Die Herren von Winterfell / Das Lied von Eis und Feuer Bd.1
Eine Geschichte voller Liebe, Verrat, Habgier und Mord.
Grundlage für die TV-Serie "Game of Thrones" mit Weltstar Sean Bean in der Hauptrolle, die aktuell auch auf RTL 2 zu sehen ist. Eine Serie über den gnadenlosen...
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Produktinformationen zu „Die Herren von Winterfell / Das Lied von Eis und Feuer Bd.1 “
Eine Geschichte voller Liebe, Verrat, Habgier und Mord.
Grundlage für die TV-Serie "Game of Thrones" mit Weltstar Sean Bean in der Hauptrolle, die aktuell auch auf RTL 2 zu sehen ist. Eine Serie über den gnadenlosen Machtkampf zweier Häuser um den Eisernen Thron. Doch dieser Konflikt macht blind vor den Gefahren, die gnadenlos von außen drohen.
Klappentext zu „Die Herren von Winterfell / Das Lied von Eis und Feuer Bd.1 “
Die größte Fantasy-Saga unserer ZeitEddard Stark, der Herr von Winterfell, wird an den Hof seines Königs gerufen, um diesem als Berater und Vertrauter zur Seite zu stehen. Doch Intriganten, Meuchler und skrupellose Adlige scharen sich um den Thron, deren Einflüsterungen der schwache König nichts entgegenzusetzen hat. Während Eddard sich von mächtigen Feinden umringt sieht, steht sein Sohn, der zukünftige Herrscher des Nordens, einer uralten finsteren Macht gegenüber. Die Zukunft des Reiches hängt von den Herren von Winterfell ab!
„Der amerikanische Tolkien"
TIME
„Mit das Beste, was das Genre der High-Fantasy zu bieten hat - ein epischer, großartig verwobener Wandteppich."
Zitty Berlin
„Das ist großartiger Schmökerstoff mit Suchtpotential."
buchjournal
„Der hochspannende Startschuss einer fantastischen Reihe, die man nicht nur Genrefreunden ans Herz legen kann. Das Ganze ist eine fast schon haptische Erzählung, fühl- und erlebbar, rund und in sich stimmig, mit einem Spannungsbogen, der bis zur letzten Seite aufrecht erhalten wird."
lies-und-lausch.de
„Ein absoluter Klassiker. Als Leser wird man von der Handlung gefangengenommen."
splashbooks.de
"Dieser Roman ist ein absoluter Pflichtkauf!"
splashbooks.de
Lese-Probe zu „Die Herren von Winterfell / Das Lied von Eis und Feuer Bd.1 “
Die Herren von Winterfell von George R. R. Martin ... mehr
»Wir sollten umkehren«, drängte Gared, als es im Wald um sie zu dunkeln begann. »Die Wildlinge sind tot.«
»Machen euch die Toten Angst?«, fragte Ser Weymar Rois mit nur dem Anflug eines Lächelns.
Gared ließ sich darauf nicht ein. Er war ein alter Mann, über fünfzig, und junge Lords hatte er schon so manchen kommen und gehen sehen. »Tot ist tot«, sagte er. »Die Toten sind nicht unsere Sache.«
»Sind sie denn tot?«, fragte Rois leise. »Welchen Beweis haben wir?«
»Will hat sie gesehen«, sagte Gared. »Wenn er sagt, dass sie tot sind, dann ist mir das Beweis genug.«
Will hatte es gewusst. Früher oder später würde man ihn in den Streit hineinziehen. »Meine Mutter hat mich gelehrt, dass Tote keine Lieder singen«, warf er ein.
»Das hat meine Amme auch gesagt«, erwiderte Rois. »Glaub nie etwas, das du an der Zitze einer Frau hörst. Selbst von den Toten kann man etwas lernen.« Seine Stimme hallte nach, zu laut im dämmrigen Wald.
»Wir haben noch einen langen Ritt vor uns«, erklärte Gared. »Acht Tage, vielleicht neun. Und es wird Nacht.«
Unbeeindruckt sah Ser Weymar Rois zum Himmel auf. »Das wird es jeden Tag um diese Zeit. Beraubt dich die Dunkelheit deiner Manneskraft, Gared?«
Will konnte den angespannten Zug um Gareds Mund erkennen, den kaum unterdrückten Zorn in seinen Augen unter der dicken, schwarzen Kapuze seines Umhangs. Gared gehörte seit vierzig Jahren der Nachtwache an, als Mann und schon als Junge, und er war es nicht gewohnt, dass man sich über ihn lustig machte. Doch es war mehr als das. Hinter dem verletzten Stolz bemerkte Will noch etwas anderes bei diesem alten Mann. Man konnte es wittern, eine nervöse Anspannung, die der Angst gefährlich nahe kam.
Will teilte sein Unbehagen. Vier Jahre war er auf der Mauer. Als man ihn zum ersten Mal auf die andere Seite geschickt hatte, waren ihm all die alten Geschichten wieder eingefallen, und fast war ihm das Herz in die Hose gerutscht. Später hatte er darüber gelacht. Inzwischen war er ein Veteran, hatte hundert Patrouillen hinter sich, und die endlose, finstere Wildnis, welche die Südländer den Verfluchten Wald nannten, konnte ihn nicht mehr schrecken.
Bis zum heutigen Abend. Heute war irgendetwas anders. Eine Schärfe lag in dieser Finsternis, bei der sich ihm die Nackenhaare sträubten. Neun Tage waren sie geritten, nach Norden und Nordwesten und dann wieder nach Norden, hart auf den Fersen einer Bande von Plünderern. Jeder Tag war schlimmer als der Tag zuvor gewesen. Heute war der schlimmste von allen. Kalter Wind wehte von Norden her und ließ die Bäume rascheln, als wären sie lebendig. Den ganzen Tag schon schien es Will, als würden sie beobachtet, von etwas Kaltem, Unerbittlichem. Auch Gared hatte es gespürt. Will wollte nichts lieber als schnellstmöglich zurück in den Schutz der Mauer reiten, nur war das nichts, was man seinem Vorgesetzten anvertraute.
Besonders nicht einem Vorgesetzten wie diesem.
Ser Weymar Rois war der jüngste Sohn eines alten Geschlechts mit allzu vielen Erben. Er war ein hübscher Junge von achtzehn Jahren, mit grauen Augen, anmutig und schlank wie eine Klinge. Auf seinem mächtigen, schwarzen Streitross ragte der Ritter über Will und Gared mit ihren kleineren Kleppern hoch auf. Er trug schwarze Lederstiefel, schwarze Wollhosen, schwarze Hirschlederhandschuhe und ein feines, geschmeidiges Hemd aus schimmernden, schwarzen Ketten über Schichten von schwarzer Wolle und gehärtetem Leder. Ser Weymar gehörte noch kein halbes Jahr zu den Brüdern der Nachtwache, doch konnte niemand behaupten, er hätte sich auf seine Berufung nicht vorbereitet. Zumindest was seine Garderobe anging.
Sein Umhang war die Krönung. Zobel, dick und schwarz und weich wie die Sünde. »Ich wette, die hat er alle eigenhändig gemeuchelt, der Mann«, hatte Gared in der Kaserne beim Wein erklärt, »hat den kleinen Biestern die Hälse umgedreht, unser großer Krieger.« Alle hatten in sein Lachen mit eingestimmt.
Es fällt schwer, Befehle von einem Mann anzunehmen, über den man lachen musste, wenn man mal zu tief ins Glas geschaut hat, dachte Will, während er zitternd auf seinem Klepper saß. Gared musste wohl ebenso empfinden.
»Mormont hat gesagt, wir sollten sie verfolgen, und das haben wir getan«, sagte Gared. »Sie sind tot. Die werden uns keinen Ärger mehr machen. Vor uns liegt ein harter Ritt. Nur das Wetter gefällt mir nicht. Wenn es schneit, könnte der Rückweg zwei Wochen dauern, und es könnte sein, dass wir uns noch über Schnee freuen. Schon mal einen Eissturm erlebt, Mylord?«
Der junge Herr schien ihn nicht zu hören. Er betrachtete die herabsinkende Dämmerung, auf diese halb gelangweilte, halb abwesende Art und Weise, die er meist an den Tag legte. Will war lange genug mit dem Ritter unterwegs gewesen, um zu wissen, dass man ihn am besten nicht störte, wenn er so dreinblickte. »Erzähl mir noch einmal, was du gesehen hast, Will. Sämtliche Einzelheiten. Lass nichts aus.«
Will war Jäger gewesen, bevor er sich der Nachtwache angeschlossen hatte. Nun, eigentlich Wilderer. Reiter hatten ihn in Mallisters Wald auf frischer Tat ertappt, als er gerade einen Hirsch häutete, der dem Mallister gehörte, und ihm war nur die Wahl geblieben, das Schwarz anzulegen oder eine Hand einzubüßen. Niemand konnte so lautlos durch die Wälder streifen wie Will, und die schwarzen Brüder hatten nicht lange gebraucht, um sein Talent zu erkennen.
»Das Lager liegt zwei Meilen von hier, hinter diesem Kamm, gleich neben einem Bach«, sagte Will. »Ich war so nah dran, wie ich mich traute. Sie sind zu acht, Männer wie Frauen. Kinder konnte ich keine sehen. An den Fels haben sie einen Unterstand gebaut. Mittlerweile ist er ziemlich schneebedeckt, aber ich konnte ihn trotzdem erkennen. Es brannte kein Feuer, aber die Feuerstelle war nicht zu übersehen. Niemand hat sich gerührt. Ich habe sie lange beobachtet. Kein Lebender kann so lange still liegen.«
»Hast du Blut gesehen?«
»Nein, das nicht«, räumte Will ein.
»Hast du Waffen gesehen?«
»Ein paar Schwerter, ein paar Bögen. Ein Mann hatte eine Axt. Sah schwer aus, mit doppelter Klinge, ein grausiges Stück Eisen. Es lag neben ihm, direkt bei seiner Hand.«
»Hast du darauf geachtet, wie die Leichen lagen?«
Will zuckte mit den Achseln. »Einige sitzen an den Stein gelehnt. Die meisten liegen am Boden. Als wären sie gestürzt.«
»Oder als würden sie schlafen«, vermutete Rois.
