Die mit dem Hund tanzt
Was »Hundeflüsterin« Maike Maja Nowak mit dem Dackel Benny, der pünktlich zur Tagesschau...
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Was »Hundeflüsterin« Maike Maja Nowak mit dem Dackel Benny, der pünktlich zur Tagesschau zubeißt, dem durch Verwöhnung überforderten Antonio, dem Ehepaar, das seine Hunde gegenseitig ausspielt, dem furchtsamen Alfons von der Kette, der von der mutigen Helen geführt, zurück ins Leben findet, und vielen anderen zwei- und vierbeinigen Klienten erlebt hat, erzählt sie hier in ebenso unterhaltsamen wie erhellenden Fallgeschichten. Es sind Geschichten, in denen Menschen sich preisgeben, mutig etwas wagen, Berührendes oder Humorvolles zeigen.
Mit unnachahmlichem Einfühlungsvermögen spürt Maike Maja Nowak den Charakteren von Hund und Mensch auf den Grund, mit scharfer Beobachtungsgabe zeichnet sie die Beziehungsstrukturen nach - das macht diese Geschichten so einzigartig und fesselnd. Sie öffnet die Augen dafür, was im Zusammenleben mit einem Hund wirklich wichtig ist, vor allem aber erzählt sie von Menschen, die in ihrer Beziehung zu ihrem vierbeinigen Freund wachsen und Erfahrungen sammeln, lernen und versagen, Glück und Ohnmacht erleben. Ein besonderes Lesevergnügen: tierisch menschliche Geschichten, in denen man das »innere Tier« in sich und anderen erkennen lernt.
"Sie ist die Hundeflüsterin. Wie kaum ein anderer versteht Maike Maja Nowak, was unsere Lieblinge wollen." -- Hörzu
Ein Hund gehört niemandem. Nur seine Fähigkeit zur Freundschaft und seine Möglichkeit zu lieben erlauben ihm zu verschenken, was niemandem gehört. Maike Maja Nowak
Vorwort
Ich bin eine Zeitreisende. Ich kenne die Zeit vor der Wende und die danach. Ich machte mich auf Großes gefasst, als der Westen im Osten Platz nahm. Es blieb bei einer Himmelsrichtung weniger und hundert Joghurtsorten mehr. Ich musste vom Fortschritt in den Rückschritt reisen, um etwas zu finden, das mich Neues lehrt. 100 Jahre zurück. In eine Welt der Jahreszeiten. Der Ernte. Der Handwerkszeuge. Der gebeugten Rücken. Des Abendstolzes.
Mit einem Flugzeug bis Moskau. Mit einem Zug durch die Nacht in das Städtchen Sassowo.
Mit einem Klapperauto auf holprigen Straßen, die irgendwann enden. Mit einem Pferdewagen durch den russischen Wald. Mit einem Schlauchboot über den Fluss. Mit den eigenen Beinen durch eine Landschaft ohne Fußweg. Mit den Füßen durch den Sand des Dorfes, Lipowka.
Zu einem großen Holzhaus. Meinem Zuhause von 1991 bis 1997. Im ersten Frühjahr kam Wanja. Er schwamm durch die Schneeschmelze und das Eiswasser der Flüsse. Ein bunt gescheckter Hund mit klugen Augen. Ein Jäger, wie die Bauern sagten. Ein Waldbewohner.
Er blieb bei mir. In meinem Holzhaus. Ihm folgten weitere Vorboten für mein Leben.
Die Hunde Alma, Anton, Felix, Laska, Bambino, Husar, Dschiko, Miloj, Baba, Diek und Wasja kamen auf wundersamen Wegen zu mir. Wurden sie mir geschickt für eine wichtige Lektion? Waren es seltsame Zufälle? Ich bin froh, dass ich damals das Angebot einer Bäuerin, mir die Zukunft vorauszusagen, ungläubig ablehnte. So blieb ich weiter Liedermacherin und wusste nichts von meiner Zukunft als Hundetrainerin.
