Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana
Giambattista Bodoni, Antiquar, erwacht aus dem Koma und hat einen Teil seines Gedächtnisses verloren. Auf der Suche nach seinen persönlichen Erinnerungen fährt er ins Haus seiner Kindheit und findet dort alles wieder: Bücher und Bilder, Briefe und...
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Giambattista Bodoni, Antiquar, erwacht aus dem Koma und hat einen Teil seines Gedächtnisses verloren. Auf der Suche nach seinen persönlichen Erinnerungen fährt er ins Haus seiner Kindheit und findet dort alles wieder: Bücher und Bilder, Briefe und Zeitungsausschnitte, Pastadosen und Zigarettenschachteln. Was für Bodoni eine Reise der Wiederentdeckungen durch sein Leben und seine Lieben wird, gerät Eco zur Zeitreise durch das 20. Jahrhundert: witzig, nostalgisch und überraschend.
Der neue Eco - ein Roman wie es noch keinen gab.
Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana von Umberto Eco
LESEPROBE
Der grausamste Monat
»Und wie heissen Sie?«
»Warten Sie, ich habs auf der Zunge.«
So hatte das Ganze angefangen.
Ich war wie aus einem langen Schlaf erwacht, aber ummich herum lag alles noch in einem milchigen Grau. Oder ich war gar nicht wach,ich träumte. Es war ein seltsamer Traum: ohne Bilder, nur Töne. Als ob ichnichts sah, nur Stimmen hörte, die mir erzählten, was ich sehen sollte. Und sieerzählten mir, dass ich noch nichts richtig sah, nur ein nebliges Wabern längsder Kanäle, wo die Landschaft verschwamm. Brügge, sagte ich mir, ich war inBrügge. War ich jemals in der toten Stadt Brügge gewesen? Wo der Nebel zwischenden Türmen wabert wie der träumende Weihrauch? Eine graue Stadt, traurig wieein chrysanthemenbekränztes Grab, wo der Nebel zerschlissen wie ein alterWandteppich an den Fassaden hängt
Meine Seele putzte die Scheiben der Trambahnfensterblank, um in den mobilen Nebel der Ampeln zu tauchen. Nebel, meinkontaminierter Bruder Ein dichter, undurchdringlicher Nebel, der die Geräuschedämpfte und formlose Gespenster auftauchen liess Schliesslich gelangte ich aneinen tiefen Abgrund und sah eine riesenhafte Gestalt, eingehüllt in einGrabtuch, und die Hautfarbe dieser Gestalt glich dem makellosen Weiss desSchnees. Mein Name ist Arthur Gordon Pym.
Ich kaute den Schnee. Die Gespenster zogen vorüber,streiften mich und lösten sich auf. Die fernen Lampen flackerten wie Irrlichterauf einem Friedhof
Jemand geht neben mir,lautlos, als wäre er barfuss, er geht ohne Absätze, ohne Schuhe, ohne Sandalen,ein Nebelschwaden streift mich an der Wange, eine Handvoll Betrunkener gröltunten, am Ende der Fähre. Fähre? Das sage nicht ich, es sind die Stimmen.
Der Nebel kommt auf kleinen Katzenpfoten Es war einNebel, der aussah, als hätte man die Welt
Und doch war mir ab und zu, als öffnete ich die Augenund sähe Lichter. Ich hörte Stimmen: »Das ist nicht mehr richtiges Koma Nein,Signora, denken Sie nicht an das flache EEG, ich bitte Sie Da ist Reaktionsbereitschaft«
Jemand leuchtete mir in die Augen, aber nach dem Lichtwar es wieder dunkel. Ich spürte den Stich einer Nadel, irgendwo. »Sehen Sie,da ist Bewegungsvermögen«
Maigret taucht in einen so dichten Nebel, dass er nichteinmal sieht, wohin er die Füsse setzt Der Nebel wimmelt von menschlichenGestalten, er brodelt von einem prallen und geheimnisvollen Leben. Maigret?Elementar, lieber Watson, es sind zehn kleine Negerlein, es ist der Nebel, indem der Hund von Baskerville verschwindet.
Der Vorhang aus grauem Rauch verlor allmählich seinegraue Färbung, die Temperatur des Wassers war sehr gestiegen und seine milchigeTönung deutlicher denn je Dann stürzten wir in die Umarmungen des Katarakts,wo sich ein Abgrund öffnete, um uns zu verschlingen.
