Die Inselärztin / Hiddensee-Roman Bd.1
Ein Hiddensee-Roman. Originalausgabe
Viola Herz übernimmt eine Arztpraxis auf der Insel Hiddensee. Es dauert eine ganze Weile, bis sie sich dort richtig eingelebt und sich an die raue Art der Menschen gewöhnt hat. Doch dann lernt sie zwei ganz unterschiedliche Männer kennen:...
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Produktinformationen zu „Die Inselärztin / Hiddensee-Roman Bd.1 “
Viola Herz übernimmt eine Arztpraxis auf der Insel Hiddensee. Es dauert eine ganze Weile, bis sie sich dort richtig eingelebt und sich an die raue Art der Menschen gewöhnt hat. Doch dann lernt sie zwei ganz unterschiedliche Männer kennen: Wird sie bei einem von ihnen ihr großes Glück finden?
Klappentext zu „Die Inselärztin / Hiddensee-Roman Bd.1 “
Als Viola Herz die Arztpraxis auf Hiddensee übernimmt, fühlt sie sich anfangs noch fremd. Doch die Schönheit der Insel nimmt sie gefangen, und bald freundet sie sich auch mit der rauen, aber liebenswerten Art der Bewohner an. Und sie lernt zwei Männer kennen: Florian, den jungen, spontanen Biologen, und Georg, den verlässlichen Buchhändler. Wird Viola bei einem von ihnen das Glück und die Liebe finden?Lese-Probe zu „Die Inselärztin / Hiddensee-Roman Bd.1 “
Die Inselärztin von Carin Winter1
»GUT EINGEFÜHRTE ARZTPRAXIS IN Vitte auf Hiddensee
abzugeben, engagiertes Personal vorhanden, Einzugsgebiet
1200 Einwohner«, stand in der Anzeige im Ärzteblatt.
Viola hatte sich ein wenig lustlos an ihren Schreibtisch gesetzt,
um die Angebote durchzusehen, aber nun hob sie den
Kopf. Hiddensee! Irgendwo tief in ihrem Gedächtnis hatte
dieser Begriff wie Dornröschen im Schlaf gelegen und war
nun plötzlich wieder aufgewacht, verbunden mit dem Bild eines
grauhaarigen alten Mannes mit gütigen Augen und erhobenem
Zeigefinger beim Erzählen.
Großvater, dachte sie, unser Großvater von Rügen, der in
einem kleinen, mit Stroh gedeckten Pfarrhaus in Rappin aufgewachsen
war, mit sechs Geschwistern. Und der unzählige
Geschichten und Sagen von den Inseln Rügen und Hiddensee
gewusst hatte.
»Wenn ich einmal im Ruhestand bin«, pflegte er am Schluss
immer zu sagen, »dann werde ich nach Hiddensee umsiedeln,
und dort möchte ich begraben werden, auf dem Friedhof neben
der Kirche, zwischen den alten Seeleuten, die mir all diese
Geschichten erzählt haben.«
Leider ging sein Wunsch nicht in Erfüllung, und nun ruhte
er in Rappin, wo er bis zuletzt gelebt hatte.
Aber genau auf dieser kleinen Insel an der Westküste von
Rügen wurde jetzt ein Arzt gesucht.
... mehr
War das ein Wink des Schicksals?
Viola schob den Stuhl zurück, trat an das Regal neben dem
Schreibtisch und holte sich den Autoatlas herunter.
Tatsächlich, da befand sich Hiddensee, schmal, langgezogen,
die südliche Spitze nicht weit vom Festland entfernt.
Rechts direkt daneben Rügen, sehr viel größer. Man musste
schon genau hinschauen, um festzustellen, dass Hiddensee
nicht einer der langen Zipfel Rügens war, sondern eine eigene Insel.
Und ganz weit weg von München, dachte Viola. Das ist
schon mal gut.
Sie erhob sich und stellte das schwere Buch wieder zurück.
