Die Tochter des Magiers
Roman
Die temperamentvolle Roxy Nouvelle ist die Tochter eines legendären Zauberkünstlers. Von ihm hat sie nicht nur ihre außergewöhnliche Begabung für Magie geerbt, sondern auch die Kunst, reiche Rummelplatzbesucher um ihre Juwelen zu...
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Produktinformationen zu „Die Tochter des Magiers “
Die temperamentvolle Roxy Nouvelle ist die Tochter eines legendären Zauberkünstlers. Von ihm hat sie nicht nur ihre außergewöhnliche Begabung für Magie geerbt, sondern auch die Kunst, reiche Rummelplatzbesucher um ihre Juwelen zu erleichtern. Luke, der als kleiner Junge von der Familie aufgenommen wurde, steht ihr dabei in nichts nach. Die beiden werden Partner - in der Zauberkunst und schließlich auch in Sachen Liebe. Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere holt Lukes Vergangenheit ihn ein und zwingt ihn, spurlos aus dem Leben der Nouvelles zu verschwinden.
Klappentext zu „Die Tochter des Magiers “
Magische FrauenunterhaltungDie temperamentvolle Roxy Nouvelle ist die Tochter eines legendären Zauberkünstlers. Von ihm hat sie nicht nur ihre aussergewöhnliche Begabung für Magie geerbt, sondern auch die Kunst, reiche Rummelplatzbesucher um ihre Juwelen zu erleichtern. Luke, der als kleiner Junge von der Familie aufgenommen wurde, steht ihr dabei in nichts nach. Die beiden werden Partner - in der Zauberkunst und schliesslich auch in Sachen Liebe. Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere holt Lukes Vergangenheit ihn ein und zwingt ihn, spurlos aus dem Leben der Nouvelles zu verschwinden ...
Lese-Probe zu „Die Tochter des Magiers “
Die Tochter des Magiers von Nora RobertsPROLOG
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Plötzlich war die Frau verschwunden. Diese Nummer versetzte die Zuschauer nach wie vor in Staunen, das anspruchsvolle Publikum in Radio City ebenso wie die einfachsten Bauern auf dem Jahrmarkt.
Als Roxanne auf den gläsernen Sockel stieg, spürte sie deutlich die erwartungsvolle Spannung - eine Mischung aus Hoffnung und Skepsis.
Die Magie faszinierte alle Zuschauer gleichermaßen. Genau das hat Max schon immer gesagt, dachte sie. Immer und immer wieder.
Umgeben von Nebelschwaden und angestrahlt von blitzenden Lichtern, stieg der glasklare Sockel zur Melodie von Gershwins Rhapsody in Blue langsam in die Höhe. Er drehte sich zweimal um die eigene Achse, so dass die Menge die darauf stehende Frau von allen Seiten betrachten konnte - und gleichzeitig von dem technischen Trick abgelenkt wurde.
In der Art der Inszenierung, so hatte sie gelernt, lag der einzige Unterschied zwischen plumper Scharlatanerie und Kunst.
Passend zur Musik trug Roxanne ein funkelndes mitternachtsblaues Kleid, das sich eng um ihre hochgewachsene schlanke Gestalt schmiegte - so eng, dass sich unter dieser glitzernden Seide kaum mehr als ihre eigene Haut verbergen konnte. In ihrem Haar, das wie ein rot gelockter Wasserfall bis zur Taille hinabfiel, funkelten Tausende von Sternen.
Vor allem die Männer im Publikum waren hingerissen vom Anblick dieser Frau, die wie aus einer anderen Welt zu sein schien. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht war zur sternenbesäten Bühnendecke erhoben.
Während sie nach oben schwebte, ließ sie die Arme im Rhythmus der Musik hin und her schwingen und hob sie zuletzt hoch über den Kopf. Dies war einerseits ein optisch reizvoller Effekt, andererseits aber auch zur Durchführung des Tricks notwendig.
Der Nebel, die Lichter, die Musik, die Frau - das alles ergab ein wunderschönes Bild, und sie genoss selbst die dramatische Wirkung.
