Die Rose von Asturien
Roman
Asturien im Frühmittelalter: Seit Graf Roderick Maites Vater getötet hat, sinnt die junge Frau auf Rache. Sie heckt einen raffinierten Plan aus, der zunächst auch aufzugehen scheint, doch dann kommt Maite ausgerechnet die Liebe in die Quere.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Rose von Asturien “
Asturien im Frühmittelalter: Seit Graf Roderick Maites Vater getötet hat, sinnt die junge Frau auf Rache. Sie heckt einen raffinierten Plan aus, der zunächst auch aufzugehen scheint, doch dann kommt Maite ausgerechnet die Liebe in die Quere.
Klappentext zu „Die Rose von Asturien “
Asturien im frühen Mittelalter: Einst hatte Graf Roderich einen Rivalen getötet und dessen Tochter Maite entführt. Zwar konnte das Mädchen fliehen, doch ihr Hass auf den Grafen und seine Sippe ist nie erloschen. Als Maite nun erfährt, dass die Tochter dieses Grafen heiraten soll, ersinnt sie einen raffinierten Racheplan. Doch Maite hat die Rechnung ohne die Liebe gemacht ...»Iny Lorentz mit einer opulenten, bunten und spannenden Historien-Saga, die jeden Leser sofort gefangen nimmt. Das Autorenehepaar Iny Lorentz erzählt ganz besonders, so zügig und gleichzeitig so voller Details und lebendiger Figuren. Das schafft kaum jemand anderes im historischen Roman.« Denglers-Buchkritik.de, Alex Dengler
Lese-Probe zu „Die Rose von Asturien “
Die Rose von Asturien von Iny Lorentz Erster Teil
Eine alte Feindschaft
... mehr
1. Im Osten bedeckte der erste Hauch der Dämmerung die Berge,
während der westliche Horizont in flammendem Rot
leuchtete, als könne der Tag sich nicht entschließen, der Nacht
zu weichen. Die Reiterschar, die zu dieser Stunde unterwegs
war, achtete jedoch weder auf die beginnende Dunkelheit
noch auf das prächtige Farbenspiel am Himmel. Das Gesicht
ihres Anführers war düster, und in seinen Augen leuchtete
blanke Wut.
Drei Tage lang hatte Roderich, der Grenzgraf der baskischen
Mark, die Diebe verfolgt, die eine seiner Schafherden geraubt
hatten, und war dabei ein ums andere Mal in die Irre geleitet
worden. Obwohl er zu wissen glaubte, wer dahintersteckte,
hatte er die Verfolgung abbrechen müssen, weil die Schar seiner
Krieger, die ihn auf die Jagd begleitete, zu klein war. Auf
einen ernsthaften Kampf mit dem kompletten Stamm der
Schafdiebe durfte er sich nicht einlassen.
Daher war die Stimmung ausgesprochen schlecht, und seine
Leute verschafften ihrer Wut mit Flüchen Luft.
»Beim heiligen Jakobus, diese Bergwilden lachen sich ins
Fäustchen, weil wir uns wie Hunde mit eingezogenen Schwänzen
davonmachen müssen«, schimpfte Ramiro, der Stellvertreter
des Grafen.
Der ging nicht auf seine Worte ein, sondern winkte ihm, still
zu sein. »Vorsicht, da vorne ist jemand. Haltet die Waffen bereit!
« Er sprach so leise, dass es nur der Reiter direkt hinter
ihm hörte. Dieser gab die Warnung weiter, und innerhalb kürzester
Zeit hatten alle Männer die Schilde fester gefasst und
ihre Speere gesenkt.
Das Geräusch, das den Grafen hatte aufmerksam werden lassen,
stammte jedoch nur von einem einzigen Mann, der auf
einem in blutrotes Licht getauchten Felsen saß. Obwohl Graf
Roderich wenig mehr als einen Schattenriss ausmachen konnte,
war ihm klar, dass er einen Waskonen vor sich hatte, und
zog sein Schwert.
Im gleichen Augenblick stand der Mann auf, sprang vom Felsen
und hob die Hände, um seine friedlichen Absichten zu zeigen.
»Einen schönen guten Abend wünsche ich dir, Graf Roderich«, grüßte er.
»Er wird gleich noch schöner werden, wenn dein Blut an meinem
Schwert glänzt!« Roderich schlug jedoch nicht zu, sondern
musterte den Waskonen mit durchdringendem Blick.
Den Kerl hatte er schon ein paarmal gesehen und glaubte sich
an seinen Namen erinnern zu können. Dennoch tat er so, als
sei der andere ihm fremd. »Was willst du? Sprich schnell, denn
meine Klinge ist durstig.«
»Ich will mit dir reden, Graf Roderich, und dir einen Gefallen
erweisen.« Der Waskone warf einen vielsagenden Blick auf die
Begleiter des Grafen. »Es wäre mir lieb, wenn wir unter vier
Augen sprechen könnten!«
Der Graf schüttelte den Kopf. »Ich vertraue den Männern
meiner Leibschar mein Leben an. Also sprich, wenn du das
deine behalten willst.«
»Sie sollen schwören, nichts von dem zu erzählen, was sie jetzt
hören werden«, forderte der Waskone.
»Meine Krieger sind keine Schwatzmäuler. Und jetzt rede
endlich!« Auf einen Wink des Grafen umringten die Reiter
den Waskonen und richteten ihre Speere auf ihn. Der Mann
strich sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und lachte,
um seine Nervosität zu verbergen.
»Du bist auf der Suche nach den Männern, die deine Schafe
gestohlen haben. Was würdest du sagen, wenn ich dir helfen
würde, ihren Anführer und dessen Spießgesellen in deine Gewalt
zu bekommen?«
Die Miene des Grafen wurde noch grimmiger. »Wenn du mich
veralbern willst, hast du dir einen verdammt schlechten Tag
dafür ausgesucht.«
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde er den Waskonen
einfach niederschlagen, dann aber siegte doch seine
Neugier. »Gesetzt den Fall, du meinst es wirklich ehrlich: Warum
würdest du das tun wollen?«
»Dein Feind hat mich schwer beleidigt«, antwortete der Waskone
nach einem kaum merklichen Zögern.
Um die Lippen des Grafen spielte nun ein spöttisches Lächeln.
»Das soll ich dir glauben? Ich weiß genau, in welchem Verhältnis
du zu diesem Schafdieb stehst. Also soll ich ihn dir aus
dem Weg räumen, damit du an seiner Stelle meine Schafe
stehlen kannst!«
Der Mann begriff, dass dies keine Lösung war, die dem Grafen
gefallen konnte, und ging aufs Ganze. »Was würdest du sagen,
wenn unser Stamm dir Schafe als Tribut zahlen würde, anstatt
sie dir zu stehlen?«
Nun nickte der Graf unwillkürlich. »Damit könnte ich mich
anfreunden. Aber dazu muss ich in euer Dorf kommen, um
euren Treueschwur entgegenzunehmen, und zwar ohne
Kampf.«
Diese Entwicklung sagte dem Waskonen nicht gerade zu, dennoch
stimmte er schließlich zu. »Also gut! Aber dazu muss der
Wächter abgelenkt werden, und das ist mir unmöglich. Doch
du könntest es tun.« Der Mann trat näher an den Grafen heran
und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Roderich nickte dazu und
grinste.
»Schön! Aber wehe dir, wenn du mich belogen haben solltest.
Die Berge wären nicht hoch und nicht weit genug, um dich vor
meiner Rache zu bewahren!«
Der Waskone lachte. »Ich liefere dir deinen schlimmsten Feind
aus und übergebe unseren Stamm deiner Oberherrschaft.
Dafür habe ich wohl eher eine Belohnung als eine Drohung verdient.«
»Es ist schon Belohnung genug, dass du dein Leben behalten
darfst«, warf Ramiro ein. Er traute dem Waskonen noch weniger
als sein Herr und hätte ihn am liebsten mit dem Speer niedergestoßen.
Der Graf hob jedoch die Hand. »Halt! Wir vergeben uns
nichts, wenn wir so tun, als würden wir ihm glauben. Ist er
ehrlich, schalten wir damit einen hartnäckigen Feind aus und
stärken unseren Einfluss in dieser Gegend. Versucht er uns zu
betrügen, werden unsere Schwerter und Speere ihn eines Besseren
belehren.« Dann wandte Roderich sich wieder dem
Waskonen zu. »Morgen Abend, sagst du, will dein Häuptling
eine weitere Schafherde stehlen? Er denkt wohl, er habe uns
weit genug in die Berge gelockt, so dass wir ihm nicht in die
Quere kommen können!«
»Genauso ist es, Graf Roderich«, erklärte der Waskone eilfertig.
