Glauben Sie noch an die Liebe?
Unerwartete Antworten von Hannelore Elsner, Eckart von Hirschhausen, Michel Friedman, Sonya Kraus, Franz Müntefering, Roger Willemsen und vielen anderen
Prominente sprechen über die Liebe
»Wahre Liebe ist nicht möglich. Deshalb sterben die großen Liebenden.« Rainer Langhans, Altkommunarde und Symbolfigur für zügellosen Sex, erzählt Unerwartetes über die...
»Wahre Liebe ist nicht möglich. Deshalb sterben die großen Liebenden.« Rainer Langhans, Altkommunarde und Symbolfigur für zügellosen Sex, erzählt Unerwartetes über die...
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Produktinformationen zu „Glauben Sie noch an die Liebe? “
Prominente sprechen über die Liebe
»Wahre Liebe ist nicht möglich. Deshalb sterben die großen Liebenden.« Rainer Langhans, Altkommunarde und Symbolfigur für zügellosen Sex, erzählt Unerwartetes über die Liebe. Auch Roger Willemsen bestätigt nicht gerade das öffentliche Bild des Intellektuellen, als er zum Gespräch über Prostituierte in eine Hamburger Rotlichtkneipe lädt. Justus Bender und Jan Philipp Burgard haben Prominente aus Politik, Showgeschäft, Kultur und Sport aufgefordert: Lassen Sie uns über Liebe reden - das Ergebnis ist so amüsant wie intim, so überraschend wie nachdenklich. Wenn Menschen, egal, ob berühmt oder mächtig, über Liebe reden, zeigen sie sich verletzlich, geben etwas von sich preis. Die beiden erfahrenen Journalisten lassen sich bewusst auf dieses Spiel mit dem Feuer ein. Vom gepflegten Salongespräch wechseln sie in die Reportage. So entstehen Momentaufnahmen, in denen bekannte Zeitgenossen überraschend viel von sich zu erkennen geben.
»Wahre Liebe ist nicht möglich. Deshalb sterben die großen Liebenden.« Rainer Langhans, Altkommunarde und Symbolfigur für zügellosen Sex, erzählt Unerwartetes über die Liebe. Auch Roger Willemsen bestätigt nicht gerade das öffentliche Bild des Intellektuellen, als er zum Gespräch über Prostituierte in eine Hamburger Rotlichtkneipe lädt. Justus Bender und Jan Philipp Burgard haben Prominente aus Politik, Showgeschäft, Kultur und Sport aufgefordert: Lassen Sie uns über Liebe reden - das Ergebnis ist so amüsant wie intim, so überraschend wie nachdenklich. Wenn Menschen, egal, ob berühmt oder mächtig, über Liebe reden, zeigen sie sich verletzlich, geben etwas von sich preis. Die beiden erfahrenen Journalisten lassen sich bewusst auf dieses Spiel mit dem Feuer ein. Vom gepflegten Salongespräch wechseln sie in die Reportage. So entstehen Momentaufnahmen, in denen bekannte Zeitgenossen überraschend viel von sich zu erkennen geben.
Klappentext zu „Glauben Sie noch an die Liebe? “
Prominente sprechen über die Liebe"Liebe findet nicht zwischen den Beinen statt, sondern zwischen den Ohren." Nicht nur Rainer Langhans, Altkommunarde und Symbolfigur für zügellosen Sex, erzählt Unerwartetes über die Liebe. Justus Bender und Jan Philipp Burgard haben Prominente aus Politik, Showgeschäft und Kultur aufgefordert: Lassen Sie uns über Liebe reden - und das Ergebnis ist so amüsant wie intim, so überraschend wie nachdenklich. Wenn Menschen, egal, ob berühmt oder mächtig, über Liebe sprechen, zeigen sie sich verletzlich, geben etwas von sich preis. So entstehen Momentaufnahmen, in denen bekannte Zeitgenossen überraschend viel von sich zu erkennen geben.
Gespräche mit Hannelore Elsner, Franz Müntefering, Roger Willemsen, Gloria von Thurn und Taxis, Rolf Eden, Sonya Kraus, Guido Knopp, Claudia Roth, Jürgen Grossmann, Franziska Knuppe, Michel Friedman, Eckart Witzigmann, Margarete Mitscherlich, Eckart von Hirschhausen und anderen.
Lese-Probe zu „Glauben Sie noch an die Liebe? “
Glauben Sie noch an die Liebe? von Justus Bender Jan und Philipp Burgard Herr Mahmoud und die Liebe
Es war ein Taxifahrer in Hamburg, ein Mann mit Bierbauch, dem Foto einer Frau am Armaturenbrett und einer Koransure, die an einem Bindfaden am Rückspiegel baumelte, der uns zu diesem Buch inspiriert hat.
An einem Novembertag, an dem graue Wolken über Hamburg hingen und Nieselregen fiel, stiegen wir in sein Taxi. Während der Fahrt führte der Mann ein Telefonat. Wie wir später erfuhren, war seine Frau am Apparat, jene Dame, deren Foto er neben seinen Fahrerausweis geklemmt hatte. Sie war eine dunkelhaarige, etwas fülligere Nordafrikanerin mit einem kleinen Leberfleck unterhalb des rechten Auges. Wir merkten schnell, dass es sich bei dem Gespräch um einen Ehekrach handelte. Die Sätze des Taxifahrers klangen wie die Antworten eines Beschuldigten, er kam kaum zu Wort. »Nein! Ich fahre Taxi, nein, ich bin nicht in der Kneipe, nein, hier sind keine Frauen, verdammt noch mal!«
Wir gaben uns Mühe, das Gespräch zu überhören, und führten eine belanglose Unterhaltung. Als das Telefonat mitten in einem Satz abbrach, offenbar, weil die Frau aufgelegt hatte, schüttelte der Fahrer den Kopf und sagte: »Eins sage ich Ihnen: Heiraten Sie niemals! Nie!«
Vorsichtig fragte Jan Philipp Burgard: »Ihre Frau?«
Der Taxifahrer nickte nur und murmelte: »Diese Hexe.«
Justus Bender hielt seinen Verlobungsring in Sichtweite des Rückspiegels und sagte: »Herr ...« Auf dem Fahrerausweis am Armaturenbrett stand der Familienname Mahmoud. »Herr Mahmoud, dann müsste das Ihrer Ansicht nach ja ein Fehler sein. Das ist ein Verlobungsring.«
... mehr
Herr Mahmoud sprach jetzt ganz ruhig, fast leise. »Tun Sie das nicht. Ich weiß, was Sie denken ...«
»Was denke ich denn?«
»Sie denken, Sie seien verliebt, aber glauben Sie mir, das geht vorbei. Ich bin schon fremdgegangen, als meine Frau mir noch treu war.«
Der Satz hing bleischwer in der Luft. Er klang wie das traurige Ende einer einst schönen Liebesgeschichte. Herr Mahmoud, so erfuhren wir, hatte seine Frau in Marokko kennengelernt, ein schönes, schlankes Mädchen, gerade siebzehn Jahre alt, aus Marrakesch, derselben Stadt, in der er Ingenieurwesen studierte.
