Die Sonnenuhr
Leonie führt ein bescheidenes Leben als Übersetzerin, bis ihre beste Freundin Roos an einem Sonnenstich stirbt. Roos hat sie zur Alleinerbin bestimmt - allerdings unter einer Bedingung: dass Leonie für ihre drei Katzen sorgt und in ihre Wohnung zieht....
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Leonie führt ein bescheidenes Leben als Übersetzerin, bis ihre beste Freundin Roos an einem Sonnenstich stirbt. Roos hat sie zur Alleinerbin bestimmt - allerdings unter einer Bedingung: dass Leonie für ihre drei Katzen sorgt und in ihre Wohnung zieht.
Als Leonie sich auf diesen Deal einlässt, entdeckt sie verwirrende Geheimnisse im Leben ihrer Freundin.
DieSonnenuhr von Maarten t Haart
LESEPROBE
Roos war tot, und ich wusste nicht, was ich anziehen sollte.Wenn es doch Winter wäre, dachte ich, dann würde ich meinen schwarzen Mantelanziehen. Wer stirbt denn auch im Sommer? Zugegeben, es war ein holländischerMogelsommer mit kalten, nassen Tagen. Schon seit Anfang Juni herrschte der westeuropäischeMonsun. Dennoch, ein Wintermantel, das ging nicht. Aber was dann?
Wie eigenartig, deine beste Freundin ist gestorben, und dustehst da und reisst verbissen, beinahe wütend, ein Kleidungsstück nach demandern aus dem Schrank und schleuderst es aufs Bett. Als dreiviertel meinerverwaschenen, armseligen Garderobe ausgebreitet vor mir auf dem grossen Bettlag, liess ich mich mutlos auf einen Stuhl fallen. »Warum, in Gottes Namen?«fuhr ich den Türpfosten an. Mir war klar, dass ich schnell wieder aufstehenmusste. Wenn ich sitzen bliebe, würde ich langsam, aber sicher versteinern. Michhatte in dem Moment, als mein Blick im Aufbahrungsraum flüchtig über dengläsernen Sargdeckel geglitten war und ich ihr starres blassblaues Gesichtgesehen hatte, urplötzlich eine aschgraue Mutlosigkeit überfallen. Solange manin Bewegung blieb, konnte man sie auf Abstand halten. Wenn man sich aber hinlegteoder hinsetzte, versank man in Minenschächten, von denen nicht einmal derDichter von Psalm 130 eine Ahnung hatte. »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.«Der hatte noch rufen können!
»Der Tod, der Tod, der Tod, das Sterben und die Toten«,murmelte ich eine Gedichtzeile von du Perron, und ich stand wieder auf.Entschlossen griff ich zur schwarzen Jacke meines Designerkostüms. Das warmeine erste Wahl gewesen. Doch da ich es von Roos bekommen hatte, fand ich esnicht gerade passend. Zur Beerdigung in den Kleidern der Verstorbenen?
Zweifellos das schönste Kostüm, das ich besass. Ausserdemtiefschwarz, also hervorragend geeignet für eine solche Feier. Aber derRocksaum reichte mir nur bis zum Knie, und die Jacke war tailliert. Einigermassenprovozierend. Ging das bei einer Beerdigung? Gut, das konnte ich ausgleichen,indem ich mein Haar hochsteckte. So konnte ich gleichzeitig verbergen, dass essträhnig war und nicht mehr sass. Ich sollte endlich zum Friseur gehen.
Als ich das Kostüm angezogen hatte und sah, dass ich etwas zudick dafür geworden war, murmelte ich: »Wenn ich es anziehe, gehören auf jedenFall schwarze Strümpfe dazu.« Besass ich noch schwarze Strumpfhosen ohneLaufmaschen? In der unteren Schublade meines Kleiderschranks fand ich zweiPaar, fünfzehn Denier, jede mit einer Laufmasche an einem der Beine. OhneRücksicht auf Verluste schnitt ich bei beiden das beschädigte Bein ab. Aufdiese Weise hatte ich zwei mutierte Strumpfhosen mit jeweils einem schönen Bein.Ob sie gleich aussahen und glänzten - ich war mir nicht sicher, aber was sollteich tun? Zeit, noch einmal loszugehen, hatte ich nicht. Ausserdem waren dieLäden am Montagmorgen geschlossen. Zuerst aber zog ich mir Handschuhe an.»Strumpfhosen ohne Glacéhandschuhe anziehen, das gibt gleich wieder eine Laufmasche«,murmelte ich.
Dann kam das Problem mit der Handtasche. Ich besass einbilliges schwarzes Lacktäschchen. Passte das zu einem so teuren Kostüm? Es mussteeinfach.
Auch wegen der Schuhe ging ich erst einmal ausführlich mitmir zu Rate, doch schliesslich stand ich wahrhaftig in schwarzen Pumps im kaltenSommerregen an der Bushaltestelle. Und weil ich dort nun stehen und wartenmusste, meldete sich unerbittlich die quälende Niedergeschlagenheit wieder, sodass ich, als ein Gelenkbus endlich mit rutschenden Rädern bremste, kaum fähigwar einzusteigen. Am Bahnhof musste ich umsteigen. Glücklicherweise stand derBus zum Friedhof schon abfahrbereit da.
Als wir uns Rhijnhof näherten, riss der Himmel auf. ZarteWölkchen schoben die graue Monsundecke nach Deutschland. Und in dem Augenblick,als ich bei Boeketterie Datura ausstieg, kam sogar die Sonne durch. Ich machtemich lächerlich mit meinem schwarzen Regenschirm.
In den Wandelgängen des Krematoriums musste man warten. Dievorhergehende Feier zögerte sich hinaus. Ich stellte fest, dass mein Kostümaufreizend wirkte. Oder reagieren Männer sowieso lüsterner auf einem Friedhofoder in einem Krematorium? Wie dem auch sei, Aufsehen erregte ich jedenfalls.
Als ich in meinen Pumps zu den grossen Flügeltüren derTrauerhalle aufrückte, wurde ich prompt von einem Schlipsträger fortgeschrittenenAlters angesprochen.
»Haben Sie Roos gut gekannt?« (...)
© der deutschen Ausgabe: 2003 Arche Verlag AG, Zürich -Hamburg
Übersetzung: Marianne Holberg
- Autor: Maarten 't Hart
- 2005, 11. Aufl., 336 Seiten, Masse: 12,1 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Marianne Holberg
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492240720
- ISBN-13: 9783492240727
- Erscheinungsdatum: 01.03.2005
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Sonnenuhr".
Kommentar verfassen