praxis eine zunehmende Bedeutung. Viele verhaltenstherapeutische Gruppentherapiemethoden sind sehr gut evidenzbasiert. Störungsspezifische Gruppentherapien sind in der Regel bezüglich ihrer Prinzipien und Inhalte detailliert manualisiert, werden durch gut ausgearbeitete Materialien unterstützt und können dadurch ohne hohen Aufwand in standardisierter Qualität angeboten werden. Eine Gruppentherapie spart nicht nur Behandlungskosten, sie hat auch mit der Einzeltherapie gemeinsame sowie zusätzliche Wirkfaktoren und ist ihr in der Gesamtwirkung zumindest ebenbürtig. Gruppentherapie ist aufgrund der spezifischen Übungsmöglichkeiten die Methode der ersten Wahl bei Störungen mit Problemen der sozialen Kommunikation. Die Durchführung einer Gruppentherapie ist allerdings auch mit spezifischen Problemen verbunden. Die Einarbeitung in gruppentherapeutische Methoden erfolgt häufig durch Versuch und Irrtum oder durch Orientierung am Modell erfahrener Kollegen. Aus der Patientenperspektive werden Gruppen gelegentlich als verunsichernd oder unstrukturiert wahrgenommen. Viele Therapeuten fühlen sich durch Gruppentherapien überlastet und ziehen die Einzeltherapie vor. Die Patienten können dann die Wirkfaktoren der Gruppentherapie nicht für sich nutzen.
1.1 Entwicklung der Gruppentherapie
Psychotherapie, wie wir sie heute betreiben, ist im Vergleich zu anderen medizinischen Richtungen eine junge Wissenschaft. Erst durch die verdienstvollen Arbeiten von Sigmund Freud haben wir begonnen, psychische Prozesse, also das Denken, die Emotionen und das Verhalten des Menschen und die zugrunde liegenden Mechanismen in der heutigen Form zu erforschen. Die ersten psychotherapeutischen Interventionen waren dabei auf die Einzeltherapie ausgerichtet. Gruppentherapeutische Konzepte entstanden zunächst in der Übertragung des einzeltherapeutischen Wissens auf eine Gruppe. Überwiegend handelte es sich dabei um psychisch gesunde Menschen, die den Wunsch hatten, innerhalb einer Gruppe mehr über sich zu erfahren. Es ging also vielfach um Selbsterfahrung und nicht um die Psychotherapie psychisch kranker Menschen.
1.1.1 Erste Entwicklungen
Bereits 1905 begann Josef Pratt damit, seine Patienten auf einer Tuberkulosestation in Gruppen über ihre Erkrankung aufzuklären und ihnen Bewältigungsstrategien zu vermitteln (Barlow et al. 2000). Es handelte sich dabei um Gruppen mit bis zu 80 Erkrankten. Pratt leitete die Gruppe gemeinsam mit einem Patienten, der für die anderen Teilnehmer eine Modellfunktion hatte. Von seinem Leitungsstil her war Pratt eher dominant und entsprach einer »Vaterfigur«. Ziel seiner Gruppenarbeit war es, das Denken über die Erkrankung zu verändern. Sein Konzept war sehr erfolgreich und wurde auf unterschiedliche Krankheitsbilder übertragen. Das war vermutlich die Geburtsstunde der störungsspezifischen Gruppentherapie, die durch die Verhaltenstherapie viele Jahre später wieder aufgegriffen wurde.
1.1.2 Entwicklung der Gruppentherapie in der humanistischen und der psychodynamischen Psychotherapie
Ein wichtiger Pionier in den 1930er Jahren war Jacob Levy Moreno, der das Konzept der Gruppentherapie erstmals auch der American Psychiatric Association vorstellte (Hutter und Schwehm 2009). Wichtige Protagonisten der Nachkriegszeit waren Carl Rogers (Rogers 1969) und Irwin Yalom (Yalom und Leszcz 2005). Rogers entwickelte die »Encounter«-Gruppen. In diesen »Begegnungsgruppen« ging es um die Selbsterfahrung von im Sinne des DSM vermutlich weitgehend gesunden Gruppenteilnehmern. Ziele waren psychische Weiterentwicklung und Wachstum. Die Sitzungen begannen mit emotionsaktivierenden Warming-up- Übungen, die bei den Teilnehmern emotionale Themen und Reaktionen auslösten. Die Bearbeitung fand immer bei dem Teilnehmer statt, der die höchste emotionale Reaktion gezeigt hatte. Damit ergab sich die Themenauswahl anhand »emotionaler Betroffenheit« anstelle einer »Mehrheitsentscheidung«. Die humanistische Psychotherapie geht von einem gesunden, positiven und entwicklungsfähigen Menschenbild aus. Vor diesem Hintergrund konnte eine bestimmte Erfahrung mithilfe der Gruppendynamik beim Erleben von intensiven Emotionen bereits als ausreichend angesehen werden, um Veränderung bei einem Individuum zu bewirken. Ausgehend von einem psychisch gesunden Teilnehmer der Gruppentherapie ist diese Hypothese zutreffend. Lerntheoretische Gesetzmäßigkeiten belegen ebenfalls, dass psychisch gesunde Menschen ihr Verhalten auf positive und negative Rückmeldungen aus der Umwelt ausrichten können. Im Besonderen wurde hier auch vorausgesetzt, dass die Teilnehmer der Gruppe in der Lage sind, wenn sie erkannt haben, was das richtige Vorgehen ist, dieses auch in ein konkretes Verhalten umzusetzen und bereits über die dazu notwendigen Fertigkeiten verfügen.
In den folgenden Jahren zeigte es sich jedoch, dass Gruppenteilnehmer, die unter einer erhöhten allgemeinen Symptombelastung standen, anders reagierten. Ein angemessener Transfer von Erfahrungen aus der Gruppendynamik und des eigenen emotionalen Erlebens in der Gruppe in das reale Leben außerhalb fand bei diesen Gruppenteilnehmern nicht statt. Obwohl wichtige Erfahrungen gemacht wurden, konnten einige Gruppenteilnehmer nicht das für ihren Alltag Notwendige lernen. Manche waren sogar so verunsichert, dass sie mit zusätzlichen Problemen aus der Gruppe gingen. Andere suchten immer wieder das »kathartische« Erleben in einer Gruppe und entfernten sich von der Lösung ihrer alltäglichen Probleme. Für diese Teilnehmer wurden andere Gruppenformen notwendig.