Der Trick war eine äußerst komplizierte Angelegenheit und erforderte eine ungeheure Körperbeherrschung. Alles musste sekundengenau aufeinander abgestimmt sein. Dabei verriet ihr entspanntes Gesicht nicht einmal den Zuschauern in der ersten Reihe etwas von ihrer äußersten Konzentration. Keiner wusste, wie viele Stunden sie die Ausarbeitung dieses Tricks gekostet hatte, bevor sie ihn anschließend in der Praxis ausprobieren und dann durch beharrliches Üben perfektionieren konnte.
Langsam begann sich ihr Körper drei Meter hoch über der Bühne im Rhythmus der Musik zu bewegen. Aus dem Publikum ertönte bewunderndes Raunen und vereinzelter Applaus. Jeder konnte sie sehen, umspielt von bläulichem Nebel und blinkenden Lichtern - das glitzernde Kleid, die wilde Haarmähne, die hell schimmernde Haut.
Doch kaum einen Wimpernschlag später hielten alle den Atem an, denn dort, wo sie eben noch gestanden hatte, richtete sich ein bengalischer Tiger auf den Hinterbeinen auf und fegte fauchend mit den Pranken durch die Luft.
Einen Moment lang herrschte im Publikum vollkommene Stille - die schönste Stille, die es für einen Künstler geben konnte -, ehe donnernder Applaus erscholl. Langsam sank der Sockel wieder abwärts. Die mächtige Raubkatze sprang herunter und stolzierte zur rechten Bühnenseite. Eine Frau in der ersten Reihe schrie leise auf, als das Tier neben einer Kiste aus Ebenholz stehen blieb und ein Brüllen ausstieß.
In der nächsten Sekunde stürzten die vier Seiten der Kiste in sich zusammen - und aus den Trümmern sprang Roxanne, nicht mehr in schimmerndes Blau gekleidet, sondern in ein silbernes Trikot. Sie verbeugte sich anmutig, wie man es sie von Kindesbeinen an gelehrt hatte.
Unter donnerndem Applaus stieg sie auf den Rücken des Tigers und ritt von der Bühne.
»Fein gemacht, Oscar.« Mit einem kleinen Seufzer beugte sie sich vor und kraulte das Tier hinter den Ohren.
»Hast wirklich hübsch ausgesehen, Roxy.« Ihr großer, stämmiger Assistent befestigte eine Leine an Oscars glitzerndem Halsband.
»Danke, Mouse.« Sie stieg ab und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Hinter der Bühne herrschte geschäftiges Treiben. Einige Helfer machten sich bereits daran, ihre Ausrüstung zusammenzupacken, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen. Da sie für den folgenden Tag eine Pressekonferenz angesetzt hatte, wollte sie jetzt keinen Reportern mehr Rede und Antwort stehen. Roxanne freute sich auf eine Flasche eisgekühlten Champagner und ein heißes Bad im Whirlpool.
Ganz allein.
Geistesabwesend rieb sie ihre Hände, wobei Mouse unwillkürlich an ihren Vater denken musste, von dem sie diese Angewohnheit geerbt zu haben schien.
»Ich bin so unruhig«, lachte sie etwas unsicher. »Schon den ganzen verdammten Abend über. Mir ist, als spürte ich ständig jemanden im Nacken.«
»Also, weißt du ... « Mouse tätschelte verlegen Oscars Kopf, der sich an seinem Knie rieb. Er war noch nie ein großer Redner gewesen und wusste einfach nicht, wie er es ihr sagen sollte. »Du hast Besuch, Roxy. In der Garderobe.«
»Ach ja?«, fragte sie ein wenig unwillig. »Wer denn?«
»Geh und verbeug dich nochmal, Schätzchen.« Lily, Roxannes Bühnenassistentin und Ersatzmutter, kam heran-gerauscht. »Das Publikum ist völlig aus dem Häuschen.« Lily tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen von ihren falschen Wimpern, die sie nicht nur auf der Bühne trug. »Max wäre so stolz auf dich.«
Roxanne ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie darunter litt, dass ihr Vater nicht bei ihr sein konnte. Das ging niemanden etwas an. »Wer ist denn in der Garderobe?«, rief sie über die Schulter, als sie nochmal hinausging, um sich für den anhaltenden Applaus zu bedanken. Aber Mouse war bereits mit Oscar verschwunden.
