Die Geister schweigen
Roman
EIN ROMAN WIE DIE STADT BARCELONA: kunstvoll, schillernd und voller Geheimnisse der Vergangenheit
»Verbotene Liebe, faszinierende Charaktere, grosse Dramen: Care Santos fesselt uns mit ihrem Generationenroman.« Maxi
»Schaurig wie Zafóns 'Schatten des...
»Verbotene Liebe, faszinierende Charaktere, grosse Dramen: Care Santos fesselt uns mit ihrem Generationenroman.« Maxi
»Schaurig wie Zafóns 'Schatten des...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Geister schweigen “
Klappentext zu „Die Geister schweigen “
EIN ROMAN WIE DIE STADT BARCELONA: kunstvoll, schillernd und voller Geheimnisse der Vergangenheit»Verbotene Liebe, faszinierende Charaktere, grosse Dramen: Care Santos fesselt uns mit ihrem Generationenroman.« Maxi
»Schaurig wie Zafóns 'Schatten des Windes'.« Brigitte
Im prächtigen Stadtpalast ihres Grossvaters, des berühmten Malers Amadeo Lax, macht die junge Kunsthistorikerin Violeta eine unheimliche Entdeckung. Was ist mit den Frauen ihrer Familie geschehen? Was flüstern die Wände des Familiensitzes? Sie sind Zeugen all der grossen Ambitionen, verborgenen Leidenschaften, tragischen Verwicklungen - und eines unaussprechlichen Geheimnisses.
Ein mitreissender Roman über vier Generationen von Frauen: Care Santos schiebt die Vorhänge der Zeit beiseite und nimmt uns mit auf die Reise durch das aufregendste Jahrhundert Barcelonas, der stolzen Stadt zwischen Meer und Moderne.
Lese-Probe zu „Die Geister schweigen “
Die Geister schweigen von Care Santos Teresa abwesend, 1936
Fresko, 300 x 197 cm
Derzeit der Öffentlichkeit nicht zugänglich
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Teresa Brusés bedeutete für den Künstler Amadeo Lax die größte Obsession, gleichzeitig aber auch das größte Unglück - so heißt es. Von den insgesamt siebenunddreißig Porträts, die der Maler von ihr anfertigte, stammt nur ein Drittel aus den acht Jahren ihrer Ehe. Das untypischste dieser Bildnisse, das als das Meisterwerk des Künstlers gilt, ist dieses großformatige Fresko, das während der Umbauarbeiten des Patio im Haus der Familie gemalt wurde und auf das Jahr 1936 datiert ist (vermutlich zu Beginn des Sommers). Das Bildnis wurde a fresco ausgeführt, d. h. in einer Technik, bei der die in Wasser gelösten Farben auf eine feuchte Putzschicht aufgetragen werden. Lax verwendete diese Technik nur ein einziges Mal, und zwar für dieses Porträt. Das Bild zeigt das Modell mit abgewandtem Oberkörper, das Gesicht beinahe im Profil. Teresa blickt auf einen Punkt außerhalb des Gemäldes und wirkt dabei unruhig oder abgelenkt. Dies wird durch die Farbgebung betont, in der dunkle Töne vorherrschen - blau, schwarz, ocker, indigo -, sowie durch die grobe, fast schon unsaubere Pinselführung, mit der einige Details wie beispielsweise die Haare oder die Hände ausgeführt sind. Eine markante Auffälligkeit im Werk des ansonsten pedantischen Malers, der bei der Hintergrundgestaltung und in der Pinselführung immer mit größter Sorgfalt vorging, bei dieser Gelegenheit jedoch eine für sein gesamtes Schaffen einmalige Nähe zu den Expressionisten zeigt. Der Stil dieses Porträts hat zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Die meisten Fachleute begründen ihn mit der existentiellen Krise des Künstlers zum Zeitpunkt des Entstehens: Teresa hatte den Maler kurz zuvor wegen eines anderen Mannes verlassen. Leider ist das Fresko für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, denn es befindet sich in dem ehemaligen Wohnsitz des Künst¬lers. Für das dort geplante Museum steht seit Jahren die Genehmi¬gung der beteiligten Institutionen aus, darunter auch die Regierung der Autonomen Region Katalonien, der Lax das Anwesen und seine Werke vermacht hatte.
Schätze der katalanischen Kunst, Malgrat de Mar 1987
(Ediciones Pampalluga)
I
»Eines Tages erzähle ich alles, woran ich mich erinnern kann, und dann werden sich die Toten in ihren Gräbern umdrehen«, flüsterte Concha einmal ihrer geliebten Aurora zu.
Das Leben bot ihr nicht allzu viele Gelegenheiten, ausführlich zu Wort zu kommen. Aber vielleicht war dies nicht der einzige Grund, warum Concha manche Erinnerung für sich behielt.