Dabei fiel ihr Blick auf das Foto, das immer noch in einem
hellen Holzrahmen im Regal stand. Jochen, Oberarzt in der
Chirurgie, 42 Jahre alt, geschieden, zwei Kinder, lachte mit
blitzenden Augen in die Kamera. Ein gutaussehender Mann
mit hellem, dichtem Haar und selbstbewusster Haltung.
Er hatte den rechten Arm locker um Violas Schultern gelegt,
und sie, einen Kopf kleiner als er, sah ihn strahlend an,
die rotbraunen Locken wie immer ein wenig zerzaust, die
schmale Nase mit einem leichten Schwung nach oben, Mund
und Kinn energisch, immerhin. Das Beste, fand sie, waren
ihre Augen, groß und von einem hellen Grau. Sprechende
Augen, hatte Jochen immer gesagt.
Wenn man allerdings genauer hinsieht, dachte sich Viola,
kann es dann vielleicht sein, dass Jochen gar nicht die Kamera
anlacht, sondern sein Strahlen der attraktiven Kollegin
gilt, die das Foto gemacht hatte? Warum hatte sie das nie bemerkt?
Viola straffte sich, packte das Bild mit fester Hand und
knallte es in den Plastikeimer neben dem Schreibtisch. Das
hätte sie schon vor Wochen machen sollen. Aber diesen letz-
ten, endgültigen Schlusspunkt unter ihre Liebesgeschichte mit
Jochen zu setzen, hatte sie bisher noch gescheut.
Doch jetzt spürte sie wieder ihre alte Entschlusskraft, und
das schien mit einer kleinen Insel in der Ostsee zusammenzuhängen.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und sah sich die Anzeige
im Ärzteblatt noch einmal an. Dann griff sie nach dem Telefon.
Ja, die Praxis sei noch nicht vergeben, erklärte ihr eine sympathische
Frauenstimme, die sich mit »Gemeindeverwaltung
Hiddensee« gemeldet hatte.
»Wir haben schon mehrere Bewerbungen und werden dieses
Mal sehr genau hinschauen, wer zu uns passt. Mit unserem
letzten Arzt haben wir keine gute Erfahrung gemacht.«
»Was war denn mit ihm nicht in Ordnung?«, wollte Viola
wissen.
»Er hat die Praxis vor einem Jahr übernommen, nachdem
unser bisheriger Arzt nach vierzigjähriger Tätigkeit abgemustert
hat. Und zehn Monate später ist er nach Rostock verschwunden
mit der Bemerkung, er habe es sich anders vorgestellt.«
Ich weiß eigentlich auch nicht, was auf dieser Insel auf mich
zukommt, dachte Viola, aber da klärte die junge Frau sie auch
schon auf: »Im Winter geht es hier gemächlich zu, da gibt es
nur die Inselbewohner zu versorgen. In den Sommermonaten
allerdings kommen die Urlauber und die Tagesgäste, da bleibt
nicht viel Zeit zum Segeln oder um am Strand zu liegen, das
müssen Sie sich klarmachen. Andererseits«, fügte sie nach einer
kurzen Pause hinzu, »ist Hiddensee der Ort mit den meisten
Sonnenstunden in Deutschland. Und wenn Sie Ruhe und
Stille suchen, die finden Sie hier auf jeden Fall.«
Wollte sie Ruhe und Stille? Auch das war ungewiss. Aber
nun hatte Viola schon den ersten Schritt getan, und sie würde
nicht wieder zurückrudern.
Alles Weitere passte. Die Ablösesumme war erschwinglich,
was aber auch bedeutete, dass man sich nicht unbedingt eine
goldene Nase verdienen konnte. Doch das war ihr nicht
wichtig. Sie sollte so bald wie möglich ihre Bewerbungsunterlagen
schicken, man würde ihr dann Bescheid geben. Die
Entscheidung liege vor allem bei den Einwohnern, da es dem
flüchtigen jungen Arzt in Rostock egal sei, wer nach ihm
komme, Hauptsache, er erhielte sein Geld wieder.