»Als wären sie gestürzt«, beharrte Will. »Eine Frau liegt da im Eisenholz, halb verborgen von den Zweigen. Mit abwesendem Blick.« Er lächelte leise. »Ich habe darauf geachtet, dass sie mich nicht sieht. Als ich näher kam, habe ich gesehen, dass auch sie sich nicht mehr rührt.« Unwillkürlich lief ihm ein Schauer über den Rücken. »Ist dir kalt?«, fragte Rois.
»Ein wenig«, murmelte Will. »Der Wind, Mylord.«
Der junge Ritter wandte sich zu seinem ergrauten Krieger um. Erfrorene Blätter umflüsterten sie, und Rois' Streitross wurde unruhig. »Was, glaubst du, hat diese Leute getötet, Gared?«, fragte Ser Weymar beiläufig. Er strich über seinen langen Zobelmantel.
»Es war die Kälte«, sagte Gared mit eiserner Bestimmtheit. »Ich habe im letzten Winter gesehen, wie Menschen erfrieren, und auch in dem davor, als ich fast noch ein Junge war. Alle reden von vierzig Fuß hohem Schnee und dass der
Wind von Norden her heult, doch der eigentliche Feind ist die Kälte. Sie schleicht sich leise an als Wind, und anfangs zittert man, und die Zähne klappern, und man stampft mit den Füßen und träumt von Glühwein und hübschen, heißen Feuern. Sie brennt, das tut sie. Nichts brennt wie die Kälte. Doch nur eine Weile. Dann kriecht sie in dich hinein und fängt an, dich auszufüllen, und nach einer Weile hast du keine Kraft mehr, dich zu wehren. Es fällt leichter, sich hinzusetzen oder einzuschlafen. Man sagt, man spürt am Ende keine Schmerzen. Erst wird man schwach und müde, und alles lässt nach, und dann ist es, als würde man in einem Meer aus warmer Milch versinken. Friedlich eigentlich.«
»Diese Beredsamkeit, Gared«, bemerkte Ser Weymar. »Nie hätte ich so etwas bei dir vermutet.«
»Ich hatte die Kälte selbst schon in mir, junger Herr.« Gared schob seine Kapuze zurück und ließ Ser Weymar einen langen, gewissenhaften Blick auf die Stümpfe werfen, wo einst seine Ohren gesessen hatten. »Zwei Ohren, drei Zehen und der kleine Finger meiner linken Hand. Ich bin noch gut weggekommen. Meinen Bruder haben wir erfroren auf seinem Posten gefunden, mit einem Lächeln auf dem Gesicht.«
Ser Weymar zuckte mit den Schultern. »Du solltest dich wärmer anziehen, Gared.«
Gared warf dem jungen Lord einen bösen Blick zu, und die Narben um seine Ohrlöcher, wo Maester Aemon ihm die Ohren abgeschnitten hatte, wurden rot vor Zorn. »Wir werden sehen, wie warm Ihr Euch kleiden könnt, wenn der Winter kommt.« Er zog seine Kapuze hoch und kauerte auf seinem Klepper, schweigend und brütend.
»Wenn Gared sagt, dass es die Kälte war setzte Will an.
»Hast du letzte Woche Wache geschoben, Will?«
»Ja, Mylord.« Es verging keine Woche, in der er nicht ein ganzes dutzendmal Wache schob. Worauf wollte der Mann hinaus?
»Und was hat die Mauer getan?«
»Geweint«, sagte Will. Jetzt war alles klar, nachdem der junge Lord ihn darauf hingewiesen hatte. »Sie hätten nicht erfrieren können. Nicht, wenn die Mauer weint. Es war nicht kalt genug.«
Rois nickte. »Kluger Kopf. Wir hatten in dieser Woche ein paar Mal leichten Frost und hin und wieder einen leichten Schneeschauer, doch sicher keinen Frost, der so hart war, dass er acht erwachsene Menschen töten konnte. Menschen in Fell und Leder, wenn ich euch erinnern darf, mit Obdach in der Nähe und der Möglichkeit, ein Feuer zu machen.« Das Grinsen des Ritters war anmaßend. »Will, bring uns dorthin. Ich möchte diese Toten mit eigenen Augen sehen.«
Und dann war nichts mehr zu ändern. Der Befehl war erteilt, und die Ehre hieß sie, sich zu fügen.
Will ritt voraus, und sein zottiger, kleiner Klepper suchte sich sorgsam einen Weg durchs Unterholz. In der Nacht zuvor war ein wenig Schnee gefallen, und Steine und Wurzeln und verborgene Mulden lagen gleich unter der Kruste und warteten auf die Sorglosen und Unachtsamen. Dahinter kam Ser Weymar, und sein großes, schwarzes Streitross schnaubte voller Ungeduld. Ein Streitross war das falsche Reittier für Patrouillen, nur war das einem jungen Lord nicht beizubringen. Gared bildete die Nachhut. Beim Reiten murmelte der alte Krieger vor sich hin.
Immer dunkler wurde es. Der wolkenlose Himmel wandelte sich zu einem dunklen Rot, die Farbe einer alten Prellung, dann schließlich war er schwarz. Die ersten Sterne kamen hervor. Die Sichel des Mondes stieg auf. Will war dankbar für das Licht.
»Wir können doch bestimmt auch schneller vorankommen«, sagte Rois, nachdem der Mond ganz aufgegangen war.
»Nicht mit diesem Pferd«, sagte Will. Die Angst machte ihn unverschämt. »Vielleicht möchte Euer Lordschaft vorausreiten?«
Ser Weymar Rois geruhte nicht zu antworten.
Irgendwo tief in den Wäldern heulte ein Wolf.
Will lenkte seinen Klepper zu einem alten, knorrigen Stück Eisenholz und stieg ab.
»Wieso hältst du an?«, fragte Ser Weymar.
»Am besten gehen wir den Rest des Weges zu Fuß Mylord. Es ist gleich dort hinter diesem Kamm.«
Rois wartete einen Moment lang, starrte in die Ferne mit nachdenklicher Miene. Kalter Wind flüsterte durch die Bäume. Sein großer Zobelmantel wehte hinter ihm, als steckte Leben darin.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, murmelte Gared.
Der junge Lord warf ihm ein verächtliches Lächeln zu. »Ist das so?«
»Spürt Ihr es denn nicht?«, fragte Gared. »Lauscht der Finsternis!«
Will konnte es spüren. Vier Jahre war er bei der Nachtwache, und noch niemals hatte er sich so sehr gefürchtet. Was war das?
»Wind. Raschelnde Bäume. Ein Wolf. Was davon beraubt dich deiner Manneskräfte, Gared?« Als Gared nicht antwortete, glitt Rois elegant aus seinem Sattel. Er band das Streitross an einem tiefhängenden Ast fest, abseits der anderen Pferde, zog sein Langschwert aus der Scheide, sodass Mondlicht am schimmernden Stahl hinablief. Es war eine prachtvolle Waffe, auf einer Burg geschmiedet und allem Anschein nach nagelneu. Will bezweifelte, ob es je im Zorn des Kampfes geschwungen worden war.
»Die Bäume stehen eng«, warnte Will. »Das Schwert wird Euch behindern, Mylord. Greift besser zum Messer.«
»Wenn ich Anleitung bräuchte, würde ich darum bitten«, sagte der junge Lord. »Gared, bleib hier. Bewach die Pferde.«
Gared stieg ab. »Wir brauchen ein Feuer. Ich kümmere mich darum.«
»Wie dumm bist du, alter Mann? Wenn Feinde in diesem Wald sind, ist ein Feuer das Letzte, was wir brauchen.«
»Es gibt auch Feinde, die ein Feuer fernhält«, sagte Gared. »Bären und Schattenwölfe und ^ und andere
Ser Weymars Mund wurde zu einem schmalen Strich. »Kein Feuer.«
Gareds Kapuze verbarg sein Gesicht, doch Will konnte das harte Funkeln in seinen Augen sehen, als er den Ritter anstarrte. Einen Moment lang fürchtete er, der ältere Mann könne zum Schwert greifen. Es war ein kurzes, hässliches Ding, der Griff vom Schweiß entfärbt, die Klinge vom vielen Gebrauch gekerbt, doch Will hätte keinen Eisenschilling für das Leben des Lords gegeben, wenn Gared es aus seiner
Scheide gezogen hätte.
Schließlich sah Gared zu Boden. »Kein Feuer«, murmelte er leise.
Rois nahm es als Einwilligung und wandte sich ab. »Geh voraus«, wies er Will an.
Will bahnte ihnen einen Weg durchs Dickicht, dann stieg er den Hang zum flachen Kamm hinauf, wo er seinen Aussichtspunkt unter einem Wachbaum gefunden hatte. Unter der dünnen Schneekruste war der Boden feucht und matschig, rutschig, mit Steinen und verborgenen Wurzeln, über die man stolpern konnte. Lautlos kletterte Will voran. Hinter sich hörte er das sanfte, metallische Rasseln vom Kettenhemd seines Herrn, das Rascheln der Blätter und unterdrückte Flüche, als lange Äste nach seinem Langschwert griffen und an seinem prachtvollen Zobel zerrten.
Der große Wachbaum stand genau dort oben auf dem Kamm, wo Will ihn in Erinnerung hatte, die untersten Äste kaum einen Fuß über dem Boden. Will schob sich darunter, flach auf dem Bauch durch Schnee und Schlamm, und blickte auf die leere Lichtung unter sich hinab.
Ihm stockte das Herz. Einen Moment lang wagte er nicht zu atmen. Mondlicht schien auf die Lichtung hinab, die Asche der Feuerstelle, den schneebedeckten Unterstand, den großen Felsen, den kleinen halb gefrorenen Bach. Alles war genau so, wie er es noch wenige Stunden zuvor verlassen hatte.
Nur war keiner mehr da. Alle Leichen waren verschwunden.
»Bei allen Göttern!«, hörte er hinter sich. Ein Schwert schlug gegen einen Ast, als Ser Weymar Rois den Kamm erklomm. Er stand neben dem Wachbaum, das Langschwert in der Hand, der Umhang wehte in seinem Rücken, da Wind aufkam, edel und im Licht der Sterne für jedermann gut zu sehen.
