Die türkische Mätresse
Historischer Roman
Dresden, um 1700: Als August der Starke der Hofdame Fatima begegnet, verfällt er der aussergewöhnlichen Türkin sofort. Doch es ergeht ihr wie so vielen: Sobald August die Gunst einer Frau gewonnen hat, will er sie wieder loswerden. Fatima sinnt auf Rache....
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Produktinformationen zu „Die türkische Mätresse “
Klappentext zu „Die türkische Mätresse “
Dresden, um 1700: Als August der Starke der Hofdame Fatima begegnet, verfällt er der aussergewöhnlichen Türkin sofort. Doch es ergeht ihr wie so vielen: Sobald August die Gunst einer Frau gewonnen hat, will er sie wieder loswerden. Fatima sinnt auf Rache. Bitter enttäuscht von ihrem geliebten König, reist sie heimlich auf gefährlicher Mission ins Osmanische Reich. Tausende Kilometer entfernt erkennt der sächsische König, dass er Fatima unterschätzt hat ...Lese-Probe zu „Die türkische Mätresse “
Die türkische Mätresse von Ralf GüntherPROLOG
Ofen im Sommer 1686
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Den Gesang jenes Sommers sangen nicht die Nachtigallen und nicht die Lerchen, sondern die Kanonen. Das Donnern erhob sich mit dem ersten Morgenlicht, schwoll an bis zum Mittag und ebbte mit dem vergehenden Tag wieder ab. Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche - wie ein Gewitter, das nicht fortziehen will.
Um die Mitte des Monats August erzählte man sich in der belagerten Stadt Ofen, am rechten Ufer der Donau gelegen, das Entsatzheer des Sultans sei eingetroffen, einige Tausend Mann. Doch immer noch zehnfach unterlegen dem Heer der Giauren, das die Mauern fest umschlungen hielt. Der Feldherr der Rechtgläubigen, Suleiman Pascha, mied die offene Feldschlacht. Er begnügte sich damit, die Nachschubwege der Belagerer durch kleinere Scharmützel zu stören. Das aber machte den Feind nicht schwächer, sondern mutiger. Am 2. September 1686 ging das christliche Heer über zum Sturm auf die mohammedanische Stadt.
Obwohl sie fast noch ein Kind war und vom Kriegshandwerk nichts verstand, spürte Fatima die allgegenwärtige Angst. Was konnten Kinder, Händler, Geistliche und Frauen schon ausrichten gegen diese Christenkrieger, diese klirrenden Riesen aus Platten und Ketten, die in der Sonne glitzerten wie Eis? Wenn sie nur vermocht hätte, einen Säbel zu tragen, sie wäre in den Kampf gezogen. Gebt mir einen Dolch, ein Messer, was immer wir im Haus haben!, bettelte sie. Jeder, der kämpfen kann, muss kämpfen! Doch man verlachte sie nur. Du? Was willst denn du?
Die Familie hockte lieber beieinander und zitterte. Und betete.
Dann, zum ersten Mal in diesem Sommer, ebbte das Donnern ab. Schon sprang Fatima auf, um den Sieg zu bejubeln, da wurde das Grollen abgelöst von Schreien. Nicht viele Schreie, nein, ein einziger Schrei war es, der sich die Gassen heraufwälzte. Immer lauter gellte es an ihr Ohr, das Betteln um Gnade - »Amman, Amman!« -, gefolgt von Todesschreien. Wie man es ihr erzählt hatte: Die Christen kannten keine Gnade. Nicht mit den Rechtgläubigen.
Die Tür wurde aufgetreten, mehrere Eisenkrieger drangen scheppernd ins Haus, mit den Klingen zerteilten sie die Luft über ihren Köpfen. Rasch waren sie über ihnen, zwischen ihnen, rissen die Familie mit ehernem Griff auseinander. Fatima hörte Schreie, hoch und schrill. Ein glühender Schmerz am Kopf, als wollte man ihr die Stirn spalten. Doch es war kein Schwert, nur die Faust eines Mannes. An den Haaren zog man sie hinaus auf die Gasse. Fatima hob den Arm vors Gesicht. Sie war von der Sonne geblendet - und vom Tod. Verstreut lagen Leiber, ohne Kopf und ohne Glieder. Juden, Türken, Tataren, Armenier - wer immer in der Stadt zu Hause gewesen war, nun waren sie alle gleich. Die Furchen, vom Regen ausgewaschen, füllten sich mit Blut. Rot und zäh durchzogen Blutbäche die Wege. Schwaden von Blutdunst machten die Luft schwer, es roch nach feuchtem Eisen. Fatima musste würgen.