Ich hörte Leute um mich her reden, ich wollte rufen undihnen zu verstehen geben, dass ich da war. Ein Sirren war zu hören, als würdeich von einer Foltermaschine mit nadelscharfen Zähnen zerrissen. Ich war in derStrafkolonie. Ich spürte ein Gewicht am Kopf, als hätte man mir die eiserneMaske angelegt. Mir war, als sähe ich hellblaue Lichter.
»Da ist Asymmetrie im Durchmesser der Pupillen.«
Bruchstücke von Gedanken schwirrten mir durch den Kopf,sicher wachte ich gerade auf, aber ich konnte mich nicht bewegen. Wenn ich dochnur wach bleiben könnte. Habe ich wieder geschlafen? Stunden, Tage,Jahrhunderte?
Der Nebel kam wieder, die Stimmen im Nebel, dieStimmen, die über den Nebel redeten. Seltsam, im Nebel zu wandern! Mir schien,ich schwamm in einem Meer, ich war nahe am Strand, aber ich konnte
ihn nicht erreichen. Niemand sah mich, und die Fluttrug mich wieder hinaus.
Bitte sagt etwas zu mir, bitte berührt mich. Ich spürteeine Hand auf der Stirn. Welche Erleichterung! Eine andere Stimme: »Signora, esgibt Beispiele von Patienten, die plötzlich aufwachen und aus eigener Kraftdavonspazieren.«
Jemand störte mich mit einem blinkenden Licht, miteiner vibrierenden Stimmgabel, es war, als hielte man mir ein Gläschen Senfunter die Nase, dann eine Knoblauchzehe. Die Erde hat einen Geruch von Pilzen.
Andere Stimmen, aber jetzt von innen: Lange Klagerufevon Dampflokomotiven, Priester im Nebel, die undeutlich im Gänsemarsch nach SanMichele in Bosco gehen.
Der Himmel ist aschgrau. Nebel überall, Nebel stromauf,Nebel stromab, Nebel, der in die Hände der kleinen Streichholzverkäuferinbeisst. Die Passanten auf den Brücken der Hundeinsel blicken in einentiefhängenden Himmel aus Nebel, selbst eingehüllt in den Nebel, als sässen siein einer unter dem braunen Nebel schwebenden Mongolfiere, nie hätt ichgedacht, dass der Tod so viele hätt hingemacht. Geruch von Bahnhof und Russ.
Ein anderes Licht, weniger scharf. Mir ist, als hörteich durch den Nebel den Klang der schottischen Dudelsäcke über die Heide dringen.
Weiterer langer Schlaf, vielleicht. Dann eineAufhellung, sembra dessere in un bicchiere di acqua e anice - als wärs ineinem Glas Wasser mit Anisschnaps
Er stand vor mir, auch wenn ich ihn nur undeutlich sah.Mir brummte der Kopf, als wäre ich nach einem schweren Rausch aufgewacht. Ichglaube, ich murmelte etwas mühsam, als ob ich in diesem Moment zum ersten Malanfing zu sprechen: »Posco, reposco, flagito regieren den Infinitiv Futur?Cuius regio, eius religio Ist das der Augusteische Frieden oder der PragerFenstersturz?« Und dann: »Nebel auch auf dem Tratto Appenninico der Autostradadel Sole, zwischen Roncobilaccio und Barberino del Mugello«
Er lächelte mir verständnisvoll zu: »Jetzt öffnen Siemal die Augen richtig und versuchen, sich umzusehen. Begreifen Sie, wo wirsind?« Jetzt sah ich ihn deutlicher, er trug einen weissen - wie sagt man? -Kittel. Ich drehte die Augen, und es gelang mir, auch den Kopf zu bewegen: DerRaum war nüchtern und sauber, wenige kleine Möbel, aus Metall und in hellenFarben, ich lag in einem Bett, mit einer Kanüle im rechten Arm. EinSonnenstrahl kam durchs Fenster herein, zwischen den Stäben derheruntergezogenen Jalousie, Frühling glänzt ringsum in der Luft und frohlocketüber den Feldern. Ich murmelte: »Wir sind in einer Klinik, und Sie Sie sindein Arzt. Ist es mir schlimm ergangen?«
»Ja, ziemlich schlimm, ich erklärs Ihnen später. Aberjetzt sind Sie wieder zu Bewusstsein gekommen. Machen Sie sich keine Sorgen. Ichbin Doktor Gratarolo. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle.Wie viele Finger zeige ich Ihnen hier?«
»Das ist eine Hand, und das sind Finger. Und es sindvier. Sind es vier?«
»Richtig. Und wieviel ist sechs mal sechs?«
»Sechsunddreissig, das ist doch klar.« Die Gedanken purzeltenmir durch den Kopf, aber sie kamen ganz von allein. »Die Summe derFlächeninhalte der Quadrate über den Katheten ist gleich dem Flächeninhaltdes Quadrates über der Hypothenuse.«
»Kompliment. Ich glaube, das ist der Satz desPythagoras, aber in Mathematik hatte ich im Gymnasium eine Fünf«
»Pythagoras von Samos. Die euklidischen Elemente. Dieverzweifelte Einsamkeit der Parallelen, die sich niemals begegnen«
»Ihr Gedächtnis scheint ja in bester Verfassung zusein. Bei der Gelegenheit übrigens: Wie heissen Sie?«
Das wars, hier zögerte ich. Dabei hatte ichs auf derZunge. Nach einer kurzen Pause gab ich die selbstverständlichste Antwort.