»Runter!«, flüsterte Will aufgebracht. »Irgendwas stimmt hier nicht.«
Rois rührte sich nicht von der Stelle. Er schaute auf die leere Lichtung hinab und lachte. »Deine Toten scheinen ihr Lager abgebrochen zu haben, Will.«
Wills Stimme versagte ihm den Dienst. Er rang um Worte, die nicht kommen wollten. Es war nicht möglich. Sein Blick ging über das verlassene Lager hin und her, blieb an der Axt hängen. Die riesenhafte Streitaxt mit doppelter Klinge lag noch immer da, wo er sie zuletzt gesehen hatte, unangetastet. Eine wertvolle Waffe ^
»Steh auf, Will!«, befahl Ser Weymar. »Da ist niemand. Ich will nicht, dass du dich unter einem Busch versteckst.«
Widerstrebend fügte sich Will.
Ser Weymar musterte ihn mit offener Verachtung. »Ich werde nicht von meinem ersten Streifzug in die Schwarze Festung zurückkehren, ohne einen Erfolg vorweisen zu können.« Er sah sich um. »Auf den Baum. Beeil dich! Such nach einem Feuer.«
Will wandte sich wortlos ab. Es hatte keinen Sinn zu streiten. Der kalte Wind fuhr ihm in die Glieder. Will trat an den Baum, einen gewölbten, graugrünen Wachbaum, und begann zu klettern. Bald schon klebten seine Hände vom Harz, und er hatte sich in den Nadeln verirrt. Wie eine Mahlzeit, die er nicht verdauen konnte, breitete sich Angst in seiner Magengrube aus. Er flüsterte ein Gebet an die namenlosen Götter des Waldes und befreite seinen Dolch aus dessen Scheide. Er klemmte ihn zwischen die Zähne, um beide Hände zum Klettern frei zu haben. Der Geschmack von kaltem Eisen schenkte ihm Trost.
Weit unten rief plötzlich der junge Lord: »Was gibt es da?« Will spürte die Unsicherheit in seiner Stimme. Er hörte auf zu klettern. Er lauschte. Er suchte.
Der Wald gab Antwort: das Rascheln des Laubs, das eisige Rauschen des Baches, der ferne Schrei einer Schnee-Eule.
Die Anderen machten kein Geräusch.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Will eine Bewegung. Fahle Formen glitten durch den Wald. Er wandte den Kopf um, sah einen weißen Schatten in der Dunkelheit. Dann war er wieder verschwunden. Zweige schwankten sanft im Wind. Will öffnete den Mund, um einen Warnruf auszustoßen, doch die Worte erfroren ihm in der Kehle. Vielleicht täuschte er sich. Vielleicht war es nur ein Vogel gewesen, ein Schatten auf dem Schnee, das Mondlicht, das ihn täuschte. Was hatte er denn schon gesehen?
»Will, wo bist du?«, rief Ser Weymar herauf. »Kannst du etwas erkennen?« Langsam drehte er sich um, das Schwert in seiner Hand. Er musste sie gespürt haben, ganz wie Will sie spürte. Es war nichts zu sehen. »Antworte mir! Warum ist es so kalt?«
Es war kalt. Zitternd klammerte sich Will fester an seinen Sitz. Sein Gesicht presste sich hart an den Stamm des Wachbaumes. Er konnte das süße, klebrige Harz an seiner Wange fühlen.
Ein Schatten trat aus dem Dunkel des Waldes. Er blieb direkt vor Rois stehen. Hoch ragte er vor ihm auf, hager und hart wie alte Knochen, mit Haut so weiß wie Milch. Seine Rüstung schien die Farbe zu verändern, wenn er sich bewegte. Hier war er weiß wie frischer Schnee, dort schwarz wie ein Schatten, überall gesprenkelt mit dem dunklen Graugrün der Bäume. Mit jedem Schritt verliefen die Muster wie Mondlicht auf dem Wasser.
Will hörte Ser Weymar Rois mit langem Zischen den Atem ausstoßen. »Kommt nicht näher«, warnte der junge Lord. Seine Stimme überschlug sich wie die eines Kindes. Er warf den langen Zobelmantel über die Schulter, um die Arme für den Kampf frei zu haben, und nahm sein Schwert in beide Hände. Der Wind hatte sich gelegt. Es war sehr kalt.
Mit lautlosen Schritten trat der andere vor. In seiner Hand hielt er ein Langschwert, wie Will es nie zuvor gesehen hatte. Kein den Menschen bekanntes Metall war zu dieser Klinge geschmiedet worden. Es lebte im Mondlicht, durchscheinend, eine kristallene Scherbe, so dünn, dass sie fast zu verschwinden schien, wenn man sie von der Seite sah. Ein schwacher, blauer Schimmer lag über dieser Waffe, gespenstisches Licht, das seinen Rand umspielte, und irgendwie wusste Will, dass es schärfer als jedes Barbiermesser war.
Ser Weymar trat ihm tapfer entgegen. »Dann tanzt mit mir.« Herausfordernd hob er sein Schwert hoch über den Kopf. Die Hände zitterten vom Gewicht oder vielleicht auch von der Kälte. Doch in diesem Augenblick, so dachte Will, war er kein Junge mehr, sondern ein Mann der Nachtwache.
Der Andere zögerte. Will sah seine Augen, dunkler und blauer, als Menschenaugen jemals sein konnten, ein Blau, das brannte wie Eis. Sie richteten sich auf das Langschwert, das dort oben bebte, betrachteten das Mondlicht, das kalt über das Metall lief. Einen Herzschlag lang wagte er zu hoffen.
Lautlos traten sie aus der Dunkelheit hervor, Zwillinge des Ersten. Drei von ihnen ^ vier ^ fünf ^ Ser Weymar musste die Kälte gespürt haben, die mit ihnen kam, doch sah er sie nicht, hörte sie nicht mehr. Will hätte schreien müssen. Es war seine Pflicht. Und sein Tod, wenn er es täte. Er zitterte, klammerte sich an den Baum und schwieg.
Das helle Schwert schnitt durch die Luft.
Ser Weymar trat ihm mit Stahl entgegen. Als sich die Klingen trafen, erklang kein Singen von Metall auf Metall, nur ein hoher, dünner Ton, den man kaum hören konnte, wie ein Tier, das vor Schmerzen schrie. Rois hielt einem zweiten Hieb stand und einem dritten, dann wich er einen Schritt zurück. Ein weiteres Blitzen von Hieben, und wieder wich er zurück.
Hinter ihm, rechts von ihm und links, überall um ihn herum, standen schweigend Zuschauer, und die sich wandelnden Muster auf ihren feinen Rüstungen machten sie beinahe unsichtbar im Wald. Dennoch rührten sie sich nicht, um einzugreifen.
Wieder und wieder trafen die Schwerter aufeinander, bis Will sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte, um das seltsam gequälte Klagen der Hiebe nicht hören zu müssen. Schon keuchte Ser Weymar von den Mühen, und sein Atem dampfte im Mondlicht. Seine Klinge war weiß vom Frost, doch die des Anderen tanzte mit blassblauem Licht.
Dann kam Rois' Parade um einen Herzschlag zu spät. Das helle Schwert schnitt unter seinem Arm durchs Kettenhemd. Der junge Lord schrie vor Schmerzen auf. Blut quoll zwischen den Ketten hervor. Es dampfte in der Kälte, und die Tropfen leuchteten rot wie Feuer, als sie in den Schnee tropften. Ser Weymar strich mit der Hand über seine Seite. Als er sie wieder fortnahm, waren seine Hirschlederhandschuhe blutdurchtränkt.
Der Andere sagte etwas in einer Sprache, die Will nicht kannte. Seine Stimme klang wie das Knacken von Eis auf einem winterlichen See, und die Worte waren voller Hohn.
Ser Weymar geriet in Wut. »Für Robert!«, rief er und richtete sich ächzend auf, hob das eisbedeckte Langschwert und schwang es mit seinem ganzen Gewicht in flachem Bogen. Die Parade des Anderen kam beinahe träge.
Als sich die Klingen trafen, zerbarst der Stahl.
Ein Schrei hallte durch den nächtlichen Wald, und das Langschwert sprang in hundert spröde Teile, deren Scherben wie ein Nadelregen niedergingen. Rois fiel auf die Knie, schrie und schützte seine Augen. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.
Wie ein Mann traten die Zuschauer vor, als hätte jemand ein Zeichen gegeben. Schwerter hoben sich und stießen herab, all das in tödlicher Stille. Es war ein kaltes Schlachten. Die blassen Klingen durchschnitten die Ketten wie Seide. Will schloss die Augen. Weit unter sich hörte er Stimmen und Gelächter, das spitz wie Eiszapfen klang.
Als er den Mut fand, wieder hinzusehen - und es war viel Zeit vergangen -, fand er den Kamm unter sich leer.
Er blieb auf dem Baum, wagte kaum zu atmen, während der Mond langsam über den schwarzen Himmel kroch. Schließlich, als seine Muskeln verkrampften und seine Finger von der Kälte schon taub waren, kletterte er hinunter.
Rois' Leiche lag bäuchlings im Schnee, den einen Arm von sich gestreckt. Der dicke Zobelmantel war an einem Dutzend Stellen zerschnitten. Als er da so tot im Schnee lag, sah man, wie jung er war. Ein Kind.
Er fand, was von dem Schwert noch übrig war, in einigen Schritten Entfernung, das Ende zersplittert und verdreht wie ein Baum, in den der Blitz geschlagen hatte. Will kniete nieder, sah sich wachsam um und sammelte es auf. Das geborstene Schwert sollte sein Beweis sein. Gared würde es erklären können, und wenn nicht er, dann sicher der alte Bär Mor- mont oder Maester Aemon. Ob Gared noch bei den Pferden wartete? Er musste sich beeilen.
Will erhob sich. Ser Weymar ragte über ihm auf.
Seine feinen Kleider waren zerfetzt, das Gesicht eine Ruine. Eine Scherbe seines Schwertes steckte in der blinden, weißen Pupille seines linken Auges.
Das rechte Auge stand offen. Die Pupille brannte blau. Sie sah.