Der Kriegsmann, der sie immer noch an den Haaren hielt, stieß einen Verschlag auf - einen Stall oder Hühnerschuppen -, wollte Fatima hineindrängen. Panik weckte ihre Gegenwehr, sie trat und biss und kratzte - bis ihr Peiniger von einem Herrn auf einem Pferd zur Ordnung gerufen wurde. Ein Wortwechsel, hitzig geführt, Fatima verstand nichts. Selbst wenn sie die Sprache der Giauren erlernt hätte, die Schreie woben ein dichtes Geflecht, durch das kaum ein menschliches Wort drang.
Schließlich schien der Streit entschieden. Widerwillig schob der Eisenmann Fatima dem Herrn zu Pferd entgegen. Der hob sie auf. Nun konnte sie weit blicken, die Gassen hinunter, fast bis zum Tor. Doch wohin sie auch sah, sie sah nur Blut und Tod. Und immer noch sanken neue Opfer auf die Toten, die wie eine Flut aus Leibern die Häuser und Hütten umbrandeten. Da sank Fatima zusammen, und eine Ohnmacht empfing sie mit sanft en Armen.
Dresden im Juni 1694
Das Kichern der jungen Frauen hallte durch die Treppenflure des Schlosses. »Madame, lasst mich nicht zurück!«, rief die Jüngere der beiden. Die Ältere lachte zur Antwort, rafft e ihr Kleid und hüpfte weiter hinauf. »Ein Einbeiniger läuft schneller als du, Fatima!« Aurora von Königsmarck flog förmlich über die Sandsteinstufen. Die Jüngere war als Erste außer Atem. Sie hielt sich keuchend am Handlauf fest. »Sie haben mich gelehrt, Madame«, sagte sie stockend, »dass es nicht schaden kann, die Männer warten zu lassen.«
Die Ältere wandte sich auf dem Treppenabsatz um. »Die Männer wohl, nicht aber einen Kurfürsten!«
Als die Jüngere ein wenig zu Atem gekommen war, zog sie sich die Schuhe aus und nahm sie in die Hand. Maria Aurora lachte. »Wenn du barfuß gehst, wird man dich für eine türkische Sklavin halten.« Wie ein Beil fiel peinliches Schweigen zwischen sie. Nach einer kurzen Irritation wurde Maria Aurora bewusst, was sie gesagt hatte. Sie prüfte Fatimas Blick, ob sie es als Beleidigung auffasste. Doch dann brachen sie beide zugleich in prustendes Lachen aus.
Wann genau sie sich verirrt hatten, wussten sie nicht. Die Lakaien und Wachen, denen sie begegneten, waren entweder zu stolz, um mit ihnen zu sprechen, oder sie benutzten statt des geläufigen Hoffranzösisch ein unverständliches Kauderwelsch. Und dann dieses Schloss mit seinen vielen Treppenaufgängen, Fluren, Höfen und Türmen - ein Minotaurus-Palast gegen den strengen Plan des Stockholmer Schlosses!
Aurora wandte sich um und wollte ihren Weg fortsetzen, in der Drehung prallte sie fast gegen einen Herrn in Hofuniform. Kein Lakai, das sah sie mit geübtem Blick, sondern ein Mensch, der ein Amt bei Hofe bekleidete. Er räusperte sich indigniert und sagte dann: »Wo bleiben Sie denn, Madame? Der Kurfürst wünscht Sie zu sehen.«
Aurora hörte Fatima keuchen und blickte hinter sich. »Ja, wo bleiben wir denn? Der Kurfürst wünscht uns zu sehen«, wiederholte sie mit einem koketten Augenzwinkern.
