Der Erdbeerpflücker / Erdbeerpflücker-Thriller Bd.1
Thriller. Nominiert für den Martin Kinder- und Jugendkrimipreis 2004
Als ihre Freundin ermordet wird, schwört Jette öffentlich Rache - und macht den Mörder damit auf sich aufmerksam. Er nähert sich Jette als Freund, und sie verliebt sich in ihn, ohne zu ahnen, mit wem sie es in Wahrheit zu tun hat.
Ab 12 Jahren!
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Erdbeerpflücker / Erdbeerpflücker-Thriller Bd.1 “
Als ihre Freundin ermordet wird, schwört Jette öffentlich Rache - und macht den Mörder damit auf sich aufmerksam. Er nähert sich Jette als Freund, und sie verliebt sich in ihn, ohne zu ahnen, mit wem sie es in Wahrheit zu tun hat.
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Klappentext zu „Der Erdbeerpflücker / Erdbeerpflücker-Thriller Bd.1 “
Hochspannung für Thriller-Fans: Der Start der fulminanten "Erdbeerpflücker"-Reihe!Als ihre Freundin ermordet wird, schwört Jette öffentlich Rache - und macht den Mörder damit auf sich aufmerksam. Er nähert sich Jette als Freund, und sie verliebt sich in ihn, ohne zu ahnen, mit wem sie es in Wahrheit zu tun hat.
Die fulminante Spiegel-Bestsellereihe von Monika Feth begeistert Millionen Leser:innen. Die Jette-Thriller sind nervenzermürbend, dramatisch und psychologisch brilliant erzählt. Atemberaubende Spannung der Extraklasse!
"Das Besondere an Monika Feths Art zu schreiben, ist, dass sie von der Ebene der seelischen Erfahrungen ausgeht, auf der das nicht Sichtbare, nicht Beweisbare Gültigkeit hat." -- SZ
Lese-Probe zu „Der Erdbeerpflücker / Erdbeerpflücker-Thriller Bd.1 “
Es war einer dieser Tage, an denen man die Hitze riechen konnte. Die von der Sonne verbrannte Haut. Den Schweiß, der aus sämtlichen Poren trat, sobald man sich bewegte. Einer dieser Tage, die ihn kribblig machten und gereizt. An denen man ihm besser nicht in die Quere kam. Die andern hatten sich allmählich daran gewöhnt. Sie ließen ihn in Ruhe arbeiten, sprachen ihn nicht an, dämpften sogar die Stimme, wenn er an ihnen vorbeiging.
Er konnte nicht verstehen, dass es Menschen gab, die immerzu redeten. Sie machten keinen Unterschied zwischen Wichtigem und Unwichtigem, überschütteten einfach alles mit ihren kleinen, dummen, aufgeregten Worten. Schon als Kind hatte er gelernt, sich dagegen zu wappnen, indem er sich in sich selbst zurückzog. Er liebte es zu sehen, wie die Lippen seines Gegenübers sich bewegten, ohne dass auch nur ein Ton seine Ohren erreichte. Wie ein Fisch, dachte er dann. Wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Früher hatte er für solche Rückzüge Schläge kassiert. Heute merkte niemand mehr, dass er abgetaucht war. Die meisten Menschen waren armselig und dumm wie ihre Worte.
Noch eine Stunde, dann würde es Mittagessen geben. Er würde das rasch hinter sich bringen und sich wieder an die Arbeit machen.
Er wusste, wohin diese Unruhe ihn brachte, wenn er sich nicht ablenkte. Was passierte, wenn seine Hände anfingen zu zittern. Wie jetzt.
Oh Gott. Er unterdrückte ein Stöhnen. Zwei Frauen drehten sich nach ihm um. Er kannte sie kaum. Finster starrte er sie an. Sie senkten den Blick und wandten ihm wieder den Rücken zu.
Die Sonne am Himmel war ein einziges Gleißen.
Brenn mir diese Gedanken aus dem Leib, dachte er. Bitte! Und diese Gefühle!
Aber die Sonne war nur die Sonne.
Sie hatte nicht die Kraft, ihm Wünsche zu erfüllen.
Diese Kraft hatte nur eine Fee.
Jung. Schön. Und unschuldig. Das vor allem.
Und nur
... mehr
für ihn auf der Welt.
Der Fahrtwind fächelte den Duft nach frischen Erdbeeren ins geöffnete Fenster. Und die Hitze, die in diesem Jahr viel zu früh gekommen war. Der Rock klebte mir an den Beinen. Auf meiner Oberlippe standen Schweißperlen. Ich liebte meinen alten, klapprigen Renault mit seinen Macken, aber an manchen Tagen sehnte ich mich heftig nach einem jüngeren Modell mit Klimaanlage.
Nach der Kurve konnte ich sie sehen – die Erdbeerpflücker auf den Feldern, wie sie sich über die Pflanzen beugten oder vorsichtig zwischen ihnen entlanggingen, gefüllte Kisten auf den Armen balancierend. Sie erinnerten mich an baumwollpflückende Sklaven. Bunte Tupfer auf der weiten grünen Fläche, braun gebrannt von der Sonne.
Sie waren Saisonarbeiter, viele von ihnen aus Polen, viele von anderswo, viele aus den entlegensten Winkeln Deutschlands, die letzten Abenteurer, eine alljährliche Invasion, vor der die Dorfbewohner Türen und Fenster verschlossen.
Abends trafen sich die fremden Frauen und Männer, die Jungen und Mädchen am Brunnen, dem Mittelpunkt des Dorfs, tranken, rauchten, redeten, lachten. Sie hielten sich abseits, grüßten die Nachbarn nicht, lächelten ihnen nicht mal zu.
Es stimmte schon mit manchen Sprichwörtern. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Die Dorfbewohner hatten Misstrauen gesät und ernteten nun die Zurückhaltung, die sie verdienten.
