Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey!
Aus dem Leben einer Familienpsychologin
Als Psychologin begutachtet Sophie Seeberg Familien fürs Gericht und erlebt skurrile, oft auch komische Geschichten.
Da erscheint der Vater nicht zum Termin, weil er betrunken auf der Straße eingeschlafen ist - direkt neben...
Da erscheint der Vater nicht zum Termin, weil er betrunken auf der Straße eingeschlafen ist - direkt neben...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey! “
Als Psychologin begutachtet Sophie Seeberg Familien fürs Gericht und erlebt skurrile, oft auch komische Geschichten.
Da erscheint der Vater nicht zum Termin, weil er betrunken auf der Straße eingeschlafen ist - direkt neben einem Bollerwagen voller Diebesgut. Und die Mutter behandelt ihren erwachsenen Sohn, als wäre er ein Kleinkind. Diplom-Psychologin und Gutachterin Sophie Seeberg, die auch eng mit dem Jugendamt zusammenarbeitet, zeigt uns in ihrem Buch den ganz normalen Familienwahnsinn und beweist dabei Sinn für Humor.
Da erscheint der Vater nicht zum Termin, weil er betrunken auf der Straße eingeschlafen ist - direkt neben einem Bollerwagen voller Diebesgut. Und die Mutter behandelt ihren erwachsenen Sohn, als wäre er ein Kleinkind. Diplom-Psychologin und Gutachterin Sophie Seeberg, die auch eng mit dem Jugendamt zusammenarbeitet, zeigt uns in ihrem Buch den ganz normalen Familienwahnsinn und beweist dabei Sinn für Humor.
Klappentext zu „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey! “
Von Schakkeline, Dewid und Tschastin - Erfahrungen und wahre Geschichten aus dem Alltag einer Familien-PsychologinSophie Seeberg kriegt es hautnah mit, das Leben, denn die Psychologin begutachtet Familien fürs Gericht. An manchen Tagen macht sie dabei schockierende und zutiefst traurige Erfahrungen, dann wieder erlebt sie Anrührendes, und immer wieder stösst sie auf Geschichten, die spätestens nach Feierabend ihren ganz eigenen skurrilen Humor offenbaren: Wenn zum Beispiel der Vater nicht zum Termin erscheint, weil er betrunken auf der Strasse eingeschlafen ist - neben dem Bollerwagen voller Diebesgut. Oder wenn eine Messie-Mutter bei der Wohnungs-Inspizierung den Keller ganz vergessen hat, wo der Rest der Familie auf dem ganzen Müll hockt und wartet, bis die blöde Psychologin wieder weg ist.
Mit viel Fingerspitzengefühl und einem unnachahmlichen Sinn für Humor berichtet Sophie Seeberg vom alltäglichen Wahnsinn, den der Job als Familien-Psychologin mit sich bringt.
Ein authentischer Einblick in einen nicht ganz einfachen Job, bei dem das Kindeswohl an erster Stelle steht - und der bei aller Tragik eben auch immer wieder urkomische Geschichten zu bieten hat.
Lese-Probe zu „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey! “
Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey! von Sophie SeebergVorwarnung
Kürzlich war ich auf dem Weg zu einem Gesprächstermin. Ich sollte einen Vater treffen, der einen nicht ganz normalen Beruf ausübt: Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Kleinkrimineller. Zu unserem ersten Gesprächstermin tauchte er nicht auf, was nicht ungewöhnlich ist. Hinterher werden mir dann oft die wildesten Ausreden aufgetischt. Dieser Vater aber war tatsächlich verhindert. Er hatte sich in der Nacht ein paar Schnäpse zu viel genehmigt, war dann auf der Straße neben seinem Bollerwagen voller Diebesgut eingeschlafen und wurde so von der Polizei aufgefunden.
