Die Pfanne brät nicht!
Eine Kassiererin rechnet ab
Als Kassiererin in einer Discounter-Filiale erlebt man die haarsträubendsten Dinge wie uns Alice Diestel hier erzählt: Da verbittet sich ein Kunde z.B. das Anfassen seines Toastbrotes, und ein anderer möchte Waren umtauschen, die sich schon...
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Produktinformationen zu „Die Pfanne brät nicht! “
Als Kassiererin in einer Discounter-Filiale erlebt man die haarsträubendsten Dinge wie uns Alice Diestel hier erzählt: Da verbittet sich ein Kunde z.B. das Anfassen seines Toastbrotes, und ein anderer möchte Waren umtauschen, die sich schon seit Jahren nicht mehr im Sortiment befinden: Einfach irre!
Klappentext zu „Die Pfanne brät nicht! “
Der Discounter - ein IrrenhausDer eine verbittet sich das Anfassen seines Toastbrots, ein anderer wählt vor dem Kühlregal den Käse mit Hilfe eines Pendels aus. Der Nächste möchte Waren umtauschen, die sich schon seit Jahren nicht mehr im Sortiment befinden. Und zu all diesen Kunden muss die Kassiererin immer schön freundlich sein, obwohl sie sie in den Wahnsinn treiben. Zeit für Alice Diestel, sich Luft zu machen: eine ebenso böse wie witzige Abrechnung mit dem merkwürdigen Verhalten von Otto Normalverbraucher beim Einkauf.
Lese-Probe zu „Die Pfanne brät nicht! “
Die Pfanne brät nicht von Alice Diestel Vorwort
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Montagmorgen. Kurz vor 8 : 00 Uhr. An unzähligen Orten im ganzen Land: Die Spannung ist kaum noch zu ertragen. Gleich ist es so weit. Noch ein kurzer, heimlicher Blick auf den Einkaufszettel in der vor Aufregung feucht-klebrigen Hand. Das Hirn arbeitet auf Hochtouren, um die strategisch günstigste Route festzulegen. Gleich einer bis zum letzten Schritt ausgefeilten Choreographie von Detlef D! Soost tanzt man in Gedanken zum Erfolg. Ein abschätzender Blick wandert zu den anderen Wartenden. Ob es sich wohl um ernst zu nehmende Konkurrenten handelt? Muss man sich Sorgen machen? Ist der Nachbar körperlich überlegen oder eher mit einem flüchtigen Seitenkick fußlahm zu machen oder gar aus dem Feld zu knocken? Zwischen einigen entwickeln sich sogar etwas wie zwischenmenschliche Beziehungen - soll heißen: heuchlerische Gespräche, in denen man mit Nachdruck betont, nur «rein zufällig» hier zu sein! Natürlich! Niemand würde freiwillig zugeben, sich mit voller Absicht diesem Wahnsinn auszuliefern, der zweimal die Woche hier stattfindet. Vielleicht, weil er sich dann eingestehen müsste, dass er selbst ein klein wenig vom Irrsinn befallen ist? Aber nein! Der böse Gedanke wird sofort beiseitegeschoben, denn plötzlich kommt Unruhe auf. Die Türen der Traumfabrik öffnen sich wie von Geisterhand, und das Drama nimmt erbarmungslos seinen Lauf. Es gibt kein Zurück mehr, denn man ist umzingelt von rollenden Einkaufswagen und drängenden, schwitzenden Leibern. Für kurze Zeit ist man nicht mehr Herr der Lage - bis man sich auf die Macht seiner kantigen Gliedmaßen besinnt und diese dann auch rücksichtslos zum Einsatz bringt. Ellbogen stoßen nach rechts und links. Füße treten gezielt aus. Schmerzensschreie werden ignoriert. Und dann - dann endlich ist der Weg frei! Der Weg ins Paradies. Der Himmel auf Erden für