Er hatte gelernt, dass es manchmal klüger war, rechtzeitig das Weite zu suchen.
Zehn Minuten später öffnete Roxanne, vor Freude über ihren Erfolg glühend, die Tür ihrer Garderobe. Der Duft nach Rosen und Schminke war eine so vertraute Mischung, dass sie ihn gar nicht mehr wahrnahm. Aber heute lag noch etwas anderes in der Luft - der würzige Geruch französischen Tabaks.
Sie kannte nur einen einzigen Mann, den sie für alle Zeit mit diesem Duft in Verbindung bringen würde. Ihre Hand auf der Türklinke zitterte.
Er hatte es sich auf einem Stuhl bequem gemacht, rauchte wie üblich eine dieser schlanken französischen Zigarren und trank dazu ihren Champagner. Als sie das nur allzu vertraute Grinsen seines wundervollen Mundes sah und in diese unglaublich blauen Augen blickte, überlief sie ein gleichzeitig erregendes und bestürzendes Gefühl.
Er trug das Haar immer noch lang und nach hinten gekämmt. Schon als Kind hatte er mit seiner tiefschwarzen Mähne und diesen Blicken, die einem heiß und kalt werden ließen, wie ein eleganter Zigeuner gewirkt. Das Gesicht mit dem Grübchen im Kinn war in den vergangenen Jahren markanter geworden, was sein gutes Aussehen noch unter-
strich. Abgesehen von der äußerlichen Erscheinung umgab ihn eine spürbar dramatische Aura.
Er war ein Mann, bei dem Frauen wohlig erschauderten und unwillkürlich auf allerlei Gedanken kamen.
Ihr war es nicht anders ergangen. O nein, auch ihr nicht.
Fünf Jahre war es her, seit sie dieses Lächeln zuletzt gesehen hatte, seit ihre Finger in diesem dichten Haar gewühlt, und sie die berauschenden Küsse dieses Mundes erwidert hatte. Fünf Jahre voller Leid, Trauer und Hass.
Sie zwang sich, die Tür zu schließen. Warum war er nicht tot? Warum hatte er nicht irgendeiner der grausamen Tragödien zum Opfer fallen können, die sie sich für ihn ausgemalt hatte?
Und warum in Gottes Namen empfand sie schon allein bei seinem Anblick wieder diese schreckliche Sehnsucht? Was sollte sie bloß dagegen machen?
»Roxanne«, grüßte Luke. Seine Stimme klang vollkommen ruhig. All die Jahre über hatte er sie beobachtet, hatte heute Abend aus den dunklen Kulissen heraus jede ihrer Bewegungen studiert, kritisch, abwägend, voller Begehren. Doch als er ihr jetzt gegenüberstand, erschien sie ihm fast unerträglich schön.
»Eine gute Show mit einem spektakulären Finale.« »Danke.«
Scheinbar gelassen schenkte er ein Glas Champagner ein und reichte es ihr. Auch Roxanne war ihre innere Erregung nicht anzumerken. Schließlich waren beide Profis im Showgeschäft und durch die gleiche Schule gegangen, damals bei Max.
»Das mit Max tut mir leid.«
Ihre Augen wurden hart. »Ach, wirklich?«
Luke ging nicht auf ihren sarkastischen Ton ein. Er nickte nur und betrachtete gedankenverloren den perlenden Inhalt seines Glases. Plötzlich schien er sich an etwas zu erinnern und schaute lächelnd wieder auf. »Das Ding in Calais, mit den Rubinen, warst du das?«
Sie trank einen kleinen Schluck und zuckte lässig die Schultern, wobei die silbernen Sterne auf ihrem Trikot glitzerten. »Natürlich.«
»Aha.« Offenbar hat sie nichts verlernt, dachte er zufrieden, weder das Zaubern noch das Stehlen. »Ich habe außerdem Gerüchte gehört, dass eine Erstausgabe von Poes Untergang des Hauses Usher aus einem Tresor in London geklaut wurde.«
»Dein Gehör war schon immer gut, Callahan.«
Während er sie lächelnd musterte, wurde ihm erneut ihre atemberaubende Ausstrahlung bewusst. Er erinnerte sich an das aufgeweckte Kind, den übermütigen Teenager, die aufgeblühte junge Frau. Doch nun wirkte sie geradezu sündhaft verführerisch. Und er spürte wieder einmal deutlich die Anziehung, die es seit jeher zwischen ihnen gegeben hatte. Und genau diese wollte er sich, wenn auch mit Bedauern, zunutze machen.