»Meine Frau liebt mich nicht mehr«, fuhr er fort, »ich liebe meine Frau nicht mehr, unsere Kinder sind nach Marokko gezogen, ich bin hier, und es regnet. Heiraten Sie nicht, glauben Sie mir! Suchen Sie sich etwas Nettes hier und da, ein süßes Mädchen, das reicht. Die Liebe hält nicht bis ins Alter, sie wird so ...« Herr Mahmoud zeigte auf den Himmel über Hamburg und sagte: »So grau, blass, so bäh. Verstehen Sie? Bäh!«
Im Rückspiegel konnte man sehen, dass er interessante Augen hatte, hell, fast grau, wie die Wolken. »Sie glauben wohl nicht an die Liebe?«, fragte Jan Philipp.
Herr Mahmoud lachte kurz, machte mit seinen Lippen ein zischendes Geräusch und schaltete das Radio ein. Es lief Musik, die, wie fast alle Musik, von der Liebe handelte, die unerfüllt bleibt und enttäuscht.
Einen Moment lang lauschten wir alle still den Takten, dann fragte Justus: »Kennen Sie Franz Müntefering?«
»Franz wer?«
»Müntefering, er war Vizekanzler. Und er ist mit siebenundsechzig Jahren von seinem Amt zurückgetreten, weil er bei seiner Frau sein wollte, die sterbenskrank war.«
»Ein Glückspilz! Ein Glücklicher!«, sagte Herr Mahmoud und lachte mit einem hässlichen Sarkasmus in der Stimme über die Geschmacklosigkeit seiner Antwort.
»Sagen Sie das nicht. Die Liebe kann ein Leben lang halten, Herr Mahmoud, sie hält, solange man miteinander sprechen kann, so wie Sie mit Ihrer Frau.«
Die Unterhaltung mit dem Taxifahrer war von einer Offenheit, wie es sie nur unter Fremden geben kann, die einander nicht mehr schulden als die Wahrheit. Herr Mahmoud klagte, seine Frau verzeihe ihm einen Seitensprung nicht, den er vor einem Jahr unternommen habe, in einer Seitenstraße der Reeperbahn. »Wenn e inmal der Wurm drin ist, kriegst du ihn nie wieder raus!«
Die verbleibende Fahrt entwickelte sich zu dem ehrgeizigen Versuch, dem unglücklichen Taxifahrer mit immer neuen Geschichten von Prominenten etwas Mut zu machen. Das Gespräch gipfelte in einem Vergleich seiner Ehe mit der von Bärbel Schäfer und Michel Friedman. Dieser hatte bezahlte Liebesdienste in Anspruch genommen, war in aller Öffentlichkeit beschimpft worden und schließlich von allen Ämtern und Posten zurückgetreten. Seine Lebensgefährtin Bärbel Schäfer hatte diesem Mann, der vor den Scherben seines Lebens stand und der ihr wohl nicht viel mehr zu bieten hatte außer seiner Reue und einem ramponierten Namen, verziehen - vielleicht aus keinem anderen denkbaren Grund als der Liebe in ihrer reinsten, weil aufopferungsvollsten Form. Ob das Herrn Mahmoud nicht Hoffnung mache?
Der lachte und fragte: »Was sind Sie beide von Beruf? Psychiater? «
»Nein, Journalisten.«
Er überlegte kurz. »Fragen Sie doch diese Leute, von denen Sie gerade erzählt haben. Die werden Ihnen schon sagen, wie es wirklich ist! Glauben Sie, die sind wirklich glücklich, und ich bin der Einzige, dem es anders geht?«
So gesehen, entstand die Idee aus einem Gefühl heraus, das alle Liebenden zuweilen befällt. Es ist die Sehnsucht, im Leben anderer Menschen etwas zu entdecken, das ihnen selbst längst allzu bekannt ist: den Schmerz, das Glück, die Hoffnung und die Pirouetten des Liebeslebens.
All die Menschen, mit denen wir für dieses Buch sprachen, haben, was die Liebe anbelangt, eine Geschichte zu erzählen.
Manchmal handelt sie nicht vom Glück, sondern vom Fehlen der Liebe und von der Einsamkeit. Manchmal handelt sie vom Tod eines geliebten Menschen und von eigenen Fehlern, durch die Partnerschaften zerbrochen sind. Jede Person, der wir Fragen zur Liebe gestellt haben, wurde sorgfältig ausgewählt. Nicht nach Rang und Namen, sondern nach den Antworten, die wir uns von ihnen erhofft haben. Nach einem Gespräch mit einem Intellektuellen trafen wir eine ehemalige Erotikdarstellerin. Nach einem Gespräch über Einsamkeit redeten wir mit jemandem, der in seinem Leben mehr Partner hatte, als er zählen kann.
So unterschiedlich die Biografien der Interviewpartner, so gegensätzlich waren ihre Meinungen. Der eine schimpfte auf die Ehe, die andere schwelgte in Sehnsucht danach. Gemeinsam ist all diesen Menschen, den Treuherzigen und den Filous, den Heißblütigen und den Realisten, den Mahmouds und den Münteferings, aber das Streben nach der Liebe, ganz gleich in welcher Form.
Dieses Buch ist von zwei Freunden geschrieben, die miteinander über die Liebe sprechen, wie es nur Freunde tun. Mit einer schroffen Ehrlichkeit, die befreiend wirken kann, einem nachdenklichen Humor, der die Untiefen der Liebe erträglicher macht, und mit dem sanften Spott über das Glück des anderen, der nur in Freundschaften seinen Platz hat. So haben wir über die Taxifahrt mit Herrn Mahmoud gesprochen und uns gegen seinen Pessimismus gewehrt, weil wir glauben, die Frauen unseres Lebens schon gefunden zu haben.
Herr Mahmoud hatte behauptet, die Menschen hätten den Glauben an die Liebe verloren. Dieses Buch ist unsere Antwort an ihn.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre.