»Gut! Wir werden ihn erwarten. Sollte er nicht kommen, wäre
es besser für dich, mir so schnell nicht mehr unter die Augen
zu kommen. Damit Gott befohlen!« Der Graf winkte seinen
Männern zu, ihm zu folgen, und so blieb der Waskone allein
zurück. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Gier und leiser
Triumph. Wenn der Graf keinen Fehler beging, würde er in
wenigen Tagen der Herr seines Stammes sein und endlich die
Stellung einnehmen, auf die er seit Jahren hinarbeitete.
2.
Graf Roderich winkte seinem Stellvertreter zu. »Ist alles bereit?«
»Das ist es, Don Rodrigo!« In seiner Erregung sprach der
Mann seinen Herrn mit der hispanischen Form des Namens an.
Der Graf schüttelte unwillig den Kopf, sagte aber nichts, sondern
versuchte, aus dem dichten Wald heraus, in dem er und
seine Reiter sich versteckt hielten, die Weide und die drei Hirten
im Auge zu behalten, die dort etliche Dutzend Schafe hüteten.
Vier große, schwarzweiß gefleckte Hunde umkreisten die Herde.
Für seinen Feind musste dieser Anblick einfach verlockend
sein, fuhr es Graf Roderich durch den Kopf. Gleichzeitig packte
ihn die Sorge, dass er und seine Männer durch einen dummen
Zufall entdeckt würden.
»Passt auf eure Gäule auf. Nicht dass einer zur unrechten Zeit
schnaubt oder gar wiehert!« Die Warnung war überflüssig,
denn jeder wusste, worauf es ankam. Nur wenn es ihnen gelang,
die Schafdiebe in die Falle zu locken, würden sie die Kerle
erwischen.
»Einer der Hirten macht ein Zeichen. Es sieht aus, als hätte
er oder einer der Hunde etwas bemerkt!« Obwohl Ramiro
flüsterte, fing er sich einen tadelnden Blick seines Anführers
ein.
Auch Graf Roderich war aufgefallen, dass die Hunde unruhig
wurden. Drei Hirten und vier Hunde reichten im Allgemeinen
aus, um ein halbes Dutzend Schafdiebe abzuschrecken. Sein
persönlicher Feind jedoch kam wahrscheinlich mit einem
Trupp Krieger, der nicht kleiner war als die Gruppe, die ihn
begleitete. Dennoch war er nicht beunruhigt. Die Männer
seiner Leibschar hatte er mit Bedacht ausgewählt, jeder von
ihnen konnte es mit zwei bis drei Gegnern aufnehmen. Außerdem
waren sie beritten und mit ihren längeren Speeren jedem
Fußkämpfer gegenüber im Vorteil.
»Da oben sind sie!« Einer seiner Männer wies auf den felsigen
Berghang, der die Weide auf der linken Seite begrenzte. Jetzt
sah der Graf sie auch. Mindestens zwei Dutzend Männer
schlichen sich dort im Schutz der Felsen an, weit mehr, als er
erwartet hatte. Die Waskonen bewegten sich geschickt gegen
den Wind, doch der erfahrene Hütehund hatte Witterung
aufgenommen. Auf das Zeichen eines Hirten trieb der Rüde
zusammen mit den anderen Hunden die Schafe in Richtung
des Wäldchens, in dem sich die Reiter versteckt hielten.
Graf Roderich begriff, dass er an diesem Tag eine zweite Herde
an diese verdammten Bergwilden verloren hätte, wäre er
nicht von dem Verräter gewarnt worden. Grimmig nickte er
seinen Männern zu.
»Diesmal zeigen wir es ihnen. Wir machen keine Gefangenen,
bis auf ...«, er wies auf einen der anschleichenden Waskonen,
»... bis auf diesen Blondschopf dort. Den lasst am Leben! Wir
brauchen ihn noch.«
»Sollen wir den Kerl gefangen nehmen?«, fragte Ramiro.
»Ja, aber er muss verletzt sein. Unversehrt nützt er uns nichts.
Und jetzt still! Die Kerle kommen.« Graf Roderich zog sein
Schwert so leise, wie es möglich war, aus der Scheide und
bleckte die Zähne. An diesem Abend würden die Schafdiebe
für all den Ärger bezahlen, den sie ihm seit Jahren bereiteten.
Seine Augen saugten sich an dem nicht übermäßig großen,
aber sehnigen Anführer der Waskonen fest. Er konnte nicht
mehr sagen, wie oft dieser Schurke ihn bereits an der Nase
herumgeführt hatte. Wahrscheinlich hatte das Weib des Kerls
schon seit Jahren kein eigenes Schaf mehr in den Kochkessel
stecken müssen, so viele hatte der Mann seinen Nachbarn gestohlen
und nach Hause gebracht.
Inzwischen waren die Angreifer nahe genug herangekommen
und stürmten nun brüllend auf die drei Hirten zu. Diese hoben
zuerst ihre mit Eisenspitzen bestückten Stöcke, die sich
für den Kampf gegen Bären, Wölfe und Viehdiebe sehr gut
eigneten. Dann aber wichen sie von der Zahl der Waskonen
erschreckt zurück und trieben dadurch die Schafe ein Stück
weiter nach unten.
»Gut gemacht«, murmelte der Graf und zügelte seinen unruhig
werdenden Hengst. Auch die Männer an seiner Seite gierten
danach, gegen die Waskonen anzureiten.
Gebieterisch hob Roderich die Hand. »Wartet! Erst müssen
alle Kerle auf der Weide sein. Ich will nicht, dass einer zwischen
die Felsen fliehen kann und entkommt. Dort hinauf
müssten unsere Pferde fliegen.«
Einer der Männer lachte, brach aber sofort ab, als Ramiro ihm
einen Stoß versetzte. Zum Glück waren die Waskonen selbst
zu laut, als dass sie ihn hätten hören können. Ihres Erfolges
sicher, sammelten sie sich jetzt auf dem oberen Teil der Weide,
und ihr Anführer teilte sie auf, um die Herde abzufangen.
Auf diesen Augenblick hatte Graf Roderich gewartet. »Los,
Männer!«, rief er und trieb seinen Hengst an. Solange sie noch
zwischen Bäumen waren, musste er vorsichtig reiten, doch
kaum hatte er die Weide erreicht, gab er dem Tier die Sporen.
Hinter ihm tauchten seine Reiter aus dem Waldesdunkel auf
und stürzten sich auf die überraschten Feinde.
Deren Anführer rief seinen Männern zu, zum Felshang zu
rennen, und versuchte selbst, das rettende Gelände zu erreichen.
Doch das hatten Roderichs Reiter vorausgesehen und
schnitten den Fliehenden den Weg ab. Gleichzeitig zuckten
die Spitzen ihrer Speere auf die Diebe zu. In den Bergen waren
die Waskonen gefährliche Gegner, die aus dem Hinterhalt zuschlugen
und ebenso gut klettern konnten wie ihre Ziegen.
Hier auf der sanft abfallenden Wiese aber saßen sie in der
Falle. Von den besser bewaffneten Reitern in die Zange genommen,
versuchten die Schafdiebe vergeblich zu fliehen.
Einige warfen sogar die hinderlichen Speere fort, um sich mit
gewagten Sprüngen in Sicherheit zu bringen. Sie wurden als
Erste getötet.
Der Anführer der Waskonen versuchte, mit den Überlebenden
einen Verteidigungsring zu bilden, doch die Asturier nutzten
den Vorteil ihrer längeren Speere gnadenlos aus. Während
keiner von ihnen ernsthaft verwundet wurde, sank ein Waskone
nach dem anderen zu Boden.
Zuletzt standen nur noch der Anführer und der blonde Bursche
auf den Beinen. Sie tauschten einen Blick und rannten
dann brüllend auf die Asturier zu.
Graf Roderich nahm noch wahr, wie der Blonde, der am Oberschenkel
und an der Schulter verwundet war, dennoch weiterzukämpfen
versuchte. Dann sah er sich dem Anführer der
Schafdiebe gegenüber, der seinen Hengst fixierte. Roderich
ahnte, dass der Kerl sein Pferd töten wollte, um ihn zu Fall zu
bringen, und zwang das Tier dazu, ein paar Schritte rückwärtszugehen.
Bevor der Waskone ihm folgen konnte, waren Ramiro
und mehrere andere Reiter heran und rammten dem Mann
ihre Speere in den Leib.