Der Zweck heiligt das Mittel - ebenfalls eine von Maximillian Nouvelles Lebensweisheiten.
»Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, Rox.«
»Ach ja?« Sie nahm einen letzten Schluck, ehe sie das Glas zur Seite stellte. Der Champagner schmeckte bitter.
»Geschäftlich«, erklärte er leichthin und drückte seine Zigarre aus. Er nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen. »Und privat. Ich habe dich vermisst, Roxanne.« Nach all den Jahren voller Tricks, Illusionen und Täuschungen waren diese Worte das Ehrlichste, was er seit Langem gesagt hatte. Da er Mühe hatte, seine Gefühle im Zaum zu halten, entging ihm das warnende Aufblitzen in ihren Augen.
»Hast du das, Luke? Tatsächlich?«
»Mehr als ich dir sagen kann.« Überwältigt von Erinnerungen und Sehnsüchten zog er sie näher an sich heran und spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. Roxanne war immer die Einzige für ihn gewesen. Aus den Fängen dieser Frau hatte er sich nie befreien können. »Komm mit in mein Hotel«, flüsterte er, und sein Atem streichelte ihr Gesicht. »Wir können zusammen essen - und reden.«
»Reden?« Ihre Ringe blitzten, als sie die Arme um seinen Nacken schlang und die Finger in seinem Haar vergrub. Der Schminkspiegel über der Frisierkommode gab ihr Bild dreifach wieder, als zeigte er ihnen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ihre Stimme klang rauchig wie der Bühnennebel, dunkel und geheimnisvoll. »Ist das alles, was du willst, Luke?« Er vergaß, wie wichtig es war, die Kontrolle zu behalten, sah nur noch ihren Mund, kaum einen Hauch von seinen Lippen entfernt. »Nein.«
Er senkte den Kopf. Und im nächsten Moment blieb ihm die Luft weg, als sie ihm ein Knie zwischen die Beine rammte. Während er sich vor Schmerz krümmte, traf ihre Faust sein Kinn.
Sein überraschtes Grunzen und das Krachen des umstürzenden Tisches, den er mit sich zu Boden riss, bereiteten Roxanne eine enorme Befriedigung. Wasser durchweichte den Teppich, Rosen flogen durch die Luft, und ein Paar Knospen landeten auf ihm.
»Du ... « Mit finsterer Miene zerrte er eine Rose aus seinem Haar. Sie war schon immer ein hinterhältiges Biest gewesen. »Du bist noch schneller als früher, Rox.«
Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und stand wie eine rachedurstige Kriegerin vor ihm. »Ich bin sehr vieles, was ich früher nicht war. « Ihre Knöchel brannten wie Feuer, doch dieser Schmerz half ihr, den anderen, der viel tiefer saß, zu vergessen. »Und jetzt, du verlogener Dreckskerl, kriech zurück in das Loch, in das du dich vor fünf Jahren vergraben hast, wo auch immer das sein mag. Ich schwöre dir, wenn du noch einmal in meine Nähe kommst, lasse ich dich endgültig verschwinden.«
Zufrieden drehte sie sich auf dem Absatz um, doch noch ehe sie einen Schritt machen konnte, hatte Luke ihre Wade gepackt. Mit einem Schrei stürzte sie zu Boden. Sie kam gar nicht dazu, sich zu wehren. Er war bereits über ihr und hielt sie fest. Sie hatte vergessen, wie stark und reaktionsschnell er war.
Eine Fehleinschätzung, hätte Max gesagt. Und Fehleinschätzungen waren die Wurzel allen Übels.
