Feldwebel Anton Schmid
Ein Held der Humanität
Für die verfolgten Juden in Wilna verband sich mit dem Namen des Wehrmacht-Feldwebels Anton Schmid eine Verheissung. Der Unteroffizier aus Wien war für sie in den Kriegsjahren 1941/42 die personifizierte Verkörperung ihrer Hoffnung auf Rettung vor der...
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Produktinformationen zu „Feldwebel Anton Schmid “
Klappentext zu „Feldwebel Anton Schmid “
Für die verfolgten Juden in Wilna verband sich mit dem Namen des Wehrmacht-Feldwebels Anton Schmid eine Verheissung. Der Unteroffizier aus Wien war für sie in den Kriegsjahren 1941/42 die personifizierte Verkörperung ihrer Hoffnung auf Rettung vor der Vernichtung. So wundert es nicht, dass Schmid von Holocaust-Überlebenden in der rückblickenden Erinnerung verklärt wurde: "Für uns war er so etwas wie ein Heiliger!" Wer war dieser "kleine Mann" aus Wien? Was bewegte ihn? Wieso entschied er sich dazu, im Hexenkessel von Wilna, in dem fast täglich Hunderte, ja Tausende ermordet wurden, den Verfolgten unter Lebensgefahr zu helfen und mehr als 300 von ihnen zu retten? Weshalb ging er sogar das Risiko ein, den jüdischen Widerstand zu unterstützen?
Wolfram Wette schreibt die ebenso rührende wie aufrüttelnde Geschichte dieses stillen Helden. Aus den wenigen überlieferten Informationen rekonstruiert er das Lebensbild eines Menschen, der für seine vermeintlich selbstverständliche Humanität mit dem Leben bezahlte. Vor allem aber widmet sich Wette auch der Nachgeschichte nach 1945. Wie das Andenken an Schmid immer wieder verdrängt, behindert, unterdrückt wurde - besonders in der Bundeswehr.
Lese-Probe zu „Feldwebel Anton Schmid “
Feldwebel Anton Schmid - Ein Held der Humanität von Wolfgang WetteEin guter Mensch aus Wien
Anton Schmid wurde am 9. Januar 1900 in Wien, III. Bezirk, Hauptstraße 77, geboren. Sein Vater Johann, geboren 1876 in Voitelsbrunn, Bezirk Nikolsburg, war Bäckergehilfe, seine Mutter Anna, geborene Thomas, Jahrgang 1876 wie der Vater, stammte ebenfalls aus Nikolsburg in Mähren. Beide Eltern waren katholisch, und so wurde auch der Sohn Anton am 13. Januar 1900 in der römisch-katholischen Kirche St. Rochus und Sebastian im III. Wiener Bezirk katholisch getauft und christlich erzogen.
Über die ersten 39 Lebensjahre Anton Schmids wissen wir nicht allzu viel. Das Österreichische Biographische Lexikon von 1994 bringt in seinem Eintrag zu Anton Schmid nur die folgenden dürren Angaben über sein Leben bis 1939, als der Zweite Weltkrieg begann: Zuerst arbeitete er im Telefonwesen, absolvierte dann eine Lehre als Elektrotechniker. 1928 eröffnete er in Wien, XX. Bezirk, Klosterneuburger Straße 78, ein mittelgroßes, gut eingerichtetes Elektrowarengeschäft, in dem hauptsächlich Radiogeräte verkauft und repariert wurden.
