Die Jugend des Königs Henri Quatre
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Die Jugenddes Königs Henri Quatre von HeinrichMann
LESEPROBE
DIE REISE
Etwas später trat die Königin Jeanne zum reformierten Bekenntnis über. Das warein beträchliches Ereignis - nicht nur für ihr kleines Land, das sie nachKräften protestantisch machte. Es vermehrte den Mut und den Einfluss der neuenReligion überall. Sie hatte es aber getan, weil ihr Gatte Antoine bei Hof undim Felde immer noch mehr Geliebte nahm. Da er reformiert gewesen und ausSchwäche wieder katholisch geworden war, machte sie es umgekehrt. IhrGlaubenswechsel geschah vielleicht aus Frömmigkeit, besonders aber umherauszufordern: ihren treulosen Mann, den Hof in Paris, alle, die sie kränktenoder ihr im Wege waren. Ihr Sohn sollte einmal gross werden, und das konnte ernur an der Spitze protestantischer Heere, der Ehrgeiz seiner Mutter erkannte esfrüh.
Als dieReise nach Paris endlich nahe bevorstand, umarmte Jeanne ihren Sohn und sagte:«Wir reisen, aber du darfst nicht denken, dass es zum Vergnügen ist. Denn wir werdenin eine Stadt kommen, wo fast alle gegen die Religion und gegen uns sind.Vergiss es niemals! Du bist jetzt sieben Jahre alt und hast Verstand. Weisst dunoch, dass wir schon einmal zu Hofe gingen? Du warst ganz klein und erinnerstdich nicht. Vielleicht, dass dein Vater sich entsinnen würde, wenn er nicht sovieles, was einst war, vergessen und verloren hätte.»
Sie versankin schmerzliches Träumen. Er zog sie am Arm und fragte: «Was gab es denn damalsbei Hofe?»
«Der seligeKönig lebte noch. Er fragte dich, ob du sein Sohn sein wolltest. Du zeigtestauf deinen Vater und antwortetest, der sei dein Herr Vater. Darauf fragte derselige König dich, ob du dann sein Schwiegersohn werden wolltest. Du erwidertest<jawohl>, und seither geben sie dich bei Hofe als den Verlobten derköniglichen Prinzessin aus; damit wollen sie uns fangen. Ich sage es dir, damitdu nicht alles glaubst und ihnen nicht traust.»
«Fein!»rief Henri. «Ich habe eine Frau, wie heisst sie?»
«Margot.Sie ist ein Kind wie du, sie konnte die Religion noch nicht hassen undverfolgen. Dennoch glaube ich nicht, dass du Marguerite von Valois heiratenwirst. Ihre Mutter, die Königin, ist eine zu böse Frau.»
Henri sahdas Gesicht Jeannes sich verändern bei der Erwähnung der Königin vonFrankreich. Er erschrak, und seine Phantasie erhielt einen jähen Anstoss. ImGeist erblickte er eine furchtbar unmenschliche Fratze, eine Klaue, einen dickenStock, und er fragte: «Ist sie eine Hexe? Kann sie zaubern?»
«Amliebsten möchte sie es», bestätigte Jeanne. «Aber das ist noch nicht dasSchlimmste.»
«Speit sieFeuer? Frisst sie Kinder?»
«Beides;aber es gelingt ihr nicht immer. Denn die Bosheit hat Gott zu unserem Glück mitder Dummheit bestraft. Mein Sohn, von diesem allem darfst du keinem Menschenauch nur ein Wort verraten. »
«Ich werdealles für mich behalten, meine liebe Mama, und ich werde mich hüten, damit ichnicht gefressen werde.» Er war im Augenblick ganz erfüllt von seinenVorstellungen und glaubte daher nicht, dass er sie und die Worte seiner Mutterje werde verlieren können.
«Halte vorallem fest an dem wahren Glauben, den ich dich gelehrt habe!» sagte Jeanneinnig und auch drohend; er erschrak wieder und diesmal tiefer.
Dies wardas erste, was Henri von seiner Mutter Jeanne d'Albret hörte über Katharina vonMedici; und dann wurde wirklich gereist.
