Ein Engländer in Paris
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Ein Engländer in Paris von StephenClarke
LESEPROBE
Septembre
Entente cordiale - Fehlanzeige
Das Jahr beginnt nicht mit dem Januar. Jedenfalls nicht in Frankreich. Nurkomplett ahnungslose Nicht-Franzosen können auf so eine Idee kommen.
Der eigentliche Jahresanfang fällt auf den ersten Montag im September. Dannkehren die Pariser aus ihrem vierwöchigen Augusturlaub in ihre Büros zurück undwidmen sich umgehend der Planung ihrer Herbstferien. An diesem Tag fällt inFrankreich auch der Startschuss für Projekte allerArt, egal, ob es sich um eine neue Frisur oder ein neues Atomkraftwerk handelt.So stand ich also an diesem ersten Montag im September unweit der Champs-Elysées und beobachtete, wie sich rundherum dieLeute abküssten.
Mein guter Freund Chris hatte mir gleich davon abgeraten, nach Frankreich zugehen. Grandioser Lebensstil, hatte er gesagt, wunderbares Essen und absolutunpolitische Frauen in atemberaubender Unterwäsche.
Aber, hatte er mich gewarnt, das Leben mit den Franzosen ist die Hölle. Erhatte drei Jahre lang in der Londoner Niederlassung einer französischen Bankgearbeitet und musste es also wissen. »Einen Tagnachdem wir die Franzosen aus der Fussball-Weltmeisterschaft gekickt haben, sindalle britischen Mitarbeiter entlassen worden«, behauptete er. »Sag mir keiner, dass das ein Zufall war.«
Seiner Theorie nach verhalten sich Franzosen wie verschmähte Frauen. Damals,1940, hatten sie versucht, uns ihre Liebe anzutragen. Und wie hatten wir daraufreagiert? Wir hatten sie wegen ihres Akzents verspottet, uns über die grosseNase von General de Gaulle lustig gemacht und seitdem nichts anderes im Sinngehabt, als sie mit unserem ekelhaften Frass zu vergiften und die französischeSprache auszurotten. Bis heute weigern sie sich eisern, unser Rindfleisch zuessen - Jahre nachdem es wieder als unbedenklich gilt. Sie hören überhauptnicht mehr auf, es uns heimzuzahlen, erklärte Chris. Fahr da bloss nicht hin!
Trotzdem, erwiderte ich, mag ja sein, aber diese atemberaubende Unterwäsche muss ich unbedingt mal aus der Nähe sehen.
Ein Jobwechsel mit dem Motiv, lokale Dessous zu inspizieren, kann eigentlichnur direkt in die Katastrophe führen. Zunächst liess sich mein auf ein Jahrbefristetes Arbeitsverhältnis aber ganz vielversprechendan.
Ich fand rasch die Niederlassung meines neuen Arbeitgebers - ein imposantesGebäude aus dem 19. Jahrhundert in sanftgoldenem Sandstein mit allerleiBelle-Époque-Zierrat - und stolperte direkt in eine Orgie. Menschen küssten sich vor dem Lift. Andere wieder küsstensich vor einem Getränkeautomaten. Sogar die Empfangsdame beugte sich über ihrenSchalter und küsste jemanden - eine Frau. AlleAchtung, dachte ich. Wenn sich hier irgendwann Herpes breitmacht, müssen sieaber ohne Ende Kopfkondome verteilen.
Ich hatte natürlich schon davon gehört, dass Franzosenauf Begrüssungsküsschen stehen, aber dass das solche Ausmasse annimmt, überraschte mich dann doch.War es Firmenphilosophie, sich vor Arbeitsbeginn ein paar Ecstasy-Pilleneinzuschmeissen?
Ich trat näher an den Empfangsschalter heran. Die beiden Frauen hattenaufgehört, sich abzuküssen, und plauderten nun miteinander. Auf glamouröseEmpfangsmädchen legte die Firma offenbar keinen Wert: Diese hier hatte rechtmaskuline Züge, die eher abschreckten. Zum Lächeln war die nicht geboren. Sieschimpfte über etwas, aber ich konnte es nicht verstehen.