»Okay, Rox, wir können auch hier reden.« Obwohl ihm das Atmen schwerfiel und er immer noch Schmerzen hatte, grinste er. »Ganz wie du willst.«
»Scher dich zum Teufel ... «
»Nur zu gerne!« Sein Grinsen verschwand. »Verdammt, Roxy, ich konnte dir noch nie widerstehen.« Als er seinen Mund auf ihre Lippen presste, versank die Gegenwart, und beide fühlten sich wieder in die Vergangenheit zurückversetzt.
Übersetzung: Hans Schuld
Copyright © dieser Ausgabe 201 1
by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Plötzlich war die Frau verschwunden. Diese Nummer versetzte die Zuschauer nach wie vor in Staunen, das anspruchsvolle Publikum in Radio City ebenso wie die einfachsten Bauern auf dem Jahrmarkt.
Als Roxanne auf den gläsernen Sockel stieg, spürte sie deutlich die erwartungsvolle Spannung - eine Mischung aus Hoffnung und Skepsis.
Die Magie faszinierte alle Zuschauer gleichermaßen. Genau das hat Max schon immer gesagt, dachte sie. Immer und immer wieder.
Umgeben von Nebelschwaden und angestrahlt von blitzenden Lichtern, stieg der glasklare Sockel zur Melodie von Gershwins Rhapsody in Blue langsam in die Höhe. Er drehte sich zweimal um die eigene Achse, so dass die Menge die darauf stehende Frau von allen Seiten betrachten konnte - und gleichzeitig von dem technischen Trick abgelenkt wurde.
In der Art der Inszenierung, so hatte sie gelernt, lag der einzige Unterschied zwischen plumper Scharlatanerie und Kunst.
Passend zur Musik trug Roxanne ein funkelndes mitternachtsblaues Kleid, das sich eng um ihre hochgewachsene schlanke Gestalt schmiegte - so eng, dass sich unter dieser glitzernden Seide kaum mehr als ihre eigene Haut verbergen konnte. In ihrem Haar, das wie ein rot gelockter Wasserfall bis zur Taille hinabfiel, funkelten Tausende von Sternen.
Vor allem die Männer im Publikum waren hingerissen vom Anblick dieser Frau, die wie aus einer anderen Welt zu sein schien. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht war zur sternenbesäten Bühnendecke erhoben.
Während sie nach oben schwebte, ließ sie die Arme im Rhythmus der Musik hin und her schwingen und hob sie zuletzt hoch über den Kopf. Dies war einerseits ein optisch reizvoller Effekt, andererseits aber auch zur Durchführung des Tricks notwendig.
Der Nebel, die Lichter, die Musik, die Frau - das alles ergab ein wunderschönes Bild, und sie genoss selbst die dramatische Wirkung.
Der Trick war eine äußerst komplizierte Angelegenheit und erforderte eine ungeheure Körperbeherrschung. Alles musste sekundengenau aufeinander abgestimmt sein. Dabei verriet ihr entspanntes Gesicht nicht einmal den Zuschauern in der ersten Reihe etwas von ihrer äußersten Konzentration. Keiner wusste, wie viele Stunden sie die Ausarbeitung dieses Tricks gekostet hatte, bevor sie ihn anschließend in der Praxis ausprobieren und dann durch beharrliches Üben perfektionieren konnte.
Langsam begann sich ihr Körper drei Meter hoch über der Bühne im Rhythmus der Musik zu bewegen. Aus dem Publikum ertönte bewunderndes Raunen und vereinzelter Applaus. Jeder konnte sie sehen, umspielt von bläulichem Nebel und blinkenden Lichtern - das glitzernde Kleid, die wilde Haarmähne, die hell schimmernde Haut.
Doch kaum einen Wimpernschlag später hielten alle den Atem an, denn dort, wo sie eben noch gestanden hatte, richtete sich ein bengalischer Tiger auf den Hinterbeinen auf und fegte fauchend mit den Pranken durch die Luft.