... mehr
Eine kuriose Geschichte? Auf jeden Fall! Trotzdem ist der Job einer Gerichtsgutachterin in Familien- und Sorgerechtsangelegenheiten zunächst einmal alles andere als lustig. Schließlich werde ich immer erst dann mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, wenn sich getrennt lebende Eltern darüber streiten, bei wem ihr Kind in Zukunft wohnen soll, oder wenn es Hinweise darauf gibt, dass das Wohl eines Kindes in seiner Familie gefährdet ist. Nicht lustig. Manche Fälle beinhalten aber bei aller Ernsthaftigkeit, die selbstverständlich immer die Grundlage meiner Arbeit darstellt, eine unfreiwillige Komik, der ich mich oft nicht entziehen kann. Genau genommen habe ich im Laufe der Jahre einen speziellen Blick für solche skurrilen Situationen entwickelt. Damit bin ich nicht allein. Das ist eine bekannte Reaktion, die sich bei vielen Berufsgruppen einstellt, um die Belastungen des Jobs besser aushalten zu können. Einmal konnten wir bei unserem Psychologen-Stammtisch kaum das eigene Wort verstehen, weil die zwölf Menschen am Nebentisch so unfassbar oft und laut gelacht haben. Es handelte sich um einen Ärzte-Stammtisch. Ich weiß aber auch von Fließbandarbeitern, denen stillschweigend erlaubt wird, eine kleine, harmlose Portion Wahnsinn auszuleben, um der Monotonie zu entfliehen: Das können kleine Streiche sein, die sich die Kollegen untereinander spielen, oder Übersprunghandlungen, bei denen alle Toilettentüren herausgeschraubt werden, bis hin zu einer improvisierten Strandbar aus Bastmatten zwischen zwei großen Maschinen mitten in der Werkshalle. Der Mensch versucht offenbar, Stress so gut es geht zu verarbeiten oder erst gar nicht entstehen zu lassen. Bei mir funktioniert das meist, indem ich innerlich einen Schritt zurücktrete, um Distanz zur jeweiligen Situation zu gewinnen. Und meist wird mir dann bewusst, wie komisch oder skurril das Geschehen gerade ist.
Es gibt natürlich auch andere Wege, mit emotional belastenden Arbeitsbedingungen umzugehen. Neben einer guten Ausbildung und sogenannten Supervisionsgruppen, in denen man sich mit Kollegen austauschen kann, gibt es auch individuelle Mechanismen, die helfen, mit den Belastungen fertig zu werden. Manche meiner Kollegen gehen regelmäßig joggen, andere machen am Feierabend etwas Kreatives wie Malen oder Musizieren, wieder andere gehen gerne Holz hacken und schreien dabei. Gerade Letzteres erschien mir immer wieder als eine sinnstiftende Alternative, und ich tat es nur deswegen nicht, weil ich bei der Handhabung von gefährlichen Werkzeugen wie einer Axt generell eher zur Ungeschicklichkeit neige. Die Vorstellung, im Wald herumzuhumpeln, um meinen abgetrennten Fuß zu suchen, entspricht nicht meiner Vorstellung von Stressreduktion. Da ist mir die Fähigkeit, die Dinge durch die Brille der Skurrilität zu sehen, deutlich lieber - und das ist auch weniger schmerzhaft.
Aber damit Sie nachher nicht sagen, ich hätte Sie nicht gewarnt, tue ich jetzt genau das: Achtung, Achtung! Dieses Buch ist eine emotionale Achterbahnfahrt! Einige Fälle, die ich in diesem Buch schildere, sind schockierend und stellenweise traurig - manchmal ist Humor einfach nicht angebracht. Andere werden Sie, liebe Leser, vielleicht wütend machen oder Sie dazu veranlassen, eine Axt zu kaufen, um damit in den Wald zu gehen. Tun Sie das nicht, bevor Sie weitergelesen haben, denn daneben werde ich Ihnen eben auch Geschichten erzählen, die rührend sind und zeigen, dass Menschen zum Wohl ihrer Kinder Großartiges leisten können. Und Geschichten, die Sie bei aller Dramatik zum Lachen bringen werden.
