Die Geliebte des Duce
Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus
Sie machte aus Mussolini den Duce und verlieh dem Faschismus ästhetischen Glanz: Margherita Sarfatti. Die wohlhabende Jüdin verliebte sich in den jungen Mussolini und wurde seine geheime Geliebte. Erst ihrem Einfluss verdankte er seine Verwandlung in den...
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Produktinformationen zu „Die Geliebte des Duce “
Sie machte aus Mussolini den Duce und verlieh dem Faschismus ästhetischen Glanz: Margherita Sarfatti. Die wohlhabende Jüdin verliebte sich in den jungen Mussolini und wurde seine geheime Geliebte. Erst ihrem Einfluss verdankte er seine Verwandlung in den charismatischen Duce. Das dramatische Leben einer fast vergessenen Frau.
Klappentext zu „Die Geliebte des Duce “
Sie machte aus Mussolini den Duce und verlieh dem Faschismus ästhetischen Glanz: Margherita Sarfatti. Die wohlhabende Jüdin verliebte sich in den jungen Mussolini und wurde seine geheime Geliebte. Erst ihrem Einfluss verdankte er seine Verwandlung in den charismatischen Duce. Das dramatische Leben einer fast vergessenen Frau.
Lese-Probe zu „Die Geliebte des Duce “
Heimkehr in die FremdeÜberraschend wie immer war sie von Wien nach Hause zurückgekehrt. Von der glänzenden, unterhaltsamen und aufregenden Welt des Westens war sie unvermittelt in den Osten geraten. Fremd fühlte sie sich im Hause ihrer Väter. Mit einem müden Lächeln beobachtete sie den seltsam gekleideten alten Mann, der ihr Vater war, beim Verrichten der Passah-Zeremonie. Sie fand die Welt wieder, die sie als Kind verlassen hatte. Noch immer führte Jehova sein Volk heraus aus Ägypten, und seit Generationen pilgerten sie durch die Wüste dem versprochenen Gelobten Land entgegen. Ihr Vater wusste, dass seine Tochter eine Spötterin und Ungläubige war. Er ahnte, dass ihr Weg ein anderer als der seine war. Von Kindheit an hatte sie sich von den verbotenen Göttern angezogen gefühlt. Sie liebte das Schöne, französische Romane, erotische Lyrik und die Kunst der Renaissance. Doch die Erinnerung an das Erbe der Väter und an ihre Kindheit im Ghetto verliessen sie nicht. Sie bemerkte, wie zufrieden Vater, Mutter und Geschwister waren. Sie selbst würde nie solch eine Zufriedenheit empfinden können. Vergeblich suchte sie nach der freudigen Erregung, die sie als Kind beim Passah-Fest ergriffen hatte. Wie war es nur zu diesem Wunsch nach Emanzipation gekommen?
Das Leben ihrer Vorfahren im Ghetto war selbstbezogen und vollkommen gewesen. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts waren sie als Vertriebene nach Venedig gekommen. Man erlaubte ihnen, abgesondert im Ghetto, doch unter den Christen zu leben. Sie hatten in sich die Ruhe des Ostens mit dem nervösen Eifer des Westens verbunden. Diese Welt war für sie heute nur noch ein Schatten. Wenn sie doch arm oder verfolgt gewesen wäre, dann hätte ihre Existenz wenigstens einen Sinn. Sie fühlte sich alt und leer.
Venedig war nicht mehr als eine melancholische Ruine, und die Juden wohnten jetzt in den prächtigen Palazzi untergegangener edler Geschlechter. Die Venezianer hatten wunderbare Dinge im Laufe ihrer Geschichte geschaffen. Nun
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bewunderten die Touristen, was von diesem Glanz übriggeblieben war. Und die Juden? Sie hatten nichts als ein paar Lieder für die Synagoge, doch sie waren stark. Sie waren aus Fleisch und Blut und nicht aus Stein oder Bronze. Was war das Geheimnis ihrer Stärke? Es war ihr festes Vertrauen auf Ihn, auf Ihren Gott. Wie typisch war ihr Vater! Ein Modernisierer unter den Modernen ausserhalb, ein Gelehrter und Heiliger innerhalb des Hauses. Sie, seine Tochter, hatte keinen Glauben. Ihre Seele war dem Orient, ihr Intellekt dem Okzident verhaftet. Ihr Verstand war von der Wissenschaft genährt worden, die es verstand, alles zu klassifizieren und nichts zu erklären. Vielleicht kam die Verzweiflung, die von ihr Besitz ergriffen hatte, von dieser toten Stadt der Steine und des Wassers. Turgenjew hatte recht: Nur die Jungen sollten hierherkommen.