Noch während der Waskone zu Boden stürzte, lachte Ramiro
wie befreit auf. »Der Kerl hat das letzte Schaf aus unseren
Herden geraubt, Don Rodrigo.«
»Wickelt seinen Kadaver in eine Decke und bindet ihn auf ein
Pferd. Was ist mit dem Blondschopf? Lebt der noch?«
Ramiro nickte eifrig. »Das tut er, Herr. Auch wenn ich nicht
recht begreife, warum wir ihm nicht ebenfalls das Lebenslicht
ausblasen sollen.«
»Ich sagte, wir brauchen ihn noch. Also sorgt dafür, dass er
lange genug am Leben bleibt. Unsere Verletzten bleiben hier
und helfen den Hirten, die toten Schafräuber in die nächste
Schlucht zu werfen. Die Übrigen kommen mit mir!« Graf Roderich
war zufrieden. Ein wenig bedauerte er es, den feindlichen
Anführer nicht selbst getötet zu haben, doch sein Hengst
war zu wertvoll, um ihn von einem Bergwilden aufspießen zu
lassen. Außerdem war sein Gegner wie ein Dieb gekommen
und hatte wie ein solcher geendet. »Auf geht's, Männer! Wir
haben noch einen kleinen Ausflug in die Berge vor uns. Ramiro,
du nimmst zwei Reiter und bringst den Verletzten ein
Stück über die Grenze und legst ihn dort neben die Straße.
Achtet darauf, dass die Leute euch dort sehen, aber lasst euch
nicht erwischen.«
»Das werden wir gewiss nicht, Graf Roderich!« Ramiro hatte
sich rechtzeitig daran erinnert, dass sein Herr die visigotische
Form seines Namens der hispanischen Variante vorzog, und
verabschiedete sich mit einem erwartungsfrohen Grinsen.
»Ihr stoßt kurz vor unserem Ziel wieder zu uns. Und nun beeilt
euch!« Der Graf winkte Ramiro und dessen Begleitern
kurz zu und ritt dann an. Seine Schar folgte ihm im Bewusstsein
des eben errungenen Sieges und war bereit, ihm bis an die
Pforten der Hölle zu folgen.
3.
Maite starrte fassungslos auf die Reiter, die mit hochmütigen
Mienen in ihr Dorf einritten, als sei es ihr gutes Recht, und
wünschte, ihr Vater wäre da, um den Kerlen die Zähne zu
zeigen. Bei den ungebetenen Besuchern handelte es sich um
zwei Dutzend Krieger, von denen jeder eine eiserne Rüstung
trug und Schwert und Helm besaß. Die meisten hielten lange
Speere in der Rechten und lenkten ihre Rosse mit der anderen
Hand. Die Schilde hatten sie auf den Rücken geworfen, als
hätten sie hier nicht das Geringste zu befürchten. Dabei handelte
es sich um asturische Krieger, und das waren die
schlimmsten Feinde, die Maite sich vorstellen konnte.
Ihr Anführer war ein echter Visigote, ein selbst im Sattel noch
hochgewachsen wirkender Mann in einem Kettenhemd nach
maurischer Art, mit schulterlangen blonden Haaren und
blauen Augen, die so kühl blickten wie Eis. Mit verächtlicher
Miene musterte er das Dorf mit den aus Bruchsteinen und
Holz errichteten Häusern, deren Dächer mit Steinen beschwert
waren. In seinen Augen war Askaiz ein Bergnest, in
dem der reichste Bewohner kaum mehr besaß als der ärmste
und die Ehefrau des Häuptlings ihre Wäsche ebenso selbst
waschen musste wie die geringste Magd.
Graf Roderich war jedoch nicht gekommen, um sich das Dorf
anzusehen. Auf seinen Wink hin führte einer seiner Begleiter
ein Saumpferd heran, schnitt die Stricke durch, mit denen ein
längliches, in Tuch eingeschlagenes Bündel am Tragsattel befestigt
war, und ließ dieses zu Boden fallen. Dann packte er das
Tuch mit beiden Händen und riss daran. Zum Vorschein kam
ein blutverschmierter Leichnam.
Als die Dorfbewohner den Toten erkannten, brüllten und
heulten sie so, dass es von den nahen Bergflanken widerhallte.
Da die Erwachsenen Maite die Sicht verdeckten, sah sie zu Estinne,
der Frau ihres Onkels, auf. »Was ist da los?«
»Nichts, Kind!«, rief diese mit gepresster Stimme und versuchte
sie wegzuzerren.
Maite riss sich los und zwängte sich durch die Menge. Es dauerte
einige Augenblicke, bis sie begriff , dass der blutverschmierte
Tote ihr Vater war. Zuerst stand sie wie versteinert.
Dann brach ein schier unmenschlicher Ton aus ihrer Kehle,
so schrill und laut, dass die Pferde der Eindringlinge unruhig
wurden.
Sie ballte die Fäuste und wollte auf die Asturier losgehen, doch
eine Frau hielt sie fest. »Sei still, Kleines! Sonst tun dir die
bösen Männer noch etwas an.«
Graf Roderich ließ den Dörflern, die ihren erschlagenen
Häuptling fassungslos anstarrten, etwas Zeit zu begreifen,
dass sich der Wind gedreht hatte. Dann begann er, mit weittragender
Stimme zu sprechen: »Euer Anführer Iker und sei
ne Spießgesellen haben sich zu nahe bei meinen Schafherden
herumgetrieben. Dabei haben meine Hirten sie erwischt und
bestraft. Ich bringe euch seine Überreste, damit ihr wisst, was
euch blüht, wenn sich noch mal einer von euch bei meinen
Herden blicken lässt.«
Maite wollte dem Mann entgegenbrüllen, dass ihr Vater ein
großer Krieger gewesen war, der es mit einem Dutzend asturischer
Schafhirten aufgenommen hätte. Die Frau, die sie festhielt,
presste ihr jedoch die Hand auf den Mund, so dass sie
kaum Luft bekam. Maite strampelte wütend, um freizukommen.
Da trat Estinne hinzu und half, das tobende Mädchen zu
bändigen.
Da sie nichts anderes tun konnte, funkelte Maite die eigenen
Männer an, die wie Schafe herumstanden und vor Angst zu
vergehen schienen, obwohl sie Roderichs Schar der Anzahl
nach weit überlegen waren. Die Asturier waren in Askaiz aufgetaucht,
ohne dass Asier, der Wache halten sollte, das Dorf
gewarnt hätte. Nun starrten die Bewohner auf die blitzenden
Schwerter und Speerspitzen der Eindringlinge und wagten
sich nicht zu rühren.
Maite empfand in diesem Moment mehr Wut als Entsetzen
oder Trauer. Ihr Vater wäre mit dem aufgeblasenen Grafen
und seinen Reitern fertig geworden, das wusste sie. Daher gab
es für sie nur einen Schluss: Die Asturier mussten ihn in eine
Falle gelockt haben.
Graf Roderich bemerkte die Drohgebärden des Kindes nicht
einmal, sondern ließ den Blick selbstzufrieden über die erstarrten
und verängstigten Gesichter der Bewohner von Askaiz
schweifen. Ohne einen kühnen Anführer wie Iker sind sie wie
Schafe, die vor dem Wolf zittern, dachte er und deutete auf
einen der Männer. »Wer ist nun euer Anführer? Er soll vortreten
und hören, was ich ihm zu sagen habe!«
Einige der Umstehenden drängten zur Seite und öffneten eine
Gasse für den Schwager des toten Häuptlings. Okin, der die
dreißig bereits vor Jahren überschritten hatte, war ein kräftig
gebauter Mann mit rundlichem Gesicht, das seinen sonst verkniff
en wirkenden Ausdruck mit einem Mal verloren zu haben
schien. Er ging breitbeinig auf Roderich zu, blieb zwei Schritte
vor dessen Pferd stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was willst du?«
Über das Gesicht des Asturiers huschte ein kurzes Zucken,
und dann trafen sich die Blicke der beiden Männer in heimlichem
Einverständnis. Als Roderich zu sprechen begann,
klang seine Stimme jedoch schroff. »Bist du der neue Häuptling?«
»Ich bin Ikers Schwager und von ihm beauftragt, den Stamm
während seiner Abwesenheit zu führen.«
»Dann wirst du deinen Stamm wohl auf Dauer führen müssen,
es sei denn, Iker kehrt aus der Hölle zurück!« Roderich
lachte, während Okins Augen zufrieden aufleuchteten.
Da trat ein alter Mann vor und hob abwehrend die Hand.
