Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10
Ein Tanz mit Drachen
Band 10 der großen Saga. Das Schicksal der Königin der Drachen geht weiter.
Daenerys Targaryen, die Königin der Drachen, muss sich entscheiden. Welchen der adligen Freier soll sie heiraten? Und werd wird damit der...
lieferbar
versandkostenfrei
Buch (Kartoniert)
Fr. 21.90
inkl. MwSt.
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10 “
Band 10 der großen Saga. Das Schicksal der Königin der Drachen geht weiter.
Daenerys Targaryen, die Königin der Drachen, muss sich entscheiden. Welchen der adligen Freier soll sie heiraten? Und werd wird damit der mächtigste Verbündete für die Eroberung von Westeros sein? Es ist eine rein politische Entscheidung. Denn Deanerys' wahre Liebe gilt einem einfachen, aber machtlosen Söldner. Doch die Wünsche der Königin zählen in diesem Fall nicht.
Klappentext zu „Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10 “
Die Fortsetzung der grossen BestsellersagaDaenerys Targaryen, die Königin der Drachen, muss sich entscheiden, welchen ihrer adligen Freier sie heiraten wird. Wer wird der mächtigste Verbündete für die Eroberung von Westeros sein? Es ist eine rein politische Entscheidung, denn Daenerys' wahre Liebe gilt einem einfachen, aber machtlosen Söldner. Leider haben in diesem Fall die Wünsche einer Königin keine Bedeutung.
Über das Schicksal von Westeros entscheiden jedoch nicht die Intrigen der Adligen. Denn die Anderen jenseits der Mauer bereiten den entscheidenen Schlag vor. Jon Schnee und die Nachtwache könnten sie aufhalten. Aber kann der junge Kommandant noch auf die Loyalität seiner Männer vertrauen?
Lese-Probe zu „Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10 “
Ein Tanz mit Drachen - Das Lied von Eis und Feuer 10 von George R.R. Martin Der Beobachter
... mehr
»Schauen wir uns diesen Kopf einmal an«, befahl sein Fürst.
Areo Hotah strich mit der Hand über den glatten Schaft seiner Langaxt, seines Weibes aus Esche und Eisen, und er beobachtete. Er beobachtete den weißen Ritter Ser Balon Swann und die anderen, die mit ihm gekommen waren. Er beobachtete die Sandschlangen, von denen jede an einem anderen Tisch saß. Er beobachtete die Lords und Ladys, die Diener, den alten blinden Seneschall und den jungen Maester Myl mit dem Seidenbart und dem diensteifrigen Lächeln. Während er halb im Licht und halb im Schatten stand, sah er sie alle. Diene. Beschütze. Gehorche. Das war seine Aufgabe.
Die anderen hatten alle nur Augen für die Truhe aus geschnitztem Ebenholz mit Beschlägen und Angeln aus Silber. Eine wunderschöne Kiste ohne Zweifel, doch viele derjenigen, die hier im Alten Palast von Sonnspeer versammelt waren, würden vielleicht schon bald tot sein, je nachdem, was sich in der Truhe befand.
Maester Caleotte durchquerte auf wispernden Sohlen die Halle zu Ser Balon Swann. In seiner neuen Robe mit ihren breiten Bändern in Mausgrau und Walnussbraun und schmalen Streifen in Rot sah der kleine, runde Mann elegant aus. Mit einer Verneigung nahm er die Truhe aus den Händen des weißen Ritters entgegen und trug sie hinauf auf das Podest, wo Doran Martell in seinem rollenden Stuhl zwischen seiner Tochter Arianne und Ellaria saß, der geliebten Mätresse seines toten Bruders. Hundert Duftkerzen erfüllten die Luft mit ihrem Wohlgeruch. Edelsteine glitzerten an den Fingern der Lords und den Gürteln und Haarnetzen der Ladys. Areo Hotah hatte seinen Harnisch aus Kupferschuppen spiegelblank poliert, damit er ebenfalls im Kerzenlicht blitzte.
Stille hatte sich in der Halle ausgebreitet. Dorne hält den Atem an. Maester Caleotte stellte die Kiste neben Fürst Dorans Stuhl auf den Boden. Mit den sonst so sicheren und geschickten Fingern fummelte der Maester ungeschickt am Verschluss herum, öffnete den Deckel und enthüllte den Schädel im Inneren. Hotah hörte, wie sich jemand räusperte. Eine der Vogler-Zwillinge flüsterte der anderen etwas zu. Ellaria Sand hatte die Augen geschlossen und murmelte ein Gebet.
Ser Balon Swann war angespannt wie ein durchgezogener Bogen, fiel dem Hauptmann der Wache auf. Dieser neue weiße Ritter war weder so groß noch so hübsch wie der alte, aber er hatte eine breitere Brust, war stämmiger und an den Armen dick mit Muskeln bepackt. Der schneeweiße Mantel wurde am Hals von einer silbernen Fibel mit zwei Schwänen darauf gehalten. Der eine Schwan war aus Elfenbein, der andere aus Onyx, und für Areo Hotah sah es aus, als würden sie gegeneinander kämpfen. Auch der Mann, der sie trug, wirkte wie ein Kämpfer. Dieser wird nicht so leicht sterben wie der andere. Er wird mir nicht in die Axt rennen wie Ser Arys, sondern hinter seinem Schild stehen und warten, bis ich angreife. Falls es dazu kommen sollte, war Hotah bereit. Seine Langaxt war so scharf, dass er sich damit rasieren konnte.
Er gestattete sich einen kurzen Blick auf die Truhe. Der Schädel ruhte auf einem Bett aus schwarzem Filz und grinste. Alle Schädel grinsten, aber dieser erschien fröhlicher als die meisten anderen. Und größer. Der Hauptmann der Wache hatte noch nie einen so großen Schädel gesehen. Die Stirn war breit und ausgeprägt, das Kinn riesig. Im Kerzenlicht leuchtete der Knochen so weiß wie Ser Balons Mantel. »Stellt ihn auf den Sockel«, befahl der Fürst. Tränen glitzerten in seinen Augen.
Der Sockel war eine Säule aus schwarzem Marmor, die einen Meter höher war als Maester Caleotte. Der dicke, kleine Maester hüpfte auf den Zehenspitzen, reichte aber trotzdem nicht hinauf. Areo Hotah wollte gerade aufstehen und ihm helfen, doch Obara Sand war schneller. Selbst ohne ihre Peitsche und ihren Schild strahlte sie männliche Angriffslust aus. Anstelle eines Kleides trug sie Männerhosen und eine Tunika aus Leinen, die bis zu den Waden reichte und an der Taille von einem Gürtel aus Kupfersonnen gehalten wurde. Ihr braunes Haar hatte sie hinter dem Kopf zu einem Knoten gebunden. Sie riss dem Maester den Schädel aus den weichen, rosa Händen und stellte ihn auf die Marmorsäule. »Der Berg reitet nicht mehr«, sagte der Fürst feierlich.
»Ist er langsam und qualvoll gestorben, Ser Balon?«, fragte Tyene Sand in einem Ton, in dem sich eine Jungfrau erkundigen mochte, ob sie ein hübsches Kleid trug. »Er hat tagelang geschrien, Mylady«, antwortete der Ritter, obwohl man ihm ansah, dass ihm diese Antwort wenig behagte. »Wir haben ihn im ganzen Roten Bergfried gehört.«
»Bereitet Euch das Ungemach, Ser?«, fragte Lady Nym. Sie trug ein Kleid aus gelber Seide, die so rein und fein war, dass das Kerzenlicht hindurchschien und das gesponnene Gold und die Edelsteine darunter enthüllte. Das Gewand war so unanständig, dass es dem weißen Ritter unangenehm zu sein schien, sie anzusehen, doch Hotah gefiel es. Nymeria war am wenigsten gefährlich, wenn sie fast nackt war. Sonst hatte sie mit Sicherheit ein Dutzend Klingen an ihrem Leib versteckt. »Ser Gregor war eine blutige Bestie, da sind sich alle Männer einig. Wenn es je ein Mann verdient hatte zu leiden, dann er.« »Das mag sein, wie es will, Mylady«, erwiderte Balon Swann, »doch Ser Gregor war ein Ritter, und ein Ritter sollte mit dem Schwert in der Hand sterben. Gift ist eine widerliche, schmutzige Art zu töten.«
Darüber musste Lady Tyene lächeln. Ihr Kleid war cremefarben und grün und hatte lange Ärmel aus Spitze, und sie wirkte so bescheiden und so unschuldig, dass man sie für die keuscheste Jungfrau der Welt halten konnte. Areo Hotah wusste es besser. Ihre sanften, bleichen Hände waren genauso tödlich wie Obaras schwielige, wenn nicht sogar noch tödlicher. Er beobachtete sie genau und ließ sich selbst die kleinste Bewegung ihrer Finger nicht entgehen.
