Du darfst nicht lieben
Thriller
Wo sind all die Mädchen geblieben
FBI-Agentin Kimberly Quincy ist im fünften Monat schwanger. Eigentlich müsste sie sich schonen, doch das liegt Kimberley gar nicht. Da erreicht sie der Hilferuf einer jungen Frau, Delilah. Überall in...
FBI-Agentin Kimberly Quincy ist im fünften Monat schwanger. Eigentlich müsste sie sich schonen, doch das liegt Kimberley gar nicht. Da erreicht sie der Hilferuf einer jungen Frau, Delilah. Überall in...
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Du darfst nicht lieben “
Wo sind all die Mädchen geblieben
FBI-Agentin Kimberly Quincy ist im fünften Monat schwanger. Eigentlich müsste sie sich schonen, doch das liegt Kimberley gar nicht. Da erreicht sie der Hilferuf einer jungen Frau, Delilah. Überall in Boston verschwinden Prostituierte, zuletzt Delilahs Freundin Ginny. Verdächtig ist ein Freier, die Frauen nennen ihn den "Spinnenmann". Die Ermittlungen führen in eine Sackgasse: Es scheint, als habe der Täter den Schlüssel zum perfekten Mord gefunden. Keine Leichen, keine Beweise! Doch Kimberly weigert sich aufzugeben. Währenddessen spinnt jemand sein tödliches Netz. Und wartet ...
FBI-Agentin Kimberly Quincy ist im fünften Monat schwanger. Eigentlich müsste sie sich schonen, doch das liegt Kimberley gar nicht. Da erreicht sie der Hilferuf einer jungen Frau, Delilah. Überall in Boston verschwinden Prostituierte, zuletzt Delilahs Freundin Ginny. Verdächtig ist ein Freier, die Frauen nennen ihn den "Spinnenmann". Die Ermittlungen führen in eine Sackgasse: Es scheint, als habe der Täter den Schlüssel zum perfekten Mord gefunden. Keine Leichen, keine Beweise! Doch Kimberly weigert sich aufzugeben. Währenddessen spinnt jemand sein tödliches Netz. Und wartet ...
Klappentext zu „Du darfst nicht lieben “
Wo sind all die Mädchen geblieben ... FBI-Agentin Kimberly Quincy ist im fünften Monat schwanger. Eigentlich müsste sie sich schonen, doch das liegt Kimberley gar nicht. Da erreicht sie der Hilferuf einer jungen Frau, Delilah. Überall in Boston verschwinden Prostituierte, zuletzt Delilahs Freundin Ginny. Verdächtig ist ein Freier, die Frauen nennen ihn den «Spinnenmann».
Die Ermittlungen führen in eine Sackgasse: Es scheint, als habe der Täter den Schlüssel zum perfekten Mord gefunden. Keine Leichen, keine Beweise! Doch Kimberly weigert sich aufzugeben.
Währenddessen spinnt jemand sein tödliches Netz. Und wartet ...
Wo sind all die Mädchen geblieben ...
FBI-Agentin Kimberly Quincy ist im fünften Monat schwanger. Eigentlich müsste sie sich schonen, doch das liegt Kimberley gar nicht. Da erreicht sie der Hilferuf einer jungen Frau, Delilah. Überall in Boston verschwinden Prostituierte, zuletzt Delilahs Freundin Ginny. Verdächtig ist ein Freier, die Frauen nennen ihn den "Spinnenmann".
Die Ermittlungen führen in eine Sackgasse: Es scheint, als habe der Täter den Schlüssel zum perfekten Mord gefunden. Keine Leichen, keine Beweise! Doch Kimberly weigert sich aufzugeben.
Währenddessen spinnt jemand sein tödliches Netz. Und wartet ...
FBI-Agentin Kimberly Quincy ist im fünften Monat schwanger. Eigentlich müsste sie sich schonen, doch das liegt Kimberley gar nicht. Da erreicht sie der Hilferuf einer jungen Frau, Delilah. Überall in Boston verschwinden Prostituierte, zuletzt Delilahs Freundin Ginny. Verdächtig ist ein Freier, die Frauen nennen ihn den "Spinnenmann".
Die Ermittlungen führen in eine Sackgasse: Es scheint, als habe der Täter den Schlüssel zum perfekten Mord gefunden. Keine Leichen, keine Beweise! Doch Kimberly weigert sich aufzugeben.
Währenddessen spinnt jemand sein tödliches Netz. Und wartet ...
Lese-Probe zu „Du darfst nicht lieben “
Du darfst nicht lieben von Lisa GardnerAus dem Englischen von Michael Windgassen
Prolog
«Zu den gefährlichsten Spinnen in den USA zählen die Braunen Witwen und die Loxosceles.»
Herbert W. und Lorna R. Levi: Spiders and Their Kin
... mehr
Er stöhnte und krallte seine Finger in ihre Haare. Sie drückte mit den Lippen fester zu. Er stemmte ihr die Hüfte entgegen und faselte das dumme Zeug, das junge Männer in solchen Momenten gern von sich geben.
«O ja, Wahnsinn. Hör nicht auf. Du bist so schön. O Gott, o Gott. Du bist der absolute Hammer! Oh, Ginny, Ginny, Ginny. Süße Ginny ...»
Sie fragte sich, ob er sich selbst hören konnte, ob er wusste, was er da von sich gab. Dass er sie mit Heiligen gleichsetzte. Dass er ihr sagte, sie sei phantastisch, schön, eine dunkle Georgia-Rose. Dass ihm einmal sogar herausgerutscht war, dass er sie liebe.
In solchen Momenten sagte ein Kerl alles Mögliche.
Der Schaltknüppel drückte ihr in die Hüfte und fing an weh zu tun. Mit der rechten Hand zog sie ihm die Jeans ein Stück weiter herunter. Der Typ gab jetzt gurgelnde Geräusche von sich, die so klangen, als läge er in den letzten Zügen.
«Oh Mann, Ginny. Schöne, schöne Ginny. Süße ... Verdammt, Baby ... Du machst mich fertig! Du bringst mich um!»
Um Himmels willen, dachte sie, mach doch endlich. Sie presste ihre Lippen fester zusammen, übte mit der Hand noch ein bisschen mehr Druck aus ...
Tommy war ein keuchender, glücklicher Junge.
Und die kleine Ginny durfte sich auf eine Belohnung freuen.
Sie rückte von ihm ab und drehte den Kopf ein wenig zur Seite, damit er nicht sah, wie sie sich mit dem Handrücken den Mund abwischte. Der JimBeam, den sie im Fußraum vom Beifahrersitz abgestellt hatten, war umgekippt. Sie hob sie auf, nahm einen Schluck und reichte Tommy die Flasche.
Der Kapitän der Highschool-Footballmannschaft hatte immer noch die Hose auf Halbmast hängen und sah aus, als könne er das alles noch nicht ganz fassen.
«Mensch, Ginny, jetzt willst du mich wohl tatsächlich umbringen. »
Sie lachte und nahm selbst noch einen Schluck. Ihre Augen brannten. Sie redete sich ein, dass es einzig und allein am Whiskey lag.
Tommy nestelte an seinen Sachen. Er zog die weiße Unterhose hoch, die Jeans und schnallte den Gürtel wieder zu. Das tat er wie selbstverständlich, nichts verriet die Befangenheit, die Mädchen in solchen Momenten meist verspüren. Aus diesem Grund war es Ginny lieber, einem Kerl schnell einen zu blasen, statt auf der Rückbank das volle Programm durchzuziehen. Das dauerte länger und war komplizierter. Bei Blowjobs behielt man die Kontrolle.
Tommy wollte jetzt doch auch von dem Fusel. Sie reichte ihm die Flasche und beobachtete seinen Adamsapfel, der beim Schlucken über dem Kragen seiner College-Jacke auf und ab ging. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund und gab ihr die Flasche zurück.
«Sex und Whiskey. Wie will man das noch toppen?», sagte er grinsend.
«Nicht schlecht für einen Dienstagabend», meinte sie.
Er streckte den Arm aus, schob die Hand unter ihr Hemd und umfasste ihre Brust. Seine Finger fanden die linke Brustwarze und kniffen experimentierfreudig zu.
«Wie wär's ...?»