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Die beiden österreichischen Schriftsteller Manfred Wieninger und Christiane M. Pabst stellten intensive biographische Studien über Schmid an. Sie berichten: »Über seine wahrscheinlich eher ärmliche Kindheit in Luegers Wien wissen wir so gut wie nichts. Erst am 17. Oktober 1914 wird Anton Schmid biographisch wieder fassbar. An diesem Tag tritt er nämlich in der Wiener Telegraphenzentralstation seinen Dienst als Telegraphenjunge an. Bei den Postdienststellen 69 [...] und 27 [...] avanciert der junge Schmid zum Jungboten, dann zum Aushilfsdiener und schließlich zum ständigen Aushilfsdiener. Am 2. Juli 1918 wird er zum Militärdienst in der zweiten Ersatzkompanie des k. k. Schützenregiments Nr. 1 einberufen und macht schwere Kämpfe und schließlich den Rückzug an der italienischen Front mit. Am 29. Dezember 1918 nimmt er wieder seine Arbeit im Postamt 1020 auf, scheidet aber am 13. Juni 1919 durch Verzicht aus dem Postdienst aus. Die Gründe hierfür sind uns unbekannt, ebenso wie der weitere Lebensweg des jungen Schmid bis 1926, als er bei der Wiener Gewerbebehörde und bei der Wirtschaftskammer das freie Gewerbe des ›Handels mit technischen und elektrotechnischen Bedarfsgegenständen‹ anmeldet. Er eröffnet in der Spaungasse in der Arbeitervorstadt Brigittenau ein kleines Geschäft, das er einige Jahre später in die Hauptstraße dieses Bezirks, in die Klosterneuburger Straße, verlegt. Neben elektrischen Kleinteilen verkauft Schmid auch Radios und Fotoapparate, er entwickelt Filme und repariert Radios und elektrische Hausanlagen. Ende der dreißiger Jahre beschäftigt er bereits drei Mitarbeiter, zwei davon sind Juden.«
Hermann Adler macht in seinem Brief aus dem Jahre 1966 die folgende interessante Mitteilung: »Angeblich war Schmid in seiner Jugend in ein jüdisches Mädchen verliebt, dessen Eltern sehr gut zu ihm waren. Diese Familie wanderte dann in das damalige Palästina aus.« Bleibt zu ergänzen: Womit Anton Schmid das jüdische Mädchen aus den Augen verlor. Auf der Suche nach Menschen, die Anton Schmid persönlich kannten, stießen Wieninger und Pabst Ende der 1990er Jahre auf einen alten Herrn, der sich tatsächlich an Schmid erinnerte. Er sei, sagte er, »ein echt's Weana Kind« gewesen, um ihn dann mit Tränen in den Augen so zu würdigen: »Auf alle Fälle war der Herr Schmid ein herzensguter Kerl, und er war auch ein herzensguter Kerl während der Hitler-Zeit.« Dann erinnerte sich der alte Mann aus Wien an Einzelheiten: »Auf der Ecke Pappenheimgasse/Klosterneuburger Straße war eine Bäckerei einer Jüdin, einer gewissen Tobor. Wie der Hitler da war, ist einer zu der Bäckerei hingegangen, ein so ein Nazi-Bua, und hat die Auslage eingehaut, und der Schmid ist dazugekommen und hat das gesehen und hat ihm ein paar Watschen runtergehaut. Auf das hinauf ist ein Wachmann gekommen - auf dem Pferd, damals hat es ja noch berittene Polizei gegeben - und hat den Schmid mit dem Säbel angreifen wollen, und der Schmid hat den Säbel genommen und hat ihn so abgebogen.« Wieninger und Papst ergänzen die Szene: »Unser Gewährsmann, der das heute noch aus dem Blickwinkel eines damals wohl sehr aufgeregten Halbwüchsigen erzählt, macht mit beiden Armen eine Bewegung, als würde er einen Expander abbiegen: »Auf das hinauf haben sie ihn in die Pappenheimgasse auf das Kommissariat geführt [...].«
Schmids Witwe Stefanie sagte einem Gesprächspartner nach dem Kriege, ihr Mann sei vor 1939 in Wien »ein in guten Verhältnissen lebender Mann« gewesen. Durch seine Heiterkeit habe er »viele Freunde« gehabt und sei »in der ganzen Umgebung beliebt« gewesen. Stefanie Schmid berichtete weiterhin von den guten Kontakten, die Schmid zu den Juden seines Wohnviertels gehabt habe: »In der Nähe seines Hauses wurde in einer Wohnung an Samstagen und anderen Feiertagen jüdischer Gottesdienst abgehalten. Manchmal, wenn der ›zehnte Mann‹ fehlte, wurde Schmid zur Teilnahme an diesem Gottesdienst gebeten, da man ihn für einen Juden hielt. Schmid war zu gutmütig, um zu widersprechen; er ging mit und ersetzte bei diesem Gottesdienst den ›zehnten Mann‹.« Nach jüdischem Brauch wird ein Gottesdienst nun dann abgehalten, wenn die Mindestzahl von zehn Personen (Minjan) anwesend ist. Der von Schmid gerettete Schriftsteller Hermann Adler berichtet, dass Schmid ihnen die Geschichte, dass er des Öfteren den »Minjanmann« gespielt habe, bereits in Wilna erzählt hatte, er sie damals aber für eine humoristische Darstellung gehalten habe, weil ein Christ ja nicht als Minjanmann gezählt werden dürfe. Jetzt aber, nach der Bestätigung durch Schmids Witwe Stefanie, sah er, dass sie der Wahrheit entsprach.