»Der Visigote kann sagen, was er will, Okin. Du wirst nur so
lange unser Anführer sein, bis Ikers Tochter alt genug ist, sich
einen Mann zu wählen. Dieser wird dann die Stelle ihres Vaters
einnehmen!«
Obwohl Maite erst acht Jahre zählte, begriff sie, dass von ihr
die Rede war. Nach dem Tod ihres Vaters floss das Blut der
alten Häuptlinge nur noch in ihren Adern, und es war ihre
Aufgabe, es an die nächste Generation weiterzugeben. Dafür
war sie jedoch noch viel zu jung. Das machte sie noch wütender,
denn nun gab es niemanden, der ihren Onkel hindern
konnte, sich vor den anderen Stammesmitgliedern als Anführer
aufzuspielen, wie er es bisher jedes Mal getan hatte, wenn
ihr Vater unterwegs gewesen war. Auch jetzt plusterte er sich
auf und redete mit dem asturischen Anführer - dem Mörder
ihres Vaters -, als sei dieser ein geehrter Gast. An seiner Stelle
hätte sie die Männer aufgerufen, ihren toten Häuptling zu rächen.
Aber dafür ist er zu feige, dachte sie hasserfüllt.
Graf Roderich schien sich nicht für den Einwand des Alten zu
interessieren, sondern lenkte sein Pferd näher an Okin und
stieß ihn mit der Fußspitze an. »Du und deine Leute, ihr werdet
König Aurelio die Treue schwören und mir in Zukunft
Tribut entrichten. Sonst komme ich zurück, und dann bleibt
von eurem Stamm nicht einmal mehr der Name übrig!«
Unter den Männern und Frauen, die sich bis jetzt ängstlich im
Hintergrund gehalten hatten, schwoll wütendes Gemurmel
auf. Doch niemand wagte, sich gegen die dreisten Forderungen
des asturischen Grafen zu stellen. Maite schämte sich immer
mehr für ihre Leute, die vor dem Asturier kuschten, anstatt
ihn aus dem Sattel zu reißen und für Ikers Tod bezahlen zu
lassen.
Inzwischen hatte Estinne ihren Griff gelockert, so dass Maite
sich mit einem Ruck befreien konnte. Voller Zorn rannte sie
auf Roderich zu. Ihr Onkel sah sie kommen und streckte unwillkürlich
den Arm aus, um sie aufzuhalten. Doch ehe sie
ihn erreicht hatte, trat er einen Schritt zurück und grub seine
Daumen in den Gürtel, als ginge ihn das, was nun folgte,
nichts an.
Als Maite das Pferd des Asturiers erreichte, begriff sie, dass sie
nichts gegen den Mann ausrichten konnte. Sie besaß ja nicht
einmal ein Messer. In ihrer Verzweiflung schlug sie mit ihren
Fäusten gegen sein rechtes Bein und schrie ihm dabei sämtliche
Flüche ins Gesicht, die sie kannte.
Verblüff t ließ Roderich sie ein paar Augenblicke lang gewähren,
dann griff er nach unten, packte sie am Genick und hielt
sie so von sich weg, dass ihre Fäuste ihn nicht mehr erreichen
konnten.
»Wer ist dieses Mädchen?«, fragte er.
»Ikers Tochter Maite«, erklärte Okin, ohne zu zögern.
»Ein mutiges Ding! Nun, wir werden diese Wildkatze schon
zähmen.« Roderich lachte und reichte Maite an einen seiner
Krieger weiter. »Hier, Ramiro! Pass auf die Kleine auf. Du
solltest sie fesseln, denn sie schielt mir zu sehr nach unseren
Dolchen. Zu Hause wird Alma sich ihrer annehmen. Wenn
einer so ein Ding zurechtstutzen kann, dann sie.«
Seine Reiter stimmten in sein Lachen ein, denn die Beschließerin
der Burg wurde nicht umsonst Alma der Drache genannt.
Bei der würde die Kleine kuschen müssen, wenn sie
nicht den Hintern versohlt bekommen wollte. Den Hass, der
aus Maites Augen sprühte, nahm keiner von ihnen ernst. Sie
sahen in ihr nur ein Kind, das sich bald in die neuen Gegebenheiten
einfinden würde.
Graf Roderich wandte sich noch einmal an Okin. »Du weißt
jetzt, wer eure Herren sind! Halte dich daran, sonst kostet es
euch beim nächsten Mal mehr als nur ein paar Tote.« Er warf
dem Leichnam des Häuptlings einen Blick zu, der einem erlegten
Hirsch hätte gelten können, und gab seinen Männern das
Zeichen, ihm zu folgen.
Maite wehrte sich verzweifelt, doch Ramiro gab ihr eine Ohrfeige,
die ihr die Sinne zu rauben drohte. Bevor sie sich wieder
aufraffen konnte, hatte der Asturier einen rauhen Strick um
ihre Handgelenke gewickelt und sie vor sich auf das Pferd gesetzt.
Als sie in ihrer Wut mit ihren Füßen gegen den Hals des
Pferdes trat, erhielt sie die nächste Ohrfeige und musste die
Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz zu schreien.
Sie war Ikers Tochter und würde vor den Asturiern keine
Schwäche zeigen. Das Pferd erneut zu treten, wagte sie jedoch
nicht, und sie konnte auch die Tränen nicht aufhalten, die ihr
nun, da das Heimatdorf immer weiter hinter ihr zurückblieb,
aus den Augen rannen.
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Redaktion: Regine Weisbrod
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Umschlagfoto: Bridgeman / Ausschnitt aus einem Gemälde von
Giulio Romano, ....-.... / Louvre, Paris
Satz: Adobe InDesign im Verlag
Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
1. Im Osten bedeckte der erste Hauch der Dämmerung die Berge,
während der westliche Horizont in flammendem Rot
leuchtete, als könne der Tag sich nicht entschließen, der Nacht
zu weichen. Die Reiterschar, die zu dieser Stunde unterwegs
war, achtete jedoch weder auf die beginnende Dunkelheit
noch auf das prächtige Farbenspiel am Himmel. Das Gesicht
ihres Anführers war düster, und in seinen Augen leuchtete
blanke Wut.
Drei Tage lang hatte Roderich, der Grenzgraf der baskischen
Mark, die Diebe verfolgt, die eine seiner Schafherden geraubt
hatten, und war dabei ein ums andere Mal in die Irre geleitet
worden. Obwohl er zu wissen glaubte, wer dahintersteckte,
hatte er die Verfolgung abbrechen müssen, weil die Schar seiner
Krieger, die ihn auf die Jagd begleitete, zu klein war. Auf
einen ernsthaften Kampf mit dem kompletten Stamm der
Schafdiebe durfte er sich nicht einlassen.
Daher war die Stimmung ausgesprochen schlecht, und seine
Leute verschafften ihrer Wut mit Flüchen Luft.
»Beim heiligen Jakobus, diese Bergwilden lachen sich ins
Fäustchen, weil wir uns wie Hunde mit eingezogenen Schwänzen
davonmachen müssen«, schimpfte Ramiro, der Stellvertreter
des Grafen.
Der ging nicht auf seine Worte ein, sondern winkte ihm, still
zu sein. »Vorsicht, da vorne ist jemand. Haltet die Waffen bereit!
« Er sprach so leise, dass es nur der Reiter direkt hinter
ihm hörte. Dieser gab die Warnung weiter, und innerhalb kürzester
Zeit hatten alle Männer die Schilde fester gefasst und
ihre Speere gesenkt.
Das Geräusch, das den Grafen hatte aufmerksam werden lassen,
stammte jedoch nur von einem einzigen Mann, der auf
einem in blutrotes Licht getauchten Felsen saß. Obwohl Graf
Roderich wenig mehr als einen Schattenriss ausmachen konnte,
war ihm klar, dass er einen Waskonen vor sich hatte, und
zog sein Schwert.
Im gleichen Augenblick stand der Mann auf, sprang vom Felsen
und hob die Hände, um seine friedlichen Absichten zu zeigen.
»Einen schönen guten Abend wünsche ich dir, Graf Roderich«, grüßte er.
»Er wird gleich noch schöner werden, wenn dein Blut an meinem
Schwert glänzt!« Roderich schlug jedoch nicht zu, sondern
musterte den Waskonen mit durchdringendem Blick.
Den Kerl hatte er schon ein paarmal gesehen und glaubte sich
an seinen Namen erinnern zu können. Dennoch tat er so, als
sei der andere ihm fremd. »Was willst du? Sprich schnell, denn
meine Klinge ist durstig.«
»Ich will mit dir reden, Graf Roderich, und dir einen Gefallen
erweisen.« Der Waskone warf einen vielsagenden Blick auf die
Begleiter des Grafen. »Es wäre mir lieb, wenn wir unter vier
Augen sprechen könnten!«
Der Graf schüttelte den Kopf. »Ich vertraue den Männern
meiner Leibschar mein Leben an. Also sprich, wenn du das
deine behalten willst.«
»Sie sollen schwören, nichts von dem zu erzählen, was sie jetzt
hören werden«, forderte der Waskone.