Sie stieß ihn zurück. «Geht jetzt nicht. Ich muss nach Hause. Meine Mutter hat mir damit gedroht, mich auszusperren, wenn ich noch einmal zu spät komme.»
«Deine Mutter? Ausgerechnet ...»
Ginny ging auf seine Anspielung nicht ein. «Außerdem wartet bestimmt schon deine Clique auf dich. Und müsstest du nicht noch kurz bei Darlene vorbeischauen? Sie wird bestimmt nicht einschlafen können, ohne ihren Loverboy noch mal gesehen zu haben.»
Ihr stichelnder Einwurf klang zum Ende hin scharf. Zu wissen, welchen Platz man in der Welt einnahm, bedeutete nicht, darüber auch glücklich zu sein.
Tommy war still geworden. Er streckte die Hand aus und streichelte ihr mit seinem Daumen über die Wange. Es war eine seltsame, fast zärtliche Geste.
«Ich hab da was für dich», sagte er plötzlich, zog seine Hand zurück und griff in die Hosentasche.
Ginny runzelte die Stirn. Natürlich hatte er etwas für sie. So lief der Hase. Die kleine Schlampe holt dem reichen, hübschenQuarterback einen runter und bekommt glitzernde Geschenke dafür. Schließlich hatten alle Jungs Bock, aber nicht alle Jungs bekamen von ihren zugeknöpften Freundinnen, was sie brauchten.
Tommy starrte sie an. Als Ginny etwas verspätet hinschaute und bemerkte, dass er seinen Absolventenring in der Hand hielt, erschrak sie regelrecht.
«Was soll das?», platzte es aus ihr heraus.
Tommy zuckte zusammen, hatte sich aber schnell wieder gefangen. «Jetzt bist du baff, was?»
«Darlene wird dir mit einem Löffel das Herz ausschaben, wenn sie das Ding an meinem Finger sieht.»
«Darlene kann mich mal.»
«Seit wann das denn?»
«Hab Samstagabend Schluss gemacht.»
Ginny starrte ihn an. «Was hat dich denn da geritten?»
Tommys Miene verdüsterte sich. Er hatte mit dieser Reaktion nicht gerechnet und musste sich wieder zusammenreißen. «Ginny, Herzchen, ich fürchte, das wirst du nicht verstehen ...»
«Und ob ich verstehe. Darlene ist wunderschön. Sie hat schicke Klamotten, einen reichen Daddy und einen Lippenstift, der so teuer ist, dass sie ihn nicht am Schwanz ihres Freundes verschmieren möchte.»
«Das ist nicht sehr nett gesagt», entgegnete Tommy gereizt.
«Ach ja? Ist es nicht so, dass die kostbare kleine Darlene nicht schlucken will? Und dass du dir jetzt womöglich einbildest, in die kleine Miss Drecksgöre verknallt zu sein?»
«Sag so was nicht ...»
«Was soll ich nicht sagen? Die Wahrheit? Ich weiß, wer ich bin. Der einzige Spinner hier in dieser Karre bist du. Ich wollte ein Goldkettchen. Du hast es mir versprochen.»
«Darum geht's also. Um die Kette.»
«Na klar.»
Er musterte sie aufmerksam und ließ die Kaumuskeln spielen. «Weißt du, Trace hat mich vor dir gewarnt. Er sagt, du wärst eine Schlange, ein mieses Stück. Aber ich habe ihm widersprochen und dich in Schutz genommen. Du bist nicht wie deine Mutter, Ginny. Du bist ... was Besonderes. Zumindest » - er straffte seine Schultern - «für mich.»
«Du hast sie doch nicht mehr alle!» Sie hatte genug von ihm gehört, stieß die Tür auf und sprang hinaus. Wie sie hörte, versuchte er, auf der anderen Seite auszusteigen, vielleicht, um sie aufzuhalten, bevor sie eine Dummheit machte.
Der Wagen stand auf einem Fuhrweg im Wald, fernab von den nächsten Häusern. Der Boden unter ihren Füßen war hart und uneben. Einen Moment lang dachte sie daran, einfach abzuhauen durch den langen blauen Tunnel zwischen den hohen Sumpfkiefern. Wegzurennen.
Sie war jung und sportlich. Mädchen wie sie machten so schnell nicht schlapp. Und sie hatte weiß Gott Übung im Davonlaufen.
«Ginny, sprich mit mir.»
Tommy stand hinter ihr, hielt aber Abstand. Himmel hilf, dachte sie, der Junge hatte womöglich an einem Poesiekurs teilgenommen. Vielleicht hörte er seit Neustem Songs von Sarah McLachlan oder ähnlichen Mist. Zurzeit schienen alle besonders tiefschürfend sein zu wollen.
Sie holte tief Luft, legte den Kopf in den Nacken und schaute zu den Sternen auf. Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, dachte sie, mach Limonade draus. Am liebsten hätte sie laut aufgelacht, aber vielleicht war ihr auch zum Weinen zumute. Also tat sie, was sie am besten konnte. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Was immer auch andere sagen mochten, fest stand, eine junge Frau wie sie konnte es sich nicht leisten, billig zu sein.
«Also gut, Tommy», sagte sie. «Um ganz ehrlich zu sein, du hast mich überrascht.»
«Na ja. Im Grunde war ich selbst nicht darauf gefasst.»
«Ist dir klar, was passiert, wenn ich diesen Ring trage? In der Schule wird man sich das Maul zerreißen.»
«Sei's drum.»
«In vier Monaten machst du deinen Abschluss. Sei vernünftig, Tommy. Du kannst diesen Scheiß jetzt nicht gebrauchen. »
«Ginny -»
Sie legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen. «Ich nehme den Ring an, Tommy.»
«Tatsächlich?» Er klang hoffnungsvoll. Ernst. Verfluchte Sarah McLachlan.
«Hast du die Kette mitgebracht?»
«Ja, habe ich, für alle Fälle, aber -»
«Gib sie mir. Ich werde den Ring als Anhänger tragen, unter meinem Shirt. Er bleibt unser Geheimnis, wenigstens so lange, bis wir von der Schule sind. Ich weiß auch ohne große Show, was du für mich empfindest. Das hast du mir jetzt schon unter Beweis gestellt ...» Ihre Stimme wurde wieder schärfer. Sie bemühte sich um einen milderen Ton. «Dass du daran gedacht hast, bedeutet mir viel.»
Tommy strahlte übers ganze Gesicht. Er griff in seine Tasche und holte eine kleine Plastiktüte daraus hervor, in der eine Kette lag. Wahrscheinlich hatte er sie im Wal-Mart gekauft. Vierzehn Karat. Ihr Hals würde sich darunter grün verfärben.
Und dafür dieser ganze Aufstand? Verdammt.
Sie nahm die Kette, streifte den Ring darüber und schenkte ihm ein Lächeln.
Er fiel über sie her und küsste sie stürmisch. Sie ließ ihn gewähren. Doch dann fummelte er an ihr herum, offenbar mit dem Ziel, ihre neue Beziehung mit einem kleinen Fick im Wald zu besiegeln.
Himmel, war sie müde.
Mit leichtem Nachdruck schob sie achtzig Kilo Testosteron zurück. «Tommy», keuchte sie. «Ich muss nach Hause. Du willst doch nicht, dass mir gleich zu Beginn unserer Beziehung Hausarrest aufgebrummt wird.»
Er grinste breit. «Natürlich nicht. Aber ...»
«Ist ja gut. Zurück in den Wagen, mein großer Junge. Zeig mir doch mal, wie schnell du fahren kannst.»
Tommy konnte sehr schnell fahren. Trotzdem erreichten sie ihr Ziel erst um zehn nach elf. Auf der Eingangsterrasse brannte Licht, doch hinter den Fenstern war es dunkel.
Vielleicht hatte sie Glück, und ihre Mutter war unterwegs. Nach diesem Abend hatte Ginny eine kleine Verschnaufpause verdient.
Tommy wollte warten, bis sie die Haustür hinter sich zugezogen hatte, doch sie erklärte ihm, dass alles nur noch schlimmer würde, wenn ihre Mutter herauskäme und eine Szene machte. Es dauerte weitere fünf wertvolle Minuten, bis sie ihn endlich abgewimmelt hatte.