Sie erzählte beispielsweise nie, dass Doña Maria del Roser Golorons, Witwe des Don Rodolfo Lax, am 24. Dezember 1932 nach dem Neun-Uhr-Gottesdienst in der Iglesia del Belén fast den gesamten Tag mit einem Besuch im berühmten Warenhaus El Siglo zubrachte. Die Señora hielt sich sehr lange in der Abteilung für Kinderwäsche im zweiten Stockwerk auf, wo sie die komplette Ausstattung für ihren ersten Enkel erstand, der im nächsten Frühling auf die Welt kommen sollte: Windeln aus Mull, umhäkelte Wickeltücher, Hemdchen aus Batist und aus Kattun und noch ein halbes Dutzend Unterröcke mit englischen Stickereien und Rüschen (für den Fall, dass der Enkel eine Enkelin würde). In der Spielwarenabteilung wählte sie ein hüpfendes Hündchen aus, das große Bewunderung hervorrief, ein Steckenpferd aus Holz sowie eine kleine Kutsche aus Blech mitsamt Pfer¬degespann. Dann suchte sie die Korbwarenabteilung auf, um ein Lauflern-Wägelchen zu erwerben, ein Wiegen-Nestchen mit Wollquasten sowie eine Wiege aus Weidengeflecht mit Himmel, die aber so teuer war wie eine aus Edelholz. Die Freude der Señora darüber, das erste Kind ihres Erstgeborenen, Amadeo, und seiner von ihr so geliebten Frau Teresa auszustatten, spiegel¬te sich in dem Ausmaß ihrer Anschaffungen wieder.
»Heutzutage sind Kinder anspruchsvoller als früher, sie benö¬tigen mehr Sachen«, rechtfertigte sie sich.
Bevor sie weiterging, blieb sie vor einem zweistöckigen Puppenhaus stehen, das zehn Peseten kostete. Concha befürchtete einen Moment, dieser Anblick könnte bei ihrer Señora schlimmste Erinnerungen an ihre so früh verstorbene Violeta wecken, aber dann vernahm sie überrascht: »Das ist mein Weihnachtsgeschenk für deine Tochter. Meinst du, es gefällt ihr?«
Eine junge Frau in der eleganten schwarzen Uniform des Warenhauses lächelte den beiden Frauen von der anderen Seite einer hölzernen Ladentheke aus zu.
Concha führte ihre Lippen zum Ohr von Doña Maria del Roser und flüsterte: »Señora, ich habe keine Tochter. Vielleicht meinen Sie ja Laia, die Tochter von Vicenta, der Köchin.«
»Ja, genau, das hübsche Mädchen mit dem lebhaften Blick!« Die Señora wirkte begeistert, doch dann verdüsterte sich ihre Miene wieder. »Nein, das ist keine gute Idee. Ich glaube nicht, dass sich das Mädchen noch für Puppenhäuser interessiert.«
»Laia ist zwölf Jahre alt«, erwiderte Concha, »und sie hat nie¬mals eines gehabt. Ich glaube, es würde ihr sehr gefallen.«
»Nein, nein, nein.« Die Señora verwarf die Idee, als wäre sie ihr sehr lästig, und ging weiter; das Puppenhaus war längst vergessen.
In der Abteilung mit Kochgeschirr bestand sie darauf, dass ihre treue Begleiterin die Auswahl treffen solle. Denn das war gewissermaßen Conchas Rolle, der Grund für deren Anwesenheit. In den Augen von Doña Maria del Roser war Concha eine Art allwissende Beraterin, die Hellseherin bevorstehender Bedürfnisse und selbst Katastrophen, die sich mit entsprechenden Einkäufen abmildern liegen. In Wahrheit war es jedoch Teresa, die neue Hausherrin, die die Hausangestellte drängte, ihre Schwiegermutter nicht eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Also war Concha nicht nur deren Gesellschafterin und Hilfe - denn Doña Maria del Rosers Gesundheit war schon äußerst angeschlagen -, sondern sie sorgte auch dafür, dass der fortgeschrittene geistige Verfall der Matriarchin keine weiteren Unannehmlichkeiten für die Familie mit sich brachte.
Vor einem eifrigen Verkäufer, der die Kochtöpfe und Kasserollen mit einem Stolz präsentierte, als ginge es um wertvollste Seiden- und Organzastoffe, kniff Doña Maria del Roser die Augen zusammen, winkte Concha herbei und sagte: »Wähl du aus, das hier ist dein Bereich.«
Man hat nie erfahren, ob ihre mangelhaften Hauswirtschaftskenntnisse nur vorgetäuscht waren, wenn auch Concha stets vermutete, dass die Señora mehr davon verstand, als sie zeit ihres Lebens zugab. Höchstwahrscheinlich beruhte ihre diesbezügliche Verwirrung eher auf mangelndem Interesse als auf Unfähigkeit. Die Krankheit konnte diese Zweifel auch nicht ausräumen.
An diesem Tag blickte Doña Maria del Roser prüfend auf eine Pfanne, deren Boden ihr ein Zerrbild ihrer Person wiedergab, und meinte: »Wir brauchen davon mindestens ein Dutzend, das stimmt doch, Conchita?«
Ohne genau zu wissen, wie, gelang es Concha, dass sie nur zwei davon kauften. Der Señora hatten es zudem zwei weitere Pfannen sowie vier Kasserollen in unterschiedlichen Größen angetan, alle aus Eisen mit blauem Email und von allerbester Qualität. Tatsächlich benötigten sie keines dieser Utensilien, in den Küchen gab es mehr als genug davon. Aber die Señora verstand nicht, wie man El Siglo verlassen konnte, ohne wenigstens zehn Peseten in der Abteilung für Kochgeschirr im Erdgeschoss ausgegeben zu haben.
»Kochtöpfe sind mir lieber als Brillanten«, pflegte sie verschmitzt zu sagen, als sie noch Herrin ihrer geistigen Fähigkeiten war.