Irwin Yalom hat sich intensiv mit den genannten Nebenwirkungen von Encounter Groups auseinandergesetzt (Lieberman et al. 1973). Sein eigenes Modell der interpersonellen Gruppentherapie schöpft sowohl aus der humanistischen als auch aus der psychodynamischen Gruppentherapie. Im Mittelpunkt dieses interaktionellen Gruppenkonzepts stehen korrektive emotionale Erfahrungen. Der Gruppenleiter arbeitet darauf hin, dass Spannungen aus Übertragungsprozessen abgeschwächt und Erfahrungen aus der Vergangenheit ins »Hier und Jetzt« geholt werden. Eine wichtige Leistung von Yalom ist die Identifikation der Wirkfaktoren der Gruppentherapie.
1.1.3 Entwicklung der Gruppentherapie innerhalb der Verhaltenstherapie
Die Entwicklung der Verhaltenstherapie kann in drei »Wellen« eingeteilt werden (Kahl et al. 2011). In der ersten Welle, die in den 1950er Jahren begann, ging es um die direkte Umsetzung der neuen Erkenntnisse der Lerntheorie in psychotherapeutische Techniken. Folgende Techniken sind in dieser ersten Welle verwurzelt: Verhaltensanalyse, Verhaltensaufbau, Exposition, verschiedene Formen von Verhaltenstraining (Soziales Kompetenztraining, Problemlösetraining, Kommunikationstraining), Stimuluskontrolle und Selbstbelohnung.
In der zweiten Welle der Verhaltenstherapie (Kognitive Verhaltenstherapie, KVT), die in den 1960er Jahren begann, steht die Informationsverarbeitung im Vordergrund, mit Veränderungen der kognitiven Inhalte oder Selbstinstruktionen. Die kognitive Verhaltenstherapie wurde in den letzten Jahrzehnten störungsspezifisch ausdifferenziert, sodass für einen großen Anteil der im DSM definierten Störungsgruppen KVT-Manuale zur Verfügung stehen. Weiterhin erfolgte eine Ausdifferenzierung nach Zielgruppen, beispielsweise ältere Patienten, Jugendliche oder Patienten mit malignen Erkrankungen, Diabetes oder koronarer Herzkrankheit.
In der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie stehen seit den 1990er Jahren Fertigkeitendefizite im Vordergrund, d. h. die Frage, was muss der Patient lernen, damit er seine Störung überwinden kann. Die Antworten sind dabei durchaus heterogen: Emotionsregulation (Dialektisch-behaviorale Therapie; Linehan 1993), operatorisches Denken (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy; McCullough 2006, McCullough Jr et al. 2012), neue metakognitive Strategien (Metakognitive Therapie; Wells et al. 2011), Achtsamkeit (Achtsamkeitsbasierte Therapien; Segal et al. 2002), eigene Modi erkennen und wechseln (Schematherapie; Arntz et al 2010), psychologische Flexibilität und werteorientiertes Handeln (Acceptance and Commitment Therapy; Hayes 2012).
Die Gruppentherapie war von Beginn der Verhaltenstherapie an ein wesentliches Element der Umsetzung von Therapieprogrammen. Viele verhaltenstherapeutische Techniken erfordern die Interaktion mit anderen Menschen und sind deshalb in der Gruppe besser umsetzbar als in der Einzeltherapie. Ein wesentlicher Teil der Evidenzbasierung der modernen Verhaltenstherapie beruht auf Studien, bei denen die Gruppentherapie, häufig in Verbindung mit einer Einzeltherapie, zum Einsatz kam.
Die Kenntnis der Entwicklung der Gruppentherapie ist wesentlich zum Verständnis der Leitmotive für die jeweilige Therapiemethode:
Welches Verhalten soll der Patient lernen oder nicht mehr zeigen? (erste Welle) . Welche Einstellungen oder Bewertungsmuster soll der Patient neu erwerben oder korrigieren? Welche Informationen braucht er? (zweite Welle) . Welche Verhaltensfertigkeiten oder metakognitive Fertigkeiten braucht der Patient? Worauf soll er sein Handeln ausrichten? Welche Erfahrungen soll er machen? (dritte Welle) 1.2 Wirkfaktoren in der Gruppentherapie Die Gruppentherapie ist ein entscheidend anderes Setting als die Einzeltherapie. Auch in der Gruppentherapie sind die allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie wirksam. Darüber hinaus sind mit ihr aber Wirkfaktoren verbunden, die entweder spezifisch für die Gruppentherapie sind oder sich in ihr besonders gut umsetzen lassen (Yalom und Leszcz 2005). Die beschriebenen Wirkfaktoren sind über verschiedene Methoden und Verfahren hinweg gültig. Die einzelnen Methoden setzen allerdings sehr unterschiedliche Schwerpunkte.
1.2 Wirkfaktoren in der Gruppentherapie Selbsterkenntnis
Die Teilnahme an einer Gruppentherapie führt zu neuen Erfahrungen und Fertigkeiten, die typischerweise das Selbstbild verändern. Verhaltensbezogene Störungsmodelle können in Gruppentherapien nicht nur intellektuell verstanden werden. Die Anwendung der Modelle auf die eigene Situation und die Situation der anderen Gruppenmitglieder macht die tatsächliche Passung dieser Modelle auch erlebbar. Selbstöffnung, erfolgreiche Problemlösung und die Teilnahme an Rollenspielen verändert die Einstellungen zur eigenen Person, wie »ich bin zu schüchtern«, »ich kann mich nicht durchsetzen« oder »niemand interessiert sich für mich«. Derartige Einstellungen sind häufig weniger das Resultat einer verzerrten Informationsverarbeitung, als ein Epiphänomen fehlender interpersoneller Fertigkeiten. Die systematische Aufarbeitung von Problemen in der Gruppentherapie führt auch zu einer erhöhten Klarheit über die eigenen Werte und Ziele. Dabei ist sowohl die Erarbeitung von Gemeinsamkeiten wie auch Unterschieden bedeutungsvoll. Insgesamt kann die Gruppentherapie zu einem verbesserten Gleichgewicht zwischen Selbstakzeptanz und Selbstkritik und zu günstigeren Modellen in der Betrachtung des eigenen Verhaltens führen (dynamische, lerntheoretisch informierte, auf Fertigkeiten bezogene Modelle versus statischer charakterologischer Zuschreibungen).
