Gemeine Gewächse
Das A bis Z der Pflanzen, die morden, verstümmeln, berauschen und uns anderweitig ärgern
Das A bis Z der Pflanzen, die
morden, verstümmeln, betäuben
und uns anderweitig ärgern
morden, verstümmeln, betäuben
und uns anderweitig ärgern
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Gemeine Gewächse “
Das A bis Z der Pflanzen, die
morden, verstümmeln, betäuben
und uns anderweitig ärgern
morden, verstümmeln, betäuben
und uns anderweitig ärgern
Klappentext zu „Gemeine Gewächse “
Der Feind in meinem Beet: ein Baum, der Sie mit Giftpfeilen befeuert, ein glänzender roter Samen, der Ihren Herzschlag stoppt, ein Strauch, der Lähmungen verursacht, eine Kletterpflanze, die Sie erdrosselt, und ein Blatt, das einst einen Krieg auslöste. Dieses Buch hält alle wichtigen Informationen zu den fiesesten Pflanzen, den bösesten Blumen und gemeinsten Gewächsen bereit; sie lauern nicht nur in fernen Ländern, sondern direkt in unseren Vorgärten und Wohnzimmern. Amy Stewart erzählt uns von diesen botanischen Teufeleien und gleichzeitig aus Geschichte, Literatur, Politik und Sage. Ein Buch wie aus Harry Potters Handbibliothek, eine Chronik des Skurrilen und des alltäglichen Zaubers, die in den USA zum Überraschungsbestseller avancierte. Gemeine Gewächse ist ein verschlagenes Lesevergnügen voller wunderbarer Zeichnungen.
Der Feind in meinem Beet: ein Baum, der Sie mit Giftpfeilen befeuert, ein glänzender roter Samen, der Ihren Herzschlag stoppt, ein Strauch, der Lähmungen verursacht, eine Kletterpflanze, die Sie erdrosselt, und ein Blatt, das einst einen Krieg auslöste. Dieses Buch hält alle wichtigen Informationen zu den fiesesten Pflanzen, den bösesten Blumen und gemeinsten Gewächsen bereit; sie lauern nicht nur in fernen Ländern, sondern direkt in unseren Vorgärten und Wohnzimmern. Amy Stewart erzählt uns von diesen botanischen Teufeleien und gleichzeitig aus Geschichte, Literatur, Politik und Sage. Ein Buch wie aus Harry Potters Handbibliothek, eine Chronik des Skurrilen und des alltäglichen Zaubers, die in den USA zum Überraschungsbestseller avancierte. Gemeine Gewächse ist ein verschlagenes Lesevergnügen voller wunderbarer Zeichnungen.
Lese-Probe zu „Gemeine Gewächse “
Gemeine Gewächse von Amy StewartSeien Sie gewarnt
Ein Baum, der Giftdolche abfeuert. Ein leuchtend roter
Samen, der den Herzschlag stoppt. Ein Strauch, der
unerträgliche Schmerzen verursacht, eine Kletterpflanze,
die berauscht, ein Blatt, das einen Krieg auslöst: Im Reich
der Pflanzen lauern unermessliche Gefahren.
1844 beschrieb Nathaniel Hawthorne in seiner Erzählung
»Der Garten des Bösen« einen bejahrten Arzt, der
einen verwunschenen, von Mauern umgebenen Garten
pflegte. Sobald sich der alte Mann in der Nähe seiner
Sträucher und Schlingpflanzen befand, war es, »als ginge er
unter bösen Gewalten einher, wilden Furien, todbringenden
Schlangen, bösen Geistern, von denen ihm furchtbares
Unheil drohe im kleinsten unbeherrschten Augenblick
«. Der Held der Geschichte, der junge Giovanni,
beobachtete dies von seinem Fenster aus und fand es
höchst beunruhigend, »diese Unsicherheit an einem Menschen
zu beobachten, der einen Garten pflegt, bei dieser
einfachsten und unschuldigsten aller menschlichen Beschäftigungen«.
