Andere nennen es Alltag. Horst Evers nennt es Schikane.
Von Horst Evers bekommt man viele Tipps, wie die Welt ohne viel Aufwand sehr zu verbessern wäre. Zum Beispiel: «Wir nehmen allen Berlinern ihre Hunde weg und geben ihnen dafür je vier Hühner. Dann...
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Andere nennen es Alltag. Horst Evers nennt es Schikane.
Von Horst Evers bekommt man viele Tipps, wie die Welt ohne viel Aufwand sehr zu verbessern wäre. Zum Beispiel: «Wir nehmen allen Berlinern ihre Hunde weg und geben ihnen dafür je vier Hühner. Dann lägen auf den Bürgersteigen Eier. Es wäre quasi das ganze Jahr über Ostern.»
Auch Rechnen kann man bei Horst Evers lernen: «Wer jeden Tag eine Stunde laufen geht, verlängert zwar seine Lebenserwartung im Schnitt um circa zwei Jahre, verbraucht aber insgesamt vier Jahre seines Lebens nur fürs Laufen.»
Vor allem aber erzählt Horst Evers Geschichten: ausgesprochen komische Geschichten aus dem Hier und Jetzt. Geschichten, die sich hüten, auch nur einen einzigen Ratschlag zu erteilen, aber trotzdem helfen.
Frühling
Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung gesehen. Douglas Adams, britischer Autor Für Eile fehlt mir die Zeit Sitze im Zug und arbeite am Computer. Kann mich nicht gut konzentrieren. Neben dem Fahrgeräusch hört man ein lautes Krächzen, Röcheln und Krachen. Als würde in der Radaufhängung etwas schleifen oder so ähnlich. Klingt gar nicht gut. Zerrt auch ziemlich an den Nerven, das Geräusch. Unangenehm. Jetzt gibt es sogar leichte Schläge. In die Seite. Oder mehr so ein Stupsen. Und jetzt ruft es: «Halloooo! Hallo, Sie! Das stört doch sehr! Wachen Sie auf! Halloooo!!!» Ich reiße die Augen auf und schaue in das ärgerliche, aber wunderschöne Gesicht einer Frau mit ganz, ganz vielen Haaren. Als sie sieht, dass ich wach bin, schwebt sie zurück zu ihrem Platz zwei Reihen weiter. Ich versuche, zu mir zu kommen. Immerhin, in dem Moment, wo sie mich geweckt hat, haben auch diese krächzenden, röchelnden, krachenden Geräusche in der Radaufhängung aufgehört. Der Zug ist wieder heile. Eine Sorge weniger. Schaue mich ein wenig um. Alle Reisenden aus dem Waggon starren mich an. Fühle mich unwohl, verkrieche mich ganz, ganz tief in den Sitz. Der Jugendliche gegenüber grinst. Versuche, möglichst beiläufig zu fragen: Hallooo, wie lange war ich denn weg? - Knapp 'ne Stunde. Seit kurz hinter Offenburg. - Uiiihh, und ich hab wohl auch ein bisschen geschnarcht, oder? Er lacht. - Ein bisschen? Obwohl, anfangs war es noch recht leise. Erst die letzten vier, fünf Minuten wurde es dann richtig laut. - Wie laut? Von einem Sitz vier Reihen weiter hinten ruft jemand: - Na, so richtig laut. Klang wie 'ne Knochensäge am Unfallort! Von vorne kommt Widerspruch: - Nee, ich find eher wie ein Abflussrohr nach einer Wassersperrung! - Nein, als wenn man bei einem Auto den vierten Gang nicht richtig reinkriegt, es minutenlang versucht, aus Verzweiflung immer mehr Gas im Leerlauf gibt und dann aus Trotz einfach mal den Rückwärtsgang einlegt! Plötzlich hat jeder eine Meinung zu meinen Schnarchgeräuschen, doch die aufkommende, lebhafte Diskussion wird von der Durchsage, der Zug erreiche in wenigen Minuten Mannheim, jäh abgewürgt. Mir ist es sehr recht, dass offensichtlich ein Großteil der Reisenden aussteigt. Auch der Jugendliche räumt seine Sachen zusammen. Im Aufstehen raunt er mir noch zu: - Ich fand ja das Gerede im Schlaf vorher viel unangenehmer. Gott sei Dank