Ich fuhr die lange, gewundene Auffahrt zum Haus hinauf. Der weiße Kies knirschte unter den Reifen. Wie im Film, dachte ich. Alles viel zu perfekt, viel zu gut, um wahr zu sein. Was, wenn ich aufwachte und feststellte, dass ich nur träumte?
Sobald man sich dem Haus näherte, konnte man das Geld förmlich riechen, das hier in jedem Detail steckte. Die ehemalige Wassermühle war sorgfältig und kostspielig restauriert worden. Selbst den Bachlauf hatte der Architekt in die Innenausstattung mit einbezogen, indem er ihn angezapft und in einer schmalen Rinne durch die Eingangshalle geführt hatte.
Die Sonne spielte auf dem zweihundert Jahre alten roten Backstein, ließ den Kiesbelag erstrahlen und brach sich in der Glasfront des Anbaus, der aussah wie von einem Science-Fiction-Autor erdacht.
Das Haus meiner Mutter. Seine Schönheit fesselte mich bei jedem Besuch aufs Neue.
Ich schloss die Tür auf und betrat die Halle. Eine wohl tuende Kühle empfing mich. Und unser Kater Edgar, der seinen Namen der simplen Tatsache verdankt, dass meine Mutter die Geschichten von Edgar Allan Poe vergöttert.
Ich hob ihn auf und knuddelte ihn, wobei enorm viele Haare auf den Boden rieselten. Konnte es sein, dass er immer noch Winterfell verlor? Ich setzte ihn wieder ab und er leckte sich die Flanke und stolzierte vor mir her zur Treppe.
Auch im Innern des Hauses war alles erlesen und kostbar, von kundiger Hand zusammengestellt. Die Sonne warf ihr weiches Nachmittagslicht durch die hohen Fenster der Halle und brachte das Holz der Treppe zum Leuchten. Die Rattansessel auf dem Terrazzoboden weckten Sehnsucht nach Italien, ebenso die karg getünchten weißen Wände und die runden, mönchischen Nischen der Fenster.
Allein die Treppe war ein Kunstwerk für sich. Die Stufen schienen förmlich in der Luft zu schweben. Der Schreiner, der sie gebaut hatte, war dafür bekannt, dass er sich immer für ein Minimum an Material und ein Maximum an Wirkung entschied. Mit Erfolg. Es war übrigens mit allem hier so. Mit jedem Zimmer und jedem Einrichtungsgegenstand. Meine Mutter hatte grundsätzlich das Beste gewählt. Und das Teuerste. Sie konnte es sich leisten.
Am Ende der Treppe angelangt, durchquerte Edgar schnurstracks die obere Halle. Er wusste, dass mein erster Weg mich stets zu meiner Mutter führte.
Aus ihrem Zimmer drangen keine Geräusche. Vielleicht war sie eingeschlafen. Vorsichtig öffnete ich die Tür.
Meine Mutter saß an ihrem Schreibtisch vor einem Stapel Papier, die Lesebrille auf der Nase. Sie drehte sich zu mir um und lächelte. »Jette! Wie schön!«
Meine Mutter ist Schriftstellerin. Krimiautorin, um genau zu sein. Sie schreibt für die schwarze Reihe des Piepenbrink Verlags, und das äußerst erfolgreich.
Seit sie dem, was meine Großmutter und ihr Damenzirkel so unter echter Literatur verstehen, den Rücken gekehrt hat, verkaufen sich ihre Bücher wie warme Semmeln. Sie sind inzwischen in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt worden und um die Filmrechte reißen sich die Produktionsfirmen.
»Setz dich einen Augenblick. Bin gleich fertig.«
Man darf meine Mutter jederzeit und bei allem stören, nur nicht beim Notieren eines Einfalls oder beim Skizzieren einer Idee. Ich hatte mich längst daran gewöhnt und nahm es ihr nicht mehr übel. Früher war das anders gewesen. Es war mir immer so vorgekommen, als wären ihr die Worte wichtiger als ich.
Edgar war schon auf das Sofa gesprungen und wartete darauf, dass ich mich setzte. Er rollte sich auf meinem Schoß zusammen, schloss die Augen, schnurrte und bohrte mir zärtlich die Krallen in den Oberschenkel.
Ich kann mich noch an das Leben vor dem Erfolg meiner Mutter erinnern. Damals wohnten wir in einem Reihenhaus in Bröhl. Die Vorgärten sahen aus wie gut gepflegte Familiengräber, bepflanzt mit Nadelsträuchern, Rhododendren und einjährigen Pflanzen. Hier und da gluckerte Wasser über sauber gebürstete Quellsteine in ein Seerosenbecken mit einer Hand voll fetter Goldfische.
Im Souterrain, hinter von Efeu umspielten Fenstern, hatte mein Vater sein Büro. Rechts neben der Haustür hing, etwa in Augenhöhe, ein Messingschild mit der Aufschrift: Theo Weingärtner. Steuerberater. Das Schild war blank geputzt. Viele Kundinnen meines Vaters überprüften darin ihr Make up, bevor sie auf den Klingelknopf drückten.
Wir hatten eine Putzhilfe, die zweimal wöchentlich das Haus umkrempelte, und einmal pro Monat kam ein Fensterputzer. Meine Mutter schrieb und schrieb.
Ihr liebstes Betätigungsfeld neben ihrem Arbeitszimmer im ersten Stock war der Garten, der aussah wie ein Paradebeispiel für eine Hochglanzausgabe von Homes & Gardens, mit genau der richtigen Mischung aus gepflegten und verwilderten Ecken, die bei den Gartenzeitschriften gerade in Mode ist.