»Meine Krieger sind keine Schwatzmäuler. Und jetzt rede
endlich!« Auf einen Wink des Grafen umringten die Reiter
den Waskonen und richteten ihre Speere auf ihn. Der Mann
strich sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und lachte,
um seine Nervosität zu verbergen.
»Du bist auf der Suche nach den Männern, die deine Schafe
gestohlen haben. Was würdest du sagen, wenn ich dir helfen
würde, ihren Anführer und dessen Spießgesellen in deine Gewalt
zu bekommen?«
Die Miene des Grafen wurde noch grimmiger. »Wenn du mich
veralbern willst, hast du dir einen verdammt schlechten Tag
dafür ausgesucht.«
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde er den Waskonen
einfach niederschlagen, dann aber siegte doch seine
Neugier. »Gesetzt den Fall, du meinst es wirklich ehrlich: Warum
würdest du das tun wollen?«
»Dein Feind hat mich schwer beleidigt«, antwortete der Waskone
nach einem kaum merklichen Zögern.
Um die Lippen des Grafen spielte nun ein spöttisches Lächeln.
»Das soll ich dir glauben? Ich weiß genau, in welchem Verhältnis
du zu diesem Schafdieb stehst. Also soll ich ihn dir aus
dem Weg räumen, damit du an seiner Stelle meine Schafe
stehlen kannst!«
Der Mann begriff, dass dies keine Lösung war, die dem Grafen
gefallen konnte, und ging aufs Ganze. »Was würdest du sagen,
wenn unser Stamm dir Schafe als Tribut zahlen würde, anstatt
sie dir zu stehlen?«
Nun nickte der Graf unwillkürlich. »Damit könnte ich mich
anfreunden. Aber dazu muss ich in euer Dorf kommen, um
euren Treueschwur entgegenzunehmen, und zwar ohne
Kampf.«
Diese Entwicklung sagte dem Waskonen nicht gerade zu, dennoch
stimmte er schließlich zu. »Also gut! Aber dazu muss der
Wächter abgelenkt werden, und das ist mir unmöglich. Doch
du könntest es tun.« Der Mann trat näher an den Grafen heran
und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Roderich nickte dazu und
grinste.
»Schön! Aber wehe dir, wenn du mich belogen haben solltest.
Die Berge wären nicht hoch und nicht weit genug, um dich vor
meiner Rache zu bewahren!«
Der Waskone lachte. »Ich liefere dir deinen schlimmsten Feind
aus und übergebe unseren Stamm deiner Oberherrschaft.
Dafür habe ich wohl eher eine Belohnung als eine Drohung verdient.«
»Es ist schon Belohnung genug, dass du dein Leben behalten
darfst«, warf Ramiro ein. Er traute dem Waskonen noch weniger
als sein Herr und hätte ihn am liebsten mit dem Speer niedergestoßen.
Der Graf hob jedoch die Hand. »Halt! Wir vergeben uns
nichts, wenn wir so tun, als würden wir ihm glauben. Ist er
ehrlich, schalten wir damit einen hartnäckigen Feind aus und
stärken unseren Einfluss in dieser Gegend. Versucht er uns zu
betrügen, werden unsere Schwerter und Speere ihn eines Besseren
belehren.« Dann wandte Roderich sich wieder dem
Waskonen zu. »Morgen Abend, sagst du, will dein Häuptling
eine weitere Schafherde stehlen? Er denkt wohl, er habe uns
weit genug in die Berge gelockt, so dass wir ihm nicht in die
Quere kommen können!«
»Genauso ist es, Graf Roderich«, erklärte der Waskone eilfertig.
»Gut! Wir werden ihn erwarten. Sollte er nicht kommen, wäre
es besser für dich, mir so schnell nicht mehr unter die Augen
zu kommen. Damit Gott befohlen!« Der Graf winkte seinen
Männern zu, ihm zu folgen, und so blieb der Waskone allein
zurück. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Gier und leiser
Triumph. Wenn der Graf keinen Fehler beging, würde er in
wenigen Tagen der Herr seines Stammes sein und endlich die
Stellung einnehmen, auf die er seit Jahren hinarbeitete.
2.
Graf Roderich winkte seinem Stellvertreter zu. »Ist alles bereit?«
»Das ist es, Don Rodrigo!« In seiner Erregung sprach der
Mann seinen Herrn mit der hispanischen Form des Namens an.
Der Graf schüttelte unwillig den Kopf, sagte aber nichts, sondern
versuchte, aus dem dichten Wald heraus, in dem er und
seine Reiter sich versteckt hielten, die Weide und die drei Hirten
im Auge zu behalten, die dort etliche Dutzend Schafe hüteten.
Vier große, schwarzweiß gefleckte Hunde umkreisten die Herde.
Für seinen Feind musste dieser Anblick einfach verlockend
sein, fuhr es Graf Roderich durch den Kopf. Gleichzeitig packte
ihn die Sorge, dass er und seine Männer durch einen dummen
Zufall entdeckt würden.
»Passt auf eure Gäule auf. Nicht dass einer zur unrechten Zeit
schnaubt oder gar wiehert!« Die Warnung war überflüssig,
denn jeder wusste, worauf es ankam. Nur wenn es ihnen gelang,
die Schafdiebe in die Falle zu locken, würden sie die Kerle
erwischen.
»Einer der Hirten macht ein Zeichen. Es sieht aus, als hätte
er oder einer der Hunde etwas bemerkt!« Obwohl Ramiro
flüsterte, fing er sich einen tadelnden Blick seines Anführers
ein.
Auch Graf Roderich war aufgefallen, dass die Hunde unruhig
wurden. Drei Hirten und vier Hunde reichten im Allgemeinen
aus, um ein halbes Dutzend Schafdiebe abzuschrecken. Sein
persönlicher Feind jedoch kam wahrscheinlich mit einem
Trupp Krieger, der nicht kleiner war als die Gruppe, die ihn
begleitete. Dennoch war er nicht beunruhigt. Die Männer
seiner Leibschar hatte er mit Bedacht ausgewählt, jeder von
ihnen konnte es mit zwei bis drei Gegnern aufnehmen. Außerdem
waren sie beritten und mit ihren längeren Speeren jedem
Fußkämpfer gegenüber im Vorteil.
»Da oben sind sie!« Einer seiner Männer wies auf den felsigen
Berghang, der die Weide auf der linken Seite begrenzte. Jetzt
sah der Graf sie auch. Mindestens zwei Dutzend Männer
schlichen sich dort im Schutz der Felsen an, weit mehr, als er
erwartet hatte. Die Waskonen bewegten sich geschickt gegen
den Wind, doch der erfahrene Hütehund hatte Witterung
aufgenommen. Auf das Zeichen eines Hirten trieb der Rüde
zusammen mit den anderen Hunden die Schafe in Richtung
des Wäldchens, in dem sich die Reiter versteckt hielten.
Graf Roderich begriff, dass er an diesem Tag eine zweite Herde
an diese verdammten Bergwilden verloren hätte, wäre er
nicht von dem Verräter gewarnt worden. Grimmig nickte er
seinen Männern zu.
»Diesmal zeigen wir es ihnen. Wir machen keine Gefangenen,
bis auf ...«, er wies auf einen der anschleichenden Waskonen,
»... bis auf diesen Blondschopf dort. Den lasst am Leben! Wir
brauchen ihn noch.«
»Sollen wir den Kerl gefangen nehmen?«, fragte Ramiro.
»Ja, aber er muss verletzt sein. Unversehrt nützt er uns nichts.
Und jetzt still! Die Kerle kommen.« Graf Roderich zog sein
Schwert so leise, wie es möglich war, aus der Scheide und
bleckte die Zähne. An diesem Abend würden die Schafdiebe
für all den Ärger bezahlen, den sie ihm seit Jahren bereiteten.
Seine Augen saugten sich an dem nicht übermäßig großen,
aber sehnigen Anführer der Waskonen fest. Er konnte nicht
mehr sagen, wie oft dieser Schurke ihn bereits an der Nase
herumgeführt hatte. Wahrscheinlich hatte das Weib des Kerls
schon seit Jahren kein eigenes Schaf mehr in den Kochkessel
stecken müssen, so viele hatte der Mann seinen Nachbarn gestohlen
und nach Hause gebracht.
Inzwischen waren die Angreifer nahe genug herangekommen
und stürmten nun brüllend auf die drei Hirten zu. Diese hoben
zuerst ihre mit Eisenspitzen bestückten Stöcke, die sich
für den Kampf gegen Bären, Wölfe und Viehdiebe sehr gut
eigneten. Dann aber wichen sie von der Zahl der Waskonen
erschreckt zurück und trieben dadurch die Schafe ein Stück
weiter nach unten.