Mein Held, dachte sie spöttisch und wandte sich dem Haus zu.
Es war klein und grau und hatte nicht mal einen Alibi-Vorgarten. Von außen trostlos, im Inneren noch trostloser. Aber es war immerhin ein gemauertes Zuhause und kein Wohnwagen. Ginny hatte einmal einen Vater gehabt. Er war ein großer, gut aussehender Mann mit dröhnendem Lachen und dicken, kräftigen Armen gewesen, mit denen er sie in die Luft geworfen hatte, wenn er nach einem langen Arbeitstag nach Hause zurückgekehrt war.
Doch eines Tages hatte es diesen Unfall gegeben. Er war von irgendeiner Baustelle gekommen und mit seinem Wagen auf Glatteis geraten.
Mit der Versicherungssumme hatten sie das Haus bezahlen können. Ihre Mutter war anderen Tätigkeiten nachgegangen, um das Geld für alles Weitere aufzubringen.
Ginny versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Achselzuckend ging sie um das Haus herum, doch auch die Hintertür war zu. Sie rüttelte an den Fenstern, obwohl ihr klar war, dass es nichts nützte. Ihre Mutter machte immer alles dicht. Die Nachbarschaft hatte bessere Zeiten erlebt, doch die lagen zehn Jahre und mehrere Wirtschaftskrisen zurück.
Ginny klopfte an die Tür. Sie klingelte. Nichts.
Ihre Mutter machte ernst. Ginny war zu spät gekommen, und ihre verfluchte Mama, anscheinend überzeugt davon, ihre Tochter mit Strenge erziehen zu müssen, hatte sie ausgesperrt.
Verdammt. Sie war wohl ausgegangen. In ein oder zwei Stunden, wenn sie der Meinung war, ihren Standpunkt klargemacht zu haben, würde sie vielleicht zurückkehren.
Ginny schlenderte die dunkle Straße entlang, vorbei an einem winzigen Einfamilienhaus nach dem anderen, deren Bewohner früher ihr Auskommen gehabt hatten. Heute lebten viele von der Stütze.
Als sie die Kreuzung der Landstraße erreichte, fuhr mit hohem Tempo ein schwarzer Geländewagen vorbei. Wie Drachenaugen leuchteten die Bremslichter auf. Nach zwanzig Metern hielt der Wagen mit quietschenden Reifen an. Der Fahrer steckte den Kopf zum Fenster hinaus. Im Dunkeln waren nur die Umrisse einer Baseballkappe zu erkennen. Eine tiefe Stimme fragte: «Kann ich dich mitnehmen?»
Ginny brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen. Das Fahrzeug sah teuer aus, die Stimme klang sonor. Vielleicht wurde ja noch was aus der angebrochenen Nacht.
Fünf Minuten später schwante ihr, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie war eingestiegen, hatte sich auf einen weichen Ledersitz fallen lassen und dem Mann am Steuer, einem geschniegelten Mittvierziger, kichernd zu verstehen gegeben, dass sie ihren Tank leergefahren habe. Sie kicherte immer noch, als sie ihn bat, sie einmal um den Block zu fahren. Er sagte nicht viel, bog einmal links ab, dann nach rechts, blieb schließlich hinter einem riesigen Mietlager stehen und schaltete den Motor aus.
Nun wurde ihr doch mulmig. In Gegenwart eines völlig Fremden gab es immer einen solchen Moment, der einem fast Angst machte, auch wenn man sich einredete, keine Angst haben zu müssen, weil es im Grunde nichts gab, was ein Arschloch von einem verlangen konnte, das man nicht längst zu geben bereit war.
Aber dann wandte er sich ihr zu, und sie starrte in ein flaches, unfreundliches Gesicht mit kantigen Kieferknochen, zusammengepressten Lippen und tiefschwarzen Augen.
Und dann, als hätte er gewusst, wie sie reagieren würde, als wollte er diesen Moment ihrer Irritation genießen, hob er den Schirmseiner Baseballkappe an und zeigte ihr seine Stirn.
Ginny schloss in ihrer Jackentasche die Hand um Tommys Ring, denn ihr war auf den ersten Blick gleich einiges klar: Ihre Mutter würde ihr nicht mehr wegen ihres Zuspätkommens in den Ohren liegen, und Tommy würde sich ihretwegen vor seinen Freunden nicht schämen müssen.
Denn dieser Mann würde sie nicht mehr nach Hause zurücklassen.
Manche Mädchen waren schlau, andere schnell auf den Beinen, wiederum andere überdurchschnittlich stark. Ginny, die arme Ginny Jones, hatte schon vor vier Jahren, als der Freund ihrer Mutter zum ersten Mal in ihrem Schlafzimmer aufgekreuzt war, lernen müssen, dass ihr nur eines blieb, um sich zu retten.
«Na schön», sagte sie forsch. «Bringen wir es hinter uns. Du erzählst mir, was du von mir willst, und ich ziehe mich aus.»
Kapitel 1
Es gibt Dinge, die einem niemand beibringen kann und nur aus eigener Erfahrung zu lernen sind:
Anfangs tut es einfach nur weh. Du schreist. Du schreist und schreist, bis dir die Kehle rau wird, die Augen geschwollen sind und dir ein Geschmack auf der Zunge liegt, der so bitter ist wie Galle, vermischt mit Erbrochenem und Tränen. Du weinst und rufst nach deiner Mutter. Du betest zu Gott. Du verstehst nicht, was da geschieht. Du kannst es nicht glauben.
Und doch geschieht es.
Und so verstummst du nach und nach.
Der Schrecken dauert nicht ewig. Das kann er nicht. Ihn aufrechtzuerhalten würde zu viel Kraft erfordern. Schrecken wird ausgelöst durch die Konfrontation mit dem Unbekannten. Aber was einen schon über jedes Maß der Erträglichkeit gequält und eingeschüchtert hat, ist irgendwann nichts Fremdes mehr. Vielmehr wird das, was dich einmal in Schock versetzt hat, dir weiter weh tut und dich in seiner Perversion beschämt, irgendwann zur Normalität, zur Alltäglichkeit, zu einem Teil deines Lebens, ja, zu einem Teil deiner selbst.
Es ist ein Ding unter vielen.
Kapitel 2
«Spinnen sind immer auf Beute aus und dabei selbst permanent in der Gefahr, ihren Fressfeinden zum Opfer zu fallen. Geschickte Tarnung und schnelles Reaktionsvermögen helfen ihnen zu überleben. »
HerbertW. und Lorna R. Levi: Spiders and Their Kin
«Wir haben ein Problem.»
«Eins? Mir fallen auf Anhieb gleich ein paar ein: Unmengen anMeth ist in Umlauf, die Mittelschicht löst sich auf, ganz zu schweigen von den Folgen der globalen Erwärmung ...»
«Nein, nein. Ich meine ein reales Problem.»
Kimberly seufzte. Seit nunmehr drei Tagen kämmten sie den Unfallort durch. Den Gestank von Kerosin und verkohlten Leichen nahm sie schon gar nicht mehr wahr. Ihr war kalt, sie war dehydriert und hatte Seitenstiche. In ihrer Verfassung musste ein reales Problem einiges zu bieten haben, um von ihr ernst genommen zu werden.
Sie nahm den letzten Schluck Wasser aus der Flasche, kehrte der Zeltstadt, die nun das provisorische Kommandozentrum darstellte, den Rücken und wandte sich ihrem Teampartner zu. «Na schön, Harold. Was ist das für ein Problem?»
«Du musst es dir ansehen, sonst glaubst du es nicht.»
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, trabte er davon und ließ Kimberly keine andere Wahl, als zu folgen. Er joggte an der Absperrung des Unfallorts entlang, der bis vor kurzem eine idyllische Aue inmitten dichter Wälder gewesen war. Die Bäume am Rand des Feldes waren bis zurHälfte abrasiert, und durch die grüne Weidefläche zog sich ein tiefer Graben, an dessen Ende ein verrußter Flugzeugrumpf, das Wrack eines John-Deere-Traktors und eine verbogene Tragfläche lagen.
