Die flüsternden Seelen
Roman
Felisberto, ein uralter Schwarzer, sitzt am Feuer und erzählt Geschichten von Schicksalen zwischen Traum und Wirklichkeit.
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die flüsternden Seelen “
Felisberto, ein uralter Schwarzer, sitzt am Feuer und erzählt Geschichten von Schicksalen zwischen Traum und Wirklichkeit.
Klappentext zu „Die flüsternden Seelen “
Vom geheimnisvollen Zauber eines grossen KontinentsFelisberto, ein alter Afrikaner, sitzt am Feuer und erzählt: von der über dreihundert Jahre alten Stammesmutter Samima, die zwar tot ist, aber als lebender Geist bei ihren Nachfahren äusserst gegenwärtig. Oder von dem Weissen Dom Estefano, dessen Diener er war, und von dem Klavier, das verlassen am Hafen stand und eines Nachts von ganz allein zu spielen begann. Henning Mankell erzählt von der magischen Seite des schwarzen Kontinents und vom Ende des Kolonialismus - angesiedelt im Grenzbereich zwischen Traum und Realität, Mythos und politischer Geschichte.
"In starken, schönen Bildern erzählt Mankell von Afrikas Seele, von Revolte und Befreiung." Tomas Löfström in Expressen
Lese-Probe zu „Die flüsternden Seelen “
Die flüsternden Seelen von Henning Mankell L E S E P R O B E I.
In Afrika habe ich etwas entdeckt, das eigentlich keine Entdeckung sein sollte. Etwas, das die größte aller Selbstverständlichkeiten sein sollte.
Aber trotzdem bedurfte es einer immer besser gerüsteten geistigen und körperlichen Expedition, die periodisch während mehr als fünfundzwanzig Jahren stattgefunden hat, um mich im Ernst begreifen zu lassen, daß alle Menschen tatsächlich miteinander verwandt sind.
Die Hautfarbe, die Sprachen, die Art, wie wir Götter anbeten oder unser Frühstück machen, Dummheiten betrachten oder Kunst schaffen, unsere Kleider waschen und unsere Toten beerdigen, sind Grenzen, die genau diese Tatsache nicht überschatten können.
Alle Menschen sind verwandt. Wir gehören zur selben Familie. 2.
Afrika ist ein schwarzer Mann, der im Dunkel vorüberhuscht. Die Nacht scheint sein Eigentum zu sein. Er trägt einen Mantel aus heimatlosen Winden.
Irgendwohin ist er unterwegs. Er birgt ein Geheimnis.
So bin ich Afrika begegnet, einmal vor fünfundzwanzig Jahren. Es war das erste Signal, welches das afrikanische Echolot an mein Bewußtsein zurücksendete. Der erste Versuch, einen Abdruck von der Begegnung mit dem schwarzen Kontinent herzustellen.
... mehr
Nach all meinen Erlebnissen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, wie ein Fluß, ohne Kanten oder Kapitelüberschriften. Die Erlebnisse erscheinen mir oft wie poetische Instrumente. Das eine geht gleitend in das andere über.
Aber es gab auch einen Anfang.
1955. Bei Anbruch des Frühlings, beim Eisgang, stand ich am nördlichen Ufer des Ljusnan. Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Die Baumstämme, die vorbeiglitten, unterwegs von den Abholzungsstellen im Norden, auf ihrer langen Reise zum Meer, verwandelten sich vor meinen Augen in Krokodile. Der Ljusnan wurde zum Kongofluß, der durch meine Kindheit strömt. Die Phantasie war ein entscheidendes Mittel, um Hütten zu bauen. Aber auch dazu, Strategien zu entwickeln, bei denen es ums Überleben ging.
Dann dauerte es in Wirklichkeit noch siebzehn Jahre, ehe ich zum erstenmal nach Afrika kam.
1972. Ich stieg aus dem Flugzeug. Die Morgendämmerung schaukelte auf den unsichtbaren Wellenkämmen des Ozeans. Eine lange Reise lag hinter mir. Das Flugzeug floß aus meinen Poren. Unterhalb der Treppe warteten die Wärme und die Stille.
Jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, habe ich dazugelernt. In Afrika gibt es immer diese Stille, in der Tiefe des Lärms, der zum Leben gehört. Die Flugzeugtreppe hinunterzugehen, das war, als steige man in einen Vulkan hinunter, ohne Sicherungsseil, ohne Wiederkehr. Es war, wie nach Hause an einen Ort zu kommen, an dem ich noch nie gewesen war. Ich erinnere mich an meine Ankunft, als sei sie noch immer eine Fata Morgana. Etwas, was vielleicht noch nicht geschehen ist.
Und das erste, was ich sehe, ist genau dies:
Afrika ist ein schwarzer Mann. Er lächelt, und sein Mantel scheint von den Winden über dem Ozean gewebt zu sein.
Die zweite Erinnerung ist die an einen Geier, der kopfüber in einem Baum hängt. Kinder, die ihn peitschen, und rote Erde, die aufwirbelt. Der Geier lebt noch, seine Flügel flattern in einem Krampf. Ein letzter Gruß, ein verzweifeltes Flehen um Gnade.
Der Geier kennt die Menschen.
Kinder, die einen sterbenden Vogel peitschen, die rote Erde, die aufwirbelt.
Kinder, die sich selber peitschen.
In einem Notizbuch, das jetzt sehr zerfleddert ist, sehe ich, daß ich folgendes geschrieben habe:
»In der afrikanischen Nacht ist der Tag immer anwesend. Wie der Geruch von Holzkohlefeuern und Armut.
Wer sagt, daß Armut einen Geruch hat? Meist ist es der Reichtum, der stinkt.
In der Ohnmacht, der Kränkung, dem Hunger ist meistens trotzdem ein Lichtstrahl anwesend. Weiße Asche, die nach Würde riecht.«
»Weiße Asche, die nach Würde riecht.« Das Bild erscheint heute undeutlich und schwebend. Aber ich verstehe, was ich damit meinte.
Ich meine das heute noch.
Einmal, auf einer meiner ersten Reisen nach Afrika, in ein ostafrikanisches Land, erzählte mir jemand folgende Geschichte: Lange stand ein Klavier verlassen am Hafen, wo man hin und wieder eine Haifischflosse in dem trüben Wasser sehen konnte. Ein Mann war geflüchtet. Einer der früheren europäischen Kolonialisten. Und er hatte das Klavier hinterlassen.
Eines Nachts begann das Klavier zu spielen. Die Nachtwächter kauerten sich vor Entsetzen zusammen.
In der Morgendämmerung, als sie sich endlich hinwagten, fanden sie eine erschreckte Ratte zwischen den Saiten.
In der nächsten Nacht verbrannten sie das Klavier. Die Nachtwächter wollten nicht erinnert werden.
Einst hatte ein weißer Mann mit fetten Fingern an dem Klavier gesessen. Tagsüber hatte er die gequält, die seinen Tee pflückten. Abends hatte er Musik gespielt, die verzaubern konnte.
Daran wollten sie nicht mehr erinnert werden. An diesen unfaßbaren Menschen, der teils ein Quälgeist, teils ein musikalischer Zauberer war. Also verbrannten sie das verlassene Klavier.
Am folgenden Tag fiel Regen. Die Asche war bald verschwunden. Aber die Erinnerung an die Teeblätter, die in den Handflächen brannten, war noch da. Und die Musik schwebte weiterhin über ihren Köpfen wie ein Schwarm spielender Nachtvögel.
Auf diesen ersten Reisen begann ich auch zu verstehen, was Freiheit war. Freiheit war, eine Erinnerung zu befreien. Freiheit war, seinen eigenen Traum zu befreien. Freiheit, als sie schließlich kam, bestand aus marschierenden Guerillasoldaten in verschlissenen Uniformen, die sich plötzlich kurz vor den Toren der Stadt befanden. Sie öffneten alle inneren Gefängnisse, die verschlossenen Räume in den Menschen, die jetzt ihre Ankunft erwarteten. Heraus wankten aufgestaute Träume, mager und bleich, gequält und stumm. Alle diese Erinnerungen, die plötzlich die Sonne erblickten, Erinnerungen, die die Luft in die Lungen zogen, all diese unterernährten Gedanken, die sich wie verlassene Nestlinge benahmen. Die aber noch immer am Leben waren.