»Ich heisse Arthur Gordon Pym.«
»Nein, so heissen Sie nicht.«
Sicherlich war Arthur Gordon Pym ein anderer. Er istnicht zurückgekommen. Ich versuchte, mit dem Doktor eine Vereinbarung zutreffen.
»Nennt mich Ismael?«
»Nein, Sie heissen nicht Ismael. Strengen Sie sich an.«
Ein Wort, ein Name. Wie wenn man gegen eine Wand hämmert.Euklid oder Ismael zu sagen war mir leichtgefallen, wie wenn manRumpelstilzchen sagt, oder Ambarabà ciccì coccò, drei Käuzchen auf dem VertikoAber zu sagen, wer ich war - das war, wie sich umzudrehen, und hinter mir wardie Wand. Nein, keine Wand, etwas anderes, ich versuchte es zu erklären: »Esist nichts Festes, nichts Hartes, es ist, als wenn man im Nebel geht.«
»Wieist der Nebel?« fragte er.
»Lanebbia agli irti colli piovigginando sale e sotto il maestrale urla ebiancheggia il mar Der Nebelsteigt nieselnd die stachligen Hügel hinauf, und unter dem Mistral brüllt undgischtet das Meer Wie ist der Nebel?«
»Bringen Sie mich nicht in Verlegenheit, ich bin nurein Mediziner. Ausserdem haben wir April, ich kann Ihnen keinen Nebel vor Augen führen.Heute ist der 25. April.«
»April ist der grausamste Monat.«
»Ich bin nicht sehr belesen, aber das klingt wie einZitat. Sie hätten auch sagen können, heute ist der Tag der Befreiung, il giornodella Liberazione, der Tag der Befreiung vom Faschismus. Wissen Sie, welchesJahr wir haben?«
»Sicher eines nach der Entdeckung Amerikas«
»Erinnern Sie sich nicht an ein Datum, irgendein Datumvor vor Ihrem Aufwachen?«
»Irgendein Datum? 1945, Ende des Zweiten Weltkriegs.«
»Das ist mir zuwenig. Heute ist der 25. April 1991. Siesind Ende 1931 geboren, wenn ich nicht irre, also sind Sie jetzt annäherndsechzig.«
»Neunundfünfzigeinhalb, noch nicht mal ganz.«
»Mit Ihrer Rechenfähigkeit steht es bestens. Sie müssenwissen, Sie haben - wie soll ich sagen? - einen Unfall gehabt. Sie sind mit demLeben davongekommen, gratuliere. Aber ganz offensichtlich ist da noch etwaszurückgeblieben, ein Funktionsdefizit. Eine kleine Form von retrograderAmnesie. Keine Sorge, das dauert manchmal nur kurz. Bitte seien Sie sofreundlich und beantworten Sie mir noch ein paar Fragen. Sind Sie verheiratet?«
»Sagen Sies mir.«
© Hanser Verlag
Übersetzung: Burkhart Kroeber
Autoren-Porträt von UmbertoEco
UmbertoEco wurde 1932 in Alessandria geboren und lebt heutein Mailand. Er studierte Pädagogik und Philosophie und promovierte 1954 an derUniversität Turin. Anschliessend arbeitete er beim Italienischen Fernsehen undwar als freier Dozent für Ästhetik und visuelle Kommunikation in Turin, Mailandund Florenz tätig. Seit 1971 unterrichtet er Semiotik in Bologna. Eco erhieltneben zahlreichen Auszeichnungen den Premio Strega (1981) und wurde 1988 zum Ehrendoktor der Pariser Sorbonne ernannt.