Fatima ordnete ihre Kleider. »Dann werden wir wenigstens nicht verhungern.«
Kopfschüttelnd setzte sich der Hofbeamte in Bewegung und vertraute darauf, dass die Damen ihm folgten. Aurora senkte den Kopf. »Wir haben uns verirrt«, bemühte sie sich um Erklärung. Ohne sich umzuwenden, fertigte der Hofbeamte sie mit einem Grummeln ab. Da fi el Auroras Blick auf Fatimas blanke Füße, und sie musste wieder kichern. Fatima konnte nicht an sich halten, und beide prusteten los. Der Hofbedienstete zischte, um die Frauen zur Ordnung zu rufen, dann drohte er mit dem Finger, doch ohne jede Wirkung. Die Frauen standen auf der Treppe, hielten sich die Bäuche, und das Lachen hallte durch die Flure.
In der vergangenen Nacht, ihrer ersten in Dresden, hatte Fatima einen Traum gehabt. Sie träumte häufig, denn sie wusste wenig über ihr vergangenes Leben. Tiefe Nacht hatte sich über ihre Herkunft gesenkt, und es musste Nacht werden, damit sich der Schleier gelegentlich hob. Es waren grausame Träume, voller Blut und Tod. Doch selbst die wildesten von ihnen verrieten wenig, manches Nachtbild warf sie nur noch tiefer ins Ungewisse. So auch dieses: Über einem schwarzen Forst - so schwarz, wie es ihn nur in Schweden gab - flogen zwei Tauben. Wie Peitschenhiebe knallten ihre Flügelschläge durch die Luft, denn sie waren jung und voller Lebenslust. In ihrer Ausgelassenheit vollführten sie waghalsige Manöver. Sie neckten sich, und wenn es im Flug möglich gewesen wäre, hätten sie fortwährend die Schnäbel gekreuzt. Plötzlich verdunkelten drei Schatten die Sonne - Adler auf der Suche nach Beute. Im Traum schrie Fatima auf, sie wollte die Tauben warnen. Doch klein und unbedeutend stand sie auf dem Erdboden, während die Vögel hoch über ihr Kapriolen schlugen. Ihre Stimme war zu leise, um so weit hinaufzudringen. Dann schien es, als habe eine der Tauben die Adler entdeckt. Doch anstatt zu fliehen, flog sie höher und höher hinauf, den Adlern entgegen. Sie warf sich den Raubvögeln in die tödlichen Fänge und wurde noch im Flug geschlagen. Während die drei ihre Aufmerksamkeit auf die erste Taube richteten, verschwand die zweite. Der Himmel war leer, bis auf das Blut, das aus dem Herzen der ersten auf die Erde tropfte. Da formte Fatima aus ihren Händen eine Schale und fing es auf.
Sie erwachte schweißgebadet. Es war früher Morgen, die Lerchen stimmten fröhlich ihre Lieder an. Doch der Ernst des Traumes hielt Fatima gefangen. Lebendig wie tatsächliches Erleben stand er ihr vor Augen. Sie wusste, dass er kein Zufall war. Der Traum gehörte zu dieser Nacht und an diesen Ort und zu Aurora von Königsmarck, ihrer Herrin und Mutter. Als Aurora sie nach ihrer Nacht befragte, hätte Fatima den Traum erzählen können. Hätte ihn erzählen müssen, das hätte dem Tag wohl einen anderen Verlauf gegeben. Doch an diesem Morgen hatte Fatima geschwiegen.
Allmählich bevölkerten sich die Flure mit Hofuniformen und bauschigen Kleidern. Wache, bisweilen listige Augen begutachteten Aurora und ihre Begleiterin. Die Gräfin wandte sich zu Fatima um und raunte: »Zieh die Schuhe an!«
»Ich habe Angst, Sie aus den Augen zu verlieren!«, flüsterte Fatima zurück.
Aurora seufzte. Nur schwerlich war die Ziehtochter als Hofdame auszugeben. Mit ihren etwa neunzehn Jahren - nicht einmal sie selbst kannte ihr genaues Alter - war ihr Dekolleté so flach wie der Rücken einer Bergziege, ihre künftige Schönheit jedoch schon zu erahnen. Die europäische Mode zwang sie freilich dazu, die bronzene Haut unter einer dicken Schicht Puder zu verbergen und das dunkle Haar unter einer Perücke. Allein die Augen, mandelförmig und zur markanten Nase hin leicht schräg, verrieten ihre türkische Herkunft.