Aber was hat mich letztlich dazu veranlasst, ein Buch über meine Arbeit zu schreiben? Mein Vater schrieb schon immer wie ein Besessener: Tagebücher, Geschichten für uns Kinder, Reiseberichte, Gedichte, Fachbücher und vieles mehr. Als ich noch ein Kind war, sah das für mich nach »Arbeit« aus, aber er erklärte mir, dass das Schreiben seine allerliebste Beschäftigung sei und es ihm dabei und danach immer gutgehe. Beeindruckt davon, fing ich auch schon als Schulkind damit an und stellte fest, dass es mir ebenso guttat.
Nachdem ich einem guten Freund in mehreren E-Mails von dem einen oder anderen skurrilen Fall erzählt hatte, sendete er sie schließlich ungefragt an eine befreundete Lektorin. Meine ursprüngliche Fassungslosigkeit über diese infame Tat schlug schließlich um in Überraschung, denn die Lektorin war sehr angetan und schlug mir vor, ein Buch aus meinen Erfahrungen zu machen. Nun ist es eine Sache, einem Freund etwas zu mailen, aber eine ganz andere, für viele fremde Menschen zu schreiben. Meine Sorge war - und ist - groß, dass man mir vorwirft, dramatische Fälle nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu behandeln. Glauben Sie mir, das war und ist nicht der Fall. Während ich an Fällen arbeite, gehe ich ernsthaft und mit großer Sorgfalt vor. Den Blick für Skurrilitäten krame ich immer erst nach Feierabend hervor.
Die Familien in diesem Buch sind in keinem Fall ein direktes Abbild unserer Gesellschaft. Natürlich präsentieren sich mir diese Fälle in konzentrierter Form, denn niemand braucht eine Gerichtsgutachterin, um festzustellen, dass die Wohnungen sauber und die Kinder glücklich sind. Und seien Sie versichert: Einer auf den ersten Blick erschreckend großen Anzahl an demotivierten Jugendamtsmitarbeitern, ignoranten Anwälten und unfähigen Richtern steht in der Tat eine Legion an großartigen Fachkräften gegenüber, die hervorragende Arbeit leisten und so tagtäglich die Zukunft unzähliger Kinder retten und die Lebensumstände für viele verzweifelte Menschen entscheidend verbessern.
Sie passieren also jetzt den »Point of no Return«, ab diesem ich keine weiteren Warnungen mehr aussprechen werde. Sollten Sie bei der Lektüre doch hin und wieder zweifeln, lesen Sie bitte dieses Vorwort noch einmal durch. Sie wurden hiermit gewarnt.
Sophie Seeberg, August 2013
Ein ganz normaler Tag
09:00 Uhr Gespräch im Jugendamt mit einer Mitarbeiterin, die ich schon von einigen gemeinsamen Fällen her kenne. Sie ist engagiert, schreibt hervorragende Berichte und hat immer das Wohl der Kinder im Blick. Zudem wirkt sie stets rundum positiv, verfügt über einen tollen Humor, und man hat den Eindruck, als könne sie nichts erschüttern. Am Ende des Gesprächs berichtet sie mir launig, dass sie wegen Burn-out, Depressionen und Alkoholproblemen in stationärer Behandlung war, nun aber wieder alles gut sei und sie wieder richtig loslegen könne. Plötzlich wirkt ihr selbstsicheres Lächeln für mich aufgesetzt, und ich bemerke, dass sie zittert. Als sie lacht, weht eine Alkoholfahne zu mir herüber, und ich hoffe, dass sie von ihrem Mundwasser herrührt.
11:00 Uhr Telefonat mit der zuständigen Erzieherin eines Geschwisterpaares im Grundschulalter, das im Heim lebt, nachdem sich die Eltern nicht mehr um sie kümmern konnten. Der Vater befindet sich im Drogenentzug, die Mutter ließ sich psychiatrisch behandeln, weil sie unter Depressionen litt. Sie hat mir außerdem gestern im persönlichen Gespräch mit ruhiger Stimme und wohlformulierten Argumenten erklärt, warum sie möchte, dass ihre Kinder wieder zu ihr ziehen. Gegen Ende des Gesprächs wechselte eine Krankenschwester die Bandagen, unter denen die frischen Wunden des dritten Selbstmordversuchs verheilen. Der Vater hätte auch gerne die Kinder bei sich, kann sich aber weder an die Namen noch das Alter der beiden erinnern. Er ist sich aber ganz sicher, dass es zwei waren.