Einen Moment lang herrschte im Publikum vollkommene Stille - die schönste Stille, die es für einen Künstler geben konnte -, ehe donnernder Applaus erscholl. Langsam sank der Sockel wieder abwärts. Die mächtige Raubkatze sprang herunter und stolzierte zur rechten Bühnenseite. Eine Frau in der ersten Reihe schrie leise auf, als das Tier neben einer Kiste aus Ebenholz stehen blieb und ein Brüllen ausstieß.
In der nächsten Sekunde stürzten die vier Seiten der Kiste in sich zusammen - und aus den Trümmern sprang Roxanne, nicht mehr in schimmerndes Blau gekleidet, sondern in ein silbernes Trikot. Sie verbeugte sich anmutig, wie man es sie von Kindesbeinen an gelehrt hatte.
Unter donnerndem Applaus stieg sie auf den Rücken des Tigers und ritt von der Bühne.
»Fein gemacht, Oscar.« Mit einem kleinen Seufzer beugte sie sich vor und kraulte das Tier hinter den Ohren.
»Hast wirklich hübsch ausgesehen, Roxy.« Ihr großer, stämmiger Assistent befestigte eine Leine an Oscars glitzerndem Halsband.
»Danke, Mouse.« Sie stieg ab und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Hinter der Bühne herrschte geschäftiges Treiben. Einige Helfer machten sich bereits daran, ihre Ausrüstung zusammenzupacken, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen. Da sie für den folgenden Tag eine Pressekonferenz angesetzt hatte, wollte sie jetzt keinen Reportern mehr Rede und Antwort stehen. Roxanne freute sich auf eine Flasche eisgekühlten Champagner und ein heißes Bad im Whirlpool.
Ganz allein.
Geistesabwesend rieb sie ihre Hände, wobei Mouse unwillkürlich an ihren Vater denken musste, von dem sie diese Angewohnheit geerbt zu haben schien.
»Ich bin so unruhig«, lachte sie etwas unsicher. »Schon den ganzen verdammten Abend über. Mir ist, als spürte ich ständig jemanden im Nacken.«
»Also, weißt du ... « Mouse tätschelte verlegen Oscars Kopf, der sich an seinem Knie rieb. Er war noch nie ein großer Redner gewesen und wusste einfach nicht, wie er es ihr sagen sollte. »Du hast Besuch, Roxy. In der Garderobe.«
»Ach ja?«, fragte sie ein wenig unwillig. »Wer denn?«
»Geh und verbeug dich nochmal, Schätzchen.« Lily, Roxannes Bühnenassistentin und Ersatzmutter, kam heran-gerauscht. »Das Publikum ist völlig aus dem Häuschen.« Lily tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen von ihren falschen Wimpern, die sie nicht nur auf der Bühne trug. »Max wäre so stolz auf dich.«
Roxanne ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie darunter litt, dass ihr Vater nicht bei ihr sein konnte. Das ging niemanden etwas an. »Wer ist denn in der Garderobe?«, rief sie über die Schulter, als sie nochmal hinausging, um sich für den anhaltenden Applaus zu bedanken. Aber Mouse war bereits mit Oscar verschwunden.
Er hatte gelernt, dass es manchmal klüger war, rechtzeitig das Weite zu suchen.
Zehn Minuten später öffnete Roxanne, vor Freude über ihren Erfolg glühend, die Tür ihrer Garderobe. Der Duft nach Rosen und Schminke war eine so vertraute Mischung, dass sie ihn gar nicht mehr wahrnahm. Aber heute lag noch etwas anderes in der Luft - der würzige Geruch französischen Tabaks.
Sie kannte nur einen einzigen Mann, den sie für alle Zeit mit diesem Duft in Verbindung bringen würde. Ihre Hand auf der Türklinke zitterte.
Er hatte es sich auf einem Stuhl bequem gemacht, rauchte wie üblich eine dieser schlanken französischen Zigarren und trank dazu ihren Champagner. Als sie das nur allzu vertraute Grinsen seines wundervollen Mundes sah und in diese unglaublich blauen Augen blickte, überlief sie ein gleichzeitig erregendes und bestürzendes Gefühl.