Doch an dem Tag setzte sie sich in den Kopf, dass sie für das Haus unbedingt einen kompletten Satz Kristallgläser benötigten, der mehr als hundert Peseten kostete, und fügte diesen Posten ohne mit der Wimper zu zucken zu den bisherigen Einkäufen hinzu. Dann ging sie in die Abteilung mit Damenmode für die letzte Anprobe einer Abendrobe, die sie in Auftrag gegeben hatte; auf diese Rechnung setzte sie noch ein halbes Dutzend Batistunterröcke und zwei bestickte Mieder. Maria del Roser Golorons war zu eigenständig, um sich von irgendetwas zur Sklavin machen zu lassen, und schon gar nicht von der Mode. Ihr Leben lang hatte sie für ihre Kleidung Kriterien wie Sauberkeit, Bequemlichkeit und angemessene Farben angelegt, aber kurz vor dem letzten Akt ihres Leben bestand sie darauf, wieder zu Röcken mit Tournüre und Schleppe zurückzukehren, die über die Fliesen fegten.
»Bei einer eleganten Dame darf man nur die Spitzen ihrer Schuhe sehen«, stellte sie in entschiedenem Tonfall vor dem verzweifelten Blick der Schneiderin fest, die soeben Skizzen des Dernier Cri aus Paris gezeigt hatte: Mäntel mit einem einzigen Ärmel, die die Kundin als ebenso befremdlich empfand wie die Bezeichnung, die die Warenhausangestellte dafür verwendete: »asymmetrisch«.
»Diesen Franzosen fällt auch nichts mehr ein, womit sie uns beschwindeln können«, sagte sie nur und wandte sich anderen Dingen zu.
Concha folgte ihr auf dem Fuß durch das bis oben angefüllte Warenhaus. Sie war glücklich wie ein kleines Mädchen. Seit dem Jahr, in dem Violeta blutjung gestorben war, hatte Concha die Señora nicht so begeistert bei den Weihnachtsvorbereitungen erlebt. Sicherlich trug die bevorstehende Geburt des Enkels viel zu ihrer guten Laune bei. Dank diesem Umstand schien das Haus ein wenig wie in vergangenen Zeiten zu erstrahlen - den Zeiten, in denen das Schweigen noch nicht dauerhaft eingekehrt war.
Nach ihren Einkäufen wollte Maria del Roser sich ein wenig in dem Café des Warenhauses ausruhen. Sie nahm Platz in einem der Lehnstühle, ordnete ihre Röcke und bat Concha, ihr aus dem Lektüresaal eine Modezeitschrift zu besorgen - »aber bloß keine aus Frankreich«. Dann bestellte sie für sich ein Glas frisches Wasser und eine kleine Portion Kroketten und äußerte den Wunsch, den Besitzer von El Siglo zu begrüßen, wie immer, wenn sie das Warenhaus besuchte.
»Jetzt setz dich schon, Conchita, und mach mich nicht nervös«, sagte sie und deutete auf den anderen Stuhl am Tisch.
Don Octavio Conde kam so eilfertig und galant wie immer, als Doña Maria del Roser gerade die zweite Krokette verspeiste.
»Wie ist das Wohlergehen der Familie? Gut?«, fragte er, während er sich vorbeugte, um der von ihm hochverehrten älteren Dame die Hand zu küssen.
»Stellen Sie sich vor, was für ein Pech es gibt«, antwortete sie, »soeben erfahre ich, dass die arme Conchita keine Kinder hat.«
»Also, in meinem Alter sollte ich wohl eher Enkel haben«, scherzte die Gesellschafterin, die den Geschäftsmann kannte, seit dieser ein Schuljunge war. Dann flüsterte sie ihrer Señora ins Ohr: »Das ist Don Octavio. Es wird ihn verwundern, wenn Sie ihn siezen.«
Octavio lächelte verständnisvoll, allerdings kräuselte er angespannt seine Lippen und konnte eine gewisse Unruhe oder vielleicht sogar Traurigkeit nicht verhehlen, als er die Mutter seines besten Freundes ansah.
»Conchita ist fast wie eine Mutter für uns alle«, stellte er fest. »Und sie wird es auch für die nächste Generation sein, die nun unterwegs ist.«
»Ja, so ist es«, erwiderte Maria del Roser mit verlorenem Blick, bevor sie sich wieder zusammennahm. »Woher wissen Sie das?«
Octavio blickte erschrocken auf. Sein Mienenspiel war kaum wahrnehmbar, nur geschulte Augen wie die von Concha hätten es erkennen können.
»Ihr Sohn und ich sind seit der Schulzeit Freunde. Wir haben uns im Jesuiteninternat von Sarrià kennengelernt. Sie wissen schon« - Octavio bemühte sich amüsant zu wirken, aber sein Lachen klang gezwungen -, »die Härte des Kasernenlebens ist eine großartige Herausforderung, um Freundschaften zu schmieden.«
»Ach, ja, das Internat« - Maria del Roser verdrehte bei diesen Worten die Augen und setzte sich bequemer, indem sie unter den Röcken ihre Beine überschlug. »Die Sonntagsbesuche haben mir immer so gut gefallen«, seufzte sie wehmütig.