Hätte ich sonst so unbefangen beobachten können, wie Wanja das große Rudel wechselnder Hunde führte? Hätte ich die Gelassenheit besessen, KEINE Schlüsse zu ziehen und das Zusammenleben der Hunde einfach in mich aufzunehmen? Jeder Beruf setzt Ehrgeiz frei.
»Nach welcher Methode gehen Sie mit Hunden um?«, werde ich heute oft gefragt.
»Nach welcher Methode führen Sie Beziehungen?«, frage ich dann zurück.
Sicher drückt sich in der menschlichen Sehnsucht, für alles eine Methode finden zu wollen, ein Urinstinkt nach Effizienz und Kraftersparnis aus. In einigen Lebensbereichen jedoch hält uns das Suchen nach einer Methode davon ab, näher hinzusehen, zu entdecken und uns überraschen zu lassen vom eigenen Instinkt.
Auch ich musste offenbar erst einmal Methoden lernen und anwenden, um sie verwerfen zu können. Nach meinem Studium der Hundepsychologie lehrte ich zum Beispiel Leinenführigkeit in meiner Hundeschule, dem Dog-Institut, nach genau den Methoden, die die Studieninhalte bereithielten:
Wenn der Hund zieht: stehen bleiben oder die Richtung wechseln. Diese Methoden, nicht mehr von A nach B zu kommen, waren so frustrierend für Hund und Mensch, dass ich darüber nachzudenken begann, wie mein Leithund, Wanja, diese Situation gelöst hätte. Er hätte einem Hund nicht gesagt, wo er zu laufen hat, sondern, wo er gerade nicht zu laufen hat. Ich begann, den Raum zu weit vor mir einfach zum Tabu zu erklären, und plötzlich liefen die Hunde tatsächlich da, wo ich es wollte. Anfangs knurrte ich noch, wenn ich »Stopp« sagen wollte. Dann ersetzte ich dieses Geräusch mit einem menschlicheren »Scht«. Auch widerstrebte es mir immer mehr, mit Konditionierungen einen Hund zu einer Konditionierungsmaschine zu machen und letztlich seine eigene Sprache nicht zu nutzen. Ich verabschiedete mich immer mehr von menschlichen Lehrinhalten über Hundeerziehungsfragen und widmete mich vollständig der Art, wie Hunde miteinander kommunizieren und sich erziehen. Dies begann ich auf eine menschliche Handhabung zu übertragen.
»Sitz« und »Platz« sind für mich heute völlig unnötiger Schnickschnack, den ich bei meinen eigenen Hunden nie verwende. Mir ist es wichtig, dass ein Hund in JEDER Situation stoppt und kommt, wenn ich es verlange. So ist auch meine jetzige Hündin, Frieda, sowohl in ihrem Jagdtrieb als auch in ihrem Herdenschutztrieb kontrollierbar. Bei all den Alibibehauptungen, warum ein Hund wegen seines Triebes oder seiner Rasse nicht kontrollierbar ist, wird immer vergessen, dass ein Leithund oder eine Hundemama denselben Hund sehr wohl kontrollieren könnte.
Ich habe erlebt, wie Wanja zehn Hunde mit einem einzigen Laut hinter sich brachte, um Konflikte mit anderen Dorfhunden zu vermeiden. Er besaß keine Methode. Er besaß kein Geheimnis - nur Sanftmut, Souveränität, Fairness und Bestimmtheit, die aus ihm ein Leitwesen machten.
Wanja und 5000 weitere Hunde, mit denen ich inzwischen arbeiten durfte, sind meine Lehrmeister für alles, was ich heute lehre. Nachdem ich mich von der Idee verabschiedet hatte, Menschen könnten mehr über Hunde wissen als ein Hund selbst, begann ich Hunde zu sehen.
Alle zeigten mir wichtige Grenzen, neue Irrtümer, Entdeckungen, Wege, und vor allem brachten sie mir bei, wach zu bleiben und sehend. Sich nicht auf Methoden festzulegen, um nicht blind zu werden gegenüber Wesen jeglicher Art und Situationen, in denen Methoden versagen. So ist dieses Buch auch kein Buch über Hundeerziehungsmethoden, sondern über Beziehungen und die Möglichkeiten, sie zu führen.