Justus Bender und Jan Philipp Burgard
Franz Müntefering
»Ich kann gut alleine sein«
Es ist nicht lange her, da hätte eine Vorhut von Personenschützern den Treffpunkt schon vor dem Eintreffen unseres Interviewpartners gesichert. An diesem Morgen im Mai, um neun Uhr, laufen noch Rinnsale von Regenwasser über die Straßen von Herne. Gemächlich spaziert Franz Müntefering den Hügel zum Parkhotel Herne hoch, alleine, in einer Regenjacke, deren Reißverschluss geöffnet ist, und mit einem Regenschirm unter den Arm geklemmt. Unter der Regenjacke, ganz schlicht, ein blauer Wollpullover und ein kariertes Hemd. Der ehemalige SPD-Chef hat einen Büroraum des Hotels für unser Gespräch vorgeschlagen, weil die Anlage seinem Vermieter gehört und er nicht weit von hier wohnt.
Auf den ersten Blick scheint es müßig, mit einem wie Franz Müntefering, der sich gerne als »Alleiner« bezeichnet - jemand, der keine Freunde kennt und keine Verbündeten -, über die Liebe sprechen zu wollen. Aber es war dieser Franz Müntefering, der im Jahr 2007 sein Amt als Vizekanzler der Bundesrepublik aufgab, um seine todkranke Frau zu pflegen. Hinter der kühlen Fassade des Machtpolitikers schien »Münte« plötzlich ein anderer zu sein, der nicht zögerte, aus Liebe zu seiner Frau eine über Jahrzehnte gewachsene Karriere aufzugeben.
Müntefering sieht ausgeruht aus, die vertikalen Falten, an denen die Karikaturisten der Hauptstadt lange Jahre ihre Freude hatten, sind aus seinem Gesicht verschwunden. Er hat wieder geheiratet, die vierzig Jahre jüngere Michelle, eine Nachwuchspolitikerin der SPD. Deshalb ist er hier, in Herne, weil Michelle aus Herne kommt. Eine Flucht nach dem Tod seiner Frau? Ein neues Leben nach der Politik? Müntefering kennt diese Fragen, sie sind ihm zu privat. Im Vorgespräch hatte er angekündigt, nicht über Persönliches sprechen zu wollen. Weder über den Tod von Ankepetra noch über seine dritte Frau Michelle. Dass unser Gespräch über anderthalb Stunden von nahezu nichts anderem handeln würde, hätten wir deshalb nicht erwartet.
Müntefering setzt sich ans Kopfende des Tisches, wie es lange Jahre seiner Rolle entsprach. Er trinkt grünen Tee.
Herr Müntefering, Sie waren lange Zeit einer der mächtigsten Männer in Deutschland. Haben Sie die Macht damals geliebt?
»Liebe« ist wohl doch ein zu großes Wort, »Macht« auch. Aber es machte schon Spaß. Du bist in der Rolle des Regisseurs, du hältst hundert Fäden in den Händen und steuerst viel. Ab und zu gewinnst du, manchmal verlierst du. Das ist oft vor allem Liebe zum eigenen Leben, die dich antreibt. Du hast die einmalige Chance, einige Jahrzehnte zu leben und Gutes daraus zu machen.
Diese Liebe zum eigenen Leben, ist das auch ein Stück weit Selbstverliebtheit?
Ich sage nicht Nein. Aber Hannah Arendt hat das besser formuliert: Politik ist angewandte Liebe zum Leben.
Was Arendt meinte, war vermutlich aber nicht die Parteipolitik unserer Tage.
Ja, klar. Überhaupt ist Parteipolitik nur ein Unterthema der Politik. Es geht um die Frage, wie Menschen gleichberechtigt und gut leben können. Und das in einer sich schnell verändernden Welt. Das erfordert auch Parteinahme, Parteipolitik.
Aber was hat diese Politik mit Liebe zu tun?
Demokratische Politik meint das Leben jedes einzelnen Menschen und will, dass es gelingen kann. Dass Glück möglich ist. Das geht nicht in Diktaturen und in Not. Das geht mit Freiheit und Gerechtigkeit.
Sie halten Politik wirklich für eine Form von Liebe?
Ja. Politiker haben durch Wahl die ausdrückliche Aufgabe, dafür Pfadfinder und Lenker zu sein.
Und Nichtpolitiker sollen dann wie Schäfchen folgen?
Natürlich nicht. Auch die sind doch gesellschaftspolitisch engagiert, in Initiativen, NGOs, Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden. Auch da wird Politik gemacht, und auch da gilt die Liebe zum Leben. Meine eigene Erfahrung ist die des Politikers.
Wenn Sie die Politik mit einer Form des Liebens vergleichen, klingt das - mit Verlaub - sehr schwärmerisch. Die meisten Politiker arbeiten aber so viel, dass die wirkliche Liebe im Privatleben eher leidet.
Das kann passieren. Aber das ist kein spezifisches Politikerproblem.
Und wie war es bei Ihnen?
Es hat sich gegenseitig ergänzt, manchmal erschwert, manchmal beflügelt. Meine erste Ehe ist kaputtgegangen. Ich hatte früh geheiratet, mit einundzwanzig. Irgendwann war der Tank bei mir leer. Und die politischen Termine dominierten immer mehr.
Wann hatten Sie denn Zeit für die Familie? An den Wochenenden?
Oft nicht einmal dann. Je tiefer man drinsteckt, desto mehr Zeit verschlingt der Beruf. Im Nachhinein denke ich: Vielleicht wäre es besser gewesen, damals die Familie nach Bonn mitzunehmen. Aber das habe ich damals nicht erkannt.
Ihre zweite Frau, Ankepetra, war Mitarbeiterin der SPD- Fraktion. Hat es das leichter gemacht?
Ja, der Hauptarbeitsplatz war für uns beide in Bonn, und wir wohnten in einer Stadt. Zeitweise war ich in Düsseldorf im Kabinett. Aber das war ja nebenan. Es war ein gutes Leben. Dann ist sie schwer erkrankt und 2008 gestorben. Es war eine schwierige, aber auch schöne Zeit bis zu ihrem Tod.
Eine schöne Zeit?
Es war schwierig, anstrengend und auch schön, ja. Ich war extrem angestrengt, oft übermüdet. Aber es gab immer Stunden, Zeiten, die sehr gut waren. Wir waren einander nahe. Manchmal waren wir tieftraurig. Aber im Grunde ist das eine ganz besondere Sache, wenn man das Leben so miteinander und beieinander bis zum Schluss erlebt. Auch schwierige Lebensphasen können schön sein, doch.
Wie konnten Sie Berufspolitiker sein und sich gleichzeitig um Ihre Frau kümmern?
Eigentlich gar nicht. Ich war immer unter Zeitdruck. Ich war ja teils gleichzeitig Fraktions- und Parteivorsitzender. Tagsüber in der Fraktion, abends im Willy-Brandt-Haus, so war das oft. Und manche Nacht verbrachte ich im Krankenhaus, wenn Ankepetra dort war. Das half uns.