Emotionsmanagement
Gruppen bieten die Möglichkeit, in einer geschützten Umgebung bisher vermiedene, schambesetzte Erlebnisse, Gedanken oder Gefühle zu offenbaren (Selbstöffnung). Die Gelegenheit, sich offen zu äußern, anstatt Informationen für sich zu behalten, Emotionen zu unterdrücken oder zu vermeiden, und das Ausbleiben von negativem Feedback können mit einem extremen Gefühl von Erleichterung (Katharsis) verbunden sein. Die Angemessenheit der Emotionen, die Option, mit oder entgegen der Emotion zu handeln, kann mithilfe der anderen Gruppenmitglieder überprüft und, wenn notwendig, korrigiert werden. Die Gruppenteilnehmer erlernen so, Emotionen wirkungsvoll auszudrücken und für ihre Handlungssteuerung zu nutzen.
Interpersonelles Lernen
Gruppen bieten eine Gelegenheit zur Schulung der sozialen Kompetenz. Besonders günstig ist, dass die Risiken, die mit dem Lernen nach Versuch und Irrtum in der häuslichen oder beruflichen Umgebung verbunden sind, in der therapeutischen Gruppe fehlen oder erheblich abgeschwächt sind. Die Gruppe bietet ein Feld für ernsthafte Verhaltensexperimente mit Feedback, das nicht durch Übervorsicht, falsche Rücksichtnahme oder Konkurrenz geprägt ist. Durch gezielte Verhaltensproben interpersonellen Verhaltens kann der Schwierigkeitsgrad individuell variiert werden bzw. günstige Varianten können ausgewählt werden (operantes Lernen). Dadurch ist ein programmierter Erfolg möglich. Verhalten, das anderen Gruppenteilnehmern dabei hilft, Probleme zu bewältigen, kann imitiert werden (Lernen am Modell)
Beispiel aus einer ambulanten transdiagnostischen Gruppe
Herr Mikelsen, ein 45-jähriger Mann, mit chronischer Depression und einer vermeidenden Persönlichkeitsstörung, möchte gerne seine Woche Bildungsurlaub wahrnehmen, um in London einen Englischsprachkurs zu machen. Er befürchtet, dass sein Chef seinen Wunsch entweder abweist oder ihn lächerlich macht. Er hat von einem Kollegen gehört, dass der Chef in solchen Fällen immer sagt »Ja, ja, diese Sprachkurse in der Südsee, das dient doch nur der Erholung«. Herr Mikelsen befürchtet, dass seine Antwort darauf dann zu aggressiv ausfällt und die Beziehung zum Chef beschädigt. Die Therapeutin schlägt vor, mehrere Skripte mit unterschiedlicher »Aggressivität« zu entwickeln, im Rollenspiel zu überprüfen, Feedback einzuholen und dann die günstigste Variante auszuwählen.
Kommentar: Das geschilderte Anliegen ist typisch für eine Situation, die im Alltagsleben nur beschränkt geübt werden kann, da es sich um eine nicht ständig wiederkehrende Interaktion handelt und ein unangemessenes Verhalten in dieser Situation real negative Konsequenzen hätte. In der Gruppe kann die Situation fiktiv so lange durchgespielt werden, bis sie »passt« und der Protagonist nicht nur einen Plan, sondern auch die notwendigen prozeduralen Fertigkeiten hat, um in der realen Situation zielorientiert zu handeln. Die Gruppenteilnehmer können so ihre interpersonellen Fertigkeiten im Umgang miteinander aber auch mit Außenstehenden verbessern. Vertrauen in andere Menschen entsteht dadurch, dass das Feedback der anderen Gruppenteilnehmer günstige Konsequenzen auf die Lebensumwelt des Patienten hat. Scham wird reduziert, indem die Fehler und Schwierigkeiten anderer Gruppenmitglieder bei schwierigen interpersonellen Situationen und der wohlwollende Umgang der Gruppe damit beobachtet werden können. Günstig ist eine Einschätzung des Schweregrades auf einer Skala von 1 bis 10. Ein gutes Übungsfeld ist der mittlere Bereich. Die Situation kann wiederholt in diesem Bereich geübt werden. In transdiagnostischen Gruppen erfolgt eine gezielte Verhaltensformung durch Rückmeldungen nach festgelegten Regeln. In interaktionsorientierten Gruppen wird auf Entwicklungs-und Wachstumsprozesse innerhalb der Gruppe gesetzt.
Existenzielle Faktoren
Die Gruppentherapie und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal, wie auch dem der Mitpatienten, und die dadurch ausgelösten sozialen Vergleichsprozesse und das Beschäftigen mit Werten und Zielen kann zu einer Besinnung auf existenzielle Faktoren führen: zur Akzeptanz sowohl der ungerechten, tragischen, vergänglichen wie auch lustvollen Seite des Lebens, und zur Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist.
Eine kooperative Arbeitshaltung, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe und die gegenseitige Akzeptanz führen dazu, dass andere Mitglieder der Gruppe aktiv unterstützt werden und der Patient Bedeutung für andere gewinnt. Diese Erfahrung, die sich nur aus der Gruppentherapie, nicht aber aus einer Einzeltherapie ergibt, hebt die soziale Isolation auf und führt zum Erleben von Sinnhaftigkeit, während sozialer Ausschluss zu einem Verlust von subjektiver Sinnhaftigkeit führt (Stillman et al. 2009).
Gruppenkohäsion
Die Erfahrung der Zusammenarbeit in einer Gruppe führt zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl. Diese Erfahrung hebt die Einsamkeit auf und stellt ein Gegengewicht zur Scham dar.
Universalität des Leidens
Psychisch Kranke haben oft die Wahrnehmung, dass sie mit ihren Problemen alleine sind. In ihrer häuslichen Umgebung oder am Arbeitsplatz und im Zusammenleben mit psychisch Gesunden entspricht dies auch vielfach der Realität. Die Einzeltherapie ist von ihrem Setting her eine Wiederholung dieser Situation: Der Kranke trifft auf einen gesunden Fachmann. In der Gruppe zu erfahren, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme, Symptome, innere oder äußere Erfahrungen haben, reduziert Scham und Resignation und wirkt dem Gefühl der Einsamkeit und Isolation entgegen. Leiden als universellen Zustand der Condition humaine zu sehen ist adaptiver, als das Glück als normativen Zustand zu betrachten. Glück direkt anzustreben, kann unglücklich machen (Mauss et al. 2011).