Er verfasste zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxisder Zeichen, der Literatur, der Kunst und nicht zuletzt der Ästhetik desMittelalters. Seine Romane "Der Name der Rose" und "Das Foucaultsche Pendel"sind Welterfolge geworden.
Interview mit Umberto Eco
UmbertoEco, Sie haben mit "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" einen Romangeschrieben, der so ganz anders scheint als Ihre vorhergegangenen literarischenBücher. Stimmt der Eindruck?
Na, dasBuch ist nicht so ganz anders, wenn man mal von den Illustrationen absieht.Meine Bücher sind alle eine Art historischer Wiederbesichtigung. Auch die 30erund 40er Jahre, um die es hier geht, sind Geschichte, wenn auch nicht geradedas Mittelalter oder das Barock. Doch ich muss zugeben, das Buch betrifft meineZeit und mein Leben.
Es gehtin dem Buch um Ihr Leben, aber es ist keine Autobiografie?
Nein, unddas hat mir vieles erleichtert. In einer Autobiografie hat man vielleicht nichtden Mut, alles zu erzählen. In einem Roman kann man sich einen anderenCharakter zulegen. So ist vielleicht die Autobiografie einer Generation undnicht die einer Person entstanden. Wenn man sich mit der Rekonstruktion vonErinnerung beschäftigt, weht einen natürlich sofort der Geist von Proust an.Man muss also etwas ganz anderes als Proust machen, der das subjektive Erlebenals literarisches Material benutzt. Also habe ich das objektive Materialbenutzt. Fotos, Comics, Schlager...
Wie lange haben Sie an dem Buchgeschrieben?
DasSchreiben war gar nicht so schwierig, das ging eher schnell, ich kannte jaalles aus eigener Erinnerung. Das Problem war, die alten Schränke wieder zuöffnen, die Schulhefte von damals zu finden, die Dosen und Schachteln. Ichsuchte überall, in Antiquariaten, auf Flohmärkten, auf Dachböden. Es hat sechsMonate gedauert, um den einen Karton einer bestimmten Pulvermarke fürMineralwasser zu finden. Endlich gab mir jemand die Adresse von einem, der zweibesass - und der mir dann einen davon schenkte.
Und das Internet?
Ja,natürlich. Das Internet. Das war eine ganz wichtige Quelle. Ich habe im Buchsechs Zigarettenschachteln abgebildet, aber insgesamt 200 verschiedeneAbbildungen gesammelt. Das macht verständlich, warum ich an einer bestimmtenStelle aufhören musste, weil ich sonst verrückt geworden wäre. Ich habeunaufhörlich im Internet gesucht. Ich habe am Schluss immer die selben Liedergesummt, in der Nacht immer von den selben Dingen geträumt. Ein Albtraum...
ObwohlSie die Erinnerung Ihrer Hauptperson aus Objekten entwickeln, entstehen dochtrotzdem persönliche Erinnerungen. Es geht um Liebe und auch um Krieg. Wird danicht trotzdem viel Eco-Leben im Buch verarbeitet?
Ich habe inallen meinen Büchern meinen Protagonisten immer auch persönliches Material mitgegeben.Es ist unmöglich, eine Person zu schaffen, ohne in ihr etwas von eigenenErinnerungen, Gefühlen, Weltsichten zu verankern. In diesem Fall ist es dieGeschichte meiner Generation, und natürlich spielen auch meine Erinnerungeneine Rolle. Aber ich fühlte mich sogleich frei, meinen Personen auchErinnerungen und Gefühle anderer Leute mitzugeben. In diesem Sinne können sichdie Leser ebenfalls im Buch wieder finden, weil es nicht meine Geschichte ist,sondern unser aller Geschichte. Und das ist ja auch der Trick dieses Buches,das von einem Mann erzählt, der sein autobiographisches Gedächtnis verlorenhat, aber nicht sein semantisches. Dessen Gedächtnis versteinert ist, ausPapier besteht, aus Schachteln, aus Objekten, also einem Teil der Welt, die demLeser bekannt vorkommen kann.
Ist dasalso einer Buch einer Generation für eine Generation?