Fürst Doran runzelte die Stirn. »Das stimmt wohl, Ser Balon, aber auch Lady Nym hat recht. Falls es je ein Mann verdient hat, schreiend zu sterben, dann Gregor Clegane. Er hat meine liebe Schwester abgeschlachtet und den Kopf ihres kleinen Jungen an die Wand geschlagen. Ich bete nur, dass er jetzt in einer der Höllen brennt und dass Elia und ihre Kinder Frieden gefunden haben. Das ist die Gerechtigkeit, nach der Dorne gehungert hat. Und es freut mich, dass ich lange genug leben durfte, um ihren Geschmack noch zu kosten. Es hat lange gedauert, aber letzten Endes haben die Lennisters ihre Prahlerei wahr gemacht und diese alte Blutschuld getilgt.«
Der Fürst überließ es Ricasso, seinem blinden Seneschall, sich zu erheben und den Trinkspruch auszubringen. »Lords und Ladys, lasst uns nun alle trinken auf Tommen, den Ersten Seines Namens, König der Andalen, der Rhoynar und der Ersten Menschen und Herrn der Sieben Königslande.«
Während der Seneschall sprach, gingen die Diener zwischen den Gästen umher und füllten die Becher aus den Karaffen, die sie bei sich trugen. Es war dornischer Starkwein, dunkel wie Blut und süß wie Rache. Der Hauptmann trank nicht davon. Auf Festen gestattete er sich keinen Tropfen. Und auch der Fürst verzichtete. Er hatte seinen eigenen Wein, der von Maester Myl zubereitet wurde und mit Mohnblumensaft versetzt war, um den Schmerz in den geschwollenen Gelenken zu lindern.
Der weiße Ritter trank, wenn auch nur aus Höflichkeit. Seine Gefährten folgten dem Beispiel. Und ebenso Prinzessin Arianne, Lady Jordayn, der Lord von Göttergnad, der Ritter vom Zitronenhain, die Lady von Geistberg ... sogar Ellaria Sand, Prinz Oberyns geliebte Mätresse, die mit ihm in Königsmund gewesen war, als er starb. Hotah achtete mehr auf jene, die nicht tranken: Ser Daemon Sand, Lord Tremond Gargalen, die Vogler Zwillinge, Dagos Mannkraft, die Ullers von Höllhain, die Wyls vom Knochenweg. Wenn es Ärger gibt, könnte er bei einem von denen anfangen. Dorne war ein zorniges, zerrüttetes Land, und Fürst Doran hatte es längst nicht so fest im Griff, wie er sollte. Viele seiner eigenen Lords hielten ihn für schwach und hätten einen offenen Krieg mit den Lennisters und dem Kindkönig auf dem Eisernen Thron bevorzugt.
Anführer unter diesen Stimmen waren die Sandschlangen, die Bastardtöchter von Oberyn, dem verstorbenen Bruder des Fürsten, der Roten Viper, und drei von ihnen nahmen am Fest teil. Doran Martell war so weise, wie ein Fürst nur sein konnte, und es oblag dem Hauptmann seiner Wache nicht, seine Entscheidungen in Frage zu stellen, doch Areo Hotah fragte sich, warum er sich entschlossen hatte, die Damen Obara, Nymeria und Tyene aus ihren einsamen Zellen im Speerturm zu entlassen.
Tyene lehnte Ricassos Trinkspruch mit einem Murmeln ab, Lady Nym mit einer schnellen Handbewegung. Obara ließ sich den Kelch bis zum Rand füllen, kippte ihn dann um und vergoss den roten Wein auf dem Boden. Als eine Magd sich hinkniete, um den Wein aufzuwischen, verließ Obara die Halle. Einen Moment später entschuldigte sich Prinzessin Arianne und eilte ihr hinterher. Obara wird ihre Wut niemals an der kleinen Prinzessin auslassen, wusste Hotah. Sie sind Basen, und sie hat sie gern. Das Fest dauerte bis spät in die Nacht, und den Vorsitz hielt der grinsende Schädel auf seiner schwarzen Marmorsäule. Sieben Gänge wurden aufgetragen, zu Ehren der Sieben Götter und der sieben Brüder der Königsgarde. Die Suppe war aus Eiern und Zitronen zubereitet, die langen, grünen Paprikaschoten waren mit Käse und Zwiebeln gefüllt. Es gab Neunaugenpasteten, mit Honig überzogenen Kapaun, einen Wels vom Grund des Grünbluts, der so groß war, dass vier Diener ihn hereintragen mussten. Danach kam ein würziger Schlangeneintopf mit sieben verschiedenen Sorten Schlangenfleisch, die mit Drachenpfeffer und Blutorangen und einem Schuss Gift köcheln mussten, damit sie das rechte Aroma bekamen. Dieser Eintopf war entsetzlich scharf, das wusste Hotah, obwohl er nichts davon aß. Es folgte ein Fruchteis, um die Zunge zu kühlen. Die Süßspeise wurde jedem Gast in einem Schädel aus Zuckerwatte serviert. Hatte man die Kruste aufgebrochen, fand man im Inneren süße Vanillesoße mit Pflaumen und Kirschen.
Prinzessin Arianne kehrte rechtzeitig zu den gefüllten Paprikaschoten zurück. Meine kleine Prinzessin, dachte Hotah, aber inzwischen war Arianne eine Frau geworden. Daran ließ die rote Seide, die sie trug, keinen Zweifel. In letzter Zeit hatte sie sich auch in anderer Hinsicht verändert. Ihre Verschwörung, Myrcella zu krönen, war verraten und zerschlagen worden, ihr weißer Ritter war durch Hotahs Hand blutig gestorben, und sie selbst war in den Speerturm gesperrt und zu Einsamkeit und Schweigen verdammt worden. All das hatte sie bescheiden gemacht. Außerdem war da noch etwas anderes, ein Geheimnis, das ihr Vater Arianne anvertraut hatte, ehe er sie aus ihrem Gefängnis entließ. Worum es sich dabei handelte, wusste der Hauptmann nicht.
Der Fürst hatte seine Tochter zwischen sich und den weißen Ritter gesetzt, auf einen hohen Ehrenplatz also. Arianne lächelte, als sie sich wieder setzte und Ser Balon etwas ins Ohr flüsterte. Der Ritter enthielt sich einer Antwort. Er aß wenig, wie Hotah bemerkte: einen Löffel Suppe, einen Bissen Paprika, die Keule eines Kapauns, ein wenig Fisch. Die Neunaugenpastete verschmähte er, und von dem Eintopf probierte er nur einen winzigen Löffel. Und selbst davon stand ihm schon der Schweiß auf der Stirn. Hotah konnte es ihm nachfühlen. Als er nach Dorne gekommen war, hatte ihm das scharfe Essen Bauchkrämpfe und eine verbrannte Zunge beschert. Das war allerdings vor vielen Jahren gewesen, inzwischen hatte sich sein Haar weiß gefärbt, und er konnte genauso essen wie ein Dornischer.
