Die Grenzen der Seele wirst du nicht finden

Reinhold Messner über die grossen Lebensfragen

Albus: Die Mutter hat einmal auf die Frage eines Journalisten, was sie denn
mache, wenn sie dich oben auf einem Achttausender weiss, ganz lapidar geantwortet:
"Ich bete."
Messner: Ja, das stimmt. Die Mutter war gläubig, richtig gläubig. Sie wusste und
akzeptierte, dass wir Kinder alle zur Amtskirche Skepsis entwickelt hatten. (...)
Wenn man das Gebet im weitesten Sinne des Wortes versteht, sodass positive
Gedanken bis in die letzten Winkel der Erde fliegen, in den verstecktesten Seelenwinkel
des einzelnen Menschen, ist das Gebet unverzichtbar. Meine Mutter
hat vielleicht nie darüber nachgedacht, ob sie zu einem personifizierten Gott
betet oder ihre Bitte in das Weltall schickt. Letzteres tue ich auch - beim Gehen,
Hoffen, Schauen.

Albus: Ist die Vorstellung nicht schrecklich, dass deine Lebensfreude, das
dauernde Suchen nach Neuem, mit dem Tod einmal in sich zusammenbricht?

Messner: Mit dem Tod geht meine Welt unter. (...) Ich glaube nicht, dass der
Mensch mit seinem menschlichen Bewusstsein sich nochmals als der empfindet,
der er war. Im buddhistischen Sinne geht unser Leben in irgendeiner Form
weiter. Wenn auch nur ein Atom von uns in einer Pflanze weiterlebt, ist das auch
so. Leben geht immer weiter ...

Reinhold Messner, geboren 1944 in Villnöss/Südtirol, berühmter Bergsteiger und Abenteurer unserer Zeit. Er hat etwa hundert Erstbesteigungen durchgeführt, alle vierzehn Achttausender bestiegen und zu Fuss die Antarktis und Grönland, Tibet und die Wüste Takla Makan durchquert. Ihm gelang es, die Yeti-Frage zu beantworten und als Quereinsteiger EU-Abgeordneter zu werden. Zahlreiche Veröffentlichungen und Dokumentarfilme.