Ich strahlte sie mit meinem besten »Hallo, ich bin der Neue«-Lächeln an. KeineReaktion. Eine geschlagene Minute verbrachte ich in der »Will sich denn niemandum mich kümmern?«-Zone. Negativ. Also trat ich nocheinen Schritt näher und sagte mein auswendig gelerntes Sprüchlein auf: »Bonjour, je suis Paul West. Je viens voir Monsieur Martin.«
Die beiden Frauen plapperten weiter von ihrem déjeuner,womit sie, so viel wusste ich, das Mittagessenmeinten. Erst nachdem sie mindestens ein halbes Dutzend »Ich ruf dichan«-Gesten gemacht hatten, wandte die Empfangsdame sich mir zu.
»Monsieur?« Nicht die Spur einer Entschuldigung. So herzlich sie zu der anderenwar, so kalt liess sie mich abblitzen. Ich nannte noch einmal meine Losung. Oderversuchte es zumindest. »Bonjour, je « Nein, die Wutwar mir zu Kopf gestiegen, und in meiner Zunge war jetzt ein Knoten. »PaulWest«, sagte ich. »Monsieur Martin.« Zur Hölle mit den Verben. Ich quälte mirein freundliches Lächeln ab.
Die Empfangsdame - »Marianne« laut ihrem Namensschild, aber »Hannibal Lecter« hätte mich auch nicht gewundert - gab einen missbilligenden Ton von sich. Ich konnte fast hören, was siedachte: Kann kein Französisch. Denkt wahrscheinlich, de Gaulle hatte eine grosseNase. Dreckskerl. »Ich rufe seine Sekretärin an«, sagte sie. Zumindestvermutete ich das. Sie griff zum Telefon und hämmerte eine Nummer ein, währendsie mich von Kopf bis Fuss musterte. Offensichtlich genügte ich in ihren Augennicht den erforderlichen Standards, um den Chef zu sprechen.
Mache ich wirklich einen so schlechten Eindruck, fragte ich mich. Dabei hatteich mir die grösste Mühe gegeben, mich so herauszuputzen, wie man es von einemEngländer in Paris erwarten konnte. Ich trug meinen besten und einzigengrauschwarzen Paul-Smith-Anzug. Mein Hemd war so weiss, wie man es nur erreicht,wenn die Seidenraupen mit Bleichmitteln gefüttert werden. Und von meiner Hermès-Krawatte ging derart viel Spannung aus, dass es für die Energieversorgung der gesamten Pariser Metrogereicht hätte. Ich hatte sogar meine schwarzseidenen Boxershorts angezogen, ummeinem Selbstwertgefühl eine unsichtbare Stütze zu geben. Nicht nurfranzösische Frauen verstehen sich auf Unterwäsche!
Auf keinen Fall hatte ich einen dermassen vernichtenden Blick verdient. Schon garnicht im Vergleich zu den meisten anderen, die ich das Gebäude betreten sah:Dilbert-Typen, Frauen in drögen Versandhauskostümen, dazu jede MengeBequemschuhe.
»Christine? Hier ist ein Herr ?« Marianne, meineEmpfangsdame, blinzelte zu mir herüber.
Offenbar mein Stichwort. Aber was wollte sie?
»Votre nom?« fragte Marianne augenrollend;beim zweiten Wort schlug ihre Ungeduld angesichts meiner Begriffsstutzigkeitschon fast in Verzweiflung um.
»Paul West.«
»Poll Wess«, gab Marianne weiter, »für MonsieurMartin.« Sie legte auf. »Nehmen Sie dort Platz«,erklärte sie sehr langsam in einem Französisch für Alzheimer-Patienten.
Die hübschen Mädchen behielt der Boss offensichtlichlieber in seiner Nähe. Christine, die Sekretärin, die mich in den fünften Stockbegleitete, war eine hochgewachsene Brünette mitSuperfigur und einem Lächeln auf den dunkel geschminkten Lippen, das jedem Mannauf zwanzig Schritt Entfernung in die Hose fuhr. Ich aber stand im Lift nurwenige Zentimeter neben ihr, konnte ihr tief in die Augen schauen und hatte ihrParfüm in der Nase. Es roch leicht nach Zimt. Nach etwas, das man gernevernaschen würde.
Da denkst du natürlich: Na komm schon, Aufzug, bleib stecken, am bestenzwischen zwei Stockwerken. Auf dem Klo war ich gerade erst gewesen, ich konntees also eine Weile aushalten. Ein oder zwei Stunden, und die wehrlose Beute würde meinem Charme zum Opfer fallen.