Als die Schädel aus Zuckerwatte aufgetragen wurden, presste Ser Balon die Lippen zusammen und sah den Fürsten lange an, um zu erforschen, ob man ihn verspotten wollte. Doran Martell ließ sich nichts anmerken, aber seine Tochter ging darauf ein. »Ein kleiner Scherz des Kochs, Ser Balon«, sagte Arianne. »Selbst der Tod ist den Dornischen nicht heilig. Ihr werdet uns deshalb doch nicht böse sein, oder?« Sie strich dem weißen Ritter über den Handrücken. »Ich hoffe, Ihr habt Euren Aufenthalt in Dorne bisher genossen.«
»Jedermann war im höchsten Maße gastfreundlich, Mylady.« Arianne berührte die Spange seines Mantels mit den streitenden Schwänen. »Schwäne mochte ich schon immer gern. Kein anderer Vogel auf dieser Seite der Sommerinseln kann es an Schönheit mit ihnen aufnehmen.« »Eure Pfauen würden das gewiss bestreiten«, antwortete Ser Balon. »Vielleicht«, sagte Arianne, »aber Pfauen sind eitle, stolze Geschöpfe, die in all diesen grellen Farben umherstolzieren. Ich würde einen Schwan in heiterem Weiß oder wunderschönem Schwarz jederzeit vorziehen.«
Ser Balon nickte und nippte an seinem Wein. Der wird nicht so leicht zu verführen sein wie sein Geschworener Bruder, dachte Hotah. Ser Arys war ein Knabe, seinen Jahren zum Trotz. Dieser hier ist ein Mann und auf der Hut. Der Hauptmann musste ihn nur ansehen, um zu erkennen, wie unbehaglich dem weißen Ritter zumute war. Dieser Ort ist ihm fremd und gefällt ihm wenig. Hotah verstand das gut. Dorne war auch ihm als eigenartige Welt erschienen, als er mit seiner eigenen Prinzessin vor vielen Jahren hierhergekommen war. Die Bärtigen Priester hatten ihm die Gemeine Zunge von Westeros eingebläut, ehe sie ihn herschickten, aber die Dornischen sprachen viel zu schnell für ihn, und er verstand kein Wort. Dornische Frauen waren lüstern, dornischer Wein war sauer, und dornisches Essen war voll seltsamer scharfer Gewürze. Und die dornische Sonne brannte heißer als die fahle, schwache Sonne von Norvos und starrte Tag um Tag von einem blauen Himmel herunter.
Ser Balon hatte nicht so eine lange Reise hinter sich bringen müssen, doch sie war auf ihre Art eine Herausforderung gewesen, wie der Hauptmann wusste. Drei Ritter, acht Knappen, zwanzig weitere Krieger und allerlei Burschen und Diener hatten ihn aus Königsmund begleitet, doch nachdem sie die Berge nach Dorne überquert hatten, waren sie nur noch langsam vorangekommen, weil bei jeder Burg Feste, Jagden und Feiern zu ihren Ehren ausgerichtet wurden, an denen sie teilnehmen mussten. Und nun, da sie Sonnspeer endlich erreicht hatten, waren weder Prinzessin Myrcella noch Ser Arys Eichenherz zugegen, um sie zu begrüßen. Der weiße Ritter weiß, dass etwas nicht stimmt, so viel erkannte Hotah deutlich, aber das ist noch nicht alles. Vielleicht setzte ihm die Gegenwart der Sandschlangen zu. Falls dem so war, musste Obaras Rückkehr in die Halle für ihn wie Essig in einer Wunde brennen. Ohne ein Wort kehrte sie an ihren Platz zurück und setzte sich schmollend, ohne zu lächeln oder ein Wort zu sagen.
Mitternacht war nicht mehr fern, als Fürst Doran sich an den weißen Ritter wandte und sagte: »Ser Balon, ich habe den Brief gelesen, den Ihr mir von unserer huldreichen Königin überbracht habt. Darf ich davon ausgehen, dass Ihr mit seinem Inhalt vertraut seid, Ser?«
Hotah sah, wie der Ritter zusammenzuckte. »Das bin ich, Mylord. Ihre Gnaden teilte mir mit, man würde mir vielleicht den Auftrag erteilen, ihre Tochter nach Königsmund zurückzugeleiten. König Tommen sehnt sich nach seiner Schwester und wäre überaus glücklich, wenn Prinzessin Myrcella für einen kurzen Besuch an den Hof zurückkehren würde.«
Prinzessin Arianne zog ein trauriges Gesicht. »Ach, aber wir alle haben Myrcella so lieb gewonnen, Ser. Sie und mein Bruder Trystan sind unzertrennlich geworden.«
»Prinz Trystan wäre ebenfalls in Königsmund willkommen«, sagte Balon Swann. »König Tommen würde ihn gern kennenlernen, dessen bin ich mir sicher. Seine Gnaden hat so wenig Gefährten im gleichen Alter.« »Bündnisse, die man in der Kindheit schließt, können einem Mann ein Leben lang erhalten bleiben«, stimmte Fürst Doran zu. »Wenn Trystan und Myrcella heiraten, werden er und Tommen wie Brüder sein. Da hat Königin Cersei recht. Die Jungen sollten sich kennenlernen und Freunde werden. Dorne wird ihn vermissen, das steht außer Zweifel, aber es ist längst an der Zeit, dass Trystan etwas von der Welt jenseits der Mauern von Sonnspeer sieht.«
»Ganz bestimmt wird man ihn in Königsmund wärmstens willkommen heißen.«
Warum schwitzt er jetzt?, fragte sich der Hauptmann und beobachtete den Mann genau. In der Halle ist es zu kühl dafür, und den Eintopf hat er nicht angerührt. »Was die andere Sache angeht, die Königin Cersei anspricht«, sagte Fürst Doran, »so stimmt es wohl, Dornes Sitz im Kleinen Rat ist seit dem Tode meines Bruders unbesetzt, und es ist längst überfällig, ihn wieder einzunehmen. Es schmeichelt mir, dass Ihre Gnaden glaubt, mein Rat könne ihr von Nutzen sein, wenngleich ich befürchte, mir mangelt es an der Kraft für eine solche Reise. Vielleicht könnten wir mit dem Schiff fahren?«
»Mit dem Schiff?« Ser Balon wirkte bestürzt. »Das ... Wäre das nicht gefährlich, mein Fürst? Der Herbst ist die Zeit der heftigen Stürme, das habe ich zumindest gehört, und ... die Piraten auf den Trittsteinen, die ...«
»Die Piraten. Aber natürlich. Vielleicht habt Ihr recht, Ser. Der Weg, auf dem Ihr gekommen seid, wird bestimmt sicherer sein.« Fürst Doran lächelte freundlich. »Unterhalten wir uns doch morgen weiter darüber. Wenn wir die Wassergärten erreichen, können wir es Myrcella erzählen. Ich weiß, sie wird ganz aufgeregt sein. Ohne Zweifel vermisst auch sie ihren Bruder.«
»Ich freue mich ebenfalls, sie wiederzusehen«, sagte Ser Balon. »Und auch auf den Besuch Eurer Wassergärten. Wie ich vernommen habe, sind sie wunderschön.«
»Wunderschön und friedlich«, sagte der Fürst. »Kühle Winde, sprudelndes Wasser und das Lachen von Kindern. Die Wassergärten sind mir der liebste Ort auf dieser Welt, Ser. Einer meiner Vorfahren hat sie bauen lassen, um seine Targaryen- Braut zu erfreuen und ihr Sonnspeers Staub und Hitze zu ersparen. Daenerys war ihr Name. Sie war die Schwester von König Daeron dem Guten, und durch ihre Heirat wurde Dorne ein Teil der Sieben Königslande. Das ganze Reich wusste, dass das Mädchen Daerons Bastardbruder Daemon Schwarzfeuer liebte, der ihre Liebe auch erwiderte, doch der König war weise genug, um zu erkennen, dass das Wohl von Tausenden über den Begierden zweier Einzelner steht, obwohl ihm diese beiden teuer waren. Es war Daenerys, die die Gärten erstmals mit lachenden Kindern belebt hat. Zuerst mit ihren eigenen, doch später kamen auch die Söhne und Töchter von Lords und Rittern mit Landbesitz, um den Jungen und Mädchen von fürstlichem Geblüt als Gefährten zu dienen. Und an einem sengend heißen Sommertag hatte sie Mitleid mit den Kindern ihrer Burschen und Köche und Diener und lud sie ein, die Becken und Brunnen ebenfalls zu benutzen, und diese Tradition hat sich bis in unsere Zeit erhalten.« Der Fürst ergriff die Räder seines Stuhls und schob sich vom Tisch zurück. »Aber jetzt müsst Ihr mich entschuldigen, Ser. All diese Worte haben mich ermüdet, und wir sollten bei Tagesanbruch aufbrechen. Obara, wärst du so freundlich, mir ins Bett zu helfen? Nymeria, Tyene, kommt ebenfalls mit und sagt eurem alten Onkel gute Nacht.«
Und so fiel Obara Sand die Aufgabe zu, den Stuhl des Fürsten aus der Festhalle von Sonnspeer durch eine lange Galerie bis zu seinem Solar zu rollen. Areo Hotah folgte ihnen mit ihren Schwestern sowie mit Prinzessin Arianne und Ellaria Sand. Maester Caleotte eilte in Pantoffeln hinterher, den Schädel des Bergs wie ein Kind im Arm wiegend.