Sie wusste nun, was ihr fehlte. Sie hungerte nach Gott. Nach dem Gott ihrer Väter. Ihr fehlte der Glaube, der die vergangenen Generationen miteinander verbunden hatte. Eine Welt ohne Gott war kalt und verantwortungslos. In Wien gab es einen Juden, der von einem jüdischen Staat träumte. Aber der jüdische Staat würde nie kommen. Diese seltsame Rasse konnte Städte für andere bauen, aber nicht für sich selbst. Ohne die Illusionen, die das Leben ihres Vaters bestimmten, wollte sie nicht weiterleben. Sie stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Sie sah den Mond über dem Canal Grande, sah die Gondeln mit den Liebespaaren. Sie dachte an das Verliebtsein, die Jugend und die Stärke, doch da war nur der schwache Widerhall eines längst vergangenen Gefühls. Sie sehnte sich nach dem Tod. Ein Leben ohne Gott schien ihr keinen Moment länger ertragbar. Im schwarzen Wasser würde sie ihren Frieden finden. Sie schlich durch die halboffene Tür und den Flur mit den antiken Statuen entlang. Lautlos öffnete sie das Portal zum Wasser. Alles war friedlich. Sanft liess sie sich in den Kanal gleiten. Sie kämpfte zunächst mit dem Wasser, doch dann besiegte sie ihren Lebenswillen.
Das war der negative Traum, der Margherita Grassini-Sarfatti ein Leben lang verfolgte. Es war nicht ihre eigene Geschichte, sondern eine literarische Fiktion über ihren Bruder. Niedergeschrieben hat sie Israel Zangwill1, nachdem er in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Familie Grassini in Venedig besucht hatte. Der Selbstmord als Lösung für das Dilemma des Juden im ausgehenden 19. Jahrhundert ist die pessimistischste Lösung, die Israel Zangwill in seinen Geschichten anzubieten hat. Das darin geschilderte Drama des heimgekehrten Sohnes läuft darauf hinaus, für die Tradition verloren zu sein und die Moderne nicht leben zu können.2 Er ist aus Ägypten ausgezogen und irrt ohne Ziel durch die Wüste. Er weiss um die Verheissung vom Gelobten Land, doch der Weg dorthin ist ihm verstellt. Margherita fürchtete dieses von Zangwill geschilderte Drama ihr Leben lang. Es verfolgte sie wie ein Fluch.
Die Vätergeneration hatte das Ghetto verlassen und sich an dem Projekt »Nation« beteiligt, das ihnen Teilhabe an der Zukunft verhiess. Sie hatten eine doppelte Identität ausgebildet, waren Juden und Staatsbürger, Modernisierer und Bewahrer der Tradition zugleich. Die von ihnen gewählte Teilhabe an der Geschichte säkularisierte ihre Existenz. Die Väter und deren Väter sollten Menschen des 19. Jahrhunderts sein. Ohne Zweifel am Vorhaben der Moderne hatten sie als Fortschrittliche in der Politik und als Modernisierer in der Ökonomie mit den Christen die Werte der bürgerlichen Welt durchgesetzt. Doch die Teilhabe am Sieg des Fortschritts in Staat und Gesellschaft bedeutete, dass die Hoffnung auf Erlösung in die Privatheit abgedrängt worden war. Ihre Söhne und Töchter werden Menschen des 20. Jahrhunderts sein. Sie sind der Zukunft am nächsten und tragen schwer an der Tradition. Das Erbe der Aufklärung hat sich verbraucht, und sie können ihren Ursprung nicht begreifen. Mit Spott, Zynismus und Verzweiflung betrachten sie den historischen Kompromiss ihrer Väter. Sie wollen sich ganz der Geschichte verschreiben und das Kainsmal der kulturellen Immigration von ihrer Stirn wischen.