Täglich schließen mir Menschen bei meinen Hausbesuchen ihre Tür und mitunter auch ihr Herz auf. Der Schlüssel ist immer ein Hund. Das Problem ist eine fehlende gemeinsame Sprache.
Menschen stammen von Wesen ab, die sich auf die Brust schlagen und laut brüllen, wenn sie Anspruch auf einen Status erheben. Deshalb können wir nur lernen von der souveränen, freundlichen Art der Gattung Hund.
Führung darf leise sein - und neu erlernt.
Viel Spaß dabei wünscht Ihnen Maike Maja Nowak
Grüße
Sie ist eine mädchenhafte, hübsche Frau von vielleicht 50 Jahren. Ihre Figur ist grazil, und sie hat samtene, zu einem spanischen Knoten gebundene Haare. Mit mandelförmigen, rätselhaft dunklen Augen blickt sie mich an. Ihre Stimme ist überraschend tief für ihren zarten Körper.
»Gut, dass Sie kommen, jetzt bin ich aber froh. Mein Boris macht mir wirklich Sorgen. Ich hoffe, Sie können ihm helfen.« Ihr Tonfall ist warm und aufgeräumt.
Boris, ein Italienisches Windspiel, bellt schüchtern unter einem Tisch hervor.
Meine Augen nehmen die Wohnungseinrichtung wahr. Sie wirkt seltsam »verstreut«. Es scheint alles vorhanden, aber nichts bildet eine vertraute Gemeinschaft. Ein Sofa steht allein an einer Wand, ein Sessel duckt sich in eine Ecke. Ein Tisch hält Abstand von einem Fenster. Die zu ihm passenden Stühle sind im Nachbarraum verteilt. Alle Wände leuchten jungfräulich weiß. Ein junger Mann lehnt lässig in einem Türrahmen. Er bildet die einzige Dekoration.
Er nickt, als mein Blick ihn trifft.
Die Frau kommt gerade von einer Reise zurück und berichtet von der langen Fahrt im Stau.
»Das ist Peter«, stellt sie den dekorativen Jüngling vor. »Er ist gefahren. Ich habe keinen Führerschein.« Sie schmückt diesen Satz mit einem koketten Lächeln, welches andeuten könnte, dass andere Dinge ihr wichtiger scheinen, als einen Führerschein zu besitzen.
»Mein Borischen regt sich schrecklich auf, wenn wir andere Hunde treffen. Er bellt wie verrückt, und ich kann ihn kaum halten. Ich kann in keinem Café sitzen, ohne dass er sich über jeden vorbeilaufenden Hund aufregt. Das muss aufhören«, sagt sie und streicht Boris zärtlich über den Kopf. »Außerdem hört er leider gar nicht.« Es liegt Gleichmut in ihrer Stimme, der das Bedauernde der Worte nicht teilt.
Ich möchte sein Verhalten mit eigenen Augen sehen, und wir gehen zusammen auf die Straße. Ein uralter Artgenosse schlurft auf der anderen Seite der breiten Kastanienallee neben seinem ebenso betagten Herrchen.
Boris klemmt seinen für die Rasse ohnehin typisch eingeklemmten Schwanz noch enger an den Bauch, zittert und legt die Ohren ängstlich an. Dann bellt er nicht nur in die Richtung des weit entfernten Hundes, sondern vorsichtshalber in jede Richtung, so als könnten überall und jederzeit Hunde wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Leute bleiben verwundert stehen, weil sie keinen Anlass für die Kampfansage erkennen können.
Die Frau hält mit aller Kraft den Hund an der zum Zerreißen gespannten Leine. »Borischen, so was macht man doch nicht, du Dummerchen. Da gucken doch alle.«
Boris, durch den lobenden Tonfall angespornt, legt noch einen Zahn zu und beißt um sich.