Das Dumme war nur, ich hätte ihr zuerst Englisch beibringen müssen. BeimVersuch, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, lächelte sie mich nur wundervoll anund entschuldigte sich auf Französisch dafür, dass siekein Wort verstand. Trotzdem - immerhin mal eine Pariserin, die mich nichtgleich verabscheute.
Der Korridor, auf dem wir ausstiegen, sah aus, als wäre ein Glastransporter ineine alte Villa gerast. Ein orientalisch anmutender Teppich bedeckte denFlurboden auf ganzer Länge, nur am Rand sahen die knarrenden, abgewetztenDielen hervor. Wände und Decken waren mit Stuck verziert, allerdings hatte mandie Originaltüren herausgerissen und durch Rauchglastüren im Stil der siebzigerJahre ersetzt. Als ob dieser Stilmix nachträglichkaschiert werden sollte, war der Korridor so üppig mit Grünzeug ausgestattet, dass es für einen Dschungelkrieg gereicht hätte.
Christine klopfte an eine der Glastüren. »Entrez!« erscholl die Stimme einesMannes.
Ich trat ein und da sass er, hinter ihm reckte sich der Eiffelturm in denbewölkten Himmel. Mein neuer Chef erhob sich und umrundete seinen Schreibtisch,um mich zu begrüssen.
»Monsieur Martin«, sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen. »Freut mich,Sie wiederzusehen.«
»Sag einfach Jean-Marie«, erwiderte er in ausgezeichnetem, fast akzentfreiemEnglisch. Er ergriff meine Hand und zog mich so nahe an sich heran, dass ich schon dachte, jetzt geht gleich wieder die Küsserei los. Aber nein, er wollte mir nur auf die Schulterklopfen. »Willkommen in Frankreich«, sagte er.
Alle Achtung, dachte ich mir. Schon zwei, die dich mögen.
Für einen Firmenchef sah Jean-Marie eigentlich ganz passabel aus. Er war um dieFünfzig, trotzdem hatten seine dunklen Augen Feuer. Sein Haar war zwar schonetwas licht, aber da er es nach hinten kämmte und ziemlich kurz hielt, fiel dasnicht weiter auf. Sein königsblaues Hemd und seine goldfarbene Krawatte wirktenzwanglos elegant. Er hatte ein offenes und freundliches Gesicht.
Als er Kaffee kommen liess, stellte ich fest, dass erChristine gegenüber tu verwendete, während sie zu ihm voussagte. Wie das funktionierte, würde ich nie verstehen.
»Setz dich, Paul«, sagte Jean-Marie. »Alles okay? Die Reise, das Hotel?«
»Aber ja, prima, danke « Es war ein wenig schlicht, hatte aber immerhinKabelfernsehen.
»Gut, gut.« Wenn er einen so ansah, hatte man das Gefühl, dasses für ihn in diesem Moment nichts Wichtigeres auf der Welt gab, als einenglücklich zu machen. Scheiss auf den Treibhauseffekt! Die Frage des Tageslautet: Ist Paul mit seinem Hotelzimmer zufrieden?
»Jeder hier scheint richtig glücklich zu sein, alle küssen sich«, bemerkte ich.
»Ach so, ja.« Er warf einen Blick auf den Korridor, anscheinend umnachzuschauen, ob da jemand vorbeikäme, dem er einen Wangenkussverpassen konnte. »Das ist die rentrée. So eine ArtRückkehr vom Weltraum auf die Erde. Alles, was weiter als zehn Kilometer vonden Galeries Lafayetteentfernt liegt, ist für uns Pariser auf einem fremden Planeten. Wir waren einenganzen Monat lang von unseren Kollegen getrennt. Jetzt freuen wir uns über dasWiedersehen.« Er schnaubte, als hätte er einen nur ihmverständlichen Witz gemacht. »Nun ja, manchmal sind wir auch nicht so glücklichdarüber, aber ohne Küssen geht es nun mal nicht.«
»Auch unter Männern?«
Jean-Marie lachte. »Hältst du französische Männer etwa für Weicheier?«
»Nein, nein, natürlich nicht.« Ich fürchtete, einen Nerv getroffen zu haben.