Experte in eigener Sache
Die Gruppentherapie führt bei den Patienten zu einem verbesserten Wissen über ihre Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten sowie auch zu Allgemeinwissen über psychische Mechanismen und die Möglichkeiten, Probleme zu lösen. Es ist einfacher psychische Mechanismen bei anderen zu studieren, als in der Einzeltherapie nur das eigene Beispiel zu haben. An den Beispielen der Mitpatienten lernen, die aus einer ähnlichen Lebenssituation kommen, ist auch deswegen leichter, weil die emotionale Betroffenheit dann etwas geringer ist. Gezielte Psychoedukation reduziert Ängste und Unsicherheiten und führt zu einem besseren Selbstwertgefühl der Patienten. Sie lernen über ihre Erkrankung zu kommunizieren, wodurch auch ihre Kontaktfähigkeit zu Nichtkranken verbessert wird.
Rekonstruktion familiärer und früherer Gruppensituationen
Familiäre, schulische oder berufliche Situationen führen manchmal zu dysfunktionalen Rollenzuweisungen, die dann außerhalb der ursprünglichen Gruppe fortleben, z. B. die Aufgabe, unter allen Umständen die Verantwortung zu übernehmen oder für Ordnung zu sorgen. Da die Einzeltherapie das hieraus resultierende Problemverhalten nicht aktiviert, sind Gruppen hier deutlich besser geeignet, um korrigierende Erfahrungen zu machen. Spezifische Interventionen wie Rollenspiele oder Imagery Rescripting (Hackmann et al. 2011) können die Neueinordnung früherer Erfahrungen durch die Mitwirkung von Mitpatienten begünstigen.
Handlungsorientierung
Das Vorbild von weiter fortgeschrittenen Mitpatienten führt zu einer verbesserten Handlungsorientierung. Beobachtete erfolgreiche Problemlösungen bei anderen Patienten machen Mut, eigene Verhaltensexperimente zu unternehmen, und geben Hoffnung, Probleme zu bewältigen. Das trifft ganz besonders auf offene Gruppen mit heterogenen Teilnehmern zu.
Realitätsüberprüfung
Das Überprüfen von Fakten ist in der Gruppe einfacher als in der Einzeltherapie. Die in einer Gruppe wahrnehmbare Vielfalt von kognitiven Prozessen führt zu einer Flexibilisierung eigener inhaltlich kognitiver wie auch metakognitiver Prozesse. Die Durchführung von verhaltenstherapeutischen Techniken wie Verhaltensanalyse (SORK), Situationsanalyse (SA) oder Kognitionsanalyse (ABC-Modell) und der zugehörigen Verhaltensexperimente sind in der Gruppe einfacher und anregender als in der Einzeltherapie.
Fallbeispiel
Frau Yilmaz, eine 45-jährige Verkäuferin, befand sich wegen einer Depression und einer generalisierten Angststörung in ambulanter gruppentherapeutischer Behandlung. Eines ihrer zentralen Symptome waren Schlafstörungen. Die meisten Nächte lag sie wach und machte sich Sorgen um ihre 19-jährige Tochter Aisha. Frau Yilmaz war 20 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland immigrierte. Während sie selbst fast nur mit anderen Migrantinnen verkehrte, besuchte Aisha, eine kluge und lebhafte junge Frau, das Gymnasium und hatte fast nur deutsche Freundinnen, mit denen sie viel unterwegs war. Frau Yilmaz war der Meinung, dass sich jede Mutter in dieser Situation Sorgen machen würde. In der Gruppe lernte Frau Yilmaz die gleichaltrige Frau Wimmer kennen, die ebenfalls an einer generalisierten Angststörung litt, und freundete sich mit ihr an. Frau Wimmer machte sich ebenfalls Sorgen um ihre Tochter. Franziska war 17 Jahre alt, vermied es aufgrund einer sozialen Phobie, sich in der Schule zu melden und ging nie abends weg. Auch Frau Wimmer war der Meinung, dass sich jede Mutter in dieser Situation Sorgen machen würde. Frau Yilmaz war zunächst sehr erstaunt darüber, dass jemand sich völlig andere Sorgen machen konnte. Im Rahmen der Gruppentherapie, in der u. a. metakognitive Techniken vermittelt wurden, machten beide Frauen die Erfahrung, dass Sorgen ein ungeeignetes Instrument sind, um das Verhalten ihrer Töchter zu beeinflussen, und lernten auch, die Besonderheiten ihrer Kinder ganz neu wertzuschätzen.
Erwerb von Fertigkeiten
Während die zweite Welle der Verhaltenstherapie einen Schwerpunkt darauf hat, problematische Kognitionen inhaltlich zu verändern, liegt in der dritten Welle der Verhaltenstherapie ein Fokus auf dem Einüben neuer Fertigkeiten. Da für das Üben neuer Fertigkeiten Gruppen einen günstigen Kontext darstellen, sind mehrere Methoden der dritten Welle sicherlich nicht zufällig als Gruppentherapien manualisiert und getestet: Dialektisch-behaviorale Therapie (Lynch et al. 2007; Verheul et al. 2003), Schematherapie (Farrell et al. 2009) und Mindfulness-based Cognitive Therapy (Piet und Hougaard 2011). Lernen am Modell, gegenseitige Hilfestellung und Erfahrungsaustausch unterstützen den konkreten Erwerb von Fertigkeiten. Wichtig dabei sind Rollenspiele, Expositionsübungen, das Einüben von entgegengesetztem Handeln, sozialer Kompetenz, Achtsamkeit oder spannungsreduzierenden Maßnahmen.