14:00 Uhr Termin in einer Grundschule. Es geht um einen verhaltensauffälligen achtjährigen Jungen und die Frage, ob ein Wechsel auf eine Schule mit besonderen Fördermöglichkeiten sinnvoll beziehungsweise notwendig ist. Im Rahmen der Begutachtung steht auch ein Gespräch mit der Lehrerin des Jungen und der Rektorin der Schule an. Normalerweise sind Gespräche mit Fachleuten kaum bemerkenswert, eher angenehm und finden in den immer gleichen Besprechungszimmern statt, in denen sich ein runder Tisch befindet, auf dem Kaffee steht, zu dem es Süßstoff und »Kaffeeweißer «, also Milchpulver, gibt. Nicht so dieses Mal. Die ca. sechzigjährige Lehrerin empfängt mich mit einem kurzen bunten Kleidchen und verschiedenfarbigen Overknees. Sie hat rote Zöpfe und wahnsinnig viele Sommersprossen. Während ich noch staune, werde ich von einem blauen Bären bzw. der Rektorin begrüßt. Im Besprechungsraum stehen mehrere leere Sektflaschen auf dem Tisch. Weit und breit kein Kaffee. Dürfen Lehrer bei der Arbeit eigentlich Sekt trinken? Noch während ich darüber nachdenke, wird mir schwungvoll ein Tablett mit Mettbrötchen unter die Nase gehalten, wobei der Brötchenbelag ganz sicher einmal eine andere Farbe gehabt haben muss. »Greifen Sie zu!« Nein danke. Immerhin habe ich inzwischen begriffen, dass die Grundschule heute wohl Karneval feiert. Ich habe mit Konzentrationsproblemen zu kämpfen. Es ist nicht einfach, sich mit einem blauen Bären und Pippi Langstrumpf über pädagogische Inhalte und die möglichen Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten zu unterhalten. Aber man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles, und nach einiger Zeit kann ich das Gespräch führen wie jedes andere Fachgespräch. Die Pädagoginnen erweisen sich glücklicherweise als kompetent und am Wohl des Kindes interessiert. Nur gegen Ende des Gesprächs komme ich noch einmal aus dem Tritt: Ein sehr, sehr dicker Fliegenpilz mit knallrosa Lippenstift reißt die Türe auf, schwenkt ein Tablett mit halb gefüllten Plastikbechern und trompetet ein fröhliches »Sektchen??!« in die Runde.
15:00 Uhr Hausbesuch bei einem Ehepaar, dessen Kinder vor einigen Wochen vom Jugendamt in Obhut genommen wurden. Es bestand der Verdacht auf Vernachlässigung der Kinder. Die Eltern erklären, alle Vorwürfe seien erfunden. Wenn die Lehrer, Sozialarbeiter und die Kinder selbst etwas anderes behaupten würden, so sei das gelogen. Die Kinder hätten ja ohnehin schon »immer dauernd so Geschichten erzählt«. Das sei ihnen nicht »auszutreiben« gewesen. Nicht einmal »ein paar hintendrauf« hätten viel Wirkung gezeigt. Daraufhin brummelt der Vater, das sei ja »kein richtiges Schlagen«. Die Mutter nickt. Schließlich geben sie zu, dass die Kinder tatsächlich mehrfach nachts alleine auf der Straße gewesen seien. Dies sei aber wirklich nicht ihre Schuld gewesen, schließlich seien die Kinder jedes Mal »heimlich abgehauen«. Was hätten sie denn da tun sollen? Ich werfe ein, dass man als Eltern ja nach dem ersten, spätestens aber nach dem zweiten Mal durchaus Überlegungen dazu anstellen sollte, wie man es zukünftig verhindern könnte, dass die vier-, sechs- und siebenjährigen Kinder nachts unbemerkt das Haus verlassen. Daraufhin berichtet die Mutter stolz, dass sie die Kinder natürlich gleich nach dem ersten Mal in ihrem Zimmer eingesperrt hätten. Der Vater bemerkt trocken, dass die kleinen »Mistbälger« dann aber durchs Fenster entkommen seien. Danach, so beide Eltern, sei ihnen »echt nichts mehr eingefallen «. Schließlich hätten sie sich ja wohl kaum die ganze Nacht unterm Fenster auf die Straße stellen können. »Also, das kann ja nun wirklich niemand von uns verlangen! Wir müssen ja auch mal schlafen, verstehen Sie? Wir haben ja auch noch ein eigenes Leben! Es kann sich ja auch nicht immer alles nur um die Kinder drehen!« In dem zweistündigen Gespräch erkundigen sich die Eltern kein einziges Mal nach ihren Kindern.
