Die Leopardin
Frankreich im Mai 1944. Felicity Clairet, genannt Flick, mit dem Codenamen "Die Leopardin", ist eine junge Frau im Rang eines Majors des britischen Geheimdienstes. Als ein Überfall von Widerstandskämpfern auf ein Château fehlschlägt, in dem sich eine...
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Frankreich im Mai 1944. Felicity Clairet, genannt Flick, mit dem Codenamen "Die Leopardin", ist eine junge Frau im Rang eines Majors des britischen Geheimdienstes. Als ein Überfall von Widerstandskämpfern auf ein Château fehlschlägt, in dem sich eine wichtige deutsche Telefonzentrale befindet, hat Flick eine wahnwitzige Idee. Denn sie hat festgestellt, dass die einzigen Fremden, die ins Innere des Gebäudes vorgelassen werden, die Frauen der französischen Putzkolonne sind.
Es ist ein tollkühner Plan: ein Team zu rekrutieren, das nur aus Frauen besteht, die bereit und imstande sind, bei dem Unternehmen mitzumachen, und sich gemeinsam durch das besetzte Gebiet zum Ziel durchzuschlagen. Für die Durchführung bleiben Flick nur zehn Tage Zeit. Darum kann sie nicht wählerisch sein. Unter ihren Kampfgefährtinnen sind eine verurteilte Mörderin, eine schiesswütige Aristokratin, eine pathologische Lügnerin, eine Geldschrankknackerin aus Soho und sogar ein Transvestit. Alle haben ihre eigenen Gründe, sich an dem riskanten Einsatz zu beteiligen, und nicht alle haben dasselbe Ziel im Auge wie Flick.
Während die Agentin versucht, mit ihrem bunt gemischten Haufen zu dem Château vorzudringen, ist ihr Gegenspieler, Major Dieter Franck, Mitglied des Stabes von General Rommel, ihr bereits auf der Spur. Franck, ein Meister der psychologischen Kriegsführung, ist davon überzeugt, dass Flick noch nicht aufgegeben hat. Und er hat einen wichtigen Verbündeten wider Willen: Michel, Felicitys untreuen französischen Ehemann.
Die Leopardin von Ken Follet
LESEPROBE
Sonntag, 28. Mai 1944
Eine Minute vor derExplosion lag tiefer Friede über dem Stadtplatz von Sainte-Cécile.Der Abend war warm, und eine windlose Luftschicht hatte sich wie eine Deckeüber den Ort gelegt. Die Kirchenglocke läutete träge und rief ohne grosseBegeisterung die Gläubigen zum Gottesdienst.
Für FelicityClairet klang es wie ein Countdown.
Der Platz wurdebeherrscht von dem Schloss aus dem siebzehnten Jahrhundert, einer kleinenVersailles-Kopie mit einem grossen vorgebauten Portal und Seitenflügeln, die imNeunzig-Grad-Winkel abknickten und sich nach hinten verjüngten. Über demWohntrakt aus Erdgeschoss und erstem Stock wölbte sich ein hohes Dach mitBogenfenstern in den Erkern.
Felicity, die immer nur Flick genannt wurde,liebte Frankreich. Die eleganten Häuser gefielen ihr ebenso wie das mildeKlima, die ausgedehnten Mahlzeiten und die gebildeten, kultivierten Menschen.Sie liebte die französische Malerei, die französische Literatur und die schickefranzösische Mode. Besucher fanden die Franzosen nicht selten unfreundlich,doch Flick, die seit ihrem sechsten Lebensjahr die Landessprache beherrschte,ging überall als Einheimische durch.
Es erbitterte sie, dassdas alte, ihr so vertraute Frankreich nicht mehr existierte. Für ausgedehnteMahlzeiten gab es nicht mehr genug Lebensmittel, die Gemälde waren von denNazis gestohlen worden, und schöne Kleider trugen nur noch Huren. Flick selberhatte sich dem Stil der Zeit angepasst und trug ein unförmiges Gewand, dessenFarben durchs viele Waschen längst ausgebleicht waren. Von ganzem Herzen sehntesie den Tag herbei, an dem das wahre Frankreich wieder erstehen würde, und wennsie und einige Gleichgesinnte ihren Auftrag erfüllten, dann war dieser Tagvielleicht gar nicht mehr so fern.