Das zerbrochene Schwert glitt aus kraftlosen Fingern. Will schloss die Augen, um zu beten. Lange, anmutige Hände strichen über seine Wange, dann schlossen sie sich um seinen Hals. Sie waren in feinstes Hirschleder gehüllt und vom Blut verklebt, aber dennoch waren sie kalt wie Eis.
Kalt und klar hatte der Tag gedämmert, mit einer Frische, die vom Ende des Sommers kündete. Sie brachen im Morgengrauen auf, zwanzig insgesamt, um der Enthauptung eines Mannes beizuwohnen, und Bran ritt unter ihnen, ganz nervös vor Aufregung. Es war das erste Mal, dass man ihn für alt genug erachtete, mit seinem Hohen Vater und seinen Brüdern zu gehen und zu sehen, wie das Recht des Königs vollstreckt wurde. Es war das neunte Jahr des Sommers und das siebte in Brans Leben.
Man hatte den Mann vor eine kleine Festung in den Bergen geführt. Robb hielt ihn für einen Wildling, der mit seinem Schwert einen Eid auf Mance Rayder, den König-jen- seits-der-Mauer, abgelegt hatte. Beim bloßen Gedanken daran bekam Bran eine Gänsehaut. Er erinnerte sich an die Geschichten, die die Alte Nan ihnen am Ofen erzählt hatte. Die Wildlinge seien grausame Männer, so sagte sie, Sklavenhändler und Mörder und Diebe. Sie verkehrten mit Riesen und Ghulen, entführten kleine Mädchen mitten in der Nacht und tranken Blut aus polierten Hörnern. Und ihre Frauen teilten in der Langen Nacht die Betten mit den Anderen, um schreckliche, halbmenschliche Kinder zu zeugen.
Doch der Mann, der dort mit Händen und Füßen an die Mauer der Festung gefesselt das Recht des Königs erwartete, war alt und knochig, nicht viel größer als Robb. Er hatte beide Ohren und einen Finger an den Frost verloren und war ganz in Schwarz gekleidet wie ein Bruder der Nachtwache, nur dass seine Kleider zerlumpt und dreckig waren.
Der Atem von Mann und Pferd vermischte sich, dampfte in der kalten Morgenluft, als sein Hoher Vater den Mann von der Mauer lösen und zu ihnen bringen ließ. Robb und Jon saßen aufrecht und regungslos auf ihren Pferden, dazwischen auf seinem Pony Bran, der sich Mühe gab, älter als sieben zu wirken, und so tat, als hätte er das alles schon einmal gesehen. Leiser Wind ging durch das Tor der Festung. Über ihren Köpfen flatterte das Banner der Starks von Winterfell: ein grauer Schattenwolf, der über ein eisweißes Feld hetzt.
Brans Vater saß feierlich auf seinem Pferd, das lange braune Haar wehte leicht im Wind. Mit dem gestutzten Bart wirkte er älter als die fünfunddreißig Jahre, die er zählte. Etwas Grimmiges lag an diesem Tag um seine grauen Augen, und er wirkte ganz und gar nicht wie der Mann, der abends am Feuer saß und mit sanfter Stimme aus den Zeiten der Helden und der Kinder des Waldes erzählte. Er hatte sein väterliches Gesicht abgenommen, so dachte Bran, und das Gesicht des Lord Stark von Winterfell aufgesetzt.
Es wurden Fragen gestellt und Antworten gegeben, dort in der kalten Morgenluft, doch konnte sich Bran später nicht an vieles von dem erinnern, was gesagt worden war. Schließlich gab sein Hoher Vater das Kommando, und zwei seiner Gardisten schleppten den zerlumpten Mann zu dem Eisenbaumstumpf in der Mitte des Platzes. Sie zwangen seinen Kopf auf das harte, schwarze Holz. Lord Eddard Stark stieg ab, und sein Mündel Theon Graufreud holte das Schwert hervor. »Eis« wurde dieses Schwert genannt. Es war so breit wie eine Männerhand und größer noch als Robb. Die Klinge war aus valyrischem Stahl, mit Zauberkraft geschmiedet und schwarz wie Rauch. Nichts war so scharf wie valyrischer Stahl.
Sein Vater schälte die Handschuhe von den Händen und reichte sie Jory Cassel, dem Hauptmann seiner Leibgarde. Er packte Eis mit beiden Händen und sagte: »Im Namen Roberts aus dem Geschlecht Baratheon, des Ersten seines Namens, König der Andalen und der Rhoynar und der Ersten Menschen, Lord der Sieben Königslande und Protektor des
Reiches, durch das Wort Eddards aus dem Geschlecht der Starks, Lord von Winterfell und Wächter des Nordens, verurteile ich dich zum Tode.« Er hob das Großschwert hoch über seinen Kopf.
Brans Halbbruder Jon Schnee kam näher heran. »Halt dein Pony gut fest«, flüsterte er. »Und wende dich nicht ab. Vater wird merken, wenn du es tust.«
Bran hielt sein Pony gut fest und wandte sich nicht ab.
Mit einem einzigen, festen Hieb schlug sein Vater den Kopf des Mannes ab. Blut spritzte über den Schnee, rot wie Sommerwein. Eines der Pferde bäumte sich auf und wäre fast durchgegangen. Bran konnte seine Augen nicht vom Blut lösen. Gierig sog es der Schnee um den Stumpf auf und färbte sich rot.
Der Kopf prallte von einer dicken Wurzel ab und rollte davon. Fast kam er bis zu Graufreuds Füßen. Theon war ein schlanker, dunkler Jüngling von neunzehn Jahren, der alles amüsant fand. Er lachte, setzte seinen Fuß an den Kopf und stieß ihn von sich.
»Esel«, murmelte Jon so leise, dass Graufreud es nicht hören konnte. Er legte Bran eine Hand auf die Schulter, und Bran sah seinen Halbbruder an. »Gut gemacht«, erklärte Jon feierlich. Jon war vierzehn, ein alter Hase, was Recht und Gesetz anging.
Auf dem langen Weg zurück nach Winterfell schien es noch kälter geworden zu sein, obwohl sich der Wind inzwischen gelegt hatte und die Sonne hoch am Himmel stand. Bran ritt mit seinen Brüdern weit vor der Gesellschaft, und sein Pony hatte alle Mühe, mit den Pferden der anderen mitzuhalten.
»Der Deserteur ist tapfer gestorben«, befand Robb. Er war groß und breit und wurde jeden Tag noch größer, besaß die Farbe seiner Mutter, die helle Haut, rotbraunes Haar und die blauen Augen der Tullys von Schnellwasser. »Wenigstens hatte er Courage.«
»Nein«, erwiderte Jon Schnee leise. »Es war keine Courage.
Er ist voller Furcht gestorben. Das konnte man seinen Augen ansehen, Stark.« Jons Augen waren grau, dunkelgrau, fast schwarz, doch ihnen entging nur wenig. Er war im gleichen Alter wie Robb, doch sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Wo Robb muskulös war, war Jon schlank, wo Robb hell war, Jon dunkel, und wo sein Halbbruder stark und schnell war, zeigte Jon Grazie und Behändigkeit.
Robb blieb unbeeindruckt. »Sollen sich die Anderen seine Augen holen«, fluchte er. »Er ist gut gestorben. Um die Wette bis zur Brücke?«
»Gemacht«, sagte Jon und trat sein Pferd in die Flanken. Robb fluchte und folgte ihm, und so galoppierten sie den Pfad hinab, Robb lachend und johlend, Jon still und konzentriert. Die Hufe der Pferde warfen Mengen von Schnee auf.
Bran versuchte nicht, ihnen zu folgen. Sein Pony konnte nicht mithalten. Die Augen des zerlumpten Mannes kamen ihm wieder in den Sinn. Nach einer Weile war Robbs Lachen verklungen, und im Wald kehrte wieder Stille ein.
So tief war er in Gedanken versunken, dass er den Rest der Gesellschaft gar nicht hörte, bis sein Vater schon neben ihm ritt. »Geht es dir gut, Bran?«, fragte er nicht unfreundlich.
»Ja, Vater«, erklärte Bran. Er blickte hoch. In Fell und Leder gewickelt, hoch auf seinem großen Streitross, ragte sein Vater wie ein Riese über ihm auf. »Robb sagt, der Mann sei tapfer gestorben, aber Jon sagt, er hätte sich gefürchtet.«
»Was glaubst du?«, fragte sein Vater.
Bran dachte darüber nach. »Kann ein Mann tapfer sein, auch wenn er sich fürchtet?«
»Das ist der einzige Moment, in dem er tapfer sein kann«, erklärte ihm sein Vater. »Verstehst du, warum ich es getan habe?«
»Er war ein Wildling«, sagte Bran. »Sie verschleppen Frauen und verkaufen sie den Anderen.«
Sein Hoher Vater lächelte. »Die Alte Nan hat euch wieder Geschichten erzählt. In Wahrheit war der Mann ein Eidbrüchiger, ein Deserteur aus der Nachtwache. Niemand ist gefährlicher. Der Deserteur weiß, dass sein Leben verwirkt ist, wenn er gefasst wird, daher wird er vor keinem Verbrechen zurückschrecken, so schändlich es auch sein mag. Doch du missverstehst mich. Die Frage ist nicht, warum der Mann sterben musste, sondern warum ich es tun musste.«
Darauf wusste Bran keine Antwort. »König Robert hat einen Henker«, sagte er unsicher.
»Das stimmt«, bestätigte sein Vater. »Wie alle Könige der Targaryen vor ihm. Doch unsere Tradition ist die ältere. Das Blut der Ersten Menschen fließt noch heute in den Adern der Starks, und wir halten an dem Glauben fest, dass ein Mann, der ein Urteil spricht, auch selbst das Schwert führen soll. Wenn du jemandem das Leben nehmen willst, bist du es ihm schuldig, ihm in die Augen zu blicken und seine letzten Worte zu hören. Wenn du es nicht ertragen kannst, dann verdient der Mann vielleicht auch nicht den Tod.