Meine Mutter pflegte ihre Schreibkrisen bei der Gartenarbeit auszukurieren. Vielleicht hätte sie es hin und wieder vorgezogen, ein Problem mit meinem Vater zu besprechen, statt es in der Erde zu verbuddeln oder an Spalieren festzubinden, doch er konnte den Konflikten, die meine Mutter auf dem Papier entstehen ließ, und der Sprache, mit der sie das tat, kein Interesse abgewinnen.
Wenn er über den Beruf meiner Mutter sprach, was selten vorkam, dann bezeichnete er ihn als Schreiberei und meine Mutter nannte er eine Schreiberin. Er tat das mit einem freundlichen Augenzwinkern, das man ihm nicht glaubte. Schriftstellerin oder Autorin brachte er nicht über die Lippen, denn das hätte bedeutet, dass er ihren Beruf ernst nahm.
Sein Verhalten änderte sich auch dann nicht, als meine Mutter in den ersten Talkshows auftauchte und Journalisten unser Haus für Fotoreportagen und Kurzfilme mit ihr auf den Kopf stellten.
Die Abrechnungen des Verlags jedoch nötigten selbst meinem Vater Respekt ab. Extras wurden davon angeschafft, der neue BMW, eine moderne, zweckmäßigere Einrichtung für das Büro meines Vaters, ein neuer Computer für meine Mutter, der lang ersehnte Wintergarten.
Das Schreiben meiner Mutter hatte mit unserem täglichen Leben wenig zu tun. Es geschah wie nebenbei, ohne dass wir viel davon mitbekamen.
Irgendwann tauchte sie dann mit der Bemerkung in der Küche auf, sie habe das neue Manuskript fertig. Einige Wochen später kam ihre Lektorin und sie setzten sich in den Wintergarten und besprachen das Manuskript und verteilten die Blätter überall, sodass es schwierig war, hin und her zu gehen, ohne ein heilloses Durcheinander zu verursachen.
Wieder später brachte der Postbote die Korrekturfahnen, den Entwurf des Umschlagbilds und irgendwann das fertige Buch.
Meine Mutter braucht das Schreiben. Um den Alltag auszuhalten, wie sie es ausdrückt. Das war schon immer so. Vielleicht brauchte sie das Schreiben damals noch nötiger, weil sie neben dem Alltag an sich auch noch meinen Vater aushalten musste.
Er mag keine Überraschungen und bastelt an dem perfekten Leben in einem perfekten Zuhause und einem perfekten Beruf. Manchmal kommt er mir vor wie der Bewohner einer überdimensionalen Puppenstube, wo nichts jemals verrückt wird, wo alles hübsch an seinem Platz bleibt.
Meine Mutter dagegen ist von Natur aus chaotisch. Bestimmt waren ihr Puppenstuben schon als Kind ein Gräuel und es war nur folgerichtig, dass sie die Pflege des Hauses anderen überließ.
Mehr und mehr wandte sie sich dem Garten zu. Er war ihr eigenes, überschaubares, eingegrenztes Universum, in dem sie schalten und walten konnte, wie sie wollte. Erfolge zeigten sich unübersehbar, Fehler konnten leicht korrigiert werden.
Ebenso war es mit dem Schreiben. Meine Mutter war fähig, eine komplexe Welt zu erschaffen, in der sie allein Macht über die Figuren und ihr Schicksal hatte. Menschen wurden geboren, Menschen starben, und es war meine Mutter, die an den Fäden zog. Das fand hinter der geschlossenen Tür und in der Stille ihres winzigen Arbeitszimmers statt. Manchmal erzählte sie davon und ihre Augen schienen Funken zu sprühen. Doch meistens behielt sie ihre Schreiberlebnisse für sich und wir sprachen über andere Dinge.
Eine Illustrierte bezeichnete meine Mutter einmal als eine vom Schreiben besessene Frau, die es gelernt habe, ihre Sucht gut zu verbergen. Der das Leben zu wenig sei. Die sich in ihren Geschichten ein anderes Leben erfinde.
Ein anderes Leben. Vielleicht hätte mein Vater sie dorthin begleiten können, wenn er gewollt hätte. Aber er wollte nicht.
Und ich? Mich hat keiner gefragt.
Meine Mutter flüchtete sich auch in Lesereisen. Wochenlang war sie unterwegs, rief mich aus München an, aus Hamburg, Zürich und Amsterdam. Neben unserem Telefon lag ständig eine Liste der Hotels, in denen sie sich gerade befand. Mama: erreichbar unter ...
Für die Dauer ihrer Abwesenheit verwandelte sich unsere Putzhilfe in eine Haushälterin, die von früh bis spät bei uns war und sämtliche Arbeiten erledigte, die anfielen. Sie kochte auch für uns, deftige Hausmannskost, die meinem Vater mit der Zeit zehn Kilo Übergewicht bescherte.
Meine Mutter wurde bekannt. In der Schule bekam ich allmählich einen Sonderstatus. Selbst manche Lehrer starrten mich ehrfürchtig an. Ich begann, Autogramme meiner Mutter zu verhökern, und verdiente ziemlich gut dabei.
Abends, sobald die Schatten in den Zimmern unruhig wurden, vermisste ich meine Mutter. Nicht, dass ich sie mir immer zu Hause gewünscht hätte. Im Gegenteil. Ich war nur daran gewöhnt, sie zu hören, wenn sie die Treppe rauf- oder runterlief. Wenn sie sich eine Stelle aus einem Manuskript halblaut vorlas. Wenn sie telefonierte. Ich vermisste auch den Duft ihres Parfüms, der wie ein unsichtbarer Schleier in einem Zimmer lag, in dem sie sich aufhielt oder das sie eben verlassen hatte.