Ob sie selbst ihn abernoch erleben würde, das stand in den Sternen. Es war nicht einmal sicher, dasssie die nächsten Minuten überlebte. Felicity war keinMensch, der sich fatalistisch in sein Schicksal ergab -- sie wollte leben!Hunderterlei Dinge hatte sie vor, wenn dieser Krieg endlich zu Ende ging. Siewollte ihre Doktorarbeit abschliessen, ein Kind bekommen, eine Reise nach NewYork machen, sich einen eigenen Sportwagen leisten und am Strand von CannesChampagner trinken. Doch wenn sie schon sterben musste, dann gab sie sich auchdamit zufrieden, ihre letzten Augenblicke auf einem vom Sonnenlichtüberfluteten Platz zu verbringen, vor sich ein wunderschönes altes Gebäude --und in ihren Ohren den sanften, singenden Klang der französischen Sprache.
Das Schloss war einstals Wohnstatt für die Provinz-Aristokratie errichtet worden, doch hatte derletzte Comte de Sainte-Cécile 1793 seinen Kopf unterder Guillotine verloren. Und da es im Weinland, im Herzen der Champagne, lag, waren die Ziergärten längst in Weingärtenumgewandelt worden. Inzwischen war im Château eine wichtige Fernmeldezentraleuntergebracht, da der zuständige Minister aus Sainte-Cécilestammte.
Als die Deutschengekommen waren, hatten sie die Zentrale erweitert, um eine Verbindung zwischendem französischen Fernmeldesystem und der neu eingerichteten Telegraphenleitungnach Deutschland zu schaffen. Ausserdem hatten sie das regionale Hauptquartierder Gestapo im Schloss eingerichtet -- im Erdgeschoss und im ersten Stock lagendie Büros, im Keller die Zellen für Gefangene.
Vor vier Wochen ersthatten die Alliierten das Schloss bombardiert. Gezielte Bombenangriffe dieserArt waren etwas Neues. Die schweren viermotorigen Lancester-Bomberund die Fliegenden Festungen, die Nacht für Nacht über Europa hinwegdröhnten,waren nicht eben sehr präzise -- manchmal verfehlten sie sogar eine kompletteStadt. Ganz anders dagegen die jüngste Jagdbombergeneration, die Lightnings und Thunderbolts. Sieflogen bei Tageslicht an und attackierten kleinere, ausgewählte Ziele -- eineBrücke, einen Bahnhof oder dergleichen. Deshalb bestand der Westflügel desSchlosses nur noch aus einem Haufen unregelmässig behauener roter Ziegel aus dem17. Jahrhundert und weisser Quadersteine.
Dennoch hatte sich derAngriff als Fehlschlag erwiesen, denn die Deutschen hatten die Schäden binnenkürzester Zeit reparieren können. Die Telefonvermittlung war nur so langeausgefallen, bis die neuen Anlagen installiert waren. Die automatischenVerbindungen und die für Ferngespräche notwendigen Verstärker waren im Kelleruntergebracht, und der war nahezu unbeschädigt geblieben.
Und deshalb war Flickgekommen.
Das Schloss lag auf derNordseite des Platzes und war mit einer hohen Mauer aus Steinpfeilern undschmiedeeisernen Gittern umgeben, die von uniformierten Posten bewacht wurde.Auf der Ostseite des Platzes stand eine kleine mittelalterliche Kirche, derenuralte Holztüren geöffnet waren, um die Sommerluft und die allmählicheintrudelnde Gemeinde einzulassen. Der Kirche gegenüber, auf der Westseite desPlatzes, befand sich das Rathaus; dort regierte ein ultrakonservativerBürgermeister, dem man nur selten einmal eine Meinungsverschiedenheit mit denNazi-Besatzern nachsagen konnte. Den südlichen Abschluss des Platzes bildeteeine Ladenzeile mit einem Strassencafé, dem Café des Sports. Dort sass Flick im Freien und wartete auf denletzten Glockenschlag. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Glas Wein aus derRegion, schlank und leicht, wie er für die Gegend typisch war. Sie hatte nochnicht einmal daran genippt.