waren keine Kinder im Abteil. Dann grinst er wieder so, dass man nicht genau weiß, ob er einen Scherz gemacht hat. Die Frau mit den ganz, ganz vielen Haaren versucht, mich zu beruhigen: - Ach, machen Sie sich keine Gedanken, für einen Mann in Ihrem Alter ist so was völlig normal. Jetzt bin ich wirklich aufgewühlt. Frage sie aber lieber nicht, wie alt ein Mann in meinem Alter wohl so sei. Und auch nicht, was für den dann völlig normal sei. Vielleicht hat die Frau ja auch nur einen Scherz gemacht. Denke, während die Frau lachend im Gang steht: Wie schafft so ein Kopf das nur, mit so vielen Haaren? Das muss doch irrsinnig anstrengend für den Kopf sein, die alle mit Nährstoffen zu versorgen. Oder bei Gegenwind. Ich wäre wahrscheinlich noch viel müder, wenn ich für so viele Haare die Verantwortung tragen müsste. Ein neuer Fahrgast steigt ein und setzt sich an meinen Tisch. Wobei, er setzt sich an meinen Tisch ist stark untertrieben. Im Hinsetzen holt er schon seinen Laptop raus, klappt ihn auf, schaltet ihn ein, nimmt das Ladegerät, fragt mich, wo die Steckdose ist, steckt den Stecker ein, telefoniert währenddessen mit dem Handy, checkt seine Mails, stellt plötzlich seinen Coffee to go, einen Take-away-Bag von der Sandwich-Station und einen Obstshake - all das muss er wohl die ganze Zeit in der Hand gehabt haben - auf dem Tisch ab, telefoniert immer noch, tippt parallel was in den Laptop, holt einige Unterlagen aus der Tasche, verstaut die Tasche, telefoniert immer noch, verschickt Mails, beginnt nebenher die drei Zeitungen aus seiner Manteltasche durchzusehen, fängt an zu essen, telefoniert immer noch, holt ein zweites Handy raus, tippt dort auch noch was und beendet dann, bevor der Zug überhaupt losgefahren ist, sein Telefonat mit den Worten: «Ich bin im Zug und die ganze Zeit erreichbar. Mache ohnehin gerade nichts.» Denke, für das, was dieser Mann allein während des Einsteigens in einen Zug macht, brauche ich ungefähr anderthalb Wochen. Schaue fasziniert dabei zu, wie er jetzt gleichzeitig isst, tippt, liest, trinkt, etwas auf seinem iPod hört und, wie gerade erwähnt, ganz nebenbei auch noch nichts tut. Um nicht völlig abzustinken, schaue ich ebenfalls mal auf mein Handy. Ach guck, zwölf SMS. Das ist ungewöhnlich. Bin ein bisschen stolz. Sage möglichst lässig in Richtung des Mannes: «Hui, da hab ich ja schon wieder zwölf SMS bekommen. Die Leute, die Leute, da guckt man dreißig Minuten nicht aufs Handy, zack! sind wieder zwölf SMS da. Aber so ist das nun mal.» Vom Mann kommt keine Reaktion, er tut, als würde er mich gar nicht hören. Na, ist wahrscheinlich neidisch auf meine zwölf Kurzmitteilungen. Die sind allerdings sehr verwirrend. Sie reichen von «Was soll der Quatsch?» über «Iiiiihh, ist das eklig!» bis zu «Boah, siehst du scheiße aus!» und «Wer hat denn die Fotos gemacht? ». Seltsam, und wann habe ich überhaupt mein Handy auf lautlos gestellt? Bekomme ein mulmiges Gefühl. Schaue in den Gesendet- Ordner. Na toll, der Jugendliche hat mich offensichtlich mit meinem Handy beim Schnarchen fotografiert. Mit offenem Mund und Zunge draußen und Schlabbern inklusive. Uääääwwwhh, nicht so schön. Dann hat er die Fotos offensichtlich an möglichst viele Nummern aus meinem Handyadressbuch geschickt. Da kommt noch eine SMS. Von Micha. «Super Fotos, Horst, voll eklig, coole Sache, hab sie gleich an alle meine Nummern weitergeschickt und auf Facebook gepostet. Lg Micha.» Ach wie wunderbar, denke, du mich auch