Das habeich mich auch gefragt. Und in der Tat habe ich viele Briefe und E-Mails vonFreunden bekommen, die darin ihre Jugend wieder erkannt haben. Ich habe mirauch gesagt, vielleicht hast du diesmal ein Buch geschrieben, das man gar nichtübersetzen kann, weil es doch sehr, zu sehr italienisch ist. Doch als ich dieGeschichte entwickelte, besonders in der zweiten Hälfte, hatte ich das Gefühl,Material bereit zu stellen, mit dem man eine interessante Zeit entdecken kann.Ich habe, ohne mir dessen bewusst zu werden, eine Art didaktisches Vorgehen eingeführt.Ich zeige, mit welchen Büchern wir in unserer Schule gelernt haben. Wenn jemand"100 Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez liest, muss er nicht inMacondo gewesen sein. Aber Schritt für Schritt lernt er etwas über den OrtMacondo. So waren auch die Reaktionen meiner ausländischen Verleger. Sie fandendas Buch gerade deshalb interessant, weil es von etwas erzählt, was ihre Leserin der Regel nicht kennen. Wie junge Leute heute mit ihrer Gitarre alte Songsentdecken.
Sienennen die "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" einen "illustriertenRoman".
Die Ideeeines "illustrierten Romans" gefiel mir, weil alle meine Bücher, die ich alsjunger Mann gelesen hatte, illustriert waren. Auch Alessandro Manzoni hat fürdie zweite und endgültige Ausgabe seines Buches "I Promessi Spossi" ("DieVerlobten", Anm. d. Red.) an der Auswahlder Illustrationen mitgearbeitet und Anweisungen für die Charakterisierungeiner Person oder einer Landschaft gegeben. Heute würde er das Internet benutzen,um neue Ausdrucksmöglichkeiten zur Illustrierung des Comer Sees oder der StadtMailand zu finden.
Aber Sieillustrieren doch nicht nur. Führen Sie nicht mit Ihren Abbildungen eine zweiteEbene der Lektüre ein?
Ja, in denalten Büchern dienen Illustrationen eigentlich nur zur Repräsentation dessen,was die Geschichte bereits erzählt. Ich benutze sie auf drei Ebenen. Ganzselten beschreibe ich sie verbal. Oft dienen sie mir als Beweis, dass die Dingewirklich so waren, wie sie waren - weil man denken kann, das gab es doch garnicht. Doch das gab es, ich habe es mir nicht ausgedacht, guckt es euch an. Undin vielen Fällen haben die Bilder auch die Funktion eines Etcetera. MancheBücher, manche Dinge erwähne ich, dann zeige ich noch mehr, um die Fülle des Materialszu belegen.
Das Buchist an vielen Stellen auch überraschend politisch. Geradezu bewegend ist dieSchilderung einer Episode aus dem antifaschistischen Widerstand.
Das ist jagerade die Hauptidee des Buches, die Geschichte nicht als Rekonstruktion einesHistorikers zu zeigen, sondern aus den Gegenständen Leben zu entwickeln. EineLiveshow. Das Fernsehen zeigt uns in diesem Augenblick, wie ein Mann lebt. Undich glaube, dass das so verständlicher wird als die langweilige Ausbreitung vonDokumenten. Ich bin ein Opfer dieser Zeit und habe noch ganz klareErinnerungen, die ich zum Leben erwecken möchte.
Erinnernist auch ein gesellschaftliches, ein kulturelles Phänomen?
Kultur istnichts anderes als der Erhalt von Traditionen und Erinnerungen. Heute kann manden Verdacht haben, dass die junge Generation weniger Erinnerung hat, wenigerGeschichte kennt. In Interviews und bei Stellungnahmen sieht man, dass jungeLeute heute etwa kaum etwas von den historischen Persönlichkeiten der 50erJahre wissen, während ich als junger Mann Bescheid wusste über Menschen, die 50Jahre zuvor gelebt hatten. Da gibt es heute ein ernstes Problem: Wir leben ineinem historischen Augenblick, in dem durch das Internet ein Maximum der Ansammlungvon Erinnerung geboten wird - aber ohne die Möglichkeit, es zu filtern. Esbesteht also die Gefahr, die Erinnerung wegen ihres Überflusses zu verlieren.Die Geschichte eines Mannes, der sein Gedächtnis verloren hat, ist nicht nur dieGeschichte einer Neubildung von Erinnerung, sondern die ihrer Filterung. Dasist die eigentliche Erinnerungsarbeit. Gedächtnis ist nicht nur ein Lager, es istauch ein Filter. Sonst werden wir alle wie Funes, die Person von Jorge Luis Borges,die alles, aber auch alles erinnert, aber ein Idiot ist.