Wir wurden reich. Meine Eltern kauften die alte Wassermühle in Eckersheim mit zwanzigtausend Quadratmetern Grund, idyllisch im Landschaftsschutzgebiet gelegen, und engagierten einen bekannten Architekten für die Renovierungs- und Umbauarbeiten. Mein Vater, der eine Villa am Stadtrand von Bröhl vorgezogen hätte, sich aber nicht durchsetzen konnte, stellte eine Sekretärin ein.
Sie hieß Angie und sah auch so aus, Mitte dreißig, aschblonder Pferdeschwanz, die Finger voller Ringe, die Röcke zu kurz und zu eng. Meine Mutter verbrachte jede freie Minute auf der Baustelle, mein Vater hatte keine freien Minuten mehr, weil er sich mit Angie in der Arbeit vergrub.
Ich pendelte irgendwo dazwischen, trieb mich herum, vernachlässigte die Schule und wurde mit einem Schlag erwachsen. Damals war ich fünfzehn.
Ein Jahr später ließen meine Eltern sich scheiden. Mein Vater zog nicht mit uns in die fertige Mühle ein. Er blieb im alten Haus, zusammen mit Angie, die schwanger war.
»So.« Meine Mutter nahm die Brille ab. »Du kommst gerade recht. Ich lechze nach einem Kaffee. Hast du ein bisschen Zeit mitgebracht?«
»So viel du willst. Und ich stör dich wirklich nicht?«
Sie legte den Stift weg. »Doch. Aber genau im richtigen Moment. Ich komme nämlich gerade nicht weiter. Den Computer hab ich längst ausgemacht. Weißt du, wie das ist, wenn man den letzten Satz anstarrt wie das Kaninchen die Schlange, und auf einmal stellt man fest, dass eine ganze Stunde vergangen ist?« Meine Mutter wartete die Antwort nicht ab. Rhetorische Fragen sind ihre Spezialität. Sie stand auf, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss.
Ihr Parfüm war mir so vertraut wie ihre Stimme oder die Wärme ihrer Haut. Calypso. Sie nahm nie ein anderes. Es war leicht und frisch und duftete nach Sommer. Meine Mutter ließ es sich in einer Parfümerie mischen. Der Duft wurde eigens für sie zusammengestellt und sie selbst hatte ihm den Namen gegeben.
Die einzige Extravaganz, die sie sich erlaubte, seit sie eine reiche Frau war, außer, dass sie ein kleines Vermögen für ungewöhnliche Ringe, Ketten und Armbänder ausgab, die sie dann nicht trug, weil sie sie zu auffällig fand.
»Stimmt was nicht?« Sie fuhr sich über das kurz geschnittene schwarze Haar, das von silbrig grauen Fäden durchsetzt war.
»Im Gegenteil.« Ich lächelte. »Du siehst klasse aus. Wie immer.«
Sie nahm mich am Arm und zog mich aus dem Zimmer. »Du auch.«
Das war eine glatte Lüge. Aber vielleicht merkte sie nicht mal, dass sie mich belog. Vielleicht belog sie sich selbst. Redete sich ein, dass ich schön sei. Ihr Ebenbild.
Doch das bin ich nicht. Und wollte es auch nie sein. Gegen keine Schönheit der Welt würde ich meine Einzigartigkeit eintauschen, selbst wenn sie nichts Besonderes ist. Ich bin ich selbst und das ist mehr, als manche von sich behaupten können.
Wir gingen nach unten. Sonnenflecken hatten sich auf dem Küchenboden ausgebreitet. Auf dem größten aalte sich Molly, unsere Katze, schwarzweiß wie die Schachbrettfliesen. Molly, die ihren stinknormalen, durch nichts und niemanden inspirierten Namen allein mir verdankt, begrüßte mich mit einem hellen Miauen, erhob sich und strich mir um die Beine. Dann verschwand sie mit Edgar durch die weit geöffnete Terrassentür in den Garten.
Meine Mutter machte uns Kaffee an dem schon etwas betagten Espressoautomaten. Mir fiel wieder auf, wie sehr sie allmählich meiner Großmutter ähnlich wurde. Sie ärgerte sich oft darüber, denn Großmutter und sie sind wie Feuer und Wasser und nichts scheint daran etwas ändern zu können.
»Wie kommst du mit dem neuen Buch klar?«, fragte ich und setzte mich auf die Tischkante, die warm war von der Sonne.
»Es wird mich Jahre meines Lebens kosten.« Meine Mutter bringt es locker fertig, die theatralischsten Sätze mit den banalsten Handgriffen zu verbinden. Konzentriert stellte sie Kaffeetassen, Zucker und eine Schale mit Orangenplätzchen auf ein Tablett, das ich noch nicht kannte oder aber noch nie wahrgenommen hatte, und trug alles auf die Terrasse hinaus. »Ich konnte besser schreiben, als du noch hier gewohnt hast. Mir fehlt die ruhige Regelmäßigkeit, die unser Leben hatte.«
»Und ich fehle dir nicht?«
Die Worte waren kaum heraus, da bereute ich sie schon. Machte es mir etwa immer noch etwas aus, ein eher unbedeutender Bestandteil im Leben meiner berühmten Mutter zu sein? Tat es mir immer noch weh, dass sie mich im Grunde nicht brauchte? Dass ihr jede Tochter recht gewesen wäre, beliebig und austauschbar?
»Vergiss es.« Ich wischte meine Frage mit einer Handbewegung beiseite. »War nicht ernst gemeint.«
Verletzt sah sie mich an.
»Kannst du dir diese Überempfindlichkeit nicht endlich abgewöhnen, Jette?«
Und das ausgerechnet von ihr! Wo man sich mit meiner Mutter stundenlang um eine Silbe streiten konnte.
Ich ließ mich auf einen der Gartenstühle fallen, lehnte mich zurück und atmete tief ein. Wenn ich es jemals bereuen sollte, nicht mehr hier zu wohnen, dann nur wegen dieser Landschaft. Der Blick ging über buckliges Land, auf dem die Schafe eines benachbarten Bauern weideten. Hier und da stand ein trotziger, krummer Obstbaum wie vergessen im Gras.