»Ihr könnt doch nicht ernsthaft erwägen, Trystan und Myrcella nach Königsmund zu schicken«, sagte Obara, während sie schob. Sie ging mit großen, zornigen Schritten, viel zu schnell, so dass die großen Holzräder des Stuhles laut über die grob gehauenen Steine des Bodens holperten. »Wenn Ihr das tut, werden wir das Mädchen nie wiedersehen, und Euer Sohn verbringt sein Leben als Geisel des Eisernen Throns.«
»Hältst du mich für so töricht, Obara?« Der Fürst seufzte. »Es gibt vieles, das du nicht weißt. Aber hier, wo jeder es hören könnte, sollten wir lieber nicht darüber sprechen. Wenn du deine Zunge hütest, werde ich dich vielleicht erleuchten.« Er zuckte zusammen. »Langsamer, um der Liebe willen, die du für mich hegst. Der letzte Ruck hat mir einen Stich durchs Knie versetzt.« Obara ging nun langsamer. »Was werdet Ihr also tun?«
Ihre Schwester Tyene antwortete: »Was er immer tut«, schnurrte sie. »Verzögern, verschleiern und Ausflüchte suchen. Oh, niemand kann das auch nur halb so gut wie unser tapferer Onkel.« »Ihr tut ihm unrecht«, sagte Prinzessin Arianne. »Seid still, alle miteinander«, befahl der Fürst.
Erst als die Tür seines Solars fest hinter ihnen geschlossen war, drehte er sich in seinem rollenden Stuhl zu den Frauen um. Selbst diese kleine Anstrengung raubte ihm den Atem, und die myrische Decke über seinen Beinen verfing sich zwischen zwei Speichen, während sich die Räder drehten, daher musste er sie festhalten, damit sie ihm nicht weggerissen wurde. Unter der Decke waren seine Beine blass, weich, hässlich. Beide Knie waren rot und geschwollen, und seine Zehen waren fast violett und zweimal so groß, wie sie hätten sein sollen. Areo Hotah hatte sie schon tausend Mal gesehen und konnte den Anblick immer noch nur schwer ertragen.
Prinzessin Arianne trat vor. »Lasst mich Euch helfen, Vater.«
Der Fürst zerrte die Decke los. »Ich werde schon noch mit meiner eigenen Decke fertig. Wenigstens das.« Es war wenig genug. Seine Beine waren schon seit drei Jahren nicht mehr zu gebrauchen, aber in Händen und Schultern war ihm noch etwas Kraft geblieben.
»Soll ich meinem Fürsten einen kleinen Becher Mohnblumensaft holen?«, fragte Maester Caleotte.
»Bei diesen Schmerzen könnte ich einen ganzen Eimer gebrauchen. Aber nein, danke. Ich brauche einen klaren Verstand. Heute Nacht benötige ich Euch nicht mehr.«
»Sehr wohl, mein Fürst.« Maester Caleotte verneigte sich, wobei er immer noch Ser Gregors Kopf in den weichen, rosa Händen hielt.
»Den nehme ich.« Obara Sand nahm ihm den Schädel ab und hielt ihn auf Armeslänge vor sich. »Wie hat der Berg ausgesehen? Woher wissen wir, ob er es wirklich ist? Sie hätten den Kopf in Teer stecken können. Warum haben sie das Fleisch abgelöst? «
»Teer hätte die Kiste ruiniert«, meinte Lady Nym, während Maester Caleotte davonschlurfte. »Niemand hat gesehen, wie der Berg gestorben ist, und niemand hat gesehen, wie ihm der Kopf abgeschlagen wurde. Das bereitet mir Sorgen, das muss ich gestehen, aber was könnte die Hurenkönigin zu erreichen suchen, indem sie uns täuscht? Falls Gregor Clegane noch am Leben ist, kommt die Wahrheit früher oder später doch ans Licht. Der Mann war fast zweieinhalb Meter groß, und in ganz Westeros gibt es seinesgleichen kein zweites Mal. Wenn irgendwo ein solcher Mann auftaucht, wird Cersei Lennister vor allen Sieben Königslanden als Lügnerin dastehen. Es wäre vollkommen närrisch, solch ein Risiko einzugehen. Was könnte sie dabei gewinnen?«
»Ohne Zweifel ist der Schädel groß genug«, sagte der Fürst. »Und wie wir wissen, wurde Gregor von Oberyn schwer verwundet. Alle Berichte, die wir seither erhalten haben, behaupten, Clegane sterbe eines langsamen, schmerzvollen Todes.«
»So wie Vater es beabsichtigt hat«, sagte Tyene. »Wahrlich, Schwestern, ich kenne das Gift, das Vater benutzt hat. Wenn sein Speer die Haut des Bergs nur geritzt hat, ist Clegane tot, mag er auch noch so groß gewesen sein. Ihr mögt an eurer kleinen Schwester zweifeln, aber zweifelt niemals an unserem Vater. «
Obara schnaubte. »Ich habe nicht an ihm gezweifelt und werde es auch niemals tun.« Höhnisch drückte sie dem Schädel einen Kuss auf die Stirn. »Das ist immerhin ein Anfang.«
»Ein Anfang?«, fragte Ellaria Sand ungläubig. »Die Götter mögen es verhüten. Ich wünschte, es wäre ein Schlussstrich. Tywin Lennister ist tot. Ebenso wie Robert Baratheon und Amory Lorch. Und jetzt sogar Gregor Clegane. All jene, die ihre Hand beim Mord an Elia und ihren Kindern im Spiel hatten. Sogar Joffrey ist tot, und der war noch nicht einmal geboren, als Elia starb. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Junge gestorben ist, wie er seine Kehle umklammerte und nach Luft schnappte. Wer wäre noch zu töten? Müssen Myrcella und Tommen sterben, damit Rhaenys' und Aegons Schatten Frieden finden? Wo endet es?«
»Es endet mit Blut, so wie es mit Blut begonnen hat«, sagte Lady Nym. »Es endet, wenn Casterlystein geknackt ist, damit die Sonne auf die Maden und Würmer darin scheinen kann. Es endet mit der völligen Vernichtung von Tywin Lennister und all seinen Werken.«
»Der Mann ist durch die Hand seines eigenen Sohnes gestorben «, fauchte Ellaria zurück. »Was kann man sich mehr wünschen? «
»Ich wünschte, er wäre durch meine Hand gestorben.« Lady Nym setzte sich auf einen Stuhl, und ihr langer, schwarzer Zopf fiel ihr über eine Schulter bis in den Schoß. Sie hatte den spitzen Haaransatz ihres Vaters. Die Augen darunter waren groß und glänzten. Ihre weinroten Lippen verzogen sich zu einem seidigen Lächeln. »Denn dann wäre er nicht so einfach davongekommen. «
»Ser Gregor sieht so einsam aus«, meinte Tyene mit ihrer süßen Septastimme. »Bestimmt würde ihm ein wenig Gesellschaft gefallen.«
Übersetzung: Andreas Helweg
Copyright © 2011 by George R.R. Martin Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Verlagsgruppe Random House GmbH
»Schauen wir uns diesen Kopf einmal an«, befahl sein Fürst.