Felicity Clairetwar Offizier der britischen Armee im Range eines Majors. Offiziell gehörte siezur First AidNursing Yeomanry,einer ausschliesslich aus Frauen bestehenden Sanitätseinheit, die geradezuzwangsläufig die FANYs genannt wurden. Aber das warnur Flicks Tarnung. In Wirklichkeit arbeitete sie für eine geheimeOrganisation, die sogenannte Special Operations Executive(SOE), die für Sabotageaktionen hinter den feindlichen Linien zuständig war.Mit ihren achtundzwanzig Jahren gehörte Flick bereits zu den dienstältestenAgentinnen, und sie spürte nicht zum ersten Mal die Nähe des Todes. Doch obwohlsie längst gelernt hatte, mit diesem Gefühl zu leben und mit ihren Ängstenumzugehen, war ihr beim Anblick der Stahlhelme und grosskalibrigen Waffen derWachtposten vor dem Schloss, als lege sich eine eiskalte Hand auf ihr Herz.
Noch vor drei Jahrenwar es ihr höchster Ehrgeiz gewesen, einmal als Professorin für französischeLiteratur an einer britischen Universität zu unterrichten. Sie wollte ihrenStudenten die Kraft eines Victor Hugo, den Esprit eines Gustave Flaubert, dieLeidenschaft eines Émile Zola nahe bringen. Doch dannhatte sie einen Job im Kriegsministerium angenommen und Dokumente aus demFranzösischen übersetzt -- bis sie eines Tages zu einem mysteriösen Gespräch inein Hotelzimmer bestellt und gefragt worden war, ob sie bereit sei, einengefährlichen Auftrag zu übernehmen.
Ohne viel darübernachzudenken, hatte sie zugesagt. Es herrschte Krieg, und all ihre männlichenFreunde und Kommilitonen aus Oxford riskierten Tag für Tag ihr Leben -- warumsollte sie da abseits stehen? Zwei Tage nach Weihnachten 1941 hatte sie mit derAusbildung bei der SOE begonnen.
Sechs Monate später warsie Kurier und übermittelte Botschaften vom Hauptquartier der SOE -- 64 Baker Street, London -- an verschiedene Résistance-Gruppenim besetzten Frankreich. Funkgeräte waren in jenen Tagen noch selten, undLeute, die damit umgehen konnten, noch seltener. Felicitywurde wiederholt mit dem Fallschirm über Frankreich abgesetzt, mischte sich mitihren falschen Papieren unters Volk, nahm Kontakt zur Résistanceauf, übermittelte Befehle, notierte Antworten, Beschwerden und Wünsche nachWaffen und Munition. Am Ende ihrer Mission wurde sie jeweils von einemKleinflugzeug -- meistens einer dreisitzigen Westland Lysander -- abgeholt, dasauf einem fünfhundert Meter langen Grasstreifen starten und landen konnte.
Der Kuriertätigkeitwaren anspruchsvollere Aufgaben gefolgt: Inzwischen war sie mit der Planung undAusführung von Sabotageakten betraut. Die meisten SOE-Mitarbeiterwaren Offiziere, und in der Theorie ging man davon aus, dass die jeweiligenörtlichen Résistance-Gruppen ihre "Untergebenen waren. In der Praxis jedoch bewegte sich die Résistanceausserhalb militärischer Befehlsstrukturen, und jeder Agent musste sich ersteinmal die Kooperationsbereitschaft der Gruppen verdienen, indem er Härte,Sachkenntnis und Autorität bewies.
Die Arbeit wargefährlich. Flick hatte ihre Ausbildung gemeinsam mit sechs Männern und dreiFrauen absolviert -- jetzt, zwei Jahre später, war sie die letzte, die noch imEinsatz war. Von zweien wusste man, dass sie tot waren: Einen hatte die Milice, dieverhasste französische Sicherheitspolizei, erschossen; der andere warumgekommen, weil sein Fallschirm sich nicht geöffnet hatte. Die anderen sechswaren nach ihrer Gefangennahme verhört und gefoltert wordenund schliesslich in irgendwelchen Lagern in Deutschland verschwunden. Flickhatte überlebt, weil sie skrupellos, reaktionsschnell und bis an die Grenze zumVerfolgungswahn auf Sicherheit bedacht war.