17:30 Uhr Verabredung mit meinem Schreibtisch, auf dem sich die noch unfertigen Gutachten in den oben genannten Fällen sowie einige Akten mit neuen Aufträgen stapeln. Die Fragestellungen der Familiengerichte in den Aufträgen sind oft ähnlich, teilweise wörtlich identisch. Doch hinter diesen immer gleichen Begrifflichkeiten stehen jeweils völlig unterschiedliche Fälle. Bei jedem einzelnen bin ich fest entschlossen, das Leben der entsprechenden Kinder so viel zu verbessern wie irgend möglich.
Copyright © 2013 Knaur Taschenbuch Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Eine kuriose Geschichte? Auf jeden Fall! Trotzdem ist der Job einer Gerichtsgutachterin in Familien- und Sorgerechtsangelegenheiten zunächst einmal alles andere als lustig. Schließlich werde ich immer erst dann mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, wenn sich getrennt lebende Eltern darüber streiten, bei wem ihr Kind in Zukunft wohnen soll, oder wenn es Hinweise darauf gibt, dass das Wohl eines Kindes in seiner Familie gefährdet ist. Nicht lustig. Manche Fälle beinhalten aber bei aller Ernsthaftigkeit, die selbstverständlich immer die Grundlage meiner Arbeit darstellt, eine unfreiwillige Komik, der ich mich oft nicht entziehen kann. Genau genommen habe ich im Laufe der Jahre einen speziellen Blick für solche skurrilen Situationen entwickelt. Damit bin ich nicht allein. Das ist eine bekannte Reaktion, die sich bei vielen Berufsgruppen einstellt, um die Belastungen des Jobs besser aushalten zu können. Einmal konnten wir bei unserem Psychologen-Stammtisch kaum das eigene Wort verstehen, weil die zwölf Menschen am Nebentisch so unfassbar oft und laut gelacht haben. Es handelte sich um einen Ärzte-Stammtisch. Ich weiß aber auch von Fließbandarbeitern, denen stillschweigend erlaubt wird, eine kleine, harmlose Portion Wahnsinn auszuleben, um der Monotonie zu entfliehen: Das können kleine Streiche sein, die sich die Kollegen untereinander spielen, oder Übersprunghandlungen, bei denen alle Toilettentüren herausgeschraubt werden, bis hin zu einer improvisierten Strandbar aus Bastmatten zwischen zwei großen Maschinen mitten in der Werkshalle. Der Mensch versucht offenbar, Stress so gut es geht zu verarbeiten oder erst gar nicht entstehen zu lassen. Bei mir funktioniert das meist, indem ich innerlich einen Schritt zurücktrete, um Distanz zur jeweiligen Situation zu gewinnen. Und meist wird mir dann bewusst, wie komisch oder skurril das Geschehen gerade ist.