... mehr
Unschuldig? So sah Giovanni die üppige Vegetation
unter seinem Fenster, und genauso nähern sich die meisten
von uns den Pflanzen in unseren Gärten und in der
freien Natur: mit blindem Gottvertrauen. Nie würden wir
aus einer am Straßenrand abgestellten Kaffeetasse trinken,
doch auf Wanderungen naschen wir von unbekannten
Beeren, als wären sie nur dazu da, unseren Hunger zu stillen.
Wir brauen Arzneitee aus fremdartigen Rinden und
Blättern, die uns ein Freund geschenkt hat, und glauben,
alles Natürliche könne nichts anderes als gesund sein. Und
kommt ein Baby ins Haus, laufen wir los und besorgen
Sicherheitskappen für die Steckdosen, übersehen aber die
Zimmerpflanze in der Küche und den Strauch neben der
Haustür - und das, obwohl allein in den USA jährlich gerade
einmal 3900 Menschen durch Stromschläge zu Schaden
kommen, während knapp 70 000 durch Pflanzen vergiftet
werden.
Sie können jahrelang im Garten arbeiten, ohne von
der fatalen Wirkung des Eisenhuts auch nur zu ahnen,
dessen strahlend blaue Blüten ein Gift enthalten, das zum
Erstickungstod führt. Sie können meilenweit wandern,
ohne je auf den Coyotillostrauch zu stoßen, dessen Beeren
bei Verzehr eine langsame, aber tödlich verlaufende Lähmung
verursachen. Doch eines Tages könnten auch Sie
den dunklen Mächten des Pflanzenreichs gegenüberstehen.
Und wenn das geschieht, sollten Sie vorbereitet
sein.
ICH HABE DIESES BUCH nicht geschrieben, um den
Menschen Angst einzujagen. Ganz im Gegenteil. Ich glaube,
dass es uns allen guttut, mehr Zeit in der Natur zu verbringen
- allerdings sollten wir begreifen, welche Macht
sie hat. Ich lebe an der zerklüfteten Küste Nordkaliforniens,
und jeden Sommer schleicht sich der Pazifik im
Rücken von Familien heran, die sich gerade noch eines
unbeschwerten Tages am Meer erfreuten, und fordert
Menschenleben. Wir, die hier leben, wissen, dass die sogenannten
Schläferwellen ohne jede Vorwarnung töten
können. Ich liebe das Meer, aber nie würde ich ihm den
Rücken zukehren. Pflanzen verdienen dieselbe respekt-
volle Vorsicht. Sie können uns nähren und heilen, aber sie
können auch zerstören.
Einige der Pflanzen in diesem Buch haben eine wahrhaft
skandalträchtige Geschichte. Ein Unkraut tötete
Abraham Lincolns Mutter. Ein Strauch hätte beinahe Frederick
Law Olmsted, Amerikas berühmtesten Landschaftsarchitekten,
das Augenlicht gekostet. Eine blühende
Blumenzwiebel ließ die Männer der Lewis-und-Clark-
Expedition erkranken, Schierling tötete Sokrates, und das
gemeinste aller Gewächse - Tabak - hat 90 Millionen Leben
gekostet. Ein anregender kleiner Busch in Kolumbien
und Bolivien, Erythroxylum coca, hat einen weltweiten
Drogenkrieg angezettelt, und in einem der ersten Fälle
chemischer Kriegsführung setzten die alten Griechen Nieswurz
ein.
Aber auch Pflanzen mit sagenhaft schlechten Manieren
verdienen es, hier erwähnt zu werden: Kudzu hat im
amerikanischen Süden ganze Autos und Gebäude verschlungen,
und ein Seegras, bekannt als Killeralge, erstickt
weltweit die Meeresböden, seit es aus Jacques Cousteaus
Aquarium in Monaco entkommen konnte. Die abscheuliche
Leichenblume riecht nach Verwesung, die Fleischfressende
Nepenthes truncata kann ganze Mäuse verspeisen,
und die Flötenakazie beherbergt Armeen von aggressiven
Ameisen, die jeden angreifen, der sich dem Baum auch
nur nähert.