Wir flüchten in den großen begrünten Innenhof des Wohnhauses. Ehe ich etwas sagen kann, leint die Frau den Hund ab. Boris verschwindet sofort in einen Busch. Danach sieht man ihn pfeilartig von links nach rechts schießen und wieder verschwinden. Er würdigt uns keines Blickes. Uns könnte ein Marsmensch entführen oder der Erdboden verschlingen - er würde es nicht zur Kenntnis nehmen.
»Rufen Sie ihn bitte einmal«, sage ich zu der Frau.
Sie blickt mich erstaunt an und erwidert mit ihrer tiefen, wohl modulierten Stimme sehr kokett: »Aber er kommt doch nicht.«
»Könnten Sie ihn dann mal holen?«, frage ich und spanne damit kurz entschlossen den jungen Mann ein, der gerade gelangweilt gähnt. Auch er blickt mich erstaunt an, wenn auch aus anderen Gründen. Widerwillig rappelt er sich hoch und geht betont langsam auf die Suche nach Boris. Tatsächlich kommt er nach einer Weile mit ihm zurück.
»Dann möchte ich Ihnen jetzt die ersten Grundlagen meiner Führung zeigen«, sage ich und spüre sofort, wie unangemessen dieser förmliche Satz bei dieser Frau wirkt. Er zerstäubt an ihrem verträumten Blick wie die Samen einer Pusteblume.
»Boris wird an einem Platz meiner Wahl bleiben, und ich werde stattdessen umherlaufen«, fahre ich fort und erhöhe die Spannung.
Der junge Mann sieht mich interessiert an.
Der Mund der Frau öffnet sich leicht.
Ich befestige eine Leine an Boris, bringe ihn zu einer Decke mitten auf der Wiese, mache eine winzige, aber energische Bewegung mit dem Kopf, die seine Bewegung einschränken soll, und gehe wieder.
Boris blickt mich erstaunt an, denkt nach und setzt eine Pfote von der Decke. Ich warne ihn mit einem Geräusch und blockiere, indem ich einen Schritt auf ihn zugehe, den Raum, den er sich nehmen will. Er nimmt die Pfote wieder auf die Decke, schüttelt sich, lässt sich fallen und rollt sich zusammen.
Ein weiteres Training ist nicht möglich. Boris hat sich schla-
fen gelegt. Die Reise hat auch ihn offenbar sehr angestrengt.
Der Mund der Frau ist jetzt weit geöffnet. Der junge Mann lehnt sich nach vorn, um das Ganze besser sehen zu können.
»Aber Sie haben doch gar nichts gemacht«, sagt die Frau ratlos.
»Doch, doch«, entgegne ich und weise auf den Hund, »in seiner Sprache schon.«
»Und warum bleibt er da jetzt liegen und schläft?« Ich höre die Stimme des jungen Mannes zum ersten Mal.
»Weil ich jetzt seinen Job übernommen habe und er sich auf mich verlässt, hoffe ich.«
Ich weise die beiden jedoch darauf hin, dass Boris nicht nur ein sehr leichtführiger, sondern offenbar auch ein gerade sehr müder Hund ist. »Das klappt nicht mit jedem Hund so schnell«, enttarne ich die Blitzkur.
Die Frau und ich verabreden uns auf dem Gelände des DogInstituts, um mit meiner Hündin Frieda zu trainieren. Ich möchte der Frau zeigen, wie man Boris von seinen Scheinangriffen abbringen kann.
»Wo finde ich das Gelände denn?«, fragt die Frau plötzlich ganz kindlich.
»Kommen Sie mit den Öffentlichen?«, frage ich zurück. »Vielleicht«, antwortet sie.
»Von der S-Bahn-Station Wollankstraße sind es noch 300 Meter. Sie könnten mal im Internet schauen.«
»Oh, das Zubehör dazu liegt bei mir noch herum und muss erst angeschlossen werden. Gut, dass Sie mich erinnern. Da muss ich mal den Günther anrufen oder den Thomas«, sagt sie mehr zu sich selbst.
»Sie können auch einfach auf einen S-Bahn-Plan oder einen Stadtplan schauen«, schlage ich vor.
