Die Sturmfängerin
Die Journalistin Stella hat sich jahrelang dagegen gesträubt, in ihre Heimat Tasmanien zurückzukehren. Denn die Erinnerungen an das Land, in dem sie aufgewachsen ist, sind bitter. Doch da erreicht sie eine aufwühlende Nachricht: Ihr Vater, ein Fischer,...
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Die Journalistin Stella hat sich jahrelang dagegen gesträubt, in ihre Heimat Tasmanien zurückzukehren. Denn die Erinnerungen an das Land, in dem sie aufgewachsen ist, sind bitter. Doch da erreicht sie eine aufwühlende Nachricht: Ihr Vater, ein Fischer, ist auf See verschollen. Und plötzlich sind all die Erinnerungen wieder da, die Stella verbannen wollte: die Konflikte mit ihren Eltern, als sie schwanger wurde und der Verlust ihres Kindes. Doch Stella muss sich den Dämonen ihrer Vergangenheit stellen.
Die Sturmfängerin von Katherine Scholes
LESEPROBE
Negatu steuerte geschickt um dieSchlaglöcher herum, während er rasch durch die nahezu verlassenen Strassen derInnenstadt fuhr. Stella lehnte den Kopf an das staubige Seitenfenster des Landrovers.Sie konnte einen Teil ihres Gesichts im Seitenspiegel sehen. Haarsträhnenhatten sich aus ihrem Zopf gelöst - sie klebten wie lange, schwarze Bänder anihrer verschwitzten, blassen Wange. Ihre Lippen waren trocken undaufgesprungen, und ihre sonnenverbrannte Nase begann sich zu schälen. IhreAugen ihre Augen fesselten ihre Aufmerksamkeit. Sie blickten zu hell, zuklar, und es schien ihr unmöglich, dass man ihnen so gar nichts ansah - als obdie Dinge, die sie gesehen hatte, keine Spur hinterlassen hätten.
Ihr Spiegelbild bewegte sich, alsder Wagen plötzlich das Tempo verlangsamte. Als Stella aufblickte, sah sie eineBarriere aus Benzinfässern und Stöcken quer über die Strasse. Negatu fluchteleise. »Holen Sie Ihre Dokumente heraus«, sagte er und steuerte mit einer Hand,während er mit der anderen in seiner Hemdtasche nach seinen eigenen Papierensuchte.
Der Landrover hielt am Strassenrand,und ein Soldat trat auf sie zu. Er stellte sich an die Beifahrertür, den Laufseines Gewehrs auf den Oberschenkel gestützt, als Stella die Scheibeherunterkurbelte. »Zeigen Sie mir Ihre Papiere«, forderte er sie auf. Er sprachlangsam und formte die englischen Wörter sorgfältig.
Dann streckte er seine Hand insFahrzeug, nahe an das Gesicht der Frau. Über die rosa Handfläche zog sich einelange, tiefe Narbe. Stella reichte ihm ihren Presseausweis. Während er ihnstudierte, blickte sie zum Horizont, wo Vögel um eine graue Steinstatuekreisten.
»Was ist das?«, fragte der Soldatund tippte mit dem Finger auf das Stück gefaltete Pappe, auf dem Stempel undUnterschriften in verschiedenfarbiger Tinte ein buntes Gemisch bildeten.»Womens World Magazine?« »Ja, ich arbeite für sie.« Stella deutete auf dasNamensschild, das sie an ihre Bluse geheftet hatte. Der Soldat beugte sich insAuto und brachte den Geruch von altem Schweiss und Holzkohlenrauch mit sich.Aufmerksam studierte er das Schildchen mit seinem fliederfarbenen Rahmen, demGänseblümchen-Motiv und dem Namen in der zierlichen, geschwungenen Schrift.Stella wusste, dass der feminine Stil ihn daran erinnern würde, dass sie nichtnur eine Journalistin, sondern auch eine Frau war. Dadurch würde er sie eherwie seine Schwester oder seine Freundin betrachten - auf jeden Fall wiejemanden, um den man sich kümmern musste. Sein Gesichtsausdruck wurde einenMoment lang weicher. Dann jedoch blickte er misstrauisch auf.
»Warum sind Sie hierher gekommen? Umüber Kleider zu schreiben?« Zweifelnd musterte er Stella in ihrer abgetragenen,staubigen Bluse und dem zerknitterten Rock. »Ich schreibe Geschichten überFrauen«, erklärte Stella. »Wir kommen gerade aus dem Norden zurück. Aus demWelo-Gebiet. Viele Mütter dort haben nichts mehr zu essen für ihre Kinder. Esist kein Regen gefallen. Die Lage ist sehr, sehr schlimm.«. »Welo?«, wiederholteder Mann.