Dr. Viola Herz, 34 Jahre alt, wieder Single und mit in den
Papierkorb entsorgten Träumen und Wünschen, stand also
noch einmal auf und ging zum selben Regal, in dem nicht nur
der Autoatlas seinen Platz hatte, sondern auch alle ihre Ordner,
ihre medizinischen Bücher, ein kleiner anhänglicher Teddybär,
der immer dabei gewesen war, wohin es sie auch gezogen
hatte in den letzten Jahren, ein Duftstein und daneben
ein Fläschchen Lavendelöl zur Entspannung und ein Glas mit
Sand und Muscheln. Sie war früher oft am Meer gewesen,
schließlich stammte sie aus Hamburg, und da war die Küste
nicht weit.
Sie nahm die Akte heraus, die ihr ganzes Leben enthielt,
und sah die einzelnen Papiere durch.
Ihr Lebenslauf las sich beruhigend einfach: Grundschule,
Gymnasium, Abitur, Medizinstudium. Dann die erste Stelle
in der Hamburger Klinik bei ihrem Vater, der dort Chefarzt
war. Und danach der Rutsch nach Süden. Seit vier Jahren war
sie nun schon hier in München. Mit der Ausbildung zur Allgemeinärztin
war sie fertig, nur die Kassenzulassung fehlte
noch. Aber die würde sie im Handumdrehen bekommen.
Und vor zwei Jahren hatte sie Jochen kennengelernt, den
Herrn Oberarzt, der begehrteste Mann auf der Station. Sein
Charme, seine Wärme und die Tatsache, dass er sie ziemlich
schnell ganz offen umworben hatte, hatten sie damals fast
schwindelig vor Glück werden lassen.
»Jetzt hole ich dich doch noch ein«, hatte sie ihrer älteren
Schwester Ina freudestrahlend am Telefon erklärt. »Ich habe
vor, so schnell wie möglich eine Tochter und einen Sohn zu
bekommen, dann bist du mir mit deinen zwei Kindern nicht
mehr voraus.«
»Glückwunsch!« Ina lachte. »Ich freue mich für dich,
Viola. Wann ist denn die Hochzeit?«
»Wir haben uns Weihnachten vorgenommen, wenn Jochens
Kinder Ferien haben. Du wirst natürlich eingeladen,
und ich hoffe, dass du mit der ganzen Familie anreist!«
Doch dann war alles ganz anders gekommen.
Jochen hatte seinen Charme und seine Wärme auch mit anderen
Frauen geteilt, immer wieder. Zuletzt war es die Diätassistentin
im Erdgeschoss gewesen, eine dunkelhaarige, rassige
Schönheit, die Viola mit spöttischem Blick musterte,
wenn sie ihr begegnete.
Und so hatte diese schließlich die Konsequenz gezogen und
gekündigt. Ihren Arbeitsplatz und ihrem Oberarzt. Und sie
war wieder in ein möbliertes Zimmer gezogen, nachdem sie
in Jochens eleganter Wohnung so lange Zeit viel Raum und
Luxus genossen hatte.
Wie viele Tränen und schlaflose Nächte sie das alles gekostet
hatte, hatte sie niemandem erzählt. Und wie viel Kraft,
nach Jochens Anrufen nicht sofort wieder zu ihm zu fahren
und in seine Arme zu sinken.
Viola sah auf die Papiere hinab, die nichts davon verrieten,
lehnte sich auf dem Stuhl zurück und hing ihren Gedanken
nach, die immer noch viel zu oft um diesen verdammten
Mann kreisten. Sie sah sein Gesicht vor sich mit dem anste-
ckenden Lächeln, bei dem seine Augen ganz schmal wurden,
sie dachte daran, mit welcher Begeisterung er immer seinen
Rucksack packte, wenn es ihn in die Berge zog, an die ruhige,
feste Art, wenn er im Operationssaal seine Instrumente einsetzte,
an seine Zärtlichkeit und Wärme, wenn sie bei ihm
war. Aber mit Täuschungen und Ausflüchten konnte sie nicht
leben.