Sie sind einmal während einer Rede im Wahlkampf vor laufenden Kameras ohnmächtig geworden. War das eine Folge dieser Belastung?
Ja, das war in Homburg. Da deutete sich ein Herzproblem an, und ich war ziemlich platt. Ich war bis spätabends im Büro, die Nacht im Krankenhaus, ging morgens früh joggen und gleich wieder zu einem Termin. Meine biologische Uhr raste. Das hat mich an Grenzen geführt. Aber: Das war auch Adrenalin. Es hat Freude gemacht. Ich beklage mich nicht. Es war gut.
Irgendwann haben Sie sich in diesem Zwiespalt entschieden: für die Liebe zu Ankepetra, gegen die Liebe zur Macht.
Sie meinen den Herbst 2007. Auf dem Parteitag in Hamburg bekam ich den Anruf, dass Ankepetra in die Klinik musste. Sie wurde wieder operiert. Da ging nicht mehr beides gleichzeitig. Das Wichtigste für uns beide war, zusammen zu sein. Also bin ich aus dem Kabinett ausgeschieden. Wir waren dann zusammen in Bonn, zu Hause. Die Kinder waren oft dabei, auch ihre Brüder. Es war eine intensive, private Zeit.
Franz Müntefering ist ganz ruhig, wenn er über den Tod seiner Frau spricht. Er hat die Hände in den Schoß gelegt, hält den Blick gesenkt, kontrolliert, ähnlich wie an jenem 13. November 2007. Der Knoten seiner Krawatte war damals schief gebunden. Gekrümmt und mit den Händen im Schoß saß er, der Vizekanzler, in der Bundespressekonferenz, so krumm, dass sein Jackett am Nacken eine Falte warf. Mit der ihm eigenen Monotonie in der Stimme und müden Augen sprach Müntefering frei zu den anwesenden Journalisten. »Man spricht darüber nicht leicht und nicht gerne, aber meine Frau ist seit geraumer Zeit erheblich erkrankt. Es wird eine lange Phase der Reha geben, und ich möchte dabei sein. Diese beiden Aufgaben lassen sich nicht vereinbaren, dort eng dabei zu sein bei meiner Frau und gleichzeitig das Ministerium zu leiten und zu lenken. Die Entscheidung ist deshalb, dass ich das Amt des Ministers aufgebe und mich der Aufgabe zuwende, die jetzt meine wichtigste ist.«
Es war die Selbstverständlichkeit, mit der einer der mächtigsten Politiker des Landes seine Karriere beendete, um am Sterbebett seiner Frau zu sein, mit der Müntefering seine Zuhörer beeindruckte. So wichtig seine Stellung in der Politik war, sowohl für die Bundesregierung als auch für die Sozialdemokratische Partei, so viel größer schien in diesem Moment seine Zuneigung zu Ankepetra.
Ihr Rücktritt war ein Paukenschlag. Sie waren Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales und legten alles nieder. Viele Menschen fanden es sehr respektabel, dass Sie für Ihre Frau ein so großes Opfer brachten.
Es war kein Opfer.
Nein?
Nein. Ich habe das für uns gemacht, für sie, aber auch für mich selbst. So etwas hilft einem, mit der Situation fertigzuwerden und nicht völlig darin zu versinken. Wir hatten dann immer Zeit, gemeinsam zu frühstücken oder im Garten zu sitzen, in der Sonne, bei den Blumen. Die Blumen waren uns sehr wichtig.
Haben Sie in solchen Momenten im Garten manchmal bereut, dass Sie in Ihrem Leben nicht öfter Zeit für solche Dinge hatten?
Ehrlich gesagt: Nein.
Wieso nicht?
Mein Beruf hat mir Spaß gemacht. Warum sollte ich ihn bereuen? Wenn einem der andere ganz besonders viel wert ist, kann man trotzdem etwas verändern, ohne an ein Opfer zu denken.
In der Öffentlichkeit wirkte es, als würden Sie Ihre gesamte Karriere hinschmeißen.
Ich habe nicht hingeschmissen. Ich bin ja Abgeordneter geblieben, habe mich bald wieder in die Politik eingemischt.
Ist Ihr Leben heute noch politischer, weil Ihre heutige Frau auch Politikerin ist?
Nein. Politik ist uns wichtig, dominiert uns aber nicht. Es bleibt Luft für ein Privatleben.
Wenn Sie nicht über Politik reden mit Ihrer Frau, worüber dann?
Über »Dark Shadows« zum Beispiel, den Film von Tim Burton. Den haben wir uns angesehen.
Tim Burton macht oft sehr düstere Filme.
Nicht nur. Denken Sie an »Edward mit den Scherenhänden« oder »Charlie und die Schokoladenfabrik«, solche Filme haben auch etwas Märchenhaftes, sie sind poetisch. Wir sehen auch viele Serien. »Dr. House« und »Westwing« kenne ich inzwischen ein bisschen. Die sind nett, ein bisschen amerikanisch und verrückt. Die »Simpsons « sind total prima.
Wir müssten wahrscheinlich schmunzeln, wenn wir Franz Müntefering im Kino mit einer Tüte Popcorn treff en würden.
Das mag sein, aber das ist meine Realität.
Was ist das Wichtigste, was Sie von Ihrer Frau lernen können?
Dass ein anderer Lebensstil auch interessant sein kann. Michelle bringt mich zum Reisen. Das ist neu für mich, denn ich bin ein ausgewiesener Provinzler. Inzwischen weiß ich, wo es in Amsterdam das beste Bagelfrühstück gibt, kenne Bad Gastein im Winter und den Comer See im Sommer und war in Manhattan. Und sie lebt mit den neuen Medien. Ich beherrsche die Medien nicht, aber lerne sie schätzen. Im Übrigen heißt lernen ja nicht, alles nachzumachen. Aber es ist schon spannend, hält lebendig.
Ihre Frau ist auch SPD-Politikerin. Wir stellen uns das interessant vor, wenn Franz Müntefering zu Hause in der Küche sitzt und an der politischen Strategie seiner Frau mittüftelt.
Ich helfe, wo ich kann, aber ich bin dabei nicht der, der die Dinge lenkt. Sie muss, was sie für sich als Aufgabe sieht, selbst wissen. Weiß sie auch. Michelle hat Kontakte und einen viel größeren Freundeskreis als ich.
Kann man in der Spitzenpolitik überhaupt Freunde haben?