Sollte dieses Buch Sie gleichzeitig unterhalten, warnen
und aufklären, habe ich alles richtig gemacht. Ich bin
weder Botanikerin noch Wissenschaftlerin, sondern eine
naturbegeisterte Autorin und Gärtnerin. Für dieses Buch
habe ich unter Tausenden von Pflanzen rund um den Globus
die faszinierendsten und gemeinsten ausgewählt. Und
für die, die sich für die Bestimmung giftiger Pflanzen interessieren,
habe ich einige Lesetipps im Literaturverzeichnis
zusammengestellt. Falls Sie glauben, jemand wurde
durch eine Pflanze vergiftet, verlieren Sie bitte keine wertvolle
Zeit, indem Sie dieses Buch nach Symptomen oder
Diagnosen durchforsten. Wenn ich auch die möglichen
oder wahrscheinlichen Wirkungen vieler Toxine beschreibe,
so hängt ihre tatsächliche Stärke doch von vielen Faktoren
ab: Wann und wie wurde welcher Teil der Pflanze
bei welcher Temperatur gegessen? Versuchen Sie erst gar
nicht, es selbst herauszufinden. Rufen Sie lieber den Giftnotruf
Ihrer Stadt an oder suchen Sie schleunigst einen
Arzt auf.
Und schließlich: Experimentieren Sie nicht mit unbekannten
Pflanzen und unterschätzen Sie nicht deren
Macht. Tragen Sie während der Gartenarbeit Handschuhe.
Überlegen Sie es sich gut, ob Sie wirklich diese Beere am
Wegesrand hinunterschlucken oder jene Wurzel in den
Suppentopf werfen wollen. Sollten Sie kleine Kinder haben,
bringen Sie ihnen bei, keine Pflanzen in den Mund
zu nehmen. Sollten Sie Tiere haben, entfernen Sie giftige
Pflanzen aus ihrer Umgebung. Die Gartenbaubranche
kennzeichnet giftige Pflanzen leider nur sehr lax. Teilen
Sie dem Gartencenter Ihres Vertrauens mit, dass Sie gut
sichtbare und präzise beschriftete Schilder an gefährlichen
Pflanzen begrüßen würden. Verwenden Sie verlässliche
Quellen zur Bestimmung giftiger, heilkräftiger und essbarer
Pflanzen. (Im Internet kursiert eine Unzahl an Falschinformationen,
mit tragischen Folgen.) Ich habe mich
nicht davor gescheut, Pflanzen mit berauschender Wirkung
aufzunehmen, allerdings, um vor ihnen zu warnen,
keinesfalls, um zu ihrem Gebrauch zu ermutigen.
ICH GESTEHE, DASS mich das kriminelle Element im
Reich der Pflanzen magisch anzieht, und ich auf einer
Gartenshow von einem Prachtexemplar der Euphorbia tirucalli,
des Bleistiftstrauchs, dessen Milchsaft Striemen auf
der Haut hinterlässt, genauso fasziniert bin wie von einer
halluzinogenen Mondblume, Datura inoxia, die einsam in
der Wüste blüht. Es hat etwas Betörendes, ihre dunklen
kleinen Geheimnisse zu kennen. Und diese Geheimnisse
lauern nicht nur in entlegenen Dschungelwelten. Sie warten
im heimischen Garten.
BERAUSCHEND
ALRAUNE
MANDRAGORA OFFICINARUM
FAMILIE: Solanaceae (Nachtschattengewächse)
HABITAT: Felder und sonnige Freiflächen
VERBREITUNG: Europa
NAMEN: Satansapfel
Geh, fang einen Stern, der fällt,
Schwängere mir den Alraun,
Sag, wo blieb die Zeit der Welt?
Wer hat des Teufels Huf zerhaun?
John Donne
Die Alraune mag zwar nicht der verschlagenste Verbrecher
aus der Nachtschattenfamilie sein, aber sie
hat ganz sicher den fürchterlichsten Ruf. Oberirdisch ist
sie eine unscheinbare kleine Pflanze mit einer 30 Zentimeter
hohen Blattrosette, blassgrünen Blüten und leicht
giftigen Früchten, die kleinen unreifen Tomaten ähneln.
Doch die Macht der Alraune verbirgt sich unter der Erde.
Ihre langen spitzen Wurzeln wachsen bis zu einem
Meter tief und verzweigen sich wie Karotten, die in steiniger
Erde wachsen. In der Antike sagte man, die gegabelte
haarige Wurzel sähe wie eine teuflische kleine Person aus.