»Ja«, erwiderte Stella. »Wir warenin der Nähe von Kobo.« Die Schultern des Mannes sanken herab. »Dort bin ich zuHause. Meine Leute sind da.« Stella nickte langsam. Es gab nichts zu sagen.»Und «, der Soldat fixierte sie mit durchdringendem Blick, » Sie erzählen dasIhrer Zeitschrift, sodass es alle erfahren. Und dann kommt Hilfe.« »Ja, ichhoffe«, antwortete Stella.
Ein Funken von Optimismus glomm inden Augen des Mannes auf - dann jedoch erlosch er wieder. Plötzlich wirkte ererschöpft, jeglicher Ausdruck wich aus seinem Gesicht, als ob seine Muskeln zumüde und zu verbraucht seien, um noch zu funktionieren. Er wusste, dass esnicht so einfach war, das spürte Stella. Er wandte sich ab, wobei er ihnenzuwinkte weiterzufahren, und ging auf die andere Strassenseite. Dort hockte ersich neben einen schlammigen Tümpel und begann seine Stiefel zu waschen. Miteiner Hand schöpfte er rotbraunes Wasser und liess es über das zerschlisseneLeder laufen. Negatu fuhr an und gab Gas. Stella hörte ihn vor Erleichterungseufzen, als sie die Strassensperre hinter sich liessen. »Jetzt zu Ihrem Hotel?«,fragte er. »Ja«, erwiderte Stella. Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Siesollten bei den anderen Ausländern im Hilton wohnen. Dort ist es viel sicherer.«Stella nickte, sagte jedoch nichts. Sie stieg nie in internationalen Hotels ab.Selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sie es sich nicht leisten können. Siewurde nur pro Artikel, den sie ablieferte, bezahlt, und in den Arbeitspausenzwischen den einzelnen Geschichten verdiente sie kein Geld.
Zehn Jahre lang hatte sie sichgeweigert, Angebote von Agenturen oder auch nur einen Vorschuss anzunehmen. Sieging den Weg, den Daniel ihr vorgegeben hatte. »Arbeite
freiberuflich«, hatte er ihrgeraten. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie er es zum ersten Malgesagt hatte. Damals hatte er ihr seine Kamera geschenkt - eine Leica mit einemKlicken, das man kaum hörte, und schwarz abgeklebten glänzenden Flächen, damitsie keine Aufmerksamkeit erregte. »Das bedeutet das Wort freiberuflich «,hatte er gesagt und mit einer Spritzpistole den Staub von den Linsen entfernt.Seine Hände mit den Altersflecken waren unbeholfen, aber seine Stimme warstark. »Du bist frei. Frei, um die Wahrheit zu sagen.« Er hatte aufgeblickt undsie aus seinen wachen Augen angeschaut. »Und mehr musst du nicht tun. Sageinfach die Wahrheit.« Der Fahrer drehte sich zu Stella und lächelteermunternd.
»Im Hilton lässt es sich leben. Esgibt einen Swimmingpool, einen Friseur, Geschäfte, alles, was man sich denkenkann. Und Sie können dort auch Freunde treffen.« Sein Blick glitt über StellasKörper und blieb an ihren Brüsten hängen. Sie wusste, was er dachte - sievergeudete ihre Chancen, einen Mann, einen Ehemann, zu finden. Sie hatte gesehen,wie er an einem der Checkpoints in Welo ihren Pass studiert hatte, deshalbvermutete sie, dass er wusste, wie alt sie war. Einunddreissig. Ihre Zeit warbeinahe abgelaufen. »Ich bin nicht auf der Suche nach neuen Freunden«,erwiderte Stella. »Ich bin hier, um zu arbeiten.«
Das stimmte. Sie steckte all ihreEnergie in die Aufgaben, die sich selbst gestellt hatte. Auf der langen Reisezurück in den Süden hatte sie sich bereits ausgedacht, was sie über ihreErfahrungen schreiben wollte. Wie immer liess sie zuerst die Bilder aufsteigen -sie erfüllten ihren Kopf und stritten um ihre Aufmerksamkeit. Dann begannensich die Wörter zu versammeln Wenn sie auf ihrem Zimmer war, würde sie alsErstes die Schreibmaschine hervorholen. Am schwierigsten war immer der Anfang,aber danach, das wusste sie, entstand der Text fast wie von selbst.
Der Wagen hielt vor dem HotelEthiopian mit seiner weissen Fassade, die mit Säulen verziert war. Sofortdrängten sich Kinder um das Auto. Sie drückten ihre Gesichter gegen die Scheibenund verschmierten das Glas, während sie zusahen, wie Stella ein dickes BündelBanknoten aus der Tasche zog. Sie würde Negatu gut bezahlen. Es war nichtleicht gewesen, jemanden zu finden, der die Stadt verlassen wollte, und dieSzenen, die er in den Hungerlagern erlebt hatte, würde er nicht so schnellvergessen können. Zumindest einige, das wusste Stella, würden ihn sein Lebenlang begleiten, tief in seine Seele eingegraben. Wie das Kind, das sie amersten Morgen gesehen hatten Stella hielt inne beim Zählen der Geldscheine.