»Gut gemacht«, murmelte der Graf und zügelte seinen unruhig
werdenden Hengst. Auch die Männer an seiner Seite gierten
danach, gegen die Waskonen anzureiten.
Gebieterisch hob Roderich die Hand. »Wartet! Erst müssen
alle Kerle auf der Weide sein. Ich will nicht, dass einer zwischen
die Felsen fliehen kann und entkommt. Dort hinauf
müssten unsere Pferde fliegen.«
Einer der Männer lachte, brach aber sofort ab, als Ramiro ihm
einen Stoß versetzte. Zum Glück waren die Waskonen selbst
zu laut, als dass sie ihn hätten hören können. Ihres Erfolges
sicher, sammelten sie sich jetzt auf dem oberen Teil der Weide,
und ihr Anführer teilte sie auf, um die Herde abzufangen.
Auf diesen Augenblick hatte Graf Roderich gewartet. »Los,
Männer!«, rief er und trieb seinen Hengst an. Solange sie noch
zwischen Bäumen waren, musste er vorsichtig reiten, doch
kaum hatte er die Weide erreicht, gab er dem Tier die Sporen.
Hinter ihm tauchten seine Reiter aus dem Waldesdunkel auf
und stürzten sich auf die überraschten Feinde.
Deren Anführer rief seinen Männern zu, zum Felshang zu
rennen, und versuchte selbst, das rettende Gelände zu erreichen.
Doch das hatten Roderichs Reiter vorausgesehen und
schnitten den Fliehenden den Weg ab. Gleichzeitig zuckten
die Spitzen ihrer Speere auf die Diebe zu. In den Bergen waren
die Waskonen gefährliche Gegner, die aus dem Hinterhalt zuschlugen
und ebenso gut klettern konnten wie ihre Ziegen.
Hier auf der sanft abfallenden Wiese aber saßen sie in der
Falle. Von den besser bewaffneten Reitern in die Zange genommen,
versuchten die Schafdiebe vergeblich zu fliehen.
Einige warfen sogar die hinderlichen Speere fort, um sich mit
gewagten Sprüngen in Sicherheit zu bringen. Sie wurden als
Erste getötet.
Der Anführer der Waskonen versuchte, mit den Überlebenden
einen Verteidigungsring zu bilden, doch die Asturier nutzten
den Vorteil ihrer längeren Speere gnadenlos aus. Während
keiner von ihnen ernsthaft verwundet wurde, sank ein Waskone
nach dem anderen zu Boden.
Zuletzt standen nur noch der Anführer und der blonde Bursche
auf den Beinen. Sie tauschten einen Blick und rannten
dann brüllend auf die Asturier zu.
Graf Roderich nahm noch wahr, wie der Blonde, der am Oberschenkel
und an der Schulter verwundet war, dennoch weiterzukämpfen
versuchte. Dann sah er sich dem Anführer der
Schafdiebe gegenüber, der seinen Hengst fixierte. Roderich
ahnte, dass der Kerl sein Pferd töten wollte, um ihn zu Fall zu
bringen, und zwang das Tier dazu, ein paar Schritte rückwärtszugehen.
Bevor der Waskone ihm folgen konnte, waren Ramiro
und mehrere andere Reiter heran und rammten dem Mann
ihre Speere in den Leib.
Noch während der Waskone zu Boden stürzte, lachte Ramiro
wie befreit auf. »Der Kerl hat das letzte Schaf aus unseren
Herden geraubt, Don Rodrigo.«
»Wickelt seinen Kadaver in eine Decke und bindet ihn auf ein
Pferd. Was ist mit dem Blondschopf? Lebt der noch?«
Ramiro nickte eifrig. »Das tut er, Herr. Auch wenn ich nicht
recht begreife, warum wir ihm nicht ebenfalls das Lebenslicht
ausblasen sollen.«
»Ich sagte, wir brauchen ihn noch. Also sorgt dafür, dass er
lange genug am Leben bleibt. Unsere Verletzten bleiben hier
und helfen den Hirten, die toten Schafräuber in die nächste
Schlucht zu werfen. Die Übrigen kommen mit mir!« Graf Roderich
war zufrieden. Ein wenig bedauerte er es, den feindlichen
Anführer nicht selbst getötet zu haben, doch sein Hengst
war zu wertvoll, um ihn von einem Bergwilden aufspießen zu
lassen. Außerdem war sein Gegner wie ein Dieb gekommen
und hatte wie ein solcher geendet. »Auf geht's, Männer! Wir
haben noch einen kleinen Ausflug in die Berge vor uns. Ramiro,
du nimmst zwei Reiter und bringst den Verletzten ein
Stück über die Grenze und legst ihn dort neben die Straße.
Achtet darauf, dass die Leute euch dort sehen, aber lasst euch
nicht erwischen.«
»Das werden wir gewiss nicht, Graf Roderich!« Ramiro hatte
sich rechtzeitig daran erinnert, dass sein Herr die visigotische
Form seines Namens der hispanischen Variante vorzog, und
verabschiedete sich mit einem erwartungsfrohen Grinsen.
»Ihr stoßt kurz vor unserem Ziel wieder zu uns. Und nun beeilt
euch!« Der Graf winkte Ramiro und dessen Begleitern
kurz zu und ritt dann an. Seine Schar folgte ihm im Bewusstsein
des eben errungenen Sieges und war bereit, ihm bis an die
Pforten der Hölle zu folgen.
3.
Maite starrte fassungslos auf die Reiter, die mit hochmütigen
Mienen in ihr Dorf einritten, als sei es ihr gutes Recht, und
wünschte, ihr Vater wäre da, um den Kerlen die Zähne zu
zeigen. Bei den ungebetenen Besuchern handelte es sich um
zwei Dutzend Krieger, von denen jeder eine eiserne Rüstung
trug und Schwert und Helm besaß. Die meisten hielten lange
Speere in der Rechten und lenkten ihre Rosse mit der anderen
Hand. Die Schilde hatten sie auf den Rücken geworfen, als
hätten sie hier nicht das Geringste zu befürchten. Dabei handelte
es sich um asturische Krieger, und das waren die
schlimmsten Feinde, die Maite sich vorstellen konnte.
Ihr Anführer war ein echter Visigote, ein selbst im Sattel noch
hochgewachsen wirkender Mann in einem Kettenhemd nach
maurischer Art, mit schulterlangen blonden Haaren und
blauen Augen, die so kühl blickten wie Eis. Mit verächtlicher
Miene musterte er das Dorf mit den aus Bruchsteinen und
Holz errichteten Häusern, deren Dächer mit Steinen beschwert
waren. In seinen Augen war Askaiz ein Bergnest, in
dem der reichste Bewohner kaum mehr besaß als der ärmste
und die Ehefrau des Häuptlings ihre Wäsche ebenso selbst
waschen musste wie die geringste Magd.
Graf Roderich war jedoch nicht gekommen, um sich das Dorf
anzusehen. Auf seinen Wink hin führte einer seiner Begleiter
ein Saumpferd heran, schnitt die Stricke durch, mit denen ein
längliches, in Tuch eingeschlagenes Bündel am Tragsattel befestigt
war, und ließ dieses zu Boden fallen. Dann packte er das
Tuch mit beiden Händen und riss daran. Zum Vorschein kam
ein blutverschmierter Leichnam.
Als die Dorfbewohner den Toten erkannten, brüllten und
heulten sie so, dass es von den nahen Bergflanken widerhallte.
Da die Erwachsenen Maite die Sicht verdeckten, sah sie zu Estinne,
der Frau ihres Onkels, auf. »Was ist da los?«
»Nichts, Kind!«, rief diese mit gepresster Stimme und versuchte
sie wegzuzerren.
Maite riss sich los und zwängte sich durch die Menge. Es dauerte
einige Augenblicke, bis sie begriff , dass der blutverschmierte
Tote ihr Vater war. Zuerst stand sie wie versteinert.
Dann brach ein schier unmenschlicher Ton aus ihrer Kehle,
so schrill und laut, dass die Pferde der Eindringlinge unruhig
wurden.