Sie gerieten in ein Gedränge und kamen zum Stillstand. Fächer wurden gesenkt, um Maria Aurora Gräfin von Königsmarck besser betrachten zu können. Längst war sie Gegenstand des Getuschels. Weil Klatsch an den Höfen ein Generalvergnügen war, sagte man der reifen, aber unverheirateten Frau zahlreiche Affären nach. Doch Gerüchte waren wie Reifröcke: viel Luft, wenig Substanz. Fatima hielt sich an der Ziehmutter fest und schlüpfte in ihre Schuhe. Dies verursachte neues Geraune.
Endlich bewegte sich der Pulk in den Saal hinein. Rechts und links flankierten Diener in Hoflivree den Eingang. Obwohl es draußen noch einmal dämmerte, war der Saal in das Licht Hunderter Fackeln getaucht. Aurora schlug das Herz bis zum Hals.
»Ich dachte, es handelt sich um eine Privataudienz ...«, stammelte sie, obwohl dies nun auch nichts mehr änderte.
»Ihro Wohlgeboren, Maria Aurora Gräfin von Königsmarck mitsamt Gefolge«, vermeldete der Hofmarschall. Seine Stimme bebte ironisch, denn das ›Gefolge‹ bestand einzig aus Fatima. Und da ein Vorname bei Hofe nicht ausreichte, setzte er einen Namen hinzu, den sie noch nie gehört hatte: »Fatima von Kariman. « Noch mehr Köpfe flogen zu ihnen herum, Hälse reckten sich. Fächer, die gerade eben noch in der Luft schwirrten, froren mitten in der Bewegung ein.
»Mein Gott!«, entfuhr es Fatima, die sich dicht hinter der Freundin und Ziehmutter hielt. Der Hofmarschall warf Aurora eine knappe Geste zu, dass sie nun endlich vor den durchlauchtigsten Kurfürsten treten möge.
Etwas mehr als vierzehn Monate zuvor, im April des Jahres 1693, waren sie sich in Hamburg begegnet. Er - frisch verheiratet - war seiner Gattin bereits überdrüssig geworden und reiste unter dem Titel eines kurfürstlichen Prinzen, eine Rolle, die ihm weitaus mehr behagte als die des Ehegatten. Bei ihrer ersten Begegnung von Angesicht zu Angesicht hatte August begonnen, Aurora den Hof zu machen. Sie war standhaft geblieben. Doch mit seinem Charme war es ihm gelungen, sich einen Platz im Herzen der nicht mehr ganz jungen Gräfin zu erobern.
Eine Vielzahl von Visagen drängte sich in ihr Blickfeld, und sie versuchte, seine markanten Züge mit den kräftigen, männlichen Brauen ausfindig zu machen. Mit jedem Schritt, den sie tiefer in den Saal hinein tat, wich die Menge weiter zurück. Eine Gasse öffnete sich, und sie musste ihr nur folgen, um mit einem leichten Schwenk kurz vor der Stirnseite des Saales direkt vor August zu gelangen. Ein Lächeln verzauberte Auroras Gesicht, als sie ihn endlich erblickte. Er erwiderte es. Aus seinem Blick sprach Gefallen. Seine lockenreiche strahlend weiße Perücke war auftoupiert, mit einem kräftigen Scheitel mitten auf dem Haupt. Er erhob sich von seinem leicht erhöhten Sitz, der mit goldbrokatenem Stoff gepolstert, aber ohne weitere Verzierungen war. Neben ihm, auf einem weniger auffälligen und wohl auch weniger bequemen Sitz, die bayerische Gattin. Sie verzichtete darauf, sich zu erheben. Mit Hochmut, wenn nicht gar Verachtung, musterte sie die Frau, die der Gatte so ungeduldig herbeigesehnt hatte. Nun strebte er auch noch auf sie zu, streckte die Hände nach ihr aus, als wollte er sie umarmen, die Dirne. Pfui!
»Meine Göttin der Morgenröte!«, rief er in sächsisch gefärbtem, ein wenig breitem Französisch. Aurora war erschrocken, doch nicht so sehr, dass sie den Hofknicks vergaß. Sie sank vor ihm nieder, wie es sich geziemte, und sprach artige Worte der Begrüßung. Geduldig wartete er ab, bis sie geendet hatte, dann reichte er ihr den Arm, damit sie die Hand darauf legen konnte, und begann, ungeachtet seiner düpierten Gattin, eine Tour d'Honneur durch den Saal. Aurora vergaß die missgünstigen Blicke und das Getuschel um sie herum. Nur dass Fatima sich noch immer ängstlich hinter ihr hielt, das spürte sie.