»Aha, der Herr handelt nach dem Prinzip ›festmachen und
weitersuchen‹«, war der vorlaute Kommentar ihres Bruders
Dirk gewesen, als Viola ihm erklärt hatte, warum es keine
Hochzeit geben würde.
»Knallkopf!«, hatte ihn Viola angefaucht, obwohl er eigentlich
recht hatte.
Viola schrak hoch, als der graue Tigerkater, der schon die
ganze Zeit neben ihrem Stuhl gelauert hatte, plötzlich mit einem
weichen Sprung auf ihrem Schoß landete.
»Pauli«, sie kraulte ihn leicht im Nacken, und er fing an,
wohlig zu schnurren, »willst du nach Hiddensee? Mit mir zusammen?
Aber sicher willst du. Es ist ziemlich weit, wir werden
einen ganzen Tag unterwegs sein, aber es wird dir dort gefallen.
Es gibt Sand und Meer und strohgedeckte Häuser und
viele, viele Vögel, und vielleicht auch einen Leuchtturm. Aber
der interessiert dich wahrscheinlich weniger.«
Pauli schnurrte leise und legte sich bequem auf Violas
Schoß zurecht. Und Viola griff jetzt endlich nach ihren Unterlagen
und schrieb ihre Bewerbung.
© Weltbild
War das ein Wink des Schicksals?
Viola schob den Stuhl zurück, trat an das Regal neben dem
Schreibtisch und holte sich den Autoatlas herunter.
Tatsächlich, da befand sich Hiddensee, schmal, langgezogen,
die südliche Spitze nicht weit vom Festland entfernt.
Rechts direkt daneben Rügen, sehr viel größer. Man musste
schon genau hinschauen, um festzustellen, dass Hiddensee
nicht einer der langen Zipfel Rügens war, sondern eine eigene Insel.
Und ganz weit weg von München, dachte Viola. Das ist
schon mal gut.
Sie erhob sich und stellte das schwere Buch wieder zurück.
Dabei fiel ihr Blick auf das Foto, das immer noch in einem
hellen Holzrahmen im Regal stand. Jochen, Oberarzt in der
Chirurgie, 42 Jahre alt, geschieden, zwei Kinder, lachte mit
blitzenden Augen in die Kamera. Ein gutaussehender Mann
mit hellem, dichtem Haar und selbstbewusster Haltung.
Er hatte den rechten Arm locker um Violas Schultern gelegt,
und sie, einen Kopf kleiner als er, sah ihn strahlend an,
die rotbraunen Locken wie immer ein wenig zerzaust, die
schmale Nase mit einem leichten Schwung nach oben, Mund
und Kinn energisch, immerhin. Das Beste, fand sie, waren
ihre Augen, groß und von einem hellen Grau. Sprechende
Augen, hatte Jochen immer gesagt.
Wenn man allerdings genauer hinsieht, dachte sich Viola,
kann es dann vielleicht sein, dass Jochen gar nicht die Kamera
anlacht, sondern sein Strahlen der attraktiven Kollegin
gilt, die das Foto gemacht hatte? Warum hatte sie das nie bemerkt?
Viola straffte sich, packte das Bild mit fester Hand und
knallte es in den Plastikeimer neben dem Schreibtisch. Das
hätte sie schon vor Wochen machen sollen. Aber diesen letz-
ten, endgültigen Schlusspunkt unter ihre Liebesgeschichte mit
Jochen zu setzen, hatte sie bisher noch gescheut.
Doch jetzt spürte sie wieder ihre alte Entschlusskraft, und
das schien mit einer kleinen Insel in der Ostsee zusammenzuhängen.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und sah sich die Anzeige
im Ärzteblatt noch einmal an. Dann griff sie nach dem Telefon.
Ja, die Praxis sei noch nicht vergeben, erklärte ihr eine sympathische
Frauenstimme, die sich mit »Gemeindeverwaltung
Hiddensee« gemeldet hatte.