lg. Mittlerweile tippt und tickert und klappert es im Waggon richtig heftig. Stimmt, zwischen Mannheim und Frankfurt gibt es im ICE neuerdings ein funktionierendes WLAN. Praktisch jeder hat jetzt einen Laptop vor sich und klackert vor sich hin. Na, da kann ich mir ja mal auf Facebook die Bescherung anschauen. Sehe schnell, dass Micha ganze Arbeit geleistet hat. Er hat das auch noch vergrößert und die Zunge eingefärbt. Warum macht er das, und wieso grün? Rufe Micha an, er soll den Quatsch löschen. Kriege nur seine Mailbox, will schon wieder auflegen, als irgendetwas in mir befiehlt, ich solle laut in mein Handy sprechen. Rede also ganz laut sinnloses Zeug wie: «Hallo, Micha, ja, ich sitze noch im Zug. Stell dir vor, mittlerweile kann man hier sogar während der Fahrt ins Netz. Ich fahre mit über zweihundert Stundenkilometern und bin im Internet. Kann ich gleichzeitig. Und nebenbei telefoniere ich noch. Wahnsinn, was? Und das Tollste, über dieses Zug-WLAN kann man sich auch ganz einfach in die Computer der anderen reinhacken. Ich habe praktisch vollen Zugriff auf alle Computer hier im Zug!» Das Klackern verstummt. Einige klappen ihren Laptop zu, alle starren mich an. Zehn Sekunden herrscht völlige Stille. Überlege, wie viele Millionen Bruttosozialprodukt dieser kleine Scherz das Land jetzt wohl kostet. Dann rufe ich: «War nur ein Scherz! Hier, ist nur 'ne Mailbox, nur ein Scherz! Haha! Ich bin Spaßmacher, ich wollte nur mal gucken, was passiert, wenn ich so was sage.» Ein paar lächeln gequält. Die meisten widmen sich wieder ihrem Computer. Zwei Männer aber packen ihr Gerät weg. Sie trauen mir wohl nicht. Der Mann an meinem Tisch nimmt sein Handy und telefoniert. Er ruft: «Ey, du glaubst es nicht, aber das Bild, das du mir gerade geschickt hast. Von dem sabbernden, schnarchenden Mann im Zug. Der sitzt mir gegenüber, grad hat der schon wieder einen Superscherz gemacht!» Und in der Werbung sagen sie, demnächst wollen sie die Leitungen und alles noch viel schneller machen. Wahnsinn. Das Haus in Brandenburg Micha will sich ein Haus kaufen. In Brandenburg. Micha, der schon seit Jahren und bislang noch ohne greifbares Ergebnis überlegt, ob er sich mal eine eigene Blumenvase kaufen sollte, ist plötzlich fest entschlossen, ein Haus zu kaufen. In Brandenburg. Für die Familie. Das ist eine großartige Idee. Findet Micha. So großartig, dass er einige entscheidende und elementare Fragen, die sich so rund um einen Hauskauf auftun, noch gar nicht so richtig bedacht hat. Fragen wie: - Warum? Micha starrt mich fassungslos an. - Wie warum? Ich präzisiere: - Warum willst du das Haus kaufen? - Na, weil das total billig ist. - Wie billig? - Na, billig eben, jetzt gerade auch im Vergleich. - Im Vergleich zu was? - Na, jetzt so zu anderen Häusern oder einer Wohnung in Berlin. - Wieso ist denn eine Wohnung in Berlin so viel teurer? - Na, weil Wohnungen in Berlin total begehrt sind, während diese Häuser in Brandenburg, die ... die ... na, die sind halt billig. - C4-Gewinde-Fräsen-Drehbänke sind im Moment auch total billig. Willst du auch eine C4-Gewinde-Fräsen-Drehbank kaufen? - Was? Wieso sollte ich? - Siehste. - Ach, im Wesentlichen ist es ja wegen der Familie. - Claudia möchte aufs Dorf ziehen? - Ja, jetzt nicht unbedingt, aber sie findet es auch nicht so schlimm. - Was ja auch nicht mehr so schlimm ist, ist Fußpilz. Das kann man mittlerweile relativ einfach behandeln. - Für die Kinder ist es in jedem Fall viel schöner, wenn