Es gibt natürlich auch andere Wege, mit emotional belastenden Arbeitsbedingungen umzugehen. Neben einer guten Ausbildung und sogenannten Supervisionsgruppen, in denen man sich mit Kollegen austauschen kann, gibt es auch individuelle Mechanismen, die helfen, mit den Belastungen fertig zu werden. Manche meiner Kollegen gehen regelmäßig joggen, andere machen am Feierabend etwas Kreatives wie Malen oder Musizieren, wieder andere gehen gerne Holz hacken und schreien dabei. Gerade Letzteres erschien mir immer wieder als eine sinnstiftende Alternative, und ich tat es nur deswegen nicht, weil ich bei der Handhabung von gefährlichen Werkzeugen wie einer Axt generell eher zur Ungeschicklichkeit neige. Die Vorstellung, im Wald herumzuhumpeln, um meinen abgetrennten Fuß zu suchen, entspricht nicht meiner Vorstellung von Stressreduktion. Da ist mir die Fähigkeit, die Dinge durch die Brille der Skurrilität zu sehen, deutlich lieber - und das ist auch weniger schmerzhaft.
Aber damit Sie nachher nicht sagen, ich hätte Sie nicht gewarnt, tue ich jetzt genau das: Achtung, Achtung! Dieses Buch ist eine emotionale Achterbahnfahrt! Einige Fälle, die ich in diesem Buch schildere, sind schockierend und stellenweise traurig - manchmal ist Humor einfach nicht angebracht. Andere werden Sie, liebe Leser, vielleicht wütend machen oder Sie dazu veranlassen, eine Axt zu kaufen, um damit in den Wald zu gehen. Tun Sie das nicht, bevor Sie weitergelesen haben, denn daneben werde ich Ihnen eben auch Geschichten erzählen, die rührend sind und zeigen, dass Menschen zum Wohl ihrer Kinder Großartiges leisten können. Und Geschichten, die Sie bei aller Dramatik zum Lachen bringen werden.
Aber was hat mich letztlich dazu veranlasst, ein Buch über meine Arbeit zu schreiben? Mein Vater schrieb schon immer wie ein Besessener: Tagebücher, Geschichten für uns Kinder, Reiseberichte, Gedichte, Fachbücher und vieles mehr. Als ich noch ein Kind war, sah das für mich nach »Arbeit« aus, aber er erklärte mir, dass das Schreiben seine allerliebste Beschäftigung sei und es ihm dabei und danach immer gutgehe. Beeindruckt davon, fing ich auch schon als Schulkind damit an und stellte fest, dass es mir ebenso guttat.
Nachdem ich einem guten Freund in mehreren E-Mails von dem einen oder anderen skurrilen Fall erzählt hatte, sendete er sie schließlich ungefragt an eine befreundete Lektorin. Meine ursprüngliche Fassungslosigkeit über diese infame Tat schlug schließlich um in Überraschung, denn die Lektorin war sehr angetan und schlug mir vor, ein Buch aus meinen Erfahrungen zu machen. Nun ist es eine Sache, einem Freund etwas zu mailen, aber eine ganz andere, für viele fremde Menschen zu schreiben. Meine Sorge war - und ist - groß, dass man mir vorwirft, dramatische Fälle nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu behandeln. Glauben Sie mir, das war und ist nicht der Fall. Während ich an Fällen arbeite, gehe ich ernsthaft und mit großer Sorgfalt vor. Den Blick für Skurrilitäten krame ich immer erst nach Feierabend hervor.
Die Familien in diesem Buch sind in keinem Fall ein direktes Abbild unserer Gesellschaft. Natürlich präsentieren sich mir diese Fälle in konzentrierter Form, denn niemand braucht eine Gerichtsgutachterin, um festzustellen, dass die Wohnungen sauber und die Kinder glücklich sind. Und seien Sie versichert: Einer auf den ersten Blick erschreckend großen Anzahl an demotivierten Jugendamtsmitarbeitern, ignoranten Anwälten und unfähigen Richtern steht in der Tat eine Legion an großartigen Fachkräften gegenüber, die hervorragende Arbeit leisten und so tagtäglich die Zukunft unzähliger Kinder retten und die Lebensumstände für viele verzweifelte Menschen entscheidend verbessern.
Sie passieren also jetzt den »Point of no Return«, ab diesem ich keine weiteren Warnungen mehr aussprechen werde. Sollten Sie bei der Lektüre doch hin und wieder zweifeln, lesen Sie bitte dieses Vorwort noch einmal durch. Sie wurden hiermit gewarnt.