Neben Felicity sass Michel -- ihr Ehemann und Anführer einer Résistance-Zelle mit dem Decknamen Bollinger,die in der fünfzehn Kilometer entfernten Kathedralenstadt Reims beheimatet war.Obwohl es auch für Michel in wenigen Minuten um Leben und Tod gehen würde,hatte er sich lässig in seinem Stuhl zurückgelehnt, den rechten Knöchel aufslinke Knie gelegt, und in der Hand hielt er ein Glas mit blassem, verwässertemKriegsbier.
Felicity war Studentin an der Sorbonne gewesen und sass gerade an ihrer Dissertation überdie Moral in den Werken Molières -- eine Arbeit, die sie bei Kriegsausbruchunterbrach --, als Michels unbekümmertes Lächeln ihr Herz gewonnen hatte. Demjungen, immer etwas zerzaust wirkenden Philosophiedozenten las in jenen Tageneine ganze Heerschar glühender Verehrer unter den Studenten jedes Wort von denLippen ab.
Michel war noch immerder attraktivste Mann, dem Flick je begegnet war -- gross und schlank, mit einerVorliebe für die lässige Eleganz zerknitterter Anzüge und ausgewaschener blauerHemden. Seine Haare waren nach wie vor eine Spur zu lang, und seineSchlafzimmerstimme sowie der durchdringende Blick seiner blauen Augenvermittelten einem Mädchen das Gefühl, sie sei die einzige Frau auf der Welt.
Der aktuelle Auftragwar für Felicity eine willkommene Gelegenheitgewesen, ein paar Tage bei ihrem Mann zu verbringen, doch war ihre Begegnungnicht sehr glücklich verlaufen. Obwohl sie sich nicht direkt gestritten hatten,empfand sie Michels Zuneigung als halbherzig, so als spiele er ihr nur etwas vor.Das hatte sie gekränkt. Instinktiv spürte sie, dass er sich für eine andereinteressierte. Er war erst fünfunddreissig, und sein etwas ungehobelter Charmeverfing noch immer bei jungen Frauen. Dass sie seit ihrer Hochzeit des Kriegeswegen mehr Zeit getrennt als miteinander verbracht hatten, machte die Sachenicht besser. In Frankreich gibt es viele willige Mädchen und Frauen, dachte Felicity missmutig, sowohl innerhalb der Résistance wie ausserhalb.
Sie liebte Michel nochimmer, allerdings anders als früher. Sie betete ihn nicht mehr an wie noch inihren Flitterwochen, und sie hatte auch nicht mehr den glühenden Wunsch, ihrganzes Leben allein seinem Glück zu widmen. Der Morgennebel romantischer Liebewar verflogen, und im klaren Licht des Ehealltagserkannte sie, dass Michel eitel, selbstverliebt undunzuverlässig war. Und trotzdem: Wenn er sich dazu herabliess, ihr seine volleAufmerksamkeit zu schenken, hatte sie noch immer das Gefühl, einzigartig, schönund geliebt zu sein.
Sein Charme liess auchMänner nicht ungerührt. Michel war ein hervorragender Menschenführer, vollerMut und Charisma. Er hatte mit Flick gemeinsam den Schlachtplan entwickelt: Siewollten das Schloss von zwei Seiten angreifen und dadurch die Verteidigeraufspalten. Auf dem Schlosshof würden sie sich dann wieder sammeln, mitvereinten Kräften den Keller stürmen und dort den Raum mit den wichtigstenInstallationen in die Luft jagen.
Antoinette Dupert, die Chefin der aus lauter einheimischen Frauenbestehenden Putztruppe, die jeden Abend im Schloss sauber machte, verdanktensie den Plan des Gebäudes. Madame Dupert war überdiesMichels Tante. Die Arbeit des Reinigungstrupps begann um 19 Uhr, zur Zeit desAbendläutens. Felicity sah, wie die ersten Frauen denWachhabenden am schmiedeeisernen Tor ihre Sonderpassierscheine präsentierten.Antoinettes Skizze zeigte den Eingang zum Keller, enthielt aber keine weiterenDetails, denn der Keller war Sperrzone; er durfte nur von Deutschen betretenwerden und wurde von Soldaten gereinigt.