sie im Garten spielen können und nicht ständig nur vor dem Computer hocken oder so. - Hmm. Sehen die Kinder das auch so? - Na ja, die müssen sich natürlich erst einmal daran gewöhnen, dann mehr Zeit im Garten zu verbringen als vor dem Computer. - Ach so, ist klar. Gott, was bin ich froh, nicht dabei zu sein, wenn die sich daran gewöhnen müssen. Bist du dir wirklich sicher, dass du das Haus wegen der Familie kaufen willst? - Natürlich, also zumindest teilweise. - Du meinst wegen des Teils der Familie, der du bist? - Sehr lustig. - Hat das Dorf überhaupt DSL? - Wie? - Na, es gibt in Brandenburg schon hier und da Orte, die haben noch kein DSL. - Was? Nein, nein, da gibt's DSL, da ... bestimmt, ich glaub, die haben da mehr DSL, als sie brauchen. - Und Nazis? Gibt's da Nazis? - Nee, nee, Nazis sind da in der Ecke überhaupt keine. - Sagt wer? - Na, der Mann, der das Haus verkaufen will. - Ach, da ist der Mann aber bestimmt froh, dass es da keine Nazis gibt. Sonst müsste er das Haus ja bestimmt total billig verkaufen. - Genau. Ich meine, das wäre ja auch ... Micha stutzt. Man kann seine Gedanken förmlich knarzen hören. Dann jedoch wird er plötzlich laut: - Mann, was soll denn das? Hör mal, das ist doch nicht aus der Welt. Du tust ja so, als wenn das werweißwo wäre. In nur zwanzig Minuten ist man mit dem Fahrrad an der Regionalbahn und dann in nicht mal einer Dreiviertelstunde in Berlin. - Das ist allerdings super. Diese Nähe zu Berlin. Das hat man ja sonst praktisch nirgends, also außer vielleicht ... na ja, in Berlin, da hätte man das eventuell schon auch, oder? - Dafür hast du in Berlin keine Natur. - Hör mal, ich bin genauso schnell da draußen wie du hier drinnen. Die Regionalbahn fährt auch andersrum. Und das Beste: Falls es mal regnet, muss ich da gar nicht hinfahren. - Mein Gott, wir behalten die Wohnung in Berlin natürlich auch. - Oh, dann ist es aber nicht mehr so billig. - Erst mal nicht, aber auf lange Sicht schon. - Auf lange Sicht ist es günstiger, zwei Sachen zu bezahlen? - Nein, aber im Alter, wenn Berlin zu teuer ist, können wir dann auf dem Land wohnen. - Im Alter? - Ja, wenn wir achtzig sind oder so. - Stimmt, dann ist es sicher total angenehm, zwanzig Minuten im Regen mit dem Fahrrad zur Regionalbahn zu fahren. Oder zur nächsten Pflegestation ... Micha springt auf, stampft mit den Füßen auf den Boden und beginnt mich zu beschimpfen: Alles würde ich ihm vermiesen, immer nur die Probleme sehen. Dann kaufe er das Haus eben nicht, ich hätte später die Schuld, das könne er mir aber versprechen, dass ich dann später die Schuld hätte, und ob ich das eigentlich mit Absicht machen würde, dieses Anderen-immer-alles-vermiesen-Wollen. «Danke», brüllt er, «dass du mir den Tag versaut hast! Danke, danke, danke!!! », und poltert agil fluchend aus dem Lokal. Ich rufe Claudia an: «Hallo, Claudia, ich bin's. Ja, er wankt zumindest. Wenn du und die Kinder jetzt noch ein wenig nachlegt, müsst ihr vielleicht doch nicht in dieses Dorf nach Brandenburg ... Keine Ursache ... gern geschehen ... Tschüs.» Früher haben mich höchstens alle halbe Jahre mal Freunde oder Freundinnen gebeten, mit ihren jeweiligen Partnern zu reden, weil die plötzlich irgendwelche saubilligen Häuser oder Bauernhöfe in Brandenburg kaufen wollten. Mittlerweile passiert das fast jede Woche. Wenn das so weitergeht, kann ich meine Anti-Makler-Tätigkeit bald als Gewerbe anmelden. Von den Gewinnen kaufe ich mir dann vielleicht ein Haus