© Kohlhammer Verlag
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er wächst in Gruppen auf, er lernt, studiert, arbeitet und verbringt seine Freizeit häufig in Gruppen. Gruppen prägen das Verhalten, das emotionale Erleben und Bewertungsprozesse. Die meisten Menschen verbringen nur den kleineren Teil ihres Lebens alleine oder in geschützten Zweierbeziehungen. Die Psychotherapie war von ihren Ursprüngen her in einer geschützten dyadischen Beziehung angesiedelt. Auch die Psychotherapieausbildung war immer sehr stark auf die Einzeltherapie ausgerichtet. Trotz dieser Ausgangsbedingungen hat sich die Gruppentherapie sehr dynamisch entwickelt. Die Methoden der Gruppentherapie gewinnen in der Anwendung in Kliniken und Praxis eine zunehmende Bedeutung. Viele verhaltenstherapeutische Gruppentherapiemethoden sind sehr gut evidenzbasiert. Störungsspezifische Gruppentherapien sind in der Regel bezüglich ihrer Prinzipien und Inhalte detailliert manualisiert, werden durch gut ausgearbeitete Materialien unterstützt und können dadurch ohne hohen Aufwand in standardisierter Qualität angeboten werden. Eine Gruppentherapie spart nicht nur Behandlungskosten, sie hat auch mit der Einzeltherapie gemeinsame sowie zusätzliche Wirkfaktoren und ist ihr in der Gesamtwirkung zumindest ebenbürtig. Gruppentherapie ist aufgrund der spezifischen Übungsmöglichkeiten die Methode der ersten Wahl bei Störungen mit Problemen der sozialen Kommunikation. Die Durchführung einer Gruppentherapie ist allerdings auch mit spezifischen Problemen verbunden. Die Einarbeitung in gruppentherapeutische Methoden erfolgt häufig durch Versuch und Irrtum oder durch Orientierung am Modell erfahrener Kollegen. Aus der Patientenperspektive werden Gruppen gelegentlich als verunsichernd oder unstrukturiert wahrgenommen. Viele Therapeuten fühlen sich durch Gruppentherapien überlastet und ziehen die Einzeltherapie vor. Die Patienten können dann die Wirkfaktoren der Gruppentherapie nicht für sich nutzen.
1.1 Entwicklung der Gruppentherapie
Psychotherapie, wie wir sie heute betreiben, ist im Vergleich zu anderen medizinischen Richtungen eine junge Wissenschaft. Erst durch die verdienstvollen Arbeiten von Sigmund Freud haben wir begonnen, psychische Prozesse, also das Denken, die Emotionen und das Verhalten des Menschen und die zugrunde liegenden Mechanismen in der heutigen Form zu erforschen. Die ersten psychotherapeutischen Interventionen waren dabei auf die Einzeltherapie ausgerichtet. Gruppentherapeutische Konzepte entstanden zunächst in der Übertragung des einzeltherapeutischen Wissens auf eine Gruppe. Überwiegend handelte es sich dabei um psychisch gesunde Menschen, die den Wunsch hatten, innerhalb einer Gruppe mehr über sich zu erfahren. Es ging also vielfach um Selbsterfahrung und nicht um die Psychotherapie psychisch kranker Menschen.
1.1.1 Erste Entwicklungen
Bereits 1905 begann Josef Pratt damit, seine Patienten auf einer Tuberkulosestation in Gruppen über ihre Erkrankung aufzuklären und ihnen Bewältigungsstrategien zu vermitteln (Barlow et al. 2000). Es handelte sich dabei um Gruppen mit bis zu 80 Erkrankten. Pratt leitete die Gruppe gemeinsam mit einem Patienten, der für die anderen Teilnehmer eine Modellfunktion hatte. Von seinem Leitungsstil her war Pratt eher dominant und entsprach einer »Vaterfigur«. Ziel seiner Gruppenarbeit war es, das Denken über die Erkrankung zu verändern. Sein Konzept war sehr erfolgreich und wurde auf unterschiedliche Krankheitsbilder übertragen. Das war vermutlich die Geburtsstunde der störungsspezifischen Gruppentherapie, die durch die Verhaltenstherapie viele Jahre später wieder aufgegriffen wurde.
1.1.2 Entwicklung der Gruppentherapie in der humanistischen und der psychodynamischen Psychotherapie
Ein wichtiger Pionier in den 1930er Jahren war Jacob Levy Moreno, der das Konzept der Gruppentherapie erstmals auch der American Psychiatric Association vorstellte (Hutter und Schwehm 2009). Wichtige Protagonisten der Nachkriegszeit waren Carl Rogers (Rogers 1969) und Irwin Yalom (Yalom und Leszcz 2005). Rogers entwickelte die »Encounter«-Gruppen. In diesen »Begegnungsgruppen« ging es um die Selbsterfahrung von im Sinne des DSM vermutlich weitgehend gesunden Gruppenteilnehmern. Ziele waren psychische Weiterentwicklung und Wachstum. Die Sitzungen begannen mit emotionsaktivierenden Warming-up- Übungen, die bei den Teilnehmern emotionale Themen und Reaktionen auslösten. Die Bearbeitung fand immer bei dem Teilnehmer statt, der die höchste emotionale Reaktion gezeigt hatte. Damit ergab sich die Themenauswahl anhand »emotionaler Betroffenheit« anstelle einer »Mehrheitsentscheidung«. Die humanistische Psychotherapie geht von einem gesunden, positiven und entwicklungsfähigen Menschenbild aus. Vor diesem Hintergrund konnte eine bestimmte Erfahrung mithilfe der Gruppendynamik beim Erleben von intensiven Emotionen bereits als ausreichend angesehen werden, um Veränderung bei einem Individuum zu bewirken. Ausgehend von einem psychisch gesunden Teilnehmer der Gruppentherapie ist diese Hypothese zutreffend. Lerntheoretische Gesetzmäßigkeiten belegen ebenfalls, dass psychisch gesunde Menschen ihr Verhalten auf positive und negative Rückmeldungen aus der Umwelt ausrichten können. Im Besonderen wurde hier auch vorausgesetzt, dass die Teilnehmer der Gruppe in der Lage sind, wenn sie erkannt haben, was das richtige Vorgehen ist, dieses auch in ein konkretes Verhalten umzusetzen und bereits über die dazu notwendigen Fertigkeiten verfügen.
In den folgenden Jahren zeigte es sich jedoch, dass Gruppenteilnehmer, die unter einer erhöhten allgemeinen Symptombelastung standen, anders reagierten. Ein angemessener Transfer von Erfahrungen aus der Gruppendynamik und des eigenen emotionalen Erlebens in der Gruppe in das reale Leben außerhalb fand bei diesen Gruppenteilnehmern nicht statt. Obwohl wichtige Erfahrungen gemacht wurden, konnten einige Gruppenteilnehmer nicht das für ihren Alltag Notwendige lernen. Manche waren sogar so verunsichert, dass sie mit zusätzlichen Problemen aus der Gruppe gingen. Andere suchten immer wieder das »kathartische« Erleben in einer Gruppe und entfernten sich von der Lösung ihrer alltäglichen Probleme. Für diese Teilnehmer wurden andere Gruppenformen notwendig.