Es gab kaum etwas Schlimmeres als die Ermittlungsarbeit an Absturzstellen, die meist enorm weitflächig waren, von Schadstoffen kontaminiert und übersät mit scharfkantigen Metallfragmenten und Glasscherben. Solche Einsatzgebiete machten selbst denen, die schon seit vielen Jahren Spuren sicherten, schwer zu schaffen. Gegen Ende des dritten Tages hatte Kimberlys Team die Wo-sollen-wir-eigentlich-anfangen- Phase abgeschlossen und war dazu übergegangen, den Befund zu dokumentieren in der Hoffnung, am Abend des nächsten Tages nach getaner Arbeit wieder zu Hause zu sein. In dieser Phase konnte man sich mal eine Verschnaufpause gönnen, anstatt einfach bloß die nächste Aspirin mit einem Schluck Kaffee runterzuspülen, wenn man am Limit war.
Umso rätselhafter war es, dass Harold sie nun von der Kommandozentrale mit ihren knatternden Generatoren und dem Gewusel Dutzender Ermittler weglockte ...
Er lief immer noch an der Absperrung entlang. Fünfzig Meter, einhundert, einen halben Kilometer weit ...
«Harold, wohin?»
«Halt durch, du schaffst es. In fünf Minuten sind wir da.»
Harold legte noch einen Schritt zu. Kimberly biss die Zähne zusammen und blieb ihm auf den Fersen. Am Ende der Absperrung bog Harold nach rechts in den Waldabschnitt ein, durch den das abstürzende Flugzeug eine Schneise geschlagen hatte. Zerfetzte Baumkronen ragten in den bedeckten Winterhimmel auf.
«Wehe, es lohnt sich nicht.»
«Wart's ab.»
«Wenn du mir irgendein seltenes Moos oder eine gefährdete Pilzsorte zeigen willst, gibt's Saures.»
«Daran zweifle ich nicht.»
Er lief im Zickzack um Baumstümpfe herum und zwängte sich durch dichtes Unterholz. Dann blieb er endlich stehen, so abrupt, dass Kimberly ihn fast umgerannt hätte.
«Sieh mal nach oben», sagte Harold.
Kimberly gehorchte. «Oh, Scheiße. Wir haben ein Problem. »
FBI Special Agent Kimberly Quincy war nicht nur schön und mit einem klugen Kopf gesegnet, sondern auch eine geborene Polizistin, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihr Vater war ehemaliger FBI-Profiler und hatte sich als solcher einen Ruf erworben, der dem eines Douglas oder Ressler in nichts nachstand. Sie hatte schulterlanges dunkelblondes Haar, hellblaue Augen und ein geradezu edel geschnittenes Gesicht, das sie ihrer verstorbenen Mutter verdankte. Um Letztere rankten sich Gerüchte, die Kimberly vermutlich bis ans Ende ihrer beruflichen Laufbahn begleiten würden.
Kimberly war eins achtundsechzig, schlank, athletisch gebaut und als ungemein ausdauernd bekannt, treffsicher im Umgang mit Schusswaffen und heikel bis schwierig im persönlichen Umgang. Jedenfalls gehörte sie nicht zu jenen Teamkollegen, die Liebe auf den ersten Blick zu wecken vermochten, aber dafür wusste sie sich Respekt zu verschaffen.
Sie stand vor dem vierten Jahr ihrer Anstellung im FBI Büro von Atlanta, war seit einiger Zeit mit Schwerverbrechen befasst und leitete eines der drei Evidence-Response-Teams vor Ort, die vor allem mit kriminaltechnischen Aufgaben betraut waren. Bis vor ungefähr fünf Monaten hatte sie berechtigte Aussicht auf eine steile Karriere gehabt. Von einem Karriereknick konnte aber auch nicht die Rede sein. Denn abgesehen davon, dass sie am Schießtraining nicht mehr teilnehmen durfte, hatte sich, was ihren Dienst anging, nichts geändert. Das FBI-Büro von heute betrachtete sich schließlich als eine aufgeklärte, den Tugenden der geschlechtlichen Gleichstellung und Fairness verpflichtete Behörde. Jedenfalls war es, wie die Agenten zu scherzen beliebten, nicht mehr das FBI ihres Vaters.
Momentan sah sich Kimberly allerdings vor weitaus größere Probleme gestellt. Drei Schritte außerhalb der abgesteckten Unglücksstelle hing in einem riesigen Rhododendronbusch ein abgetrenntes Bein.
«Dass du das überhaupt gesehen hast. Wie zum Teufel hast du das entdeckt?», fragte Kimberly, als sie mit Harold zur Kommandozentrale zurückeilte.
«Vögel haben mich drauf aufmerksam gemacht», antwortete er. «Ich sah immer wieder Schwärme aufflattern und dachte, sie würden von einem Raubtier aufgeschreckt. Und dann fragte ich mich, was ein Raubtier dort zu suchen haben mochte. Tja ...» Er zuckte mit den Achseln. «Den Rest kannst du dir denken.»
Kimberly nickte, obwohl sie sich als Stadtmensch auf das Verhalten wilder Tiere nicht besonders gut verstand. Harold hingegen war in einem Blockhaus aufgewachsen und hatte früher für den Forstdienst gearbeitet. Er konnte die Spuren von Rotluchsen lesen, Hirsche häuten und anhand des Wachstums von Moosen an Bäumen das Wetter vorhersagen. Seiner Statur nach - eins fünfundachtzig bei gerade mal knapp achtzig Kilo - erinnerte er allerdings weniger an einen Holzfäller als an einen Telegraphenmast. Aber man durfte sich nicht täuschen: Zwanzig Meilen waren für ihn locker an einem Tag zu schaffen. Als im Zuge der Ermittlungen gegen den Bombenleger im Olympiapark von Atlanta alle drei ERTs einen entlegenen Zeltplatz in den Bergen hatten aufsuchen müssen, war Harold auf steilem, dicht bewaldetem Gelände eine Stunde vor allen anderen am Ziel gewesen.
«Wirst du Rachel informieren?», fragte er jetzt. «Oder soll ich?»
«Ich finde, du solltest das Verdienst für deine Entdeckung ganz allein für dich in Anspruch nehmen.»
«Ach was. Du leitest das Team. Und sie wird dich schon nicht fressen.» Er betonte den letzten Satz deutlicher als nötig. Kimberly verstand ohnehin. Und natürlich hatte er recht.
Sie massierte ihre Seite und gab sich unbeeindruckt.
Das Problem hatte am Samstagmorgen seinen Anfang genommen, als eine Boeing 727 um 6:05 Uhr vom Flughafen Charlotte, North Carolina, abgehoben war. Mit drei Besatzungsmitgliedern und einem Frachtraum voller Postsendungen sollte sie um 7:20 Uhr in Atlanta landen. Die Luft war feucht und neblig, es drohte Eisschlag.
Was sich im Einzelnen zugetragen hatte, würde die Nationale Behörde für Transportsicherheit, kurz NTSB, feststellen müssen. Jedenfalls hatte die Maschine kurz nach 7:15 Uhr beim Anflug auf die Landebahn mit der rechten Tragfläche ein paar Baumwipfel gestreift, war auf eine Weide gestürzt, hatte sich einmal im Kreis gedreht, einen Mähdrescher, zwei Lastwagen und einen Traktor mitgerissen und war nach einer knapp achthundert Meter langen Rutschpartie in Flammen aufgegangen, nachdem sie eine Wolke von Trümmerteilen hatte abregnen lassen.
Als die Rettungsfahrzeuge eintrafen, gab es nichts mehr zu retten. Übrig geblieben waren nur auf weiter Fläche verstreute Bruchstücke samt der Leichenteile dreier Personen, vier zerstörte landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge und der Niederschlag von U.S. Mail im Umfang eines Schneesturms. Experten der NTSB rückten an und übernahmen das Kommando über die Aufräumarbeiten gemäß einem zwischen der NTSB und dem FBI geregelten Abkommen. Die drei ERTs aus Atlanta wurden hinzugezogen, um bei der Spurensicherung zu assistieren.