»Ja, wir haben die Sonntage auch geliebt«, sprach Octavio weiter, »aber ich fürchte, wir hatten andere Gründe dafür: Sobald die Familien ankamen, wurden aus den Priestern plötzlich menschliche Wesen. Ach, was haben wir Amadeo beneidet, als er sich von ihnen befreien konnte! Er war immer klüger als wir alle. Und das ist er immer noch, zweifellos.«
Dieses heikle Thema musste sie unbedingt beenden, daher gab Maria del Roser dem Gespräch eine andere Richtung. Sie sprach nicht gern über die Jahre, in denen ihr Sohn Schüler bei den Jesuiten in Sarrià gewesen war.
»Ja, klug ist er schon«, murmelte sie, während sie an ihrer Krokette knabberte. »Schade, dass er so unzugänglich geworden ist. Finden Sie nicht? Worüber haben wir eigentlich gerade gesprochen? Ach so. Feiern Sie Weihnachten mit der Familie?«
»Leider nein«, erwiderte Octavio, während er sich mit einer nervösen Geste die Hände rieb, die für ihn ungewöhnlich war. »Ich breche bereits morgen nach New York auf und werde dort meinen eigenen Geschäften nachgehen.«
Maria del Roser riss ihre Augen so weit auf, dass ihre Stirn sich wie ein Akkordeon faltete. Doch Concha wirkte noch überraschter.
»Nach New York? Für längere Zeit?«, fragte die Gesellschafterin.
»Ich weiß es noch nicht. Das hängt allein davon ab, wie sich die Dinge entwickeln.« Octavio wechselte sofort das Thema und improvisierte eine Entschuldigung. »Es war mir ein Vergnügen, Sie zu sehen, Doña Maria del Roser. Bitte verzeihen Sie mir, aber ich muss noch viele Vorbereitungen treffen.«
»Natürlich, natürlich, wir haben vollstes Verständnis«, sagte Concha.
Maria del Roser reagierte nicht auf die überraschenden Neuigkeiten, die sie soeben erhalten hatten.
»Bestellen Sie Ihren Eltern schöne Grüße von mir«, sprach sie weiter, gemäß der logischen Abfolge von Abschiedsfloskeln, die seit jeher in ihrem Kopf gespeichert war. »Ich sehe Sie nach den Feiertagen wieder, wenn wir das Körbchen für den Enkel kaufen. Seine Geburt wird im ... Conchita, wann kommt mein Enkel auf die Welt?«
»Im Mai, Señora.«
»Meine arme Schwiegertochter hatte bereits eine Fehlgeburt, wissen Sie das? Aber diesmal verläuft alles bestens, Gott sei Dank.«
Concha wurde es bei diesen intimen Enthüllungen allmählich unbehaglich zumute. Auch Octavio Conde wirkte mit der Wendung, die das Gespräch nahm, nicht sonderlich glücklich. Begierig, endlich gehen zu können, küsste er Maria del Roser erneut die Hand, verbeugte sich vor Concha und wies den Kellner an, die Rechnung der beiden auf Kosten des Hauses zu setzen.
Kaum war Octavio außer Sicht, machte sich auf dem Gesicht von Maria del Roser großer Verdruss breit.
»Wir haben gar nicht daran gedacht, ihn zu fragen, ob es seiner Frau besser geht. Wir sind ganz schön unhöflich.«
»Señora, Don Octavio ist Junggeselle. Sie meinen bestimmt Doña Cecilia Gómez del Olmo, seine Mutter«, wandte Concha vorsichtig ein, worauf ihre Señora zustimmend nickte. »Die Arme ist schon vor Jahren gestorben.«
»Wirklich? Und, hat ihr Mann noch einmal geheiratet?«
»Nein, Señora. Don Eduardo Conde ist der Erinnerung an seine verstorbene Frau immer treu geblieben. Bis zu seinem Tod, aber der ist auch schon lange her.«
Maria del Roser runzelte die Stirn.
»Also, Conchita, wir kommen nur noch durcheinander.«
Sie gingen ein paar Schritte, aber ehe sie den Fahrstuhl erreichten, blieb die ältere Dame wieder stehen. Ein Angestellter in einer dunkelroten Livree öffnete die Tür, damit sie einsteigen konnten.
»Wie soll mein Enkel noch einmal helfen, Conchita? Ich vergesse es andauernd«, fragte sie, während sie ihre Röcke in den Lift bugsierte.
»Modesto, Señora. Wenn es ein Junge wird. Und wenn es ein Mädchen wird, wissen sie es noch nicht«, sagte Concha voller Angst. Voller Angst vor dem schlafenden Schmerz, der jeden Moment aufwachen kann.
»Mir würde Violeta gefallen«, sagte die Matriarchin. »Es muss so bald wie möglich wieder eine Violeta in der Familie geben.«
Der Schmerz schlief, stellte Concha beruhigt fest.
»Jetzt wollen sie doch tatsächlich meinem Enkel einen Namen wie für einen Liftboy geben!«, knurrte Maria del Roser, ungeachtet des Warenhausangestellten vor ihnen. »Weißt du, warum sie einen derart scheußlichen Namen ausgesucht haben? Es gibt doch so schöne Heiligennamen!«
»Zu Ehren des Malers, der Ihren Sohn unterrichtet hat, Señora.«
Dieses Gespräch hatten sie schon ein Dutzend Mal geführt. Aber die Wiederholung hinterließ; bei keiner der beiden nachhaltigen Eindruck.
»Ach so, stimmt. Mein Sohn ist ja Künstler. Ich glaube, er malt gar nicht mal so schlecht.«
»Natürlich nicht, Señora. Er ist sehr erfolgreich, und er wird sehr geschätzt«, bestätigte Concha mit mütterlichem Stolz.