Schnäppchenjäger. Das Nirwana erreicht man im Discounter - ohne Scheiß! Und genau hier beginnt meine Geschichte. Ich bin eines dieser bemitleidenswerten Geschöpfe, dem die Geisterhand gehört, die allmorgendlich den magischen Knopf drückt. Der Knopf, der die Türen zum Paradies öffnet - dem der Kunden wohlgemerkt - und damit all den kleinen und großen Absurditäten Einlass gewährt, mit der eine Kassiererin im Supermarkt konfrontiert wird. Ob bei Lidl oder Penny, Aldi oder Netto - in jedem Discounter werden die Verkäuferinnen wohl von ähnlichen Erfahrungen und Begegnungen berichten können, wie ich im ... nun ja, das Kind muss einen Namen haben. Fritz oder Franz? Jupp oder besser Karl? Nun, nennen wir es doch einfach und treffend: THEO! (Dass Theo sich aus dem Griechischen für «Gott» ableitet, ist reiner Zufall!) Obwohl es so ganz ohne den einen oder anderen Seitenhieb auf die Philosophie der Discounter natürlich nicht geht, handelt dieses Buch nicht von den in den Medien immer wieder kritisierten Arbeitsbedingungen. Es ist vielmehr eine Art Gesellschaftsstudie - mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ganz im Sinne von: «Weiß die Menschheit, wie bescheuert sie ist?» Es enthüllt die nackte Wahrheit über das merkwürdige Verhalten des deutschen Otto Normalverbrauchers beim Einkauf. Dunkle Abgründe werden sich auftun, und manch ein Leser wird sich fragen: «Gibt es solche Leute wirklich, oder bin ich am Ende gar selber so einer?» Der eine oder andere wird sich den Schneewittchen-Spiegel vorhalten und erkennen müssen - das bin ja ich! Dazu möchte ich anmerken, dass die Personen und Handlungen keineswegs frei erfunden sind und jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen voll beabsichtigt ist. Sollten Sie, lieber Leser, zu den Menschen gehören, die sich selbst als absoluter Monarch in der Beziehung zwischen Dienstleister und Kunden sehen, für die Kassiererinnen nur Menschen zweiter Klasse sind - lesen Sie dieses Buch besser nicht! Kloppen Sie es in die Tonne oder verbrennen Sie es! Die ungeschminkten Tatsachen könnten Sie zu einem weiteren wutschnaubenden, cholerischen Kunden mutieren lassen. - Wenn Sie das nicht sowieso schon sind. Mein Bericht kann auch als verzweifelter Hilfeschrei all derer verstanden werden, die Tag für Tag das seltsame Verhalten der Kunden am eigenen Leib zu spüren bekommen. Als Angestellte in Supermärkten oder anderen Konsumgüter- Umschlagplätzen. Vielleicht bewirken meine Zeilen sogar etwas. Das wäre zu wünschen - alle Kassiererinnen der Welt würden es danken! Um es jedoch vorwegzunehmen: Etwa 80 Prozent der Kunden sind höchst zufrieden und kommen gerne zu uns. Nur die restlichen 20 Prozent verhalten sich - nun ja, sagen wir mal - etwas disharmonisch. Aber jeder Jeck ist anders! Und das ist auch gut so, denn wären die Menschen nicht so verschieden, so verrückt oder so schwierig, wie sie sind, hätte nicht jeder von uns seinen eigenen kleinen, verschrobenen Tick, dann wäre die große Welt ganz schön öde und traurig. Und unsere kleine THEO-Welt ebenfalls. Wir hätten nichts zu erzählen, und dieses Buch wäre niemals zustande gekommen. Denn die Menschen sind es, die die Würze in unseren Arbeitsalltag bringen, auch wenn diese manchmal bitter ist.