Doch. Ich selbst war da aber immer zurückhaltend. In jungen Jahren verunglückte mein bester Freund Berthold tödlich. Seit damals hat es immer lange gedauert, bis ich neue Freundschaften schloss. Es gibt ein Interview mit Gerhard Schröder und mir, in dem er gefragt wird, was er sich wünscht. Er sagte: »Dass Müntefering und ich befreundet sind.« Und ich sagte zurückhaltend: »Nee, nee.« Gerd war wahrscheinlich nicht glücklich darüber. Manchmal ist man ungeschickt, das war ich auch in dem Moment, gelinde gesagt.
Reden Sie manchmal noch mit Gerhard Schröder?
Nicht oft. Manchmal, gerne. Er war ein guter Kanzler!
Also leben Sie recht zurückgezogen?
Privat ja. Ich vermisse nichts. Ich kann gut alleine sein. Und als Abgeordneter bin ich ja immer noch viel unterwegs. Ich brauche auch keine Bühne.
Ist es nicht seltsam, unter den Freunden Ihrer Frau der Älteste zu sein?
Überhaupt nicht. Was ist schon Alter? Bei solchen Gelegenheiten sitze ich dann manchmal zwischen Jungsozialisten aus Herne, die sind zwischen zwanzig und dreißig, erzähle ein bisschen oder höre einfach zu und finde das ganz gut. Jugend macht neugierig und lässt hoffen. Meistens ist das Durchschnittsalter in politischen Runden allerdings deutlich höher. Auch da bin ich gerne dazwischen. Ich habe gerade mein gefühlt fünfhundertstes SPD-Sommerfest besucht.
Kein Gefühl von Einsamkeit oder Sprachlosigkeit?
Kein Stück, ich lebe gut so. Ich habe meine Frau, meine Familie, einige Bekannte, Bücher und genug zu tun. Vielleicht bin ich zu wirklicher Langeweile gar nicht fähig.
Gibt es ein Alter, von dem an man an das Lebensende denkt?
Ein Freund aus Sundern hat mir kürzlich geschrieben, dass ein Schulkamerad gestorben ist, den ich geschätzt habe. Das sind dann so Augenblicke, in denen man denkt: Schitte.
Die Einschläge kommen näher.
Ja, die Einschläge kommen näher. Aber noch geht es weiter.
Wie müssen wir uns Sie als Ehemann vorstellen? Einem Machtmenschen wie Ihnen muss es leichtfallen, die Kompromisse einer Ehe zu seinen Gunsten auszulegen.
Es geht doch bei der Macht nicht darum, dass man etwas auszulegen hat, sondern dass man Verantwortung hat, dass man überzeugt ist und überzeugend.
© 2012 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Herr Mahmoud sprach jetzt ganz ruhig, fast leise. »Tun Sie das nicht. Ich weiß, was Sie denken ...«
»Was denke ich denn?«
»Sie denken, Sie seien verliebt, aber glauben Sie mir, das geht vorbei. Ich bin schon fremdgegangen, als meine Frau mir noch treu war.«
Der Satz hing bleischwer in der Luft. Er klang wie das traurige Ende einer einst schönen Liebesgeschichte. Herr Mahmoud, so erfuhren wir, hatte seine Frau in Marokko kennengelernt, ein schönes, schlankes Mädchen, gerade siebzehn Jahre alt, aus Marrakesch, derselben Stadt, in der er Ingenieurwesen studierte.
»Meine Frau liebt mich nicht mehr«, fuhr er fort, »ich liebe meine Frau nicht mehr, unsere Kinder sind nach Marokko gezogen, ich bin hier, und es regnet. Heiraten Sie nicht, glauben Sie mir! Suchen Sie sich etwas Nettes hier und da, ein süßes Mädchen, das reicht. Die Liebe hält nicht bis ins Alter, sie wird so ...« Herr Mahmoud zeigte auf den Himmel über Hamburg und sagte: »So grau, blass, so bäh. Verstehen Sie? Bäh!«
Im Rückspiegel konnte man sehen, dass er interessante Augen hatte, hell, fast grau, wie die Wolken. »Sie glauben wohl nicht an die Liebe?«, fragte Jan Philipp.
Herr Mahmoud lachte kurz, machte mit seinen Lippen ein zischendes Geräusch und schaltete das Radio ein. Es lief Musik, die, wie fast alle Musik, von der Liebe handelte, die unerfüllt bleibt und enttäuscht.
Einen Moment lang lauschten wir alle still den Takten, dann fragte Justus: »Kennen Sie Franz Müntefering?«
»Franz wer?«
»Müntefering, er war Vizekanzler. Und er ist mit siebenundsechzig Jahren von seinem Amt zurückgetreten, weil er bei seiner Frau sein wollte, die sterbenskrank war.«
»Ein Glückspilz! Ein Glücklicher!«, sagte Herr Mahmoud und lachte mit einem hässlichen Sarkasmus in der Stimme über die Geschmacklosigkeit seiner Antwort.
»Sagen Sie das nicht. Die Liebe kann ein Leben lang halten, Herr Mahmoud, sie hält, solange man miteinander sprechen kann, so wie Sie mit Ihrer Frau.«
Die Unterhaltung mit dem Taxifahrer war von einer Offenheit, wie es sie nur unter Fremden geben kann, die einander nicht mehr schulden als die Wahrheit. Herr Mahmoud klagte, seine Frau verzeihe ihm einen Seitensprung nicht, den er vor einem Jahr unternommen habe, in einer Seitenstraße der Reeperbahn. »Wenn e inmal der Wurm drin ist, kriegst du ihn nie wieder raus!«
Die verbleibende Fahrt entwickelte sich zu dem ehrgeizigen Versuch, dem unglücklichen Taxifahrer mit immer neuen Geschichten von Prominenten etwas Mut zu machen. Das Gespräch gipfelte in einem Vergleich seiner Ehe mit der von Bärbel Schäfer und Michel Friedman. Dieser hatte bezahlte Liebesdienste in Anspruch genommen, war in aller Öffentlichkeit beschimpft worden und schließlich von allen Ämtern und Posten zurückgetreten. Seine Lebensgefährtin Bärbel Schäfer hatte diesem Mann, der vor den Scherben seines Lebens stand und der ihr wohl nicht viel mehr zu bieten hatte außer seiner Reue und einem ramponierten Namen, verziehen - vielleicht aus keinem anderen denkbaren Grund als der Liebe in ihrer reinsten, weil aufopferungsvollsten Form. Ob das Herrn Mahmoud nicht Hoffnung mache?