Margherita Grassini-Sarfatti war die Jüngste in einer Geschichte der Assimilation, die an ihr Ende gekommen war. Auch wenn ihre individuelle Assimilation geglückt war, blieb sie doch Teil eines Kollektivs, das seine Differenz zur Nation auszeichnete. Margherita wollte alles sein und wurde von der Furcht verfolgt, nichts zu sein. Die Entdeckung des Politischen wurde zum zentralen Gegenstand ihrer Abkehr von der Religion. Es war eine Politik, die sie als Elite bestätigte und im Kollektiv versteckte, eine Politik, die Terror anwandte, um ihre Prophezeiungen zu verwirklichen, eine Politik, die Erlösung durch Geschichte versprach. Margherita Grassini-Sarfatti wählte nicht den Tod, sondern den Faschismus.
Sie wusste nun, was ihr fehlte. Sie hungerte nach Gott. Nach dem Gott ihrer Väter. Ihr fehlte der Glaube, der die vergangenen Generationen miteinander verbunden hatte. Eine Welt ohne Gott war kalt und verantwortungslos. In Wien gab es einen Juden, der von einem jüdischen Staat träumte. Aber der jüdische Staat würde nie kommen. Diese seltsame Rasse konnte Städte für andere bauen, aber nicht für sich selbst. Ohne die Illusionen, die das Leben ihres Vaters bestimmten, wollte sie nicht weiterleben. Sie stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Sie sah den Mond über dem Canal Grande, sah die Gondeln mit den Liebespaaren. Sie dachte an das Verliebtsein, die Jugend und die Stärke, doch da war nur der schwache Widerhall eines längst vergangenen Gefühls. Sie sehnte sich nach dem Tod. Ein Leben ohne Gott schien ihr keinen Moment länger ertragbar. Im schwarzen Wasser würde sie ihren Frieden finden. Sie schlich durch die halboffene Tür und den Flur mit den antiken Statuen entlang. Lautlos öffnete sie das Portal zum Wasser. Alles war friedlich. Sanft liess sie sich in den Kanal gleiten. Sie kämpfte zunächst mit dem Wasser, doch dann besiegte sie ihren Lebenswillen.
Das war der negative Traum, der Margherita Grassini-Sarfatti ein Leben lang verfolgte. Es war nicht ihre eigene Geschichte, sondern eine literarische Fiktion über ihren Bruder. Niedergeschrieben hat sie Israel Zangwill1, nachdem er in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Familie Grassini in Venedig besucht hatte. Der Selbstmord als Lösung für das Dilemma des Juden im ausgehenden 19. Jahrhundert ist die pessimistischste Lösung, die Israel Zangwill in seinen Geschichten anzubieten hat. Das darin geschilderte Drama des heimgekehrten Sohnes läuft darauf hinaus, für die Tradition verloren zu sein und die Moderne nicht leben zu können.2 Er ist aus Ägypten ausgezogen und irrt ohne Ziel durch die Wüste. Er weiss um die Verheissung vom Gelobten Land, doch der Weg dorthin ist ihm verstellt. Margherita fürchtete dieses von Zangwill geschilderte Drama ihr Leben lang. Es verfolgte sie wie ein Fluch.