Niemand hatte diese Landschaft angerührt. Auch meine Mutter war dankenswerterweise nicht auf die absurde Idee verfallen, hier einen parkähnlichen Garten anzulegen oder anlegen zu lassen. Wie ich hatte sie den Zauber gespürt und ihn nicht angetastet.
Das Rauschen des Bachs machte die Idylle komplett. Ich verschränkte die Hände hinterm Kopf und schloss die Augen.
»Wann bist du wieder unterwegs?«, fragte ich.
Meine Mutter wartete mit der Antwort, bis ich die Augen öffnete. »Nur zu ein paar Einzellesungen. Du weißt doch, dass ich das Sommerloch immer zum Schreiben nutze.«
Sommerloch. Alles kreiste um ihr Schreiben. Sogar die Jahreszeiten. Seit sie sich von meinem Vater getrennt hatte, war das Schreiben noch wichtiger geworden. Als wäre es ein Schutz vor der Welt, dem Alleinsein oder den Gefühlen.
Ich sah meine Mutter genauer an. Und wenn ihr ganzes erlesenes Äußeres nur Fassade war? Ein perfekter Panzer? Ich spürte ihre nervöse Energie. Sie schien förmlich über den Tisch zu fließen. So war sie immer am Anfang eines neuen Buchs.
Der Fahrtwind fächelte den Duft nach frischen Erdbeeren ins geöffnete Fenster. Und die Hitze, die in diesem Jahr viel zu früh gekommen war. Der Rock klebte mir an den Beinen. Auf meiner Oberlippe standen Schweißperlen. Ich liebte meinen alten, klapprigen Renault mit seinen Macken, aber an manchen Tagen sehnte ich mich heftig nach einem jüngeren Modell mit Klimaanlage.
Nach der Kurve konnte ich sie sehen – die Erdbeerpflücker auf den Feldern, wie sie sich über die Pflanzen beugten oder vorsichtig zwischen ihnen entlanggingen, gefüllte Kisten auf den Armen balancierend. Sie erinnerten mich an baumwollpflückende Sklaven. Bunte Tupfer auf der weiten grünen Fläche, braun gebrannt von der Sonne.
Sie waren Saisonarbeiter, viele von ihnen aus Polen, viele von anderswo, viele aus den entlegensten Winkeln Deutschlands, die letzten Abenteurer, eine alljährliche Invasion, vor der die Dorfbewohner Türen und Fenster verschlossen.
Abends trafen sich die fremden Frauen und Männer, die Jungen und Mädchen am Brunnen, dem Mittelpunkt des Dorfs, tranken, rauchten, redeten, lachten. Sie hielten sich abseits, grüßten die Nachbarn nicht, lächelten ihnen nicht mal zu.
Es stimmte schon mit manchen Sprichwörtern. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Die Dorfbewohner hatten Misstrauen gesät und ernteten nun die Zurückhaltung, die sie verdienten.
Ich fuhr die lange, gewundene Auffahrt zum Haus hinauf. Der weiße Kies knirschte unter den Reifen. Wie im Film, dachte ich. Alles viel zu perfekt, viel zu gut, um wahr zu sein. Was, wenn ich aufwachte und feststellte, dass ich nur träumte?
Sobald man sich dem Haus näherte, konnte man das Geld förmlich riechen, das hier in jedem Detail steckte. Die ehemalige Wassermühle war sorgfältig und kostspielig restauriert worden. Selbst den Bachlauf hatte der Architekt in die Innenausstattung mit einbezogen, indem er ihn angezapft und in einer schmalen Rinne durch die Eingangshalle geführt hatte.
Die Sonne spielte auf dem zweihundert Jahre alten roten Backstein, ließ den Kiesbelag erstrahlen und brach sich in der Glasfront des Anbaus, der aussah wie von einem Science-Fiction-Autor erdacht.
Das Haus meiner Mutter. Seine Schönheit fesselte mich bei jedem Besuch aufs Neue.
Ich schloss die Tür auf und betrat die Halle. Eine wohl tuende Kühle empfing mich. Und unser Kater Edgar, der seinen Namen der simplen Tatsache verdankt, dass meine Mutter die Geschichten von Edgar Allan Poe vergöttert.
Ich hob ihn auf und knuddelte ihn, wobei enorm viele Haare auf den Boden rieselten. Konnte es sein, dass er immer noch Winterfell verlor? Ich setzte ihn wieder ab und er leckte sich die Flanke und stolzierte vor mir her zur Treppe.
Auch im Innern des Hauses war alles erlesen und kostbar, von kundiger Hand zusammengestellt. Die Sonne warf ihr weiches Nachmittagslicht durch die hohen Fenster der Halle und brachte das Holz der Treppe zum Leuchten. Die Rattansessel auf dem Terrazzoboden weckten Sehnsucht nach Italien, ebenso die karg getünchten weißen Wände und die runden, mönchischen Nischen der Fenster.
Allein die Treppe war ein Kunstwerk für sich. Die Stufen schienen förmlich in der Luft zu schweben. Der Schreiner, der sie gebaut hatte, war dafür bekannt, dass er sich immer für ein Minimum an Material und ein Maximum an Wirkung entschied. Mit Erfolg. Es war übrigens mit allem hier so. Mit jedem Zimmer und jedem Einrichtungsgegenstand. Meine Mutter hatte grundsätzlich das Beste gewählt. Und das Teuerste. Sie konnte es sich leisten.
Am Ende der Treppe angelangt, durchquerte Edgar schnurstracks die obere Halle. Er wusste, dass mein erster Weg mich stets zu meiner Mutter führte.