Copyright © List Verlag
Den Gesang jenes Sommers sangen nicht die Nachtigallen und nicht die Lerchen, sondern die Kanonen. Das Donnern erhob sich mit dem ersten Morgenlicht, schwoll an bis zum Mittag und ebbte mit dem vergehenden Tag wieder ab. Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche - wie ein Gewitter, das nicht fortziehen will.
Um die Mitte des Monats August erzählte man sich in der belagerten Stadt Ofen, am rechten Ufer der Donau gelegen, das Entsatzheer des Sultans sei eingetroffen, einige Tausend Mann. Doch immer noch zehnfach unterlegen dem Heer der Giauren, das die Mauern fest umschlungen hielt. Der Feldherr der Rechtgläubigen, Suleiman Pascha, mied die offene Feldschlacht. Er begnügte sich damit, die Nachschubwege der Belagerer durch kleinere Scharmützel zu stören. Das aber machte den Feind nicht schwächer, sondern mutiger. Am 2. September 1686 ging das christliche Heer über zum Sturm auf die mohammedanische Stadt.
Obwohl sie fast noch ein Kind war und vom Kriegshandwerk nichts verstand, spürte Fatima die allgegenwärtige Angst. Was konnten Kinder, Händler, Geistliche und Frauen schon ausrichten gegen diese Christenkrieger, diese klirrenden Riesen aus Platten und Ketten, die in der Sonne glitzerten wie Eis? Wenn sie nur vermocht hätte, einen Säbel zu tragen, sie wäre in den Kampf gezogen. Gebt mir einen Dolch, ein Messer, was immer wir im Haus haben!, bettelte sie. Jeder, der kämpfen kann, muss kämpfen! Doch man verlachte sie nur. Du? Was willst denn du?
Die Familie hockte lieber beieinander und zitterte. Und betete.
Dann, zum ersten Mal in diesem Sommer, ebbte das Donnern ab. Schon sprang Fatima auf, um den Sieg zu bejubeln, da wurde das Grollen abgelöst von Schreien. Nicht viele Schreie, nein, ein einziger Schrei war es, der sich die Gassen heraufwälzte. Immer lauter gellte es an ihr Ohr, das Betteln um Gnade - »Amman, Amman!« -, gefolgt von Todesschreien. Wie man es ihr erzählt hatte: Die Christen kannten keine Gnade. Nicht mit den Rechtgläubigen.
Die Tür wurde aufgetreten, mehrere Eisenkrieger drangen scheppernd ins Haus, mit den Klingen zerteilten sie die Luft über ihren Köpfen. Rasch waren sie über ihnen, zwischen ihnen, rissen die Familie mit ehernem Griff auseinander. Fatima hörte Schreie, hoch und schrill. Ein glühender Schmerz am Kopf, als wollte man ihr die Stirn spalten. Doch es war kein Schwert, nur die Faust eines Mannes. An den Haaren zog man sie hinaus auf die Gasse. Fatima hob den Arm vors Gesicht. Sie war von der Sonne geblendet - und vom Tod. Verstreut lagen Leiber, ohne Kopf und ohne Glieder. Juden, Türken, Tataren, Armenier - wer immer in der Stadt zu Hause gewesen war, nun waren sie alle gleich. Die Furchen, vom Regen ausgewaschen, füllten sich mit Blut. Rot und zäh durchzogen Blutbäche die Wege. Schwaden von Blutdunst machten die Luft schwer, es roch nach feuchtem Eisen. Fatima musste würgen.
Der Kriegsmann, der sie immer noch an den Haaren hielt, stieß einen Verschlag auf - einen Stall oder Hühnerschuppen -, wollte Fatima hineindrängen. Panik weckte ihre Gegenwehr, sie trat und biss und kratzte - bis ihr Peiniger von einem Herrn auf einem Pferd zur Ordnung gerufen wurde. Ein Wortwechsel, hitzig geführt, Fatima verstand nichts. Selbst wenn sie die Sprache der Giauren erlernt hätte, die Schreie woben ein dichtes Geflecht, durch das kaum ein menschliches Wort drang.