Hinter den beiden nahm ein riesiges Werbeplakat fast die gesamte Seitenwand des Aufzugs ein. Es zeigte eine junge Dame in Abendrobe, und in einer Ecke stach der Name des Künstlers in einem großen schwarzen Schriftzug hervor: Amadeo Lax. Das...
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Teresa Brusés bedeutete für den Künstler Amadeo Lax die größte Obsession, gleichzeitig aber auch das größte Unglück - so heißt es. Von den insgesamt siebenunddreißig Porträts, die der Maler von ihr anfertigte, stammt nur ein Drittel aus den acht Jahren ihrer Ehe. Das untypischste dieser Bildnisse, das als das Meisterwerk des Künstlers gilt, ist dieses großformatige Fresko, das während der Umbauarbeiten des Patio im Haus der Familie gemalt wurde und auf das Jahr 1936 datiert ist (vermutlich zu Beginn des Sommers). Das Bildnis wurde a fresco ausgeführt, d. h. in einer Technik, bei der die in Wasser gelösten Farben auf eine feuchte Putzschicht aufgetragen werden. Lax verwendete diese Technik nur ein einziges Mal, und zwar für dieses Porträt. Das Bild zeigt das Modell mit abgewandtem Oberkörper, das Gesicht beinahe im Profil. Teresa blickt auf einen Punkt außerhalb des Gemäldes und wirkt dabei unruhig oder abgelenkt. Dies wird durch die Farbgebung betont, in der dunkle Töne vorherrschen - blau, schwarz, ocker, indigo -, sowie durch die grobe, fast schon unsaubere Pinselführung, mit der einige Details wie beispielsweise die Haare oder die Hände ausgeführt sind. Eine markante Auffälligkeit im Werk des ansonsten pedantischen Malers, der bei der Hintergrundgestaltung und in der Pinselführung immer mit größter Sorgfalt vorging, bei dieser Gelegenheit jedoch eine für sein gesamtes Schaffen einmalige Nähe zu den Expressionisten zeigt. Der Stil dieses Porträts hat zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Die meisten Fachleute begründen ihn mit der existentiellen Krise des Künstlers zum Zeitpunkt des Entstehens: Teresa hatte den Maler kurz zuvor wegen eines anderen Mannes verlassen. Leider ist das Fresko für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, denn es befindet sich in dem ehemaligen Wohnsitz des Künst¬lers. Für das dort geplante Museum steht seit Jahren die Genehmi¬gung der beteiligten Institutionen aus, darunter auch die Regierung der Autonomen Region Katalonien, der Lax das Anwesen und seine Werke vermacht hatte.
Schätze der katalanischen Kunst, Malgrat de Mar 1987
(Ediciones Pampalluga)
I
»Eines Tages erzähle ich alles, woran ich mich erinnern kann, und dann werden sich die Toten in ihren Gräbern umdrehen«, flüsterte Concha einmal ihrer geliebten Aurora zu.
Das Leben bot ihr nicht allzu viele Gelegenheiten, ausführlich zu Wort zu kommen. Aber vielleicht war dies nicht der einzige Grund, warum Concha manche Erinnerung für sich behielt.
Sie erzählte beispielsweise nie, dass Doña Maria del Roser Golorons, Witwe des Don Rodolfo Lax, am 24. Dezember 1932 nach dem Neun-Uhr-Gottesdienst in der Iglesia del Belén fast den gesamten Tag mit einem Besuch im berühmten Warenhaus El Siglo zubrachte. Die Señora hielt sich sehr lange in der Abteilung für Kinderwäsche im zweiten Stockwerk auf, wo sie die komplette Ausstattung für ihren ersten Enkel erstand, der im nächsten Frühling auf die Welt kommen sollte: Windeln aus Mull, umhäkelte Wickeltücher, Hemdchen aus Batist und aus Kattun und noch ein halbes Dutzend Unterröcke mit englischen Stickereien und Rüschen (für den Fall, dass der Enkel eine Enkelin würde). In der Spielwarenabteilung wählte sie ein hüpfendes Hündchen aus, das große Bewunderung hervorrief, ein Steckenpferd aus Holz sowie eine kleine Kutsche aus Blech mitsamt Pfer¬degespann. Dann suchte sie die Korbwarenabteilung auf, um ein Lauflern-Wägelchen zu erwerben, ein Wiegen-Nestchen mit Wollquasten sowie eine Wiege aus Weidengeflecht mit Himmel, die aber so teuer war wie eine aus Edelholz. Die Freude der Señora darüber, das erste Kind ihres Erstgeborenen, Amadeo, und seiner von ihr so geliebten Frau Teresa auszustatten, spiegel¬te sich in dem Ausmaß ihrer Anschaffungen wieder.
»Heutzutage sind Kinder anspruchsvoller als früher, sie benö¬tigen mehr Sachen«, rechtfertigte sie sich.
Bevor sie weiterging, blieb sie vor einem zweistöckigen Puppenhaus stehen, das zehn Peseten kostete. Concha befürchtete einen Moment, dieser Anblick könnte bei ihrer Señora schlimmste Erinnerungen an ihre so früh verstorbene Violeta wecken, aber dann vernahm sie überrascht: »Das ist mein Weihnachtsgeschenk für deine Tochter. Meinst du, es gefällt ihr?«
Eine junge Frau in der eleganten schwarzen Uniform des Warenhauses lächelte den beiden Frauen von der anderen Seite einer hölzernen Ladentheke aus zu.