Rachel Childs, die dienstälteste FBI-Vertreterin vor Ort, hatte als Erstes die Unglücksstelle absperren lassen. Bei Explosionen und Flugzeugabstürzen wird einer Faustregel entsprechend der Abstand zwischen den am weitesten auseinanderliegenden Trümmerteilen mit dem Faktor eins Komma fünf multipliziert. Im vorliegenden Fall ergab sich nach dieser Berechnung eine Fläche von vier Kilometern Länge und achthundert Metern Breite - also nicht gerade das, was Spurensicherungsexperten jeden Tag vorgesetzt bekommen.
Es war der perfekte Einsatzort für das neuste Spielzeug des FBI: die Totalstation, ein modifizierter Tachymeter, wie er von Vermessungstechnikern verwendet wurde, ausgestattet mit einer speziellen Software, die aus den Messdaten blitzschnell millimetergenaue 3-D-Modelle entwickelte, über die Ermittler am Ende ihrer Schicht brüten konnten.
Das Verfahren war relativ einfach, die Auswertung umso arbeitsintensiver. Zuerst mussten Dutzende von Kriminaltechnikern sämtliche Beweisstücke klassifizieren und markieren. Handelte es sich um Wrackteile, menschliche Überreste oder Wertgegenstände? Als Nächstes versah ein sogenannter rod man - also derjenige, der bei üblichen Landvermessungen die Messlatte hielt - jedes Beweisstück mit einem Glasreflektor. Auf die richtete dann der Kollege die Laserkanone, mit der sich bis auf eine Entfernung von fünf Kilometern optische Daten einholen ließen. Das Ganze überwachte der sogenannte spotter/recorder, der für die Zählung und Dokumentation der einzelnen Beweisstücke zuständig war.
Alle Beteiligten arbeiteten hart, mit dem Ergebnis, dass sich in relativ kurzer Zeit das Chaos auf dem Feld in ein übersichtliches Computermodell verwandelt hatte, das der Laune des Schicksals fast so etwas wie einen Sinn verlieh. Krankhaft ordnungsfixierte Kontrollfetischisten hätten ihre helle Freude daran, und Kimberly musste sich in beiden Punkten schuldig bekennen. Allzu gern wäre sie der rod man gewesen, hatte sich aber diesmal mit den Aufgaben des spotters/recorders begnügen müssen.
Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Er stöhnte und krallte seine Finger in ihre Haare. Sie drückte mit den Lippen fester zu. Er stemmte ihr die Hüfte entgegen und faselte das dumme Zeug, das junge Männer in solchen Momenten gern von sich geben.
«O ja, Wahnsinn. Hör nicht auf. Du bist so schön. O Gott, o Gott. Du bist der absolute Hammer! Oh, Ginny, Ginny, Ginny. Süße Ginny ...»
Sie fragte sich, ob er sich selbst hören konnte, ob er wusste, was er da von sich gab. Dass er sie mit Heiligen gleichsetzte. Dass er ihr sagte, sie sei phantastisch, schön, eine dunkle Georgia-Rose. Dass ihm einmal sogar herausgerutscht war, dass er sie liebe.
In solchen Momenten sagte ein Kerl alles Mögliche.
Der Schaltknüppel drückte ihr in die Hüfte und fing an weh zu tun. Mit der rechten Hand zog sie ihm die Jeans ein Stück weiter herunter. Der Typ gab jetzt gurgelnde Geräusche von sich, die so klangen, als läge er in den letzten Zügen.
«Oh Mann, Ginny. Schöne, schöne Ginny. Süße ... Verdammt, Baby ... Du machst mich fertig! Du bringst mich um!»
Um Himmels willen, dachte sie, mach doch endlich. Sie presste ihre Lippen fester zusammen, übte mit der Hand noch ein bisschen mehr Druck aus ...
Tommy war ein keuchender, glücklicher Junge.
Und die kleine Ginny durfte sich auf eine Belohnung freuen.
Sie rückte von ihm ab und drehte den Kopf ein wenig zur Seite, damit er nicht sah, wie sie sich mit dem Handrücken den Mund abwischte. Der JimBeam, den sie im Fußraum vom Beifahrersitz abgestellt hatten, war umgekippt. Sie hob sie auf, nahm einen Schluck und reichte Tommy die Flasche.
Der Kapitän der Highschool-Footballmannschaft hatte immer noch die Hose auf Halbmast hängen und sah aus, als könne er das alles noch nicht ganz fassen.
«Mensch, Ginny, jetzt willst du mich wohl tatsächlich umbringen. »
Sie lachte und nahm selbst noch einen Schluck. Ihre Augen brannten. Sie redete sich ein, dass es einzig und allein am Whiskey lag.
Tommy nestelte an seinen Sachen. Er zog die weiße Unterhose hoch, die Jeans und schnallte den Gürtel wieder zu. Das tat er wie selbstverständlich, nichts verriet die Befangenheit, die Mädchen in solchen Momenten meist verspüren. Aus diesem Grund war es Ginny lieber, einem Kerl schnell einen zu blasen, statt auf der Rückbank das volle Programm durchzuziehen. Das dauerte länger und war komplizierter. Bei Blowjobs behielt man die Kontrolle.
Tommy wollte jetzt doch auch von dem Fusel. Sie reichte ihm die Flasche und beobachtete seinen Adamsapfel, der beim Schlucken über dem Kragen seiner College-Jacke auf und ab ging. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund und gab ihr die Flasche zurück.
«Sex und Whiskey. Wie will man das noch toppen?», sagte er grinsend.
«Nicht schlecht für einen Dienstagabend», meinte sie.
Er streckte den Arm aus, schob die Hand unter ihr Hemd und umfasste ihre Brust. Seine Finger fanden die linke Brustwarze und kniffen experimentierfreudig zu.
«Wie wär's ...?»
Sie stieß ihn zurück. «Geht jetzt nicht. Ich muss nach Hause. Meine Mutter hat mir damit gedroht, mich auszusperren, wenn ich noch einmal zu spät komme.»
«Deine Mutter? Ausgerechnet ...»
Ginny ging auf seine Anspielung nicht ein. «Außerdem wartet bestimmt schon deine Clique auf dich. Und müsstest du nicht noch kurz bei Darlene vorbeischauen? Sie wird bestimmt nicht einschlafen können, ohne ihren Loverboy noch mal gesehen zu haben.»
Ihr stichelnder Einwurf klang zum Ende hin scharf. Zu wissen, welchen Platz man in der Welt einnahm, bedeutete nicht, darüber auch glücklich zu sein.
Tommy war still geworden. Er streckte die Hand aus und streichelte ihr mit seinem Daumen über die Wange. Es war eine seltsame, fast zärtliche Geste.
«Ich hab da was für dich», sagte er plötzlich, zog seine Hand zurück und griff in die Hosentasche.
Ginny runzelte die Stirn. Natürlich hatte er etwas für sie. So lief der Hase. Die kleine Schlampe holt dem reichen, hübschenQuarterback einen runter und bekommt glitzernde Geschenke dafür. Schließlich hatten alle Jungs Bock, aber nicht alle Jungs bekamen von ihren zugeknöpften Freundinnen, was sie brauchten.
Tommy starrte sie an. Als Ginny etwas verspätet hinschaute und bemerkte, dass er seinen Absolventenring in der Hand hielt, erschrak sie regelrecht.
«Was soll das?», platzte es aus ihr heraus.
Tommy zuckte zusammen, hatte sich aber schnell wieder gefangen. «Jetzt bist du baff, was?»
«Darlene wird dir mit einem Löffel das Herz ausschaben, wenn sie das Ding an meinem Finger sieht.»
«Darlene kann mich mal.»
«Seit wann das denn?»
«Hab Samstagabend Schluss gemacht.»
Ginny starrte ihn an. «Was hat dich denn da geritten?»
Tommys Miene verdüsterte sich. Er hatte mit dieser Reaktion nicht gerechnet und musste sich wieder zusammenreißen. «Ginny, Herzchen, ich fürchte, das wirst du nicht verstehen ...»
«Und ob ich verstehe. Darlene ist wunderschön. Sie hat schicke Klamotten, einen reichen Daddy und einen Lippenstift, der so teuer ist, dass sie ihn nicht am Schwanz ihres Freundes verschmieren möchte.»
«Das ist nicht sehr nett gesagt», entgegnete Tommy gereizt.
«Ach ja? Ist es nicht so, dass die kostbare kleine Darlene nicht schlucken will? Und dass du dir jetzt womöglich einbildest, in die kleine Miss Drecksgöre verknallt zu sein?»