in Brandenburg. Gepresste Lebensqualität Ich habe eine elektrische Saftpresse zum Geburtstag geschenkt bekommen. Dies hier nur mal so einleitend, damit niemand denkt, mir würde immer nur die Sonne aus dem Hintern scheinen. Mir passieren auch schlimme Sachen. Zum Beispiel habe ich eine elektrische Saftpresse zum Geburtstag bekommen. Wenn man erst einmal so weit ist, dass die Menschen es einem nicht mehr zutrauen, das Obst roh, am Stück beißen zu können, sondern einem elektrische Saftpressen schenken, dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Mit dem Obst fängt es an, aber bald schon wird dir diese Maschine vermutlich auch das Mittag- und Abendessen pürieren. Das ist der Lauf der Welt. Mit Brei beginnen wir, mit Brei enden wir. Die Klammer des Lebens, letztlich ist sie das Püree. Aber am Ende sind wir natürlich froh, dass wir das Püree haben. Die Welt ist sonst schon hart genug. Und ungerecht. Das wusste ich allerdings bereits, bevor ich eine elektrische Saftpresse zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Von den Eltern der Freundin. Weil ich doch mit dem Rauchen aufgehört habe, schreiben sie, da würde ich mir doch sicher gerne mal öfter einen frischen Saft machen ... Großartige Logik. Jetzt, wo ich nicht mehr rauche, habe ich ja praktisch den ganzen Tag nichts mehr zu tun. So als pensionierter Raucher muss man sich ja erst mal wieder neue Aufgabenfelder suchen. Und wie ließe sich so eine innere Leere besser füllen als mit Saft? Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin. In nur zehn Sekunden, steht auf dem Karton, in nur zehn Sekunden macht mir diese Maschine einen frischen, vitaminreichen, gesunden und leckeren Saft. Das sei so praktisch.
Zehn Sekunden? Zehn Sekunden dauert es ungefähr, wenn ich mir an einem der vielen Stände in Berlin einen fertigen, frischgepressten Frucht- oder Gemüsesaft kaufe. Das ist praktisch. Wenn ich diesen Saft mit der Maschine machen will, muss ich erst das Obst kaufen, es nach Hause tragen, waschen, schälen, zuschneiden, die Maschine aufbauen, zehn Sekunden Saft pressen und hinterher das Ding ewig wieder reinigen. Ich wäre ungefähr einen halben Tag beschäftigt. Das ist nicht praktisch. Damit sich diese Saftpresse lohnt, müsste ich in die Großproduktion wechseln. Immer gleich mehrere Hektoliter Saft herstellen. Dann würde es sich vom Aufwand her vielleicht rechnen. Aber so viel kann ich doch gar nicht trinken. Was mache ich dann mit dem ganzen überschüssigen Saft? Ihn in Plastiktüten heimlich nachts illegal über die Grenze nach Liechtenstein schaffen? Als stille Altersvorsorge? Das führt doch zu nichts. Obwohl ich eine Altersvorsorge nun natürlich brauche, und zwar eine richtig gute, denn ich habe ja mit dem Rauchen aufgehört. Da lohnt sich jetzt eine Altersvorsorge. Anfangs war ich ja gar nicht sicher, ob es eine kluge Entscheidung ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Diese ganze Welt der Nichtraucher, ich wusste wirklich nicht, ob ich da reinpasse, ob das überhaupt was für mich ist. Man weiß ja so wenig über die Nichtraucher, wie die so leben, was die den ganzen Tag über machen, ob die es auch manchmal schön haben. Ich war da eher skeptisch. Doch jetzt, wo ich schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr rauche, kann ich guten Gewissens sagen, es hat nicht nur Nachteile, das Nichtrauchen. Einer der wesentlichen Gründe beispielsweise, derentwegen ich immer überzeugt war, ich müsse rauchen, war, weil