Als die Freiheit kam, war es, als hätte man ein Leintuch zur Seite gezogen. Dort war die Erde. Jedes Ackerstück war ein befreiter Traum.
Und die Europäer?
Sie verschwanden über die Meere.
Oder blieben da mit ihren rostigen Rosenscheren und begannen vielleicht zu ahnen, daß ihr Leben ein Gefängniswärterleben gewesen war.
Sie waren mit heiligen Aufträgen oder blutiger Verachtung gekommen. Im Angesicht der Freiheit sahen sie jetzt sich selbst.
Das Gesicht des Kolonialisten.
Ein Gesicht aus Gift. Mit einem unheilbaren Riß. Das Gesicht Europas.
Der Quälgeist und der Zauberer.
© Paul Zsolnay Verlag 2007
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel
Aber es gab auch einen Anfang.
1955. Bei Anbruch des Frühlings, beim Eisgang, stand ich am nördlichen Ufer des Ljusnan. Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Die Baumstämme, die vorbeiglitten, unterwegs von den Abholzungsstellen im Norden, auf ihrer langen Reise zum Meer, verwandelten sich vor meinen Augen in Krokodile. Der Ljusnan wurde zum Kongofluß, der durch meine Kindheit strömt. Die Phantasie war ein entscheidendes Mittel, um Hütten zu bauen. Aber auch dazu, Strategien zu entwickeln, bei denen es ums Überleben ging.
Dann dauerte es in Wirklichkeit noch siebzehn Jahre, ehe ich zum erstenmal nach Afrika kam.
1972. Ich stieg aus dem Flugzeug. Die Morgendämmerung schaukelte auf den unsichtbaren Wellenkämmen des Ozeans. Eine lange Reise lag hinter mir. Das Flugzeug floß aus meinen Poren. Unterhalb der Treppe warteten die Wärme und die Stille.
Jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, habe ich dazugelernt. In Afrika gibt es immer diese Stille, in der Tiefe des Lärms, der zum Leben gehört. Die Flugzeugtreppe hinunterzugehen, das war, als steige man in einen Vulkan hinunter, ohne Sicherungsseil, ohne Wiederkehr. Es war, wie nach Hause an einen Ort zu kommen, an dem ich noch nie gewesen war. Ich erinnere mich an meine Ankunft, als sei sie noch immer eine Fata Morgana. Etwas, was vielleicht noch nicht geschehen ist.
Und das erste, was ich sehe, ist genau dies:
Afrika ist ein schwarzer Mann. Er lächelt, und sein Mantel scheint von den Winden über dem Ozean gewebt zu sein.
Die zweite Erinnerung ist die an einen Geier, der kopfüber in einem Baum hängt. Kinder, die ihn peitschen, und rote Erde, die aufwirbelt. Der Geier lebt noch, seine Flügel flattern in einem Krampf. Ein letzter Gruß, ein verzweifeltes Flehen um Gnade.
Der Geier kennt die Menschen.
Kinder, die einen sterbenden Vogel peitschen, die rote Erde, die aufwirbelt.
Kinder, die sich selber peitschen.
In einem Notizbuch, das jetzt sehr zerfleddert ist, sehe ich, daß ich folgendes geschrieben habe:
»In der afrikanischen Nacht ist der Tag immer anwesend. Wie der Geruch von Holzkohlefeuern und Armut.
Wer sagt, daß Armut einen Geruch hat? Meist ist es der Reichtum, der stinkt.
In der Ohnmacht, der Kränkung, dem Hunger ist meistens trotzdem ein Lichtstrahl anwesend. Weiße Asche, die nach Würde riecht.«
»Weiße Asche, die nach Würde riecht.« Das Bild erscheint heute undeutlich und schwebend. Aber ich verstehe, was ich damit meinte.