Sophie Seeberg, August 2013
Ein ganz normaler Tag
09:00 Uhr Gespräch im Jugendamt mit einer Mitarbeiterin, die ich schon von einigen gemeinsamen Fällen her kenne. Sie ist engagiert, schreibt hervorragende Berichte und hat immer das Wohl der Kinder im Blick. Zudem wirkt sie stets rundum positiv, verfügt über einen tollen Humor, und man hat den Eindruck, als könne sie nichts erschüttern. Am Ende des Gesprächs berichtet sie mir launig, dass sie wegen Burn-out, Depressionen und Alkoholproblemen in stationärer Behandlung war, nun aber wieder alles gut sei und sie wieder richtig loslegen könne. Plötzlich wirkt ihr selbstsicheres Lächeln für mich aufgesetzt, und ich bemerke, dass sie zittert. Als sie lacht, weht eine Alkoholfahne zu mir herüber, und ich hoffe, dass sie von ihrem Mundwasser herrührt.
11:00 Uhr Telefonat mit der zuständigen Erzieherin eines Geschwisterpaares im Grundschulalter, das im Heim lebt, nachdem sich die Eltern nicht mehr um sie kümmern konnten. Der Vater befindet sich im Drogenentzug, die Mutter ließ sich psychiatrisch behandeln, weil sie unter Depressionen litt. Sie hat mir außerdem gestern im persönlichen Gespräch mit ruhiger Stimme und wohlformulierten Argumenten erklärt, warum sie möchte, dass ihre Kinder wieder zu ihr ziehen. Gegen Ende des Gesprächs wechselte eine Krankenschwester die Bandagen, unter denen die frischen Wunden des dritten Selbstmordversuchs verheilen. Der Vater hätte auch gerne die Kinder bei sich, kann sich aber weder an die Namen noch das Alter der beiden erinnern. Er ist sich aber ganz sicher, dass es zwei waren.
14:00 Uhr Termin in einer Grundschule. Es geht um einen verhaltensauffälligen achtjährigen Jungen und die Frage, ob ein Wechsel auf eine Schule mit besonderen Fördermöglichkeiten sinnvoll beziehungsweise notwendig ist. Im Rahmen der Begutachtung steht auch ein Gespräch mit der Lehrerin des Jungen und der Rektorin der Schule an. Normalerweise sind Gespräche mit Fachleuten kaum bemerkenswert, eher angenehm und finden in den immer gleichen Besprechungszimmern statt, in denen sich ein runder Tisch befindet, auf dem Kaffee steht, zu dem es Süßstoff und »Kaffeeweißer «, also Milchpulver, gibt. Nicht so dieses Mal. Die ca. sechzigjährige Lehrerin empfängt mich mit einem kurzen bunten Kleidchen und verschiedenfarbigen Overknees. Sie hat rote Zöpfe und wahnsinnig viele Sommersprossen. Während ich noch staune, werde ich von einem blauen Bären bzw. der Rektorin begrüßt. Im Besprechungsraum stehen mehrere leere Sektflaschen auf dem Tisch. Weit und breit kein Kaffee. Dürfen Lehrer bei der Arbeit eigentlich Sekt trinken? Noch während ich darüber nachdenke, wird mir schwungvoll ein Tablett mit Mettbrötchen unter die Nase gehalten, wobei der Brötchenbelag ganz sicher einmal eine andere Farbe gehabt haben muss. »Greifen Sie zu!« Nein danke. Immerhin habe ich inzwischen begriffen, dass die Grundschule heute wohl Karneval feiert. Ich habe mit Konzentrationsproblemen zu kämpfen. Es ist nicht einfach, sich mit einem blauen Bären und Pippi Langstrumpf über pädagogische Inhalte und die möglichen Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten zu unterhalten. Aber man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles, und nach einiger Zeit kann ich das Gespräch führen wie jedes andere Fachgespräch. Die Pädagoginnen erweisen sich glücklicherweise als kompetent und am Wohl des Kindes interessiert. Nur gegen Ende des Gesprächs komme ich noch einmal aus dem Tritt: Ein sehr, sehr dicker Fliegenpilz mit knallrosa Lippenstift reißt die Türe auf, schwenkt ein Tablett mit halb gefüllten Plastikbechern und trompetet ein fröhliches »Sektchen??!« in die Runde.