Areo Hotah strich mit der Hand über den glatten Schaft seiner Langaxt, seines Weibes aus Esche und Eisen, und er beobachtete. Er beobachtete den weißen Ritter Ser Balon Swann und die anderen, die mit ihm gekommen waren. Er beobachtete die Sandschlangen, von denen jede an einem anderen Tisch saß. Er beobachtete die Lords und Ladys, die Diener, den alten blinden Seneschall und den jungen Maester Myl mit dem Seidenbart und dem diensteifrigen Lächeln. Während er halb im Licht und halb im Schatten stand, sah er sie alle. Diene. Beschütze. Gehorche. Das war seine Aufgabe.
Die anderen hatten alle nur Augen für die Truhe aus geschnitztem Ebenholz mit Beschlägen und Angeln aus Silber. Eine wunderschöne Kiste ohne Zweifel, doch viele derjenigen, die hier im Alten Palast von Sonnspeer versammelt waren, würden vielleicht schon bald tot sein, je nachdem, was sich in der Truhe befand.
Maester Caleotte durchquerte auf wispernden Sohlen die Halle zu Ser Balon Swann. In seiner neuen Robe mit ihren breiten Bändern in Mausgrau und Walnussbraun und schmalen Streifen in Rot sah der kleine, runde Mann elegant aus. Mit einer Verneigung nahm er die Truhe aus den Händen des weißen Ritters entgegen und trug sie hinauf auf das Podest, wo Doran Martell in seinem rollenden Stuhl zwischen seiner Tochter Arianne und Ellaria saß, der geliebten Mätresse seines toten Bruders. Hundert Duftkerzen erfüllten die Luft mit ihrem Wohlgeruch. Edelsteine glitzerten an den Fingern der Lords und den Gürteln und Haarnetzen der Ladys. Areo Hotah hatte seinen Harnisch aus Kupferschuppen spiegelblank poliert, damit er ebenfalls im Kerzenlicht blitzte.
Stille hatte sich in der Halle ausgebreitet. Dorne hält den Atem an. Maester Caleotte stellte die Kiste neben Fürst Dorans Stuhl auf den Boden. Mit den sonst so sicheren und geschickten Fingern fummelte der Maester ungeschickt am Verschluss herum, öffnete den Deckel und enthüllte den Schädel im Inneren. Hotah hörte, wie sich jemand räusperte. Eine der Vogler-Zwillinge flüsterte der anderen etwas zu. Ellaria Sand hatte die Augen geschlossen und murmelte ein Gebet.
Ser Balon Swann war angespannt wie ein durchgezogener Bogen, fiel dem Hauptmann der Wache auf. Dieser neue weiße Ritter war weder so groß noch so hübsch wie der alte, aber er hatte eine breitere Brust, war stämmiger und an den Armen dick mit Muskeln bepackt. Der schneeweiße Mantel wurde am Hals von einer silbernen Fibel mit zwei Schwänen darauf gehalten. Der eine Schwan war aus Elfenbein, der andere aus Onyx, und für Areo Hotah sah es aus, als würden sie gegeneinander kämpfen. Auch der Mann, der sie trug, wirkte wie ein Kämpfer. Dieser wird nicht so leicht sterben wie der andere. Er wird mir nicht in die Axt rennen wie Ser Arys, sondern hinter seinem Schild stehen und warten, bis ich angreife. Falls es dazu kommen sollte, war Hotah bereit. Seine Langaxt war so scharf, dass er sich damit rasieren konnte.
Er gestattete sich einen kurzen Blick auf die Truhe. Der Schädel ruhte auf einem Bett aus schwarzem Filz und grinste. Alle Schädel grinsten, aber dieser erschien fröhlicher als die meisten anderen. Und größer. Der Hauptmann der Wache hatte noch nie einen so großen Schädel gesehen. Die Stirn war breit und ausgeprägt, das Kinn riesig. Im Kerzenlicht leuchtete der Knochen so weiß wie Ser Balons Mantel. »Stellt ihn auf den Sockel«, befahl der Fürst. Tränen glitzerten in seinen Augen.
Der Sockel war eine Säule aus schwarzem Marmor, die einen Meter höher war als Maester Caleotte. Der dicke, kleine Maester hüpfte auf den Zehenspitzen, reichte aber trotzdem nicht hinauf. Areo Hotah wollte gerade aufstehen und ihm helfen, doch Obara Sand war schneller. Selbst ohne ihre Peitsche und ihren Schild strahlte sie männliche Angriffslust aus. Anstelle eines Kleides trug sie Männerhosen und eine Tunika aus Leinen, die bis zu den Waden reichte und an der Taille von einem Gürtel aus Kupfersonnen gehalten wurde. Ihr braunes Haar hatte sie hinter dem Kopf zu einem Knoten gebunden. Sie riss dem Maester den Schädel aus den weichen, rosa Händen und stellte ihn auf die Marmorsäule. »Der Berg reitet nicht mehr«, sagte der Fürst feierlich.
»Ist er langsam und qualvoll gestorben, Ser Balon?«, fragte Tyene Sand in einem Ton, in dem sich eine Jungfrau erkundigen mochte, ob sie ein hübsches Kleid trug. »Er hat tagelang geschrien, Mylady«, antwortete der Ritter, obwohl man ihm ansah, dass ihm diese Antwort wenig behagte. »Wir haben ihn im ganzen Roten Bergfried gehört.«
»Bereitet Euch das Ungemach, Ser?«, fragte Lady Nym. Sie trug ein Kleid aus gelber Seide, die so rein und fein war, dass das Kerzenlicht hindurchschien und das gesponnene Gold und die Edelsteine darunter enthüllte. Das Gewand war so unanständig, dass es dem weißen Ritter unangenehm zu sein schien, sie anzusehen, doch Hotah gefiel es. Nymeria war am wenigsten gefährlich, wenn sie fast nackt war. Sonst hatte sie mit Sicherheit ein Dutzend Klingen an ihrem Leib versteckt. »Ser Gregor war eine blutige Bestie, da sind sich alle Männer einig. Wenn es je ein Mann verdient hatte zu leiden, dann er.« »Das mag sein, wie es will, Mylady«, erwiderte Balon Swann, »doch Ser Gregor war ein Ritter, und ein Ritter sollte mit dem Schwert in der Hand sterben. Gift ist eine widerliche, schmutzige Art zu töten.«
Darüber musste Lady Tyene lächeln. Ihr Kleid war cremefarben und grün und hatte lange Ärmel aus Spitze, und sie wirkte so bescheiden und so unschuldig, dass man sie für die keuscheste Jungfrau der Welt halten konnte. Areo Hotah wusste es besser. Ihre sanften, bleichen Hände waren genauso tödlich wie Obaras schwielige, wenn nicht sogar noch tödlicher. Er beobachtete sie genau und ließ sich selbst die kleinste Bewegung ihrer Finger nicht entgehen.