Sie blickt mich unschlüssig an. »Kein Problem, ich finde da jemanden, der mir so was besorgt. Mich könnte auch jemand mit dem Auto fahren. Das ist kein Problem.«
Sie kommt mit einem Auto vorgefahren, das ein älterer Mann lenkt. Ihre hübsche, figurbetonte Jacke ist sehr dünn und der Herbstmorgen kühl.
Der Mann fährt winkend wieder ab.
Boris zieht eifrig schnüffelnd seine Bahnen über das Gelände und ignoriert völlig, dass die Frau am anderen Ende der Leine hängt. Als sie sich 200 Meter entfernt haben, rufe ich: »Sie könnten dann hierher zum Training kommen.«
»Aber Sie sehen doch, dass der Hund in die andere Richtung zieht«, ruft sie ehrlich verzweifelt zurück. Sie wirkt dabei ebenso hilflos wie anmutig. Ich kann Männer gut verstehen, in denen bei ihrem Anblick der Ritter erwacht.
»Einfach hierherkommen. Der Hund folgt dann schon«, rufe ich pragmatisch. »Ja, ja, genauso«, feuere ich sie an, weil ihr Gang noch sehr zögerlich ist.
Bei mir angekommen, biete ich ihr einen Klappstuhl an. Ich möchte ihr heute zeigen, dass es nicht Boris ist, der sich ändern muss.
Davon weiß sie noch nichts.
Sie soll sitzen, während ich es ihr klar mache.
Ich nehme Boris an die Leine und laufe mit ihm über das Gelände. Ich zeige ihm mit einem zielstrebigen, ruhigen Gang, dass ich alles im Griff habe und genau weiß, was zu tun ist. Er hält sich sofort neben mir, er bleibt weder stehen noch schnüffelt er.
Wenn er zu mir hochschaut, lächle ich oder brumme: »Guter Hund, prima.« Wir sind ein tolles Team, und natürlich klappt das nicht immer auf Anhieb so wie mit ihm. Das ist wie bei uns Menschen. Wenn die Chemie stimmt, geht alles sofort wunderbar.
Die Frau schaut dem Geschehen zu. Ihre Augenlider bleiben dabei apart auf »Halbjalousie«. Ab und zu überprüft sie den Sitz ihrer Jacke. Sie reibt sich frierend die Hände, lehnt aber das Angebot einer Decke nach einem entsetzten Blick auf deren Muster ab.
Ich zeige Boris, dass er an einem Platz fünf Meter gegenüber von meinem Auto bleiben soll, indem ich meinen Körper leicht nach vorn neige und den Raum vor ihm blockiere.
Boris setzt sich.
Als ich die Autotür öffne und meine Hündin Frieda herausspringt, geht sein Kopf nach vorn. »Ssst«, warne ich und blicke streng in seine Richtung. Angsthasen brauchen Führung und Selbstbewusstsein. Erstere kann ich Boris geben, Zweiteres bekommt er mit jeder neuen Situation, die er fortan besteht.
Ich gehe mit Frieda umher.
Boris stürzt nach vorn. Ich nehme ihm den unerlaubten Raum sofort wieder ab und dränge ihn mit meinem Körper zurück zur Decke. Frieda bedeute ich, zu warten.
Sie lässt sich auf die Wiese fallen und blickt mich blinzelnd an. »Ist das auch wieder ein Hund, der sehr krank ist?«, scheint ihr Blick zu fragen.
Boris bellt hysterisch. Ich rufe energisch »Hee!« und stupse ihn mit zwei Fingern warnend in die Seite.
Er hört auf zu bellen.
Ich nehme ihn an der Leine und laufe mit ihm erneut über das Gelände. Er schaut sich ab und zu nach Frieda um, und ich korrigiere ihn jedes Mal mit einem Warngeräusch. Er soll lernen, andere Hunde zu ignorieren.
Besonders, wenn sie schläfrig in die Herbstsonne blinzeln. Wir nähern uns Frieda laufend, bis wir sie erreichen und ich beim Laufen ihre Leine aufnehmen kann.