15:00 Uhr Hausbesuch bei einem Ehepaar, dessen Kinder vor einigen Wochen vom Jugendamt in Obhut genommen wurden. Es bestand der Verdacht auf Vernachlässigung der Kinder. Die Eltern erklären, alle Vorwürfe seien erfunden. Wenn die Lehrer, Sozialarbeiter und die Kinder selbst etwas anderes behaupten würden, so sei das gelogen. Die Kinder hätten ja ohnehin schon »immer dauernd so Geschichten erzählt«. Das sei ihnen nicht »auszutreiben« gewesen. Nicht einmal »ein paar hintendrauf« hätten viel Wirkung gezeigt. Daraufhin brummelt der Vater, das sei ja »kein richtiges Schlagen«. Die Mutter nickt. Schließlich geben sie zu, dass die Kinder tatsächlich mehrfach nachts alleine auf der Straße gewesen seien. Dies sei aber wirklich nicht ihre Schuld gewesen, schließlich seien die Kinder jedes Mal »heimlich abgehauen«. Was hätten sie denn da tun sollen? Ich werfe ein, dass man als Eltern ja nach dem ersten, spätestens aber nach dem zweiten Mal durchaus Überlegungen dazu anstellen sollte, wie man es zukünftig verhindern könnte, dass die vier-, sechs- und siebenjährigen Kinder nachts unbemerkt das Haus verlassen. Daraufhin berichtet die Mutter stolz, dass sie die Kinder natürlich gleich nach dem ersten Mal in ihrem Zimmer eingesperrt hätten. Der Vater bemerkt trocken, dass die kleinen »Mistbälger« dann aber durchs Fenster entkommen seien. Danach, so beide Eltern, sei ihnen »echt nichts mehr eingefallen «. Schließlich hätten sie sich ja wohl kaum die ganze Nacht unterm Fenster auf die Straße stellen können. »Also, das kann ja nun wirklich niemand von uns verlangen! Wir müssen ja auch mal schlafen, verstehen Sie? Wir haben ja auch noch ein eigenes Leben! Es kann sich ja auch nicht immer alles nur um die Kinder drehen!« In dem zweistündigen Gespräch erkundigen sich die Eltern kein einziges Mal nach ihren Kindern.
17:30 Uhr Verabredung mit meinem Schreibtisch, auf dem sich die noch unfertigen Gutachten in den oben genannten Fällen sowie einige Akten mit neuen Aufträgen stapeln. Die Fragestellungen der Familiengerichte in den Aufträgen sind oft ähnlich, teilweise wörtlich identisch. Doch hinter diesen immer gleichen Begrifflichkeiten stehen jeweils völlig unterschiedliche Fälle. Bei jedem einzelnen bin ich fest entschlossen, das Leben der entsprechenden Kinder so viel zu verbessern wie irgend möglich.
Copyright © 2013 Knaur Taschenbuch Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Sophie Seeberg
Sophie Seeberg ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit fast zwanzig Jahren als Sachverständige für Familiengerichte. Ihre Aufgabe ist es, Gutachten für das Gericht zu erstellen, regelmässig arbeitet sie dabei auch eng mit dem Jugendamt zusammen. Von ihren skurrilsten und aussergewöhnlichsten Fällen berichtet sie in diesem Buch.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sophie Seeberg
- 2013, 256 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426786036
- ISBN-13: 9783426786031
- Erscheinungsdatum: 27.11.2013
Rezension zu „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey! “
"Skurrile Erzählungen aus dem ganz normalen Familienwahnsinn." Smag live 20131201
Pressezitat
"Skurrile Erzählungen aus dem ganz normalen Familienwahnsinn." Smag live 20131201
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