Ich meine das heute noch.
Einmal, auf einer meiner ersten Reisen nach Afrika, in ein ostafrikanisches Land, erzählte mir jemand folgende Geschichte: Lange stand ein Klavier verlassen am Hafen, wo man hin und wieder eine Haifischflosse in dem trüben Wasser sehen konnte. Ein Mann war geflüchtet. Einer der früheren europäischen Kolonialisten. Und er hatte das Klavier hinterlassen.
Eines Nachts begann das Klavier zu spielen. Die Nachtwächter kauerten sich vor Entsetzen zusammen.
In der Morgendämmerung, als sie sich endlich hinwagten, fanden sie eine erschreckte Ratte zwischen den Saiten.
In der nächsten Nacht verbrannten sie das Klavier. Die Nachtwächter wollten nicht erinnert werden.
Einst hatte ein weißer Mann mit fetten Fingern an dem Klavier gesessen. Tagsüber hatte er die gequält, die seinen Tee pflückten. Abends hatte er Musik gespielt, die verzaubern konnte.
Daran wollten sie nicht mehr erinnert werden. An diesen unfaßbaren Menschen, der teils ein Quälgeist, teils ein musikalischer Zauberer war. Also verbrannten sie das verlassene Klavier.
Am folgenden Tag fiel Regen. Die Asche war bald verschwunden. Aber die Erinnerung an die Teeblätter, die in den Handflächen brannten, war noch da. Und die Musik schwebte weiterhin über ihren Köpfen wie ein Schwarm spielender Nachtvögel.
Auf diesen ersten Reisen begann ich auch zu verstehen, was Freiheit war. Freiheit war, eine Erinnerung zu befreien. Freiheit war, seinen eigenen Traum zu befreien. Freiheit, als sie schließlich kam, bestand aus marschierenden Guerillasoldaten in verschlissenen Uniformen, die sich plötzlich kurz vor den Toren der Stadt befanden. Sie öffneten alle inneren Gefängnisse, die verschlossenen Räume in den Menschen, die jetzt ihre Ankunft erwarteten. Heraus wankten aufgestaute Träume, mager und bleich, gequält und stumm. Alle diese Erinnerungen, die plötzlich die Sonne erblickten, Erinnerungen, die die Luft in die Lungen zogen, all diese unterernährten Gedanken, die sich wie verlassene Nestlinge benahmen. Die aber noch immer am Leben waren.
Als die Freiheit kam, war es, als hätte man ein Leintuch zur Seite gezogen. Dort war die Erde. Jedes Ackerstück war ein befreiter Traum.
Und die Europäer?
Sie verschwanden über die Meere.
Oder blieben da mit ihren rostigen Rosenscheren und begannen vielleicht zu ahnen, daß ihr Leben ein Gefängniswärterleben gewesen war.
Sie waren mit heiligen Aufträgen oder blutiger Verachtung gekommen. Im Angesicht der Freiheit sahen sie jetzt sich selbst.
Das Gesicht des Kolonialisten.
Ein Gesicht aus Gift. Mit einem unheilbaren Riß. Das Gesicht Europas.
Der Quälgeist und der Zauberer.
© Paul Zsolnay Verlag 2007
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel
... weniger
Autoren-Porträt von Henning Mankell
Mankell, HenningHenning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der grossen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.
Bibliographische Angaben
- Autor: Henning Mankell
- 2009, 256 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Reichel, Verena
- Übersetzer: Verena Reichel
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423211202
- ISBN-13: 9783423211208
Rezension zu „Die flüsternden Seelen “
»Henning Mankell erzählt von der magischen Seite des Schwarzen Kontinents und vom Ende des Kolonialismus - angesiedelt im Grenzbereich zwischen Traum und Realität, Mythos und politischer Geschichte.«Publik-Forum 13.02.2009
Kommentar zu "Die flüsternden Seelen"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die flüsternden Seelen“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die flüsternden Seelen".
Kommentar verfassen