Der lachte und fragte: »Was sind Sie beide von Beruf? Psychiater? «
»Nein, Journalisten.«
Er überlegte kurz. »Fragen Sie doch diese Leute, von denen Sie gerade erzählt haben. Die werden Ihnen schon sagen, wie es wirklich ist! Glauben Sie, die sind wirklich glücklich, und ich bin der Einzige, dem es anders geht?«
So gesehen, entstand die Idee aus einem Gefühl heraus, das alle Liebenden zuweilen befällt. Es ist die Sehnsucht, im Leben anderer Menschen etwas zu entdecken, das ihnen selbst längst allzu bekannt ist: den Schmerz, das Glück, die Hoffnung und die Pirouetten des Liebeslebens.
All die Menschen, mit denen wir für dieses Buch sprachen, haben, was die Liebe anbelangt, eine Geschichte zu erzählen.
Manchmal handelt sie nicht vom Glück, sondern vom Fehlen der Liebe und von der Einsamkeit. Manchmal handelt sie vom Tod eines geliebten Menschen und von eigenen Fehlern, durch die Partnerschaften zerbrochen sind. Jede Person, der wir Fragen zur Liebe gestellt haben, wurde sorgfältig ausgewählt. Nicht nach Rang und Namen, sondern nach den Antworten, die wir uns von ihnen erhofft haben. Nach einem Gespräch mit einem Intellektuellen trafen wir eine ehemalige Erotikdarstellerin. Nach einem Gespräch über Einsamkeit redeten wir mit jemandem, der in seinem Leben mehr Partner hatte, als er zählen kann.
So unterschiedlich die Biografien der Interviewpartner, so gegensätzlich waren ihre Meinungen. Der eine schimpfte auf die Ehe, die andere schwelgte in Sehnsucht danach. Gemeinsam ist all diesen Menschen, den Treuherzigen und den Filous, den Heißblütigen und den Realisten, den Mahmouds und den Münteferings, aber das Streben nach der Liebe, ganz gleich in welcher Form.
Dieses Buch ist von zwei Freunden geschrieben, die miteinander über die Liebe sprechen, wie es nur Freunde tun. Mit einer schroffen Ehrlichkeit, die befreiend wirken kann, einem nachdenklichen Humor, der die Untiefen der Liebe erträglicher macht, und mit dem sanften Spott über das Glück des anderen, der nur in Freundschaften seinen Platz hat. So haben wir über die Taxifahrt mit Herrn Mahmoud gesprochen und uns gegen seinen Pessimismus gewehrt, weil wir glauben, die Frauen unseres Lebens schon gefunden zu haben.
Herr Mahmoud hatte behauptet, die Menschen hätten den Glauben an die Liebe verloren. Dieses Buch ist unsere Antwort an ihn.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre.
Justus Bender und Jan Philipp Burgard
Franz Müntefering
»Ich kann gut alleine sein«
Es ist nicht lange her, da hätte eine Vorhut von Personenschützern den Treffpunkt schon vor dem Eintreffen unseres Interviewpartners gesichert. An diesem Morgen im Mai, um neun Uhr, laufen noch Rinnsale von Regenwasser über die Straßen von Herne. Gemächlich spaziert Franz Müntefering den Hügel zum Parkhotel Herne hoch, alleine, in einer Regenjacke, deren Reißverschluss geöffnet ist, und mit einem Regenschirm unter den Arm geklemmt. Unter der Regenjacke, ganz schlicht, ein blauer Wollpullover und ein kariertes Hemd. Der ehemalige SPD-Chef hat einen Büroraum des Hotels für unser Gespräch vorgeschlagen, weil die Anlage seinem Vermieter gehört und er nicht weit von hier wohnt.
Auf den ersten Blick scheint es müßig, mit einem wie Franz Müntefering, der sich gerne als »Alleiner« bezeichnet - jemand, der keine Freunde kennt und keine Verbündeten -, über die Liebe sprechen zu wollen. Aber es war dieser Franz Müntefering, der im Jahr 2007 sein Amt als Vizekanzler der Bundesrepublik aufgab, um seine todkranke Frau zu pflegen. Hinter der kühlen Fassade des Machtpolitikers schien »Münte« plötzlich ein anderer zu sein, der nicht zögerte, aus Liebe zu seiner Frau eine über Jahrzehnte gewachsene Karriere aufzugeben.
Müntefering sieht ausgeruht aus, die vertikalen Falten, an denen die Karikaturisten der Hauptstadt lange Jahre ihre Freude hatten, sind aus seinem Gesicht verschwunden. Er hat wieder geheiratet, die vierzig Jahre jüngere Michelle, eine Nachwuchspolitikerin der SPD. Deshalb ist er hier, in Herne, weil Michelle aus Herne kommt. Eine Flucht nach dem Tod seiner Frau? Ein neues Leben nach der Politik? Müntefering kennt diese Fragen, sie sind ihm zu privat. Im Vorgespräch hatte er angekündigt, nicht über Persönliches sprechen zu wollen. Weder über den Tod von Ankepetra noch über seine dritte Frau Michelle. Dass unser Gespräch über anderthalb Stunden von nahezu nichts anderem handeln würde, hätten wir deshalb nicht erwartet.
Müntefering setzt sich ans Kopfende des Tisches, wie es lange Jahre seiner Rolle entsprach. Er trinkt grünen Tee.
Herr Müntefering, Sie waren lange Zeit einer der mächtigsten Männer in Deutschland. Haben Sie die Macht damals geliebt?
»Liebe« ist wohl doch ein zu großes Wort, »Macht« auch. Aber es machte schon Spaß. Du bist in der Rolle des Regisseurs, du hältst hundert Fäden in den Händen und steuerst viel. Ab und zu gewinnst du, manchmal verlierst du. Das ist oft vor allem Liebe zum eigenen Leben, die dich antreibt. Du hast die einmalige Chance, einige Jahrzehnte zu leben und Gutes daraus zu machen.
Diese Liebe zum eigenen Leben, ist das auch ein Stück weit Selbstverliebtheit?
Ich sage nicht Nein. Aber Hannah Arendt hat das besser formuliert: Politik ist angewandte Liebe zum Leben.
Was Arendt meinte, war vermutlich aber nicht die Parteipolitik unserer Tage.
Ja, klar. Überhaupt ist Parteipolitik nur ein Unterthema der Politik. Es geht um die Frage, wie Menschen gleichberechtigt und gut leben können. Und das in einer sich schnell verändernden Welt. Das erfordert auch Parteinahme, Parteipolitik.
Aber was hat diese Politik mit Liebe zu tun?
Demokratische Politik meint das Leben jedes einzelnen Menschen und will, dass es gelingen kann. Dass Glück möglich ist. Das geht nicht in Diktaturen und in Not. Das geht mit Freiheit und Gerechtigkeit.
Sie halten Politik wirklich für eine Form von Liebe?
Ja. Politiker haben durch Wahl die ausdrückliche Aufgabe, dafür Pfadfinder und Lenker zu sein.