Concha führte ihre Lippen zum Ohr von Doña Maria del Roser und flüsterte: »Señora, ich habe keine Tochter. Vielleicht meinen Sie ja Laia, die Tochter von Vicenta, der Köchin.«
»Ja, genau, das hübsche Mädchen mit dem lebhaften Blick!« Die Señora wirkte begeistert, doch dann verdüsterte sich ihre Miene wieder. »Nein, das ist keine gute Idee. Ich glaube nicht, dass sich das Mädchen noch für Puppenhäuser interessiert.«
»Laia ist zwölf Jahre alt«, erwiderte Concha, »und sie hat nie¬mals eines gehabt. Ich glaube, es würde ihr sehr gefallen.«
»Nein, nein, nein.« Die Señora verwarf die Idee, als wäre sie ihr sehr lästig, und ging weiter; das Puppenhaus war längst vergessen.
In der Abteilung mit Kochgeschirr bestand sie darauf, dass ihre treue Begleiterin die Auswahl treffen solle. Denn das war gewissermaßen Conchas Rolle, der Grund für deren Anwesenheit. In den Augen von Doña Maria del Roser war Concha eine Art allwissende Beraterin, die Hellseherin bevorstehender Bedürfnisse und selbst Katastrophen, die sich mit entsprechenden Einkäufen abmildern liegen. In Wahrheit war es jedoch Teresa, die neue Hausherrin, die die Hausangestellte drängte, ihre Schwiegermutter nicht eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Also war Concha nicht nur deren Gesellschafterin und Hilfe - denn Doña Maria del Rosers Gesundheit war schon äußerst angeschlagen -, sondern sie sorgte auch dafür, dass der fortgeschrittene geistige Verfall der Matriarchin keine weiteren Unannehmlichkeiten für die Familie mit sich brachte.
Vor einem eifrigen Verkäufer, der die Kochtöpfe und Kasserollen mit einem Stolz präsentierte, als ginge es um wertvollste Seiden- und Organzastoffe, kniff Doña Maria del Roser die Augen zusammen, winkte Concha herbei und sagte: »Wähl du aus, das hier ist dein Bereich.«
Man hat nie erfahren, ob ihre mangelhaften Hauswirtschaftskenntnisse nur vorgetäuscht waren, wenn auch Concha stets vermutete, dass die Señora mehr davon verstand, als sie zeit ihres Lebens zugab. Höchstwahrscheinlich beruhte ihre diesbezügliche Verwirrung eher auf mangelndem Interesse als auf Unfähigkeit. Die Krankheit konnte diese Zweifel auch nicht ausräumen.
An diesem Tag blickte Doña Maria del Roser prüfend auf eine Pfanne, deren Boden ihr ein Zerrbild ihrer Person wiedergab, und meinte: »Wir brauchen davon mindestens ein Dutzend, das stimmt doch, Conchita?«
Ohne genau zu wissen, wie, gelang es Concha, dass sie nur zwei davon kauften. Der Señora hatten es zudem zwei weitere Pfannen sowie vier Kasserollen in unterschiedlichen Größen angetan, alle aus Eisen mit blauem Email und von allerbester Qualität. Tatsächlich benötigten sie keines dieser Utensilien, in den Küchen gab es mehr als genug davon. Aber die Señora verstand nicht, wie man El Siglo verlassen konnte, ohne wenigstens zehn Peseten in der Abteilung für Kochgeschirr im Erdgeschoss ausgegeben zu haben.
»Kochtöpfe sind mir lieber als Brillanten«, pflegte sie verschmitzt zu sagen, als sie noch Herrin ihrer geistigen Fähigkeiten war.
Doch an dem Tag setzte sie sich in den Kopf, dass sie für das Haus unbedingt einen kompletten Satz Kristallgläser benötigten, der mehr als hundert Peseten kostete, und fügte diesen Posten ohne mit der Wimper zu zucken zu den bisherigen Einkäufen hinzu. Dann ging sie in die Abteilung mit Damenmode für die letzte Anprobe einer Abendrobe, die sie in Auftrag gegeben hatte; auf diese Rechnung setzte sie noch ein halbes Dutzend Batistunterröcke und zwei bestickte Mieder. Maria del Roser Golorons war zu eigenständig, um sich von irgendetwas zur Sklavin machen zu lassen, und schon gar nicht von der Mode. Ihr Leben lang hatte sie für ihre Kleidung Kriterien wie Sauberkeit, Bequemlichkeit und angemessene Farben angelegt, aber kurz vor dem letzten Akt ihres Leben bestand sie darauf, wieder zu Röcken mit Tournüre und Schleppe zurückzukehren, die über die Fliesen fegten.
»Bei einer eleganten Dame darf man nur die Spitzen ihrer Schuhe sehen«, stellte sie in entschiedenem Tonfall vor dem verzweifelten Blick der Schneiderin fest, die soeben Skizzen des Dernier Cri aus Paris gezeigt hatte: Mäntel mit einem einzigen Ärmel, die die Kundin als ebenso befremdlich empfand wie die Bezeichnung, die die Warenhausangestellte dafür verwendete: »asymmetrisch«.
»Diesen Franzosen fällt auch nichts mehr ein, womit sie uns beschwindeln können«, sagte sie nur und wandte sich anderen Dingen zu.