Sie ballte die Fäuste und wollte auf die Asturier losgehen, doch
eine Frau hielt sie fest. »Sei still, Kleines! Sonst tun dir die
bösen Männer noch etwas an.«
Graf Roderich ließ den Dörflern, die ihren erschlagenen
Häuptling fassungslos anstarrten, etwas Zeit zu begreifen,
dass sich der Wind gedreht hatte. Dann begann er, mit weittragender
Stimme zu sprechen: »Euer Anführer Iker und sei
ne Spießgesellen haben sich zu nahe bei meinen Schafherden
herumgetrieben. Dabei haben meine Hirten sie erwischt und
bestraft. Ich bringe euch seine Überreste, damit ihr wisst, was
euch blüht, wenn sich noch mal einer von euch bei meinen
Herden blicken lässt.«
Maite wollte dem Mann entgegenbrüllen, dass ihr Vater ein
großer Krieger gewesen war, der es mit einem Dutzend asturischer
Schafhirten aufgenommen hätte. Die Frau, die sie festhielt,
presste ihr jedoch die Hand auf den Mund, so dass sie
kaum Luft bekam. Maite strampelte wütend, um freizukommen.
Da trat Estinne hinzu und half, das tobende Mädchen zu
bändigen.
Da sie nichts anderes tun konnte, funkelte Maite die eigenen
Männer an, die wie Schafe herumstanden und vor Angst zu
vergehen schienen, obwohl sie Roderichs Schar der Anzahl
nach weit überlegen waren. Die Asturier waren in Askaiz aufgetaucht,
ohne dass Asier, der Wache halten sollte, das Dorf
gewarnt hätte. Nun starrten die Bewohner auf die blitzenden
Schwerter und Speerspitzen der Eindringlinge und wagten
sich nicht zu rühren.
Maite empfand in diesem Moment mehr Wut als Entsetzen
oder Trauer. Ihr Vater wäre mit dem aufgeblasenen Grafen
und seinen Reitern fertig geworden, das wusste sie. Daher gab
es für sie nur einen Schluss: Die Asturier mussten ihn in eine
Falle gelockt haben.
Graf Roderich bemerkte die Drohgebärden des Kindes nicht
einmal, sondern ließ den Blick selbstzufrieden über die erstarrten
und verängstigten Gesichter der Bewohner von Askaiz
schweifen. Ohne einen kühnen Anführer wie Iker sind sie wie
Schafe, die vor dem Wolf zittern, dachte er und deutete auf
einen der Männer. »Wer ist nun euer Anführer? Er soll vortreten
und hören, was ich ihm zu sagen habe!«
Einige der Umstehenden drängten zur Seite und öffneten eine
Gasse für den Schwager des toten Häuptlings. Okin, der die
dreißig bereits vor Jahren überschritten hatte, war ein kräftig
gebauter Mann mit rundlichem Gesicht, das seinen sonst verkniff
en wirkenden Ausdruck mit einem Mal verloren zu haben
schien. Er ging breitbeinig auf Roderich zu, blieb zwei Schritte
vor dessen Pferd stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was willst du?«
Über das Gesicht des Asturiers huschte ein kurzes Zucken,
und dann trafen sich die Blicke der beiden Männer in heimlichem
Einverständnis. Als Roderich zu sprechen begann,
klang seine Stimme jedoch schroff. »Bist du der neue Häuptling?«
»Ich bin Ikers Schwager und von ihm beauftragt, den Stamm
während seiner Abwesenheit zu führen.«
»Dann wirst du deinen Stamm wohl auf Dauer führen müssen,
es sei denn, Iker kehrt aus der Hölle zurück!« Roderich
lachte, während Okins Augen zufrieden aufleuchteten.
Da trat ein alter Mann vor und hob abwehrend die Hand.
»Der Visigote kann sagen, was er will, Okin. Du wirst nur so
lange unser Anführer sein, bis Ikers Tochter alt genug ist, sich
einen Mann zu wählen. Dieser wird dann die Stelle ihres Vaters
einnehmen!«
Obwohl Maite erst acht Jahre zählte, begriff sie, dass von ihr
die Rede war. Nach dem Tod ihres Vaters floss das Blut der
alten Häuptlinge nur noch in ihren Adern, und es war ihre
Aufgabe, es an die nächste Generation weiterzugeben. Dafür
war sie jedoch noch viel zu jung. Das machte sie noch wütender,
denn nun gab es niemanden, der ihren Onkel hindern
konnte, sich vor den anderen Stammesmitgliedern als Anführer
aufzuspielen, wie er es bisher jedes Mal getan hatte, wenn
ihr Vater unterwegs gewesen war. Auch jetzt plusterte er sich
auf und redete mit dem asturischen Anführer - dem Mörder
ihres Vaters -, als sei dieser ein geehrter Gast. An seiner Stelle
hätte sie die Männer aufgerufen, ihren toten Häuptling zu rächen.
Aber dafür ist er zu feige, dachte sie hasserfüllt.
Graf Roderich schien sich nicht für den Einwand des Alten zu
interessieren, sondern lenkte sein Pferd näher an Okin und
stieß ihn mit der Fußspitze an. »Du und deine Leute, ihr werdet
König Aurelio die Treue schwören und mir in Zukunft
Tribut entrichten. Sonst komme ich zurück, und dann bleibt
von eurem Stamm nicht einmal mehr der Name übrig!«
Unter den Männern und Frauen, die sich bis jetzt ängstlich im
Hintergrund gehalten hatten, schwoll wütendes Gemurmel
auf. Doch niemand wagte, sich gegen die dreisten Forderungen
des asturischen Grafen zu stellen. Maite schämte sich immer
mehr für ihre Leute, die vor dem Asturier kuschten, anstatt
ihn aus dem Sattel zu reißen und für Ikers Tod bezahlen zu
lassen.
Inzwischen hatte Estinne ihren Griff gelockert, so dass Maite
sich mit einem Ruck befreien konnte. Voller Zorn rannte sie
auf Roderich zu. Ihr Onkel sah sie kommen und streckte unwillkürlich
den Arm aus, um sie aufzuhalten. Doch ehe sie
ihn erreicht hatte, trat er einen Schritt zurück und grub seine
Daumen in den Gürtel, als ginge ihn das, was nun folgte,
nichts an.
Als Maite das Pferd des Asturiers erreichte, begriff sie, dass sie
nichts gegen den Mann ausrichten konnte. Sie besaß ja nicht
einmal ein Messer. In ihrer Verzweiflung schlug sie mit ihren
Fäusten gegen sein rechtes Bein und schrie ihm dabei sämtliche
Flüche ins Gesicht, die sie kannte.
Verblüff t ließ Roderich sie ein paar Augenblicke lang gewähren,
dann griff er nach unten, packte sie am Genick und hielt
sie so von sich weg, dass ihre Fäuste ihn nicht mehr erreichen
konnten.
»Wer ist dieses Mädchen?«, fragte er.
»Ikers Tochter Maite«, erklärte Okin, ohne zu zögern.
»Ein mutiges Ding! Nun, wir werden diese Wildkatze schon
zähmen.« Roderich lachte und reichte Maite an einen seiner
Krieger weiter. »Hier, Ramiro! Pass auf die Kleine auf. Du
solltest sie fesseln, denn sie schielt mir zu sehr nach unseren
Dolchen. Zu Hause wird Alma sich ihrer annehmen. Wenn
einer so ein Ding zurechtstutzen kann, dann sie.«
Seine Reiter stimmten in sein Lachen ein, denn die Beschließerin
der Burg wurde nicht umsonst Alma der Drache genannt.
Bei der würde die Kleine kuschen müssen, wenn sie
nicht den Hintern versohlt bekommen wollte. Den Hass, der
aus Maites Augen sprühte, nahm keiner von ihnen ernst. Sie
sahen in ihr nur ein Kind, das sich bald in die neuen Gegebenheiten
einfinden würde.
Graf Roderich wandte sich noch einmal an Okin. »Du weißt
jetzt, wer eure Herren sind! Halte dich daran, sonst kostet es
euch beim nächsten Mal mehr als nur ein paar Tote.« Er warf
dem Leichnam des Häuptlings einen Blick zu, der einem erlegten
Hirsch hätte gelten können, und gab seinen Männern das
Zeichen, ihm zu folgen.
Maite wehrte sich verzweifelt, doch Ramiro gab ihr eine Ohrfeige,
die ihr die Sinne zu rauben drohte. Bevor sie sich wieder
aufraffen konnte, hatte der Asturier einen rauhen Strick um
ihre Handgelenke gewickelt und sie vor sich auf das Pferd gesetzt.
Als sie in ihrer Wut mit ihren Füßen gegen den Hals des
Pferdes trat, erhielt sie die nächste Ohrfeige und musste die
Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz zu schreien.
Sie war Ikers Tochter und würde vor den Asturiern keine
Schwäche zeigen. Das Pferd erneut zu treten, wagte sie jedoch
nicht, und sie konnte auch die Tränen nicht aufhalten, die ihr
nun, da das Heimatdorf immer weiter hinter ihr zurückblieb,
aus den Augen rannen.