Wer ist hier der König? Wer ist hier der König? Ding, dong ... «Liebe Kunden, wir öffnen Kasse 2 für Sie!» Ja, der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Selbst in unserem ehemals nur auf das Lebensnotwendigste beschränkten und eher spartanisch eingerichteten THEO. Automaten-Schantall blökt erbarmungslos unzählige Male am Tag ihren Spruch durch den Laden. Die Zeiten, in denen die Kassiererin den persönlichen Kontakt pflegen konnte und dem Kunden zum wiederholten Mal genervt mit derber Stimme «Ich schließe - ich hab zuhuuuu!» entgegengeworfen hat, gehören endgültig der Vergangenheit an. Ist es denn so viel kundenfreundlicher, wenn diese betörende 0190-Stimme säuselt: «Liebe Kunden, Kasse 1 schließt. Bitte nicht mehr auflegen!»? Ja. Irgendwie schon. Denn der Wartende nimmt es nicht ganz so übel, dass er seine Warteschlange verlassen muss, wo er sich doch gerade so schön eingelebt hatte. Er hatte auch schon wieder nette Kontakte geknüpft, im Sinne von: «Mensch, können Sie nicht aufpassen? Sie sind mir in die Hacken gefahren!» Er ist nicht böse, dass er sich nun in einer anderen Schlange einreihen muss, weil er allen Ernstes denkt, die an der Kasse kann ja nix dafür. Die war das ja nicht. Neiiiin! - Das war die schöne Schantall, wo auch immer sie sich versteckt hält! Sie ist der Chef, der Big Brother, und bestimmt, wann welche Kassiererin an den Regalen gebraucht wird, wann sie auf die Toilette muss oder einen Schub Nikotin braucht. Ja, so ist das! Das ist nur ein Beispiel dafür, wie heutzutage dieses arme, bemitleidenswerte Geschöpf - ich meine den Kunden - , das ja so unter Stress steht beim Einkaufen, immer wieder mit Samthandschuhen angefasst wird, um ihm bloß nicht weh zu tun. Nun, die Zeiten haben sich eben geändert. Nicht nur bei uns, sondern allgemein in der Gesellschaft. Der Mensch ist nicht mehr das, was er mal war. Er ist nur noch ein rohes Ei, entbunden von allen Verantwortlichkeiten seines Tuns - und wird auch so behandelt. Dieses Verhalten scheint typisch deutsch zu sein, denn auch Kurt Tucholsky (1890 - 1935) sagte: «Wenn der Deutsche hinfällt, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer schadenersatzpflichtig ist.» Immer ist er auf der Suche nach jemandem, dem er die eigenen Patzer in die Schuhe schieben kann. Nach einem, den man anklagen und zum Sündenbock machen kann. Dem man die Verantwortung übertragen kann. Damit er sich bloß nicht an die eigene Nase fassen muss. Und vom Rest der Welt, insbesondere im Dienstleistungssektor, wird er darin auch noch kräftig unterstützt. Das fängt schon bei kleinen alltäglichen Situationen an, bis hin zu Ereignissen, die
sogar Schlagzeilen gemacht haben. Man fragt sich nur, wo diese Entwicklung noch hinführen soll.
Wer ist hier der König? Ein paar Beispiele: Explodiert der regennasse Pinscher in der Mikrowelle, ist natürlich der Hersteller schuld und wird verklagt. Das hätte ja auch schließlich in der Gebrauchsanleitung stehen müssen! Inzwischen gibt es in jeder Bedienungsanleitung den Warnhinweis, keine Lebewesen im Gerät zu grillen. Erkrankt man an Lungenkrebs, weil man sich eine nach der anderen anzündet, wird einfach die Zigarettenindustrie zur Verantwortung gezogen. Mittlerweile springen einen die Gefahren des Rauchens auf jeder Packung erbarmungslos an. Fährt man ohne gültigen Fahrschein mit der Bahn, wird man des Gefährts verwiesen. Logisch