Michels Angriffsplanberuhte auf Informationen des britischen Geheimdiensts MI6, aus denenhervorging, dass das Schloss von einer Einheit der Waffen-SS bewacht wurde. Eshandelte sich um sechsunddreissig Mann, die in drei Schichten zu je zwölf ihrenDienst verrichteten. Die Gestapo-Beamten im Gebäude waren keine Kampftruppen,und die meisten von ihnen trugen nicht einmal Waffen. Die Bollinger-Gruppehatte fünfzehn Mann für den Angriff zusammentrommeln können, die inzwischenihre Positionen eingenommen hatten -- teils unter den Kirchgängern, teils alssonntägliche Spaziergänger auf dem Platz verteilt. Ihre Waffen verbargen sieunter ihren Kleidern, in Taschen oder Beuteln. Wenn die Informationen des MI6stimmten, würden die Angreifer in der Überzahl sein.
Felicity hegte trotzdem Bedenken. DüstereAhnungen plagten sie. Sie hatte Antoinette von der Schätzung des MI6 erzählt.Antoinette hatte die Stirn gerunzelt und geantwortet: "Nach meinem Eindrucksind es mehr. Michels Tante war nicht auf den Kopf gefallen. Ehedem Sekretärindes Champagnerproduzenten Joseph Laperrière, die ihreStellung verloren hatte, als nach der deutschen Besetzung die Gewinne drastischzurückgingen und die Frau des Chefs den Sekretärinnenposten übernahm, stand siemit beiden Beinen im Leben. Gut möglich, dass sie mit ihrer Beobachtung Rechthatte.
Michel war es nichtgelungen, den Widerspruch zwischen der MI6-Schätzung und Antoinettes Vermutungaufzuklären. Er lebte in Reims, und weder er selbst noch irgendein anderes Mitglied seiner Gruppe kannte sich in Sainte-Cécileaus. Für weitere Aufklärungsarbeit hatte die Zeit nicht gereicht. Wenn derFeind in Überzahl ist, sieht es schlecht aus für uns, dachte Felicity in banger Erwartung. Gegen disziplinierte deutscheTruppen haben wir kaum eine Chance.
Sie sah hinaus auf denPlatz, suchte die Mitkämpfer. Als harmlose Spaziergänger getarnt, waren siedarauf gefasst, in Kürze zu töten oder getötet zu werden. Vor dem Schaufenstereines Kurzwarenladens stand Geneviève, eine hoch gewachsene junge Frau vonzwanzig Jahren, und betrachtete einen Ballen mattgrünen Stoffs. Unter ihremleichten Sommermantel trug sie eine Sten-Maschinenpistole, die bei der Résistance sehr beliebt war, weil sie in drei Teile zerlegtund deshalb in kleinen Taschen transportiert werden konnte. Gut möglich, dassGeneviève jenes Mädchen war, auf das Michel ein Auge geworfen hatte ... Dennochschauderte Felicity bei dem Gedanken, dass die jungeFrau in ein paar Sekunden von Kugeln durchsiebt werden könnte. Über dasKopfsteinpflaster des Platzes schlenderte Bertrand auf die Kirche zu. Mitseinen siebzehn Jahren war er noch jünger als Geneviève. Der blonde Junge mitder entschlossenen Miene trug eine zusammengefaltete Zeitung unter dem Arm, inder sich ein halbautomatischer Colt, Kaliber .45, verbarg. Die Alliiertenhatten Tausende von Colts per Fallschirm abgeworfen. Wegen seiner Jugend hatteFlick Bertrand anfangs von der Teilnahme an dem Überfall ausgeschlossen, aufsein inständiges Bitten hin, und weil sie jeden verfügbaren Mann brauchten,dann aber doch nachgegeben. Sie hoffte, sein etwas prahlerisches jugendlichesDraufgängertum würde nicht gleich nach dem ersten Schuss verfliegen. AmKirchenportal lungerte Albert herum und tat so, als wolle er erst noch seineZigarette zu Ende rauchen, bevor er hineinging. Alberts Frau hatte an diesemMorgen ihr erstes Kind geboren, ein Mädchen -- ein zusätzlicher Grund fürAlbert, am Leben zu bleiben. Er trug einen Leinensack bei sich, der aussah, alswäre er mit Kartoffeln gefüllt. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch umHandgranaten vom Typ Mills Nr. 36, Mark I.