Nach dem Einmarsch der Deutschen in Österreich im Jahre 1938 und der sogleich beginnenden Judenverfolgung war es für Schmid offenbar eine Selbstverständlichkeit, »zahlreichen Juden« aus seiner Nachbarschaft dabei behilflich zu sein, über die grüne Grenze in die Tschechoslowakei zu gelangen, wo sie sich sicherer fühlen konnten. Seine Frau erinnerte sich später, sie habe damals erst gar nicht den Versuch gemacht, »ihn davon abzuhalten«, weil dies ohnehin »zwecklos gewesen« wäre.
Viele Wiener Juden flüchteten seinerzeit übrigens auch nach Westen, an den Bodensee, um von dort über die grüne Grenze in die Schweiz gelangen zu können. Im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet gab es ebenfalls Helfer und Retter, die Juden in die Schweiz und damit in Sicherheit brachten. Der Schweizer Polizeihauptmann Paul Grüninger (1891 - 1972) aus Sankt Gallen erwies sich als ein besonders mutiger und erfolgreicher Helfer. Er rettete unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg bis zu 3600 Jüdinnen und Juden das Leben, indem er ihnen durch Vordatierung der Einreisevisa und/oder Fälschung anderer Dokumente die Einreise in die Schweiz ermöglichte.
Der Privatmann Anton Schmid wäre im Jahre 1938 für seine Fluchthilfe für Wiener Juden in die Tschechoslowakei von den Nazis gewiss diffamiert, aber wohl kaum juristisch belangt worden. War es seinerzeit doch das Ziel der nationalsozialistischen Politik, die in Wien von Adolf Eichmann exekutiert wurde, möglichst viele Juden zur Emigration zu drängen. Daher halfen zu dieser Zeit in Deutschland gelegentlich sogar Gestapobeamte flüchtenden Juden beim Verlassen des Landes, indem sie diese mit ihren Autos bis zur Grenze brachten.
Für Anton Schmids Biographie zählt an dieser Stelle, dass er schon damals begriff, dass das nationalsozialistische Regime in Deutschland und nun auch in Österreich für die Juden eine akute Lebensgefahr darstellte. In dieser Situation signalisierte ihm sein Gewissen, dass er nicht tatenlos bleiben durfte, sondern zumindest jenen Juden, mit denen er seit Jahren in gutem Einvernehmen zusammengelebt hatte, helfen musste, in Sicherheit zu gelangen. Das war, betrachtet man das Wegschauen und Nicht-wissen-Wollen der meisten Deutschen und Österreicher, eine bemerkenswerte, eine ungewöhnliche Verhaltensweise dieses Wiener Elektrohandwerkers.
Wenn wir uns diese wenigen Zeugnisse, die wir über Anton Schmid in seiner Wiener Zeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges haben, noch einmal zusammenfassend vor Augen führen wollen, so ergibt sich das Bild eines heiteren Menschenfreundes mit offenen Augen und einem mitfühlenden Herzen, der mit seinen Nachbarn in Wien, auch den jüdischen, ein gutes Verhältnis pflegte und der womöglich in seiner Jugendzeit einmal in ein jüdisches Mädchen verliebt war. Als der Antisemitismus gewalttätig wurde und ein Nazi einer jüdischen Bäckereibesitzerin in der Nachbarschaft die Scheiben ihres Ladens einschlug, leistete er spontan Hilfe und legte sich dazu noch mit der Polizei an. In seinem kleinen Radiogeschäft hatte Anton Schmid zwei jüdische Angestellte. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1938 in Österreich half er jüdischen Nachbarn bei ihrer Flucht in die Tschechoslowakei. Im Zuge dieser Erfahrungen entwickelte Schmid eine hohe Sensibilität für die Situation der jüdischen Mitbürger. Sie stellte eine wichtige Voraussetzung für seinen späteren Schritt in den Rettungswiderstand dar.