eigentlich! Aber was tun, wenn man dann nachts irgendwo im Nirgendwo steht? - Die Bahn wird verklagt! Oft wird der gesunde Menschenverstand angezweifelt, sodass «Mensch» sich im Grunde höchst verarscht fühlen müsste, wie beim Hinweis auf der Toilettenpapier-Verpackung: «Plastikbeutel von Babys und Kindern fernhalten! Erstickungsgefahr!» Geht es noch ein bisschen dümmer? Sind wirklich die Hersteller verantwortlich für das schreckliche Unglück oder vielleicht doch eher diejenigen, die ihre Aufsichtspflicht verletzt haben? Der Hersteller muss sich in seiner Verzweiflung nach allen Seiten absichern, weil der Verbraucher in seinen Forderungen immer penetranter wird. Der stolziert durch den Laden, als würde er ihm gehören. Fehlt nur noch das T-Shirt mit dem Aufdruck: «Ich Chef, du nix». Er hat alle Rechte, die anderen nur die Pflichten. Wenn mal ein Artikel ausverkauft ist, würde ich dummes Huhn mir sagen: Pech gehabt, wärst du halt früher aufgestanden! Nicht so unsere Moralapostel oder oft auch frischgebackenen Jurastudenten, die an uns den soeben gelernten Stoff austesten, uns die Paragraphen um die Ohren klatschen und uns großspurig über unsere Pflichten aufklären. Früher hatte der Mensch noch die Chance, sich über seine eigene Dummheit zu ärgern - ein tolles Gefühl! Doch heute ist die «Selber-Schuld-Hirnzelle» in den Windungen der Gehirnlappen wohl verlorengegangen. Nichts zieht mehr Konsequenzen nach sich. Höchstens die, dass man selbstbewusst in den Laden spaziert und auf Biegen und Brechen sein Recht einfordert. Also wenn Ihnen draußen auf dem Parkplatz die Eier runterfallen - nur keine Scheu! Kommen Sie ruhig rein! Dann gibt es neue! Die gute alte Zeit Ja, leider, leider - die alten Zeiten sind endgültig vorbei. Als nicht der Kunde, sondern die Dame an der Kasse der König war. Früher gab es Szenen wie diese: Eine Kollegin, die in die Mittagspause geht, will nur eben ihre Brötchen bezahlen. Der Kunde, an dem sie sich vorbeidrängelt, beklagt sich: «Ich dachte, der Kunde ist König!», woraufhin meine Kollegin ganz trocken antwortet: «Aber nicht bei uns!»
Wer ist hier der König? Natürlich sollten ihre Worte auch damals nicht ungestraft bleiben! Eine andere Kollegin schiebt eine große Pappkiste auf Rollen durch den Laden und behindert damit einen Kunden, der ebenfalls meint: «Also bitte, der Kunde ist schließlich König!» Sie daraufhin: «Das mag sein, aber ich bin die Kaiserin!» Vorbei die Zeiten, in denen man das ganze Zeug in den Wagen geworfen hat, mit einem Arm und viel Schwung, und doch meist alles unversehrt geblieben ist. Nix «Wir lieben Lebensmittel»! Heute verbitten sich die Kunden das Anfassen ihres Toastbrotes oder das Platzieren der Tüte tiefgekühlter Pommes auf den Spaghetti. Die Lebensmittel werden teilweise so akkurat und zentimetergenau in den Einkaufswagen sortiert, dass man das fertige Werk am liebsten für die Nachwelt in einem Foto festhalten möchte. Da stellt man sich die Frage, ob wohl der gesamte Wagen ins traute Heim mitgenommen und dekorativ im Wohnzimmer platziert wird, weil er so wunderschön aussieht und ausgezeichnet zur neuen Tapete passt? Beim Einräumen der gescannten Waren in den Einkaufswagen: Sie: «Nein, Heinz-Egon! Rechts die Sachen für in den Keller, links die für den Kühlschrank und in die Mitte für den Küchenschrank links. Unten die fürs Bad und in die Kiste die für den Küchenschrank rechts!»