Und Nichtpolitiker sollen dann wie Schäfchen folgen?
Natürlich nicht. Auch die sind doch gesellschaftspolitisch engagiert, in Initiativen, NGOs, Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden. Auch da wird Politik gemacht, und auch da gilt die Liebe zum Leben. Meine eigene Erfahrung ist die des Politikers.
Wenn Sie die Politik mit einer Form des Liebens vergleichen, klingt das - mit Verlaub - sehr schwärmerisch. Die meisten Politiker arbeiten aber so viel, dass die wirkliche Liebe im Privatleben eher leidet.
Das kann passieren. Aber das ist kein spezifisches Politikerproblem.
Und wie war es bei Ihnen?
Es hat sich gegenseitig ergänzt, manchmal erschwert, manchmal beflügelt. Meine erste Ehe ist kaputtgegangen. Ich hatte früh geheiratet, mit einundzwanzig. Irgendwann war der Tank bei mir leer. Und die politischen Termine dominierten immer mehr.
Wann hatten Sie denn Zeit für die Familie? An den Wochenenden?
Oft nicht einmal dann. Je tiefer man drinsteckt, desto mehr Zeit verschlingt der Beruf. Im Nachhinein denke ich: Vielleicht wäre es besser gewesen, damals die Familie nach Bonn mitzunehmen. Aber das habe ich damals nicht erkannt.
Ihre zweite Frau, Ankepetra, war Mitarbeiterin der SPD- Fraktion. Hat es das leichter gemacht?
Ja, der Hauptarbeitsplatz war für uns beide in Bonn, und wir wohnten in einer Stadt. Zeitweise war ich in Düsseldorf im Kabinett. Aber das war ja nebenan. Es war ein gutes Leben. Dann ist sie schwer erkrankt und 2008 gestorben. Es war eine schwierige, aber auch schöne Zeit bis zu ihrem Tod.
Eine schöne Zeit?
Es war schwierig, anstrengend und auch schön, ja. Ich war extrem angestrengt, oft übermüdet. Aber es gab immer Stunden, Zeiten, die sehr gut waren. Wir waren einander nahe. Manchmal waren wir tieftraurig. Aber im Grunde ist das eine ganz besondere Sache, wenn man das Leben so miteinander und beieinander bis zum Schluss erlebt. Auch schwierige Lebensphasen können schön sein, doch.
Wie konnten Sie Berufspolitiker sein und sich gleichzeitig um Ihre Frau kümmern?
Eigentlich gar nicht. Ich war immer unter Zeitdruck. Ich war ja teils gleichzeitig Fraktions- und Parteivorsitzender. Tagsüber in der Fraktion, abends im Willy-Brandt-Haus, so war das oft. Und manche Nacht verbrachte ich im Krankenhaus, wenn Ankepetra dort war. Das half uns.
Sie sind einmal während einer Rede im Wahlkampf vor laufenden Kameras ohnmächtig geworden. War das eine Folge dieser Belastung?
Ja, das war in Homburg. Da deutete sich ein Herzproblem an, und ich war ziemlich platt. Ich war bis spätabends im Büro, die Nacht im Krankenhaus, ging morgens früh joggen und gleich wieder zu einem Termin. Meine biologische Uhr raste. Das hat mich an Grenzen geführt. Aber: Das war auch Adrenalin. Es hat Freude gemacht. Ich beklage mich nicht. Es war gut.
Irgendwann haben Sie sich in diesem Zwiespalt entschieden: für die Liebe zu Ankepetra, gegen die Liebe zur Macht.
Sie meinen den Herbst 2007. Auf dem Parteitag in Hamburg bekam ich den Anruf, dass Ankepetra in die Klinik musste. Sie wurde wieder operiert. Da ging nicht mehr beides gleichzeitig. Das Wichtigste für uns beide war, zusammen zu sein. Also bin ich aus dem Kabinett ausgeschieden. Wir waren dann zusammen in Bonn, zu Hause. Die Kinder waren oft dabei, auch ihre Brüder. Es war eine intensive, private Zeit.
Franz Müntefering ist ganz ruhig, wenn er über den Tod seiner Frau spricht. Er hat die Hände in den Schoß gelegt, hält den Blick gesenkt, kontrolliert, ähnlich wie an jenem 13. November 2007. Der Knoten seiner Krawatte war damals schief gebunden. Gekrümmt und mit den Händen im Schoß saß er, der Vizekanzler, in der Bundespressekonferenz, so krumm, dass sein Jackett am Nacken eine Falte warf. Mit der ihm eigenen Monotonie in der Stimme und müden Augen sprach Müntefering frei zu den anwesenden Journalisten. »Man spricht darüber nicht leicht und nicht gerne, aber meine Frau ist seit geraumer Zeit erheblich erkrankt. Es wird eine lange Phase der Reha geben, und ich möchte dabei sein. Diese beiden Aufgaben lassen sich nicht vereinbaren, dort eng dabei zu sein bei meiner Frau und gleichzeitig das Ministerium zu leiten und zu lenken. Die Entscheidung ist deshalb, dass ich das Amt des Ministers aufgebe und mich der Aufgabe zuwende, die jetzt meine wichtigste ist.«
Es war die Selbstverständlichkeit, mit der einer der mächtigsten Politiker des Landes seine Karriere beendete, um am Sterbebett seiner Frau zu sein, mit der Müntefering seine Zuhörer beeindruckte. So wichtig seine Stellung in der Politik war, sowohl für die Bundesregierung als auch für die Sozialdemokratische Partei, so viel größer schien in diesem Moment seine Zuneigung zu Ankepetra.
Ihr Rücktritt war ein Paukenschlag. Sie waren Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales und legten alles nieder. Viele Menschen fanden es sehr respektabel, dass Sie für Ihre Frau ein so großes Opfer brachten.
Es war kein Opfer.
Nein?
Nein. Ich habe das für uns gemacht, für sie, aber auch für mich selbst. So etwas hilft einem, mit der Situation fertigzuwerden und nicht völlig darin zu versinken. Wir hatten dann immer Zeit, gemeinsam zu frühstücken oder im Garten zu sitzen, in der Sonne, bei den Blumen. Die Blumen waren uns sehr wichtig.
Haben Sie in solchen Momenten im Garten manchmal bereut, dass Sie in Ihrem Leben nicht öfter Zeit für solche Dinge hatten?
Ehrlich gesagt: Nein.
Wieso nicht?
Mein Beruf hat mir Spaß gemacht. Warum sollte ich ihn bereuen? Wenn einem der andere ganz besonders viel wert ist, kann man trotzdem etwas verändern, ohne an ein Opfer zu denken.