Boris will hinter mir zu Frieda durchbrechen. Ich halte ihm kommentarlos mein angewinkeltes Bein vor die Nase.
Langsam respektiert er die neue Regel, dass dieser Hund hier zu ignorieren ist, und beruhigt sich. Wir können zu dritt über das Gelände laufen.
Die Frau lächelt. »Toll macht ihr das. Heißt das jetzt, dass Boris geheilt ist?«, fragt sie.
Ich lache. »Nein, es liegen noch viele Hunde vor Ihnen. Dieses Verhalten von Boris ist bereits erlernt, und er muss es erst wieder verlernen. Ich wollte Ihnen nur zeigen, wie schnell er dazu in der Lage ist, wenn man ihm Sicherheit gibt und Regeln.«
»Ich kann das aber nicht«, sagt die Frau erschrocken. »Wenn ich ganz offen bin, glaube ich auch, dass es zu früh ist.«
Sie schaut mich überrascht an. »Zu früh für was?«, fragt sie unsicher.
»Für Sie«, antworte ich freundlich. »Ich kenne Sie ja erst seit Kurzem, und korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber ich habe bisher den Eindruck gewonnen, dass Sie noch keine Verantwortung übernehmen möchten und sich sicherer fühlen, wenn es andere tun. Sie müssten jedoch sofort Verantwortung für Boris und viele Lebenssituationen übernehmen, damit ich mit Ihnen arbeiten kann.«
»Woher wissen Sie das nach so kurzer Zeit? Das stimmt«, sagt sie und blickt mich offen an.
Ich bin überrascht, dass sie sofort weiß, was ich meine. »Vielleicht kann Boris eine Chance sein, sich an Neues zu wagen?«, antworte ich mit einer Gegenfrage.
»Ich würde mich wirklich von Herzen freuen, wenn Sie sich dazu entschließen, und ich bin dann zu allem bereit.«
Sie schüttelt ungläubig den Kopf. »Dass Sie das so schnell gemerkt haben. Ja, ich denke darüber nach und melde mich.«
Dieser Vereinbarung folgt kein weiterer Kommentar.
»Könnten Sie mich bitte mit zurücknehmen?«, fragt sie ängstlich, als sie sieht, dass ich aufbrechen will.
Sie wirkt wie ein verlorenes Kind im Dschungel der Großstadt.
Natürlich nehme ich sie mit, und ich rechne nach unserer Verabschiedung nicht wirklich damit, sie wiederzusehen. Sie ist mir auf seltsame Weise ans Herz gewachsen. Rührung ist wohl das beste Wort für mein Gefühl.
Tatsächlich meldet sie sich jedoch auf ihre eigene Weise.
Ein Mann ruft mich an und sagt: »Die Besitzerin von Boris in meiner Straße hat Sie mir wärmstens empfohlen. Kann ich eine Einzelstunde haben?« Kurz darauf bucht eine Frau einen Kurs bei mir und erzählt: »Also, ich treffe immer eine Frau mit einem Windspiel, und die hat gesagt, ich muss unbedingt bei Ihnen trainieren.«
Inzwischen sind Monate vergangen, und ich hatte sicherlich an die 30 neue Kunden durch die Empfehlung dieser Frau.
Ich grüße sie hiermit herzlich zurück.
Ich warte noch immer auf SIE.
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier
Classic 95 liefert Stora Enso, Finnland.
1. Auflage
Originalausgabe März 2011
© Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design
Umschlagfotos: knut koops photography, Berlin
Autorenfoto hintere Klappe: © Reinhard Krause
Redaktion: Manuela Knetsch
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
MK/CB • Herstellung: IH
Printed in Germany
ISBN 978-3-442-39212-4
www.mosaik-goldmann.de
- Autor: Maike Maja Nowak
- 2011, Originalausgabe., 249 Seiten, Masse: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Mosaik
- ISBN-10: 3442392128
- ISBN-13: 9783442392124
- Erscheinungsdatum: 28.02.2011
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