Schließlich schien der Streit entschieden. Widerwillig schob der Eisenmann Fatima dem Herrn zu Pferd entgegen. Der hob sie auf. Nun konnte sie weit blicken, die Gassen hinunter, fast bis zum Tor. Doch wohin sie auch sah, sie sah nur Blut und Tod. Und immer noch sanken neue Opfer auf die Toten, die wie eine Flut aus Leibern die Häuser und Hütten umbrandeten. Da sank Fatima zusammen, und eine Ohnmacht empfing sie mit sanft en Armen.
Dresden im Juni 1694
Das Kichern der jungen Frauen hallte durch die Treppenflure des Schlosses. »Madame, lasst mich nicht zurück!«, rief die Jüngere der beiden. Die Ältere lachte zur Antwort, rafft e ihr Kleid und hüpfte weiter hinauf. »Ein Einbeiniger läuft schneller als du, Fatima!« Aurora von Königsmarck flog förmlich über die Sandsteinstufen. Die Jüngere war als Erste außer Atem. Sie hielt sich keuchend am Handlauf fest. »Sie haben mich gelehrt, Madame«, sagte sie stockend, »dass es nicht schaden kann, die Männer warten zu lassen.«
Die Ältere wandte sich auf dem Treppenabsatz um. »Die Männer wohl, nicht aber einen Kurfürsten!«
Als die Jüngere ein wenig zu Atem gekommen war, zog sie sich die Schuhe aus und nahm sie in die Hand. Maria Aurora lachte. »Wenn du barfuß gehst, wird man dich für eine türkische Sklavin halten.« Wie ein Beil fiel peinliches Schweigen zwischen sie. Nach einer kurzen Irritation wurde Maria Aurora bewusst, was sie gesagt hatte. Sie prüfte Fatimas Blick, ob sie es als Beleidigung auffasste. Doch dann brachen sie beide zugleich in prustendes Lachen aus.
Wann genau sie sich verirrt hatten, wussten sie nicht. Die Lakaien und Wachen, denen sie begegneten, waren entweder zu stolz, um mit ihnen zu sprechen, oder sie benutzten statt des geläufigen Hoffranzösisch ein unverständliches Kauderwelsch. Und dann dieses Schloss mit seinen vielen Treppenaufgängen, Fluren, Höfen und Türmen - ein Minotaurus-Palast gegen den strengen Plan des Stockholmer Schlosses!
Aurora wandte sich um und wollte ihren Weg fortsetzen, in der Drehung prallte sie fast gegen einen Herrn in Hofuniform. Kein Lakai, das sah sie mit geübtem Blick, sondern ein Mensch, der ein Amt bei Hofe bekleidete. Er räusperte sich indigniert und sagte dann: »Wo bleiben Sie denn, Madame? Der Kurfürst wünscht Sie zu sehen.«
Aurora hörte Fatima keuchen und blickte hinter sich. »Ja, wo bleiben wir denn? Der Kurfürst wünscht uns zu sehen«, wiederholte sie mit einem koketten Augenzwinkern.
Fatima ordnete ihre Kleider. »Dann werden wir wenigstens nicht verhungern.«
Kopfschüttelnd setzte sich der Hofbeamte in Bewegung und vertraute darauf, dass die Damen ihm folgten. Aurora senkte den Kopf. »Wir haben uns verirrt«, bemühte sie sich um Erklärung. Ohne sich umzuwenden, fertigte der Hofbeamte sie mit einem Grummeln ab. Da fi el Auroras Blick auf Fatimas blanke Füße, und sie musste wieder kichern. Fatima konnte nicht an sich halten, und beide prusteten los. Der Hofbedienstete zischte, um die Frauen zur Ordnung zu rufen, dann drohte er mit dem Finger, doch ohne jede Wirkung. Die Frauen standen auf der Treppe, hielten sich die Bäuche, und das Lachen hallte durch die Flure.