Aus ihrem Zimmer drangen keine Geräusche. Vielleicht war sie eingeschlafen. Vorsichtig öffnete ich die Tür.
Meine Mutter saß an ihrem Schreibtisch vor einem Stapel Papier, die Lesebrille auf der Nase. Sie drehte sich zu mir um und lächelte. »Jette! Wie schön!«
Meine Mutter ist Schriftstellerin. Krimiautorin, um genau zu sein. Sie schreibt für die schwarze Reihe des Piepenbrink Verlags, und das äußerst erfolgreich.
Seit sie dem, was meine Großmutter und ihr Damenzirkel so unter echter Literatur verstehen, den Rücken gekehrt hat, verkaufen sich ihre Bücher wie warme Semmeln. Sie sind inzwischen in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt worden und um die Filmrechte reißen sich die Produktionsfirmen.
»Setz dich einen Augenblick. Bin gleich fertig.«
Man darf meine Mutter jederzeit und bei allem stören, nur nicht beim Notieren eines Einfalls oder beim Skizzieren einer Idee. Ich hatte mich längst daran gewöhnt und nahm es ihr nicht mehr übel. Früher war das anders gewesen. Es war mir immer so vorgekommen, als wären ihr die Worte wichtiger als ich.
Edgar war schon auf das Sofa gesprungen und wartete darauf, dass ich mich setzte. Er rollte sich auf meinem Schoß zusammen, schloss die Augen, schnurrte und bohrte mir zärtlich die Krallen in den Oberschenkel.
Ich kann mich noch an das Leben vor dem Erfolg meiner Mutter erinnern. Damals wohnten wir in einem Reihenhaus in Bröhl. Die Vorgärten sahen aus wie gut gepflegte Familiengräber, bepflanzt mit Nadelsträuchern, Rhododendren und einjährigen Pflanzen. Hier und da gluckerte Wasser über sauber gebürstete Quellsteine in ein Seerosenbecken mit einer Hand voll fetter Goldfische.
Im Souterrain, hinter von Efeu umspielten Fenstern, hatte mein Vater sein Büro. Rechts neben der Haustür hing, etwa in Augenhöhe, ein Messingschild mit der Aufschrift: Theo Weingärtner. Steuerberater. Das Schild war blank geputzt. Viele Kundinnen meines Vaters überprüften darin ihr Make up, bevor sie auf den Klingelknopf drückten.
Wir hatten eine Putzhilfe, die zweimal wöchentlich das Haus umkrempelte, und einmal pro Monat kam ein Fensterputzer. Meine Mutter schrieb und schrieb.
Ihr liebstes Betätigungsfeld neben ihrem Arbeitszimmer im ersten Stock war der Garten, der aussah wie ein Paradebeispiel für eine Hochglanzausgabe von Homes & Gardens, mit genau der richtigen Mischung aus gepflegten und verwilderten Ecken, die bei den Gartenzeitschriften gerade in Mode ist.
Meine Mutter pflegte ihre Schreibkrisen bei der Gartenarbeit auszukurieren. Vielleicht hätte sie es hin und wieder vorgezogen, ein Problem mit meinem Vater zu besprechen, statt es in der Erde zu verbuddeln oder an Spalieren festzubinden, doch er konnte den Konflikten, die meine Mutter auf dem Papier entstehen ließ, und der Sprache, mit der sie das tat, kein Interesse abgewinnen.
Wenn er über den Beruf meiner Mutter sprach, was selten vorkam, dann bezeichnete er ihn als Schreiberei und meine Mutter nannte er eine Schreiberin. Er tat das mit einem freundlichen Augenzwinkern, das man ihm nicht glaubte. Schriftstellerin oder Autorin brachte er nicht über die Lippen, denn das hätte bedeutet, dass er ihren Beruf ernst nahm.
Sein Verhalten änderte sich auch dann nicht, als meine Mutter in den ersten Talkshows auftauchte und Journalisten unser Haus für Fotoreportagen und Kurzfilme mit ihr auf den Kopf stellten.
Die Abrechnungen des Verlags jedoch nötigten selbst meinem Vater Respekt ab. Extras wurden davon angeschafft, der neue BMW, eine moderne, zweckmäßigere Einrichtung für das Büro meines Vaters, ein neuer Computer für meine Mutter, der lang ersehnte Wintergarten.
Das Schreiben meiner Mutter hatte mit unserem täglichen Leben wenig zu tun. Es geschah wie nebenbei, ohne dass wir viel davon mitbekamen.
Irgendwann tauchte sie dann mit der Bemerkung in der Küche auf, sie habe das neue Manuskript fertig. Einige Wochen später kam ihre Lektorin und sie setzten sich in den Wintergarten und besprachen das Manuskript und verteilten die Blätter überall, sodass es schwierig war, hin und her zu gehen, ohne ein heilloses Durcheinander zu verursachen.
Wieder später brachte der Postbote die Korrekturfahnen, den Entwurf des Umschlagbilds und irgendwann das fertige Buch.
Meine Mutter braucht das Schreiben. Um den Alltag auszuhalten, wie sie es ausdrückt. Das war schon immer so. Vielleicht brauchte sie das Schreiben damals noch nötiger, weil sie neben dem Alltag an sich auch noch meinen Vater aushalten musste.
Er mag keine Überraschungen und bastelt an dem perfekten Leben in einem perfekten Zuhause und einem perfekten Beruf. Manchmal kommt er mir vor wie der Bewohner einer überdimensionalen Puppenstube, wo nichts jemals verrückt wird, wo alles hübsch an seinem Platz bleibt.
Meine Mutter dagegen ist von Natur aus chaotisch. Bestimmt waren ihr Puppenstuben schon als Kind ein Gräuel und es war nur folgerichtig, dass sie die Pflege des Hauses anderen überließ.