Eines Tages, Bran, wirst du Robbs Vasall sein und selbst ein Lehen von deinem Bruder und deinem König erhalten, dann wird es an dir sein, Recht zu sprechen. Wenn dieser Tag kommt, darfst du keine Freude an dieser Aufgabe empfinden, doch darfst du dich auch nicht abwenden. Ein Herrscher, der sich hinter bezahlten Henkern versteckt, vergisst bald, was der Tod bedeutet.«
Das war der Moment, in dem Jon wieder auf der Kuppe des Hügels vor ihnen erschien. Er winkte und rief ihnen zu: »Vater, Bran, kommt schnell und seht, was Robb gefunden hat!« Dann war er erneut verschwunden.
Jory schloss zu ihnen auf. »Ärger, Mylord?«
»Zweifellos«, sagte sein Hoher Vater. »Kommt, sehen wir mal, welches Unheil meine Söhne diesmal ausgegraben haben.« Er setzte sein Pferd in Trab. Jory und Bran und alle anderen folgten ihm.
Übersetzung: Jörn Ingwersen
Vollständig durchgesehen und überarbeitet
von Sigrun Zühlke und Thomas Gießl
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1997
by Verlagsgruppe Random House GmbH
»Wir sollten umkehren«, drängte Gared, als es im Wald um sie zu dunkeln begann. »Die Wildlinge sind tot.«
»Machen euch die Toten Angst?«, fragte Ser Weymar Rois mit nur dem Anflug eines Lächelns.
Gared ließ sich darauf nicht ein. Er war ein alter Mann, über fünfzig, und junge Lords hatte er schon so manchen kommen und gehen sehen. »Tot ist tot«, sagte er. »Die Toten sind nicht unsere Sache.«
»Sind sie denn tot?«, fragte Rois leise. »Welchen Beweis haben wir?«
»Will hat sie gesehen«, sagte Gared. »Wenn er sagt, dass sie tot sind, dann ist mir das Beweis genug.«
Will hatte es gewusst. Früher oder später würde man ihn in den Streit hineinziehen. »Meine Mutter hat mich gelehrt, dass Tote keine Lieder singen«, warf er ein.
»Das hat meine Amme auch gesagt«, erwiderte Rois. »Glaub nie etwas, das du an der Zitze einer Frau hörst. Selbst von den Toten kann man etwas lernen.« Seine Stimme hallte nach, zu laut im dämmrigen Wald.
»Wir haben noch einen langen Ritt vor uns«, erklärte Gared. »Acht Tage, vielleicht neun. Und es wird Nacht.«
Unbeeindruckt sah Ser Weymar Rois zum Himmel auf. »Das wird es jeden Tag um diese Zeit. Beraubt dich die Dunkelheit deiner Manneskraft, Gared?«
Will konnte den angespannten Zug um Gareds Mund erkennen, den kaum unterdrückten Zorn in seinen Augen unter der dicken, schwarzen Kapuze seines Umhangs. Gared gehörte seit vierzig Jahren der Nachtwache an, als Mann und schon als Junge, und er war es nicht gewohnt, dass man sich über ihn lustig machte. Doch es war mehr als das. Hinter dem verletzten Stolz bemerkte Will noch etwas anderes bei diesem alten Mann. Man konnte es wittern, eine nervöse Anspannung, die der Angst gefährlich nahe kam.
Will teilte sein Unbehagen. Vier Jahre war er auf der Mauer. Als man ihn zum ersten Mal auf die andere Seite geschickt hatte, waren ihm all die alten Geschichten wieder eingefallen, und fast war ihm das Herz in die Hose gerutscht. Später hatte er darüber gelacht. Inzwischen war er ein Veteran, hatte hundert Patrouillen hinter sich, und die endlose, finstere Wildnis, welche die Südländer den Verfluchten Wald nannten, konnte ihn nicht mehr schrecken.
Bis zum heutigen Abend. Heute war irgendetwas anders. Eine Schärfe lag in dieser Finsternis, bei der sich ihm die Nackenhaare sträubten. Neun Tage waren sie geritten, nach Norden und Nordwesten und dann wieder nach Norden, hart auf den Fersen einer Bande von Plünderern. Jeder Tag war schlimmer als der Tag zuvor gewesen. Heute war der schlimmste von allen. Kalter Wind wehte von Norden her und ließ die Bäume rascheln, als wären sie lebendig. Den ganzen Tag schon schien es Will, als würden sie beobachtet, von etwas Kaltem, Unerbittlichem. Auch Gared hatte es gespürt. Will wollte nichts lieber als schnellstmöglich zurück in den Schutz der Mauer reiten, nur war das nichts, was man seinem Vorgesetzten anvertraute.
Besonders nicht einem Vorgesetzten wie diesem.
Ser Weymar Rois war der jüngste Sohn eines alten Geschlechts mit allzu vielen Erben. Er war ein hübscher Junge von achtzehn Jahren, mit grauen Augen, anmutig und schlank wie eine Klinge. Auf seinem mächtigen, schwarzen Streitross ragte der Ritter über Will und Gared mit ihren kleineren Kleppern hoch auf. Er trug schwarze Lederstiefel, schwarze Wollhosen, schwarze Hirschlederhandschuhe und ein feines, geschmeidiges Hemd aus schimmernden, schwarzen Ketten über Schichten von schwarzer Wolle und gehärtetem Leder. Ser Weymar gehörte noch kein halbes Jahr zu den Brüdern der Nachtwache, doch konnte niemand behaupten, er hätte sich auf seine Berufung nicht vorbereitet. Zumindest was seine Garderobe anging.
Sein Umhang war die Krönung. Zobel, dick und schwarz und weich wie die Sünde. »Ich wette, die hat er alle eigenhändig gemeuchelt, der Mann«, hatte Gared in der Kaserne beim Wein erklärt, »hat den kleinen Biestern die Hälse umgedreht, unser großer Krieger.« Alle hatten in sein Lachen mit eingestimmt.
Es fällt schwer, Befehle von einem Mann anzunehmen, über den man lachen musste, wenn man mal zu tief ins Glas geschaut hat, dachte Will, während er zitternd auf seinem Klepper saß. Gared musste wohl ebenso empfinden.
»Mormont hat gesagt, wir sollten sie verfolgen, und das haben wir getan«, sagte Gared. »Sie sind tot. Die werden uns keinen Ärger mehr machen. Vor uns liegt ein harter Ritt. Nur das Wetter gefällt mir nicht. Wenn es schneit, könnte der Rückweg zwei Wochen dauern, und es könnte sein, dass wir uns noch über Schnee freuen. Schon mal einen Eissturm erlebt, Mylord?«
Der junge Herr schien ihn nicht zu hören. Er betrachtete die herabsinkende Dämmerung, auf diese halb gelangweilte, halb abwesende Art und Weise, die er meist an den Tag legte. Will war lange genug mit dem Ritter unterwegs gewesen, um zu wissen, dass man ihn am besten nicht störte, wenn er so dreinblickte. »Erzähl mir noch einmal, was du gesehen hast, Will. Sämtliche Einzelheiten. Lass nichts aus.«
Will war Jäger gewesen, bevor er sich der Nachtwache angeschlossen hatte. Nun, eigentlich Wilderer. Reiter hatten ihn in Mallisters Wald auf frischer Tat ertappt, als er gerade einen Hirsch häutete, der dem Mallister gehörte, und ihm war nur die Wahl geblieben, das Schwarz anzulegen oder eine Hand einzubüßen. Niemand konnte so lautlos durch die Wälder streifen wie Will, und die schwarzen Brüder hatten nicht lange gebraucht, um sein Talent zu erkennen.
»Das Lager liegt zwei Meilen von hier, hinter diesem Kamm, gleich neben einem Bach«, sagte Will. »Ich war so nah dran, wie ich mich traute. Sie sind zu acht, Männer wie Frauen. Kinder konnte ich keine sehen. An den Fels haben sie einen Unterstand gebaut. Mittlerweile ist er ziemlich schneebedeckt, aber ich konnte ihn trotzdem erkennen. Es brannte kein Feuer, aber die Feuerstelle war nicht zu übersehen. Niemand hat sich gerührt. Ich habe sie lange beobachtet. Kein Lebender kann so lange still liegen.«
»Hast du Blut gesehen?«
»Nein, das nicht«, räumte Will ein.
»Hast du Waffen gesehen?«
»Ein paar Schwerter, ein paar Bögen. Ein Mann hatte eine Axt. Sah schwer aus, mit doppelter Klinge, ein grausiges Stück Eisen. Es lag neben ihm, direkt bei seiner Hand.«
»Hast du darauf geachtet, wie die Leichen lagen?«
Will zuckte mit den Achseln. »Einige sitzen an den Stein gelehnt. Die meisten liegen am Boden. Als wären sie gestürzt.«
»Oder als würden sie schlafen«, vermutete Rois.
»Als wären sie gestürzt«, beharrte Will. »Eine Frau liegt da im Eisenholz, halb verborgen von den Zweigen. Mit abwesendem Blick.« Er lächelte leise. »Ich habe darauf geachtet, dass sie mich nicht sieht. Als ich näher kam, habe ich gesehen, dass auch sie sich nicht mehr rührt.« Unwillkürlich lief ihm ein Schauer über den Rücken. »Ist dir kalt?«, fragte Rois.
»Ein wenig«, murmelte Will. »Der Wind, Mylord.«
Der junge Ritter wandte sich zu seinem ergrauten Krieger um. Erfrorene Blätter umflüsterten sie, und Rois' Streitross wurde unruhig. »Was, glaubst du, hat diese Leute getötet, Gared?«, fragte Ser Weymar beiläufig. Er strich über seinen langen Zobelmantel.