Schmid war ein Anti-Nazi, aber wahrscheinlich nicht in erster Linie aus politischen Erwägungen heraus, sondern eher gefühlsmäßig, weil er mit unverstelltem Blick und einfühlender Wahrnehmung die Judenverfolgung beobachte und aus seiner humanen Grundhaltung heraus ablehnte. Allerdings hätte er genauso auch anderen Verfolgten geholfen, wenn es nötig gewesen wäre, und das hat er später in Wilna auch getan. Hermann Adler geht so weit, zu sagen, Schmid sei »politisch völlig uninteressiert « gewesen. Er habe auch später nicht aus politischen Beweggründen geholfen und gerettet, sondern aus rein humanitären Erwägungen. Bei anderer Gelegenheit schränkte Adler sein Diktum vom unpolitischen Schmid allerdings ein, wenn er die interessante Feststellung traf: »Er war ein österreichischer Monarchist und dazu noch Sozialdemokrat«. Diese Information wird bestätigt dadurch, dass der überlebende Jude Salinger nach dem Kriege nach Wien reiste, dort bei der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) vorsprach und um Unterstützung für Schmids Witwe und Tochter bat.
Simon Wiesenthal, der sich nach Kriegsende für Anton Schmid interessierte und durch seine Recherchen das einzige Portraitfoto in die Hände bekam, das von ihm existiert, gewann dabei folgenden Eindruck von diesem Mann: »Man erkennt darauf sein intelligentes, anständiges Gesicht, seine sanften, traurigen Augen, dunkles Haar und einen kleinen Schnurrbart. « Hermann Adler, der jüdische Schriftsteller, hat seinen Freund Anton Schmid, wie er ihn im Jahre 1941 in Wilna kannte, etwas genauer beschrieben: »Er war schlank, hochgewachsen, hatte braune Haare, einen Schnurrbart, sah Hitler ähnlich, ein Sportstyp, der ›Wein, Weib und Gesang‹ liebte.« Und weiter: Schmid habe 1941 schon »graue Fäden im Haar« gehabt und habe, obwohl er gerade mal knapp über 40 war, oft »wie ein Fünfzigjähriger« ausgesehen.« Der »einfache Feldwebel« sei »schlicht und treuherzig« gewesen, ein im Denken und Reden »einförmiger und gesellschaftlich ungeschickter Mann«.59 »Er war nicht religiös, er war kein Philosoph. Er las keine Zeitung« und »Bücher schon gar nicht. Er war kein geistiger Mensch [...].«
Alle Menschen, die Anton Schmid persönlich kannten und deren Berichte uns zugänglich sind, sagen übereinstimmend aus: »Seine alles überragende Charaktereigenschaft war die der Menschlichkeit.« Konkret war damit offensichtlich gemeint, dass er die instinktive Fähigkeit hatte, sich in das Leid anderer hineinzuversetzen und ihnen, wenn es erforderlich war, zu helfen. Heute würden wir von einer Fähigkeit zur Empathie sprechen. So hat sich Anton Schmid übrigens auch selbst gesehen und in einem Brief an seine Frau beschrieben als einen Mann mit einem »weichen Herzen«, der im Zweifelsfall eher nach dem Gefühl denn aufgrund einer gründlichen rationalen Lageanalyse handelte. Die Überlebenden aus Wilna haben neben der Herzensgüte auch den Mut Anton Schmids hervorgehoben, und das völlig zu Recht, wenn man das Risiko bedenkt, welches er ohne Bedenken für sich selbst einging.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Die beiden österreichischen Schriftsteller Manfred Wieninger und Christiane M. Pabst stellten intensive biographische Studien über Schmid an. Sie berichten: »Über seine wahrscheinlich eher ärmliche Kindheit in Luegers Wien wissen wir so gut wie nichts. Erst am 17. Oktober 1914 wird Anton Schmid biographisch wieder fassbar. An diesem Tag tritt er nämlich in der Wiener Telegraphenzentralstation seinen Dienst als Telegraphenjunge an. Bei den Postdienststellen 69 [...] und 27 [...] avanciert der junge Schmid zum Jungboten, dann zum Aushilfsdiener und schließlich zum ständigen Aushilfsdiener. Am 2. Juli 1918 wird er zum Militärdienst in der zweiten Ersatzkompanie des k. k. Schützenregiments Nr. 1 einberufen und macht schwere Kämpfe und schließlich den