Fürst Doran runzelte die Stirn. »Das stimmt wohl, Ser Balon, aber auch Lady Nym hat recht. Falls es je ein Mann verdient hat, schreiend zu sterben, dann Gregor Clegane. Er hat meine liebe Schwester abgeschlachtet und den Kopf ihres kleinen Jungen an die Wand geschlagen. Ich bete nur, dass er jetzt in einer der Höllen brennt und dass Elia und ihre Kinder Frieden gefunden haben. Das ist die Gerechtigkeit, nach der Dorne gehungert hat. Und es freut mich, dass ich lange genug leben durfte, um ihren Geschmack noch zu kosten. Es hat lange gedauert, aber letzten Endes haben die Lennisters ihre Prahlerei wahr gemacht und diese alte Blutschuld getilgt.«
Der Fürst überließ es Ricasso, seinem blinden Seneschall, sich zu erheben und den Trinkspruch auszubringen. »Lords und Ladys, lasst uns nun alle trinken auf Tommen, den Ersten Seines Namens, König der Andalen, der Rhoynar und der Ersten Menschen und Herrn der Sieben Königslande.«
Während der Seneschall sprach, gingen die Diener zwischen den Gästen umher und füllten die Becher aus den Karaffen, die sie bei sich trugen. Es war dornischer Starkwein, dunkel wie Blut und süß wie Rache. Der Hauptmann trank nicht davon. Auf Festen gestattete er sich keinen Tropfen. Und auch der Fürst verzichtete. Er hatte seinen eigenen Wein, der von Maester Myl zubereitet wurde und mit Mohnblumensaft versetzt war, um den Schmerz in den geschwollenen Gelenken zu lindern.
Der weiße Ritter trank, wenn auch nur aus Höflichkeit. Seine Gefährten folgten dem Beispiel. Und ebenso Prinzessin Arianne, Lady Jordayn, der Lord von Göttergnad, der Ritter vom Zitronenhain, die Lady von Geistberg ... sogar Ellaria Sand, Prinz Oberyns geliebte Mätresse, die mit ihm in Königsmund gewesen war, als er starb. Hotah achtete mehr auf jene, die nicht tranken: Ser Daemon Sand, Lord Tremond Gargalen, die Vogler Zwillinge, Dagos Mannkraft, die Ullers von Höllhain, die Wyls vom Knochenweg. Wenn es Ärger gibt, könnte er bei einem von denen anfangen. Dorne war ein zorniges, zerrüttetes Land, und Fürst Doran hatte es längst nicht so fest im Griff, wie er sollte. Viele seiner eigenen Lords hielten ihn für schwach und hätten einen offenen Krieg mit den Lennisters und dem Kindkönig auf dem Eisernen Thron bevorzugt.
Anführer unter diesen Stimmen waren die Sandschlangen, die Bastardtöchter von Oberyn, dem verstorbenen Bruder des Fürsten, der Roten Viper, und drei von ihnen nahmen am Fest teil. Doran Martell war so weise, wie ein Fürst nur sein konnte, und es oblag dem Hauptmann seiner Wache nicht, seine Entscheidungen in Frage zu stellen, doch Areo Hotah fragte sich, warum er sich entschlossen hatte, die Damen Obara, Nymeria und Tyene aus ihren einsamen Zellen im Speerturm zu entlassen.
Tyene lehnte Ricassos Trinkspruch mit einem Murmeln ab, Lady Nym mit einer schnellen Handbewegung. Obara ließ sich den Kelch bis zum Rand füllen, kippte ihn dann um und vergoss den roten Wein auf dem Boden. Als eine Magd sich hinkniete, um den Wein aufzuwischen, verließ Obara die Halle. Einen Moment später entschuldigte sich Prinzessin Arianne und eilte ihr hinterher. Obara wird ihre Wut niemals an der kleinen Prinzessin auslassen, wusste Hotah. Sie sind Basen, und sie hat sie gern. Das Fest dauerte bis spät in die Nacht, und den Vorsitz hielt der grinsende Schädel auf seiner schwarzen Marmorsäule. Sieben Gänge wurden aufgetragen, zu Ehren der Sieben Götter und der sieben Brüder der Königsgarde. Die Suppe war aus Eiern und Zitronen zubereitet, die langen, grünen Paprikaschoten waren mit Käse und Zwiebeln gefüllt. Es gab Neunaugenpasteten, mit Honig überzogenen Kapaun, einen Wels vom Grund des Grünbluts, der so groß war, dass vier Diener ihn hereintragen mussten. Danach kam ein würziger Schlangeneintopf mit sieben verschiedenen Sorten Schlangenfleisch, die mit Drachenpfeffer und Blutorangen und einem Schuss Gift köcheln mussten, damit sie das rechte Aroma bekamen. Dieser Eintopf war entsetzlich scharf, das wusste Hotah, obwohl er nichts davon aß. Es folgte ein Fruchteis, um die Zunge zu kühlen. Die Süßspeise wurde jedem Gast in einem Schädel aus Zuckerwatte serviert. Hatte man die Kruste aufgebrochen, fand man im Inneren süße Vanillesoße mit Pflaumen und Kirschen.
Prinzessin Arianne kehrte rechtzeitig zu den gefüllten Paprikaschoten zurück. Meine kleine Prinzessin, dachte Hotah, aber inzwischen war Arianne eine Frau geworden. Daran ließ die rote Seide, die sie trug, keinen Zweifel. In letzter Zeit hatte sie sich auch in anderer Hinsicht verändert. Ihre Verschwörung, Myrcella zu krönen, war verraten und zerschlagen worden, ihr weißer Ritter war durch Hotahs Hand blutig gestorben, und sie selbst war in den Speerturm gesperrt und zu Einsamkeit und Schweigen verdammt worden. All das hatte sie bescheiden gemacht. Außerdem war da noch etwas anderes, ein Geheimnis, das ihr Vater Arianne anvertraut hatte, ehe er sie aus ihrem Gefängnis entließ. Worum es sich dabei handelte, wusste der Hauptmann nicht.
Der Fürst hatte seine Tochter zwischen sich und den weißen Ritter gesetzt, auf einen hohen Ehrenplatz also. Arianne lächelte, als sie sich wieder setzte und Ser Balon etwas ins Ohr flüsterte. Der Ritter enthielt sich einer Antwort. Er aß wenig, wie Hotah bemerkte: einen Löffel Suppe, einen Bissen Paprika, die Keule eines Kapauns, ein wenig Fisch. Die Neunaugenpastete verschmähte er, und von dem Eintopf probierte er nur einen winzigen Löffel. Und selbst davon stand ihm schon der Schweiß auf der Stirn. Hotah konnte es ihm nachfühlen. Als er nach Dorne gekommen war, hatte ihm das scharfe Essen Bauchkrämpfe und eine verbrannte Zunge beschert. Das war allerdings vor vielen Jahren gewesen, inzwischen hatte sich sein Haar weiß gefärbt, und er konnte genauso essen wie ein Dornischer.
Als die Schädel aus Zuckerwatte aufgetragen wurden, presste Ser Balon die Lippen zusammen und sah den Fürsten lange an, um zu erforschen, ob man ihn verspotten wollte. Doran Martell ließ sich nichts anmerken, aber seine Tochter ging darauf ein. »Ein kleiner Scherz des Kochs, Ser Balon«, sagte Arianne. »Selbst der Tod ist den Dornischen nicht heilig. Ihr werdet uns deshalb doch nicht böse sein, oder?« Sie strich dem weißen Ritter über den Handrücken. »Ich hoffe, Ihr habt Euren Aufenthalt in Dorne bisher genossen.«
»Jedermann war im höchsten Maße gastfreundlich, Mylady.« Arianne berührte die Spange seines Mantels mit den streitenden Schwänen. »Schwäne mochte ich schon immer gern. Kein anderer Vogel auf dieser Seite der Sommerinseln kann es an Schönheit mit ihnen aufnehmen.« »Eure Pfauen würden das gewiss bestreiten«, antwortete Ser Balon. »Vielleicht«, sagte Arianne, »aber Pfauen sind eitle, stolze Geschöpfe, die in all diesen grellen Farben umherstolzieren. Ich würde einen Schwan in heiterem Weiß oder wunderschönem Schwarz jederzeit vorziehen.«
Ser Balon nickte und nippte an seinem Wein. Der wird nicht so leicht zu verführen sein wie sein Geschworener Bruder, dachte Hotah. Ser Arys war ein Knabe, seinen Jahren zum Trotz. Dieser hier ist ein Mann und auf der Hut. Der Hauptmann musste ihn nur ansehen, um zu erkennen, wie unbehaglich dem weißen Ritter zumute war. Dieser Ort ist ihm fremd und gefällt ihm wenig. Hotah verstand das gut. Dorne war auch ihm als eigenartige Welt erschienen, als er mit seiner eigenen Prinzessin vor vielen Jahren hierhergekommen war. Die Bärtigen Priester hatten ihm die Gemeine Zunge von Westeros eingebläut, ehe sie ihn herschickten, aber die Dornischen sprachen viel zu schnell für ihn, und er verstand kein Wort. Dornische Frauen waren lüstern, dornischer Wein war sauer, und dornisches Essen war voll seltsamer scharfer Gewürze. Und die dornische Sonne brannte heißer als die fahle, schwache Sonne von Norvos und starrte Tag um Tag von einem blauen Himmel herunter.