Vorbei die Zeiten, in denen man den Stinkern unter unseren Gästen noch vorwurfsvoll ein Stück Seife in die Hand drückte oder mit angehaltenem Atem den Kassenraum mit Deo einsprühte. Vorbei die Zeiten, in denen man einen Blick in prall gefüllte Rucksäcke und Einkaufstaschen werfen durfte, um sicherzustellen, dass sich kein Diebesgut darin befindet - heutzutage könnte sich der arme Kunde ja gekränkt fühlen oder gar ein lebenslanges schweres Trauma davontragen. Vorbei die Zeiten, in denen wir an der Kasse noch das Sagen und den Grips hatten. Wo jeder Kunde schon in banger Erwartung zitternd zum Ende des Bandes hechtete, um nicht von der dort ungeduldig wartenden, ruppigen Kassiererin zur Eile angetrieben zu werden. Diese unheimliche Gestalt, die gemäß ihrem Ruf multitaskingmäßig vier Kunden gleichzeitig abwickelte: die unzufriedene Mutter mit der Reklamation, den jungen Mann, der keinen Chip für den Wagen hat, den Suchenden, der das Salz nicht findet, und den geistig Behinderten, der pausenlos auf sie einredet. Und die während des ganzen Durcheinanders noch so zackig und souverän in ihre Tasten hämmerte, dass man nur noch hektisch die Eier vor dem Zusammenstoß mit der Konservendose zu schützen versuchte. Mit diesem Alien konnte doch irgendetwas so ganz und gar nicht stimmen, hatte sie schließlich noch dazu die etwa 700 Preise des gesamten Sortiments auf den Pfennig genau im Kopf. Ein Kunde steht mit offenem Mund staunend vor mir und glotzt mich an:
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Montagmorgen. Kurz vor 8 : 00 Uhr. An unzähligen Orten im ganzen Land: Die Spannung ist kaum noch zu ertragen. Gleich ist es so weit. Noch ein kurzer, heimlicher Blick auf den Einkaufszettel in der vor Aufregung feucht-klebrigen Hand. Das Hirn arbeitet auf Hochtouren, um die strategisch günstigste Route festzulegen. Gleich einer bis zum letzten Schritt ausgefeilten Choreographie von Detlef D! Soost tanzt man in Gedanken zum Erfolg. Ein abschätzender Blick wandert zu den anderen Wartenden. Ob es sich wohl um ernst zu nehmende Konkurrenten handelt? Muss man sich Sorgen machen? Ist der Nachbar körperlich überlegen oder eher mit einem flüchtigen Seitenkick fußlahm zu machen oder gar aus dem Feld zu knocken? Zwischen einigen entwickeln sich sogar etwas wie zwischenmenschliche Beziehungen - soll heißen: heuchlerische Gespräche, in denen man mit Nachdruck betont, nur «rein zufällig» hier zu sein! Natürlich! Niemand würde freiwillig zugeben, sich mit voller Absicht diesem Wahnsinn auszuliefern, der zweimal die Woche hier stattfindet. Vielleicht, weil er sich dann eingestehen müsste, dass er selbst ein klein wenig vom Irrsinn befallen ist? Aber nein! Der böse Gedanke wird sofort beiseitegeschoben, denn plötzlich kommt Unruhe auf. Die Türen der Traumfabrik öffnen sich wie von Geisterhand, und das Drama nimmt erbarmungslos seinen Lauf. Es gibt kein Zurück mehr, denn man ist umzingelt von rollenden Einkaufswagen und drängenden, schwitzenden Leibern. Für kurze Zeit ist man nicht mehr Herr der Lage - bis man sich auf die Macht seiner kantigen Gliedmaßen besinnt und diese dann auch rücksichtslos zum Einsatz bringt. Ellbogen stoßen nach rechts und links. Füße treten gezielt aus. Schmerzensschreie werden ignoriert. Und dann - dann endlich ist der Weg frei! Der Weg ins Paradies. Der Himmel auf Erden für Schnäppchenjäger. Das Nirwana erreicht man im Discounter - ohne Scheiß! Und genau hier beginnt meine Geschichte. Ich bin eines dieser bemitleidenswerten Geschöpfe, dem die Geisterhand gehört, die allmorgendlich den magischen Knopf drückt. Der Knopf, der die Türen zum Paradies öffnet - dem der Kunden wohlgemerkt - und damit all den kleinen und großen Absurditäten Einlass gewährt, mit der eine Kassiererin im Supermarkt konfrontiert wird. Ob bei Lidl oder Penny, Aldi oder Netto - in jedem Discounter werden die Verkäuferinnen wohl von ähnlichen Erfahrungen und Begegnungen berichten können, wie ich im ... nun ja, das Kind muss einen Namen haben. Fritz oder Franz? Jupp oder