Irwin Yalom hat sich intensiv mit den genannten Nebenwirkungen von Encounter Groups auseinandergesetzt (Lieberman et al. 1973). Sein eigenes Modell der interpersonellen Gruppentherapie schöpft sowohl aus der humanistischen als auch aus der psychodynamischen Gruppentherapie. Im Mittelpunkt dieses interaktionellen Gruppenkonzepts stehen korrektive emotionale Erfahrungen. Der Gruppenleiter arbeitet darauf hin, dass Spannungen aus Übertragungsprozessen abgeschwächt und Erfahrungen aus der Vergangenheit ins »Hier und Jetzt« geholt werden. Eine wichtige Leistung von Yalom ist die Identifikation der Wirkfaktoren der Gruppentherapie.
1.1.3 Entwicklung der Gruppentherapie innerhalb der Verhaltenstherapie
Die Entwicklung der Verhaltenstherapie kann in drei »Wellen« eingeteilt werden (Kahl et al. 2011). In der ersten Welle, die in den 1950er Jahren begann, ging es um die direkte Umsetzung der neuen Erkenntnisse der Lerntheorie in psychotherapeutische Techniken. Folgende Techniken sind in dieser ersten Welle verwurzelt: Verhaltensanalyse, Verhaltensaufbau, Exposition, verschiedene Formen von Verhaltenstraining (Soziales Kompetenztraining, Problemlösetraining, Kommunikationstraining), Stimuluskontrolle und Selbstbelohnung.
In der zweiten Welle der Verhaltenstherapie (Kognitive Verhaltenstherapie, KVT), die in den 1960er Jahren begann, steht die Informationsverarbeitung im Vordergrund, mit Veränderungen der kognitiven Inhalte oder Selbstinstruktionen. Die kognitive Verhaltenstherapie wurde in den letzten Jahrzehnten störungsspezifisch ausdifferenziert, sodass für einen großen Anteil der im DSM definierten Störungsgruppen KVT-Manuale zur Verfügung stehen. Weiterhin erfolgte eine Ausdifferenzierung nach Zielgruppen, beispielsweise ältere Patienten, Jugendliche oder Patienten mit malignen Erkrankungen, Diabetes oder koronarer Herzkrankheit.
In der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie stehen seit den 1990er Jahren Fertigkeitendefizite im Vordergrund, d. h. die Frage, was muss der Patient lernen, damit er seine Störung überwinden kann. Die Antworten sind dabei durchaus heterogen: Emotionsregulation (Dialektisch-behaviorale Therapie; Linehan 1993), operatorisches Denken (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy; McCullough 2006, McCullough Jr et al. 2012), neue metakognitive Strategien (Metakognitive Therapie; Wells et al. 2011), Achtsamkeit (Achtsamkeitsbasierte Therapien; Segal et al. 2002), eigene Modi erkennen und wechseln (Schematherapie; Arntz et al 2010), psychologische Flexibilität und werteorientiertes Handeln (Acceptance and Commitment Therapy; Hayes 2012).
Die Gruppentherapie war von Beginn der Verhaltenstherapie an ein wesentliches Element der Umsetzung von Therapieprogrammen. Viele verhaltenstherapeutische Techniken erfordern die Interaktion mit anderen Menschen und sind deshalb in der Gruppe besser umsetzbar als in der Einzeltherapie. Ein wesentlicher Teil der Evidenzbasierung der modernen Verhaltenstherapie beruht auf Studien, bei denen die Gruppentherapie, häufig in Verbindung mit einer Einzeltherapie, zum Einsatz kam.
Die Kenntnis der Entwicklung der Gruppentherapie ist wesentlich zum Verständnis der Leitmotive für die jeweilige Therapiemethode:
Welches Verhalten soll der Patient lernen oder nicht mehr zeigen? (erste Welle) . Welche Einstellungen oder Bewertungsmuster soll der Patient neu erwerben oder korrigieren? Welche Informationen braucht er? (zweite Welle) . Welche Verhaltensfertigkeiten oder metakognitive Fertigkeiten braucht der Patient? Worauf soll er sein Handeln ausrichten? Welche Erfahrungen soll er machen? (dritte Welle) 1.2 Wirkfaktoren in der Gruppentherapie Die Gruppentherapie ist ein entscheidend anderes Setting als die Einzeltherapie. Auch in der Gruppentherapie sind die allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie wirksam. Darüber hinaus sind mit ihr aber Wirkfaktoren verbunden, die entweder spezifisch für die Gruppentherapie sind oder sich in ihr besonders gut umsetzen lassen (Yalom und Leszcz 2005). Die beschriebenen Wirkfaktoren sind über verschiedene Methoden und Verfahren hinweg gültig. Die einzelnen Methoden setzen allerdings sehr unterschiedliche Schwerpunkte.
1.2 Wirkfaktoren in der Gruppentherapie Selbsterkenntnis
Die Teilnahme an einer Gruppentherapie führt zu neuen Erfahrungen und Fertigkeiten, die typischerweise das Selbstbild verändern. Verhaltensbezogene Störungsmodelle können in Gruppentherapien nicht nur intellektuell verstanden werden. Die Anwendung der Modelle auf die eigene Situation und die Situation der anderen Gruppenmitglieder macht die tatsächliche Passung dieser Modelle auch erlebbar. Selbstöffnung, erfolgreiche Problemlösung und die Teilnahme an Rollenspielen verändert die Einstellungen zur eigenen Person, wie »ich bin zu schüchtern«, »ich kann mich nicht durchsetzen« oder »niemand interessiert sich für mich«. Derartige Einstellungen sind häufig weniger das Resultat einer verzerrten Informationsverarbeitung, als ein Epiphänomen fehlender interpersoneller Fertigkeiten. Die systematische Aufarbeitung von Problemen in der Gruppentherapie führt auch zu einer erhöhten Klarheit über die eigenen Werte und Ziele. Dabei ist sowohl die Erarbeitung von Gemeinsamkeiten wie auch Unterschieden bedeutungsvoll. Insgesamt kann die Gruppentherapie zu einem verbesserten Gleichgewicht zwischen Selbstakzeptanz und Selbstkritik und zu günstigeren Modellen in der Betrachtung des eigenen Verhaltens führen (dynamische, lerntheoretisch informierte, auf Fertigkeiten bezogene Modelle versus statischer charakterologischer Zuschreibungen).