Ser Balon hatte nicht so eine lange Reise hinter sich bringen müssen, doch sie war auf ihre Art eine Herausforderung gewesen, wie der Hauptmann wusste. Drei Ritter, acht Knappen, zwanzig weitere Krieger und allerlei Burschen und Diener hatten ihn aus Königsmund begleitet, doch nachdem sie die Berge nach Dorne überquert hatten, waren sie nur noch langsam vorangekommen, weil bei jeder Burg Feste, Jagden und Feiern zu ihren Ehren ausgerichtet wurden, an denen sie teilnehmen mussten. Und nun, da sie Sonnspeer endlich erreicht hatten, waren weder Prinzessin Myrcella noch Ser Arys Eichenherz zugegen, um sie zu begrüßen. Der weiße Ritter weiß, dass etwas nicht stimmt, so viel erkannte Hotah deutlich, aber das ist noch nicht alles. Vielleicht setzte ihm die Gegenwart der Sandschlangen zu. Falls dem so war, musste Obaras Rückkehr in die Halle für ihn wie Essig in einer Wunde brennen. Ohne ein Wort kehrte sie an ihren Platz zurück und setzte sich schmollend, ohne zu lächeln oder ein Wort zu sagen.
Mitternacht war nicht mehr fern, als Fürst Doran sich an den weißen Ritter wandte und sagte: »Ser Balon, ich habe den Brief gelesen, den Ihr mir von unserer huldreichen Königin überbracht habt. Darf ich davon ausgehen, dass Ihr mit seinem Inhalt vertraut seid, Ser?«
Hotah sah, wie der Ritter zusammenzuckte. »Das bin ich, Mylord. Ihre Gnaden teilte mir mit, man würde mir vielleicht den Auftrag erteilen, ihre Tochter nach Königsmund zurückzugeleiten. König Tommen sehnt sich nach seiner Schwester und wäre überaus glücklich, wenn Prinzessin Myrcella für einen kurzen Besuch an den Hof zurückkehren würde.«
Prinzessin Arianne zog ein trauriges Gesicht. »Ach, aber wir alle haben Myrcella so lieb gewonnen, Ser. Sie und mein Bruder Trystan sind unzertrennlich geworden.«
»Prinz Trystan wäre ebenfalls in Königsmund willkommen«, sagte Balon Swann. »König Tommen würde ihn gern kennenlernen, dessen bin ich mir sicher. Seine Gnaden hat so wenig Gefährten im gleichen Alter.« »Bündnisse, die man in der Kindheit schließt, können einem Mann ein Leben lang erhalten bleiben«, stimmte Fürst Doran zu. »Wenn Trystan und Myrcella heiraten, werden er und Tommen wie Brüder sein. Da hat Königin Cersei recht. Die Jungen sollten sich kennenlernen und Freunde werden. Dorne wird ihn vermissen, das steht außer Zweifel, aber es ist längst an der Zeit, dass Trystan etwas von der Welt jenseits der Mauern von Sonnspeer sieht.«
»Ganz bestimmt wird man ihn in Königsmund wärmstens willkommen heißen.«
Warum schwitzt er jetzt?, fragte sich der Hauptmann und beobachtete den Mann genau. In der Halle ist es zu kühl dafür, und den Eintopf hat er nicht angerührt. »Was die andere Sache angeht, die Königin Cersei anspricht«, sagte Fürst Doran, »so stimmt es wohl, Dornes Sitz im Kleinen Rat ist seit dem Tode meines Bruders unbesetzt, und es ist längst überfällig, ihn wieder einzunehmen. Es schmeichelt mir, dass Ihre Gnaden glaubt, mein Rat könne ihr von Nutzen sein, wenngleich ich befürchte, mir mangelt es an der Kraft für eine solche Reise. Vielleicht könnten wir mit dem Schiff fahren?«
»Mit dem Schiff?« Ser Balon wirkte bestürzt. »Das ... Wäre das nicht gefährlich, mein Fürst? Der Herbst ist die Zeit der heftigen Stürme, das habe ich zumindest gehört, und ... die Piraten auf den Trittsteinen, die ...«
»Die Piraten. Aber natürlich. Vielleicht habt Ihr recht, Ser. Der Weg, auf dem Ihr gekommen seid, wird bestimmt sicherer sein.« Fürst Doran lächelte freundlich. »Unterhalten wir uns doch morgen weiter darüber. Wenn wir die Wassergärten erreichen, können wir es Myrcella erzählen. Ich weiß, sie wird ganz aufgeregt sein. Ohne Zweifel vermisst auch sie ihren Bruder.«
»Ich freue mich ebenfalls, sie wiederzusehen«, sagte Ser Balon. »Und auch auf den Besuch Eurer Wassergärten. Wie ich vernommen habe, sind sie wunderschön.«
»Wunderschön und friedlich«, sagte der Fürst. »Kühle Winde, sprudelndes Wasser und das Lachen von Kindern. Die Wassergärten sind mir der liebste Ort auf dieser Welt, Ser. Einer meiner Vorfahren hat sie bauen lassen, um seine Targaryen- Braut zu erfreuen und ihr Sonnspeers Staub und Hitze zu ersparen. Daenerys war ihr Name. Sie war die Schwester von König Daeron dem Guten, und durch ihre Heirat wurde Dorne ein Teil der Sieben Königslande. Das ganze Reich wusste, dass das Mädchen Daerons Bastardbruder Daemon Schwarzfeuer liebte, der ihre Liebe auch erwiderte, doch der König war weise genug, um zu erkennen, dass das Wohl von Tausenden über den Begierden zweier Einzelner steht, obwohl ihm diese beiden teuer waren. Es war Daenerys, die die Gärten erstmals mit lachenden Kindern belebt hat. Zuerst mit ihren eigenen, doch später kamen auch die Söhne und Töchter von Lords und Rittern mit Landbesitz, um den Jungen und Mädchen von fürstlichem Geblüt als Gefährten zu dienen. Und an einem sengend heißen Sommertag hatte sie Mitleid mit den Kindern ihrer Burschen und Köche und Diener und lud sie ein, die Becken und Brunnen ebenfalls zu benutzen, und diese Tradition hat sich bis in unsere Zeit erhalten.« Der Fürst ergriff die Räder seines Stuhls und schob sich vom Tisch zurück. »Aber jetzt müsst Ihr mich entschuldigen, Ser. All diese Worte haben mich ermüdet, und wir sollten bei Tagesanbruch aufbrechen. Obara, wärst du so freundlich, mir ins Bett zu helfen? Nymeria, Tyene, kommt ebenfalls mit und sagt eurem alten Onkel gute Nacht.«
Und so fiel Obara Sand die Aufgabe zu, den Stuhl des Fürsten aus der Festhalle von Sonnspeer durch eine lange Galerie bis zu seinem Solar zu rollen. Areo Hotah folgte ihnen mit ihren Schwestern sowie mit Prinzessin Arianne und Ellaria Sand. Maester Caleotte eilte in Pantoffeln hinterher, den Schädel des Bergs wie ein Kind im Arm wiegend.