Er trug das Haar immer noch lang und nach hinten gekämmt. Schon als Kind hatte er mit seiner tiefschwarzen Mähne und diesen Blicken, die einem heiß und kalt werden ließen, wie ein eleganter Zigeuner gewirkt. Das Gesicht mit dem Grübchen im Kinn war in den vergangenen Jahren markanter geworden, was sein gutes Aussehen noch unter-
strich. Abgesehen von der äußerlichen Erscheinung umgab ihn eine spürbar dramatische Aura.
Er war ein Mann, bei dem Frauen wohlig erschauderten und unwillkürlich auf allerlei Gedanken kamen.
Ihr war es nicht anders ergangen. O nein, auch ihr nicht.
Fünf Jahre war es her, seit sie dieses Lächeln zuletzt gesehen hatte, seit ihre Finger in diesem dichten Haar gewühlt, und sie die berauschenden Küsse dieses Mundes erwidert hatte. Fünf Jahre voller Leid, Trauer und Hass.
Sie zwang sich, die Tür zu schließen. Warum war er nicht tot? Warum hatte er nicht irgendeiner der grausamen Tragödien zum Opfer fallen können, die sie sich für ihn ausgemalt hatte?
Und warum in Gottes Namen empfand sie schon allein bei seinem Anblick wieder diese schreckliche Sehnsucht? Was sollte sie bloß dagegen machen?
»Roxanne«, grüßte Luke. Seine Stimme klang vollkommen ruhig. All die Jahre über hatte er sie beobachtet, hatte heute Abend aus den dunklen Kulissen heraus jede ihrer Bewegungen studiert, kritisch, abwägend, voller Begehren. Doch als er ihr jetzt gegenüberstand, erschien sie ihm fast unerträglich schön.
»Eine gute Show mit einem spektakulären Finale.« »Danke.«
Scheinbar gelassen schenkte er ein Glas Champagner ein und reichte es ihr. Auch Roxanne war ihre innere Erregung nicht anzumerken. Schließlich waren beide Profis im Showgeschäft und durch die gleiche Schule gegangen, damals bei Max.
»Das mit Max tut mir leid.«
Ihre Augen wurden hart. »Ach, wirklich?«
Luke ging nicht auf ihren sarkastischen Ton ein. Er nickte nur und betrachtete gedankenverloren den perlenden Inhalt seines Glases. Plötzlich schien er sich an etwas zu erinnern und schaute lächelnd wieder auf. »Das Ding in Calais, mit den Rubinen, warst du das?«
Sie trank einen kleinen Schluck und zuckte lässig die Schultern, wobei die silbernen Sterne auf ihrem Trikot glitzerten. »Natürlich.«
»Aha.« Offenbar hat sie nichts verlernt, dachte er zufrieden, weder das Zaubern noch das Stehlen. »Ich habe außerdem Gerüchte gehört, dass eine Erstausgabe von Poes Untergang des Hauses Usher aus einem Tresor in London geklaut wurde.«
»Dein Gehör war schon immer gut, Callahan.«
Während er sie lächelnd musterte, wurde ihm erneut ihre atemberaubende Ausstrahlung bewusst. Er erinnerte sich an das aufgeweckte Kind, den übermütigen Teenager, die aufgeblühte junge Frau. Doch nun wirkte sie geradezu sündhaft verführerisch. Und er spürte wieder einmal deutlich die Anziehung, die es seit jeher zwischen ihnen gegeben hatte. Und genau diese wollte er sich, wenn auch mit Bedauern, zunutze machen.
Der Zweck heiligt das Mittel - ebenfalls eine von Maximillian Nouvelles Lebensweisheiten.
»Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, Rox.«
»Ach ja?« Sie nahm einen letzten Schluck, ehe sie das Glas zur Seite stellte. Der Champagner schmeckte bitter.
»Geschäftlich«, erklärte er leichthin und drückte seine Zigarre aus. Er nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen. »Und privat. Ich habe dich vermisst, Roxanne.« Nach all den Jahren voller Tricks, Illusionen und Täuschungen waren diese Worte das Ehrlichste, was er seit Langem gesagt hatte. Da er Mühe hatte, seine Gefühle im Zaum zu halten, entging ihm das warnende Aufblitzen in ihren Augen.