besser Karl? Nun, nennen wir es doch einfach und treffend: THEO! (Dass Theo sich aus dem Griechischen für «Gott» ableitet, ist reiner Zufall!) Obwohl es so ganz ohne den einen oder anderen Seitenhieb auf die Philosophie der Discounter natürlich nicht geht, handelt dieses Buch nicht von den in den Medien immer wieder kritisierten Arbeitsbedingungen. Es ist vielmehr eine Art Gesellschaftsstudie - mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ganz im Sinne von: «Weiß die Menschheit, wie bescheuert sie ist?» Es enthüllt die nackte Wahrheit über das merkwürdige Verhalten des deutschen Otto Normalverbrauchers beim Einkauf. Dunkle Abgründe werden sich auftun, und manch ein Leser wird sich fragen: «Gibt es solche Leute wirklich, oder bin ich am Ende gar selber so einer?» Der eine oder andere wird sich den Schneewittchen-Spiegel vorhalten und erkennen müssen - das bin ja ich! Dazu möchte ich anmerken, dass die Personen und Handlungen keineswegs frei erfunden sind und jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen voll beabsichtigt ist. Sollten Sie, lieber Leser, zu den Menschen gehören, die sich selbst als absoluter Monarch in der Beziehung zwischen Dienstleister und Kunden sehen, für die Kassiererinnen nur Menschen zweiter Klasse sind - lesen Sie dieses Buch besser nicht! Kloppen Sie es in die Tonne oder verbrennen Sie es! Die ungeschminkten Tatsachen könnten Sie zu einem weiteren wutschnaubenden, cholerischen Kunden mutieren lassen. - Wenn Sie das nicht sowieso schon sind. Mein Bericht kann auch als verzweifelter Hilfeschrei all derer verstanden werden, die Tag für Tag das seltsame Verhalten der Kunden am eigenen Leib zu spüren bekommen. Als Angestellte in Supermärkten oder anderen Konsumgüter- Umschlagplätzen. Vielleicht bewirken meine Zeilen sogar etwas. Das wäre zu wünschen - alle Kassiererinnen der Welt würden es danken! Um es jedoch vorwegzunehmen: Etwa 80 Prozent der Kunden sind höchst zufrieden und kommen gerne zu uns. Nur die restlichen 20 Prozent verhalten sich - nun ja, sagen wir mal - etwas disharmonisch. Aber jeder Jeck ist anders! Und das ist auch gut so, denn wären die Menschen nicht so verschieden, so verrückt oder so schwierig, wie sie sind, hätte nicht jeder von uns seinen eigenen kleinen, verschrobenen Tick, dann wäre die große Welt ganz schön öde und traurig. Und unsere kleine THEO-Welt ebenfalls. Wir hätten nichts zu erzählen, und dieses Buch wäre niemals zustande gekommen. Denn die Menschen sind es, die die Würze in unseren Arbeitsalltag bringen, auch wenn diese manchmal bitter ist.
Wer ist hier der König? Wer ist hier der König? Ding, dong ... «Liebe Kunden, wir öffnen Kasse 2 für Sie!» Ja, der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Selbst in unserem ehemals nur auf das Lebensnotwendigste beschränkten und eher spartanisch eingerichteten THEO. Automaten-Schantall blökt erbarmungslos unzählige Male am Tag ihren Spruch durch den Laden. Die Zeiten, in denen die Kassiererin den persönlichen Kontakt pflegen konnte und dem Kunden zum wiederholten Mal genervt mit derber Stimme «Ich schließe - ich hab zuhuuuu!» entgegengeworfen hat, gehören endgültig der Vergangenheit an. Ist es denn so viel kundenfreundlicher, wenn diese betörende 0190-Stimme säuselt: «Liebe Kunden, Kasse 1 schließt. Bitte nicht mehr auflegen!»? Ja. Irgendwie schon. Denn der Wartende nimmt es nicht ganz so übel, dass er seine Warteschlange verlassen muss, wo er sich doch gerade so schön eingelebt hatte. Er hatte auch schon wieder nette Kontakte geknüpft, im Sinne von: «Mensch, können Sie nicht aufpassen? Sie sind mir in die Hacken gefahren!» Er ist nicht böse, dass er sich nun in einer anderen Schlange einreihen muss, weil er allen Ernstes denkt, die an der Kasse kann ja nix dafür. Die war das ja nicht. Neiiiin! - Das war die schöne Schantall, wo auch immer sie sich versteckt hält! Sie ist der Chef, der Big Brother, und bestimmt, wann welche Kassiererin an den Regalen gebraucht wird, wann sie auf die Toilette muss oder einen Schub Nikotin