Rückzug an der italienischen Front mit. Am 29. Dezember 1918 nimmt er wieder seine Arbeit im Postamt 1020 auf, scheidet aber am 13. Juni 1919 durch Verzicht aus dem Postdienst aus. Die Gründe hierfür sind uns unbekannt, ebenso wie der weitere Lebensweg des jungen Schmid bis 1926, als er bei der Wiener Gewerbebehörde und bei der Wirtschaftskammer das freie Gewerbe des ›Handels mit technischen und elektrotechnischen Bedarfsgegenständen‹ anmeldet. Er eröffnet in der Spaungasse in der Arbeitervorstadt Brigittenau ein kleines Geschäft, das er einige Jahre später in die Hauptstraße dieses Bezirks, in die Klosterneuburger Straße, verlegt. Neben elektrischen Kleinteilen verkauft Schmid auch Radios und Fotoapparate, er entwickelt Filme und repariert Radios und elektrische Hausanlagen. Ende der dreißiger Jahre beschäftigt er bereits drei Mitarbeiter, zwei davon sind Juden.«
Hermann Adler macht in seinem Brief aus dem Jahre 1966 die folgende interessante Mitteilung: »Angeblich war Schmid in seiner Jugend in ein jüdisches Mädchen verliebt, dessen Eltern sehr gut zu ihm waren. Diese Familie wanderte dann in das damalige Palästina aus.« Bleibt zu ergänzen: Womit Anton Schmid das jüdische Mädchen aus den Augen verlor. Auf der Suche nach Menschen, die Anton Schmid persönlich kannten, stießen Wieninger und Pabst Ende der 1990er Jahre auf einen alten Herrn, der sich tatsächlich an Schmid erinnerte. Er sei, sagte er, »ein echt's Weana Kind« gewesen, um ihn dann mit Tränen in den Augen so zu würdigen: »Auf alle Fälle war der Herr Schmid ein herzensguter Kerl, und er war auch ein herzensguter Kerl während der Hitler-Zeit.« Dann erinnerte sich der alte Mann aus Wien an Einzelheiten: »Auf der Ecke Pappenheimgasse/Klosterneuburger Straße war eine Bäckerei einer Jüdin, einer gewissen Tobor. Wie der Hitler da war, ist einer zu der Bäckerei hingegangen, ein so ein Nazi-Bua, und hat die Auslage eingehaut, und der Schmid ist dazugekommen und hat das gesehen und hat ihm ein paar Watschen runtergehaut. Auf das hinauf ist ein Wachmann gekommen - auf dem Pferd, damals hat es ja noch berittene Polizei gegeben - und hat den Schmid mit dem Säbel angreifen wollen, und der Schmid hat den Säbel genommen und hat ihn so abgebogen.« Wieninger und Papst ergänzen die Szene: »Unser Gewährsmann, der das heute noch aus dem Blickwinkel eines damals wohl sehr aufgeregten Halbwüchsigen erzählt, macht mit beiden Armen eine Bewegung, als würde er einen Expander abbiegen: »Auf das hinauf haben sie ihn in die Pappenheimgasse auf das Kommissariat geführt [...].«
Schmids Witwe Stefanie sagte einem Gesprächspartner nach dem Kriege, ihr Mann sei vor 1939 in Wien »ein in guten Verhältnissen lebender Mann« gewesen. Durch seine Heiterkeit habe er »viele Freunde« gehabt und sei »in der ganzen Umgebung beliebt« gewesen. Stefanie Schmid berichtete weiterhin von den guten Kontakten, die Schmid zu den Juden seines Wohnviertels gehabt habe: »In der Nähe seines Hauses wurde in einer Wohnung an Samstagen und anderen Feiertagen jüdischer Gottesdienst abgehalten. Manchmal, wenn der ›zehnte Mann‹ fehlte, wurde Schmid zur Teilnahme an diesem Gottesdienst gebeten, da man ihn für einen Juden hielt. Schmid war zu gutmütig, um zu widersprechen; er ging mit und ersetzte bei diesem Gottesdienst den ›zehnten Mann‹.« Nach jüdischem Brauch wird ein Gottesdienst nun dann abgehalten, wenn die Mindestzahl von zehn Personen (Minjan) anwesend ist. Der von Schmid gerettete Schriftsteller Hermann Adler berichtet, dass Schmid ihnen die Geschichte, dass er des Öfteren den »Minjanmann« gespielt habe, bereits in Wilna erzählt hatte, er sie damals aber für eine humoristische Darstellung gehalten habe, weil ein Christ ja nicht als Minjanmann gezählt werden dürfe. Jetzt aber, nach der Bestätigung durch Schmids Witwe Stefanie, sah er, dass sie der Wahrheit entsprach.