«Sag so was nicht ...»
«Was soll ich nicht sagen? Die Wahrheit? Ich weiß, wer ich bin. Der einzige Spinner hier in dieser Karre bist du. Ich wollte ein Goldkettchen. Du hast es mir versprochen.»
«Darum geht's also. Um die Kette.»
«Na klar.»
Er musterte sie aufmerksam und ließ die Kaumuskeln spielen. «Weißt du, Trace hat mich vor dir gewarnt. Er sagt, du wärst eine Schlange, ein mieses Stück. Aber ich habe ihm widersprochen und dich in Schutz genommen. Du bist nicht wie deine Mutter, Ginny. Du bist ... was Besonderes. Zumindest » - er straffte seine Schultern - «für mich.»
«Du hast sie doch nicht mehr alle!» Sie hatte genug von ihm gehört, stieß die Tür auf und sprang hinaus. Wie sie hörte, versuchte er, auf der anderen Seite auszusteigen, vielleicht, um sie aufzuhalten, bevor sie eine Dummheit machte.
Der Wagen stand auf einem Fuhrweg im Wald, fernab von den nächsten Häusern. Der Boden unter ihren Füßen war hart und uneben. Einen Moment lang dachte sie daran, einfach abzuhauen durch den langen blauen Tunnel zwischen den hohen Sumpfkiefern. Wegzurennen.
Sie war jung und sportlich. Mädchen wie sie machten so schnell nicht schlapp. Und sie hatte weiß Gott Übung im Davonlaufen.
«Ginny, sprich mit mir.»
Tommy stand hinter ihr, hielt aber Abstand. Himmel hilf, dachte sie, der Junge hatte womöglich an einem Poesiekurs teilgenommen. Vielleicht hörte er seit Neustem Songs von Sarah McLachlan oder ähnlichen Mist. Zurzeit schienen alle besonders tiefschürfend sein zu wollen.
Sie holte tief Luft, legte den Kopf in den Nacken und schaute zu den Sternen auf. Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, dachte sie, mach Limonade draus. Am liebsten hätte sie laut aufgelacht, aber vielleicht war ihr auch zum Weinen zumute. Also tat sie, was sie am besten konnte. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Was immer auch andere sagen mochten, fest stand, eine junge Frau wie sie konnte es sich nicht leisten, billig zu sein.
«Also gut, Tommy», sagte sie. «Um ganz ehrlich zu sein, du hast mich überrascht.»
«Na ja. Im Grunde war ich selbst nicht darauf gefasst.»
«Ist dir klar, was passiert, wenn ich diesen Ring trage? In der Schule wird man sich das Maul zerreißen.»
«Sei's drum.»
«In vier Monaten machst du deinen Abschluss. Sei vernünftig, Tommy. Du kannst diesen Scheiß jetzt nicht gebrauchen. »
«Ginny -»
Sie legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen. «Ich nehme den Ring an, Tommy.»
«Tatsächlich?» Er klang hoffnungsvoll. Ernst. Verfluchte Sarah McLachlan.
«Hast du die Kette mitgebracht?»
«Ja, habe ich, für alle Fälle, aber -»
«Gib sie mir. Ich werde den Ring als Anhänger tragen, unter meinem Shirt. Er bleibt unser Geheimnis, wenigstens so lange, bis wir von der Schule sind. Ich weiß auch ohne große Show, was du für mich empfindest. Das hast du mir jetzt schon unter Beweis gestellt ...» Ihre Stimme wurde wieder schärfer. Sie bemühte sich um einen milderen Ton. «Dass du daran gedacht hast, bedeutet mir viel.»
Tommy strahlte übers ganze Gesicht. Er griff in seine Tasche und holte eine kleine Plastiktüte daraus hervor, in der eine Kette lag. Wahrscheinlich hatte er sie im Wal-Mart gekauft. Vierzehn Karat. Ihr Hals würde sich darunter grün verfärben.
Und dafür dieser ganze Aufstand? Verdammt.
Sie nahm die Kette, streifte den Ring darüber und schenkte ihm ein Lächeln.
Er fiel über sie her und küsste sie stürmisch. Sie ließ ihn gewähren. Doch dann fummelte er an ihr herum, offenbar mit dem Ziel, ihre neue Beziehung mit einem kleinen Fick im Wald zu besiegeln.
Himmel, war sie müde.
Mit leichtem Nachdruck schob sie achtzig Kilo Testosteron zurück. «Tommy», keuchte sie. «Ich muss nach Hause. Du willst doch nicht, dass mir gleich zu Beginn unserer Beziehung Hausarrest aufgebrummt wird.»
Er grinste breit. «Natürlich nicht. Aber ...»
«Ist ja gut. Zurück in den Wagen, mein großer Junge. Zeig mir doch mal, wie schnell du fahren kannst.»
Tommy konnte sehr schnell fahren. Trotzdem erreichten sie ihr Ziel erst um zehn nach elf. Auf der Eingangsterrasse brannte Licht, doch hinter den Fenstern war es dunkel.
Vielleicht hatte sie Glück, und ihre Mutter war unterwegs. Nach diesem Abend hatte Ginny eine kleine Verschnaufpause verdient.
Tommy wollte warten, bis sie die Haustür hinter sich zugezogen hatte, doch sie erklärte ihm, dass alles nur noch schlimmer würde, wenn ihre Mutter herauskäme und eine Szene machte. Es dauerte weitere fünf wertvolle Minuten, bis sie ihn endlich abgewimmelt hatte.
Mein Held, dachte sie spöttisch und wandte sich dem Haus zu.
Es war klein und grau und hatte nicht mal einen Alibi-Vorgarten. Von außen trostlos, im Inneren noch trostloser. Aber es war immerhin ein gemauertes Zuhause und kein Wohnwagen. Ginny hatte einmal einen Vater gehabt. Er war ein großer, gut aussehender Mann mit dröhnendem Lachen und dicken, kräftigen Armen gewesen, mit denen er sie in die Luft geworfen hatte, wenn er nach einem langen Arbeitstag nach Hause zurückgekehrt war.
Doch eines Tages hatte es diesen Unfall gegeben. Er war von irgendeiner Baustelle gekommen und mit seinem Wagen auf Glatteis geraten.
Mit der Versicherungssumme hatten sie das Haus bezahlen können. Ihre Mutter war anderen Tätigkeiten nachgegangen, um das Geld für alles Weitere aufzubringen.
Ginny versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Achselzuckend ging sie um das Haus herum, doch auch die Hintertür war zu. Sie rüttelte an den Fenstern, obwohl ihr klar war, dass es nichts nützte. Ihre Mutter machte immer alles dicht. Die Nachbarschaft hatte bessere Zeiten erlebt, doch die lagen zehn Jahre und mehrere Wirtschaftskrisen zurück.
Ginny klopfte an die Tür. Sie klingelte. Nichts.
Ihre Mutter machte ernst. Ginny war zu spät gekommen, und ihre verfluchte Mama, anscheinend überzeugt davon, ihre Tochter mit Strenge erziehen zu müssen, hatte sie ausgesperrt.
Verdammt. Sie war wohl ausgegangen. In ein oder zwei Stunden, wenn sie der Meinung war, ihren Standpunkt klargemacht zu haben, würde sie vielleicht zurückkehren.
Ginny schlenderte die dunkle Straße entlang, vorbei an einem winzigen Einfamilienhaus nach dem anderen, deren Bewohner früher ihr Auskommen gehabt hatten. Heute lebten viele von der Stütze.
Als sie die Kreuzung der Landstraße erreichte, fuhr mit hohem Tempo ein schwarzer Geländewagen vorbei. Wie Drachenaugen leuchteten die Bremslichter auf. Nach zwanzig Metern hielt der Wagen mit quietschenden Reifen an. Der Fahrer steckte den Kopf zum Fenster hinaus. Im Dunkeln waren nur die Umrisse einer Baseballkappe zu erkennen. Eine tiefe Stimme fragte: «Kann ich dich mitnehmen?»
Ginny brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen. Das Fahrzeug sah teuer aus, die Stimme klang sonor. Vielleicht wurde ja noch was aus der angebrochenen Nacht.