ich dachte, ich könne mich mit Zigarette viel besser konzentrieren. Eigentlich könne ich mich nur mit Zigarette konzentrieren. Denn die Zigarette hilft mir total, die Gedanken zu fokussieren, zu ordnen und so weiter. Daher war es für mich sehr überraschend zu bemerken, dass ich, seit ich nicht mehr rauche, eine völlig andere, viel größere Klarheit in meinen Gedanken habe. Dort, wo vorher immer so ein Riesenwust war, wo ich an tausend Sachen gleichzeitig gedacht habe und permanent Angst hatte, ich könnte etwas vergessen, da habe ich mittlerweile nur noch einen ganz einfachen, ganz klaren Gedanken. Eben den Gedanken: «Ich würde gern rauchen!» Und das ist wirklich entspannend, also nicht mehr an tausend Sachen gleichzeitig denken zu müssen, sondern nur noch diesen einen, einzigen Gedanken zu haben, und auch nie die Angst haben zu müssen, ich könnte den vergessen. Nein, den vergisst man nicht. Der ist immer da. Jeden Tag, immer wieder, ganz treu, und er ist auch nicht beleidigt, wenn man dann nicht rauchen möchte. Selbst wenn man ihn wütend wegschickt, bleibt er ganz gelassen: «Ach ja, ist kein Problem, rauchen wir eben heute nicht, ich komm einfach morgen wieder und frag dann nochmal.» Viele nichtrauchende Freunde hatten mir auch versprochen, ich würde neue Geruchs- und Geschmackserlebnisse haben, wenn ich nicht mehr rauche. Wenn nach fünf oder sechs Wochen die Atemwege und Geschmacksknospen wieder frei wären, dann würde ich in ganz neue Geruchs- und Geschmackswelten eintauchen, darum würden sie mich richtig beneiden. Nach rund einem Jahr des Nicht-mehr-Rauchens kann ich guten Gewissens feststellen, das Einzige, was ich heute rieche, was ich vorher nicht gerochen habe, ist Zigarettenrauch. Ein wunderbares Erlebnis, da beneide ich mich aber selber drum. Und zu den neuen Geschmackswelten, die ich entdecke, seit die Geschmacksknospen sich wieder geöffnet haben, möchte ich sagen: Ungefähr die Hälfte all der Sachen, die ich mir immer gerne für mich selbst gekocht habe, schmecken mir nicht mehr. Gegessen werden sie aber natürlich trotzdem. Mein Kioskbesitzer fand es übrigens gar nicht witzig, dass ich aufgehört habe zu rauchen. Er, also mein persönlicher Zulieferbetrieb, war wirklich beleidigt, hat sogar ein bisschen patzig reagiert und diese ganz eigene Form der Bestrafung angewandt. Diese Bestrafung mit der Anrede «Der feine Herr!». Sobald ich in den Kiosk kam, fing er an: «Oh, der feine Herr guckt auch mal wieder vorbei, ja, der feine Herr raucht ja nicht mehr. Das hat er nicht mehr nötig, der feine Herr, muss er keine doofen Zigaretten mehr kaufen. Möchte der feine Herr denn sonst irgendwas? Eine Zeitung vielleicht? Lesen tut der feine Herr ja wohl noch!» Das war zwar anstrengend, aber doch auch ein bisschen hübsch, weil es mich an meine Kindheit erinnert hat. Mein Vater war der Letzte gewesen, der diese Form der Bestrafung angewandt hatte, also diese Bestrafung mit der Anrede «Der feine Herr!». Er hat immer wieder Sachen gesagt wie: «Oh, der feine Herr war wieder bis vier Uhr nachts unterwegs! » Und das meinte er nicht wirklich anerkennend. Oft hat er dann auch noch Sätze nachgeschoben wie: «Wer saufen kann, kann auch aufstehn!» Ein Satz, der übrigens, wie ich aus langjähriger Erfahrung weiß, überhaupt gar nicht stimmt. Im Gegenteil. Man soll sich da bloß nicht drauf verlassen. Ich habe es mehrfach probiert, immer wieder, wie oft dachte ich: «Um Gottes willen, du musst morgen früh raus, trink noch!»