Gibt es ein Buch, das Sie bislangversäumt haben zu lesen?
Unser Lebenist voller Löcher: Thackeray, "The Vanity Fair" ("Jahrmarkt der Eitelkeit",Anm. d. Red.), habe ich nie gelesen.
In "DasFoucaultsche Pendel" beschreiben Sie, wie in früheren Jahrhunderten mit Hilfevon Verschwörungstheorien Politik gemacht wurde. Wenn man sich heute ansieht,wie etwa in Amerika die Bush-Administration denkt und arbeitet, hat dasungeheure Aktualität. Sie haben da etwas vorausgesehen...
Aber ichhabe nichts vorausgesehen, sie sind zurückgegangen.
... aufder anderen Seite erlebt man auch die Opposition in Amerika und in Europa, dieetwa Bush eine Verschwörung nach der anderen unterstellt. Hat die Aufklärungabgedankt, sind wir nicht nur noch von politischen Wahnvorstellungen umgeben?
ImFoucaultschen Pendel zitiere ich Chesterton: Wenn die Leute nicht mehr an Gottglauben, heisst das nicht, dass sie an nichts, sondern dass sie an allesglauben. Nach dem Zusammenbruch der grossen Ideologien ist ein hohler Raumentstanden, der mit allem Möglichen gefüllt wird, mit neuer Religiosität, mitNew Age, mit Satanismus, mit allem. Als ich das Foucaultsche Pendel schrieb,wusste ich, dass ich etwas über unsere Zeit schrieb.
Also doch ein Prophet?
Nein, nein,kein Prophet, sondern Historiker. Auch wenn jeder Historiker in gewissem Sinneein Prophet ist, weil sich Geschichte ja wiederholt.
Siemischen sich ja auch in aktuelle politischen Debatten ein.
Aber nichtjeden Tag. Ich werde laufend angerufen und soll mich zu allem und jedem äussern.Doch wenn man das tut, hören die Leute nicht mehr hin.
Zusammenmit anderen Intellektuellen haben Sie unter dem Eindruck der Berlusconi-Ära dieGruppe "Libertà e Giustizia", "Freiheit und Gerechtigkeit" gegründet.Verschiedene Regionalwahlen in Italien haben gezeigt, dass die Menschen nichtmehr so leicht den Wahlversprechen von Berlusconi und seinen Leuten folgen.Kann der Intellektuelle da Einfluss ausüben?
Weniger alsman glaubt. Dass Berlusconi Wahlen verloren hat, hat weniger mitIntellektuellen zu tun als damit, dass Berlusconis Politik nicht funktioniert,er leere Versprechungen gemacht hat. Immerhin kann die Meinung einesIntellektuellen die Stimme von Menschen verstärken, er kann ihnen Mut machen,weiter zu gehen. Das machen wir mit "Libertà e Giustizia". Wir wollen keineMenschen verändern. Aber da haben sich Personen zusammen gefunden, die sichisoliert gefühlt haben und jetzt eine Art Gemeinschaft bilden. Das ist einepositive Funktion. Intellektuelle können das Bewusstsein junger Leute öffnen,es schärfen. Auch das ist eine Funktion. Aber es gibt nicht mehr wie noch inden 50er Jahren den "organischen Intellektuellen", den Kreator eines neuen Glaubens,den Meinungsmacher. Auch deshalb, weil sich der Artikel des Intellektuellen mit200 Fernsehstunden messen muss.
Hat derIntellektuelle wirklich heute nur noch eine Stimme unter vielen?
Lassen Siees mich wiederholen: Ich glaube nicht, dass die Stimme eines Intellektuellen ineinem Land die politisch-ideologische Situation ändern kann. Aber ich bin mirsicher, dass das Fehlen einer solchen Stimme ein Verlust für die ideelleEntwicklung ist. Es ist also wichtig, dass es jemanden gibt, der spricht. Magsein, dass seine Rede nicht kraftvoll ist, aber das Fehlen seiner Rede kanneine Tragödie sein.
Die Fragen stellte Henning Klüver,Mailand.