»Wir haben schon mehrere Bewerbungen und werden dieses
Mal sehr genau hinschauen, wer zu uns passt. Mit unserem
letzten Arzt haben wir keine gute Erfahrung gemacht.«
»Was war denn mit ihm nicht in Ordnung?«, wollte Viola
wissen.
»Er hat die Praxis vor einem Jahr übernommen, nachdem
unser bisheriger Arzt nach vierzigjähriger Tätigkeit abgemustert
hat. Und zehn Monate später ist er nach Rostock verschwunden
mit der Bemerkung, er habe es sich anders vorgestellt.«
Ich weiß eigentlich auch nicht, was auf dieser Insel auf mich
zukommt, dachte Viola, aber da klärte die junge Frau sie auch
schon auf: »Im Winter geht es hier gemächlich zu, da gibt es
nur die Inselbewohner zu versorgen. In den Sommermonaten
allerdings kommen die Urlauber und die Tagesgäste, da bleibt
nicht viel Zeit zum Segeln oder um am Strand zu liegen, das
müssen Sie sich klarmachen. Andererseits«, fügte sie nach einer
kurzen Pause hinzu, »ist Hiddensee der Ort mit den meisten
Sonnenstunden in Deutschland. Und wenn Sie Ruhe und
Stille suchen, die finden Sie hier auf jeden Fall.«
Wollte sie Ruhe und Stille? Auch das war ungewiss. Aber
nun hatte Viola schon den ersten Schritt getan, und sie würde
nicht wieder zurückrudern.
Alles Weitere passte. Die Ablösesumme war erschwinglich,
was aber auch bedeutete, dass man sich nicht unbedingt eine
goldene Nase verdienen konnte. Doch das war ihr nicht
wichtig. Sie sollte so bald wie möglich ihre Bewerbungsunterlagen
schicken, man würde ihr dann Bescheid geben. Die
Entscheidung liege vor allem bei den Einwohnern, da es dem
flüchtigen jungen Arzt in Rostock egal sei, wer nach ihm
komme, Hauptsache, er erhielte sein Geld wieder.
Dr. Viola Herz, 34 Jahre alt, wieder Single und mit in den
Papierkorb entsorgten Träumen und Wünschen, stand also
noch einmal auf und ging zum selben Regal, in dem nicht nur
der Autoatlas seinen Platz hatte, sondern auch alle ihre Ordner,
ihre medizinischen Bücher, ein kleiner anhänglicher Teddybär,
der immer dabei gewesen war, wohin es sie auch gezogen
hatte in den letzten Jahren, ein Duftstein und daneben
ein Fläschchen Lavendelöl zur Entspannung und ein Glas mit
Sand und Muscheln. Sie war früher oft am Meer gewesen,
schließlich stammte sie aus Hamburg, und da war die Küste
nicht weit.
Sie nahm die Akte heraus, die ihr ganzes Leben enthielt,
und sah die einzelnen Papiere durch.
Ihr Lebenslauf las sich beruhigend einfach: Grundschule,
Gymnasium, Abitur, Medizinstudium. Dann die erste Stelle
in der Hamburger Klinik bei ihrem Vater, der dort Chefarzt
war. Und danach der Rutsch nach Süden. Seit vier Jahren war
sie nun schon hier in München. Mit der Ausbildung zur Allgemeinärztin
war sie fertig, nur die Kassenzulassung fehlte
noch. Aber die würde sie im Handumdrehen bekommen.
Und vor zwei Jahren hatte sie Jochen kennengelernt, den
Herrn Oberarzt, der begehrteste Mann auf der Station. Sein
Charme, seine Wärme und die Tatsache, dass er sie ziemlich
schnell ganz offen umworben hatte, hatten sie damals fast
schwindelig vor Glück werden lassen.
»Jetzt hole ich dich doch noch ein«, hatte sie ihrer älteren
Schwester Ina freudestrahlend am Telefon erklärt. »Ich habe
vor, so schnell wie möglich eine Tochter und einen Sohn zu
bekommen, dann bist du mir mit deinen zwei Kindern nicht
mehr voraus.«
»Glückwunsch!« Ina lachte. »Ich freue mich für dich,
Viola. Wann ist denn die Hochzeit?«
»Wir haben uns Weihnachten vorgenommen, wenn Jochens
Kinder Ferien haben. Du wirst natürlich eingeladen,
und ich hoffe, dass du mit der ganzen Familie anreist!«
Doch dann war alles ganz anders gekommen.