»Es war die Kälte«, sagte Gared mit eiserner Bestimmtheit. »Ich habe im letzten Winter gesehen, wie Menschen erfrieren, und auch in dem davor, als ich fast noch ein Junge war. Alle reden von vierzig Fuß hohem Schnee und dass der
Wind von Norden her heult, doch der eigentliche Feind ist die Kälte. Sie schleicht sich leise an als Wind, und anfangs zittert man, und die Zähne klappern, und man stampft mit den Füßen und träumt von Glühwein und hübschen, heißen Feuern. Sie brennt, das tut sie. Nichts brennt wie die Kälte. Doch nur eine Weile. Dann kriecht sie in dich hinein und fängt an, dich auszufüllen, und nach einer Weile hast du keine Kraft mehr, dich zu wehren. Es fällt leichter, sich hinzusetzen oder einzuschlafen. Man sagt, man spürt am Ende keine Schmerzen. Erst wird man schwach und müde, und alles lässt nach, und dann ist es, als würde man in einem Meer aus warmer Milch versinken. Friedlich eigentlich.«
»Diese Beredsamkeit, Gared«, bemerkte Ser Weymar. »Nie hätte ich so etwas bei dir vermutet.«
»Ich hatte die Kälte selbst schon in mir, junger Herr.« Gared schob seine Kapuze zurück und ließ Ser Weymar einen langen, gewissenhaften Blick auf die Stümpfe werfen, wo einst seine Ohren gesessen hatten. »Zwei Ohren, drei Zehen und der kleine Finger meiner linken Hand. Ich bin noch gut weggekommen. Meinen Bruder haben wir erfroren auf seinem Posten gefunden, mit einem Lächeln auf dem Gesicht.«
Ser Weymar zuckte mit den Schultern. »Du solltest dich wärmer anziehen, Gared.«
Gared warf dem jungen Lord einen bösen Blick zu, und die Narben um seine Ohrlöcher, wo Maester Aemon ihm die Ohren abgeschnitten hatte, wurden rot vor Zorn. »Wir werden sehen, wie warm Ihr Euch kleiden könnt, wenn der Winter kommt.« Er zog seine Kapuze hoch und kauerte auf seinem Klepper, schweigend und brütend.
»Wenn Gared sagt, dass es die Kälte war setzte Will an.
»Hast du letzte Woche Wache geschoben, Will?«
»Ja, Mylord.« Es verging keine Woche, in der er nicht ein ganzes dutzendmal Wache schob. Worauf wollte der Mann hinaus?
»Und was hat die Mauer getan?«
»Geweint«, sagte Will. Jetzt war alles klar, nachdem der junge Lord ihn darauf hingewiesen hatte. »Sie hätten nicht erfrieren können. Nicht, wenn die Mauer weint. Es war nicht kalt genug.«
Rois nickte. »Kluger Kopf. Wir hatten in dieser Woche ein paar Mal leichten Frost und hin und wieder einen leichten Schneeschauer, doch sicher keinen Frost, der so hart war, dass er acht erwachsene Menschen töten konnte. Menschen in Fell und Leder, wenn ich euch erinnern darf, mit Obdach in der Nähe und der Möglichkeit, ein Feuer zu machen.« Das Grinsen des Ritters war anmaßend. »Will, bring uns dorthin. Ich möchte diese Toten mit eigenen Augen sehen.«
Und dann war nichts mehr zu ändern. Der Befehl war erteilt, und die Ehre hieß sie, sich zu fügen.
Will ritt voraus, und sein zottiger, kleiner Klepper suchte sich sorgsam einen Weg durchs Unterholz. In der Nacht zuvor war ein wenig Schnee gefallen, und Steine und Wurzeln und verborgene Mulden lagen gleich unter der Kruste und warteten auf die Sorglosen und Unachtsamen. Dahinter kam Ser Weymar, und sein großes, schwarzes Streitross schnaubte voller Ungeduld. Ein Streitross war das falsche Reittier für Patrouillen, nur war das einem jungen Lord nicht beizubringen. Gared bildete die Nachhut. Beim Reiten murmelte der alte Krieger vor sich hin.
Immer dunkler wurde es. Der wolkenlose Himmel wandelte sich zu einem dunklen Rot, die Farbe einer alten Prellung, dann schließlich war er schwarz. Die ersten Sterne kamen hervor. Die Sichel des Mondes stieg auf. Will war dankbar für das Licht.
»Wir können doch bestimmt auch schneller vorankommen«, sagte Rois, nachdem der Mond ganz aufgegangen war.
»Nicht mit diesem Pferd«, sagte Will. Die Angst machte ihn unverschämt. »Vielleicht möchte Euer Lordschaft vorausreiten?«
Ser Weymar Rois geruhte nicht zu antworten.
Irgendwo tief in den Wäldern heulte ein Wolf.
Will lenkte seinen Klepper zu einem alten, knorrigen Stück Eisenholz und stieg ab.
»Wieso hältst du an?«, fragte Ser Weymar.
»Am besten gehen wir den Rest des Weges zu Fuß Mylord. Es ist gleich dort hinter diesem Kamm.«
Rois wartete einen Moment lang, starrte in die Ferne mit nachdenklicher Miene. Kalter Wind flüsterte durch die Bäume. Sein großer Zobelmantel wehte hinter ihm, als steckte Leben darin.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, murmelte Gared.
Der junge Lord warf ihm ein verächtliches Lächeln zu. »Ist das so?«
»Spürt Ihr es denn nicht?«, fragte Gared. »Lauscht der Finsternis!«
Will konnte es spüren. Vier Jahre war er bei der Nachtwache, und noch niemals hatte er sich so sehr gefürchtet. Was war das?
»Wind. Raschelnde Bäume. Ein Wolf. Was davon beraubt dich deiner Manneskräfte, Gared?« Als Gared nicht antwortete, glitt Rois elegant aus seinem Sattel. Er band das Streitross an einem tiefhängenden Ast fest, abseits der anderen Pferde, zog sein Langschwert aus der Scheide, sodass Mondlicht am schimmernden Stahl hinablief. Es war eine prachtvolle Waffe, auf einer Burg geschmiedet und allem Anschein nach nagelneu. Will bezweifelte, ob es je im Zorn des Kampfes geschwungen worden war.
»Die Bäume stehen eng«, warnte Will. »Das Schwert wird Euch behindern, Mylord. Greift besser zum Messer.«
»Wenn ich Anleitung bräuchte, würde ich darum bitten«, sagte der junge Lord. »Gared, bleib hier. Bewach die Pferde.«
Gared stieg ab. »Wir brauchen ein Feuer. Ich kümmere mich darum.«
»Wie dumm bist du, alter Mann? Wenn Feinde in diesem Wald sind, ist ein Feuer das Letzte, was wir brauchen.«
»Es gibt auch Feinde, die ein Feuer fernhält«, sagte Gared. »Bären und Schattenwölfe und ^ und andere
Ser Weymars Mund wurde zu einem schmalen Strich. »Kein Feuer.«
Gareds Kapuze verbarg sein Gesicht, doch Will konnte das harte Funkeln in seinen Augen sehen, als er den Ritter anstarrte. Einen Moment lang fürchtete er, der ältere Mann könne zum Schwert greifen. Es war ein kurzes, hässliches Ding, der Griff vom Schweiß entfärbt, die Klinge vom vielen Gebrauch gekerbt, doch Will hätte keinen Eisenschilling für das Leben des Lords gegeben, wenn Gared es aus seiner
Scheide gezogen hätte.
Schließlich sah Gared zu Boden. »Kein Feuer«, murmelte er leise.
Rois nahm es als Einwilligung und wandte sich ab. »Geh voraus«, wies er Will an.
Will bahnte ihnen einen Weg durchs Dickicht, dann stieg er den Hang zum flachen Kamm hinauf, wo er seinen Aussichtspunkt unter einem Wachbaum gefunden hatte. Unter der dünnen Schneekruste war der Boden feucht und matschig, rutschig, mit Steinen und verborgenen Wurzeln, über die man stolpern konnte. Lautlos kletterte Will voran. Hinter sich hörte er das sanfte, metallische Rasseln vom Kettenhemd seines Herrn, das Rascheln der Blätter und unterdrückte Flüche, als lange Äste nach seinem Langschwert griffen und an seinem prachtvollen Zobel zerrten.
Der große Wachbaum stand genau dort oben auf dem Kamm, wo Will ihn in Erinnerung hatte, die untersten Äste kaum einen Fuß über dem Boden. Will schob sich darunter, flach auf dem Bauch durch Schnee und Schlamm, und blickte auf die leere Lichtung unter sich hinab.
Ihm stockte das Herz. Einen Moment lang wagte er nicht zu atmen. Mondlicht schien auf die Lichtung hinab, die Asche der Feuerstelle, den schneebedeckten Unterstand, den großen Felsen, den kleinen halb gefrorenen Bach. Alles war genau so, wie er es noch wenige Stunden zuvor verlassen hatte.
Nur war keiner mehr da. Alle Leichen waren verschwunden.
»Bei allen Göttern!«, hörte er hinter sich. Ein Schwert schlug gegen einen Ast, als Ser Weymar Rois den Kamm erklomm. Er stand neben dem Wachbaum, das Langschwert in der Hand, der Umhang wehte in seinem Rücken, da Wind aufkam, edel und im Licht der Sterne für jedermann gut zu sehen.
»Runter!«, flüsterte Will aufgebracht. »Irgendwas stimmt hier nicht.«
Rois rührte sich nicht von der Stelle. Er schaute auf die leere Lichtung hinab und lachte. »Deine Toten scheinen ihr Lager abgebrochen zu haben, Will.«
Wills Stimme versagte ihm den Dienst. Er rang um Worte, die nicht kommen wollten. Es war nicht möglich. Sein Blick ging über das verlassene Lager hin und her, blieb an der Axt hängen. Die riesenhafte Streitaxt mit doppelter Klinge lag noch immer da, wo er sie zuletzt gesehen hatte, unangetastet. Eine wertvolle Waffe ^
»Steh auf, Will!«, befahl Ser Weymar. »Da ist niemand. Ich will nicht, dass du dich unter einem Busch versteckst.«
Widerstrebend fügte sich Will.
Ser Weymar musterte ihn mit offener Verachtung. »Ich werde nicht von meinem ersten Streifzug in die Schwarze Festung zurückkehren, ohne einen Erfolg vorweisen zu können.« Er sah sich um. »Auf den Baum. Beeil dich! Such nach einem Feuer.«
Will wandte sich wortlos ab. Es hatte keinen Sinn zu streiten. Der kalte Wind fuhr ihm in die Glieder. Will trat an den Baum, einen gewölbten, graugrünen Wachbaum, und begann zu klettern. Bald schon klebten seine Hände vom Harz, und er hatte sich in den Nadeln verirrt. Wie eine Mahlzeit, die er nicht verdauen konnte, breitete sich Angst in seiner Magengrube aus. Er flüsterte ein Gebet an die namenlosen Götter des Waldes und befreite seinen Dolch aus dessen Scheide. Er klemmte ihn zwischen die Zähne, um beide Hände zum Klettern frei zu haben. Der Geschmack von kaltem Eisen schenkte ihm Trost.