(Redaktion: Roland Grosse Holtforth, literaturtest.de)
- Autor: Umberto Eco
- 2004, 3. Auflage, 504 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Masse: 14,5 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Burkhart Kroeber
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446205276
- ISBN-13: 9783446205277
- Erscheinungsdatum: 04.10.2004
"Umberto Eco, letzter Universalist, Virtuose des literarischen Versteckspiels, Meister des mehrstimmigen Satzes, dessen Erzählstrom immerzu von Sturzfluten aus Bildung überbrandet und unterspült wird. ... Wir selbst werden Zeuge der Schätze, die da an den Tag kommen, wir haben sie unmittelbar vor Augen. Denn Ecos neues Werk ist ein Illustrierter Roman, ein wahres Bilder-Buch, und viele der Fundstücke werden uns in farbigen Abbildungen vorgelegt, sodass wir an der Recherche teilnehmen." Dieter Hildebrandt, Die Zeit, 07.10.04
"Ein Roman von packender Faszination. Vielleicht der gelungenste seit dem "Namen der Rose". Daniel Binswanger, Die Weltwoche, 39/04
"Umberto Ecos neues Opus-Magnum ist nostalgisch, witzig und pointiert - eine furiose Reise durch die Alltagsmythen." Susanne Kunckel, Welt am Sonntag, 10.10.04
"Eine illustrierte postmoderne Autobiographie in Romanform - das Spiel aller Spiele also. Wer, ausser dem genialen gelehrten Spieler Eco, könnte solch ein Projekt wuppen? ... Eco schreibt mit viel Eleganz und grossem, alles umgarnenden Charme." Robin Detje, Süddeutsche Zeitung, 13.10.04
"Umberto Eco hat seit je den Schalk im Nacken. ... Ein Bilderbuch, ein "romanzo illustro", die Autobiographie seiner Generation. ... Die "mysteriöse Flamme" ist auch ein Bild für die unerschliessbaren Regionen des Menschen. Die Seele bleibt eben doch ein Geheimnis." Maike Albath, Neue Zürcher Zeitung, 12.10.04
"Ein Fest für alle Flohmarkt-Freunde und für alle Eco-Fans, denn das neueste Werk des Semiotik-Professors ist nicht nur ein Potpourri der Populärkultur, sondern auch stark autobiografisch." Angela Wittmann, Brigitte, 13.10.04
"Vor unseren Augen entsteht ein hinreissendes Panorama all dessen, was Kids, was Teenies vom Ende der Dreissiger- bis Ende der Vierzigerjahre des letzten Jahrhunderts verschlungen haben.
... Das Schöne an Ecos Bilderbuch ist, dass das Gedächtnis der Leser
"Der grosse italienische Erzähler Umberto Eco amüsiert durch ein Romandenkspiel mit alten Bildern." Ulrike Knöfel, Der Spiegel, 04.10.04
"Es werde Roman! Umberto Eco, souverän spielerisch, wie gewohnt. ... Die Lektüre von Umberto Ecos neuem Roman bereitet tatsächlich Vergnügen." Hans Raimund, Die Presse, 09.10.04
"Müsste man für kommende Generationen umreissen, was das Phänomen Umberto Eco ausmacht, so könnte man als vergleichbare Grösse vergangener Tage den französischen Bestsellerautor Victor Hugo herbeizitieren." Claus Philipp, Der Standard, 09.10.04
"Kaum eine Episode, die sich nicht auch wie ein Stück angewandte Philosophie lesen liesse. Und so haben wir alle Freude an diesem Buch, bei dem wir naiv und gebildet zugleich sein dürfen und uns sogar vom Lesen ausruhen können, denn unzählige Illustrationen machen daraus ein Bilderbuch, so wie wir es als Kinder gerne hatten." Wendelin Schmidt-Dengler, Falter, 22.10.04
"Himmlisch. Nicht jugendfrei und auch nicht als Nachttischlektüre geeignet. ... Ein literarisches Panoptikum, das man eigentlich nur in einem Zug geniessen kann. Aber ein Genuss ist es: Mit dem Buch hat sich Eco definitiv eine Spitzenposition im Olymp der Denker und Dichter gesichert." Facts / Schweiz, 30.09.04
"Das letzte Werk Umberto Ecos bildet zugleich den Höhepunkt seiner Kunst. Es ist Ecos empathischtes, sein persönlichstes, sein überzeugendstens Buch." Alexander Kluy, Rheinischer Merkur, 18.11.04