Die Römer glaubten, mit Alraunen Dämonen austreiben
zu können, und die Griechen meinten, eine Ähnlichkeit
zum männlichen Glied zu erkennen und nutzten die Wur-
zel folglich als Potenzmittel. Weit verbreitet war auch der
Glaube, dass die Alraune zu kreischen begänne, sobald
man sie aus der Erde zog - so laut, dass ihre Schreie jeden
töten würden, der sie hörte.
Flavius Josephus, ein jüdischer Historiker aus dem
1. Jahrhundert vor Christus, beschrieb in seinen Schriften
eine Möglichkeit, die schrecklichen Schreie der Alraunen
zu überleben. Man band einen Hund an den Fuß der
Pflanze und sein Besitzer zog sich auf eine sichere Entfernung
zurück. Sobald der Hund loslief, würde er die
Wurzel aus dem Boden reißen. Selbst wenn die Schreie ihn
töten sollten, könnte man im Anschluss die Wurzel auflesen
und verwerten.
Alraunen wurden mit Wein zu einem starken Beruhigungsmittel
vermischt, mit dem man auch Feinden zusetzen
konnte. Während einer Schlacht um die nordafrikanische
Stadt Karthago entwickelte der Feldherr Hannibal
circa 200 v. Chr. eine Frühform chemischer Kriegsführung,
als er sich aus der Stadt zurückzog und ein Festbankett
hinterließ, dessen Getränk aus Mandragora bestand, einem
betäubenden Wein, der mit Alraunen angereichert war.
Die afrikanischen Krieger tranken und schliefen bald, bis
sie von Hannibals zurückkehrenden Truppen hinterhältig
überfallen und getötet wurden.
William Shakespeare dachte vielleicht an dieses Ereignis,
als er dem Gift in Romeo und Julia eine Rolle auf den
Leib schrieb. Der Mönch übergibt Julia mit dem folgenden
düsteren Versprechen ein Schlafmittel:
Der Lippen und der Wangen Rosen werden
Wie Asche fahl; die Augenlider sinken,
Wie wenn der Tod abschließt den Lebenstag;
Die Alraune verdankt ihre einschläfernde Magie vielen
jener Alkaloide, die auch ihre Nachtschatten-Cousins zu
einer tödlichen Plage machen. (Alkaloide sind organische
Verbindungen mit oftmals pharmakologischer Wirkung auf
den menschlichen und tierischen Organismus.) Atropin,
Hyoscyamin und Scopolamin sind Wirkstoffe dieser Pflanze,
können das Nervensystem lähmen und einen komatösen
Zustand herbeiführen. Hat man von der Frucht gegessen,
kann das starke Gegengift Physostigmin helfen,
das ironischerweise aus der noch giftigeren Kalabarbohne
stammt.
FAMILIENBANDE: Zur berüchtigten Nachtschattenfamilie
gehören u. a. Paprika, Tomaten
und Kartoffeln, aber auch die Tollkirsche.
März 2011
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel
Wicked Plants. The Weed That Killed Lincoln's Mother
& Other Botanical Atrocities
bei Algonquin Books of Chapel Hill
© 2009 Amy Stewart
Für die deutsche Ausgabe
© 2011 BV Berlin Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Typographie: Andrea Engel, Berlin
Satz: psb, Berlin
Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8333-0715-7
»Anregungen zur weiteren Lektüre in deutscher Sprache« ist eine
Ergänzung des Berliner Taschenbuch Verlags, mit freundlicher
Genehmigung von Amy Stewart.
Unschuldig? So sah Giovanni die üppige Vegetation
unter seinem Fenster, und genauso nähern sich die meisten
von uns den Pflanzen in unseren Gärten und in der
freien Natur: mit blindem Gottvertrauen. Nie würden wir
aus einer am Straßenrand abgestellten Kaffeetasse trinken,
doch auf Wanderungen naschen wir von unbekannten
Beeren, als wären sie nur dazu da, unseren Hunger zu stillen.