»Gut.«
Wenn jetzt Christine reinkommt, schoss es mir durchden Kopf, dann lässt er bestimmt die Hosen herunterund beweist auf der Stelle, was für ein Mann er ist.
Er klatschte in die Hände, wie um das in der Luft liegende Testosteron zuvertreiben. »Dein Büro ist gleich hier nebenan. Wir haben dieselbe Aussicht.Und was für eine Aussicht, nicht wahr?« Er streckte seinen Arm zum Fenster aus,um mir seinen Stargast zu präsentieren. Das war wirklich etwas ganz Besonderes.»Nicht jeder, der in Paris arbeitet, hat Blick auf den Eiffelturm«, verkündeteer stolz.
»Grossartig«, sagte ich.
»Ja, grossartig. Du sollst dich bei uns wohl fühlen«, sagte Jean-Marie. Undwahrscheinlich meinte er das in diesem Augenblick auch so.
Als ich ihn in London kennenlernte, sprach er von VianDiffusion, seiner Firma, wie von einer grossen Familie.Seine Rolle schien eher die des Lieblingsonkels als die des Paten oder BigBrother zu sein. Er hatte den fleischverarbeitendenBetrieb vor zehn Jahren von seinem Vater, dem Firmengründer, übernommen, dernoch als einfacher Metzger angefangen hatte. Mittlerweile besass die Familievier »Fabriken« (im Grunde nichts anderes als riesige Fleischwölfe - brüllendeTiere auf der einen Seite rein, Hackfleisch auf der anderen raus), dazu nochdie Niederlassung in der Hauptstadt. Dank des grenzenlosen Appetits derFranzosen nach Hamburgern oder steaks hâchés, wie man sie hier patriotisch nennt, war der Umsatzrecht ordentlich. Als Jean-Marie mich anwarb, hatte ich den Eindruck, meinProjekt solle die blutigen Ursprünge seines Unternehmens vergessen machen.Vielleicht begrüsste er mich deshalb jetzt so herzlich.
Blieb zu hoffen, dass mich auch meine Kollegen sofreundlich in Empfang nehmen würden.
»Eine Frage, Jean-Marie«, sagte ich, als er mich über den Korridor RichtungKonferenzraum geleitete - oder vielmehr schob. »Soll ich nun alle mit tu odermit vous ansprechen?« Nicht dass ich in der Lage gewesen wäre, überhaupt Französisch mitihnen zu reden.
»Ganz einfach. Jemand in deiner Position sagt zu allen tu. Ausser vielleicht zujemand, der älter ist. Oder wenn ihr einander noch nicht vorgestellt seid. Diemeisten Mitarbeiter werden dich auch mit tu ansprechen. Manche werden aber vous sagen, wenn sie sehr viel jünger sind oder wenn siedich noch nicht so gut kennen. Alles klar?«
»Ähm, ja.« Klar wie Klossbrühe.
»Aber in deinem Team wird ohnehin Englisch gesprochen.«
»Englisch? Ich dachte, ich sollte mich eingliedern?«
Jean-Marie gab darauf keine Antwort. Er schob mich ein letztes Mal am Arm, undwir betraten den Konferenzraum. Der nahm die ganze Breite des Gebäudes ein undhatte Fenster nach vorne und nach hinten hinaus. Auf der einen Seite derEiffelturm, auf der anderen ein Hof und ein modernes Bürogebäude mit Glasfront.
Vier Personen erwarteten uns. Ein Mann und eine Frau standen ins Gesprächvertieft am Fenster der Hofseite, ein anderer Mann und eine weitere Frau sassenschweigend an dem grossen ovalen Tisch.
»Alle mal herhören, das ist Paul«, verkündete Jean-Marie.
Meine neuen Arbeitskollegen wandten sich mir zu. Von den beiden Männern war dereine ziemlich gross und untersetzt, so um die Vierzig, der andere deutlichjünger und schlank, dafür aber kahlköpfig. Die eine Frau war etwa dreissig,naturblond mit strengem Pferdeschwanz und einem derart ausgeprägten Kinn, dass man ihr, wenn auch knapp, das Prädikat »schön«verweigern musste. Die zweite Frau war einerundgesichtige Fünfunddreissigjährige mit grossen braunen Augen und einerunmodischen Bluse in Pink.