Mehr und mehr wandte sie sich dem Garten zu. Er war ihr eigenes, überschaubares, eingegrenztes Universum, in dem sie schalten und walten konnte, wie sie wollte. Erfolge zeigten sich unübersehbar, Fehler konnten leicht korrigiert werden.
Ebenso war es mit dem Schreiben. Meine Mutter war fähig, eine komplexe Welt zu erschaffen, in der sie allein Macht über die Figuren und ihr Schicksal hatte. Menschen wurden geboren, Menschen starben, und es war meine Mutter, die an den Fäden zog. Das fand hinter der geschlossenen Tür und in der Stille ihres winzigen Arbeitszimmers statt. Manchmal erzählte sie davon und ihre Augen schienen Funken zu sprühen. Doch meistens behielt sie ihre Schreiberlebnisse für sich und wir sprachen über andere Dinge.
Eine Illustrierte bezeichnete meine Mutter einmal als eine vom Schreiben besessene Frau, die es gelernt habe, ihre Sucht gut zu verbergen. Der das Leben zu wenig sei. Die sich in ihren Geschichten ein anderes Leben erfinde.
Ein anderes Leben. Vielleicht hätte mein Vater sie dorthin begleiten können, wenn er gewollt hätte. Aber er wollte nicht.
Und ich? Mich hat keiner gefragt.
Meine Mutter flüchtete sich auch in Lesereisen. Wochenlang war sie unterwegs, rief mich aus München an, aus Hamburg, Zürich und Amsterdam. Neben unserem Telefon lag ständig eine Liste der Hotels, in denen sie sich gerade befand. Mama: erreichbar unter ...
Für die Dauer ihrer Abwesenheit verwandelte sich unsere Putzhilfe in eine Haushälterin, die von früh bis spät bei uns war und sämtliche Arbeiten erledigte, die anfielen. Sie kochte auch für uns, deftige Hausmannskost, die meinem Vater mit der Zeit zehn Kilo Übergewicht bescherte.
Meine Mutter wurde bekannt. In der Schule bekam ich allmählich einen Sonderstatus. Selbst manche Lehrer starrten mich ehrfürchtig an. Ich begann, Autogramme meiner Mutter zu verhökern, und verdiente ziemlich gut dabei.
Abends, sobald die Schatten in den Zimmern unruhig wurden, vermisste ich meine Mutter. Nicht, dass ich sie mir immer zu Hause gewünscht hätte. Im Gegenteil. Ich war nur daran gewöhnt, sie zu hören, wenn sie die Treppe rauf- oder runterlief. Wenn sie sich eine Stelle aus einem Manuskript halblaut vorlas. Wenn sie telefonierte. Ich vermisste auch den Duft ihres Parfüms, der wie ein unsichtbarer Schleier in einem Zimmer lag, in dem sie sich aufhielt oder das sie eben verlassen hatte.
Wir wurden reich. Meine Eltern kauften die alte Wassermühle in Eckersheim mit zwanzigtausend Quadratmetern Grund, idyllisch im Landschaftsschutzgebiet gelegen, und engagierten einen bekannten Architekten für die Renovierungs- und Umbauarbeiten. Mein Vater, der eine Villa am Stadtrand von Bröhl vorgezogen hätte, sich aber nicht durchsetzen konnte, stellte eine Sekretärin ein.
Sie hieß Angie und sah auch so aus, Mitte dreißig, aschblonder Pferdeschwanz, die Finger voller Ringe, die Röcke zu kurz und zu eng. Meine Mutter verbrachte jede freie Minute auf der Baustelle, mein Vater hatte keine freien Minuten mehr, weil er sich mit Angie in der Arbeit vergrub.
Ich pendelte irgendwo dazwischen, trieb mich herum, vernachlässigte die Schule und wurde mit einem Schlag erwachsen. Damals war ich fünfzehn.
Ein Jahr später ließen meine Eltern sich scheiden. Mein Vater zog nicht mit uns in die fertige Mühle ein. Er blieb im alten Haus, zusammen mit Angie, die schwanger war.
»So.« Meine Mutter nahm die Brille ab. »Du kommst gerade recht. Ich lechze nach einem Kaffee. Hast du ein bisschen Zeit mitgebracht?«
»So viel du willst. Und ich stör dich wirklich nicht?«
Sie legte den Stift weg. »Doch. Aber genau im richtigen Moment. Ich komme nämlich gerade nicht weiter. Den Computer hab ich längst ausgemacht. Weißt du, wie das ist, wenn man den letzten Satz anstarrt wie das Kaninchen die Schlange, und auf einmal stellt man fest, dass eine ganze Stunde vergangen ist?« Meine Mutter wartete die Antwort nicht ab. Rhetorische Fragen sind ihre Spezialität. Sie stand auf, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss.
Ihr Parfüm war mir so vertraut wie ihre Stimme oder die Wärme ihrer Haut. Calypso. Sie nahm nie ein anderes. Es war leicht und frisch und duftete nach Sommer. Meine Mutter ließ es sich in einer Parfümerie mischen. Der Duft wurde eigens für sie zusammengestellt und sie selbst hatte ihm den Namen gegeben.
Die einzige Extravaganz, die sie sich erlaubte, seit sie eine reiche Frau war, außer, dass sie ein kleines Vermögen für ungewöhnliche Ringe, Ketten und Armbänder ausgab, die sie dann nicht trug, weil sie sie zu auffällig fand.
»Stimmt was nicht?« Sie fuhr sich über das kurz geschnittene schwarze Haar, das von silbrig grauen Fäden durchsetzt war.
»Im Gegenteil.« Ich lächelte. »Du siehst klasse aus. Wie immer.«
Sie nahm mich am Arm und zog mich aus dem Zimmer. »Du auch.«
Das war eine glatte Lüge. Aber vielleicht merkte sie nicht mal, dass sie mich belog. Vielleicht belog sie sich selbst. Redete sich ein, dass ich schön sei. Ihr Ebenbild.