Die Vätergeneration hatte das Ghetto verlassen und sich an dem Projekt »Nation« beteiligt, das ihnen Teilhabe an der Zukunft verhiess. Sie hatten eine doppelte Identität ausgebildet, waren Juden und Staatsbürger, Modernisierer und Bewahrer der Tradition zugleich. Die von ihnen gewählte Teilhabe an der Geschichte säkularisierte ihre Existenz. Die Väter und deren Väter sollten Menschen des 19. Jahrhunderts sein. Ohne Zweifel am Vorhaben der Moderne hatten sie als Fortschrittliche in der Politik und als Modernisierer in der Ökonomie mit den Christen die Werte der bürgerlichen Welt durchgesetzt. Doch die Teilhabe am Sieg des Fortschritts in Staat und Gesellschaft bedeutete, dass die Hoffnung auf Erlösung in die Privatheit abgedrängt worden war. Ihre Söhne und Töchter werden Menschen des 20. Jahrhunderts sein. Sie sind der Zukunft am nächsten und tragen schwer an der Tradition. Das Erbe der Aufklärung hat sich verbraucht, und sie können ihren Ursprung nicht begreifen. Mit Spott, Zynismus und Verzweiflung betrachten sie den historischen Kompromiss ihrer Väter. Sie wollen sich ganz der Geschichte verschreiben und das Kainsmal der kulturellen Immigration von ihrer Stirn wischen.
Margherita Grassini-Sarfatti war die Jüngste in einer Geschichte der Assimilation, die an ihr Ende gekommen war. Auch wenn ihre individuelle Assimilation geglückt war, blieb sie doch Teil eines Kollektivs, das seine Differenz zur Nation auszeichnete. Margherita wollte alles sein und wurde von der Furcht verfolgt, nichts zu sein. Die Entdeckung des Politischen wurde zum zentralen Gegenstand ihrer Abkehr von der Religion. Es war eine Politik, die sie als Elite bestätigte und im Kollektiv versteckte, eine Politik, die Terror anwandte, um ihre Prophezeiungen zu verwirklichen, eine Politik, die Erlösung durch Geschichte versprach. Margherita Grassini-Sarfatti wählte nicht den Tod, sondern den Faschismus.
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Autoren-Porträt von Karin Wieland
Karin Wieland, geboren 1958, studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie lebt als Schriftstellerin in Berlin. Dietrich & Riefenstahl (2011) war Finalist für den National Book Critics Circle Award 2015. Im Carl Hanser Verlag erschienen zuletzt: Das Geschlecht der Seele. Hugo von Hofmannsthal, Bert Brecht und die Erscheinung der modernen Frau (2017) und Aufprall. Roman (2020, zusammen mit Heinz Bude und Bettina Munk). www.karinwieland.de
Bibliographische Angaben
- Autor: Karin Wieland
- 2004, 376 Seiten, 9 Schwarz-Weiss-Abbildungen, 9 Abbildungen, Masse: 14,9 x 23,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446204849
- ISBN-13: 9783446204843
- Erscheinungsdatum: 10.02.2004
Rezension zu „Die Geliebte des Duce “
"Karin Wieland zeichnet in ihrer exzellent recherchierten Biografie das Bild einer starken, modernen Frau, die sich in der Liebe verliert und am Ende nichts gewinnt." Stern/Biografie, 1/04"Die Geliebte des Duce" ist ein wichtiges und ... spannend zu lesendes Buch, eine Mischung aus Roman, kulturgeschichtlicher Analyse und historischer Abhandlung, die gerade für deutsche Leser interessant ist, weil sie hierzulande wenig bekannte Seiten des italienischen Faschismus beleuchtet." Franziska Sperr, Süddeutsche Zeitung, 22.03.04
"Über Margherita Sarfatti, ihren märchenhaften Aufstieg und tragischen Fall hat die Berliner Historikerin Karin Wieland ein faszinierendes Buch geschrieben, die erste deutschsprachige Publikation überhaupt.Unglaublich viel lässt sich aus dieser Biografie über die Geschichte des modernen Italiens lernen. ... Umso grösser ist Karin Wielands Verdienst, dieses Leben wiederentdeckt und für historische Erkenntnis fruchtbar gemacht zu haben." Hubert Leber, Literaturen, 04.2004
"Mehr als eine eindimensionale Biografie, ein erhellendes Stück Ideengeschichte." Ina Boesch, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 20.06.2004
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