Wir brauen Arzneitee aus fremdartigen Rinden und
Blättern, die uns ein Freund geschenkt hat, und glauben,
alles Natürliche könne nichts anderes als gesund sein. Und
kommt ein Baby ins Haus, laufen wir los und besorgen
Sicherheitskappen für die Steckdosen, übersehen aber die
Zimmerpflanze in der Küche und den Strauch neben der
Haustür - und das, obwohl allein in den USA jährlich gerade
einmal 3900 Menschen durch Stromschläge zu Schaden
kommen, während knapp 70 000 durch Pflanzen vergiftet
werden.
Sie können jahrelang im Garten arbeiten, ohne von
der fatalen Wirkung des Eisenhuts auch nur zu ahnen,
dessen strahlend blaue Blüten ein Gift enthalten, das zum
Erstickungstod führt. Sie können meilenweit wandern,
ohne je auf den Coyotillostrauch zu stoßen, dessen Beeren
bei Verzehr eine langsame, aber tödlich verlaufende Lähmung
verursachen. Doch eines Tages könnten auch Sie
den dunklen Mächten des Pflanzenreichs gegenüberstehen.
Und wenn das geschieht, sollten Sie vorbereitet
sein.
ICH HABE DIESES BUCH nicht geschrieben, um den
Menschen Angst einzujagen. Ganz im Gegenteil. Ich glaube,
dass es uns allen guttut, mehr Zeit in der Natur zu verbringen
- allerdings sollten wir begreifen, welche Macht
sie hat. Ich lebe an der zerklüfteten Küste Nordkaliforniens,
und jeden Sommer schleicht sich der Pazifik im
Rücken von Familien heran, die sich gerade noch eines
unbeschwerten Tages am Meer erfreuten, und fordert
Menschenleben. Wir, die hier leben, wissen, dass die sogenannten
Schläferwellen ohne jede Vorwarnung töten
können. Ich liebe das Meer, aber nie würde ich ihm den
Rücken zukehren. Pflanzen verdienen dieselbe respekt-
volle Vorsicht. Sie können uns nähren und heilen, aber sie
können auch zerstören.
Einige der Pflanzen in diesem Buch haben eine wahrhaft
skandalträchtige Geschichte. Ein Unkraut tötete
Abraham Lincolns Mutter. Ein Strauch hätte beinahe Frederick
Law Olmsted, Amerikas berühmtesten Landschaftsarchitekten,
das Augenlicht gekostet. Eine blühende
Blumenzwiebel ließ die Männer der Lewis-und-Clark-
Expedition erkranken, Schierling tötete Sokrates, und das
gemeinste aller Gewächse - Tabak - hat 90 Millionen Leben
gekostet. Ein anregender kleiner Busch in Kolumbien
und Bolivien, Erythroxylum coca, hat einen weltweiten
Drogenkrieg angezettelt, und in einem der ersten Fälle
chemischer Kriegsführung setzten die alten Griechen Nieswurz
ein.
Aber auch Pflanzen mit sagenhaft schlechten Manieren
verdienen es, hier erwähnt zu werden: Kudzu hat im
amerikanischen Süden ganze Autos und Gebäude verschlungen,
und ein Seegras, bekannt als Killeralge, erstickt
weltweit die Meeresböden, seit es aus Jacques Cousteaus
Aquarium in Monaco entkommen konnte. Die abscheuliche
Leichenblume riecht nach Verwesung, die Fleischfressende
Nepenthes truncata kann ganze Mäuse verspeisen,
und die Flötenakazie beherbergt Armeen von aggressiven
Ameisen, die jeden angreifen, der sich dem Baum auch
nur nähert.
Sollte dieses Buch Sie gleichzeitig unterhalten, warnen
und aufklären, habe ich alles richtig gemacht. Ich bin
weder Botanikerin noch Wissenschaftlerin, sondern eine
naturbegeisterte Autorin und Gärtnerin. Für dieses Buch
habe ich unter Tausenden von Pflanzen rund um den Globus
die faszinierendsten und gemeinsten ausgewählt. Und
für die, die sich für die Bestimmung giftiger Pflanzen interessieren,
habe ich einige Lesetipps im Literaturverzeichnis
zusammengestellt. Falls Sie glauben, jemand wurde
durch eine Pflanze vergiftet, verlieren Sie bitte keine wertvolle
Zeit, indem Sie dieses Buch nach Symptomen oder
Diagnosen durchforsten. Wenn ich auch die möglichen
oder wahrscheinlichen Wirkungen vieler Toxine beschreibe,
so hängt ihre tatsächliche Stärke doch von vielen Faktoren
ab: Wann und wie wurde welcher Teil der Pflanze
bei welcher Temperatur gegessen? Versuchen Sie erst gar
nicht, es selbst herauszufinden. Rufen Sie lieber den Giftnotruf
Ihrer Stadt an oder suchen Sie schleunigst einen
Arzt auf.