Fünf Minuten später schwante ihr, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie war eingestiegen, hatte sich auf einen weichen Ledersitz fallen lassen und dem Mann am Steuer, einem geschniegelten Mittvierziger, kichernd zu verstehen gegeben, dass sie ihren Tank leergefahren habe. Sie kicherte immer noch, als sie ihn bat, sie einmal um den Block zu fahren. Er sagte nicht viel, bog einmal links ab, dann nach rechts, blieb schließlich hinter einem riesigen Mietlager stehen und schaltete den Motor aus.
Nun wurde ihr doch mulmig. In Gegenwart eines völlig Fremden gab es immer einen solchen Moment, der einem fast Angst machte, auch wenn man sich einredete, keine Angst haben zu müssen, weil es im Grunde nichts gab, was ein Arschloch von einem verlangen konnte, das man nicht längst zu geben bereit war.
Aber dann wandte er sich ihr zu, und sie starrte in ein flaches, unfreundliches Gesicht mit kantigen Kieferknochen, zusammengepressten Lippen und tiefschwarzen Augen.
Und dann, als hätte er gewusst, wie sie reagieren würde, als wollte er diesen Moment ihrer Irritation genießen, hob er den Schirmseiner Baseballkappe an und zeigte ihr seine Stirn.
Ginny schloss in ihrer Jackentasche die Hand um Tommys Ring, denn ihr war auf den ersten Blick gleich einiges klar: Ihre Mutter würde ihr nicht mehr wegen ihres Zuspätkommens in den Ohren liegen, und Tommy würde sich ihretwegen vor seinen Freunden nicht schämen müssen.
Denn dieser Mann würde sie nicht mehr nach Hause zurücklassen.
Manche Mädchen waren schlau, andere schnell auf den Beinen, wiederum andere überdurchschnittlich stark. Ginny, die arme Ginny Jones, hatte schon vor vier Jahren, als der Freund ihrer Mutter zum ersten Mal in ihrem Schlafzimmer aufgekreuzt war, lernen müssen, dass ihr nur eines blieb, um sich zu retten.
«Na schön», sagte sie forsch. «Bringen wir es hinter uns. Du erzählst mir, was du von mir willst, und ich ziehe mich aus.»
Kapitel 1
Es gibt Dinge, die einem niemand beibringen kann und nur aus eigener Erfahrung zu lernen sind:
Anfangs tut es einfach nur weh. Du schreist. Du schreist und schreist, bis dir die Kehle rau wird, die Augen geschwollen sind und dir ein Geschmack auf der Zunge liegt, der so bitter ist wie Galle, vermischt mit Erbrochenem und Tränen. Du weinst und rufst nach deiner Mutter. Du betest zu Gott. Du verstehst nicht, was da geschieht. Du kannst es nicht glauben.
Und doch geschieht es.
Und so verstummst du nach und nach.
Der Schrecken dauert nicht ewig. Das kann er nicht. Ihn aufrechtzuerhalten würde zu viel Kraft erfordern. Schrecken wird ausgelöst durch die Konfrontation mit dem Unbekannten. Aber was einen schon über jedes Maß der Erträglichkeit gequält und eingeschüchtert hat, ist irgendwann nichts Fremdes mehr. Vielmehr wird das, was dich einmal in Schock versetzt hat, dir weiter weh tut und dich in seiner Perversion beschämt, irgendwann zur Normalität, zur Alltäglichkeit, zu einem Teil deines Lebens, ja, zu einem Teil deiner selbst.
Es ist ein Ding unter vielen.
Kapitel 2
«Spinnen sind immer auf Beute aus und dabei selbst permanent in der Gefahr, ihren Fressfeinden zum Opfer zu fallen. Geschickte Tarnung und schnelles Reaktionsvermögen helfen ihnen zu überleben. »
HerbertW. und Lorna R. Levi: Spiders and Their Kin
«Wir haben ein Problem.»
«Eins? Mir fallen auf Anhieb gleich ein paar ein: Unmengen anMeth ist in Umlauf, die Mittelschicht löst sich auf, ganz zu schweigen von den Folgen der globalen Erwärmung ...»
«Nein, nein. Ich meine ein reales Problem.»
Kimberly seufzte. Seit nunmehr drei Tagen kämmten sie den Unfallort durch. Den Gestank von Kerosin und verkohlten Leichen nahm sie schon gar nicht mehr wahr. Ihr war kalt, sie war dehydriert und hatte Seitenstiche. In ihrer Verfassung musste ein reales Problem einiges zu bieten haben, um von ihr ernst genommen zu werden.
Sie nahm den letzten Schluck Wasser aus der Flasche, kehrte der Zeltstadt, die nun das provisorische Kommandozentrum darstellte, den Rücken und wandte sich ihrem Teampartner zu. «Na schön, Harold. Was ist das für ein Problem?»
«Du musst es dir ansehen, sonst glaubst du es nicht.»
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, trabte er davon und ließ Kimberly keine andere Wahl, als zu folgen. Er joggte an der Absperrung des Unfallorts entlang, der bis vor kurzem eine idyllische Aue inmitten dichter Wälder gewesen war. Die Bäume am Rand des Feldes waren bis zurHälfte abrasiert, und durch die grüne Weidefläche zog sich ein tiefer Graben, an dessen Ende ein verrußter Flugzeugrumpf, das Wrack eines John-Deere-Traktors und eine verbogene Tragfläche lagen.
Es gab kaum etwas Schlimmeres als die Ermittlungsarbeit an Absturzstellen, die meist enorm weitflächig waren, von Schadstoffen kontaminiert und übersät mit scharfkantigen Metallfragmenten und Glasscherben. Solche Einsatzgebiete machten selbst denen, die schon seit vielen Jahren Spuren sicherten, schwer zu schaffen. Gegen Ende des dritten Tages hatte Kimberlys Team die Wo-sollen-wir-eigentlich-anfangen- Phase abgeschlossen und war dazu übergegangen, den Befund zu dokumentieren in der Hoffnung, am Abend des nächsten Tages nach getaner Arbeit wieder zu Hause zu sein. In dieser Phase konnte man sich mal eine Verschnaufpause gönnen, anstatt einfach bloß die nächste Aspirin mit einem Schluck Kaffee runterzuspülen, wenn man am Limit war.
Umso rätselhafter war es, dass Harold sie nun von der Kommandozentrale mit ihren knatternden Generatoren und dem Gewusel Dutzender Ermittler weglockte ...
Er lief immer noch an der Absperrung entlang. Fünfzig Meter, einhundert, einen halben Kilometer weit ...
«Harold, wohin?»
«Halt durch, du schaffst es. In fünf Minuten sind wir da.»
Harold legte noch einen Schritt zu. Kimberly biss die Zähne zusammen und blieb ihm auf den Fersen. Am Ende der Absperrung bog Harold nach rechts in den Waldabschnitt ein, durch den das abstürzende Flugzeug eine Schneise geschlagen hatte. Zerfetzte Baumkronen ragten in den bedeckten Winterhimmel auf.
«Wehe, es lohnt sich nicht.»
«Wart's ab.»
«Wenn du mir irgendein seltenes Moos oder eine gefährdete Pilzsorte zeigen willst, gibt's Saures.»
«Daran zweifle ich nicht.»
Er lief im Zickzack um Baumstümpfe herum und zwängte sich durch dichtes Unterholz. Dann blieb er endlich stehen, so abrupt, dass Kimberly ihn fast umgerannt hätte.
«Sieh mal nach oben», sagte Harold.
Kimberly gehorchte. «Oh, Scheiße. Wir haben ein Problem. »
FBI Special Agent Kimberly Quincy war nicht nur schön und mit einem klugen Kopf gesegnet, sondern auch eine geborene Polizistin, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihr Vater war ehemaliger FBI-Profiler und hatte sich als solcher einen Ruf erworben, der dem eines Douglas oder Ressler in nichts nachstand. Sie hatte schulterlanges dunkelblondes Haar, hellblaue Augen und ein geradezu edel geschnittenes Gesicht, das sie ihrer verstorbenen Mutter verdankte. Um Letztere rankten sich Gerüchte, die Kimberly vermutlich bis ans Ende ihrer beruflichen Laufbahn begleiten würden.