Bitte besuchen Sie uns im Internet:
www.knaur.de
Vollständige Taschenbuchausgabe März ....
Knaur Taschenbuch.
Copyright © .... by Knaur Verlag.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th . Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit
Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagfoto: Bridgeman / Ausschnitt aus einem Gemälde von
Giulio Romano, ....-.... / Louvre, Paris
Satz: Adobe InDesign im Verlag
Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
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Autoren-Porträt von Iny Lorentz
Iny Lorentz ist das Pseudonym des Autorenpaars Iny Klocke und Elmar Wohlrath. Ihr grösster Erfolg "Die Wanderhure" erreichte ein Millionenpublikum und wurde ebenso wie fünf weitere ihrer Romane verfilmt. Ausserdem wurde dieser Roman für das Theater adaptiert. Seit der "Wanderhure" folgt Bestseller auf Bestseller. Viele ihrer Romane wurden zudem ins Ausland verkauft. Neben anderen Preisen wurde das Autorenpaar mit dem "Wandernden Heilkräuterpreis" der Stadt Königsee ausgezeichnet und in die "Signs of Fame" des multikulturellen und völkerverbindenden Friedensprojekts »Fernweh-Park« aufgenommen.Besuchen Sie auch die Homepage der Autoren und ihren Facebook-Auftritt:www.inys-und-elmars-romane.dewww.facebook.com/Inys.und.Elmars.Romane
Autoren-Interview mit Iny Lorentz
Interview mit Iny und Elmar Lorentz Maite verlor ihren Vater durch den Grafen Roderich und war selbst seine Gefangene. Nun sinnt sie auf Rache. Wie kann man diese starke Frau beschreiben?
Iny und Elmar Lorentz: Wir würden Maite als mutig, aber auch als verbissen bezeichnen. Die zweite Eigenschaft sorgt dafür, dass sie mehrfach in Schwierigkeiten gerät. Andererseits hilft sie ihr aber auch, selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht aufzugeben. Ein weiteres, starkes Gefühl Maites ist die Liebe zu ihrer Heimat und der Wille, die Freiheit ihres Stammes und ihre eigene mit aller Kraft zu verteidigen.
Ihre LeserInnen wird es kaum verwundern, dass wieder eine Frau im Mittelpunkt Ihres Romans steht. Werden Frauen jemals nur eine Nebenrolle in einem Iny-Lorentz-Roman bekommen?
Iny und Elmar Lorentz: Frauen werden stets eine wichtige Rolle in unseren Romanen spielen. Es kann aber sein, dass doch einmal ein Mann die Hauptperson sein wird. Allerdings wird es auch dann starke Frauenrollen geben, so wie es bei unseren bisherigen Romanen mit Michel Adler, Roland Fischkopf u. a. auch immer starke Männerrollen gegeben hat.
Verraten Sie uns, worauf sich der poetische Titel, „Die Rose von Asturien" bezieht?
Iny und Elmar Lorentz: „Die Rose von Asturien" ist der Beiname Ermengildas, die in diesem Roman mit eine zentrale Rolle spielt. So ist sie die eigentliche Auslöserin der wichtigsten Handlungsstränge, und der Titel soll ein wenig die Entschädigung dafür sein, dass sie nicht ganz die Hauptperson geworden ist.
Wenn Sie sagen, dass Ihnen Maite, Ermengilda, Konrad und Philibert über die Zeit des Schreibens ans Herz gewachsen sind - gibt es da eine Person, der Sie sich ganz besonders verbunden fühlen?
Iny Lorentz: Mein Liebling ist
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Maite.
Elmar Lorentz: Ich gebe zu, dass es bei mir Konrad ist. Zwar schlägt er Maite und die beiden anderen nur knapp, aber in ihn ist doch viel von mir mit eingeflossen, und das verbindet.
Der Roman bietet einiges: das historische Panorama des frühen Mittelalters, einfaches Leben und hohe Politik, große Gefühle. Sind Sie dennoch mit dem „Label" historischer Roman für dieses Buch zufrieden?
Iny und Elmar Lorentz: Der Roman spielt in einer historischen Zeit, und es treten historische Persönlichkeiten auf. Daher sind wir mit der Bezeichnung historischer Roman sehr zufrieden!
Gab es bei diesem Roman wieder Ihre bewährte Arbeitsteilung?
Iny und Elmar Lorentz: Warum sollten wir unsere gut eingespielte Zusammenarbeit aufgeben? Wir haben an diesem Roman genauso gearbeitet wie an den vorhergehenden und werden es auch in Zukunft so halten. Auf unsere spezielle Art können wir den weiblichen und den männlichen Aspekt in unseren Romanen so am besten umsetzen.
Was alle Fans interessiert: Wird es auch mit der „Wanderhure" noch weitergehen, oder gibt es im Moment erst einmal andere Projekte?
Iny und Elmar Lorentz: Hier müssen wir etwas weiter ausholen. Immerhin erscheint in diesem Jahr noch ein Iny-Lorentz-Roman mit dem Titel „Dezembersturm". Dabei handelt es sich jedoch um keinen Roman über das Mittelalter und die frühe Neuzeit, sondern um einen, der im neunzehnten Jahrhundert, genauer gesagt, um 1875 spielt. „Dezembersturm" ist der erste Band einer Trilogie, an deren zweitem Teil wir gerade arbeiten. Natürlich gibt es im nächsten Jahr auch einen Iny-Lorentz-Roman aus früheren Tagen! Dessen Titel steht jedoch noch nicht fest. Wir können aber verraten, dass die Heldin Veva heißt und in einer der interessantesten Epochen unserer Geschichte lebt...
Was unsere Wanderhure Marie betrifft, so warten wir gespannt auf die Verfilmung für das Fernsehen, die in diesem Herbst gedreht wird.
Ob es einen weiteren Roman mit Marie geben wird? Das ist durchaus möglich. Ebenso ist es möglich, dass in diesem zum ersten Mal keine Frau im Mittelpunkt stehen wird - sondern ein Mann.
Die Fragen stellte Henrik Flor, Literaturtest.
Elmar Lorentz: Ich gebe zu, dass es bei mir Konrad ist. Zwar schlägt er Maite und die beiden anderen nur knapp, aber in ihn ist doch viel von mir mit eingeflossen, und das verbindet.
Der Roman bietet einiges: das historische Panorama des frühen Mittelalters, einfaches Leben und hohe Politik, große Gefühle. Sind Sie dennoch mit dem „Label" historischer Roman für dieses Buch zufrieden?
Iny und Elmar Lorentz: Der Roman spielt in einer historischen Zeit, und es treten historische Persönlichkeiten auf. Daher sind wir mit der Bezeichnung historischer Roman sehr zufrieden!
Gab es bei diesem Roman wieder Ihre bewährte Arbeitsteilung?
Iny und Elmar Lorentz: Warum sollten wir unsere gut eingespielte Zusammenarbeit aufgeben? Wir haben an diesem Roman genauso gearbeitet wie an den vorhergehenden und werden es auch in Zukunft so halten. Auf unsere spezielle Art können wir den weiblichen und den männlichen Aspekt in unseren Romanen so am besten umsetzen.
Was alle Fans interessiert: Wird es auch mit der „Wanderhure" noch weitergehen, oder gibt es im Moment erst einmal andere Projekte?
Iny und Elmar Lorentz: Hier müssen wir etwas weiter ausholen. Immerhin erscheint in diesem Jahr noch ein Iny-Lorentz-Roman mit dem Titel „Dezembersturm". Dabei handelt es sich jedoch um keinen Roman über das Mittelalter und die frühe Neuzeit, sondern um einen, der im neunzehnten Jahrhundert, genauer gesagt, um 1875 spielt. „Dezembersturm" ist der erste Band einer Trilogie, an deren zweitem Teil wir gerade arbeiten. Natürlich gibt es im nächsten Jahr auch einen Iny-Lorentz-Roman aus früheren Tagen! Dessen Titel steht jedoch noch nicht fest. Wir können aber verraten, dass die Heldin Veva heißt und in einer der interessantesten Epochen unserer Geschichte lebt...
Was unsere Wanderhure Marie betrifft, so warten wir gespannt auf die Verfilmung für das Fernsehen, die in diesem Herbst gedreht wird.
Ob es einen weiteren Roman mit Marie geben wird? Das ist durchaus möglich. Ebenso ist es möglich, dass in diesem zum ersten Mal keine Frau im Mittelpunkt stehen wird - sondern ein Mann.
Die Fragen stellte Henrik Flor, Literaturtest.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Iny Lorentz
- 2011, 5. Aufl., 800 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426635224
- ISBN-13: 9783426635223
- Erscheinungsdatum: 28.02.2011
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