Und schließlich: Experimentieren Sie nicht mit unbekannten
Pflanzen und unterschätzen Sie nicht deren
Macht. Tragen Sie während der Gartenarbeit Handschuhe.
Überlegen Sie es sich gut, ob Sie wirklich diese Beere am
Wegesrand hinunterschlucken oder jene Wurzel in den
Suppentopf werfen wollen. Sollten Sie kleine Kinder haben,
bringen Sie ihnen bei, keine Pflanzen in den Mund
zu nehmen. Sollten Sie Tiere haben, entfernen Sie giftige
Pflanzen aus ihrer Umgebung. Die Gartenbaubranche
kennzeichnet giftige Pflanzen leider nur sehr lax. Teilen
Sie dem Gartencenter Ihres Vertrauens mit, dass Sie gut
sichtbare und präzise beschriftete Schilder an gefährlichen
Pflanzen begrüßen würden. Verwenden Sie verlässliche
Quellen zur Bestimmung giftiger, heilkräftiger und essbarer
Pflanzen. (Im Internet kursiert eine Unzahl an Falschinformationen,
mit tragischen Folgen.) Ich habe mich
nicht davor gescheut, Pflanzen mit berauschender Wirkung
aufzunehmen, allerdings, um vor ihnen zu warnen,
keinesfalls, um zu ihrem Gebrauch zu ermutigen.
ICH GESTEHE, DASS mich das kriminelle Element im
Reich der Pflanzen magisch anzieht, und ich auf einer
Gartenshow von einem Prachtexemplar der Euphorbia tirucalli,
des Bleistiftstrauchs, dessen Milchsaft Striemen auf
der Haut hinterlässt, genauso fasziniert bin wie von einer
halluzinogenen Mondblume, Datura inoxia, die einsam in
der Wüste blüht. Es hat etwas Betörendes, ihre dunklen
kleinen Geheimnisse zu kennen. Und diese Geheimnisse
lauern nicht nur in entlegenen Dschungelwelten. Sie warten
im heimischen Garten.
BERAUSCHEND
ALRAUNE
MANDRAGORA OFFICINARUM
FAMILIE: Solanaceae (Nachtschattengewächse)
HABITAT: Felder und sonnige Freiflächen
VERBREITUNG: Europa
NAMEN: Satansapfel
Geh, fang einen Stern, der fällt,
Schwängere mir den Alraun,
Sag, wo blieb die Zeit der Welt?
Wer hat des Teufels Huf zerhaun?
John Donne
Die Alraune mag zwar nicht der verschlagenste Verbrecher
aus der Nachtschattenfamilie sein, aber sie
hat ganz sicher den fürchterlichsten Ruf. Oberirdisch ist
sie eine unscheinbare kleine Pflanze mit einer 30 Zentimeter
hohen Blattrosette, blassgrünen Blüten und leicht
giftigen Früchten, die kleinen unreifen Tomaten ähneln.
Doch die Macht der Alraune verbirgt sich unter der Erde.
Ihre langen spitzen Wurzeln wachsen bis zu einem
Meter tief und verzweigen sich wie Karotten, die in steiniger
Erde wachsen. In der Antike sagte man, die gegabelte
haarige Wurzel sähe wie eine teuflische kleine Person aus.
Die Römer glaubten, mit Alraunen Dämonen austreiben
zu können, und die Griechen meinten, eine Ähnlichkeit
zum männlichen Glied zu erkennen und nutzten die Wur-
zel folglich als Potenzmittel. Weit verbreitet war auch der
Glaube, dass die Alraune zu kreischen begänne, sobald
man sie aus der Erde zog - so laut, dass ihre Schreie jeden
töten würden, der sie hörte.