»Hast du das, Luke? Tatsächlich?«
»Mehr als ich dir sagen kann.« Überwältigt von Erinnerungen und Sehnsüchten zog er sie näher an sich heran und spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. Roxanne war immer die Einzige für ihn gewesen. Aus den Fängen dieser Frau hatte er sich nie befreien können. »Komm mit in mein Hotel«, flüsterte er, und sein Atem streichelte ihr Gesicht. »Wir können zusammen essen - und reden.«
»Reden?« Ihre Ringe blitzten, als sie die Arme um seinen Nacken schlang und die Finger in seinem Haar vergrub. Der Schminkspiegel über der Frisierkommode gab ihr Bild dreifach wieder, als zeigte er ihnen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ihre Stimme klang rauchig wie der Bühnennebel, dunkel und geheimnisvoll. »Ist das alles, was du willst, Luke?« Er vergaß, wie wichtig es war, die Kontrolle zu behalten, sah nur noch ihren Mund, kaum einen Hauch von seinen Lippen entfernt. »Nein.«
Er senkte den Kopf. Und im nächsten Moment blieb ihm die Luft weg, als sie ihm ein Knie zwischen die Beine rammte. Während er sich vor Schmerz krümmte, traf ihre Faust sein Kinn.
Sein überraschtes Grunzen und das Krachen des umstürzenden Tisches, den er mit sich zu Boden riss, bereiteten Roxanne eine enorme Befriedigung. Wasser durchweichte den Teppich, Rosen flogen durch die Luft, und ein Paar Knospen landeten auf ihm.
»Du ... « Mit finsterer Miene zerrte er eine Rose aus seinem Haar. Sie war schon immer ein hinterhältiges Biest gewesen. »Du bist noch schneller als früher, Rox.«
Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und stand wie eine rachedurstige Kriegerin vor ihm. »Ich bin sehr vieles, was ich früher nicht war. « Ihre Knöchel brannten wie Feuer, doch dieser Schmerz half ihr, den anderen, der viel tiefer saß, zu vergessen. »Und jetzt, du verlogener Dreckskerl, kriech zurück in das Loch, in das du dich vor fünf Jahren vergraben hast, wo auch immer das sein mag. Ich schwöre dir, wenn du noch einmal in meine Nähe kommst, lasse ich dich endgültig verschwinden.«
Zufrieden drehte sie sich auf dem Absatz um, doch noch ehe sie einen Schritt machen konnte, hatte Luke ihre Wade gepackt. Mit einem Schrei stürzte sie zu Boden. Sie kam gar nicht dazu, sich zu wehren. Er war bereits über ihr und hielt sie fest. Sie hatte vergessen, wie stark und reaktionsschnell er war.
Eine Fehleinschätzung, hätte Max gesagt. Und Fehleinschätzungen waren die Wurzel allen Übels.
»Okay, Rox, wir können auch hier reden.« Obwohl ihm das Atmen schwerfiel und er immer noch Schmerzen hatte, grinste er. »Ganz wie du willst.«
»Scher dich zum Teufel ... «
»Nur zu gerne!« Sein Grinsen verschwand. »Verdammt, Roxy, ich konnte dir noch nie widerstehen.« Als er seinen Mund auf ihre Lippen presste, versank die Gegenwart, und beide fühlten sich wieder in die Vergangenheit zurückversetzt.
Übersetzung: Hans Schuld
Copyright © dieser Ausgabe 201 1
by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Nora Roberts
Nora Roberts wurde 1950 geboren und gehört heute zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren, und auch in Deutschland erobert sie mit ihren Romanen regelmässig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland, USA.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Roberts
- 2011, 528 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Hans Schuld
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453355768
- ISBN-13: 9783453355767
- Erscheinungsdatum: 05.05.2011
Rezension zu „Die Tochter des Magiers “
Die amerikanische Bestsellerautorin verbindet Romantik und Spannung zu einem wahren Lesevergnügen! Im Mittelpunkt dieses Romans steht eine legendäre Familie von Zauberkünstlern, deren Glück zu zerbrechen droht. «Eine spannungsreiche, bezaubernde Geschichte um Liebe, Erpressung und Magie ... » THE KIRKUS REVIEW
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