Voran fuhrein grosser alter Wagen aus Leder, er trug den Erzieher des Prinzen, mit NamenLa Gaucherie, er trug zwei Pastoren und mehrere Lakaien. Dann folgten sechsbewaffnete Reiter, lauter protestantische Edelleute, dann der mit rotem Samtausgeschlagene Wagen der Königin, darin sass Jeanne mit ihren beiden Kindern unddrei Damen. Den Beschluss des Zuges machten wieder die berittenen Herren «von derReligion».
Am Anfang der Reise war alles wie zu Hause, die Sprache, dieGesichter, die Landschaft und das Essen. Henri und seine kleine SchwesterCatherine unterhielten sich aus dem Fenster mit den Dorfkindern, die im Trabein Stück mitliefen. Wegen der Wärme des Juli blieben die Wagen geschlossen.Mehrmals übernachtete man noch im eigenen Land, auch in Nerac, der zweitenResidenz; die ganze reformierte Bevölkerung versammelte sich dort am Abend,die Pastoren predigten, Psalmen wurden gesungen. Einige Zeit führte der Wegdurch die Guyenne, früher Aquitania, deren Hauptstadt Bordeaux war, und alsVertreter des Königs von Frankreich galt hier Antoine von Bourbon, der GatteJeannes. Dann aber begann die Fremde.
Ländereröffneten sich, von denen ein Kind der Pyrenäen nicht einmal im Traum jemalserfahren hatte. Wie die Leute gekleidet waren! Wie sie sich ausdrückten! Manverstand, aber konnte nicht antworten. Die Flüsse waren nicht mehr ausgetrocknet,wie sie im Sommer doch sein müssten. Kein Ölbaum mehr, sogar die kleinen Eselwurden selten. Am Abend blieb die Reisegesellschaft allein unter Unbekannten,und die Protestanten stellten Wachen vor die Türen, den Katholiken war hiernicht zu trauen. Gestern hatten die Pastoren versucht zu predigen, waren abervon der Überzahl der Feinde vertrieben aus dem kahlen Bethaus, das weit draussenvor der Stadt stand; auch die Königin von Navarra mit ihren Kindern wargezwungen worden, eilig zu flüchten. Um so grösser war das Glück, an einem Orteine Mehrheit von Glaubensgenossen zu finden. Dann wurde Jeanne empfangen wie dieAbgesandte der Religion, sie war erwartet worden, ihr Ruf war ihr vorausgeeilt,alle wollten ihre Kinder sehen, sie musste sie auf erhobenen Armen dem Volkzeigen. Die Pastoren predigten, Psalmen wurden gesungen, und ein festliches Gelagesetzte ein.
Sie warenschon achtzehn Tage unterwegs, da überschritten sie bei Orleans die Loire. Sievermieden die Stadt, die bewaffneten Hugenotten lenkten ihre Pferde so nahewie möglich am königlichen Wagen, ihn gaben sie erst recht nicht frei, als dieBoten der Königin von Frankreich erschienen. Es waren Hofleute, die Jeanneartig bewillkommneten, aber sie brachten eine Leibwache von Katholiken mit,und diese erhoben den Anspruch, näher am Wagen zu reiten als die Hugenotten. Diedachten an kein Nachgeben, und es kam zum Handgemenge. Der kleine Henri beugtesich aus dem Fenster und feuerte die Seinen an, in seiner und ihrer Sprache,die anderen verstanden sie nicht. Ein Regenguss trennte die Streitenden, notgedrungenlachten sie und wurden wieder artig. Dunkel hing der Himmel über denungewohnten Pappeln, die im Winde rauschten. Kühl war es im August und nichtgeheuer.
«Was sinddas für schwarze Türme, Mama, und warum brennen sie?»
«Die Sonneversinkt hinter dem Schloss von Saint-Germain, wohin wir fahren, mein Kind.Dort wohnt die Königin von Frankreich. Du weisst doch noch alles, was ich dirsagte und was du mir versprochen hast.»
«Ich weisses, liebe Mutter.»
© S.Fischer Verlag GmbH
- Autor: Heinrich Mann
- 1994, 34. Aufl., 720 Seiten, Masse: 12,1 x 19,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Helmut Bartuschek
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 349913487X
- ISBN-13: 9783499134876
- Erscheinungsdatum: 20.03.2001
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