Emotionsmanagement
Gruppen bieten die Möglichkeit, in einer geschützten Umgebung bisher vermiedene, schambesetzte Erlebnisse, Gedanken oder Gefühle zu offenbaren (Selbstöffnung). Die Gelegenheit, sich offen zu äußern, anstatt Informationen für sich zu behalten, Emotionen zu unterdrücken oder zu vermeiden, und das Ausbleiben von negativem Feedback können mit einem extremen Gefühl von Erleichterung (Katharsis) verbunden sein. Die Angemessenheit der Emotionen, die Option, mit oder entgegen der Emotion zu handeln, kann mithilfe der anderen Gruppenmitglieder überprüft und, wenn notwendig, korrigiert werden. Die Gruppenteilnehmer erlernen so, Emotionen wirkungsvoll auszudrücken und für ihre Handlungssteuerung zu nutzen.
Interpersonelles Lernen
Gruppen bieten eine Gelegenheit zur Schulung der sozialen Kompetenz. Besonders günstig ist, dass die Risiken, die mit dem Lernen nach Versuch und Irrtum in der häuslichen oder beruflichen Umgebung verbunden sind, in der therapeutischen Gruppe fehlen oder erheblich abgeschwächt sind. Die Gruppe bietet ein Feld für ernsthafte Verhaltensexperimente mit Feedback, das nicht durch Übervorsicht, falsche Rücksichtnahme oder Konkurrenz geprägt ist. Durch gezielte Verhaltensproben interpersonellen Verhaltens kann der Schwierigkeitsgrad individuell variiert werden bzw. günstige Varianten können ausgewählt werden (operantes Lernen). Dadurch ist ein programmierter Erfolg möglich. Verhalten, das anderen Gruppenteilnehmern dabei hilft, Probleme zu bewältigen, kann imitiert werden (Lernen am Modell)
Beispiel aus einer ambulanten transdiagnostischen Gruppe
Herr Mikelsen, ein 45-jähriger Mann, mit chronischer Depression und einer vermeidenden Persönlichkeitsstörung, möchte gerne seine Woche Bildungsurlaub wahrnehmen, um in London einen Englischsprachkurs zu machen. Er befürchtet, dass sein Chef seinen Wunsch entweder abweist oder ihn lächerlich macht. Er hat von einem Kollegen gehört, dass der Chef in solchen Fällen immer sagt »Ja, ja, diese Sprachkurse in der Südsee, das dient doch nur der Erholung«. Herr Mikelsen befürchtet, dass seine Antwort darauf dann zu aggressiv ausfällt und die Beziehung zum Chef beschädigt. Die Therapeutin schlägt vor, mehrere Skripte mit unterschiedlicher »Aggressivität« zu entwickeln, im Rollenspiel zu überprüfen, Feedback einzuholen und dann die günstigste Variante auszuwählen.
Kommentar: Das geschilderte Anliegen ist typisch für eine Situation, die im Alltagsleben nur beschränkt geübt werden kann, da es sich um eine nicht ständig wiederkehrende Interaktion handelt und ein unangemessenes Verhalten in dieser Situation real negative Konsequenzen hätte. In der Gruppe kann die Situation fiktiv so lange durchgespielt werden, bis sie »passt« und der Protagonist nicht nur einen Plan, sondern auch die notwendigen prozeduralen Fertigkeiten hat, um in der realen Situation zielorientiert zu handeln. Die Gruppenteilnehmer können so ihre interpersonellen Fertigkeiten im Umgang miteinander aber auch mit Außenstehenden verbessern. Vertrauen in andere Menschen entsteht dadurch, dass das Feedback der anderen Gruppenteilnehmer günstige Konsequenzen auf die Lebensumwelt des Patienten hat. Scham wird reduziert, indem die Fehler und Schwierigkeiten anderer Gruppenmitglieder bei schwierigen interpersonellen Situationen und der wohlwollende Umgang der Gruppe damit beobachtet werden können. Günstig ist eine Einschätzung des Schweregrades auf einer Skala von 1 bis 10. Ein gutes Übungsfeld ist der mittlere Bereich. Die Situation kann wiederholt in diesem Bereich geübt werden. In transdiagnostischen Gruppen erfolgt eine gezielte Verhaltensformung durch Rückmeldungen nach festgelegten Regeln. In interaktionsorientierten Gruppen wird auf Entwicklungs-und Wachstumsprozesse innerhalb der Gruppe gesetzt.
Existenzielle Faktoren
Die Gruppentherapie und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal, wie auch dem der Mitpatienten, und die dadurch ausgelösten sozialen Vergleichsprozesse und das Beschäftigen mit Werten und Zielen kann zu einer Besinnung auf existenzielle Faktoren führen: zur Akzeptanz sowohl der ungerechten, tragischen, vergänglichen wie auch lustvollen Seite des Lebens, und zur Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist.
Eine kooperative Arbeitshaltung, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe und die gegenseitige Akzeptanz führen dazu, dass andere Mitglieder der Gruppe aktiv unterstützt werden und der Patient Bedeutung für andere gewinnt. Diese Erfahrung, die sich nur aus der Gruppentherapie, nicht aber aus einer Einzeltherapie ergibt, hebt die soziale Isolation auf und führt zum Erleben von Sinnhaftigkeit, während sozialer Ausschluss zu einem Verlust von subjektiver Sinnhaftigkeit führt (Stillman et al. 2009).
Gruppenkohäsion
Die Erfahrung der Zusammenarbeit in einer Gruppe führt zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl. Diese Erfahrung hebt die Einsamkeit auf und stellt ein Gegengewicht zur Scham dar.
Universalität des Leidens
Psychisch Kranke haben oft die Wahrnehmung, dass sie mit ihren Problemen alleine sind. In ihrer häuslichen Umgebung oder am Arbeitsplatz und im Zusammenleben mit psychisch Gesunden entspricht dies auch vielfach der Realität. Die Einzeltherapie ist von ihrem Setting her eine Wiederholung dieser Situation: Der Kranke trifft auf einen gesunden Fachmann. In der Gruppe zu erfahren, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme, Symptome, innere oder äußere Erfahrungen haben, reduziert Scham und Resignation und wirkt dem Gefühl der Einsamkeit und Isolation entgegen. Leiden als universellen Zustand der Condition humaine zu sehen ist adaptiver, als das Glück als normativen Zustand zu betrachten. Glück direkt anzustreben, kann unglücklich machen (Mauss et al. 2011).