Flavius Josephus, ein jüdischer Historiker aus dem
1. Jahrhundert vor Christus, beschrieb in seinen Schriften
eine Möglichkeit, die schrecklichen Schreie der Alraunen
zu überleben. Man band einen Hund an den Fuß der
Pflanze und sein Besitzer zog sich auf eine sichere Entfernung
zurück. Sobald der Hund loslief, würde er die
Wurzel aus dem Boden reißen. Selbst wenn die Schreie ihn
töten sollten, könnte man im Anschluss die Wurzel auflesen
und verwerten.
Alraunen wurden mit Wein zu einem starken Beruhigungsmittel
vermischt, mit dem man auch Feinden zusetzen
konnte. Während einer Schlacht um die nordafrikanische
Stadt Karthago entwickelte der Feldherr Hannibal
circa 200 v. Chr. eine Frühform chemischer Kriegsführung,
als er sich aus der Stadt zurückzog und ein Festbankett
hinterließ, dessen Getränk aus Mandragora bestand, einem
betäubenden Wein, der mit Alraunen angereichert war.
Die afrikanischen Krieger tranken und schliefen bald, bis
sie von Hannibals zurückkehrenden Truppen hinterhältig
überfallen und getötet wurden.
William Shakespeare dachte vielleicht an dieses Ereignis,
als er dem Gift in Romeo und Julia eine Rolle auf den
Leib schrieb. Der Mönch übergibt Julia mit dem folgenden
düsteren Versprechen ein Schlafmittel:
Der Lippen und der Wangen Rosen werden
Wie Asche fahl; die Augenlider sinken,
Wie wenn der Tod abschließt den Lebenstag;
Die Alraune verdankt ihre einschläfernde Magie vielen
jener Alkaloide, die auch ihre Nachtschatten-Cousins zu
einer tödlichen Plage machen. (Alkaloide sind organische
Verbindungen mit oftmals pharmakologischer Wirkung auf
den menschlichen und tierischen Organismus.) Atropin,
Hyoscyamin und Scopolamin sind Wirkstoffe dieser Pflanze,
können das Nervensystem lähmen und einen komatösen
Zustand herbeiführen. Hat man von der Frucht gegessen,
kann das starke Gegengift Physostigmin helfen,
das ironischerweise aus der noch giftigeren Kalabarbohne
stammt.
FAMILIENBANDE: Zur berüchtigten Nachtschattenfamilie
gehören u. a. Paprika, Tomaten
und Kartoffeln, aber auch die Tollkirsche.
März 2011
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel
Wicked Plants. The Weed That Killed Lincoln's Mother
& Other Botanical Atrocities
bei Algonquin Books of Chapel Hill
© 2009 Amy Stewart
Für die deutsche Ausgabe
© 2011 BV Berlin Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Typographie: Andrea Engel, Berlin
Satz: psb, Berlin
Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8333-0715-7
»Anregungen zur weiteren Lektüre in deutscher Sprache« ist eine
Ergänzung des Berliner Taschenbuch Verlags, mit freundlicher
Genehmigung von Amy Stewart.
... weniger
Autoren-Porträt von Amy Stewart
Amy Stewart ist Autorin mehrerer preisgekrönter Bücher über die Tücken und Freuden der Natur, darunter vier Bestseller, die in elf verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Sie schreibt für die New York Times und ist Redakteurin für das Magazin Fine Gardening. Amy Stewart lebt in Eureka, Kalifornien, wo sie zusammen mit ihrem Mann ein Antiquariat betreibt und eine Horde Hühner hält.
Bibliographische Angaben
- Autor: Amy Stewart
- 2011, 299 Seiten, mit Abbildungen, Masse: 11,8 x 18,8 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Pauli, Stephan
- Übersetzer: Stephan Pauli
- Verlag: Berlin Verlag Taschenbuch
- ISBN-10: 3833307153
- ISBN-13: 9783833307157
Rezension zu „Gemeine Gewächse “
"Skurrile, informative Unterhaltungsliteratur der besonderen und schönen Art.", huckleberryfriendz.wordpress.com, 16.11.2015
Kommentar zu "Gemeine Gewächse"
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