Ich schüttelte ihnen allen die Hand und vergass umgehend ihre Namen.
Wir nahmen Platz. Jean-Marie und ich auf der einen Seite des Tisches, meinevier neuen Kollegen auf der anderen.
»Okay, alle miteinander. Das ist ein sehr spannender Moment«, erklärteJean-Marie. »Wir diversifizieren, neue Geschäftsfelder tun sich auf. Auf demRestaurant-Sektor sind wir bereits sehr erfolgreich. Ohne unser Hackfleischwürde die französische Fast-food-Industrie altaussehen. Jetzt wollen wir uns mit unseren English-Tea-Caféseinen neuen Markt erschliessen. Und hier haben wir jemanden, der dieses Businesskennt.« Er zeigte stolz auf mich. »Wie ihr wisst, war Paul in England Marketingchef der französischenCafé-Kette Voulez-Vous Café AvecMoi. Wie viele Cafés habt ihr aufgemacht, Paul?«
»Bei meinem Ausscheiden waren es 35. Aber das war vor zwei Wochen. KeineAhnung, wie viele es inzwischen sind.«
Das war natürlich nur ein Scherz, aber alle glotzten mich in vollem Glauben anden anglo-amerikanischen Dynamismusehrfürchtig an.
»Ja«, sagte Jean-Marie, der sich offensichtlich in meinem Glanz sonnte. »Ichhabe ihren Erfolg genau beobachtet und wollte diesen Marketingchef haben. Alsoflog ich nach London, als Kopfgeldjäger. So sagt man doch?«
»Headhunter«, berichtigte ich.
»Danke. Ich bin sicher, dass Paul unserer neuen Ketteenglischer Cafés in Frankreich den gleichen Erfolg bescheren wird, den er miteinem ähnlichen Konzept französischer Cafés in England erreicht hat. Abervielleicht kannst du fortfahren und dich selbst vorstellen, Paul?« sagte er, sichtlich erschöpft von seinem letzten Satz.
»Gerne.« Ich schaute meine Gegenüber mit der grösstmöglichen kollegialen Wärmean. »Mein Name ist Paul West«, begann ich. Ich konnte förmlich sehen, wie siealle innerlich meinen Namen vor sich hin murmelten. »Ich bin Mitbegründer von Voulez-Vous Café Avec Moi. Wirstarteten im Juli letzten Jahres - am 14. natürlich, dem Tag der Bastille - mitzunächst fünf Cafés in London und im Südosten. Danach haben wir uns auf diegrösseren Städte und Einkaufszentren ausgedehnt und in drei Schritten jeweilszehn weitere Cafés eröffnet. Ich habe einen Bericht mitgebracht, da könnt ihrdie ganze Geschichte nachlesen. Davor habe ich für eine kleine Brauereigearbeitet - eine Firma, die Bier produziert«, ergänzte ich, als ich ihrezusammengekniffenen Augenbrauen sah. »Das ist meine Geschichte.«
»Du biss simmlisch jung«, sagte der Dürre. Nichtvorwurfsvoll, eher verwundert.
»Na ja, ich bin auch schon 27. Als Rockstar wäre ich schon steinalt.«
Der Knabe wehrte entschuldigend ab. »Nein, nein. Aischnisch wollen kritisierähn. Aisch meinen das bewundarlisch.« Er hatte einen ziemlich seltsamen Akzent. Nicht unbedingteinen französischen. Ich kam nicht drauf.
»Ja, wir alle bewundern Paul, soviel steht fest.«Wieder einmal sorgte Jean-Marie dafür, dass ich dasGefühl hatte, offenherzig gelobt zu werden. »Aber nun sollten auch wir unsvorstellen«, sagte er. »Bernard, du fängst an!«
Bernard war der grosse Dickliche mit dem Bürstenschnitt und dem gepflegtenblonden Schnurrbart. Er sah aus wie ein schwedischer Polizist, der es geschaffthatte, wegen seiner Plattfüsse in Frührente zu kommen. Zu einem kränklich blauenHemd trug er eine Krawatte, die sich vergeblich bemühte, rot zu erscheinen. Ihmfehlte eigentlich nur noch ein auf der Stirn eintätowiertes »hohl«.Andererseits hätte ihn das vielleicht sogar wieder etwas interessant gemacht.