Copyright © 2011 by Rowohlt • Berlin Verlag GmbH, Berlin
- Autor: Horst Evers
- 2012, 224 Seiten, Masse: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499254980
- ISBN-13: 9783499254987
- Erscheinungsdatum: 02.07.2012

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20 von 36 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
AndreaG, 03.03.2014
Sehr lustig! Eigentlich war das Buch als Geschenk gedacht. Ich habe den Fehler begangen und ein paar Seite angelesen, schon konnte ich nicht mehr aufhören. Absolut zu empfehlen!
-
4 Sterne
Azyria Sun, 17.08.2021
Toll für Zwischendurch – ich musste mehr als einmal lachen beim Lesen!
Worum geht’s?
Egal ob es darum geht, sich leichtgewichtiger zu rechnen, durch Senden von Paketen an sich selbst zeitweise Platz im Keller zu schaffen oder die Feuerwehr im Kreisverkehr lahmzulegen: Horst Evers hat für jede Gelegenheit eine Geschichte zur Hand.
Meine Meinung:
„Für Eile fehlt mir die Zeit“ von Horst Evers ist kein tiefsinniges Buch. Es ist ein Buch, das unheimliches Lesevergnügen bereitet, aus vielen kurzen Geschichten besteht, leicht und einfach geschrieben ist und einen mehr als einmal zum Schmunzeln bringt. Dabei nimmt der Autor nicht nur sein Umfeld, sondern vorwiegend auch sich selbst auf die Schippe. Und das Ganze mit Humor und Berliner Schnauze.
Die Geschichten selbst sind auch wirklich humorvoll und durchdacht. Obwohl leicht zu lesen, ist doch ein gewisser Sinn darin und man erhält auch kuriose Alltagstipps, wie z.B.: Wenn Sie vorübergehend Platz brauchen, dann packen Sie verschiedene Dinge ein, schicken Sie diese an sich selbst und nehmen dann das Paket ja nicht an. Dann liegt es 7 Tag auf der Poststation, bevor es an den Absender, also an Sie, zurückgesendet wird. Auf diese Weise hat man etwas mehr Platz für bestimmt 10 Tage und es ist günstiger als jedes kurzfristig zu mietende Lager. Wie gesagt, ein unterhaltsames Buch, bei dem jeder auf seine Kosten kommt und das man aufgrund der Kürze der Kapitel auch perfekt in Bus und Bahn auf dem Weg zur Arbeit lesen kann.
Fazit:
Horst Evers erzählt in „Für Eile fehlt mir die Zeit“ wahre oder auch erfundene Anekdoten, die leicht und unterhaltsam sind, teilweise jedoch einen komisch-sinnigen Hintergrund haben. Das Buch ist witzig und unterhaltsam, wenn man mal den Kopf freibekommen möchte und hat mich wirklich zum Schmunzeln gebracht.
4 Sterne von mir für diese lustigen und humoristischen Lebensweisheiten! -
4 Sterne
10 von 29 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
W. G., 16.03.2014
Wieder einmal ein grosser Lesespass. Horst Evers bringt Begegnungen die dem Leser auch so widerfahren koennen auf den Punkt. Ich denke er muss sich fuer das Schreiben dieses Buches auf der naechsten Buchmesse nicht entschuldigen, es macht Spass seine Texte zu lesen und so nebenbei helfen sie auch, so manchen Alltagswahnsinn mit Humor zu nehmen.
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