"Ecos schönster Roman bisher. Eben einer für Büchernarren." Jobst-Ulrich Brand, FOCUS, 6.12.2004
"Umberto Eco, letzter Universalist, Virtuose des literarischen Versteckspiels, Meister des mehrstimmigen Satzes, dessen Erzählstrom immerzu von Sturzfluten aus Bildung überbrandet und unterspült wird. ... Wir selbst werden Zeuge der Schätze, die da an den Tag kommen, wir haben sie unmittelbar vor Augen. Denn Ecos neues Werk ist ein Illustrierter Roman, ein wahres Bilder-Buch, und viele der Fundstücke werden uns in farbigen Abbildungen vorgelegt, sodass wir an der Recherche teilnehmen." Dieter Hildebrandt, Die Zeit, 07.10.04
"Ein Roman von packender Faszination. Vielleicht der gelungenste seit dem "Namen der Rose". Daniel Binswanger, Die Weltwoche, 39/04
"Umberto Ecos neues Opus-Magnum ist nostalgisch, witzig und pointiert - eine furiose Reise durch die Alltagsmythen." Susanne Kunckel, Welt am Sonntag, 10.10.04
"Eine illustrierte postmoderne Autobiographie in Romanform - das Spiel aller Spiele also. Wer, ausser dem genialen gelehrten Spieler Eco, könnte solch ein Projekt wuppen? ... Eco schreibt mit viel Eleganz und grossem, alles umgarnenden Charme." Robin Detje, Süddeutsche Zeitung, 13.10.04
"Umberto Eco hat seit je den Schalk im Nacken. ... Ein Bilderbuch, ein "romanzo illustro", die Autobiographie seiner Generation. ... Die "mysteriöse Flamme" ist auch ein Bild für die unerschliessbaren Regionen des Menschen. Die Seele bleibt eben doch ein Geheimnis." Maike Albath, Neue Zürcher Zeitung, 12.10.04
"Ein Fest für alle Flohmarkt-Freunde und für alle Eco-Fans, denn das neueste Werk des Semiotik-Professors ist nicht nur ein Potpourri der Populärkultur, sondern auch stark autobiografisch." Angela Wittmann, Brigitte, 13.10.04
"Vor unseren Augen entsteht ein hinreissendes Panorama all dessen, was Kids, was Teenies vom Ende der Dreissiger- bis Ende der Vierzigerjahre des letzten Jahrhunderts verschlungen haben.
... Das Schöne an Ecos Bilderbuch ist, dass das Gedächtnis der Leser
"Der grosse italienische Erzähler Umberto Eco amüsiert durch ein Romandenkspiel mit alten Bildern." Ulrike Knöfel, Der Spiegel, 04.10.04
"Es werde Roman! Umberto Eco, souverän spielerisch, wie gewohnt. ... Die Lektüre von Umberto Ecos neuem Roman bereitet tatsächlich Vergnügen." Hans Raimund, Die Presse, 09.10.04
"Müsste man für kommende Generationen umreissen, was das Phänomen Umberto Eco ausmacht, so könnte man als vergleichbare Grösse vergangener Tage den französischen Bestsellerautor Victor Hugo herbeizitieren." Claus Philipp, Der Standard, 09.10.04
"Kaum eine Episode, die sich nicht auch wie ein Stück angewandte Philosophie lesen liesse. Und so haben wir alle Freude an diesem Buch, bei dem wir naiv und gebildet zugleich sein dürfen und uns sogar vom Lesen ausruhen können, denn unzählige Illustrationen machen daraus ein Bilderbuch, so wie wir es als Kinder gerne hatten." Wendelin Schmidt-Dengler, Falter, 22.10.04
"Himmlisch. Nicht jugendfrei und auch nicht als Nachttischlektüre geeignet. ... Ein literarisches Panoptikum, das man eigentlich nur in einem Zug geniessen kann. Aber ein Genuss ist es: Mit dem Buch hat sich Eco definitiv eine Spitzenposition im Olymp der Denker und Dichter gesichert." Facts / Schweiz, 30.09.04
"Das letzte Werk Umberto Ecos bildet zugleich den Höhepunkt seiner Kunst. Es ist Ecos empathischtes, sein persönlichstes, sein überzeugendstens Buch." Alexander Kluy, Rheinischer Merkur, 18.11.04
"Ecos schönster Roman bisher. Eben einer für Büchernarren." Jobst-Ulrich Brand, FOCUS, 6.12.2004
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