©Verlagsgruppe Lübbe
Übersetzung:Till R. Lohmeyer und Christel Rost
Autoren-Porträtvon Ken Follet
Ken Follett war erst siebenundzwanzig, als er den Thriller Die Nadelschrieb, der sowohl zu einem internationalen Bestseller als auch zu einemgrossen Kinofilm wurde. Zuvor war der Autor nach dem Studium der Philosophie amUniversity College London, als Zeitungsreporter und Verlagsmitarbeiter tätig.Er hat seitdem neun weitere Bestseller geschrieben, darunter den Welterfolg DieSäulen der Erde, gefolgt von Romanen wie Die Pfeiler der Macht , Daszweite Gedächtnis , Die Leopardin undMitternachtsfalken. Ken Follett lebt mit seinerFrau Barbara, die seit 1997 als Abgeordnete der Labour Party dem britischenUnterhaus angehört, und ihren Kindern in Chelsea, London, und Stevenage, Hertfordshire.
ber Nacht berŸhmt wurde der britische Journalist Ken Follett 1978 mit dem Spionagethriller ãDie NadelÒ. In dennŠchsten Jahren schrieb Follett neben Thrillern wieãDer dritte ZwillingÒ, ãDie Kinder von EdenÒ und ãDas zweite GedŠchtnisÒ auchmehrere historische Romane. Sein bisher erfolgreichster Roman ãDie SŠulen derErdeÒ(1990) hielt sich sechs Jahre lang in den deutschen Bestsellerlisten. Ken Follett lebt mit seiner Frau Barbara, die als Abgeordnetedem britischen Unterhaus angehšrt, und ihren Kindern in London und auf dem Landin Hertfordshire. Jetzt ist sein Bestseller ãDie LeopardinÒals Taschenbuch erschienen.
Der Zweite Weltkrieg istseit 59 Jahren vorbei. Es gibt immer weniger Menschen, die ihn noch selbsterlebt haben. Dennoch spielt Ihr Thriller ãDie LeopardinÒwieder in dieser Epoche. Warum?
DieserKrieg ist einfach das grš§te Drama in der menschlichen Geschichte. DabeikŠmpften mehr Menschen, starben oder wurden verletzt und ausgebombt, als jemalszuvor. Au§erdem steht der Zweite Weltkrieg fŸr uns immer noch fŸr den Kampfzwischen Gut und Bšse Ðim Gegensatz zum Beispiel zum Ersten Weltkrieg. Da ginges einfach um eine Auseinandersetzung der politischen MŠchte.
Wie sind Sie eigentlichauf die Idee gekommen, einen Roman Ÿber eine Gruppe weiblicher Spione zuschreiben?
WeiblicheAgentinnenwaren wŠhrend des Zweiten Weltkriegs sehr ungewšhnlich. Aber in einemGeschichtsbuch habe ich gelesen, dass insgesamt fŸnfzig Frauen alsGeheimagentinnen nach Frankreich geschickt wurden. Da hatte ich den Einfall,eine Geschichte Ÿber ein Team von Frauen mit einer wichtigen Mission zuschreiben.
Siehaben einen professionellen ãResearcherÒ, der Sie mitallen mšglichen Hintergrundinformationen zu Ihren BŸchern versorgt. Warumarbeiten Sie mit ihm?
Ich bedienemich der Hilfe von Dan Starer, der auch fŸr vieleandere Autoren als ÒResearcherÓ arbeitet. Er machtalte BŸcher, Karten und Interviewpartner fŸr mich ausfindig. Die meisten meinerBŸcher werden vor der Veršffentlichung von einem Experten gegengelesen.ãMitternachtsfalkenÒ zum Beispiel wurde von einemFachmann fŸr Doppeldecker-Flugzeuge ŸberprŸft und von einem DŠnen, dersich noch an die 40er Jahre erinnert. Diese Leute findet Dan Starer fŸr mich. Er kann solche Dinge viel schneller undeffizienter erledigen als ich. Aber das Lesen und Interviewen muss ich schonnoch selbst machen.
Welche Informationenbesorgte Dan Starer fŸr ãDie LeopardinÒ?Hat er auch Zeitzeugen fŸr Sie aufgetan?