In der vergangenen Nacht, ihrer ersten in Dresden, hatte Fatima einen Traum gehabt. Sie träumte häufig, denn sie wusste wenig über ihr vergangenes Leben. Tiefe Nacht hatte sich über ihre Herkunft gesenkt, und es musste Nacht werden, damit sich der Schleier gelegentlich hob. Es waren grausame Träume, voller Blut und Tod. Doch selbst die wildesten von ihnen verrieten wenig, manches Nachtbild warf sie nur noch tiefer ins Ungewisse. So auch dieses: Über einem schwarzen Forst - so schwarz, wie es ihn nur in Schweden gab - flogen zwei Tauben. Wie Peitschenhiebe knallten ihre Flügelschläge durch die Luft, denn sie waren jung und voller Lebenslust. In ihrer Ausgelassenheit vollführten sie waghalsige Manöver. Sie neckten sich, und wenn es im Flug möglich gewesen wäre, hätten sie fortwährend die Schnäbel gekreuzt. Plötzlich verdunkelten drei Schatten die Sonne - Adler auf der Suche nach Beute. Im Traum schrie Fatima auf, sie wollte die Tauben warnen. Doch klein und unbedeutend stand sie auf dem Erdboden, während die Vögel hoch über ihr Kapriolen schlugen. Ihre Stimme war zu leise, um so weit hinaufzudringen. Dann schien es, als habe eine der Tauben die Adler entdeckt. Doch anstatt zu fliehen, flog sie höher und höher hinauf, den Adlern entgegen. Sie warf sich den Raubvögeln in die tödlichen Fänge und wurde noch im Flug geschlagen. Während die drei ihre Aufmerksamkeit auf die erste Taube richteten, verschwand die zweite. Der Himmel war leer, bis auf das Blut, das aus dem Herzen der ersten auf die Erde tropfte. Da formte Fatima aus ihren Händen eine Schale und fing es auf.
Sie erwachte schweißgebadet. Es war früher Morgen, die Lerchen stimmten fröhlich ihre Lieder an. Doch der Ernst des Traumes hielt Fatima gefangen. Lebendig wie tatsächliches Erleben stand er ihr vor Augen. Sie wusste, dass er kein Zufall war. Der Traum gehörte zu dieser Nacht und an diesen Ort und zu Aurora von Königsmarck, ihrer Herrin und Mutter. Als Aurora sie nach ihrer Nacht befragte, hätte Fatima den Traum erzählen können. Hätte ihn erzählen müssen, das hätte dem Tag wohl einen anderen Verlauf gegeben. Doch an diesem Morgen hatte Fatima geschwiegen.
Allmählich bevölkerten sich die Flure mit Hofuniformen und bauschigen Kleidern. Wache, bisweilen listige Augen begutachteten Aurora und ihre Begleiterin. Die Gräfin wandte sich zu Fatima um und raunte: »Zieh die Schuhe an!«
»Ich habe Angst, Sie aus den Augen zu verlieren!«, flüsterte Fatima zurück.
Aurora seufzte. Nur schwerlich war die Ziehtochter als Hofdame auszugeben. Mit ihren etwa neunzehn Jahren - nicht einmal sie selbst kannte ihr genaues Alter - war ihr Dekolleté so flach wie der Rücken einer Bergziege, ihre künftige Schönheit jedoch schon zu erahnen. Die europäische Mode zwang sie freilich dazu, die bronzene Haut unter einer dicken Schicht Puder zu verbergen und das dunkle Haar unter einer Perücke. Allein die Augen, mandelförmig und zur markanten Nase hin leicht schräg, verrieten ihre türkische Herkunft.
Sie gerieten in ein Gedränge und kamen zum Stillstand. Fächer wurden gesenkt, um Maria Aurora Gräfin von Königsmarck besser betrachten zu können. Längst war sie Gegenstand des Getuschels. Weil Klatsch an den Höfen ein Generalvergnügen war, sagte man der reifen, aber unverheirateten Frau zahlreiche Affären nach. Doch Gerüchte waren wie Reifröcke: viel Luft, wenig Substanz. Fatima hielt sich an der Ziehmutter fest und schlüpfte in ihre Schuhe. Dies verursachte neues Geraune.
Endlich bewegte sich der Pulk in den Saal hinein. Rechts und links flankierten Diener in Hoflivree den Eingang. Obwohl es draußen noch einmal dämmerte, war der Saal in das Licht Hunderter Fackeln getaucht. Aurora schlug das Herz bis zum Hals.