Kimberly war eins achtundsechzig, schlank, athletisch gebaut und als ungemein ausdauernd bekannt, treffsicher im Umgang mit Schusswaffen und heikel bis schwierig im persönlichen Umgang. Jedenfalls gehörte sie nicht zu jenen Teamkollegen, die Liebe auf den ersten Blick zu wecken vermochten, aber dafür wusste sie sich Respekt zu verschaffen.
Sie stand vor dem vierten Jahr ihrer Anstellung im FBI Büro von Atlanta, war seit einiger Zeit mit Schwerverbrechen befasst und leitete eines der drei Evidence-Response-Teams vor Ort, die vor allem mit kriminaltechnischen Aufgaben betraut waren. Bis vor ungefähr fünf Monaten hatte sie berechtigte Aussicht auf eine steile Karriere gehabt. Von einem Karriereknick konnte aber auch nicht die Rede sein. Denn abgesehen davon, dass sie am Schießtraining nicht mehr teilnehmen durfte, hatte sich, was ihren Dienst anging, nichts geändert. Das FBI-Büro von heute betrachtete sich schließlich als eine aufgeklärte, den Tugenden der geschlechtlichen Gleichstellung und Fairness verpflichtete Behörde. Jedenfalls war es, wie die Agenten zu scherzen beliebten, nicht mehr das FBI ihres Vaters.
Momentan sah sich Kimberly allerdings vor weitaus größere Probleme gestellt. Drei Schritte außerhalb der abgesteckten Unglücksstelle hing in einem riesigen Rhododendronbusch ein abgetrenntes Bein.
«Dass du das überhaupt gesehen hast. Wie zum Teufel hast du das entdeckt?», fragte Kimberly, als sie mit Harold zur Kommandozentrale zurückeilte.
«Vögel haben mich drauf aufmerksam gemacht», antwortete er. «Ich sah immer wieder Schwärme aufflattern und dachte, sie würden von einem Raubtier aufgeschreckt. Und dann fragte ich mich, was ein Raubtier dort zu suchen haben mochte. Tja ...» Er zuckte mit den Achseln. «Den Rest kannst du dir denken.»
Kimberly nickte, obwohl sie sich als Stadtmensch auf das Verhalten wilder Tiere nicht besonders gut verstand. Harold hingegen war in einem Blockhaus aufgewachsen und hatte früher für den Forstdienst gearbeitet. Er konnte die Spuren von Rotluchsen lesen, Hirsche häuten und anhand des Wachstums von Moosen an Bäumen das Wetter vorhersagen. Seiner Statur nach - eins fünfundachtzig bei gerade mal knapp achtzig Kilo - erinnerte er allerdings weniger an einen Holzfäller als an einen Telegraphenmast. Aber man durfte sich nicht täuschen: Zwanzig Meilen waren für ihn locker an einem Tag zu schaffen. Als im Zuge der Ermittlungen gegen den Bombenleger im Olympiapark von Atlanta alle drei ERTs einen entlegenen Zeltplatz in den Bergen hatten aufsuchen müssen, war Harold auf steilem, dicht bewaldetem Gelände eine Stunde vor allen anderen am Ziel gewesen.
«Wirst du Rachel informieren?», fragte er jetzt. «Oder soll ich?»
«Ich finde, du solltest das Verdienst für deine Entdeckung ganz allein für dich in Anspruch nehmen.»
«Ach was. Du leitest das Team. Und sie wird dich schon nicht fressen.» Er betonte den letzten Satz deutlicher als nötig. Kimberly verstand ohnehin. Und natürlich hatte er recht.
Sie massierte ihre Seite und gab sich unbeeindruckt.
Das Problem hatte am Samstagmorgen seinen Anfang genommen, als eine Boeing 727 um 6:05 Uhr vom Flughafen Charlotte, North Carolina, abgehoben war. Mit drei Besatzungsmitgliedern und einem Frachtraum voller Postsendungen sollte sie um 7:20 Uhr in Atlanta landen. Die Luft war feucht und neblig, es drohte Eisschlag.
Was sich im Einzelnen zugetragen hatte, würde die Nationale Behörde für Transportsicherheit, kurz NTSB, feststellen müssen. Jedenfalls hatte die Maschine kurz nach 7:15 Uhr beim Anflug auf die Landebahn mit der rechten Tragfläche ein paar Baumwipfel gestreift, war auf eine Weide gestürzt, hatte sich einmal im Kreis gedreht, einen Mähdrescher, zwei Lastwagen und einen Traktor mitgerissen und war nach einer knapp achthundert Meter langen Rutschpartie in Flammen aufgegangen, nachdem sie eine Wolke von Trümmerteilen hatte abregnen lassen.
Als die Rettungsfahrzeuge eintrafen, gab es nichts mehr zu retten. Übrig geblieben waren nur auf weiter Fläche verstreute Bruchstücke samt der Leichenteile dreier Personen, vier zerstörte landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge und der Niederschlag von U.S. Mail im Umfang eines Schneesturms. Experten der NTSB rückten an und übernahmen das Kommando über die Aufräumarbeiten gemäß einem zwischen der NTSB und dem FBI geregelten Abkommen. Die drei ERTs aus Atlanta wurden hinzugezogen, um bei der Spurensicherung zu assistieren.
Rachel Childs, die dienstälteste FBI-Vertreterin vor Ort, hatte als Erstes die Unglücksstelle absperren lassen. Bei Explosionen und Flugzeugabstürzen wird einer Faustregel entsprechend der Abstand zwischen den am weitesten auseinanderliegenden Trümmerteilen mit dem Faktor eins Komma fünf multipliziert. Im vorliegenden Fall ergab sich nach dieser Berechnung eine Fläche von vier Kilometern Länge und achthundert Metern Breite - also nicht gerade das, was Spurensicherungsexperten jeden Tag vorgesetzt bekommen.
Es war der perfekte Einsatzort für das neuste Spielzeug des FBI: die Totalstation, ein modifizierter Tachymeter, wie er von Vermessungstechnikern verwendet wurde, ausgestattet mit einer speziellen Software, die aus den Messdaten blitzschnell millimetergenaue 3-D-Modelle entwickelte, über die Ermittler am Ende ihrer Schicht brüten konnten.
Das Verfahren war relativ einfach, die Auswertung umso arbeitsintensiver. Zuerst mussten Dutzende von Kriminaltechnikern sämtliche Beweisstücke klassifizieren und markieren. Handelte es sich um Wrackteile, menschliche Überreste oder Wertgegenstände? Als Nächstes versah ein sogenannter rod man - also derjenige, der bei üblichen Landvermessungen die Messlatte hielt - jedes Beweisstück mit einem Glasreflektor. Auf die richtete dann der Kollege die Laserkanone, mit der sich bis auf eine Entfernung von fünf Kilometern optische Daten einholen ließen. Das Ganze überwachte der sogenannte spotter/recorder, der für die Zählung und Dokumentation der einzelnen Beweisstücke zuständig war.
Alle Beteiligten arbeiteten hart, mit dem Ergebnis, dass sich in relativ kurzer Zeit das Chaos auf dem Feld in ein übersichtliches Computermodell verwandelt hatte, das der Laune des Schicksals fast so etwas wie einen Sinn verlieh. Krankhaft ordnungsfixierte Kontrollfetischisten hätten ihre helle Freude daran, und Kimberly musste sich in beiden Punkten schuldig bekennen. Allzu gern wäre sie der rod man gewesen, hatte sich aber diesmal mit den Aufgaben des spotters/recorders begnügen müssen.
Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
... weniger
Autoren-Porträt von Lisa Gardner
Gardner, LisaLisa Gardner gehört zu den erfolgreichsten amerikanischen Thrillerautoren der Gegenwart, jeder ihrer Romane schaffte es in die Top Ten. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und zwei Hunden in New Hampshire.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lisa Gardner
- 2014, 2. Aufl., 544 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung:Windgassen, Michael
- Übersetzer: Michael Windgassen
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499255847
- ISBN-13: 9783499255847
- Erscheinungsdatum: 01.04.2014
Kommentare zu "Du darfst nicht lieben"
0 Gebrauchte Artikel zu „Du darfst nicht lieben“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3.5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Du darfst nicht lieben".
Kommentar verfassen