Jochen hatte seinen Charme und seine Wärme auch mit anderen
Frauen geteilt, immer wieder. Zuletzt war es die Diätassistentin
im Erdgeschoss gewesen, eine dunkelhaarige, rassige
Schönheit, die Viola mit spöttischem Blick musterte,
wenn sie ihr begegnete.
Und so hatte diese schließlich die Konsequenz gezogen und
gekündigt. Ihren Arbeitsplatz und ihrem Oberarzt. Und sie
war wieder in ein möbliertes Zimmer gezogen, nachdem sie
in Jochens eleganter Wohnung so lange Zeit viel Raum und
Luxus genossen hatte.
Wie viele Tränen und schlaflose Nächte sie das alles gekostet
hatte, hatte sie niemandem erzählt. Und wie viel Kraft,
nach Jochens Anrufen nicht sofort wieder zu ihm zu fahren
und in seine Arme zu sinken.
Viola sah auf die Papiere hinab, die nichts davon verrieten,
lehnte sich auf dem Stuhl zurück und hing ihren Gedanken
nach, die immer noch viel zu oft um diesen verdammten
Mann kreisten. Sie sah sein Gesicht vor sich mit dem anste-
ckenden Lächeln, bei dem seine Augen ganz schmal wurden,
sie dachte daran, mit welcher Begeisterung er immer seinen
Rucksack packte, wenn es ihn in die Berge zog, an die ruhige,
feste Art, wenn er im Operationssaal seine Instrumente einsetzte,
an seine Zärtlichkeit und Wärme, wenn sie bei ihm
war. Aber mit Täuschungen und Ausflüchten konnte sie nicht
leben.
»Aha, der Herr handelt nach dem Prinzip ›festmachen und
weitersuchen‹«, war der vorlaute Kommentar ihres Bruders
Dirk gewesen, als Viola ihm erklärt hatte, warum es keine
Hochzeit geben würde.
»Knallkopf!«, hatte ihn Viola angefaucht, obwohl er eigentlich
recht hatte.
Viola schrak hoch, als der graue Tigerkater, der schon die
ganze Zeit neben ihrem Stuhl gelauert hatte, plötzlich mit einem
weichen Sprung auf ihrem Schoß landete.
»Pauli«, sie kraulte ihn leicht im Nacken, und er fing an,
wohlig zu schnurren, »willst du nach Hiddensee? Mit mir zusammen?
Aber sicher willst du. Es ist ziemlich weit, wir werden
einen ganzen Tag unterwegs sein, aber es wird dir dort gefallen.
Es gibt Sand und Meer und strohgedeckte Häuser und
viele, viele Vögel, und vielleicht auch einen Leuchtturm. Aber
der interessiert dich wahrscheinlich weniger.«
Pauli schnurrte leise und legte sich bequem auf Violas
Schoß zurecht. Und Viola griff jetzt endlich nach ihren Unterlagen
und schrieb ihre Bewerbung.
© Weltbild
... weniger
Autoren-Porträt von Carin Winter
Carin Winter hat Medizin studiert und mehrere Jahre als Ärztin in einem Dorf gearbeitet; später entdeckte sie die Lust am Schreiben. Teile ihrer Familie stammen von Rügen, ein Grossonkel war dort auch Arzt. Carin Winter lebt in Weil der Stadt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carin Winter
- 2011, 9. Aufl., 400 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548282539
- ISBN-13: 9783548282534
- Erscheinungsdatum: 13.04.2011
Rezension zu „Die Inselärztin / Hiddensee-Roman Bd.1 “
»Eine romantische, auch verfilmt vorstellbare Liebeserklärung an Hiddensee.« Nordkurier, 14.05.11
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