Experte in eigener Sache
Die Gruppentherapie führt bei den Patienten zu einem verbesserten Wissen über ihre Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten sowie auch zu Allgemeinwissen über psychische Mechanismen und die Möglichkeiten, Probleme zu lösen. Es ist einfacher psychische Mechanismen bei anderen zu studieren, als in der Einzeltherapie nur das eigene Beispiel zu haben. An den Beispielen der Mitpatienten lernen, die aus einer ähnlichen Lebenssituation kommen, ist auch deswegen leichter, weil die emotionale Betroffenheit dann etwas geringer ist. Gezielte Psychoedukation reduziert Ängste und Unsicherheiten und führt zu einem besseren Selbstwertgefühl der Patienten. Sie lernen über ihre Erkrankung zu kommunizieren, wodurch auch ihre Kontaktfähigkeit zu Nichtkranken verbessert wird.
Rekonstruktion familiärer und früherer Gruppensituationen
Familiäre, schulische oder berufliche Situationen führen manchmal zu dysfunktionalen Rollenzuweisungen, die dann außerhalb der ursprünglichen Gruppe fortleben, z. B. die Aufgabe, unter allen Umständen die Verantwortung zu übernehmen oder für Ordnung zu sorgen. Da die Einzeltherapie das hieraus resultierende Problemverhalten nicht aktiviert, sind Gruppen hier deutlich besser geeignet, um korrigierende Erfahrungen zu machen. Spezifische Interventionen wie Rollenspiele oder Imagery Rescripting (Hackmann et al. 2011) können die Neueinordnung früherer Erfahrungen durch die Mitwirkung von Mitpatienten begünstigen.
Handlungsorientierung
Das Vorbild von weiter fortgeschrittenen Mitpatienten führt zu einer verbesserten Handlungsorientierung. Beobachtete erfolgreiche Problemlösungen bei anderen Patienten machen Mut, eigene Verhaltensexperimente zu unternehmen, und geben Hoffnung, Probleme zu bewältigen. Das trifft ganz besonders auf offene Gruppen mit heterogenen Teilnehmern zu.
Realitätsüberprüfung
Das Überprüfen von Fakten ist in der Gruppe einfacher als in der Einzeltherapie. Die in einer Gruppe wahrnehmbare Vielfalt von kognitiven Prozessen führt zu einer Flexibilisierung eigener inhaltlich kognitiver wie auch metakognitiver Prozesse. Die Durchführung von verhaltenstherapeutischen Techniken wie Verhaltensanalyse (SORK), Situationsanalyse (SA) oder Kognitionsanalyse (ABC-Modell) und der zugehörigen Verhaltensexperimente sind in der Gruppe einfacher und anregender als in der Einzeltherapie.
Fallbeispiel
Frau Yilmaz, eine 45-jährige Verkäuferin, befand sich wegen einer Depression und einer generalisierten Angststörung in ambulanter gruppentherapeutischer Behandlung. Eines ihrer zentralen Symptome waren Schlafstörungen. Die meisten Nächte lag sie wach und machte sich Sorgen um ihre 19-jährige Tochter Aisha. Frau Yilmaz war 20 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland immigrierte. Während sie selbst fast nur mit anderen Migrantinnen verkehrte, besuchte Aisha, eine kluge und lebhafte junge Frau, das Gymnasium und hatte fast nur deutsche Freundinnen, mit denen sie viel unterwegs war. Frau Yilmaz war der Meinung, dass sich jede Mutter in dieser Situation Sorgen machen würde. In der Gruppe lernte Frau Yilmaz die gleichaltrige Frau Wimmer kennen, die ebenfalls an einer generalisierten Angststörung litt, und freundete sich mit ihr an. Frau Wimmer machte sich ebenfalls Sorgen um ihre Tochter. Franziska war 17 Jahre alt, vermied es aufgrund einer sozialen Phobie, sich in der Schule zu melden und ging nie abends weg. Auch Frau Wimmer war der Meinung, dass sich jede Mutter in dieser Situation Sorgen machen würde. Frau Yilmaz war zunächst sehr erstaunt darüber, dass jemand sich völlig andere Sorgen machen konnte. Im Rahmen der Gruppentherapie, in der u. a. metakognitive Techniken vermittelt wurden, machten beide Frauen die Erfahrung, dass Sorgen ein ungeeignetes Instrument sind, um das Verhalten ihrer Töchter zu beeinflussen, und lernten auch, die Besonderheiten ihrer Kinder ganz neu wertzuschätzen.
Erwerb von Fertigkeiten
Während die zweite Welle der Verhaltenstherapie einen Schwerpunkt darauf hat, problematische Kognitionen inhaltlich zu verändern, liegt in der dritten Welle der Verhaltenstherapie ein Fokus auf dem Einüben neuer Fertigkeiten. Da für das Üben neuer Fertigkeiten Gruppen einen günstigen Kontext darstellen, sind mehrere Methoden der dritten Welle sicherlich nicht zufällig als Gruppentherapien manualisiert und getestet: Dialektisch-behaviorale Therapie (Lynch et al. 2007; Verheul et al. 2003), Schematherapie (Farrell et al. 2009) und Mindfulness-based Cognitive Therapy (Piet und Hougaard 2011). Lernen am Modell, gegenseitige Hilfestellung und Erfahrungsaustausch unterstützen den konkreten Erwerb von Fertigkeiten. Wichtig dabei sind Rollenspiele, Expositionsübungen, das Einüben von entgegengesetztem Handeln, sozialer Kompetenz, Achtsamkeit oder spannungsreduzierenden Maßnahmen.
© Kohlhammer Verlag
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Autoren-Porträt von Valerija Sipos, Ulrich Schweiger
Prof. Dr. Ulrich Schweiger, Leitender Oberarzt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Lübeck.Dr. phil. Valerija Sipos, Dipl-Psych., ist die Leitende Psychologin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Lübeck. Die Psychologische Psychotherapeutin, Familientherapeutin, Supervisorin und Lehrtherapeutin für Verhaltenstherapie ist eine der prominentesten Experten in der Ausbildungsszene und der Supervision deutscher Psychotherapeuten.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Valerija Sipos , Ulrich Schweiger
- 2013, 1. Auflage, 220 Seiten, Masse: 15,6 x 23 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Kohlhammer
- ISBN-10: 3170216090
- ISBN-13: 9783170216099
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