Weit unten rief plötzlich der junge Lord: »Was gibt es da?« Will spürte die Unsicherheit in seiner Stimme. Er hörte auf zu klettern. Er lauschte. Er suchte.
Der Wald gab Antwort: das Rascheln des Laubs, das eisige Rauschen des Baches, der ferne Schrei einer Schnee-Eule.
Die Anderen machten kein Geräusch.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Will eine Bewegung. Fahle Formen glitten durch den Wald. Er wandte den Kopf um, sah einen weißen Schatten in der Dunkelheit. Dann war er wieder verschwunden. Zweige schwankten sanft im Wind. Will öffnete den Mund, um einen Warnruf auszustoßen, doch die Worte erfroren ihm in der Kehle. Vielleicht täuschte er sich. Vielleicht war es nur ein Vogel gewesen, ein Schatten auf dem Schnee, das Mondlicht, das ihn täuschte. Was hatte er denn schon gesehen?
»Will, wo bist du?«, rief Ser Weymar herauf. »Kannst du etwas erkennen?« Langsam drehte er sich um, das Schwert in seiner Hand. Er musste sie gespürt haben, ganz wie Will sie spürte. Es war nichts zu sehen. »Antworte mir! Warum ist es so kalt?«
Es war kalt. Zitternd klammerte sich Will fester an seinen Sitz. Sein Gesicht presste sich hart an den Stamm des Wachbaumes. Er konnte das süße, klebrige Harz an seiner Wange fühlen.
Ein Schatten trat aus dem Dunkel des Waldes. Er blieb direkt vor Rois stehen. Hoch ragte er vor ihm auf, hager und hart wie alte Knochen, mit Haut so weiß wie Milch. Seine Rüstung schien die Farbe zu verändern, wenn er sich bewegte. Hier war er weiß wie frischer Schnee, dort schwarz wie ein Schatten, überall gesprenkelt mit dem dunklen Graugrün der Bäume. Mit jedem Schritt verliefen die Muster wie Mondlicht auf dem Wasser.
Will hörte Ser Weymar Rois mit langem Zischen den Atem ausstoßen. »Kommt nicht näher«, warnte der junge Lord. Seine Stimme überschlug sich wie die eines Kindes. Er warf den langen Zobelmantel über die Schulter, um die Arme für den Kampf frei zu haben, und nahm sein Schwert in beide Hände. Der Wind hatte sich gelegt. Es war sehr kalt.
Mit lautlosen Schritten trat der andere vor. In seiner Hand hielt er ein Langschwert, wie Will es nie zuvor gesehen hatte. Kein den Menschen bekanntes Metall war zu dieser Klinge geschmiedet worden. Es lebte im Mondlicht, durchscheinend, eine kristallene Scherbe, so dünn, dass sie fast zu verschwinden schien, wenn man sie von der Seite sah. Ein schwacher, blauer Schimmer lag über dieser Waffe, gespenstisches Licht, das seinen Rand umspielte, und irgendwie wusste Will, dass es schärfer als jedes Barbiermesser war.
Ser Weymar trat ihm tapfer entgegen. »Dann tanzt mit mir.« Herausfordernd hob er sein Schwert hoch über den Kopf. Die Hände zitterten vom Gewicht oder vielleicht auch von der Kälte. Doch in diesem Augenblick, so dachte Will, war er kein Junge mehr, sondern ein Mann der Nachtwache.
Der Andere zögerte. Will sah seine Augen, dunkler und blauer, als Menschenaugen jemals sein konnten, ein Blau, das brannte wie Eis. Sie richteten sich auf das Langschwert, das dort oben bebte, betrachteten das Mondlicht, das kalt über das Metall lief. Einen Herzschlag lang wagte er zu hoffen.
Lautlos traten sie aus der Dunkelheit hervor, Zwillinge des Ersten. Drei von ihnen ^ vier ^ fünf ^ Ser Weymar musste die Kälte gespürt haben, die mit ihnen kam, doch sah er sie nicht, hörte sie nicht mehr. Will hätte schreien müssen. Es war seine Pflicht. Und sein Tod, wenn er es täte. Er zitterte, klammerte sich an den Baum und schwieg.
Das helle Schwert schnitt durch die Luft.
Ser Weymar trat ihm mit Stahl entgegen. Als sich die Klingen trafen, erklang kein Singen von Metall auf Metall, nur ein hoher, dünner Ton, den man kaum hören konnte, wie ein Tier, das vor Schmerzen schrie. Rois hielt einem zweiten Hieb stand und einem dritten, dann wich er einen Schritt zurück. Ein weiteres Blitzen von Hieben, und wieder wich er zurück.
Hinter ihm, rechts von ihm und links, überall um ihn herum, standen schweigend Zuschauer, und die sich wandelnden Muster auf ihren feinen Rüstungen machten sie beinahe unsichtbar im Wald. Dennoch rührten sie sich nicht, um einzugreifen.
Wieder und wieder trafen die Schwerter aufeinander, bis Will sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte, um das seltsam gequälte Klagen der Hiebe nicht hören zu müssen. Schon keuchte Ser Weymar von den Mühen, und sein Atem dampfte im Mondlicht. Seine Klinge war weiß vom Frost, doch die des Anderen tanzte mit blassblauem Licht.
Dann kam Rois' Parade um einen Herzschlag zu spät. Das helle Schwert schnitt unter seinem Arm durchs Kettenhemd. Der junge Lord schrie vor Schmerzen auf. Blut quoll zwischen den Ketten hervor. Es dampfte in der Kälte, und die Tropfen leuchteten rot wie Feuer, als sie in den Schnee tropften. Ser Weymar strich mit der Hand über seine Seite. Als er sie wieder fortnahm, waren seine Hirschlederhandschuhe blutdurchtränkt.
Der Andere sagte etwas in einer Sprache, die Will nicht kannte. Seine Stimme klang wie das Knacken von Eis auf einem winterlichen See, und die Worte waren voller Hohn.
Ser Weymar geriet in Wut. »Für Robert!«, rief er und richtete sich ächzend auf, hob das eisbedeckte Langschwert und schwang es mit seinem ganzen Gewicht in flachem Bogen. Die Parade des Anderen kam beinahe träge.
Als sich die Klingen trafen, zerbarst der Stahl.
Ein Schrei hallte durch den nächtlichen Wald, und das Langschwert sprang in hundert spröde Teile, deren Scherben wie ein Nadelregen niedergingen. Rois fiel auf die Knie, schrie und schützte seine Augen. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.
Wie ein Mann traten die Zuschauer vor, als hätte jemand ein Zeichen gegeben. Schwerter hoben sich und stießen herab, all das in tödlicher Stille. Es war ein kaltes Schlachten. Die blassen Klingen durchschnitten die Ketten wie Seide. Will schloss die Augen. Weit unter sich hörte er Stimmen und Gelächter, das spitz wie Eiszapfen klang.
Als er den Mut fand, wieder hinzusehen - und es war viel Zeit vergangen -, fand er den Kamm unter sich leer.
Er blieb auf dem Baum, wagte kaum zu atmen, während der Mond langsam über den schwarzen Himmel kroch. Schließlich, als seine Muskeln verkrampften und seine Finger von der Kälte schon taub waren, kletterte er hinunter.
Rois' Leiche lag bäuchlings im Schnee, den einen Arm von sich gestreckt. Der dicke Zobelmantel war an einem Dutzend Stellen zerschnitten. Als er da so tot im Schnee lag, sah man, wie jung er war. Ein Kind.
Er fand, was von dem Schwert noch übrig war, in einigen Schritten Entfernung, das Ende zersplittert und verdreht wie ein Baum, in den der Blitz geschlagen hatte. Will kniete nieder, sah sich wachsam um und sammelte es auf. Das geborstene Schwert sollte sein Beweis sein. Gared würde es erklären können, und wenn nicht er, dann sicher der alte Bär Mor- mont oder Maester Aemon. Ob Gared noch bei den Pferden wartete? Er musste sich beeilen.
Will erhob sich. Ser Weymar ragte über ihm auf.
Seine feinen Kleider waren zerfetzt, das Gesicht eine Ruine. Eine Scherbe seines Schwertes steckte in der blinden, weißen Pupille seines linken Auges.
Das rechte Auge stand offen. Die Pupille brannte blau. Sie sah.
Das zerbrochene Schwert glitt aus kraftlosen Fingern. Will schloss die Augen, um zu beten. Lange, anmutige Hände strichen über seine Wange, dann schlossen sie sich um seinen Hals. Sie waren in feinstes Hirschleder gehüllt und vom Blut verklebt, aber dennoch waren sie kalt wie Eis.
Kalt und klar hatte der Tag gedämmert, mit einer Frische, die vom Ende des Sommers kündete. Sie brachen im Morgengrauen auf, zwanzig insgesamt, um der Enthauptung eines Mannes beizuwohnen, und Bran ritt unter ihnen, ganz nervös vor Aufregung. Es war das erste Mal, dass man ihn für alt genug erachtete, mit seinem Hohen Vater und seinen Brüdern zu gehen und zu sehen, wie das Recht des Königs vollstreckt wurde. Es war das neunte Jahr des Sommers und das siebte in Brans Leben.
Man hatte den Mann vor eine kleine Festung in den Bergen geführt. Robb hielt ihn für einen Wildling, der mit seinem Schwert einen Eid auf Mance Rayder, den König-jen- seits-der-Mauer, abgelegt hatte. Beim bloßen Gedanken daran bekam Bran eine Gänsehaut. Er erinnerte sich an die Geschichten, die die Alte Nan ihnen am Ofen erzählt hatte. Die Wildlinge seien grausame Männer, so sagte sie, Sklavenhändler und Mörder und Diebe. Sie verkehrten mit Riesen und Ghulen, entführten kleine Mädchen mitten in der Nacht und tranken Blut aus polierten Hörnern. Und ihre Frauen teilten in der Langen Nacht die Betten mit den Anderen, um schreckliche, halbmenschliche Kinder zu zeugen.