»Ihr könnt doch nicht ernsthaft erwägen, Trystan und Myrcella nach Königsmund zu schicken«, sagte Obara, während sie schob. Sie ging mit großen, zornigen Schritten, viel zu schnell, so dass die großen Holzräder des Stuhles laut über die grob gehauenen Steine des Bodens holperten. »Wenn Ihr das tut, werden wir das Mädchen nie wiedersehen, und Euer Sohn verbringt sein Leben als Geisel des Eisernen Throns.«
»Hältst du mich für so töricht, Obara?« Der Fürst seufzte. »Es gibt vieles, das du nicht weißt. Aber hier, wo jeder es hören könnte, sollten wir lieber nicht darüber sprechen. Wenn du deine Zunge hütest, werde ich dich vielleicht erleuchten.« Er zuckte zusammen. »Langsamer, um der Liebe willen, die du für mich hegst. Der letzte Ruck hat mir einen Stich durchs Knie versetzt.« Obara ging nun langsamer. »Was werdet Ihr also tun?«
Ihre Schwester Tyene antwortete: »Was er immer tut«, schnurrte sie. »Verzögern, verschleiern und Ausflüchte suchen. Oh, niemand kann das auch nur halb so gut wie unser tapferer Onkel.« »Ihr tut ihm unrecht«, sagte Prinzessin Arianne. »Seid still, alle miteinander«, befahl der Fürst.
Erst als die Tür seines Solars fest hinter ihnen geschlossen war, drehte er sich in seinem rollenden Stuhl zu den Frauen um. Selbst diese kleine Anstrengung raubte ihm den Atem, und die myrische Decke über seinen Beinen verfing sich zwischen zwei Speichen, während sich die Räder drehten, daher musste er sie festhalten, damit sie ihm nicht weggerissen wurde. Unter der Decke waren seine Beine blass, weich, hässlich. Beide Knie waren rot und geschwollen, und seine Zehen waren fast violett und zweimal so groß, wie sie hätten sein sollen. Areo Hotah hatte sie schon tausend Mal gesehen und konnte den Anblick immer noch nur schwer ertragen.
Prinzessin Arianne trat vor. »Lasst mich Euch helfen, Vater.«
Der Fürst zerrte die Decke los. »Ich werde schon noch mit meiner eigenen Decke fertig. Wenigstens das.« Es war wenig genug. Seine Beine waren schon seit drei Jahren nicht mehr zu gebrauchen, aber in Händen und Schultern war ihm noch etwas Kraft geblieben.
»Soll ich meinem Fürsten einen kleinen Becher Mohnblumensaft holen?«, fragte Maester Caleotte.
»Bei diesen Schmerzen könnte ich einen ganzen Eimer gebrauchen. Aber nein, danke. Ich brauche einen klaren Verstand. Heute Nacht benötige ich Euch nicht mehr.«
»Sehr wohl, mein Fürst.« Maester Caleotte verneigte sich, wobei er immer noch Ser Gregors Kopf in den weichen, rosa Händen hielt.
»Den nehme ich.« Obara Sand nahm ihm den Schädel ab und hielt ihn auf Armeslänge vor sich. »Wie hat der Berg ausgesehen? Woher wissen wir, ob er es wirklich ist? Sie hätten den Kopf in Teer stecken können. Warum haben sie das Fleisch abgelöst? «
»Teer hätte die Kiste ruiniert«, meinte Lady Nym, während Maester Caleotte davonschlurfte. »Niemand hat gesehen, wie der Berg gestorben ist, und niemand hat gesehen, wie ihm der Kopf abgeschlagen wurde. Das bereitet mir Sorgen, das muss ich gestehen, aber was könnte die Hurenkönigin zu erreichen suchen, indem sie uns täuscht? Falls Gregor Clegane noch am Leben ist, kommt die Wahrheit früher oder später doch ans Licht. Der Mann war fast zweieinhalb Meter groß, und in ganz Westeros gibt es seinesgleichen kein zweites Mal. Wenn irgendwo ein solcher Mann auftaucht, wird Cersei Lennister vor allen Sieben Königslanden als Lügnerin dastehen. Es wäre vollkommen närrisch, solch ein Risiko einzugehen. Was könnte sie dabei gewinnen?«
»Ohne Zweifel ist der Schädel groß genug«, sagte der Fürst. »Und wie wir wissen, wurde Gregor von Oberyn schwer verwundet. Alle Berichte, die wir seither erhalten haben, behaupten, Clegane sterbe eines langsamen, schmerzvollen Todes.«
»So wie Vater es beabsichtigt hat«, sagte Tyene. »Wahrlich, Schwestern, ich kenne das Gift, das Vater benutzt hat. Wenn sein Speer die Haut des Bergs nur geritzt hat, ist Clegane tot, mag er auch noch so groß gewesen sein. Ihr mögt an eurer kleinen Schwester zweifeln, aber zweifelt niemals an unserem Vater. «
Obara schnaubte. »Ich habe nicht an ihm gezweifelt und werde es auch niemals tun.« Höhnisch drückte sie dem Schädel einen Kuss auf die Stirn. »Das ist immerhin ein Anfang.«
»Ein Anfang?«, fragte Ellaria Sand ungläubig. »Die Götter mögen es verhüten. Ich wünschte, es wäre ein Schlussstrich. Tywin Lennister ist tot. Ebenso wie Robert Baratheon und Amory Lorch. Und jetzt sogar Gregor Clegane. All jene, die ihre Hand beim Mord an Elia und ihren Kindern im Spiel hatten. Sogar Joffrey ist tot, und der war noch nicht einmal geboren, als Elia starb. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Junge gestorben ist, wie er seine Kehle umklammerte und nach Luft schnappte. Wer wäre noch zu töten? Müssen Myrcella und Tommen sterben, damit Rhaenys' und Aegons Schatten Frieden finden? Wo endet es?«
»Es endet mit Blut, so wie es mit Blut begonnen hat«, sagte Lady Nym. »Es endet, wenn Casterlystein geknackt ist, damit die Sonne auf die Maden und Würmer darin scheinen kann. Es endet mit der völligen Vernichtung von Tywin Lennister und all seinen Werken.«
»Der Mann ist durch die Hand seines eigenen Sohnes gestorben «, fauchte Ellaria zurück. »Was kann man sich mehr wünschen? «
»Ich wünschte, er wäre durch meine Hand gestorben.« Lady Nym setzte sich auf einen Stuhl, und ihr langer, schwarzer Zopf fiel ihr über eine Schulter bis in den Schoß. Sie hatte den spitzen Haaransatz ihres Vaters. Die Augen darunter waren groß und glänzten. Ihre weinroten Lippen verzogen sich zu einem seidigen Lächeln. »Denn dann wäre er nicht so einfach davongekommen. «
»Ser Gregor sieht so einsam aus«, meinte Tyene mit ihrer süßen Septastimme. »Bestimmt würde ihm ein wenig Gesellschaft gefallen.«
Übersetzung: Andreas Helweg
Copyright © 2011 by George R.R. Martin Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von George R. R. Martin
George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos »Das Lied von Eis und Feuer« wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie »Game of Thrones« verfilmt. 2022 folgt der HBO-Blockbuster »House of the Dragon«, welcher auf dem Werk »Feuer und Blut« basiert. George R.R. Martin wurde u.a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u.a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und fünfzehnmal der Locus Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.
Bibliographische Angaben
- Autor: George R. R. Martin
- 2012, Deutsche Erstausgabe., 784 Seiten, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung:Helweg, Andreas
- Übersetzer: Andreas Helweg
- Verlag: Penhaligon
- ISBN-10: 3764531029
- ISBN-13: 9783764531027
- Erscheinungsdatum: 23.07.2012
Rezension zu „Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10 “
"Das unterscheidet Martin von Tolkien: Tolkiens Bücher werden in 3D verfilmt. Martin schreibt sie in 3D." Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Kommentare zu "Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10"
0 Gebrauchte Artikel zu „Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 184Schreiben Sie einen Kommentar zu "Ein Tanz mit Drachen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.10".
Kommentar verfassen