Concha folgte ihr auf dem Fuß durch das bis oben angefüllte Warenhaus. Sie war glücklich wie ein kleines Mädchen. Seit dem Jahr, in dem Violeta blutjung gestorben war, hatte Concha die Señora nicht so begeistert bei den Weihnachtsvorbereitungen erlebt. Sicherlich trug die bevorstehende Geburt des Enkels viel zu ihrer guten Laune bei. Dank diesem Umstand schien das Haus ein wenig wie in vergangenen Zeiten zu erstrahlen - den Zeiten, in denen das Schweigen noch nicht dauerhaft eingekehrt war.
Nach ihren Einkäufen wollte Maria del Roser sich ein wenig in dem Café des Warenhauses ausruhen. Sie nahm Platz in einem der Lehnstühle, ordnete ihre Röcke und bat Concha, ihr aus dem Lektüresaal eine Modezeitschrift zu besorgen - »aber bloß keine aus Frankreich«. Dann bestellte sie für sich ein Glas frisches Wasser und eine kleine Portion Kroketten und äußerte den Wunsch, den Besitzer von El Siglo zu begrüßen, wie immer, wenn sie das Warenhaus besuchte.
»Jetzt setz dich schon, Conchita, und mach mich nicht nervös«, sagte sie und deutete auf den anderen Stuhl am Tisch.
Don Octavio Conde kam so eilfertig und galant wie immer, als Doña Maria del Roser gerade die zweite Krokette verspeiste.
»Wie ist das Wohlergehen der Familie? Gut?«, fragte er, während er sich vorbeugte, um der von ihm hochverehrten älteren Dame die Hand zu küssen.
»Stellen Sie sich vor, was für ein Pech es gibt«, antwortete sie, »soeben erfahre ich, dass die arme Conchita keine Kinder hat.«
»Also, in meinem Alter sollte ich wohl eher Enkel haben«, scherzte die Gesellschafterin, die den Geschäftsmann kannte, seit dieser ein Schuljunge war. Dann flüsterte sie ihrer Señora ins Ohr: »Das ist Don Octavio. Es wird ihn verwundern, wenn Sie ihn siezen.«
Octavio lächelte verständnisvoll, allerdings kräuselte er angespannt seine Lippen und konnte eine gewisse Unruhe oder vielleicht sogar Traurigkeit nicht verhehlen, als er die Mutter seines besten Freundes ansah.
»Conchita ist fast wie eine Mutter für uns alle«, stellte er fest. »Und sie wird es auch für die nächste Generation sein, die nun unterwegs ist.«
»Ja, so ist es«, erwiderte Maria del Roser mit verlorenem Blick, bevor sie sich wieder zusammennahm. »Woher wissen Sie das?«
Octavio blickte erschrocken auf. Sein Mienenspiel war kaum wahrnehmbar, nur geschulte Augen wie die von Concha hätten es erkennen können.
»Ihr Sohn und ich sind seit der Schulzeit Freunde. Wir haben uns im Jesuiteninternat von Sarrià kennengelernt. Sie wissen schon« - Octavio bemühte sich amüsant zu wirken, aber sein Lachen klang gezwungen -, »die Härte des Kasernenlebens ist eine großartige Herausforderung, um Freundschaften zu schmieden.«
»Ach, ja, das Internat« - Maria del Roser verdrehte bei diesen Worten die Augen und setzte sich bequemer, indem sie unter den Röcken ihre Beine überschlug. »Die Sonntagsbesuche haben mir immer so gut gefallen«, seufzte sie wehmütig.
»Ja, wir haben die Sonntage auch geliebt«, sprach Octavio weiter, »aber ich fürchte, wir hatten andere Gründe dafür: Sobald die Familien ankamen, wurden aus den Priestern plötzlich menschliche Wesen. Ach, was haben wir Amadeo beneidet, als er sich von ihnen befreien konnte! Er war immer klüger als wir alle. Und das ist er immer noch, zweifellos.«
Dieses heikle Thema musste sie unbedingt beenden, daher gab Maria del Roser dem Gespräch eine andere Richtung. Sie sprach nicht gern über die Jahre, in denen ihr Sohn Schüler bei den Jesuiten in Sarrià gewesen war.
»Ja, klug ist er schon«, murmelte sie, während sie an ihrer Krokette knabberte. »Schade, dass er so unzugänglich geworden ist. Finden Sie nicht? Worüber haben wir eigentlich gerade gesprochen? Ach so. Feiern Sie Weihnachten mit der Familie?«
»Leider nein«, erwiderte Octavio, während er sich mit einer nervösen Geste die Hände rieb, die für ihn ungewöhnlich war. »Ich breche bereits morgen nach New York auf und werde dort meinen eigenen Geschäften nachgehen.«
Maria del Roser riss ihre Augen so weit auf, dass ihre Stirn sich wie ein Akkordeon faltete. Doch Concha wirkte noch überraschter.
»Nach New York? Für längere Zeit?«, fragte die Gesellschafterin.
»Ich weiß es noch nicht. Das hängt allein davon ab, wie sich die Dinge entwickeln.« Octavio wechselte sofort das Thema und improvisierte eine Entschuldigung. »Es war mir ein Vergnügen, Sie zu sehen, Doña Maria del Roser. Bitte verzeihen Sie mir, aber ich muss noch viele Vorbereitungen treffen.«
»Natürlich, natürlich, wir haben vollstes Verständnis«, sagte Concha.