Bernard lächelte gequält und öffnete den Mund.
»Isch binn Bärrnahr, isch binn vehanntwottlisch fürr die Kommünikassjohsbereisch,äh «
Ach du meine Güte, dachte ich, hatte Jean-Marie nicht gesagt, die Besprechungwürde in meiner Sprache abgehalten? Wieso jetzt auf einmal in Ungarisch?
Bernard aus Budapest kauderwelschte einige Minuten unverständlich weiter. Dannwollte er offenbar etwas von allergrösster Wichtigkeit sagen - ich merkte esdaran, dass er es herauspresstewie jemand, der an chronischer Verstopfung leidet. »Ischfreun misch serre su arbaite mittdirr.«
Puh, dachte ich. Ich spreche zwar keine osteuropäischen Sprachen, aber das habeich verstanden. Er freut sich sehr darauf, mit mir zu arbeiten. HeiligerBabelfisch! Irgendwie so musste sich in UrzeitenSprache aus Schmatzen entwickelt haben.
»Danke, Bernard«, sagte Jean-Marie und lächelte aufmunternd. Hatte er mir seinegrösste Niete vorgeführt, um sein eigenes erstklassiges Englisch zu betonen? Ichbegann, mir Hoffnungen zu machen. »Bitte schön, Marc.«
Marc war der glatzköpfige Dürre. Er trug eindunkelgraues Hemd, der Kragen stand offen, und vom Bügeln schien er auch nichtviel zu halten. Ich erfuhr, dass er einige Jahre inden Südstaaten gelebt hatte, was seinen schrägen Akzent erklärte. Er hörte sichan wie Scarlett O Hara mit Pernod-Schwips.
»Aisch binn Laita vonn dihAbbetailung Aihtieh«, sagteer.
»Abbetailung Aihtieh«,wiederholte ich anerkennend. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, was das seinsollte. Hat vielleicht etwas mit »Tea« zu tun, dachte ich. Also was Wichtiges.
»Jaha. Kommpjutahsisstehme«,bestätigte Marc.
»Ach so, I. T.«, entfuhr es mir. Er warf mir einenfinsteren Blick zu. »Dein Englisch ist ausgezeichnet«, schob ich hastig nach.»Wie lange warst du in den Staaten?«
»Aisch wahren eine Jarre anne dihUniwersihteh vonne Tschohtschja, anschlüsslisch funffe Jarre ahbaitefurre eine Fasischerunkskompanieinne Attelannta. In die AbbetailungAihtieh, natürrelische.«
»Natürrelische«, nickte ich.
»Danke, Marc. Stéphanie?«moderierte Showmaster Jean-Marie das nächste Sprachgenie an.
Stéphanie war die Blonde mit dem kantigen Kinn. IhrAkzent war katastrophal, sie kam fast ohne Grammatik aus, aber langsam hörteich mich ein. Stéphanie war im fleischverarbeitendenZweig des Unternehmens die »Veahnwottlische füa diha Ainkauf«.Sie war »seah glügglisch«,nun die »vohaussischtlische Veahnwottlischefüa diha Ainkauf« auch der geplanten Kette von »engelischesalons-du-thé« zu werden.
Ganz offensichtlich fiel ihr das Sprechen ebenso schwer wie mir das Zuhören.Als sie geendet hatte, warf sie Jean-Marie einen Blick zu. »So, jetzt habe ichmeine fünfzig Liegestütze gemacht. Zufrieden, du Sadist?«schien sie ihm sagen zu wollen.
»Danke, Stéphanie. Nicole, bitte.«
( )
© Piper Verlag
Übersetzung: Tomas Wollermann
Stephen Clarke, 1958 geboren, lebt seit Anfang der 1990er in Paris. Mit seinem Debüt »Ein Engländer in Paris« gelang ihm ein Überraschungsbestseller, der in 20 Sprachen übersetzt wurde. Mehrere erfolgreiche Bücher, vor allem über die Eigenheiten französischer Lebensart, folgten.
- Autor: Stephen Clarke
- 2010, 11. Aufl., 315 Seiten, Masse: 11,8 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Thomas Wollermann
- Übersetzer: Thomas Wollermann
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492248063
- ISBN-13: 9783492248068
- Erscheinungsdatum: 01.10.2006
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