braucht. Ja, so ist das! Das ist nur ein Beispiel dafür, wie heutzutage dieses arme, bemitleidenswerte Geschöpf - ich meine den Kunden - , das ja so unter Stress steht beim Einkaufen, immer wieder mit Samthandschuhen angefasst wird, um ihm bloß nicht weh zu tun. Nun, die Zeiten haben sich eben geändert. Nicht nur bei uns, sondern allgemein in der Gesellschaft. Der Mensch ist nicht mehr das, was er mal war. Er ist nur noch ein rohes Ei, entbunden von allen Verantwortlichkeiten seines Tuns - und wird auch so behandelt. Dieses Verhalten scheint typisch deutsch zu sein, denn auch Kurt Tucholsky (1890 - 1935) sagte: «Wenn der Deutsche hinfällt, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer schadenersatzpflichtig ist.» Immer ist er auf der Suche nach jemandem, dem er die eigenen Patzer in die Schuhe schieben kann. Nach einem, den man anklagen und zum Sündenbock machen kann. Dem man die Verantwortung übertragen kann. Damit er sich bloß nicht an die eigene Nase fassen muss. Und vom Rest der Welt, insbesondere im Dienstleistungssektor, wird er darin auch noch kräftig unterstützt. Das fängt schon bei kleinen alltäglichen Situationen an, bis hin zu Ereignissen, die
sogar Schlagzeilen gemacht haben. Man fragt sich nur, wo diese Entwicklung noch hinführen soll.
Wer ist hier der König? Ein paar Beispiele: Explodiert der regennasse Pinscher in der Mikrowelle, ist natürlich der Hersteller schuld und wird verklagt. Das hätte ja auch schließlich in der Gebrauchsanleitung stehen müssen! Inzwischen gibt es in jeder Bedienungsanleitung den Warnhinweis, keine Lebewesen im Gerät zu grillen. Erkrankt man an Lungenkrebs, weil man sich eine nach der anderen anzündet, wird einfach die Zigarettenindustrie zur Verantwortung gezogen. Mittlerweile springen einen die Gefahren des Rauchens auf jeder Packung erbarmungslos an. Fährt man ohne gültigen Fahrschein mit der Bahn, wird man des Gefährts verwiesen. Logisch eigentlich! Aber was tun, wenn man dann nachts irgendwo im Nirgendwo steht? - Die Bahn wird verklagt! Oft wird der gesunde Menschenverstand angezweifelt, sodass «Mensch» sich im Grunde höchst verarscht fühlen müsste, wie beim Hinweis auf der Toilettenpapier-Verpackung: «Plastikbeutel von Babys und Kindern fernhalten! Erstickungsgefahr!» Geht es noch ein bisschen dümmer? Sind wirklich die Hersteller verantwortlich für das schreckliche Unglück oder vielleicht doch eher diejenigen, die ihre Aufsichtspflicht verletzt haben? Der Hersteller muss sich in seiner Verzweiflung nach allen Seiten absichern, weil der Verbraucher in seinen Forderungen immer penetranter wird. Der stolziert durch den Laden, als würde er ihm gehören. Fehlt nur noch das T-Shirt mit dem Aufdruck: «Ich Chef, du nix». Er hat alle Rechte, die anderen nur die Pflichten. Wenn mal ein Artikel ausverkauft ist, würde ich dummes Huhn mir sagen: Pech gehabt, wärst du halt früher aufgestanden! Nicht so unsere Moralapostel oder oft auch frischgebackenen Jurastudenten, die an uns den soeben gelernten Stoff austesten, uns die Paragraphen um die Ohren klatschen und uns großspurig über unsere Pflichten aufklären. Früher hatte der Mensch noch die Chance, sich über seine eigene Dummheit zu ärgern - ein tolles Gefühl! Doch heute ist die «Selber-Schuld-Hirnzelle» in den Windungen der Gehirnlappen wohl verlorengegangen. Nichts zieht mehr Konsequenzen nach sich. Höchstens die, dass man selbstbewusst in den Laden spaziert und auf Biegen und Brechen sein Recht einfordert. Also wenn Ihnen draußen auf dem Parkplatz die Eier runterfallen - nur keine Scheu! Kommen Sie ruhig rein! Dann gibt es neue! Die gute alte Zeit Ja, leider, leider - die alten Zeiten sind endgültig vorbei. Als nicht der Kunde, sondern die Dame an der Kasse der König war. Früher gab es Szenen wie diese: Eine Kollegin, die in die Mittagspause geht, will nur eben ihre Brötchen bezahlen. Der Kunde, an dem sie sich vorbeidrängelt, beklagt sich: «Ich dachte, der Kunde ist König!», woraufhin meine Kollegin ganz trocken antwortet: «Aber nicht bei uns!»