Ich wussteschon sehr viel Ÿber dieses Kapitel der Geschichte, aber fŸr das Buch ÒDie LeopardinÓ Ð indem ein Team Geheimagenten eineFernmeldezentrale in Frankreich in die Luftsprengen muss Ð fand Dan Starer ein paar Experten fŸr die damaligen franzšsischeTelefonnetze fŸr mich. Leider konnte ich keinen der Ÿberlebenden Geheimagentenpersšnlich treffen.
Nicht zum ersten Malverwenden Sie in einem Buch besonders viele und komplizierte technische undwissenschaftliche Begriffe. Warum?
Ich glaube,viele Leser lernen gerne etwas Neues beim Lesen. Darum beziehe ich gernetechnische Details mit ein, vorausgesetzt, sie sind wirklich verblŸffend undfaszinierend.
Besuchen Sie dieOriginalschauplŠtze aus Ihren BŸchern? Waren Sie zum Beispiel schon einmal inReims?
Ichversuche immer, die SchauplŠtze zu besuchen. Ich bin zwei Mal nach Reimsgereist und habe die Kathedrale, einen Champagner-Keller und noch anderePlŠtze, die in der Geschichte erwŠhnt werden, besichtigt. Au§erdem habe ich diegleiche Zugreise gemacht, wie die Frauen in der Geschichte, von Chartres nach Reims Ÿber Paris. Genau wie sie habe ich imRitz zu Abend gegessen.
Die Hauptfigur in ãDie LeopardinÓ, Felicity Clairet, ist schšn, aber auch sehr hart im Nehmen.Schreiben Sie gerne Ÿber solche Frauen?
Die Heldenin Thrillern mŸssen wagemutig sein, sonst wŸrden sie ja nicht in Gefahrgeraten; und sie mŸssen hart im Nehmen sein, sonst wŸrden sie der Gefahr nichtentkommen. Ja, ich schreibe gerne Ÿber solche Frauen.
Viele Leser liebenbesonders Ihre historischen BŸcher wie ãDie SŠulen der ErdeÓ. Warum bekommenwir davon in letzter Zeit nichts mehr zu lesen?
Es istschon schwierig, noch einmal ein Buch zu schreiben wie ãDie SŠulen der ErdeÒ.Das Buch ist solang, dass man als Autor seine Fantasie ganz schšn anstrengenmuss, um sich soviel zu den gleichen Charakteren einfallen zu lassen. Aber werwei§É
Sie arbeiten zur Zeit an einer Fortsetzung zu ãDie SŠulen der ErdeÒ. Wannwird sie herauskommen? Kann man den Erfolg von ãDie SŠulen der ErdeÒ Ÿberhaupt toppen?
Ich habegerade damit angefangen, die Fortsetzung zu schreiben. Als Leser wei§ ich, dassFortsetzungen enttŠuschend sein kšnnen, aber ich bin fest entschlossen, dassdiese so gut werden wird wie das Original! Ich gebe mir selbst drei Jahre Zeit,um sie zu schreiben.
Worin liegt der grš§teUnterschied im Schreiben von Thrillern und historischen Romanen?
FŸr michmacht das nicht viel Unterschied. Ich schreibe immer Ÿber Menschen in Gefahrund die Liebe.
IhreSchriftstellerkarriere begann mit einem kaputten Auto. Was war passiert?
Ichbrauchte 200 Pfund, um mein Auto reparieren zu lassen, und ich hatte das Geldnicht. Aber ein Kollege von den Londoner ÒEveningNewsÓ hatte einen Thriller geschrieben und von einem Verleger 200 PfundVorschuss dafŸr bekommen Ð also beschloss ich das Gleiche zu versuchen. Meinerstes Buch war nicht sehr gut, aber es wurde veršffentlicht, und ich bekam 200Pfund Honorar und konnte mein Auto reparieren lassen.
Ende des Jahres wird Ihrneues Buch ãWhiteoutÓ erscheinen. Geben Sie uns einpaar Tipps, wovon es handeln wird?
Es geht umden Diebstahl eines Virus aus einem Labor wŠhrend eines Schneesturms amHeiligen Abend.Nicole Brunner
- Autor: Ken Follett
- 2015, 12. Aufl., 576 Seiten, 11 Abbildungen, Masse: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Lohmeyer, Till R.; Rost, Christel
- Übersetzer: Till R Lohmeyer, Christel Rost
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404151321
- ISBN-13: 9783404151325
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