Maria del Roser reagierte nicht auf die überraschenden Neuigkeiten, die sie soeben erhalten hatten.
»Bestellen Sie Ihren Eltern schöne Grüße von mir«, sprach sie weiter, gemäß der logischen Abfolge von Abschiedsfloskeln, die seit jeher in ihrem Kopf gespeichert war. »Ich sehe Sie nach den Feiertagen wieder, wenn wir das Körbchen für den Enkel kaufen. Seine Geburt wird im ... Conchita, wann kommt mein Enkel auf die Welt?«
»Im Mai, Señora.«
»Meine arme Schwiegertochter hatte bereits eine Fehlgeburt, wissen Sie das? Aber diesmal verläuft alles bestens, Gott sei Dank.«
Concha wurde es bei diesen intimen Enthüllungen allmählich unbehaglich zumute. Auch Octavio Conde wirkte mit der Wendung, die das Gespräch nahm, nicht sonderlich glücklich. Begierig, endlich gehen zu können, küsste er Maria del Roser erneut die Hand, verbeugte sich vor Concha und wies den Kellner an, die Rechnung der beiden auf Kosten des Hauses zu setzen.
Kaum war Octavio außer Sicht, machte sich auf dem Gesicht von Maria del Roser großer Verdruss breit.
»Wir haben gar nicht daran gedacht, ihn zu fragen, ob es seiner Frau besser geht. Wir sind ganz schön unhöflich.«
»Señora, Don Octavio ist Junggeselle. Sie meinen bestimmt Doña Cecilia Gómez del Olmo, seine Mutter«, wandte Concha vorsichtig ein, worauf ihre Señora zustimmend nickte. »Die Arme ist schon vor Jahren gestorben.«
»Wirklich? Und, hat ihr Mann noch einmal geheiratet?«
»Nein, Señora. Don Eduardo Conde ist der Erinnerung an seine verstorbene Frau immer treu geblieben. Bis zu seinem Tod, aber der ist auch schon lange her.«
Maria del Roser runzelte die Stirn.
»Also, Conchita, wir kommen nur noch durcheinander.«
Sie gingen ein paar Schritte, aber ehe sie den Fahrstuhl erreichten, blieb die ältere Dame wieder stehen. Ein Angestellter in einer dunkelroten Livree öffnete die Tür, damit sie einsteigen konnten.
»Wie soll mein Enkel noch einmal helfen, Conchita? Ich vergesse es andauernd«, fragte sie, während sie ihre Röcke in den Lift bugsierte.
»Modesto, Señora. Wenn es ein Junge wird. Und wenn es ein Mädchen wird, wissen sie es noch nicht«, sagte Concha voller Angst. Voller Angst vor dem schlafenden Schmerz, der jeden Moment aufwachen kann.
»Mir würde Violeta gefallen«, sagte die Matriarchin. »Es muss so bald wie möglich wieder eine Violeta in der Familie geben.«
Der Schmerz schlief, stellte Concha beruhigt fest.
»Jetzt wollen sie doch tatsächlich meinem Enkel einen Namen wie für einen Liftboy geben!«, knurrte Maria del Roser, ungeachtet des Warenhausangestellten vor ihnen. »Weißt du, warum sie einen derart scheußlichen Namen ausgesucht haben? Es gibt doch so schöne Heiligennamen!«
»Zu Ehren des Malers, der Ihren Sohn unterrichtet hat, Señora.«
Dieses Gespräch hatten sie schon ein Dutzend Mal geführt. Aber die Wiederholung hinterließ; bei keiner der beiden nachhaltigen Eindruck.
»Ach so, stimmt. Mein Sohn ist ja Künstler. Ich glaube, er malt gar nicht mal so schlecht.«
»Natürlich nicht, Señora. Er ist sehr erfolgreich, und er wird sehr geschätzt«, bestätigte Concha mit mütterlichem Stolz.
Hinter den beiden nahm ein riesiges Werbeplakat fast die gesamte Seitenwand des Aufzugs ein. Es zeigte eine junge Dame in Abendrobe, und in einer Ecke stach der Name des Künstlers in einem großen schwarzen Schriftzug hervor: Amadeo Lax. Das...
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Autoren-Porträt von Care Santos
Care Santos ist eine der meistgelesenen Autorinnen Spaniens und hat über dreissig Bücher für Erwachsene und Jugendliche veröffentlicht. Für ihr Werk wurde die 1970 in Barcelona geborene Autorin vielfach ausgezeichnet; ihre Romane werden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Care Santos veranstaltet literarische Seminare und arbeitet als Literaturkritikerin für die Tageszeitung El Mundo. Sie lebt mit ihren drei Kindern in Barcelona.
Bibliographische Angaben
- Autor: Care Santos
- 2014, 1. Auflage, 544 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Stefanie Karg
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596194547
- ISBN-13: 9783596194544
- Erscheinungsdatum: 16.04.2014
Rezension zu „Die Geister schweigen “
"Verbotene Liebe, faszinierende Charaktere, grosse Dramen: Care Santos fesselt uns mit ihrem Generationenroman." (Maxi)"Schaurig wie Zafóns Schatten des Windes ." (Brigitte)
Pressezitat
"Verbotene Liebe, faszinierende Charaktere, grosse Dramen: Care Santos fesselt uns mit ihrem Generationenroman." (Maxi)"Schaurig wie Zafóns Schatten des Windes ." (Brigitte)
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