Sie sah ihn vor sich - denhellhäutigen Jungen mit den blauen Augen, der in der Menge am Lebensmittelzeltstand. Zuerst hatte Stella angenommen, er sei der Sohn eines Helfers oderMissionars, wobei sie sich allerdings nicht vorstellen konnte, was er an soeinem Ort wie diesem zu suchen hatte. Dann jedoch sah sie, dass er in Lumpengekleidet war; seine Arme waren abgemagert bis auf die Knochen, und sein Bauchaufgebläht vor Hunger. Suchend hatte sich Stella nach dem Regierungsbeamten umgeschaut,weil sie ihn fragen wollte, was der Junge hier machte. Wo waren seine Eltern?Panik stieg in ihr auf. In diesem Moment kam es ihr so vor, dass Krankheit undauch der Hungertod nichts seien im Vergleich zu dem Alptraum, so allein, soweit weg von dem Ort zu sein, an den man gehörte. »Das Kind, das Sie dortsehen«, hatte Negatu gesagt. »Er ist zeru zeru. Dafür kennen wir zwei Gründe.Entweder ist er von einer menstruierenden Frau empfangen worden, oder er istvon einem bösen Geist gegen ein richtiges Kind ausgetauscht worden.« Stellastarrte den Jungen an, ohne den Sinn der Worte zu begreifen. Die Panik liessnicht nach. Ihr stockte der Atem. DerRegierungsbeamte war neben ihr aufgetaucht. »Wollen Sie das Albino-Kindfotografieren?«, hatte er gefragt.
Stella hatte den Kopf geschüttelt.Die Augen des Jungen waren starr auf sie gerichtet. Alle Kinder im Zeltstarrten die fremde Frau an, aber der Blick dieses Jungen bohrte sich tief insie hinein. »Ich kann ihn rufen«, sagte der Regierungsbeamte. »Nein«, erwiderteStella. »Ich will ihn nicht fotografieren.« Sie wollte das Gesicht vergessen,aber sie wusste zugleich auch, dass ihr das nie gelingen würde. Der Blick desJungen war ihr gefolgt. Selbst als sie jetzt im Landrover sass und das Geld fürNegatu abzählte, konnte sie ihn noch spüren. Sie hatte das Gefühl, ihnzurückgelassen zu haben an einem Ort, an dem er nicht sein sollte.
Aber er war nicht verloren, rief siesich ins Gedächtnis. Er war nicht anders als die anderen Negatu neigte höflichden Kopf, als Stella ihm ein Bündel weicher, abgegriffener Geldscheine reichte.»Danke«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen alles Gute.« »Werde ich Siewiederfinden?«, fragte Stella. Sie musste die Zeit nutzen, solange es nochmöglich war, die Stadt zu verlassen. Die nächste Fahrt würde sie möglichst baldplanen müssen. »Ich möchte gern nach Süden fahren.« Er zuckte mit denSchultern. »Vielleicht. Ich hoffe es, aber wer weiss?«
Stella stieg aus, schlang sich ihrenRucksack über die Schulter und drehte sich um, um dem Wagen nachzuwinken. Ausden Augenwinkeln bemerkte sie, dass der Hotelportier sich bereits näherte, inder Hand den seidenen Sonnenschirm in Regenbogenfarben mit goldenen Fransen.Die Kinder stoben auseinander, nur zwei kleine Schuhputzer blieben stehen undbetrachteten Stellas Leinenturnschuhe voller Abscheu. Sie wandte sich zumHoteleingang, den Portier, der ihr den Sonnenschirm über den Kopf hielt, dichtauf den Fersen.
Er behandelte sie wie einePrinzessin - wie einen Schatz, der um jeden Preis vor Schaden bewahrt werdenmusste. Die Geste war seltsam tröstlich. Als ob zumindest hier jemand sei, derwusste, was sie gerade durchgemacht hatte, aber zugleich auch, wie stark siewar.
© Droemer Knaur
Übersetzung: Theda Krohm-Linke
Katherine Scholes wurde auf einer Missionsstation in Tansania geboren und hat den grössten Teil ihrer Kindheit dort verbracht, bevor sie nach England und dann nach Tasmanien zog. Sie hat mehrere Romane, darunter einige für Jugendliche, geschrieben und arbeitet auch im Filmbereich. Sie lebt zurzeit mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Tasmanien. "Die Regenkönigin", "Die Traumtänzerin", "Die Sturmfängerin" und "Roter Hibiskus" waren allesamt Bestseller.
- Autor: Katherine Scholes
- 4. Aufl., 429 Seiten, Masse: 12,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Margarethe van Pée
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426638231
- ISBN-13: 9783426638231
- Erscheinungsdatum: 31.08.2007
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