Wer ist hier der König? Natürlich sollten ihre Worte auch damals nicht ungestraft bleiben! Eine andere Kollegin schiebt eine große Pappkiste auf Rollen durch den Laden und behindert damit einen Kunden, der ebenfalls meint: «Also bitte, der Kunde ist schließlich König!» Sie daraufhin: «Das mag sein, aber ich bin die Kaiserin!» Vorbei die Zeiten, in denen man das ganze Zeug in den Wagen geworfen hat, mit einem Arm und viel Schwung, und doch meist alles unversehrt geblieben ist. Nix «Wir lieben Lebensmittel»! Heute verbitten sich die Kunden das Anfassen ihres Toastbrotes oder das Platzieren der Tüte tiefgekühlter Pommes auf den Spaghetti. Die Lebensmittel werden teilweise so akkurat und zentimetergenau in den Einkaufswagen sortiert, dass man das fertige Werk am liebsten für die Nachwelt in einem Foto festhalten möchte. Da stellt man sich die Frage, ob wohl der gesamte Wagen ins traute Heim mitgenommen und dekorativ im Wohnzimmer platziert wird, weil er so wunderschön aussieht und ausgezeichnet zur neuen Tapete passt? Beim Einräumen der gescannten Waren in den Einkaufswagen: Sie: «Nein, Heinz-Egon! Rechts die Sachen für in den Keller, links die für den Kühlschrank und in die Mitte für den Küchenschrank links. Unten die fürs Bad und in die Kiste die für den Küchenschrank rechts!»
Vorbei die Zeiten, in denen man den Stinkern unter unseren Gästen noch vorwurfsvoll ein Stück Seife in die Hand drückte oder mit angehaltenem Atem den Kassenraum mit Deo einsprühte. Vorbei die Zeiten, in denen man einen Blick in prall gefüllte Rucksäcke und Einkaufstaschen werfen durfte, um sicherzustellen, dass sich kein Diebesgut darin befindet - heutzutage könnte sich der arme Kunde ja gekränkt fühlen oder gar ein lebenslanges schweres Trauma davontragen. Vorbei die Zeiten, in denen wir an der Kasse noch das Sagen und den Grips hatten. Wo jeder Kunde schon in banger Erwartung zitternd zum Ende des Bandes hechtete, um nicht von der dort ungeduldig wartenden, ruppigen Kassiererin zur Eile angetrieben zu werden. Diese unheimliche Gestalt, die gemäß ihrem Ruf multitaskingmäßig vier Kunden gleichzeitig abwickelte: die unzufriedene Mutter mit der Reklamation, den jungen Mann, der keinen Chip für den Wagen hat, den Suchenden, der das Salz nicht findet, und den geistig Behinderten, der pausenlos auf sie einredet. Und die während des ganzen Durcheinanders noch so zackig und souverän in ihre Tasten hämmerte, dass man nur noch hektisch die Eier vor dem Zusammenstoß mit der Konservendose zu schützen versuchte. Mit diesem Alien konnte doch irgendetwas so ganz und gar nicht stimmen, hatte sie schließlich noch dazu die etwa 700 Preise des gesamten Sortiments auf den Pfennig genau im Kopf. Ein Kunde steht mit offenem Mund staunend vor mir und glotzt mich an:
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Autoren-Porträt von Alice Diestel
Alice Diestel arbeitet seit über zwanzig Jahren als Kassiererin in Deutschlands beliebtestem Discounter. Das soll auch so bleiben - daher schreibt sie unter einem Pseudonym.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alice Diestel
- 2013, 6. Auflage, 204 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499620456
- ISBN-13: 9783499620454
- Erscheinungsdatum: 01.07.2013
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