»Ich dachte, es handelt sich um eine Privataudienz ...«, stammelte sie, obwohl dies nun auch nichts mehr änderte.
»Ihro Wohlgeboren, Maria Aurora Gräfin von Königsmarck mitsamt Gefolge«, vermeldete der Hofmarschall. Seine Stimme bebte ironisch, denn das ›Gefolge‹ bestand einzig aus Fatima. Und da ein Vorname bei Hofe nicht ausreichte, setzte er einen Namen hinzu, den sie noch nie gehört hatte: »Fatima von Kariman. « Noch mehr Köpfe flogen zu ihnen herum, Hälse reckten sich. Fächer, die gerade eben noch in der Luft schwirrten, froren mitten in der Bewegung ein.
»Mein Gott!«, entfuhr es Fatima, die sich dicht hinter der Freundin und Ziehmutter hielt. Der Hofmarschall warf Aurora eine knappe Geste zu, dass sie nun endlich vor den durchlauchtigsten Kurfürsten treten möge.
Etwas mehr als vierzehn Monate zuvor, im April des Jahres 1693, waren sie sich in Hamburg begegnet. Er - frisch verheiratet - war seiner Gattin bereits überdrüssig geworden und reiste unter dem Titel eines kurfürstlichen Prinzen, eine Rolle, die ihm weitaus mehr behagte als die des Ehegatten. Bei ihrer ersten Begegnung von Angesicht zu Angesicht hatte August begonnen, Aurora den Hof zu machen. Sie war standhaft geblieben. Doch mit seinem Charme war es ihm gelungen, sich einen Platz im Herzen der nicht mehr ganz jungen Gräfin zu erobern.
Eine Vielzahl von Visagen drängte sich in ihr Blickfeld, und sie versuchte, seine markanten Züge mit den kräftigen, männlichen Brauen ausfindig zu machen. Mit jedem Schritt, den sie tiefer in den Saal hinein tat, wich die Menge weiter zurück. Eine Gasse öffnete sich, und sie musste ihr nur folgen, um mit einem leichten Schwenk kurz vor der Stirnseite des Saales direkt vor August zu gelangen. Ein Lächeln verzauberte Auroras Gesicht, als sie ihn endlich erblickte. Er erwiderte es. Aus seinem Blick sprach Gefallen. Seine lockenreiche strahlend weiße Perücke war auftoupiert, mit einem kräftigen Scheitel mitten auf dem Haupt. Er erhob sich von seinem leicht erhöhten Sitz, der mit goldbrokatenem Stoff gepolstert, aber ohne weitere Verzierungen war. Neben ihm, auf einem weniger auffälligen und wohl auch weniger bequemen Sitz, die bayerische Gattin. Sie verzichtete darauf, sich zu erheben. Mit Hochmut, wenn nicht gar Verachtung, musterte sie die Frau, die der Gatte so ungeduldig herbeigesehnt hatte. Nun strebte er auch noch auf sie zu, streckte die Hände nach ihr aus, als wollte er sie umarmen, die Dirne. Pfui!
»Meine Göttin der Morgenröte!«, rief er in sächsisch gefärbtem, ein wenig breitem Französisch. Aurora war erschrocken, doch nicht so sehr, dass sie den Hofknicks vergaß. Sie sank vor ihm nieder, wie es sich geziemte, und sprach artige Worte der Begrüßung. Geduldig wartete er ab, bis sie geendet hatte, dann reichte er ihr den Arm, damit sie die Hand darauf legen konnte, und begann, ungeachtet seiner düpierten Gattin, eine Tour d'Honneur durch den Saal. Aurora vergaß die missgünstigen Blicke und das Getuschel um sie herum. Nur dass Fatima sich noch immer ängstlich hinter ihr hielt, das spürte sie.
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Autoren-Porträt von Ralf Günther
Ralf Günther wurde 1967 in Köln geboren. Er schrieb Krimis, Hörspiele, Sachbücher und Kinderbücher und arbeitet als Drehbuchautor. Sein erster historischer Roman Der Leibarzt wurde sofortein Bestseller. Ralf Günther lebt mit seiner Familie in Dresden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ralf Günther
- 2014, 3. Aufl., 560 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548612113
- ISBN-13: 9783548612119
- Erscheinungsdatum: 07.05.2014
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