Doch das bin ich nicht. Und wollte es auch nie sein. Gegen keine Schönheit der Welt würde ich meine Einzigartigkeit eintauschen, selbst wenn sie nichts Besonderes ist. Ich bin ich selbst und das ist mehr, als manche von sich behaupten können.
Wir gingen nach unten. Sonnenflecken hatten sich auf dem Küchenboden ausgebreitet. Auf dem größten aalte sich Molly, unsere Katze, schwarzweiß wie die Schachbrettfliesen. Molly, die ihren stinknormalen, durch nichts und niemanden inspirierten Namen allein mir verdankt, begrüßte mich mit einem hellen Miauen, erhob sich und strich mir um die Beine. Dann verschwand sie mit Edgar durch die weit geöffnete Terrassentür in den Garten.
Meine Mutter machte uns Kaffee an dem schon etwas betagten Espressoautomaten. Mir fiel wieder auf, wie sehr sie allmählich meiner Großmutter ähnlich wurde. Sie ärgerte sich oft darüber, denn Großmutter und sie sind wie Feuer und Wasser und nichts scheint daran etwas ändern zu können.
»Wie kommst du mit dem neuen Buch klar?«, fragte ich und setzte mich auf die Tischkante, die warm war von der Sonne.
»Es wird mich Jahre meines Lebens kosten.« Meine Mutter bringt es locker fertig, die theatralischsten Sätze mit den banalsten Handgriffen zu verbinden. Konzentriert stellte sie Kaffeetassen, Zucker und eine Schale mit Orangenplätzchen auf ein Tablett, das ich noch nicht kannte oder aber noch nie wahrgenommen hatte, und trug alles auf die Terrasse hinaus. »Ich konnte besser schreiben, als du noch hier gewohnt hast. Mir fehlt die ruhige Regelmäßigkeit, die unser Leben hatte.«
»Und ich fehle dir nicht?«
Die Worte waren kaum heraus, da bereute ich sie schon. Machte es mir etwa immer noch etwas aus, ein eher unbedeutender Bestandteil im Leben meiner berühmten Mutter zu sein? Tat es mir immer noch weh, dass sie mich im Grunde nicht brauchte? Dass ihr jede Tochter recht gewesen wäre, beliebig und austauschbar?
»Vergiss es.« Ich wischte meine Frage mit einer Handbewegung beiseite. »War nicht ernst gemeint.«
Verletzt sah sie mich an.
»Kannst du dir diese Überempfindlichkeit nicht endlich abgewöhnen, Jette?«
Und das ausgerechnet von ihr! Wo man sich mit meiner Mutter stundenlang um eine Silbe streiten konnte.
Ich ließ mich auf einen der Gartenstühle fallen, lehnte mich zurück und atmete tief ein. Wenn ich es jemals bereuen sollte, nicht mehr hier zu wohnen, dann nur wegen dieser Landschaft. Der Blick ging über buckliges Land, auf dem die Schafe eines benachbarten Bauern weideten. Hier und da stand ein trotziger, krummer Obstbaum wie vergessen im Gras.
Niemand hatte diese Landschaft angerührt. Auch meine Mutter war dankenswerterweise nicht auf die absurde Idee verfallen, hier einen parkähnlichen Garten anzulegen oder anlegen zu lassen. Wie ich hatte sie den Zauber gespürt und ihn nicht angetastet.
Das Rauschen des Bachs machte die Idylle komplett. Ich verschränkte die Hände hinterm Kopf und schloss die Augen.
»Wann bist du wieder unterwegs?«, fragte ich.
Meine Mutter wartete mit der Antwort, bis ich die Augen öffnete. »Nur zu ein paar Einzellesungen. Du weißt doch, dass ich das Sommerloch immer zum Schreiben nutze.«
Sommerloch. Alles kreiste um ihr Schreiben. Sogar die Jahreszeiten. Seit sie sich von meinem Vater getrennt hatte, war das Schreiben noch wichtiger geworden. Als wäre es ein Schutz vor der Welt, dem Alleinsein oder den Gefühlen.
Ich sah meine Mutter genauer an. Und wenn ihr ganzes erlesenes Äußeres nur Fassade war? Ein perfekter Panzer? Ich spürte ihre nervöse Energie. Sie schien förmlich über den Tisch zu fließen. So war sie immer am Anfang eines neuen Buchs.
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Autoren-Porträt von Monika Feth
Monika Feth wurde 1951 in Hagen geboren, arbeitete nach ihrem literaturwissenschaftlichen Studium zunächst als Journalistin und begann dann, Bücher zu verfassen. Heute lebt sie in der Nähe von Köln, wo sie vielfach ausgezeichnete Bücher für Leser aller Altersgruppen schreibt. Der sensationelle Erfolg der »Erdbeerpflücker«-Thriller machte sie weit über die Grenzen des Jugendbuchs hinaus bekannt. Ihre Bücher wurden in mehr als 24 Sprachen übersetzt.Bibliographische Angaben
- Autor: Monika Feth
- Altersempfehlung: Ab 14 Jahre
- Originalausgabe, 350 Seiten, Masse: 12,6 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: cbt
- ISBN-10: 357030258X
- ISBN-13: 9783570302583
- Erscheinungsdatum: 26.11.2003
Rezension zu „Der Erdbeerpflücker / Erdbeerpflücker-Thriller Bd.1 “
Keine billigen Effekte, zum sofortigen Verschlingen geeignet.
Pressezitat
Aussergewöhnliche Charaktere und ein Spannungsbogen, der auch dann noch fesselt, als die Leser längst begriffen haben, wer der Mörder ist. Ein ungewöhnlich gelungener Kriminalroman. Süddeutsche Zeitung
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