Nach dem Einmarsch der Deutschen in Österreich im Jahre 1938 und der sogleich beginnenden Judenverfolgung war es für Schmid offenbar eine Selbstverständlichkeit, »zahlreichen Juden« aus seiner Nachbarschaft dabei behilflich zu sein, über die grüne Grenze in die Tschechoslowakei zu gelangen, wo sie sich sicherer fühlen konnten. Seine Frau erinnerte sich später, sie habe damals erst gar nicht den Versuch gemacht, »ihn davon abzuhalten«, weil dies ohnehin »zwecklos gewesen« wäre.
Viele Wiener Juden flüchteten seinerzeit übrigens auch nach Westen, an den Bodensee, um von dort über die grüne Grenze in die Schweiz gelangen zu können. Im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet gab es ebenfalls Helfer und Retter, die Juden in die Schweiz und damit in Sicherheit brachten. Der Schweizer Polizeihauptmann Paul Grüninger (1891 - 1972) aus Sankt Gallen erwies sich als ein besonders mutiger und erfolgreicher Helfer. Er rettete unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg bis zu 3600 Jüdinnen und Juden das Leben, indem er ihnen durch Vordatierung der Einreisevisa und/oder Fälschung anderer Dokumente die Einreise in die Schweiz ermöglichte.
Der Privatmann Anton Schmid wäre im Jahre 1938 für seine Fluchthilfe für Wiener Juden in die Tschechoslowakei von den Nazis gewiss diffamiert, aber wohl kaum juristisch belangt worden. War es seinerzeit doch das Ziel der nationalsozialistischen Politik, die in Wien von Adolf Eichmann exekutiert wurde, möglichst viele Juden zur Emigration zu drängen. Daher halfen zu dieser Zeit in Deutschland gelegentlich sogar Gestapobeamte flüchtenden Juden beim Verlassen des Landes, indem sie diese mit ihren Autos bis zur Grenze brachten.
Für Anton Schmids Biographie zählt an dieser Stelle, dass er schon damals begriff, dass das nationalsozialistische Regime in Deutschland und nun auch in Österreich für die Juden eine akute Lebensgefahr darstellte. In dieser Situation signalisierte ihm sein Gewissen, dass er nicht tatenlos bleiben durfte, sondern zumindest jenen Juden, mit denen er seit Jahren in gutem Einvernehmen zusammengelebt hatte, helfen musste, in Sicherheit zu gelangen. Das war, betrachtet man das Wegschauen und Nicht-wissen-Wollen der meisten Deutschen und Österreicher, eine bemerkenswerte, eine ungewöhnliche Verhaltensweise dieses Wiener Elektrohandwerkers.
Wenn wir uns diese wenigen Zeugnisse, die wir über Anton Schmid in seiner Wiener Zeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges haben, noch einmal zusammenfassend vor Augen führen wollen, so ergibt sich das Bild eines heiteren Menschenfreundes mit offenen Augen und einem mitfühlenden Herzen, der mit seinen Nachbarn in Wien, auch den jüdischen, ein gutes Verhältnis pflegte und der womöglich in seiner Jugendzeit einmal in ein jüdisches Mädchen verliebt war. Als der Antisemitismus gewalttätig wurde und ein Nazi einer jüdischen Bäckereibesitzerin in der Nachbarschaft die Scheiben ihres Ladens einschlug, leistete er spontan Hilfe und legte sich dazu noch mit der Polizei an. In seinem kleinen Radiogeschäft hatte Anton Schmid zwei jüdische Angestellte. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1938 in Österreich half er jüdischen Nachbarn bei ihrer Flucht in die Tschechoslowakei. Im Zuge dieser Erfahrungen entwickelte Schmid eine hohe Sensibilität für die Situation der jüdischen Mitbürger. Sie stellte eine wichtige Voraussetzung für seinen späteren Schritt in den Rettungswiderstand dar.