In der Öffentlichkeit wirkte es, als würden Sie Ihre gesamte Karriere hinschmeißen.
Ich habe nicht hingeschmissen. Ich bin ja Abgeordneter geblieben, habe mich bald wieder in die Politik eingemischt.
Ist Ihr Leben heute noch politischer, weil Ihre heutige Frau auch Politikerin ist?
Nein. Politik ist uns wichtig, dominiert uns aber nicht. Es bleibt Luft für ein Privatleben.
Wenn Sie nicht über Politik reden mit Ihrer Frau, worüber dann?
Über »Dark Shadows« zum Beispiel, den Film von Tim Burton. Den haben wir uns angesehen.
Tim Burton macht oft sehr düstere Filme.
Nicht nur. Denken Sie an »Edward mit den Scherenhänden« oder »Charlie und die Schokoladenfabrik«, solche Filme haben auch etwas Märchenhaftes, sie sind poetisch. Wir sehen auch viele Serien. »Dr. House« und »Westwing« kenne ich inzwischen ein bisschen. Die sind nett, ein bisschen amerikanisch und verrückt. Die »Simpsons « sind total prima.
Wir müssten wahrscheinlich schmunzeln, wenn wir Franz Müntefering im Kino mit einer Tüte Popcorn treff en würden.
Das mag sein, aber das ist meine Realität.
Was ist das Wichtigste, was Sie von Ihrer Frau lernen können?
Dass ein anderer Lebensstil auch interessant sein kann. Michelle bringt mich zum Reisen. Das ist neu für mich, denn ich bin ein ausgewiesener Provinzler. Inzwischen weiß ich, wo es in Amsterdam das beste Bagelfrühstück gibt, kenne Bad Gastein im Winter und den Comer See im Sommer und war in Manhattan. Und sie lebt mit den neuen Medien. Ich beherrsche die Medien nicht, aber lerne sie schätzen. Im Übrigen heißt lernen ja nicht, alles nachzumachen. Aber es ist schon spannend, hält lebendig.
Ihre Frau ist auch SPD-Politikerin. Wir stellen uns das interessant vor, wenn Franz Müntefering zu Hause in der Küche sitzt und an der politischen Strategie seiner Frau mittüftelt.
Ich helfe, wo ich kann, aber ich bin dabei nicht der, der die Dinge lenkt. Sie muss, was sie für sich als Aufgabe sieht, selbst wissen. Weiß sie auch. Michelle hat Kontakte und einen viel größeren Freundeskreis als ich.
Kann man in der Spitzenpolitik überhaupt Freunde haben?
Doch. Ich selbst war da aber immer zurückhaltend. In jungen Jahren verunglückte mein bester Freund Berthold tödlich. Seit damals hat es immer lange gedauert, bis ich neue Freundschaften schloss. Es gibt ein Interview mit Gerhard Schröder und mir, in dem er gefragt wird, was er sich wünscht. Er sagte: »Dass Müntefering und ich befreundet sind.« Und ich sagte zurückhaltend: »Nee, nee.« Gerd war wahrscheinlich nicht glücklich darüber. Manchmal ist man ungeschickt, das war ich auch in dem Moment, gelinde gesagt.
Reden Sie manchmal noch mit Gerhard Schröder?
Nicht oft. Manchmal, gerne. Er war ein guter Kanzler!
Also leben Sie recht zurückgezogen?
Privat ja. Ich vermisse nichts. Ich kann gut alleine sein. Und als Abgeordneter bin ich ja immer noch viel unterwegs. Ich brauche auch keine Bühne.
Ist es nicht seltsam, unter den Freunden Ihrer Frau der Älteste zu sein?
Überhaupt nicht. Was ist schon Alter? Bei solchen Gelegenheiten sitze ich dann manchmal zwischen Jungsozialisten aus Herne, die sind zwischen zwanzig und dreißig, erzähle ein bisschen oder höre einfach zu und finde das ganz gut. Jugend macht neugierig und lässt hoffen. Meistens ist das Durchschnittsalter in politischen Runden allerdings deutlich höher. Auch da bin ich gerne dazwischen. Ich habe gerade mein gefühlt fünfhundertstes SPD-Sommerfest besucht.
Kein Gefühl von Einsamkeit oder Sprachlosigkeit?
Kein Stück, ich lebe gut so. Ich habe meine Frau, meine Familie, einige Bekannte, Bücher und genug zu tun. Vielleicht bin ich zu wirklicher Langeweile gar nicht fähig.
Gibt es ein Alter, von dem an man an das Lebensende denkt?
Ein Freund aus Sundern hat mir kürzlich geschrieben, dass ein Schulkamerad gestorben ist, den ich geschätzt habe. Das sind dann so Augenblicke, in denen man denkt: Schitte.
Die Einschläge kommen näher.
Ja, die Einschläge kommen näher. Aber noch geht es weiter.
Wie müssen wir uns Sie als Ehemann vorstellen? Einem Machtmenschen wie Ihnen muss es leichtfallen, die Kompromisse einer Ehe zu seinen Gunsten auszulegen.
Es geht doch bei der Macht nicht darum, dass man etwas auszulegen hat, sondern dass man Verantwortung hat, dass man überzeugt ist und überzeugend.
© 2012 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Justus Bender, Jan P. Burgard
Justus Bender, geboren 1981, hat Philosophie in Frankfurt am Main studiert. Er war Autor der Wochenzeitung DIE ZEIT und Redakteur von ZEIT CAMPUS. Im Jahr 2010 arbeitete er mehrere Monate als Fellow des Arthur F. Burns-Programms für den Boston Globe in den USA. Bender schrieb für das ZEITmagazin, das Ressort CHANCEN der ZEIT, ZEIT CAMPUS und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Seit 2012 arbeitet er als Redakteur im Ressort Politik der FAZ.Jan Philipp Burgard, geboren 1985, hat Politikwissenschaft in Bonn und an der Sorbonne in Paris studiert. Schon während des Studiums schrieb er für Magazine und Zeitungen wie Focus, Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Als Producer im ARD-Studio Washington berichtete er 2008 über den Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama, 2009 wurde er das jüngste Redaktionsmitglied aller Zeiten bei den ARD- Tagesthemen. Seit August 2011 arbeitet er im ZDF-Hauptstadtstudio und berichtet über Bundespolitik, Wirtschaft und Kultur.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Justus Bender , Jan P. Burgard
- 2012, 284 Seiten, Masse: 13,5 x 20,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570101436
- ISBN-13: 9783570101438
- Erscheinungsdatum: 22.10.2012
Rezension zu „Glauben Sie noch an die Liebe? “
"Ein schönes Buch mit offenen, berührenden und wahren Be- und Erkenntnissen."
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