Doch der Mann, der dort mit Händen und Füßen an die Mauer der Festung gefesselt das Recht des Königs erwartete, war alt und knochig, nicht viel größer als Robb. Er hatte beide Ohren und einen Finger an den Frost verloren und war ganz in Schwarz gekleidet wie ein Bruder der Nachtwache, nur dass seine Kleider zerlumpt und dreckig waren.
Der Atem von Mann und Pferd vermischte sich, dampfte in der kalten Morgenluft, als sein Hoher Vater den Mann von der Mauer lösen und zu ihnen bringen ließ. Robb und Jon saßen aufrecht und regungslos auf ihren Pferden, dazwischen auf seinem Pony Bran, der sich Mühe gab, älter als sieben zu wirken, und so tat, als hätte er das alles schon einmal gesehen. Leiser Wind ging durch das Tor der Festung. Über ihren Köpfen flatterte das Banner der Starks von Winterfell: ein grauer Schattenwolf, der über ein eisweißes Feld hetzt.
Brans Vater saß feierlich auf seinem Pferd, das lange braune Haar wehte leicht im Wind. Mit dem gestutzten Bart wirkte er älter als die fünfunddreißig Jahre, die er zählte. Etwas Grimmiges lag an diesem Tag um seine grauen Augen, und er wirkte ganz und gar nicht wie der Mann, der abends am Feuer saß und mit sanfter Stimme aus den Zeiten der Helden und der Kinder des Waldes erzählte. Er hatte sein väterliches Gesicht abgenommen, so dachte Bran, und das Gesicht des Lord Stark von Winterfell aufgesetzt.
Es wurden Fragen gestellt und Antworten gegeben, dort in der kalten Morgenluft, doch konnte sich Bran später nicht an vieles von dem erinnern, was gesagt worden war. Schließlich gab sein Hoher Vater das Kommando, und zwei seiner Gardisten schleppten den zerlumpten Mann zu dem Eisenbaumstumpf in der Mitte des Platzes. Sie zwangen seinen Kopf auf das harte, schwarze Holz. Lord Eddard Stark stieg ab, und sein Mündel Theon Graufreud holte das Schwert hervor. »Eis« wurde dieses Schwert genannt. Es war so breit wie eine Männerhand und größer noch als Robb. Die Klinge war aus valyrischem Stahl, mit Zauberkraft geschmiedet und schwarz wie Rauch. Nichts war so scharf wie valyrischer Stahl.
Sein Vater schälte die Handschuhe von den Händen und reichte sie Jory Cassel, dem Hauptmann seiner Leibgarde. Er packte Eis mit beiden Händen und sagte: »Im Namen Roberts aus dem Geschlecht Baratheon, des Ersten seines Namens, König der Andalen und der Rhoynar und der Ersten Menschen, Lord der Sieben Königslande und Protektor des
Reiches, durch das Wort Eddards aus dem Geschlecht der Starks, Lord von Winterfell und Wächter des Nordens, verurteile ich dich zum Tode.« Er hob das Großschwert hoch über seinen Kopf.
Brans Halbbruder Jon Schnee kam näher heran. »Halt dein Pony gut fest«, flüsterte er. »Und wende dich nicht ab. Vater wird merken, wenn du es tust.«
Bran hielt sein Pony gut fest und wandte sich nicht ab.
Mit einem einzigen, festen Hieb schlug sein Vater den Kopf des Mannes ab. Blut spritzte über den Schnee, rot wie Sommerwein. Eines der Pferde bäumte sich auf und wäre fast durchgegangen. Bran konnte seine Augen nicht vom Blut lösen. Gierig sog es der Schnee um den Stumpf auf und färbte sich rot.
Der Kopf prallte von einer dicken Wurzel ab und rollte davon. Fast kam er bis zu Graufreuds Füßen. Theon war ein schlanker, dunkler Jüngling von neunzehn Jahren, der alles amüsant fand. Er lachte, setzte seinen Fuß an den Kopf und stieß ihn von sich.
»Esel«, murmelte Jon so leise, dass Graufreud es nicht hören konnte. Er legte Bran eine Hand auf die Schulter, und Bran sah seinen Halbbruder an. »Gut gemacht«, erklärte Jon feierlich. Jon war vierzehn, ein alter Hase, was Recht und Gesetz anging.
Auf dem langen Weg zurück nach Winterfell schien es noch kälter geworden zu sein, obwohl sich der Wind inzwischen gelegt hatte und die Sonne hoch am Himmel stand. Bran ritt mit seinen Brüdern weit vor der Gesellschaft, und sein Pony hatte alle Mühe, mit den Pferden der anderen mitzuhalten.
»Der Deserteur ist tapfer gestorben«, befand Robb. Er war groß und breit und wurde jeden Tag noch größer, besaß die Farbe seiner Mutter, die helle Haut, rotbraunes Haar und die blauen Augen der Tullys von Schnellwasser. »Wenigstens hatte er Courage.«
»Nein«, erwiderte Jon Schnee leise. »Es war keine Courage.
Er ist voller Furcht gestorben. Das konnte man seinen Augen ansehen, Stark.« Jons Augen waren grau, dunkelgrau, fast schwarz, doch ihnen entging nur wenig. Er war im gleichen Alter wie Robb, doch sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Wo Robb muskulös war, war Jon schlank, wo Robb hell war, Jon dunkel, und wo sein Halbbruder stark und schnell war, zeigte Jon Grazie und Behändigkeit.
Robb blieb unbeeindruckt. »Sollen sich die Anderen seine Augen holen«, fluchte er. »Er ist gut gestorben. Um die Wette bis zur Brücke?«
»Gemacht«, sagte Jon und trat sein Pferd in die Flanken. Robb fluchte und folgte ihm, und so galoppierten sie den Pfad hinab, Robb lachend und johlend, Jon still und konzentriert. Die Hufe der Pferde warfen Mengen von Schnee auf.
Bran versuchte nicht, ihnen zu folgen. Sein Pony konnte nicht mithalten. Die Augen des zerlumpten Mannes kamen ihm wieder in den Sinn. Nach einer Weile war Robbs Lachen verklungen, und im Wald kehrte wieder Stille ein.
So tief war er in Gedanken versunken, dass er den Rest der Gesellschaft gar nicht hörte, bis sein Vater schon neben ihm ritt. »Geht es dir gut, Bran?«, fragte er nicht unfreundlich.
»Ja, Vater«, erklärte Bran. Er blickte hoch. In Fell und Leder gewickelt, hoch auf seinem großen Streitross, ragte sein Vater wie ein Riese über ihm auf. »Robb sagt, der Mann sei tapfer gestorben, aber Jon sagt, er hätte sich gefürchtet.«
»Was glaubst du?«, fragte sein Vater.
Bran dachte darüber nach. »Kann ein Mann tapfer sein, auch wenn er sich fürchtet?«
»Das ist der einzige Moment, in dem er tapfer sein kann«, erklärte ihm sein Vater. »Verstehst du, warum ich es getan habe?«
»Er war ein Wildling«, sagte Bran. »Sie verschleppen Frauen und verkaufen sie den Anderen.«
Sein Hoher Vater lächelte. »Die Alte Nan hat euch wieder Geschichten erzählt. In Wahrheit war der Mann ein Eidbrüchiger, ein Deserteur aus der Nachtwache. Niemand ist gefährlicher. Der Deserteur weiß, dass sein Leben verwirkt ist, wenn er gefasst wird, daher wird er vor keinem Verbrechen zurückschrecken, so schändlich es auch sein mag. Doch du missverstehst mich. Die Frage ist nicht, warum der Mann sterben musste, sondern warum ich es tun musste.«
Darauf wusste Bran keine Antwort. »König Robert hat einen Henker«, sagte er unsicher.
»Das stimmt«, bestätigte sein Vater. »Wie alle Könige der Targaryen vor ihm. Doch unsere Tradition ist die ältere. Das Blut der Ersten Menschen fließt noch heute in den Adern der Starks, und wir halten an dem Glauben fest, dass ein Mann, der ein Urteil spricht, auch selbst das Schwert führen soll. Wenn du jemandem das Leben nehmen willst, bist du es ihm schuldig, ihm in die Augen zu blicken und seine letzten Worte zu hören. Wenn du es nicht ertragen kannst, dann verdient der Mann vielleicht auch nicht den Tod.
Eines Tages, Bran, wirst du Robbs Vasall sein und selbst ein Lehen von deinem Bruder und deinem König erhalten, dann wird es an dir sein, Recht zu sprechen. Wenn dieser Tag kommt, darfst du keine Freude an dieser Aufgabe empfinden, doch darfst du dich auch nicht abwenden. Ein Herrscher, der sich hinter bezahlten Henkern versteckt, vergisst bald, was der Tod bedeutet.«
Das war der Moment, in dem Jon wieder auf der Kuppe des Hügels vor ihnen erschien. Er winkte und rief ihnen zu: »Vater, Bran, kommt schnell und seht, was Robb gefunden hat!« Dann war er erneut verschwunden.
Jory schloss zu ihnen auf. »Ärger, Mylord?«
»Zweifellos«, sagte sein Hoher Vater. »Kommt, sehen wir mal, welches Unheil meine Söhne diesmal ausgegraben haben.« Er setzte sein Pferd in Trab. Jory und Bran und alle anderen folgten ihm.
Übersetzung: Jörn Ingwersen
Vollständig durchgesehen und überarbeitet
von Sigrun Zühlke und Thomas Gießl
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1997
by Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von George R. R. Martin
George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos »Das Lied von Eis und Feuer« wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie »Game of Thrones« verfilmt. 2022 folgt der HBO-Blockbuster »House of the Dragon«, welcher auf dem Werk »Feuer und Blut« basiert. George R.R. Martin wurde u.a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u.a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und fünfzehnmal der Locus Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.
Bibliographische Angaben
- Autor: George R. R. Martin
- 2010, Neuveröffentlichung., 571 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Ingwersen, Jörn;Bearbeitung:Zühlke, Sigrun
- Übersetzer: Jörn Ingwersen
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442267749
- ISBN-13: 9783442267743
- Erscheinungsdatum: 14.12.2010
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