Schmid war ein Anti-Nazi, aber wahrscheinlich nicht in erster Linie aus politischen Erwägungen heraus, sondern eher gefühlsmäßig, weil er mit unverstelltem Blick und einfühlender Wahrnehmung die Judenverfolgung beobachte und aus seiner humanen Grundhaltung heraus ablehnte. Allerdings hätte er genauso auch anderen Verfolgten geholfen, wenn es nötig gewesen wäre, und das hat er später in Wilna auch getan. Hermann Adler geht so weit, zu sagen, Schmid sei »politisch völlig uninteressiert « gewesen. Er habe auch später nicht aus politischen Beweggründen geholfen und gerettet, sondern aus rein humanitären Erwägungen. Bei anderer Gelegenheit schränkte Adler sein Diktum vom unpolitischen Schmid allerdings ein, wenn er die interessante Feststellung traf: »Er war ein österreichischer Monarchist und dazu noch Sozialdemokrat«. Diese Information wird bestätigt dadurch, dass der überlebende Jude Salinger nach dem Kriege nach Wien reiste, dort bei der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) vorsprach und um Unterstützung für Schmids Witwe und Tochter bat.
Simon Wiesenthal, der sich nach Kriegsende für Anton Schmid interessierte und durch seine Recherchen das einzige Portraitfoto in die Hände bekam, das von ihm existiert, gewann dabei folgenden Eindruck von diesem Mann: »Man erkennt darauf sein intelligentes, anständiges Gesicht, seine sanften, traurigen Augen, dunkles Haar und einen kleinen Schnurrbart. « Hermann Adler, der jüdische Schriftsteller, hat seinen Freund Anton Schmid, wie er ihn im Jahre 1941 in Wilna kannte, etwas genauer beschrieben: »Er war schlank, hochgewachsen, hatte braune Haare, einen Schnurrbart, sah Hitler ähnlich, ein Sportstyp, der ›Wein, Weib und Gesang‹ liebte.« Und weiter: Schmid habe 1941 schon »graue Fäden im Haar« gehabt und habe, obwohl er gerade mal knapp über 40 war, oft »wie ein Fünfzigjähriger« ausgesehen.« Der »einfache Feldwebel« sei »schlicht und treuherzig« gewesen, ein im Denken und Reden »einförmiger und gesellschaftlich ungeschickter Mann«.59 »Er war nicht religiös, er war kein Philosoph. Er las keine Zeitung« und »Bücher schon gar nicht. Er war kein geistiger Mensch [...].«
Alle Menschen, die Anton Schmid persönlich kannten und deren Berichte uns zugänglich sind, sagen übereinstimmend aus: »Seine alles überragende Charaktereigenschaft war die der Menschlichkeit.« Konkret war damit offensichtlich gemeint, dass er die instinktive Fähigkeit hatte, sich in das Leid anderer hineinzuversetzen und ihnen, wenn es erforderlich war, zu helfen. Heute würden wir von einer Fähigkeit zur Empathie sprechen. So hat sich Anton Schmid übrigens auch selbst gesehen und in einem Brief an seine Frau beschrieben als einen Mann mit einem »weichen Herzen«, der im Zweifelsfall eher nach dem Gefühl denn aufgrund einer gründlichen rationalen Lageanalyse handelte. Die Überlebenden aus Wilna haben neben der Herzensgüte auch den Mut Anton Schmids hervorgehoben, und das völlig zu Recht, wenn man das Risiko bedenkt, welches er ohne Bedenken für sich selbst einging.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Wolfram Wette
Wette, WolframWolfram Wette, geboren 1940, Dr. phil., Historiker und freier Autor, 1971-1995 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg i.Br.; Mitbegründer der Historischen Friedensforschung; seit 1998 apl. Professor an der Universität Freiburg; Ehrenprofessur an der russischen Universität Lipezk.In der "Schwarzen Reihe": Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941 (als Mithrsg. zus. mit G. R. Ueberschär, Bd. 4437); Stalingrad (als Mithrsg. zus. mit G.- R. Ueberschär, Bd. 11097); Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht (als Hrsg., Bd. 15221); Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS (als Hrsg., Bd. 15852); Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden (als Autor, Bd. 15645); Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur (als Autor, Bd. 18149).
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolfram Wette
- Neuauflage, 320 Seiten, Masse: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100912098
- ISBN-13: 9783100912091
- Erscheinungsdatum: 25.04.2013
Rezension zu „Feldwebel Anton Schmid “
überaus beeindruckend Hermann Theissen Süddeutsche Zeitung 20130806
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